Ravenna | Domus des Aelius Calvaster

  • »Decimus! Decimus!« Aufgeregte Schritte tapsten vom atrium ins tablinum, verhielten dort kurz und trippelten dann weiter in Richtung Peristyl.
    »Decimus! Decimus, wo steckst du nur schon wieder!« Offensichtlich war das die Stimme einer Frau, die untermalt wurde von einem trockenen Rascheln und hastigen Schritten auf blank poliertem Grund. Nun hastete sie in die culina, aber da steckte besagter Decimus auch nicht. Siedendheiß fiel ihr nur noch ein Ort ein, an dem er stecken könnte. Sie seufzte verstimmt und öffnete eine weitere Tür.


    »Bona Dea, Frau! Kann man hier nicht mal in ruhe kac-«
    »Na na, du hast mir versprochen, hier im Haus diese Gossensprache zu unterlassen, Decimus!« unterbrach da die Hausdame ihre Gemahl mit erhobenem Zeigefinger, während sie ihren Gatten betrachtete. Der saß auf der Latrine, eine aufgeklappte Wachstafel in der Hand, und grunzte unwillig. Caenis zog die Nase kraus angesichts des Geruchs.
    »Caius hat geschrieben! Er will herkommen, mit seiner Verlobten! Also beeil dich und komm vom locus, wir müssen ein paar Dinge besprechen!« Die Tür schloss sich und Calvaster, seines Zeichens Vater von Caius und Hausherr, grummelte mürrisch in sich hinein. Dann las er einfach weiter, obwohl er sich natürlich auch freute. Aber die zwei würden wohl kaum in einer halben hora vor der Tür stehen. Planungen hatten also noch Zeit.

  • Besagte halbe hora später hatte Calvaster seine Wachstafel ausgelesen, zugeklappt und fort gelegt. Jetzt kam er frisch parfümiert in den Garten, wo seine Frau in einem geflochtenen Sessel saß, ab und an am Wein nippte und dem Hausverwalter Dinge diktierte, die vor Caius' Ankunft unbedingt noch erledigt werden mussten. Calvaster steuerte auf einen freien Sessel zu, pflanzte sich ächzend hinein und sah Caenis erwartungsvoll an.


    »So, also. Caius kommt her?« fragte er. Caenis winkte den Sklaven beiseite und rümpfte kurz die Nase.
    »Decimus. Hast du wieder das Lavendelöl benutzt?« fragte sie ihn tadelnd. Calvaster grinste nur. Caenis seufzte und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum.
    »Hach, du weißt doch, dass ich diesen Duft nicht besonders mag «, beschwerte sie sich, woraufhin ihr Gatte nur grinste, aber nichts sagte.
    »Caius kommt mit seiner Verlobten. In etwa vier Wochen werden sie hier sein! Ach, ich bin so aufgeregt! Wie sie wohl ist? Und welchen Einfluss sie auf unseren Jungen hat?« Caenis stellte ihren Weinbecher ab und klatschte erfreut in die Hände.
    »Na ist doch klasse. Gibst du ihnen das Zimmer an der Südseite?« kommentierte Calvaster und schmunzelte, die Hände vor dem Bauch verschränkt. Caenis sah ihn erneut tadelnd an.
    »Decimus. Die beiden sind verlobt, nicht verheiratet! Selbstverständlich bekommen sie nicht das Zimmer an der Südseite! Zumindest nicht zusammen! Seiena kann es haben. Caius wird in seinem alten Zimmer schlafen.« Die lagen nämlich am weitesten voneinander entfernt. Caenis wusste schon, weshalb. Calvaster und sie waren damals schließlich auch einmal jung gewesen...

  • Während der einen Woche vor dem Termin, den Archias seinen Eltern für den Besuch angekündigt hatte, war im Hause Aelius Calvaster zu Ravenna kaum noch ein ruhiges Leben möglich. Sklaven wuselten herum, trugen Dekoration, Stoff und Unmengen von Nahrungsmitteln. Zweimal schon hatten verwunderte Nachbarn vor der Tür gestanden und gefragt, welche Hochzeit denn gefeiert werden würde. Und zweimal hatte Calvaster voller Stolz geantwortet, dass ihr Sohn Archias demnächst heiraten würde. Nun dachte halb Ravenna, dass in Bälde eine Hochzeit stattfinden würde. Und zwar in Ravenna. Und in den nächsten zwei Wochen. Caenis wunderte sich unterdessen über die kleinen Präsente, die im Hause eingingen und an Archias und seine Braut adressiert waren. Gerade eben erst war eine unbeschreiblich hässliche Vase aus der Pling-Dynastie abgegeben worden. Mit eben dieser Vase kam sie nun ins Esszimmer, wo Calvaster lag und vor sich hin döste.


    »Seltsam, seltsam... Decimus, eben wurde schon wieder ein Geschenk abgegeben. Sieh mal. Ist die nicht unglaublich hässlich?« Sie hielt die Vase hoch, schüttelte dann missbilligend den Kopf und stellte sie zu den anderen Dingen auf dem Tisch, die abgegeben worden waren. Calvaster schaute nur und grunzte amüsiert.
    »Wann kommt Caius noch mal her?« fragte er im Liegen und ohne die Augen zu öffnen.
    »Morgen!« kam es wie mit einem pilum geschossen. Es war nur allzu offensichtlich, dass sich Caenis unglaublich über diesen Besuch freute. Sie strahlte wie ein honigkuchenpferd mit extra Honig.
    »Ach du je! Habe ich die Betten denn schon beziehen lassen?« Mit schreckgeweiteten Augen fuhr Caenis herum.
    »Crania! Agneta!« nach zahllosen Sklaven rufend schoss Caenis aus dem Esszimmer und ließ Calvaster selig weiterschlummern...

