• "Dann wirst du deine Cousine bitten müssen, für dich in dieser Sache als Zeuge aufzutreten. Ich bin nur für die Erbschaften zuständig, aber wenn keine verwandschaftliche Beziehung festzustellen ist, sind mir als Vigintivir die Hände gebunden. Ich kann nur Erbschaften verteilen, keine Betrugsmasse einklagen.", Valas Worte waren bar jedes warmen Tons, sein Blick eiskalt. Stück für Stück kämpfte er sich zurück in seine Maskerade. Und er ließ nicht zu, dass sie auch nur ein weiteres Mal an ihr kratzte.
    "Sag nicht's.", zischte er, grausam und unerbittlich war dabei sein Blick, die Tabula war mit einem Satz wieder in seiner Hand. Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum es auf einmal so war, aber er würde sich darüber Gedanken machen können. Im Moment ging es nur um Schadensbegrenzung. Darum, seine Selbstbeherrschung wieder zu erlangen. Und darum, bloß keine Schwäche zu zeigen. Selbstverständlich reagierte er vollkommen über, aber für ihn war das in diesem Moment die einzige adäquate Reaktion.


    "Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest? Ich habe noch zu tun.", komplimentierte Vala sich selbst heraus. Er nickte Axilla noch einmal frostig zu, und verschwand dann entschlossenen Schrittes wieder in Richtung Vestibulum und offene Stadt..

  • Er war so kalt, so abweisend und harsch. Kein Wort über das, was eben geschehen war, keine Silbe darüber, was sie falsch gemacht hatte. Axilla wäre ja sogar bereit gewesen, sich zu entschuldigen, wenn sie nur wüsste, was sie getan hätte. Er entzog sich ihr, schon wieder, und sie wusste einfach nicht, wieso. Er war wütend auf sie, schon wieder, und sie hatte keine Ahnung, was sie angestellt hatte. Er gebot ihr zu schweigen, und so sehr es Axilla auch danach drängte, etwas zu sagen, sie traute sich nicht. Sie holte Luft, ihr Körper zuckte in seine Richtung, als wolle sie zu sprechen anheben, aber sie sagte nichts. Sie sah ihn einfach nur an.


    Und dann ging er. Ohne auf sie einzugehen, ohne sie auch nur richtig anzusehen, ging er. Mit nicht gerade freundlichen Abschiedsworten. Einen Moment war Axilla wie erstarrt, als sie ihm hinterher sah. Die Angst, ihn nicht mehr wieder zu sehen, wuchs plötzlich ins Unermessliche, und mit einem fast panischen “Vala!“ stürmte sie ihm hinterher.


    [Blockierte Grafik: http://img823.imageshack.us/img823/1926/malachi2.jpg]
    Nur um mit Malachi zusammenzustoßen, der gerade die Bibliothek betreten wollte. So abrupt abgebremmst sah Axilla einen Moment nur durcheinander zu dem Gladiator auf, und erst dann durch die Tür in den Gang. Aber der Duccier war schon nicht mehr da, und das Geräusch der Tür verriet, dass er das Haus verlassen hatte.
    Wie Glück und Leid doch beieinander liegen konnten. Vor noch wenigen Augenblicken hatte Axilla sich für einen Moment sicher und befreit gefühlt, hatte sich einfach diesem so lange ersehnten Kuss hingegeben. Und jetzt wollte sie deshalb am liebsten Weinen. Hätte sie ihn nicht erhalten, wäre Vala nun nicht böse auf sie, und sie könnte in seiner Nähe sein. Zwar nicht ganz so nah, aber immerhin. Und jetzt? Jetzt hatte sie nur eine Erinnerung und Angst.
    “Alles in Ordnung, Domina?“ Malachi sah zu ihr herunter, wie sie leicht zitternd in der Tür stand und nichts weiter sagte, sondern nur ängstlich in Richtung Hauseingang schaute. So angesprochen blickte Axilla erst einmal hoch wie ein verschrecktes Reh. Ihr Mund öffnete sich kurz, aber sie sagte nichts. Sie schüttelte nur nach einer Weile den Kopf und trat von der Tür zurück.
    “Die Köchin meinte, das Essen sei in einer viertel Stunde servierfertig. Soll sie im Triclinum dann auftragen?“ Natürlich hätte man schon blind sein müssen, um nicht zu merken, dass etwas bei Axilla ganz und gar nicht stimmte, aber sie drehte sich einfach nur den heruntergefallenen Schriftrollen zu und besah sich die Bescherung. Und mit einem Mal schlich sich ein trauriges Lächeln auf ihr Gesicht, nur kurz, fast gequält.
    “Ich hab sie gefunden. Die Schriftrolle...“ Axilla hob sie vom Boden auf. Sie erinnerte sich an die Rollenhalter an den Seiten, und ihre Hand fuhr einmal über den stilisierten Löwenkopf derselben. Sie drehte sich zu Malachi um und versuchte sich an einem Lächeln, als hätte sie etwas gewonnen. Aber ihre Augen konnten diesmal nicht den Schein wahren und die Maskerade mitspielen, denn in ihnen standen fast Tränen. “Da lag sie.. ich... ich les dann jetzt erst einmal. Sag der Köchin, ich esse später. Es... es kann ruhig kalt werden, das macht nichts.“ Axilla stieg vorsichtig über die anderen Schriftrollen hinweg in Richtung der Kline.
    “Soll ich nach einem Medicus schicken? Oder nach jemand anderem?“ Eigentlich war Malachi nie besorgt oder gar mitfühlend, aber im Moment hatte er sich entschieden, doch besser einmal nachzufragen. Er war Gladiator, kein Unmensch.
    Aber Axilla winkte nur mit der Schriftrolle, ohne sich zu ihm noch einmal umzudrehen. “Nein, alles bestens. Alles, wie es sein soll...“ Allein schon ihrer Stimme war anzuhören, dass sie log. Sie klang weinerlich und brüchig. Aber Malachi fragte nicht weiter, sondern ging nur brav ausrichten, was er sollte, während Axilla sich mit der Schriftrolle hinsetzte und sie aufrollte.
    Ihre Augen flogen zwar über die Zeilen, aber hätte man sie auch nur nach einem Wort davon gefragt, sie hätte es nicht benennen können.

  • Die Schriftrolle, die Axilla fallen gelassen hatte, als sie Silanus begrüßte, lag mittlerweile fein eingerollt auf dem kleinen Tischchen bei den beiden Korbsesseln in der Ecke. Ein Sklave war wohl so umsichtig gewesen, wie wieder zumindest aufzuräumen, auch wenn Axilla so natürlich keine Ahnung mehr hatte, an welcher Stelle sie denn gewesen war. Die hätte sie aber wohl auch nicht, wenn die Rolle noch auf dem Boden läge. Und wichtig war es ohnehin nicht. Nicht jetzt.
    Axilla setzte sich auf einen der beiden Korbsessel und zog gleich die Füße kindhaft mit zu sich auf die Sitzfläche. Sie fühlte sich nicht wohl. Vom Anfang sollte sie anfangen. Was war der Anfang?


    Axilla saß einen Moment lang schweigend da, vergrub sich in sich selbst. Es war so viel! “Ich...“ Nein, das war der falsche Anfang. “Es...“ Nein, so war es auch nicht richtig.
    Axilla zog die Beine noch ein wenig enger an sich und schloss die Augen, atmete tief durch. “Als Aelius Archias sich vom tarpejischen Felsen gestürzt hat, hab ich mir Vorwürfe gemacht. Und ich war so wütend auf ihn. Ich habe gedacht, dass er noch wahnsinniger geworden ist. Ich meine, er war ja schon wahnsinnig, so unendlich eifersüchtig. Seine dauernden Unterstellungen und der Zwang, mit dem er mich kontrollieren wollte und das alles... Und ich hab gedacht, dass er sich da so hineingesteigert hatte, als ich einen Abend nicht zu ihm nach Hause gekommen sondern hier geblieben bin, dass er sich deshalb dann vor Eifersucht umgebracht hat. Sein Testament und sein Abschiedsbrief waren ja auch so, dass ich das denken konnte. Aber...
    Ich weiß jetzt – ich glaube nicht nur, ich weiß es, dass Salinator ihn hat umbringen lassen. Um an sein Vermögen zu kommen und um einen weiteren Verwandten von Valerianus aus dem Weg zu räumen. Ich meine, er war zwar sehr weit entfernt verwandt mit Valerianus, aber er war es ja doch.“
    Und die ersten Tränen flossen. Axilla öffnete zwar wieder die Augen, sah aber durch den Schleier ohnehin nicht wirklich viel und starrte nur vor sich hin. Es tat ihr so unendlich leid, dass sie so schlecht von Archias gedacht hatte. Was sie ihm alles unterstellt hatte. So unendlich leid.
    “Aber das wusste ich damals nicht. Und deshalb bin ich zu Vescularius Salinator gegangen, damit er das Erbe von Archias freigibt. Und da hat er... er hat...“ Axilla konnte es nicht richtig sagen, sie verschluckte sich an den Worten.“Ich meine, es war auch meine eigene Schuld. Irgendwie. Ich hätte nicht allein zu ihm gehen dürfen. Ich hätte noch einen Beistand mitnehmen müssen. Oder zumindest ein paar Sklaven. Irgendwen...“ Und sie hätte sich hinterher eigentlich umbringen sollen. Allerdings hatte sie dazu nicht den Mut gehabt. Sie hatte es schon drei Mal in ihrem Leben gewollt, und immer wieder gründe gefunden, warum sie es nicht konnte. Mehr Tränen flossen.
    “Als er... als er fertig war, hat er mich nur ausgelacht, und hat das Erbe behalten. Ich... ich bin danach nur heimgegangen. Es tut mir so leid. Ich war so dumm, ich hätte... ich weiß nicht...“
    Ihr verheultes Gesicht vergrub sich in ihren Armen hinter ihren Knien, und ihr Körper schüttelte sich. Aber sie musste Silanus auch alles andere erzählen, was vorgefallen war. Es war so viel. Und wenn sie es jetzt nicht herausbrachte, dann wohl nie.