  • Wir sind nicht mehr in Ägypten, Caius. Gnah! Wie oft hatte er diesen Satz während der letzten Tage gehört? Caius hatte beim dritten Mal schon nicht mehr mitgezählt. Bitte, dann waren sie eben nicht mehr in Ägypten. Wenn das bedeutete, dass Seiana sich lieber in einer Kutsche chauffieren ließ, statt den Wind im Haar zu spüren, dann war das eben so. Der Nachteil für sie lag dabei ja auf der Hand. Nur dummerweise war ihr Nachteil in dem Falle auch seiner gewesen, denn mit der (zugegeben) kleinen schnellen Kutsche hatten sie im Schnitt doch anderthalb Tage mindestens länger gebraucht, als wenn Seiana auch geritten wäre.


    Caius hatte sich nicht streiten wollen. Deswegen hatte er auch nicht gestritten. Aber das komische Gehabt war ihm trotzdem gegen den Strich gegangen! Er hatte sich dabei ertappt, wie er mit Axilla verglichen hatte. Sie wäre sicherlich geritten. Bestimmt sogar vor ihm im Sattel. Aber Seiana war eben nicht Axilla und Axilla nicht Seiana, und eigentlich war das auch ganz gut so. Immerhin war es immer besser, eine Freundin und eine beste Freundin zu haben.


    Nun ja, irgendwann waren sie allerdings in Ravenna angekommen und hatten das Stadttor relativ schnell passieren können. Caius altes Zuhause lag am Stadtrand, in unverbauter Sichtweite des Meeres. Dorthin hatte sie dann eine Sänfte gebracht. Wenigstens, so dachte Caius gerade, konnte sich Seianas Bruder nicht auch noch darüber beschweren, dass er sie auf dem Weg hatte übernachten lassen, wenn sie sich einmal trafen. Denn sie waren pünktlich bei Dämmerung an jedem Abend in einem Gasthof eingekehrt.


    Gerade machte die Sänfte Halt, die sie durch Ravenna getragen hatte, und Caius sah zu Seiana neben sich. Er ergriff ihre Hand und lächelte sie aufmunternd an. Dass sie nervös war, sah man ihr an. Auch wenn es seiner Meinung nach keinen Grund dazu gab. Ihre Sänfte wurde abgesetzt.

  • Seiana hatte sich auch nicht streiten wollen. Und deswegen hatte auch sie sich zurückgehalten. Aber genau wie Caius umgekehrt hatte sie schon bald die Frage Möchtest du nicht doch lieber reiten? nicht mehr hören können. Natürlich hätte sie lieber reiten wollen als in der Kutsche zu sitzen! Und wann immer es gefahrlos – sprich auf den Teilstrecken, wo sie niemand sehen konnte – möglich war, war sie auch geritten. Aber sie waren eben nicht mehr in Ägypten! Sie konnte als Frau, als Römerin von Stand nicht einfach lustig durch die Gegend reiten, und gerade Caius, als Mitglied der kaiserlichen Familie, sollte das eigentlich wissen. Und er wusste es auch, nur war es ihm egal, im Gegensatz zu ihr. Aber er war es dann ja auch nicht, der darunter zu leiden hatte… nein, sie würde schief angesehen werden. Dass Caius das einfach nicht begriff, oder besser: begreifen wollte, dass ihr das nicht egal war, begann Seiana zu nerven. Aber der Streit mit Faustus hatte ihr gereicht, und davon ganz abgesehen wäre es mehr als nur ungut, bei seinen Eltern anzukommen und sich in einem Zustand zu befinden, in dem sie gegenwärtig nicht miteinander sprachen, weil sie sauer aufeinander waren. Dass Caius in Gedanken Vergleiche mit Iunia Axilla anstellte, wusste Seiana zum Glück nicht – denn dass hätte ihre Zurückhaltung wohl zum Wanken gebracht.


    Je mehr sie sich Ravenna näherten, desto mehr wuchs die Nervosität in ihr. Sie wünschte sich, sie könnte irgendwie die Zeit beschleunigen, könnte die Götter dazu bringen, sie einfach in das Haus seiner Eltern zu versetzen, so dass sie diesen ersten Moment des Kennenlernens einfach schon hinter sich hatte, aber das war nicht möglich, und blieb Seiana nichts anderes übrig, als die Zeit irgendwie herumzukriegen, die verging, bis sie endlich vor dem Haus von Caius’ Eltern anhielten und sie aus der Sänfte steigen konnten. Sie drückte Caius’ Hand, als dieser nach der ihren griff, und erwiderte sein Lächeln, wenn auch etwas schief. Einen Moment wartete sie noch, atmete durch und sammelte sich, verstaute ihre Nervosität irgendwo so tief in sich drinnen, dass sie ihr hoffentlich nicht mehr angesehen werden konnte. „Na dann los“, murmelte sie dann und stieg als erste aus der Sänfte aus. Sie hatte schon ganz andere Sachen gemeistert. Es wäre lachhaft, jetzt an seinen Eltern zu scheitern. Oder deswegen aufgeregt zu sein.

  • Kaum hatten sie ihre Hintern aus der Sänfte gehievt, flog die Tür zum Haupthaus auch schon auf und eine Schar Sklaven schwappte hinaus, dicht gefolgt von Acilia Caenis. Mit ein klein wenig Verzögerung folgte (etwas gemächlicher) der alte Aelius Calvaster. Dennoch war seine Frau noch vor allen anderen an der Sänfte, und plötzlich hatte Caius sie sprichwörtlich am Hals.
    »Caius, mein Lieber! Was freu ich mich, dass du mal wieder nach Hause kommst!« nuschelte Caenis in Caius' Tunika. Calvaster war inzwischen auch bei ihnen angekommen und beäugte das Spektakel amüsiert.
    »Wir freuen uns, mein Sohn, wir freuen uns«, merkte er an und wartete, dass Caenis Caius freigab, was sie in diesem Moment tat. Calvaster umarmte Caius direkt im Anschluss. Nicht weniger herzlich, aber doch deutlich weniger feste.
    »Äh, danke Paps. Mam...« ächzte Caius, der sich sichtlich überfordert fühlte. Caenis hatte sich inzwischen zu Seiana gesellt.
    »Du musst Decima Seiana sein!« stellte sie folgerichtig fest. Das fehlender Verwandtschaftsverhältnis war für sie kein Grund zum Geizen mit Umarmungen.
    »Herzlich willkommen in Ravenna, in unserem Haus und in der Familie, mein Kind«, sagte Caenis, während sie Seiana an sich drückte. Da sie viel kleiner als Seiana war, sah das etwas lustig aus. Calvaster hatte seinem Sohnemann inzwischen ein paarmal auf den Rücken geklopft und war zurückgetreten. Im Gegensatz zu seiner Frau reichte er Seiana erstmal nur die Hand, lächelte dafür aber warm.
    »Salve meine Liebe. Caius hat es dir sicherlich schon gesagt, aber das hier ist meine bezaubernde Frau Caenis und ich bin Decimus Calvaster. Aber bitte, nenn mich doch Decimus«. sagte Caius' Paps und schüttelte unterdessen weiter Seianas Hand.
    »Äh, ja, also: Das ist Seiana«, stellte Caius sie dann auch vollkommen überflüssigerweise vor.

  • Und dann geschah alles viel schneller, als Seiana erwartet hätte. Sie hatten kaum die Sänfte verlassen, als die Tür schon aufging und das Haus eine Menge Leute ausspuckte, darunter eine Frau, die sich sofort auf Caius stürzte. Sozusagen. Seiana stand daneben, sich ein wenig fehl am Platz fühlend, als Caius von seinen Eltern begrüßt wurde, als die Frau – Caius’ Mutter, wie Seiana messerscharf schloss – sich auch schon ihr zuwandte. Und sie an sich drückte. Seiana entfuhr ein Laut der Überraschung, als sie halb nach unten gezogen und umarmt wurde. „Ah, äh…“ Etwas verlegen legte sie nach einem Moment die Arme auf die Schultern der Frau und bemühte sich um ein Lächeln. „Salve… ich, danke…“ Himmel noch mal, wie sollte sie darauf jetzt reagieren? Seiana war kein Mensch, der etwas gegen Umarmungen hatte – aber sie beschränkte das lieber auf die Personen, die ihr nahe standen. Wirklich nahe. Im übertragenen Sinn.


    Schließlich ließ Caius’ Mutter sie los, und sein Vater, wie Seiana mit einiger Erleichterung feststellte, reichte ihr nur die Hand – die Seiana mit einem leichten Lächeln schüttelte, während Caius sie vorstellte. „Vielen Dank für die herzliche Begrüßung.“ Seiana schaffte es, vor dem herzlich nicht kurz zu stocken.

  • Caenis klatschte vor Freude in die Hände. Hinter ihr schleppten Sklaven die Dinge ins Haus, die Seiana und Caius aus Rom mitgebracht hatten.
    »Ich bitte dich, du gehörst ja nun zur Familie, das ist doch selbstverständlich!« erwiderte Caenis und Calvaster grinste Caius kurz zu und hob ein wenig die Augenbrauen. Caius grinste zurück, bemühte sich aber bei dem leicht strafenden Blick seitens Caenis sichtlich um eine ernste und feierliche Miene.
    »Kommt, Kinder, gehen wir ins Haus. Meine alten Knochen lechzen nach einer Kline, und wie ich meine Frau kenne, wartet drinnen ein Brigade Sklaven mit Erfrischungen...« löste Calvaster diplomatisch die Situation auf, legte seiner nicht protestierenden Frau die Hand auf eine Schulter und schob sie erst vor, dann neben sich her zum Haus. Er hinkte linksseitig ein wenig, wie Seiana jetzt feststellen konnte. Caius ergriff Seianas Hand und ging seinen Eltern langsam hinterher.
    »Ich hoffe, du hast Hunger...« raunte Caius seiner Verlobten leise zu, während sie zum Haus gingen.