    Durchzogen von schwer unterdrückten Schluchzern fuhr sie also fort. “Ich hab dann Pompeius Imperiosus geheiratet. Er war der Klient von Vescularius, und so hatte ich auch meine Ruhe. Und Imperiosus ist auch wirklich sehr lieb. Er liebt mich, und die Kinder. Aber er... er hat das Testament von Valerianus gefälscht. Als die kaiserliche Familie getötet worden war, hat Vescularius das Testament nicht dem Senat vorgelegt, sondern es selbst geholt und es dann Imperiosus gegeben, damit er es fälscht. Was er auch gemacht hat. Deshalb konte sich Vescularius zum Kaiser ernennen und hat dann alle, die ihm gefährlich werden könnten, verbannt. Die alten Senatorenfamilien, alle Patrizier... Vinicius Lucianus hat er hinrichten lassen und Decimus Serapio hat über die Acta behauptet, er wäre hingerichtet worden, weil er die kaiserliche Familie ermordet hätte und nicht Vescularius! Ich meine... er hat einen Consular hinrichten lassen.“ Das war selbst wenn Vinicius Lucianus den Kaiser ermordet hätte, eine unzulässige Strafe gewesen, wenn man sich an das Recht gehalten hätte. Hätte, wäre, wenn...
    “Aber überhaupt... das ist noch nicht alles. Die Decimer sind... ich meine, Decimus Livianus ist ja dein Patron, aber die anderen... die haben... Decimus Serapio hat mich in der Öffentlichkeit beleidigt. Seine Schwester hat sich, obwohl sie verheiratet war, an Seneca – unseren Seneca – herangeschmissen und mit ihm ein Verhältnis angefangen. Obwohl sie mit Terentius Cyprianus verheiratet war, der schon Urgulania hat umbringen lassen! Und der der Praefectus Praetorio war und Seneca bei den Prätorianern! Ich meine... Und als ich es herausgefunden habe, habe ich mit Seneca reden wollen. Das war gefährlich, für ihn, für unsere ganze Familie! Aber er hat nicht auf mich gehört, er wollte nicht. Im Gegenteil, als dann Terentius Cyprianus dahintergekommen ist, dass seine Frau eine Hure ist, und er zur Casa Iunia kam, um seinen verdacht zu bestätigen, hat Seneca mich angeschrien, dass das meine Schuld sei! Er hat mir unterstellt, ich wäre daran schuld, dass sein frevlerhaftes Handeln fast aufgeflogen ist, und er wollte mich zwingen,d a still zu sein. Er hat nichtmal ansatzweise einsehen wollen, dass sein Verhalten falsch war.
    Und um das ganze noch zu toppen, kam Decima Seiana auch her, um mir zu drohen! Sie hat mir und meiner Familie gedroht, und meinte, sie wolle uns vernichten! Ich meine... sie war ja schon wütend, dass Aelius Archias die Verlobung mit ihr gelöst hat und mich geheiratet hat, aber dass sie so haßerfüllt ist... Und ich hab es Seneca auch gesagt, aber das ändert nichts! Ich meine... er hat nicht einmal ansatzweise ein Gewissen seiner Familie gegenüber. Er rennt in sein Verderben und hört nicht auf mich! Er benimmt sich wie ein Verbrecher und gibt mir dafür die Schuld!“

    Das war jetzt zwar nicht alles, aber schon eine ganze Menge an Information, und Axilla konnte für den Moment auch nicht weiter. Es war so viel, so viel Durcheinander in ihrem Kopf, und dabei war es noch nicht einmal die Hälfte von allem, was in ihr vorgegangen war in den letzten Jahren.

  • Man sah Axilla das Unbehagen an, dass sie verspürte. Doch Silanus konnte sich jedoch noch nicht vorstellen woher es kam, als er sich in den zweiten Korbsessel niederlies. Gespannt lehnte er sich zurück und verschränkte die Hände auf seiner Schoss. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Axilla, die nun zögerlich zu erzählen begann.


    Die Flut an Informationen die im Anschluss darauf über Silanus hereinbrach, schnürte ihn nach und nach den Atem ab. Anfangs konnte er Axilla noch mühelos folgen und wusste auch teilweise über die Geschehnisse rund um Axillas ersten Mann Archias, den er selbst vor seine Abreise nach Hispania kennengelernt hatte. Doch als die junge Frau schließlich begann über ihr Aufeinandertreffen mit Salinator zu berichten, riss Silanus entsetzt die Augen auf. Sie musste es nicht aussprechen. Silanus wusste genau was sie meinte. Er sah seine Selbstvorwürfe mehr als bestätigt. Wäre er nur in Rom geblieben.


    Doch er hatte kaum Zeit sich Gedanken zu machen, oder gar Fragen zu stellen. Es sprudelte weiter aus Axilla heraus. Und auch das was er im Anschluss zu hören bekam, erschien ihm eher wie die Lesung eines griechischen Dramas, als die wahrheitsgetreuen Ereignisse rund um seine Familie. SIlanus hätte gerne zwischenfragen gestellt, doch er saß nur mit mittlerweile offenen Mund neben seiner Cousine und versuchte angestrengt seine Gedanken zu ordnen.


    Silanus hätte gerne etwas gesagt. Irgendetwas. Doch er brachte kein Wort heraus. Wut, Verzweiflung, Reue, Trauer waren nur eine Gefühle, die in diesem Moment seine Gedanken und Worte lähmten. Fast hilflos und bemüht Fassung zu wahren sah er zu Axilla. Es gab doch nicht noch mehr was sie zu erzählen hatte?


    Doch das gab es. Axilla fuhr fort. Imperiosus, das gefälschte Testament …. von der Hinrichtung und der Verschwörung Rund um Kaiser Valerianus hatte er aus der Acta erfahren, doch viel bedeutender schienen ihm in diesem Moment die Erzählungen über seinen Neffen Seneca und die Decimer. Er wusste, dass sich sein Patron Livianus wie er selbst nicht in Rom aufgehalten hatte und unmöglich davon gewusst haben konnte. Aber was wenn doch? Es war unvorstellbar. Die Iunier und die Decimer verband eine lange gemeinsame Geschichte und Verbundenheit, die lange vor ihm in Tarraco begonnen hatte. War dies nun der Dank, den die Gens Decima ihren langjährigen Freunden und Verbündeten entgegenbrachte? Er rang erneut nach Worten. Schließlich brachte er doch mit leiser und bewegter Stimme einige Worte heraus.


    "Es tut mir so leid Axilla. Wenn ich gewusst hätte…..Ich…"

  • Von Silanus versuchter und gestammelter Entschuldigung bekam Axilla nicht wirklich etwas mit. Sie hörte, dass er es sagte, aber es kam nicht so weit in ihr Bewusstsein, um daraus die Notwendigkeit einer wirklich direkten Antwort zu schließen. Sie war viel zu sehr mit ihrer Erzählung beschäftigt, mit all den Dingen, die geschehen waren. Mit all den Sachen, die sie hatte tun müssen. Und auch mit den Sachen, die sie nicht einmal ihm erzählen konnte.


    “Ich hab ja alles versucht. Aber als ich dann nach Ostia gegangen bin, als aus dem Norden die ersten Meldungen gekommen sind, konnte ich das alles auch nicht mehr so verfolgen. Seneca ist auch mit den Prätorianern ausgerückt, und er meinte noch, ich solle ja hoffen, dass er getötet werde, dann könne ich aufhören, wegen seines Verhaltens rumzumeckern.
    Ich hätte vielleicht mehr versuchen müssen, aber ich war gerade wieder schwanger und hatte Angst um meine Kinder. Also hab ich das Testament, das echte Testament von Valerianus, genommen und bin nach Ostia gegangen. Und die ganze Zeit hab ich nicht gewusst, was ich machen soll. Ich habe Seneca von dem Testament erzählt, aber er ist trotzdem gegen Palma in den Krieg gezogen, obwohl der doch der richtige Kaiser war. Und ich wusste nicht, wem ich es sonst sagen konnte, und ob jemand was hätte tun können. Ich meine, was wäre gewesen, wenn jemand deshalb meinen Kindern etwas tut? Und wenn noch nicht einmal meine eigene Gens auf mich hört...