    Kurz hinter der Schwelle entwandt sich Caenis ihrem Mann und wies einige Sklaven an, irgendwas zu tun, dann wandte sie sich wieder zu den beiden um.
    »Geht doch schon mal vor und packt eure Geschenke aus!« sagte sie freudestrahlend und verschwand, ehe noch jemand etwas sagen konnte. Calvaster krallte sich derweil Caius.
    »So, mein Junge, wir wollen natürlich alles wissen. Du kennst ja deine Mutter... Aber erstmal sollt ihr euch stärken. Wie war denn die Reise? Eigentlich hatten wir euch schon vor zwei Tagen erwartet«, plauderte Calvaster, als sie ins triclinium gingen. Caius wunderte sich immer noch, welche Geschenke seine Mutter wohl meinte. So ein Mist, er hatte es total verschwitzt, zu den Saturnalien was herzuschicken. Seiana hatte ein schlichtes, aber schickes (wie er fand) Armband von ihm bekommen, und Elena hatte er eine Badekappe geschenkt, die wohl aber nicht so toll angekommen war. Daran, seinen Eltern etwas zu schicken, hatte er gar nicht gedacht. Darüber vergaß er ganz, seinem Vater auf die Frage nach der Reise zu antworten, so dass Seiana das übernehmen musste.


    Calvaster ließ sich ächzend auf einer Liege nieder, und Caius sah sich stirnrunzelnd im Raum um.
    »Habt ihr gestrichen? Und wo ist der alte Ledersessel hin?« wunderte er sich. Calvaster lachte.
    »Deine Mutter fand, dass es an der Zeit für eine neue Ära im Hause Aelia sei«, erklärte er, wobei er Caenis' Stimme recht gut nachmachte. Danach sah er sich kurz um, ob seine Frau in Hörweite war.
    »Aber den Sessel hab ich retten können, der steht drüben bei Crassus im Gesindehaus«, erwiderte er verschwiegen.
    »Sagt ihr das bloß nicht!«


    »Was sollen sie mir nicht sagen? Oh! Decimus, wie unhöflich, es hat ja noch niemand was zu trinken!« schalt Caenis da ihren Mann, der sie nur ansah, als könne er kein Wässerchen nie nicht trüben. Caenis klatschte zweimal in die Hände und setzte sich dann ebenfalls. Ein betagter Sklave reichte daraufhin jedem einen Becher, nachdem er sie gefüllt hatte.
    »Auf unseren reizenden Besuch«, sagte Caenis.
    »Auf die hübsche Braut«, sagte Calvaster.
    »Auf zu Hause«, sagte Caius.
    Und dann sahen sie alle zu Seiana hin.

  • Noch während der Begrüßung begannen Sklaven, das Gepäck ins Haus zu schaffen, und gleich darauf folgten Caius’ Eltern ihnen und begaben sich zum Haus. „Hunger? Nicht wirklich“, murmelte Seiana zu Caius, nur um im nächsten Moment stehen zu bleiben. „Geschenke? Was für Geschenke meint sie?“ flüsterte sie, aber noch bevor Caius antworten konnte, gesellte sich sein Vater zu ihnen. Einen Moment lang herrschte Stille, nachdem Calvaster geendet hatte. Als Caius dann immer noch nichts sagte, zauberte Seiana ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Oh, die Reise war recht angenehm. Das Wetter hätte allerdings etwas besser sein können.“ Auf die Bemerkung mit ihrer Ankunftszeit ging Seiana nicht ein. Sie wollte nicht jetzt doch noch eine Diskussion mit Caius über das Thema Kutsche anfangen, und inwiefern diese wirklich dazu geführt hatte, dass sie länger gebraucht hatten als er geplant hatte. Auch wenn sie geritten wäre, hätten sie kaum die Strecke im vollen Galopp zurückgelegt, schon gar nicht bei dem Wetter – weswegen sie sich unschuldig an der Verspätung fühlte.


    Sie schwieg wieder, als sie in das Haus hineingingen und sich zwischen Caius und seinem Vater ein Gespräch entspann über die Veränderungen darin. Sie konnte nicht wirklich etwas dazu beitragen, und wenn sie ehrlich war, war sie ganz froh darüber, dass die Aufmerksamkeit nicht auf ihr ruhte. Es würde schon früh genug dazu kommen, dass sie im Mittelpunkt stand, immerhin würden Caius’ Eltern wissen wollen, wer die Verlobte ihres Sohnes überhaupt war, und dazu hatten sie ja auch jedes Recht, nur… Seiana freute sich nicht unbedingt auf diesen Teil. In diesem Augenblick tauchte seine Mutter wieder auf und hieß einen Sklaven, ihnen etwas zu trinken zu geben. Ohne zu wissen, was darin war, akzeptierte sie einen Becher von einem Sklaven, der so aussah, als würde er selbst den Ianitor der Casa Decima Mercator noch um locker ein Jahrzehnt übertreffen. Und fühlte, wie sie rot wurde, als Trinksprüche gesagt wurden – und sie dann alle ansahen. „Ah. Hrm. Auf… die gute Reise“, improvisierte sie, verfluchte sich dann innerlich selbst und fügte noch schnell an: „Und die zauberhaften Gastgeber.“

  • Als Seiana ihn nach den Geschenken gefragt hatte, hatte Caius nur genauso ratlos geschaut und kurz mit den Schultern gezuckt. Als sie jetzt beisammen saßen und einander alle zugeprostet hatten, nippte er kurz an dem Becher (Wein pur!) und zwinkerte Seiana zu. Dann warf er einen Blick auf den Gabentisch und fragte sich, woher die vielen Geschenke kamen und warum sie überhaupt da waren.