    Als dann aber Nachrichten kamen, dass im Norden die Prätorianer und die Legionen von Vescularius geschlagen worden sind, da... ich weiß, ich hätte bei meinen Kindern bleiben sollen. Cossus war erst ein paar Monate alt und Titus... er wird mich hassen. Aber ich musste doch gehen, oder?“ Aus verheulten Augen blickte sie Silanus kurz hilfesuchend an, auch wenn der vermutlich eher weniger verstand, wovon sie gerade überhaupt sprach. Ihre Gedanken waren doch recht wirr, aber sie wollte es jetzt alles sich vom Herzen reden, ehe ihr wieder der Mut dazu fehlen würde.
    “Er hat versucht, tapfer zu sein, als ich ihm gesagt habe, dass ich gehe, aber ich weiß, dass er wütend ist. Und ich hab so Angst davor, ihn wieder zurück nach Rom zu holen und zu sehen, wie sehr er seine Mutter verabscheut.“ Und jetzt heulte Axilla einfach ungehemmt in ihre Arme und konnte sich nicht weiter beherrschen. Ihr ganzer Körper zuckte unter ihren Schluchzern und den keuchenden Atemzügen. Aber sie war jetzt nicht in der Lage, sich zu beherrsche, wo sie so viel vor sich selbst eingestanden hatte.


    Dass in ihrer Erzählung ein paar essentielle Teile fehlten – wie dass sie zu Palma gegangen war und ihn als Kaiser mithilfe des Testamentes legitimiert hatte (Kleinigkeiten eben) – hatte sie nicht einmal ansatzweise bemerkt.

  • Nachdem der erste Schock verflogen war und für Schuldgefühle keine Zeit blieb, da Silanus bemüht war Axillas Erzählungen weiter zu folgen, versuchte er alle noch einmal gedanklich zu rekapitulieren. Die meisten Dinge konnte er weitestgehend behalten. Archias Selbstmord, Salinator und das Erbe, Imperiosus, die Decimii und Seneca, das Testament,….


    Doch Moment! Kinder? Welche Kinder? Silanus wusste aus einem Brief den er vor ewigen Zeiten bekommen hatte, dass Axilla ein Kind mit Imperiosus bekommen hatte. Ihren Sohn Titus. Nun hatte es so geklungen als hätte sie auch einen zweiten Sohn namens Cossus erwähnt. Silanus fand das es nun Zeit war die Erzählungen seiner Cousine zu unterbrechen und vorest die Dinge zu klären, die sie bisher erwähnt hatte. Vorrangig war für den Iunier in diesem Moment, dass was Axilla zuletzt erwähnt hatte - ihre Kinder.


    "Moment einmal Axilla. Langsam. Du hast einen weiteren Sohn? Cossos? Und wo sind deine Kinder nun?"

  • Durch ihr Schluchzen hindurch hörte Axilla die Frage nach ihren Kindern. Nach Cossus. Armer, kleiner Cossus. Er würde seine Mutter wohl nicht wieder erkennen, sollte er sie jetzt sehen. Würde Axilla im Gegenzug denn überhaupt ihn wiedererkennen? Vermutlich nicht. Axilla wusste es noch von Atticus, wie schnell er sich in den ersten beiden Jahren seines Lebens verändert hatte. Jeden Tag ein bisschen mehr. Jeden Tag konnte er dann auch mehr. Erst kam das Sehen und das zuhören, später dann das Plappern, das Sprechen, das Krabbeln, das Laufen. Wie viel hatte sie von ihrem Jüngsten jetzt davon unwiderruflich verpasst?
    Axilla schluchzte stärker und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie sich so weit gefangen hatte, dass sie überhaupt auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte. Zwischen zwei Keuchen nach Luft, die man kaum als Atemzug bezeichnen mochte, kam schließlich ein halb ersticktes “Ostia“ heraus, gefolgt von einem weiteren Heulkrampf.

  • Als Axilla einen weiteren Heulkrampf bekam erhob sich Silanus aus seinem Stuhl und kam die wenigen Schritte zu ihr hinüber. Er konnte nicht beschreiben wie leid sie ihm in diesem Moment tat. Wie ein Häufchen Elend saß sie immer noch mit angezogenen Knien auf ihrem Stuhl und hielt die Beine mit ihren Armen fest an ihrem Körper gedrückt. Er kniete sich vor sie hin und nahm ihre zierlichen Hände in die seinen. Mit beruhigender und monotoner Stimme redete er auf sie ein.


    "Axilla. Mach dir nicht so viele Gedanken. Was geschehen ist, ist geschehen. Daran lässt sich nichts mehr ändern. Aber lass uns sofort ein paar Sklaven lossicken, der deine Kinder nach Rom holen. Sie sollte hier sein. Bei ihrer Mutter und bei ihrer Familie. Ich möchte sie endlich kennenlernen. Und um all die anderen Probleme kümmern wir uns danach. Ein Schritt nach dem anderen.


    Nachdem wir deine Kinder zurückgeholt haben, werde ich ein Gespräch mit Seneca suchen. Vielleicht ist er mir gegenüber einsichtiger. Außerdem habe ich vor in den nächsten Tagen den Palast aufzusuchen und um eine neue Anstellung bitten. Das sollte uns wieder eine zusätzliche finanzielle Absicherung und einen entsprechenden gesellschaftlichen Status verschaffen. Danach werde ich auch meinen Patron aufsuchen und versuchen, die Probleme zwischen unseren Familien aus der Welt zu schaffen."


    Bei der Aufzählung seiner nächsten Schritte, ging Silanus ein weiteres Mal die Erzählungen seines früheren Mündels im Kopf durch. Dabei fiel ihm plötzlich auf, dass sie etwas wesentliches ausgelassen bzw. unerwähnt gelassen hatte. Verwundert fragte er daher nach.


    "Wo ist eigentlich Imperiosus? Wo ist dein Ehemann?"

  • Die Dankbarkeit, die Axilla fühlte, als Silanus ihr sagte, was zu tun war, hätte Axilla nie in Worte fassen können. Endlich, ENDLICH musste sie nicht mehr die Erwachsene sein. Sie musste nicht mehr dafür sorgen, dass alles in den richtigen Bahnen verlief. Sie musste sich nicht mehr um ihre gesamte Gens als Oberhaupt kümmern, musste sich nicht mehr Sorgen um alle machen, musste nicht mehr Maßnahmen ergreifen, um alle zu schützen. Sie musste nicht mehr der Mann im Haus sein, der immer wusste, was zu tun war und wo man hingehen musste, was man sagen und wie man sein musste. Sie musste nicht mehr die Rolle spielen, in die sie so schlecht gepasst hatte, die aber niemand anderes zu spielen bereit gewesen war.
    Unfähig, das in Worte zu fassen, ließ sich Axilla vornüber halb vom Stuhl fallen und fiel Silanus so erneut um den Hals, hielt sich an ihm fest und schluchzte hemmungslos. So fest sie konnte, zog sie sich an ihn und hielt sich an ihm fest. Für den Moment war er der einzig feste Punkt in ihrem stürmischen Meer aus Chaos und Gefühl, und es dauerte eine ganze Weile, bis die Wellen der Emotionen nicht mehr so hoch schlugen und der Regen ihrer Augen nachließ.
    Nach ein paar rasselnden Atemzügen versuchte Axilla, sich soweit zu beruhigen, um ihrem Cousin antworten zu können, aber es brauchte einige Anläufe, ehe sie ihm zitternd und noch immer ganz eng an ihn gepresst Antwort geben konnte. “Ich weiß nicht, wo Imperiosus ist. Er... er ist festgenommen worden und... der Kaiser hat mir zwar versprochen, dass er wohlwollend über ihn urteilen wird, aber... ich hab nichts von ihm gehört.*“
    Eine weitere Welle des Weinens folgte, und Axilla war nur so froh, dass sie es dieses eine Mal nicht zurückhalten musste und nicht stark sein musste, sondern so schwach sein konnte, wie sie es die letzten Monate immer hatte sein wollen. “Ich... ich mach mir Sorgen...“ gestand sie zwischen zwei rasselnden Atemzügen.
    Und noch ein weiteres Geständnis folgte. “Ich hab Angst, dass Titus mich hasst. Ich hab ihn ganz allein gelassen...“

  • "Er wird dich nicht hassen Axilla. Du bist seine Mutter! Außerdem glaube ich, dass er noch viel zu klein ist um es sich auf lange Zeit zu merken. Du wirst sehen. Vielleicht reagiert er am Anfang ein wenig zurückhaltend, doch nach ein paar Tagen wird alles wieder sein so wie früher. Ich werde die Kinder nach Rom holen lassen."


    Mit diesen aufmunternden Worten nickte er Axilla zu und wischte ihr sanft lächelnd die Tränen von den Wangen.


    "Und was deinen Ehemann betrifft, so sollten wir mit meinem Neffen reden. Wenn er so wie du sagst bei den Prätorianern dient, wird er wohl am ehesten Einsicht in die Kerker haben oder zumindest gute Verbindungen, um für uns nachzufragen. Nun beruhige dich also und lass uns die Dinge wie gesagt Schritt für Schritt angehen. In Ordnung?"

  • Viel zu klein? Nicht mehr lange, und er würde in den Liberalia die Toga eines Mannes anlegen. Er war in dem Alter, in dem Axilla ihren Vater verloren hatte, und sie erinnerte sich an alles von ihm, jedes Wort, jede Bewegung und jeder Hauch seiner Art. Sie glaubte nicht wirklich, dass er es vergessen würde. Aber wenn Silanus mit ihm redete, es vielleicht erklärte, würde er ihr vielleicht verzeihen.
    Ermattet und zu erschöpft vom vielen Weinen nickte sie einfach nur, so ihr Einverständnis gebend, und flüsterte ihm zu, wo ihre Kinder zu finden waren. “Sie sind in der Insula des Gabinius Findulus nahe dem Forum Ostiae. Erster Stock, die rechte Wohnung.“


    Noch immer konnte sie ihn nicht loslassen, und so ließ sie sich bereitwillig die Tränen beiseite wischen und hielt sich einfach nur weiterhin an ihm fest. Auch das, was er über ihren Ehemann zu sagen hatte, klang irgendwie logisch. Also nickte sie artig und klammerte ihre Hoffnung an den Gedanken, dass Silanus wusste, was er zu tun hatte und wie es zu tun war. Bestimmt würde sich nun, da er wieder hier war, für alles eine Lösung finden. Auch für ihren lange verschwundenen Mann.

  • "Gut. Ich schicke ein paar Sklaven los."


    Langsam löste sich Silanus aus der Umarmung Axillas und erhob sich wieder. Erst jetzt merkte er wie müde er eigentlich nach dieser anstrengenden Reise von Hispania noch Roma war. Und nun auch noch diese vielen Gedanken, die in seinem Kopf herumschwirrten. Er wollte ein wenig ausruhen und sich frisch machen, ehe er Axillas Kinder kennenlernte. Es würde bestimmt nicht lange dauern, sie von Ostia nach Rom zu bringen.


    "Ich werde mich kurz frisch machen und umziehen gehen, ehe deine Kinder kommen."

  • „HA!“ Agricola sprang voll des Triumphes von seinem Stuhl hoch. „Na bitte! NA BITTE!“ Es war zwar außer ihm keine Menschenseele in der Bibliothek, aber das musste mal gesagt werden, und wenn auch nur vor schweigenden Spinden, Pulten und Schriftrollen. Weit befriedigender wäre es es freilich gewesen, seine Entdeckung jemandem mitzuteilen. Einem Zeugen sozusagen, einem Bürgen für das, was er in den vor ihm liegenden Texten gefunden hatte. Ein niederträchtiger kleiner Geschichtsverdreher war sein Hauslehrer in Cales gewesen, der Beweis war erbracht!


    Ein dumpfes Knarren ließ ihn aufhorchen. Die Porta. Wenn das sein Onkel war, kam der heute ungewöhnlich früh nachhause. Umso besser. Avianus würde gewiss begeistert sein über das, was Agricola bei seinen Studien zutage gefördert hatte. Es war aber nicht Avianus. Die leisen gemessenen Schritte, die sich nun durch’s Atrium näherten, waren ihm wohl vertraut, die konnte er mittlerweile von den Schritten aller anderen Hausbewohner unterscheiden. „AESARA!“ quäkte er hochgestimmt. Das kam ihm gerade recht. Die göttlich modellierte Coqua geisterte ihm sowieso ständig in Kopf und Gliedern herum, da konnte sie ihn auch ebensogut mit ihrer körperlichen Anwesenheit beglücken Schließlich gab es ja Atemberaubendes zu berichten. Einige Schritte später öffnete sich fast lautlos die Tür, und ein betörender Duft von frischen Eingeweiden und Gewürzkräutern schwängerte den Raum. „Junger Herr?“


    In mehrfacher Hinsicht freudig erregt griff Agricola nach einer der Schriftrollen und hielt sie der ansprechenden Germanin unter die Nase. „Hier! Schau dir das an! Titus Livius! Von wegen unbedeutende kleine Bauerngens!“ Aesara setzte irritiert ihre Körbe ab, nahm die Rolle vorsichtig entgegen, warf aber nur einen kurzen Blick darauf. „Verzeih bitte, Herr .. aber ich dachte, du weißt, dass ..“
    Agricola glotzte einen Moment, kapierte dann endlich und klatschte sich stöhnend die Hand auf die Stirn. „Natürlich. Entschuldige. Gut, gib her, ich les’ es dir vor. Moment ..“ Seine Finger wanderten hektisch über die Zeilen. Die Rolle wurde länger und länger. „Ich hab’s gleich.“ Faszinierend. Aesara war das einzige menschliche Wesen das ihn gleichzeitig beruhigen und nervös machen konnte. Schwierig, sich unter diesen Umständen zu konzentrieren, verdammt schwierig „Ah, da haben wir’s ja .. nun also, Aesara .. lausche und staune!“ Räuspern.


    „Titus und Aruns machten die Reise. Als Begleiter wurde ihnen Lucius Iunius Brutus mitgegeben, ein Schwestersohn des Königs, von der Tarquinia, ein junger Mann von einem ganz andern Geiste, als dessen Rolle zu spielen er sich auferlegt hatte. Weil er gehört hatte, die Häupter des Staates, und unter ihnen auch sein Bruder, seien von seinem Oheime ums Leben gebracht, so nahm er sich vor, in seinem Geiste nichts, was dem Könige furchtbar, in seinem Vermögen nichts zu behalten, was ihm wünschenswert sein konnte, und sich da durch Verachtung zu sichern, wo der Schutz der Gerechtigkeit zu schwach war. Vorsätzlich also spielte er den Blödsinnigen; gab sich und das Seine dem Könige zum Raube hin, und ließ sich auch den Beinamen Brutus gefallen, wenn nur jener Geist – demnächst des Römischen Volks Befreier – unter dem Deckmantel dieses Beinamens versteckt, seine Zeit abwarten könnte.“


    Ein verstohlener Blick auf die Coqua ließ erkennen, dass die nicht gerade überwältigt war. „Öhm, also .. es kommt noch viel besser ..“, versuchte er Aesara zu begeistern, erntete aber nur ein höfliches Nicken, das mit wahrem Interesse nicht viel zu tun hatte. „Nun gut ..“, begann er einigermaßen enttäuscht zusammenzufassen, „.. jedenfalls halten ihn alle für bescheuert oder so. Aber in Wirklichkeit hat er als Einziger den Durchblick. Der rächt sich nicht einfach bloß für die miesen Sauereien, die der König seiner Familie angetan hat, sondern bringt es sogar fertig, den Mistkerl vom Thron zu jagen. Und dann ..“ Seine Kehle wurde eng vor Ehrfurcht. „.. dann wird er der allererste Consul Roms. Ist dir klar, was das bedeutet?“
    „Äh .. ja, Herr.“, antwortete Aesara mit einem Gesichtsausdruck, der unschwer erkennen ließ, dass ihr kaum etwas unklarer hätte sein können. Gut, was das eben Vorgetragene für Agricola ganz persönlich bedeutete, konnte sie schwerlich wissen, aber ein klein wenig mehr Enthusiasmus hätte er sich schon gewünscht, ging es hier doch um die Familie, deren Haushalt sie angehörte. Frauen waren schwer zu durchschauen, das hatte er schon gemerkt, und Sklavinnen erst recht.
    „Hast du noch einen Wunsch, junger Herr?“ Ernüchtert ließ Agricola die Schriftrolle sinken. Ob er noch einen Wunsch hatte? Götter! Jedes Mal, wenn sie ihn das fragte, hatte er schwer zu tun, seine Körpermitte unter Kontrolle zu behalten. Noch einen Wunsch .. das fragte sie doch nicht einfach so, oder?
    „Prinzipiell schon.“, seufzte er kehlig, „.. aber das würde nur den Trieb .. äh . Betrieb aufhalten. Du hast sicher viel um die Lenden vor den Kalohren.“
    „Herr?“
    „Ohren mein ich .. viel um die Ohren .. vor den Kalenden. Ähem .. danke, das wär’ soweit alles.“
    Mit einem ergebenen Nicken nahm die Küchensklavin ihre Einkäufe auf und wandte sich zur Tür. Agricola schalt sich einen Idioten. Da hatte er sie einmal ein paar Momente für sich alleine, und dann sowas.


    „Ist Iunius Avianus noch nicht zurück?“, warf er ihr wider besseres Wissen hinterher.
    „Nein, Herr.“ Das war klar. Selbstverständlich nicht.
    „Hat Dominus Avianus denn schon Vorkehrungen für das Hausopfer treffen lassen?“
    „Davon ist mir nichts bekannt, Herr. Da kann dir sicher Araros weiterhelfen. Soll ich ihn rufen?“
    „Wie? Nein. Nicht nötig.“
    Bloß nicht, was sollte er jetzt mit dem? Aesara stand abwartend an der Tür. Agricola fiel nichts mehr ein. Nichts jedenfalls, was zwischen ihm und einer Serva als geziemend erachtet werden konnte. Letztlich waren sie wie Fisch und Vogel, musste er sich eingestehen. Sie mochten am selben Fluss leben, sich mitunter sogar sehr nahe kommen, waren aber beide an ihr Element gebunden. Bedauerlich. Aber das war eben ihre Natur. So war die Welt nun einmal geordnet


    „Gut, Danke.“, sagte er knapp und ging ohne sich noch einmal umzudrehen zurück an den Lesepult. Hinter ihm schloss sich die Tür. Vor ihm harrten noch unzählige Zeilen darauf, entdeckt zu werden. Sein Überschwang jedoch hatte deutlich nachgelassen. Irgendwie war dem Tag etwas von seinem Glanz abhanden gekommen.