    Caenis hatte es sich inzwischen bequem gemacht und thronte auf einem Sessel mit unzähligen Kissen. Dabei ließ sie den Blick nicht von Seiana, sondern musterte sie in aller Ruhe und in allen Einzelheiten. Die Arme dachte so sicher, sie hätte etwas mit ihrem Toast falsch gemacht, aber in Wahrheit war Caenis nur neugierig. Calvaster hingegen betrachtete seinen Sohn und stellte kurz darauf den (leeren) Becher weg. Er gluckste.
    »So so. Na immerhin schneit es nicht«, kommentierte er Seianas Erzählung.
    »Aber jetzt erzääählt doch mal«, begann da Caenis und strahlte Seiana aus unzähligen Falten heraus an.
    »Wie habt ihr euch kennen gelernt? Wie habt ihr euch verlobt? Was sagen die Decimas dazu, und wann ist die Hochzeit? Das muss natürlich alles geplant werden. Ach, wie freue ich mich darauf...« Caenis schloss verzückt die Augen und seufzte, dann sah sie Seiana wieder an. Caius' Blick hin inzwischen immer noch an dem Geschenketurm fest, und so bemerkte er erstmal nicht, wie fünf Sklaven hereinkamen und je eine Platte mit Kleinigkeiten abstellten. Erst als die Tabletts direkt vor seiner Nase standen, erkannte er am Geruch, was los war, und riss sich von den Präsenten los, um gleich erstmal seinen Teller vollzupacken. Der Sklave, dessen Aufgabe das eigentlich gewesen wäre, stand ein wenig hilflos daneben und versuchte erfolglos, Caius den Teller wieder abzunehmen. Caius aber winkte ihn nur weg. Er war ihm ein wenig lästig.


    In der Küche machte Katander derweil Elena mit seinen ehemaligen Mitsklaven bekannt. Darunter war auch ein Mädchen, das Katander schöne Augen machte. Er hatte mal was mit ihr gehabt, aber heute hatte er nur noch Augen für Elena. Und überhaupt war das ganz anders mit ihr.

  • Wein. Pur. Seiana unterdrückte ein Seufzen und nippte nur an dem Becher. Der Wein war wirklich gut, stellte sie fest, aber das änderte nichts daran, dass sie ihn lieber verdünnt getrunken hätte. Schon allein weil sie ganz definitiv nicht wollte, dass sie hier in Gegenwart von Caius’ Eltern einen Schwips bekam. Caius nippte allerdings auch nur an seinem Becher, wie sie aus dem Augenwinkel feststellte, also war sie hoffentlich auf der sicheren Seite, dass sie keiner dazu nötigte, mehr zu trinken als sie wollte. Oder als gut war. Caius’ Mutter starrte sie ja jetzt schon so an, als hätte sie irgendetwas ausgefressen. War das wirklich nur der verpatzte Trinkspruch, der sie dazu brachte, Seiana so intensiv zu mustern? Oder dachte sie vielleicht dasselbe wie Faustus umgekehrt, nämlich dass sie nicht gut genug war für Caius? Seiana begann sich unwohl zu fühlen, unwohl auf eine Art, die kein Vergleich war zu dem, wie sie sich bis gerade eben gefühlt hatte. Aus lauter Verlegenheit nippte Seiana noch einmal an dem Becher – und wünschte sich, es wäre Wasser oder Saft darin, weil sie dann so oft daran hätte nippen – ergo, sich dahinter verkriechen – können, wie sie gewollt hätte. Wie es nötig gewesen wäre. Und sie bekam das Gefühl, dass sie häufig das Bedürfnis bekommen würde, sich hinter irgendetwas zu verkriechen.


    Als Caenis dann herausplatzte mit einem Haufen Fragen, die für Seianas Ohren ganz verdächtig in die Richtung gingen, die ihre Gedanken bereits zuvor eingeschlagen hatten, warf sie Caius einen hilflosen Blick zu – aber der dachte offenbar überhaupt nicht daran, etwas von den Fragen abzufangen, die seine Mutter stellte. Zuerst hatte er nur Augen für den Turm an Geschenken, dann hatte er nur Augen für das Essen, das kam. Seiana unterdessen war sich nicht so ganz sicher, was und wie sie nun antworten sollte. Caenis blickte im Augenblick recht freundlich drein, und sie sagte zumindest, dass sie sich freute, aber inwiefern das wirklich so war, konnte Seiana nicht sagen. Oder inwiefern es immer noch so sein würde, wenn sie erzählte, wie sie sich verlobt hatten. Im Schlamm. Ach du meine Güte… Götter, steht mir bei, flehte sie im Stummen. Wenn Caius es schon nicht tut… „Wir, ähm, wir sind uns auf den Märkten begegnet, in Rom. Er wollte eine Vase kaufen.“ Eine hässliche. Hatte er sie eigentlich dann gekauft gehabt oder nicht, grübelte sie kurz nach, dankbar für die Ablenkung, aber riss sich gleich wieder los. „Verlobt haben wir uns in Alexandria…“ Hatte Caius seinen Eltern denn gar nichts von ihr erzählt? Oder wollte er nicht wenigstens jetzt einspringen? Wieder warf sie ihm einen raschen Seitenblick zu. „… bei einem Ausflug hat er gefragt. Mit den Planungen haben wir aber noch gar nicht richtig angefangen.“ Seiana hatte den Verdacht, dass sie irgendeine Frage übersehen hatte.


    Elena unterdessen knutschte in genau diesem Moment demonstrativ Katander ab. Sie hatte durchaus bemerkt, dass es da eine Sklavin gab, die auf ihren Kerl stand. Wenn sie die Zeichen richtig deutete, hatten sie sogar etwas gehabt. Aber ganz egal was früher gewesen war, Katander war heute ihr Kerl, und sie hatte nicht vor, daran irgendeinen Zweifel zu lassen. Weder bei diesem Mädchen noch bei Katander. Und ganz nebenbei drückte der Kuss ihre Vorfreude auf die Nacht aus, immerhin waren sie die ganzen letzten Tage unterwegs gewesen, und Gasthöfe hatten in der Regel für Sklaven nicht immer die besten Unterkünfte.

  • Wie immer war aus den kleinen Erfrischungen ein wahrer Traum von Essen geworden. Caius ging derzeit fest davon aus, dass es später dennoch ein Abendessen geben würde, das die Häppchen noch in den Schatten stellen würde. Immerhin war seine Mutter in ganz Ravenna bekannt dafür, gutes und genug Essen für saämtliche Veranstaltungen parat zu haben. Zumindest nach ihren eigenen Aussagen. Schon früher hatte sie Caius immer viel zu viel auf seine Streifzüge mitgegeben. Er hatte deswegen mit Piso teilen können, ohne dass es aufgefallen wäre. Eigentlich war es ein Wunder, dass er nicht dick wie ein Walfisch war.


    Gerade steckte er sich ein gefülltes Ei in den Mund und erwiderte dann Seianas leicht verzweifelnden Blick. Caenis hingegen wusste natürlich bereits über die groben Geschehnisse bescheid, aber das hielt sie nicht davon ab, auch Seianas Version zu erfahren.
    »In Rom, hach ja... Alexandrien, wie schön. Ach bei einem Ausflug...« kommentierte sie hin und wieder an den passenden Stellen. Und immer wieder huschte ihr Blick auch zu Caius hin, der Seianas Zwickmühle nicht mal im Ansatz bemerkte.
    »Und wie hat er dich gefragt? So ganz traditionell? Oder eher geschäftig? Du musst wissen, dass Decimus mich damals einfach als seine zukünftige Frau vorgestellt hat, und zwar ohne vorher mit mir darüber zu reden!«, erzählte Caenis und schmunzelte ihrem Mann zu, der sich genötigt sah, darauf einzugehen.
    »Immerhin hast du freudestrahlend an meiner Seite gestanden und keinen Einspruch erhoben. Ich hatte ja damals schon gesagt, dass Romantik bei Anträgen vollkommen überbewertet wird!«
    Caius seufzte.
    »Oh bitte, Paps.... Ich hab sie ganz anständig vorher gefragt«, mischte sich nun Caius ein wenig entnervt ein.

  • Rein aus Höflichkeit nahm Seiana von dem Teller, den ihr einer der Sklaven gegeben hatte, eines der Häppchen und kostete. Es schmeckte hervorragend, aber sie hatte nicht wirklich Hunger, und so wie das Gespräch gerade lief, verging ihr der Appetit immer mehr. Die Kommentare von Caius’ Mutter waren, nun, eher nichtssagend, und Caius war auch keine große Hilfe. Genau genommen war er gar keine Hilfe. Seiana lächelte erneut, aber langsam sie bekam langsam das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis es nicht mehr echt wirkte. „Nein, also, hrm. Nicht traditionell“, murmelte sie, als Caius keine Anstalten machte, auf diese Frage zu antworten. „Oh, hat er?“ Dankbar stürzte sich Seiana auf diese Vorlage. Alles, wenn es nur ablenkte von ihr. „Wie hast du denn reagiert, darauf? Tatsächlich freudestrahlend?“ Doch… doch, jetzt fühlte sie sich ein wenig besser. Ein wenig. „Das denke ich aber auch“, pflichtete sie dann Calvaster bei, und zum ersten Mal flog ein leichtes Grinsen über ihr Gesicht. „Und es kommt ja auch immer darauf an, was man unter Romantik versteht. Oder wie viel man davon möchte.“

  • »Nicht?« fragte Caenis sichtlich enttäuscht und warf Caius einen traurigen kurzen Blick zu, den dieser mit einem Augenrollen quittierte. Caenis warf dann ihrem Mann einen Blick zu und bedachte anschließend Seiana wieder.
    »Jetzt setz den jungen Leuten doch nicht solche Flausen in den Kopf, Decimus! Meine liebe Seiana, ich kann dir sagen, dass du dich spätestens nach ein paar Monaten Ehe ziemlich nach etwas Romantik sehnen wirst«, prophezeite Caenis Seiana und nickte ihr wissend zu.
    »Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«
    »Naaach, jetzt tut sie wieder so, als sei ich ein Eisklotz«, beschwerte sich Calvaster und seufzte laut. Bis eben hatte er Seiana noch anerkennend gemustert. Das Mädel hatte es erkannt! Er würde sicherlich prima mit ihr zurecht kommen.
    »Du gibst auch allen Anlass dazu, Decimus!« konterte Caenis, und Calvaster wollte eben wieder etwas antworten, als Caius demonstrativ klackend seinen Becher hinstellte.
    »Bitte. Was soll meine Verlobte denn von euch denken?« fragte er und schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf. Schweigen breitete sich kurz aus und Caenis griff beherzt nach einer Olive (einer kleinen), die sie in den nächsten drei Minuten verzehrte.