  • Je verbissener Agricola versuchte, das penetrante Klopfen zu ignorieren, desto lauter wurde es. Als es schließlich sogar den Jubel der Massen und die röhrenden Cornustöße übertönte, musste er sich wohl oder übel der Realität geschlagen geben und sich von den strahlenden Bildern in seinem Schädel verabschieden. Und das kurz vor dem Höhepunkt der Veranstaltung. Bereits in Sichtweite der Aedes Capitolina. Sauerei. Da hatte er Rom im letzten Augenblick vor den aufständischen Samniten gerettet und nun war es ihm nicht einmal vergönnt, seinen wohlverdienten Triumph auszukosten. Höchst widerwillig schlug er die Augen auf. Sein Kopf hing vornüber, vom linken Mundwinkel rann ihm ein dünner Speichelfaden über das Kinn und tropfte von dort leise auf Papyrus. Dieses Geräusch war es – nicht das Klopfen – das ihn jäh hochschrecken ließ. Verdammt! Die Schriftrolle!


    In einem Anflug von Panik fummelte er den dünnen aber endlos langen Papyrus aus seinem Schoß in’s Licht der Lucerna und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass er nur den Rand der Rückseite vollbesabbert hatte. Von den Memoriae des Lucius Cornelius Sulla war, Iuno sei Dank, nicht ein einziges Wort seiner Spucke zum Opfer gefallen. Während Agricola sich noch um Fassung mühte, ging das Klopfen munter weiter. Schön wäre es gewesen, wenn Aesara vor der Tür gestanden hätte, aber die war es nicht. Die klopfte anders und kannte ihn außerdem gut genug, um zu wissen, dass es ratsamer war, ihn in Ruhe zu lassen, wenn er nicht umgehend reagierte.


    „Ja doch!“ krähte er gereizt, nachdem er sich noch etwas benommen vergewissert hatte, dass ihm vom Triumph keine rote Farbe mehr im Gesicht klebte. „Was denn?“ Die Tür schwang auf. Wie schon erwartet war es nicht Aesara, sondern der Ianitor. „Ich bin’s nur. Araros.“ verkündete der alte Obersklave mit seiner einnehmenden tiefen Stimme. „Das seh ich.“ entgegnete Agricola weit weniger sonor, „Götter! Kann man sich hier nicht mal in Ruhe seinen Studien widmen?“ Ein feines Lächeln huschte über Araros’ Gesicht. „Oh. Die Studien. Natürlich. Ich bitte um Vergebung, junger Herr. Soll nicht wieder vorkommen. Es ist nur so: Ich habe hier zwei Briefe für einen gewissen Caius Iunius Agricola, und da dachte ich, du könntest mir in dieser Sache vielleicht weiterhelfen.“ Erst jetzt fiel Agricolas’ Blick auf die beiden schmalen Rollen, die Araros in den mächtigen Pranken hielt. „Briefe?“ fragte er ungläubig nach, „Zwei?“ Wer mochte ihm wohl schreiben? „Ganz recht. Briefe. Zwei.“ bestätigte Araros schmunzelnd. Agricola ging ein Licht auf. Seine Vettern. Das konnte eigentlich nur die Antwort von Manius und Appius auf seinen leider sehr verspäteten Brief nach Cales sein. In einer gebieterischen Geste streckte Agricola den Arm aus und bedeutete Araros mit zuckenden Fingern, ihm die Schriftrollen auszuhändigen. Der tat das grinsend, wünschte noch angenehme Träume und zog sich dann lautlos zurück. Manchmal hatte Agricola schon ein wenig das Gefühl, von den Bediensteten nicht ganz für voll genommen zu werden. Momentan aber kratzte ihn das nicht sonderlich. Er hatte Post bekommen.


    Behutsam schob der die auf dem Pult verstreuten Schriften beiseite, legte die beiden Rollen vor sich hin wie kostbarste Preziosen – was sie im Grunde ja auch waren – und überlegte sich mühsam beherrscht, welche er sich zuerst zu Gemüte führen sollte. Seine Finger waren allerdings schneller als seine Überlegungen. Das erste Schreiben entrollte sich bereits wie von Geisterhand, während er sich noch in Vorfreude suhlte. Nun denn.




    Ad
    Caius Iunius Agricola
    Domus Iunia
    Roma


    Salve, Caius.


    Vielen lieben Dank für deinen Brief. Du hast dir ja ganz schön Zeit damit gelassen. Schäm dich mal. Du weißt doch genau, wie langweilig es hier ist. Aber ich mag gar nicht meckern. Bestimmt gibts in Roma so viele Sachen zu sehen, dass du einfach nicht zum Schreiben gekommen bist. Auf jeden Fall war das Eintreffen deines Briefes eine große Freude. Appius und ich haben ihn ganz aufgeregt gelesen. Schön, dass du gesund bist und es dir gut geht. Trotz dem schlechten Empfang. Cratinus hat uns nach seiner Rückkehr natürlich alles erzählt. Tut mir wirklich leid für dich. Es muss dich ziemlich traurig machen, dort nicht willkommen zu sein. Aber wahrscheinlich müssen sich die Iunier bloß erstmal an dich gewöhnen. Nach dem, was in deinem Brief steht, kann es ja nicht ganz so schlimm sein. Diesen Urbaner-Onkel beschreibst du jedenfalls recht positiv und außerdem lassen die dich sogar in ihre Bibliothek. Das dürfen wir hier immer noch nicht.


    Vielleicht ist es ja tatsächlich so, wie du schreibst, und wir sollen nicht alles wissen. Das hat mich nachdenklich gemacht. Dass da was nicht ganz stimmt, hab ich mir beinahe schon gedacht. Erst neulich hab ich einen wüsten Streit zwischen Agron und Carus mitbekommen. Wegen dem Unterricht in Geschichte. Ich glaub, es ging um die iturischen Feldherren. Ganz schlau bin ich aber nicht draus geworden. Carus ist seither stinksauer auf Agron. Übrigens soll ich dich von Carus grüßen, und auch von Locusta. Denen gehts gut. Von Appius brauch ich dir keine Grüße auszurichten, der will dir selber schreiben. Fundula hätte dich sicherlich auch grüßen lassen, wenn sie sprechen könnte. Ich kümmere mich jetzt um sie. Am Anfang nachdem du weg warst, hat sie tagelang nicht mehr gefressen. Jetzt ist sie aber fast schon wieder die Alte. Nur kann ich sie einfach nicht dazu bringen, ihre Kunsttücke vorzuführen. Vielleicht kommt das noch.


    Vom Gut gibt es nur wenig Neues zu berichten. Der alte Stallknecht Segonax ist gestorben. Vater hat Cratinus in Capua einen neuen kaufen lassen. Mit Weib und Tochter. Die Tochter heißt Teuta, ist dreizehn und hat ganz langes Haar, das aussieht wie poliertes Kupfer wenn die Sonne drauf scheint. Und grüne Augen, die manchmal auch blau sind. Wenn sie zum Beispiel etwas erzählt, sind sie grün und wenn sie zuhört sind sie blau. Kannst du dir das vorstellen? Ich finde das schon sehr bemerkenswert. Dann ist Ende Maius noch der Hof von Falanius Hortalus abgebrannt. Mit zwölf Kühen und zehn Schweinen drin. Hortalus und den anderen Bewohnern ist aber nichts passiert. Ansonsten ist hier alles wie immer. Langweilig halt.


    Meinst du, du könntest uns irgendwann einmal besuchen? Dass ich so schnell nach Roma komme, ist nämlich unwahrscheinlich. Vater hat wohl andere Pläne mit mir. Welche genau, weiß ich aber selber nicht. Zudem sagt Cratinus, Roma sei ein stinkendes Dreckloch, in dem man kaum Luft bekommt. Stimmt das wirklich? Muss ich mir wegen deiner Gesundheit Sorgen machen? Ich hoffe nicht. Du musst nur immer genügend Olivenöl an die Speisen geben und viel an die Sonne gehen, davon bleibt man gesund. Das sagen alle.


    Gib gut auf dich acht und lass nicht wieder Monate vergehen, bevor du antwortest.
    Alles Gute für dich und der Götter Segen.


    Dein Manius.



    Manius Iturius
    Villa Rustica Ituria
    Cales




    Ein glühendes Strahlen legte sich über Agricolas' Gesicht. Der gute Manius. Immer noch herzlich und geradeheraus, und immer noch im Kriegszustand mit den Feinheiten der Grammatik. Die pausbäckigen Züge des jungen Ituriers stiegen vor Agricola’s erhelltem Geist auf. Verschmitzt grinsend, gleichzeitig mit einem zarten Schleier von Misstrauen um die Augen. Manius war gewiss kein Dummkopf, nur manchmal etwas eigen, auf jeden Fall war er aber ebenso wie Appius stets ein wahrer Freund gewesen. Zwar hatte Agricola nicht alle Passagen des Briefes auf Anhieb verstanden, aber das hatte Zeit. Gewiss würde er die Briefe seiner Vettern noch so oft lesen, bis er sie auswendig hersagen konnte. Wohlig seufzend goss er sich etwas Zitronenwasser in den Becher, trank in kleinen genüsslichen Schlucken und nahm sich dann dem zweiten Brief an. Als er ihn ausgerollt hatte, erschrak er. Das war Geta’s Geschäftspapyrus. Einer der Bögen, die Agriolas’ Avunkulus sich immer gleich dutzendweise von Scriba Epicles vorfertigen ließ. Was um alles in der Welt wollte Onkel Geta von ihm? Ein banger Blick auf die Absenderzeile ließ Agricola allerdings aufatmen. Der Brief war von Appius. Der findige Bursche hatte seinem Vater bloß einen seiner Papyrusbogen stibitzt. Grinsend lehnte sich Agricola zurück und nahm sich vor, Zeile für Zeile zu genießen wie einen reifen Pfirsich.



    CALES, ANTE DIEM KAL IUL DCCCLXVI A.U.C.
    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


    Ad
    Caius Iunius Agricola
    Domus Iunia
    Roma


    Salve, Amitinus Caius Agricola.


    Lass mich dir zunächst für dein Schreiben danken. Es zu lesen war überaus aufschlussreich. Wie ich deinen Zeilen entnehmen konnte, hast du dich allen Widrigkeiten zum Trotz überraschend schnell bei den Iunii eingelebt. Das Blut verbindet stärker als man denkt, nicht wahr? Manchmal muss man seinen Stolz überwinden und sich so gut verkaufen wie es eben geht. Wer wüsste das besser als der Spross eines alten Kaufmannsgeschlechtes. Ich bin sicher, auf kurz oder lang wird sich zusammenraufen, was zusammengehört. Es beruhigt mich jedenfalls, dich wohlauf zu wissen. Da dein Patruus – wie du schreibst – ebenso bei den Urbaniciani dient wie es dein Vater getan hat, gehe ich davon aus, dass dein künftiger Lebensweg bereits vorgezeichnet ist. Meinen Glückwunsch dazu. Nichts eint so sehr wie eine gemeinsame Tradition.


    Mit regem Interesse habe ich die Andeutungen und Ratschläge bezüglich unserer Ausbildung und der Wahrhaftigkeit des von Agron vermittelten Lehrstoffes studiert. Es nötigt mir höchsten Respekt ab, zu sehen, dass du deinen sicher unzähligen Verpflichtungen noch Raum genug abzuringen vermagst, um die zurückgebliebene Provinzbevölkerung von ihrer Unwissenheit zu kurieren. Hab Dank. Ohne deine erhellenden Worte wäre ich sicher niemals dahinter gekommen, wie ungeschickt mein Vater bei der Auswahl seiner Bediensteten zu agieren pflegt. Selbstredend liegt es mir fern, einen Zusammenhang herzustellen zwischen deiner hochwillkommenen Kritik an der iturischen Personalpolitik und der Weigerung unseres Vilicus, die von den Iunii geforderte Beteiligung an den Kosten für Nahrung und Unterkunft ihres neuen Mitbewohners zu entrichten. Zweifellos hätte Bavius Cratinus dem ehrenwerten Iunius Avianus umgehend die verlangten hundert Denarii aushändigen müssen. Für dieses schändliche Fehlverhalten möchte ich mich hiermit in aller Form entschuldigen. Auch für die völlig närrische Annahme meines offensichtlich unfähigen Vaters, in all den Jahren bereits mehr als genug für dich getan zu haben, kann ich dich nur kniefällig um Verzeihung anflehen.


    Du wirst daher gewiss verstehen – mehr noch, es gutheißen – dass ich mich angesichts all der iturischen Verfehlungen nicht imstande sehe, unsere Korrespondenz aufrecht zu erhalten, als wäre nichts geschehen und als hätten sich die Iturier nie etwas zuschulden kommen lassen. Dafür sitzt die Scham zu tief. Es lässt sich leider nicht ändern, die Iturii sind eben nur eine mäßig kultivierte – wenn auch ausgesprochen erfolgreiche und höchst angesehene – Gens von Geschäftsleuten, keine Soldaten.


    Ich wünsche dir viel Glück unter den Deinen.
    Vale bene.



    Appius Iturius Minor
    Villa Rustica Ituria
    Cales



    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


    KAUFT WEINE VON DEN VINEAE ITVRIANI.
    BACCHUS ZUR EHRE. DEM GAUMEN ZUR FEIER.





    Agricola blieb die Spucke weg. Was er da eben hinuntergewürgt hatte, war beileibe kein reifer Pfirsich. Eher ein dampfender Pferdeapfel. Mit Stacheln. Klarer Fall: Irgendjemand hatte Appius in’s Hirn geschissen, und Agricola konnte sich auch schon lebhaft vorstellen, wer.

  • Da ich mir nicht sicher war, ob meine Fähigkeiten als Jurist in meinem - ersten - Fall hier in Rom vor Gericht angemessen gewürdigt werden würden, hielt ich es für sinnvoll, mir einen Namen zu machen, bevor die Sache möglicherweise vor dem Praetor landen würde. Am besten ging das meiner Meinung nach durch das Verfassen eines Kommentars. Glücklicherweise hatte ich bereits am Museion Notizen verfasst und mir dabei ein typisch römisches, wenngleich etwas antiquiertes Rechtsinstitut ausgesucht. Vorteilhaft war, dass das nötige Wissen dabei vollständig in meinem Gedächtnis war, so dass ich nichts nachschlagen musste. Dennoch entschied ich mich, in der kleinen Bibliothek der Domus Iunia zu schreiben. Schon aus Tradition, denn immerhin hatte ich bislang alle wissenschaftlichen Werke in einer Bibliothek verfasst.


    Ich sah mir die Wachstafeln mit meinen Notizen an.


    Kommentar zur Mancipatio


    Gliederung:


    I. Was ist der Ursprung der Mancipatio?

    II. Welchem Zweck dient sie?

    III. Worauf wird sie angewendet? Welche Sachen sind manzipierbar?

    IV. Gibt es eine Rechtsgrundlage? Gesetze, die sie definieren oder erlauben?

    V. Welche Voraussetzungen müssen beachtet werden?

    VI. Gibt es verschiedene Formen der Mancipatio? Wie sehen die aus? Durchführung?

    VII. Welche Rechtsfolgen treten ein? Was ist die Wirkung?

    VIII. Wie kann noch Eigentum erworben werden?

    IX. Ist die Mancipatio anfechtbar? Wenn ja, wie?

    X. Wie ist die Mancipatio im heutigen Rechtsverkehr zu bewerten?


    Die bereits vorhandenen Ausarbeitungen und Notizen zu den Punkten brachten mich immerhin etwas weiter, doch musste ich sie mir noch einmal ansehen.


    I. Ursprung

    Tradiertes Recht, noch aus der Königszeit. Vielleicht von Romulus selbst? Ist das wichtig?


    II. Zweck

    Übertragung von Eigentum quiritischem Eigentum.

    Eigentum an Sachen oder Herrschaftsrechten, die Res mancipi sind.


    III. Was sind Res mancipi?


    IV. Rechtsgrundlage

    Mos Maiorum

    Bestätigung aus Tabula VI, Lex XII Tabularum

    Aufhebung durch spätere Gesetze?


    Mist, den Punkt hatte ich vergessen. Also doch noch einmal einen Blick in die bestehenden Gesetze werfen, vor allem die Lex Mercatus. Ich stand auf und durchsuchte die Sammlung juristischer Literatur. Wie es aussah, waren alle Gesetze, Edikte, Dekrete und sonstigen Rechtssetzungsakte zum Handelsrecht vorhanden. Ich las sie mir in Ruhe durch. Nach einiger Zeit konnte ich zufrieden feststellen, dass die Mancipatio niemals aufgehoben wurde. Ich nahm die Tafel zur Hand und formulierte direkt aus.


    IV. Rechtsgrundlage

    Mos Maiorum

    Bestätigung aus Tabula VI, Lex XII Tabularum

    Aufhebung durch spätere Gesetze?

    Die Mancipatio wurde uns durch den Mos Maiorum überliefert. Ihre Rechtsgültigkeit wird aus Tabula VI, Lex XII Tabularum bestätigt. Eine Aufhebung per Gesetz, Edikt, Dekret oder anderem Rechtsakt fand nicht statt, so dass die Wirksamkeit weiterhin gegeben ist.


    Dann sah ich mir die nächste Tafel an und entschied, die Notizen auch hier direkt auf einer neuen, unbeschriebenen Tafel auszuformulieren.


    V. Voraussetzungen

    Voraussetzung einer Mancipatio ist das römische Bürgerrecht desjenigen, der eine Res mancipi verkauft oder übertragen will, und desjenigen, der die Res mancipi empfängt. Darüber hinaus sind mindestens sechs weitere römische Bürger erforderlich, sowie eine kupferne Waage und ein Kupferstück. Alle römischen Bürger, die an der Mancipatio beteiligt sind, müssen mündig sein, also ihre Pubertas erreicht haben. Zur Pubertas seien die Commentarii de Pubertate et Tutela Manii Tiberii Duri, Sectio V, empfohlen.


    Die Commentarii des Manius Tiberius Durus hatte ich glücklicherweise bereits in Alexandria zur Hand gehabt. Wie hatte es der Epistates gesagt? Wenn man etwas in der Bibliothek des Museion nicht findet, dann existiert es vermutlich auch nicht oder noch nicht. Ich grinste und legte mein Stilum beiseite. es waren schon einige Stunden vergangen, und ich wollte auch noch Zeit für die Bearbeitung meines Falls verwenden.

  • Am nächsten Tag beschäftigte ich mich weiter mit der Arbeit an meinem Kommentar. Zunächst nahm ich mir eine leere Wachstafel, um die Frage nach den Res mancipi zu beantworten.


    III. Res mancipi

    Sollen nicht aus quiritischem Eigentum an Fremde gelangen.

    Hoher Wert in Geld. Auch nach Mos Maiorum.

    Immobilien auf italischem Boden.

    Landgrundstücke ja.

    Stadtgrundstücke nein.

    Sklaven.

    Zug- und Lasttiere.

    Tiere ab Zähmung oder ab Geburt?