    »Das hat sie«, nahm Calvaster zu Seiana gewandt den Faden wieder auf. Sein Gesicht schien in der Erinnerung amüsiert zu leuchten.
    »Sie war die schönste Frau an diesem Abend, allein wegen ihres Lächelns. Leicht gemacht hat sie's mir trotzdem nicht.«
    »Wenn man euch Männern gleich die ganze Hand reicht, ist man auch schnell uninteressant. Das wird Seiana auch wissen, nicht wahr?« sagte Caenis, nun wieder einigermaßen besänftigt, und zwinkerte Seiana zu. Caius hatte inzwischen seinen Teller halb geleert.
    »Sagt mal. Was sind das eigentlich für Geschenke? Wir hatten doch mal vereinbart, dass wir uns zu den Saturnalien nichts mehr schenken wollen«, sagte er plötzlich und deutete mit dem Daumen zu dem Gabentisch hin.
    »Oh, die haben die Nachbarn für euch abgegeben«, antwortete Calvaster in einem Ton, der diesen Umstand als die natürlichste Nebensache der Welt darstellte, und schob sich eine kandierte Zwiebel unter den Gaumen. Caius machte große Augen und sah zu Seiana.

  • „Ah, äh, nein“, bestätigte Seiana. Was sie persönlich allerdings nicht schlimm fand, ganz im Gegenteil. Sie hätte sich keinen schöneren Heiratsantrag wünschen können als den, den sie bekommen hatte. Allerdings schien Caenis tatsächlich nichts davon zu wissen, enttäuscht wie sie gerade wirkte. „Oh, ich weiß nicht“, wehrte sie dann ab, mit einem leisen Lachen diesmal. „Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieser prägende Einfluss in der Ehe tatsächlich seine Wirkung verliert.“ Was sie tatsächlich nicht glaubte. Caius war nicht der erste Mann gewesen, der ihr Avancen gemacht hatte, aber der erste, dessen Avancen sie tatsächlich bewusst wahrgenommen hatte. In Tarraco hatte sie nie Augen oder Ohren dafür gehabt, zuerst weil sie ein Wildfang gewesen war, später dann weil sie sich nur noch um ihre Mutter gekümmert hatte – und noch später, weil die Trauer zu groß gewesen war. Als sie daraus aufgetaucht war, hatte sie beschlossen, nach Rom zu gehen, und dort war ihr Caius über den Weg gelaufen. Vermisst hatte sie allerdings nichts bis zu diesem Zeitpunkt. Sie hatte einfach… nun ja, keinen großen Wert auf das gelegt, auf was andere Mädchen und junge Frauen ihres Alters Wert legten. Und sie tat es im Grunde immer noch nicht. Ihre Selbständigkeit war ihr wichtiger als Romantik, genauso wie beispielsweise ihre Ehre und ihr Stolz, und der ihrer Familie. Was Caius nicht immer ganz einzusehen schien.


    Das kurze Schweigen, das auf Caius’ Kommentar hin entstand, war zumindest für Seiana ein höchst peinliches. Und das gerade nachdem sie angefangen hatte, sich ein wenig zu entspannen. Dankbar wandte sie sich Caius’ Eltern zu, als diese wieder zu sprechen begannen. „Ach, ich… weiß…“ … nicht genau, was sie darauf sagen sollte. Wie sie interessant sein könnte für Männer, war genauso wenig ein Thema für sie gewesen wie Romantik. Sie tat, was sie für richtig hielt, und dazu gehörte eben auch Zurückhaltung in der ein oder anderen Situation, aber ob sie das nun interessanter machte oder nicht, darüber war sie sich nicht so sicher. Nein, auf ganz bestimmte Situationen bezogen machte sie das wohl eher uninteressanter, weil spröder. Prüder. Sie unterdrückte ein Seufzen und nahm sich ein paar Trauben, dann sah auch sie zu den Geschenken. „Warum haben eure Nachbarn denn Geschenke für uns abgegeben?“ fragte sie verdutzt.

  • »Gleich drei Brüder«, wiederholte Caenis staunend. Insgeheim fragte sie sich, ob das nicht vielleicht als negativ zu werten war. Vielleicht war Seiana zu sehr Wildfang?
    »Da hast du es sicherlich als Mädchen nicht leicht gehabt. Hast du denn keine Schwestern?« fragte sie, schüttelte aber den Kopf und sprach gleich weiter, sodass Seiana nicht in die verlegenheit kam, auf diese Frage antworten zu müssen.
    »Deine Mutter muss sehr stolz sein, wenn du dich da behaupten konntest.« Caius sah zu Seiana. Er wusste ja von ihrer Mutter.


    Dann mischte sich Calvaster wieder ein.
    »Na, ihr heiratet doch«, erklärte er, als wäre es ganz verständlich, dass man dann Unmengen von Präsenten bekam, selbst von Leuten, die nicht eingeladen waren. Und wo noch nicht einmal ein Termin stand. Was in diesem Moment auch Calvaster auffiel.
    »Wann eigentlich?«

  • Caenis’ Reaktion auf die Tatsache, dass Seiana drei Brüder hatte, konnte sie nicht so ganz einordnen. Gefiel ihr das oder eher doch nicht? Die nächsten Worte wischten die Grübeleien darüber jedoch ziemlich schnell weg. Die Anzeichen für den inneren Rückzug Seianas waren subtil, aber sie waren da. Sie nahm den Becher herunter, umfasste ihn ihrem Schoss mit beiden Händen und lehnte sich in dem Korbstuhl zurück. „Ja, ich… hoffe, dass sie stolz… ist.“ Oh ja, sie hoffte es. Aber sicher war Seiana sich darüber ganz und gar nicht. Dass sie eigene Geschäfte führte, dass sie in Alexandria gewohnt hatte, dass sie sich verlobte ohne die explizite Zustimmung ihres Bruders… Nein. Vermutlich war ihre Mutter nicht wirklich stolz auf das, was sie geworden war. „Sie, ähm, lebt nicht mehr“, fügte sie noch erklärend hinzu, um zu erklären, warum sie es lediglich hoffte und nicht wusste. Darüber hinaus hoffte sie, dass das Thema damit erledigt war. Ein Muskel zuckte in ihrer Wange, während sie den Becher nun erneut zu ihren Lippen führte.