    Geht es um grundsätzliche oder unmittelbare Einsetzbarkeit?

    Vergleich mit Sklaven: Ab Geburt.

    Grundstück: Auch ohne Bestellung.

    Folge: Ab Geburt. Prüfen!

    Patria Potestas als Herrschaftsrecht.


    Das sollte sich doch recht gut ausformulieren lassen.


    Anschließend nahm sah ich mir meine weiteren Tafeln an.


    VI. Formen

    Mancipatio von Sachen

    Mancipatio von Sklaven

    Mancipatio von Familienmitgliedern

    Coemptio

    Risiko: Tabula IV, Lex XII Tabularum


    Die war in Ordnung, das sollte sich gut erläutern lassen. Die nächsten Tafeln.


    VII. Wirkung

    Übertragung von Eigentum

    Durch hohe Zahl von Zeugen nur schwer anfechtbar

    Kein Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus Mancipatio

    Ausnahme: Das Kupferstück


    VIII. Andere Formen des Eigentumserwerbs

    Traditio, eventuell erst durch Usucapio endgültig

    Analogie zu Trinoctium bei Usucapio?

    Res mancipi von Frauen unter Tutela?

    In Iure Cessio


    IX. Anfechtung

    Legis Actio Sacramento in Rem

    Formularprozess gemäß prätorischem Edikt

    Klage vor Praetor oder vor Aedilis?


    Praetor oder Aedilis? Das war eine gute Frage. Nach Lex Mercatus konnten Klagen vor dem Aedilis eingereicht werden. Moment Mal, da stand "konnten", nicht "mussten". Also gab es eine Wahlfreiheit. Oder doch nicht? Res mancipi waren eine Untermenge der Sachen und Herrschaftsrechte. Also spezielle Sachen. Entsprechend wären die Bestimmungen zu Res mancipi spezialgesetzlich. Das würde dann auch auf die Wahlfreiheit zwischen Praetor und Aedilis Auswirkungen haben. Manzipierbare Sachen wären dann vor dem Praetor zu verhandeln. Da würde ich noch einmal nachdenken müssen.

  • Am Abend des Vortages hatte ich das Gespräch mit meinem Mandanten hinter mich gebracht. Der Fall war noch lange nicht abgeschlossen und würde sicher noch schwierig werden. Doch für heute hatte ich es mir verdient, meinen Kommentar endlich ausformulieren zu können. Also nahm ich mir eine unbeschriebene Schriftrolle und fing an zu schreiben.


    Commentarius de Mancipatione

    Auli Iunii Taciti



    I. Ursprung


    Die Mancipatio ist tradiertes Recht. Vermutlich entstammt die Mancipatio den Rechtsbräuchen der Königszeit. Möglicherweise geht sie sogar auf Romulus höchstselbst zurück, was aber ihre Bedeutung weder aufwerten, noch sonst in irgend einer Art beeinflussen soll.



    II. Zweck


    Die Mancipatio dient grundsätzlich der Übertragung von quiritischem Eigentum an Sachen oder Herrschaftsrechten. Hiervon sind aber nicht sämtliche Sachen oder Herrschaftsrechte erfasst, sondern lediglich solche, die als Res mancipi hierzu geeignet sind.



    III. Res mancipi


    Res mancipi sind solche Sachen und Herrschaftsrechte, die zur römischen Königszeit von besonders hohem Wert waren und nicht aus dem quiritischen Eigentum an Fremde gelangen sollten. Jedoch handelt es sich auch heute noch um Sachen von hohem Wert, wobei der heutige Wert in Geld aber nicht das entscheidende Kriterium ist, sondern der Wert nach Mos Maiorum.


    Übliche Res mancipi sind Grundstücke auf italischem Boden, ebenso Häuser auf italischem Boden und Dienstbarkeiten an Landgrundstücken, nicht jedoch an Stadtgrundstücken. Grundstücke, die der Grundsteuer unterliegen oder für die andere Abgaben, wie eine Pacht, zu entrichten sind, gehören nicht zu den Res mancipi und sind daher Res nec mancipi und können nicht manzipiert werden.


    Auch Sklaven sind, unabhängig von ihrem Wert, als Res mancipi anzusehen.


    Ferner gelten Zug- und Lasttiere als Res mancipi, beispielsweise Rinder, Pferde oder Esel. Fraglich erscheint in der fachlichen Diskussion, ob diese Tiere ab Geburt oder erst ab Zähmung Res mancipi sind.


    Für die Eigenschaft einer Res mancipi ab Geburt spricht, dass es dabei nicht auf die Einsatzfähigkeit der Res mancipi ankäme, sondern auf die Möglichkeit des Einsatzes. Sie wäre mithin eben gerade nicht durch die unmittelbare Nutzbarkeit gekennzeichnet, sondern lediglich durch die potenzielle Nutzbarkeit. Hier bietet sich auch der Vergleich mit Grundstücken oder Sklaven an. Denn ein Grundstück auf italischem Boden ist unstreitig stets Res mancipi, unabhängig davon, ob es bewirtschaftet wird oder nicht. Auch ein Sklave ist stets Res mancipi, ohne dass es dabei darauf ankommt, welche Fähigkeiten dieser besitzt. Warum sollte dann ein Tier nur dann Res mancipi sein, wenn es gezähmt ist? Auch erscheint fraglich, ab wann die Aktion der Zähmung vollendet ist.


    Gegen die Eigenschaft als Res mancipi spricht die grundsätzliche Freiheit eines wilden Tiers. Ist ein Tier wild, so ist es eben nicht zu Diensten und kann auch nicht zu Diensten gezwungen werden, sondern bedarf zunächst der Zähmung.


    Die besseren Argumente scheinen mir aber für eine Definition eines Tiers als Res mancipi ab Geburt zu sprechen, da der Wert, wie bei einem Grundstück, eher in der Sache an sich als in deren Ertrag abwerfender Verwendungsmöglichkeit zu stehen.


    Eine besondere Form einer Res mancipi stellt die Patria Postestas dar, die allerdings durch andere Rituale übertragen wird, als das Ritual zur Übertragung von Sachen. Zur Patria Potestas sei auf die Commentarii de Pubertate et Tutela Manii Tiberii Duri, Sectio I, verwiesen.



    IV. Rechtsgrundlage


    Die Mancipatio wurde uns durch den Mos Maiorum überliefert. Ihre Rechtsgültigkeit wird aus Tabula VI, Lex XII Tabularum bestätigt. Eine Aufhebung per Gesetz, Edikt, Dekret oder anderem Rechtsakt fand nicht statt, so dass die Wirksamkeit weiterhin gegeben ist.



    V. Voraussetzungen


    Voraussetzung einer Mancipatio ist das römische Bürgerrecht desjenigen, der eine Res mancipi verkauft oder übertragen will, und desjenigen, der die Res mancipi empfängt. Darüber hinaus sind mindestens sechs weitere römische Bürger erforderlich, sowie eine kupferne Waage und ein Kupferstück. Alle römischen Bürger, die an der Mancipatio beteiligt sind, müssen mündig sein, also ihre Pubertas erreicht haben. Zur Pubertas seien die Commentarii de Pubertate et Tutela Manii Tiberii Duri, Sectio V, empfohlen.



    VI. Formen der Mancipatio


    Für die Mancipatio von Sachen bedarf es desjenigen, der verkauft oder übertragen will, und desjenigen, der empfängt. Außerdem haben noch fünf Zeugen anwesend zu sein, sowie ein weiterer Bürger, welcher die kupferne Waage hält. Damit sind die zuvor benannten sechs weiteren römischen Bürger vollständig. Derjenige, der erwirbt, fasst die Sache an und spricht die Formel HUNC EGO REM EX IURE QUIRITUM MEUM ESSE AIO ISQUE MIHI EMPTUS ESTO HOC AERE AENEAQUE LIBRA. Daraufhin schlägt er mit einem Kupferstück an die Waage und übergibt exakt dieses Kupferstück an denjenigen, der verkauft.


    In früheren Zeiten, bevor die uns bekannten Münzen geprägt wurden, schien es so gewesen zu sein, dass in Kupfer bezahlt wurde und die vereinbarte Menge Kupfer abgewogen wurde, bevor diese, als finaler Akt der Manzipation, dem Verkäufer übergeben wurde. Heutzutage erfolgt die Bezahlung getrennt vom Vorgang der Bezahlung und das Kupferstück soll die erfolgreiche Zahlung belegen.


    Im Gegensatz zu beweglichen Sachen ist eine Anwesenheit am Grundstück oder Haus nicht erforderlich, um dieses zu manzipieren. Sehr wohl ist es aber notwendig, dass alle Beteiligten wissen, welches Grundstück oder Haus gemeint ist, da andernfalls eine Bezeugung nicht gelingen kann oder die Manzipation durch Irrtum angefochten werden kann. Auch muss ein Teil dieser spezifischen Res mancipi vorhanden sein, um so eine Verbindung zum Gegenstand zu haben. Die Spruchformel ist identisch zu der für eine bewegliche Sache.


    Rechte an beweglichen Sachen, Grundstücken und Häusern werden genauso übertragen wie die Res mancipi, an der Rechte gewährt werden. Streng genommen wird nun aber nicht das Eigentum, sondern lediglich das Nutzungsrecht an der Res mancipi übertragen, so dass der Erwerber der Rechte diese nutzen kann als wäre sie seine eigene.