    Erleichtert über den Themenwechsel wandte Seiana sich Caius’ Vater zu. „Über den genauen Termin haben wir noch nicht gesprochen. Wir wollten erst noch ein paar Dinge erledigen. Unser Besuch hier bei euch, zum Beispiel.“ Sie lächelte leicht und musterte dann wieder die Geschenke. „Ist das… hier so üblich? Ich meine, dass Geschenke zu einer Verlobung geschickt werden?“ Sie hatte nichts dergleichen bisher gehört, andererseits hatte sie in Italia ja noch nicht allzu viel Zeit verbracht.

  • »Oh«, hauchte Caenis und machte ein betroffenes Gesicht. Caius hingegen hob einen Mundwinkel und griff nach Seianas Handgelenk, um sie da sanft zu drücken. Die Hände hatte sie ja nicht frei.
    »Das tut mir leid, ich wollte nicht taktlos sein. Caius hatte das gar nicht erwähnt«, sagte Caenis betroffen.
    »Du konntest es nicht wissen. Seianas Eltern leben nicht mehr«, erwiderte Caius und machte damit deutlich, dass Fragen über ihren Vater ebensowenig vorteilhaft sein würden. Caenis nickte nur.


    »Im Frühjahr irgendwann«, nahm Caius die Sache der Antwort in die Hand, als Seiana etwas auswich. Er sah sie an und lächelte kurz. Ob er sie damit überrascht hatte, konnte er nicht sagen.
    »Obwohl ich eigentlich gar nicht so lange warten möchte«, fügte er hinzu und grinste Seiana an. Dabei versuchte er, nicht an die Sache mit Axilla zu denken.
    »Dann ist das ja gar nicht mehr so lang hin bis zum Frühling«, bemerkte Calvaster.
    »Wir kommen dann natürlich nach Rom«, machte Caenis klar.
    »Ja, der Brautzug von der domus Decimae bis hierher wäre doch ein wenig...naja, weit«, witzelte Caius und grinste in die Runde. Calvaster hob die Brauen bei Seianas Frage.
    »Zur Verlobung nicht, nein. Aber ich habe jedem, der gefragt hat, gesagt, dass ihr heiratet.« Er wirkte schelmisch und zufrieden zugleich, wie er Seiana jetzt angrinste. Caius hatte die Grübchen beim Grinsen von seinem alten Herrn geerbt. Allerdings grinste Caius gerade nicht, sondern dachte nach.
    »Ehm. Aha?«

  • Seiana wich den Blicken aus, die sie streiften. Sie wollte weder Betroffenheit noch Mitleid sehen, sondern wartete lieber, bis das Thema durch war. Diesmal sprang Caius ein, und Seiana warf ihm kurz einen dankbaren Blick zu, ohne noch etwas zu sagen. Ihr wollte nichts Höfliches über die Lippen kommen. Bei ihrem Vater wäre es einfacher gewesen, war dieser doch schon lange tot, aber bei ihrer Mutter war es etwas anderes, was nur zum Teil daran lag, dass sie sie geliebt hatte, sondern auch daran, dass es ungelöste Konflikte gab. Dass sie es ihr recht machen wollte, dass sie sie stolz machen wollte, aber gleichzeitig wusste, dass das nicht ging, nicht so, wie sie ihr Leben führte. Dass sie sich nach wie vor dafür schämte, dass ein Teil von ihr fast erleichtert gewesen war, als ihre Mutter endlich gestorben war, weil es Freiheit für sie bedeutet hatte – Freiheit von der Pflicht, sie zu versorgen, aber auch Freiheit ganz allgemein, von den Erwartungen, die sie an ihre Tochter gestellt hatte.


    Im Anschluss lächelte Seiana wieder. „Aber eine Hochzeit im Frühjahr ist viel schöner als jetzt im Winter. Wenn dann die Sonne scheint und alles anfängt zu blühen… Ich bin vielleicht keine große Romantikerin, aber das fänd ich dann doch wesentlich schöner als bei Schnee oder Regen.“ Sie lächelte auch weiterhin, während das Gespräch bei der Hochzeit blieb. Allerdings begann jetzt wieder das bekannte Rumoren in ihrem Magen. Die Hochzeit. Der Brautzug. Götter, das ging doch alles viel zu schnell. Und bevor sie es sich versah, war sie verheiratet und wohnte mit Caius zusammen und war eine Matrona, bekam Kinder, was Caius gar nicht schnell genug gehen konnte, genauso wenig wie die Tatsache, dass sie endlich das Bett miteinander teilten, und bei all diesen Aussichten bekam Seiana plötzlich das Gefühl, Schwierigkeiten mit dem Atmen zu haben. Ihr Lächeln blieb, schien allerdings ein wenig zu gefrieren. Calvasters Kommentar über die Geschenke machte es auch nicht besser. „Ah… Aber du hast schon gesagt, dass wir… noch nicht jetzt heiraten, oder?“

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