    Das Eigentum an einem Sklaven wird übertragen, indem der Käufer die Formel HUNC EGO HOMINEM EX IURE QUIRITUM MEUM ESSE AIO ISQUE MIHI EMPTUS ESTO HOC AERE AENEAQUE LIBRA spricht und damit den Kauf besiegelt. Ansonsten ist das Ritual dem Kauf einer anderen beweglichen Sache gleich.


    Im Familienrecht ist eine Mancipatio stets so zu sehen, dass ein Mitglied der Familie, welches unter Patria Potestas steht, in die Patria Potestas eines anderen Pater Familias übergeben wird. Hier wird, ähnlich einem Sklaven, die Formel HUNC EGO HOMINEM EX IURE QUIRITUM MEUM ESSE AIO ISQUE MIHI EMPTUS ESTO HOC AERE AENEAQUE LIBRA gesprochen und damit der Kauf besiegelt.


    Es ist hierbei aber zu unterscheiden, um welche Art des Rechtsgeschäfts es sich handelt. Übergibt ein Pater Familias seine Tochter an einen römischen Bürger, welcher diese heiraten soll, so handelt es sich um eine Coemptio. Das bedeutet, dass die Ehefrau aus der Patria Potestas, in der sie sich durch Geburt befand, an ihren künftigen Ehemann manzipiert wird. Ihr Vater verliert somit seine Patria Potestas. Wird die Ehefrau nicht manzipiert und auch nicht emanzipiert, so könnte der Vater sie jederzeit aus ihrer Ehe zurück in sein Haus holen und dadurch die Ehe auflösen. Sollte eine Frau sui iuris sein, so kann sie ebenfalls eine Coemptio eingehen. In diesem Fall müsste sie sich selbst manzipieren. Die rechtlichen Wirkungen der Ehe sind aber grundsätzlich unabhängig von einer eventuellen Mancipatio zu sehen.


    Auch die eigenen Nachkommen können durch Mancipatio der Potestas eines anderen Bürgers unterstellt werden. Dies geschieht beispielsweise, um die Arbeitskraft der Nachkommen zu verleihen. Üblicherweise werden diese dann nach Ablauf eines vereinbarten Zeitraums zurück manzipiert. Hier ist aber Vorsicht geboten. Wenn ein Vater seinen Sohn dreimal manzipiert hat, so ist der Sohn aus Tabula IV, Lex XII Tabularum emanzipiert. Für Töchter gilt diese Einschränkung nicht.



    VII. Wirkung der Mancipatio


    Die Mancipatio bewirkt eine Übertragung des Eigentums an der Res mancipi vom Veräußerer an den Erwerber. Durch die hohe Zahl an Zeugen ist die Mancipatio nur schwer anfechtbar. Der Versuch einer Mancipatio einer Res nec mancipi ist wirkungslos.


    Im Falle der Übertragung von Rechten findet lediglich eine Übertragung des Besitzes beziehungsweise der Nutzungen des Eigentums statt.


    Die Mancipatio gibt einem Verkäufer keinen Anspruch auf Zahlung eines Kaufpreises mit Ausnahme des Kupferstücks, sondern lediglich dem Erwerber einen Anspruch auf Übertragung der Res mancipi. Allerdings ist die Vereinbarung über die Zahlung des Kaufpreises ebenso ein Rechtsgeschäft, welches zu erfüllen ist, wenngleich aus einem anderen Rechtsgrund. Da aber eine Mancipatio üblicherweise erst nach der Bezahlung durchgeführt wird, sollte dies in der Praxis unproblematisch sein.


    Von einer Mancipatio vor der Zahlung des Kaufpreises ist abzuraten, so lange hier keine ebenso belastbare Actio stattgefunden hat, beispielsweise ein schriftlicher Vertrag, eine Bezeugung vor dem Praetor Urbanus oder eine Vereinbarung vor mindestens fünf Quirites als Zeugen.


    Auch wenn kein Kaufpreis vereinbart wurde, ist die Mancipatio stets ein Kaufgeschäft, weil zumindest ein Stück Kupfer als Gegenleistung gegeben wird.


    Um es aber ganz unmissverständlich zu sagen: Die Mancipatio überträgt lediglich Eigentum oder Nutzungsrechte am Eigentum gegen den Wert eines Kupferstücks. Von ihrer Art her ist sie eine Behauptung des Käufers, welcher der Verkäufer nicht widerspricht.



    VIII. Andere Formen des Eigentumserwerbs


    Neben der Mancipatio gibt es noch andere Formen des Erwerbs von Eigentum.


    Eine Res nec mancipi kann durch Traditio, also durch einfache Übergabe an den Käufer oder sonstigen Erwerber in dessen Eigentum übergehen. Hier genügt es also, dass der Erwerber die Sache erhält. Bei einem Kauf muss im Gegenzug der Kaufpreis an den Verkäufer bezahlt werden.


    Auch eine Res mancipi kann durch Traditio in das Eigentum des Erwerbers übergehen. Allerdings ist der Erwerb mit der Übergabe noch nicht vervollständigt. Der Erwerber hat die Res mancipi auch für eine bestimmte Zeit in seinem Besitz zu halten, mithin also zu ersitzen. Nach Tabula VI, Lex XII Tabularum, geht eine beliebige Sache, also auch eine Res mancipi, nach einem Jahr durch Usucapio in das Eigentum des Besitzers über. Bei einem Grundstück beträgt aus der gleichen Rechtsquelle der Zeitraum zwei Jahre.


    Selbstverständlich hat der Besitz während dieser Zeit ununterbrochen verwirklicht zu sein. Auch sorgt eine erfolgreiche Anfechtung, die das Eigentum einem anderen zuerkennt, zu einem Mangel der Übertragung, so dass auch in diesem Fall kein Eigentum durch den Erwerber erlangt wird.


    Wenngleich für diesen Kommentar nicht relevant, so sei doch an dieser Stelle auf die Ehe ex usum hingewiesen. Auch hier wird nach einem Jahr des ununterbrochenen Zusammenlebens der Eheleute die Frau der Patria Potestas ihres Ehemanns unterstellt. Dies geht aus Tabula VI, Lex XII Tabularum hervor. Allerdings wird dieses heute nicht mehr so streng gehandhabt.


    Interessant erscheint aber die Bestimmung aus Tabula VI, Lex XII Tabularum, dass bei einer Unterbrechung des Zusammenlebens der Eheleute für drei Nächte vor Ablauf der einjährigen Frist zu einer wirksamen Unterbrechung führt. Hieraus lässt sich in Analogie folgern, dass die Unterbrechung der Frist zum Erwerb des Eigentums an einer Sache durch Usucapio nicht drei Tage erreichen darf. Das heißt, dass derjenige Erwerber, der den Besitz der Sache für mindestens drei Tage verliert, kein Eigentum durch Usucapio erwerben kann. Sollte die Sache wieder in den Besitz des Erwerbers gelangen, so beginnt die Frist erneut von Beginn an zu laufen.


    Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass aus Tabula V, Lex XII Tabularum, eine Usucapio am Eigentum einer Res mancipi einer Frau, die unter Tutela ihrer Agnaten steht, grundsätzlich unwirksam ist. Wird die Res mancipi durch die Frau unter Mitwirkung ihres Tutors übergeben, so ist die Übertragung wirksam. Die Tutela ist in Sectio II der Commentarii de Pubertate et Tutela Manii Tiberii Duri ausführlich beschrieben.


    Gelingt es nicht, die erforderlichen Zeugen für eine wirksame Mancipatio zu beschaffen, so gibt es auch die Möglichkeit, die Res mancipi vor dem Praetor Urbanus zu durch Cessio in Iure zu erwerben. Hierzu wird unter Anwesenheit der beweglichen Sache oder eines Teils des Grundstücks oder Hauses durch den Erwerber die Formel HUNC EGO HOMINEM EX IURE QUIRITUM MEUM ESSE AIO gesprochen. Daraufhin fragt der Praetor denjenigen, der verkaufen oder übertragen will, ob dieser eine gegenteilige Behauptung aufstellen will. Verneint oder schweigt dieser, so geht die Res mancipi in durch Spruch des Praetors aus Tabula I, Lex XII Tabularum, in das Eigentum des Erwerbers über.


    Da eine solche Verhandlung stets Gerichtskosten verursacht, ist die Mancipatio zu bevorzugen. Zeugen kosten schließlich kein Geld.

    Streng genommen besteht auch die Möglichkeit, dass vor dem Praetor Peregrinus eine Übertragung einer Res mancipi an einen Peregrinus stattfinden kann. Denn es ist nicht definiert, welcher Praetor sprechen soll.


    Es sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass eine in Iure Cessio heutzutage nicht mehr des exakten Wortlauts bedarf, sondern lediglich ein Vortrag gleichen Inhalts zu leisten ist. Natürlich schadet es nicht, den Vortrag im Wortlaut der traditionellen Formel zu halten, jedoch ist es, im Gegensatz zu früheren Zeiten, nicht mehr schädlich, wenn man sich verspricht, so lange der Inhalt klar ist.



    IX. Anfechtung der Mancipatio


    Die Anfechtung einer Mancipatio gelingt prinzipiell genauso, wie bei anderen Rechtsgeschäften zur Übertragung von Eigentum, nämlich durch Klage.


    Die ursprüngliche Form der Klage sieht dabei so aus, dass Kläger und Beklagter sich mit einem Stab vor dem Praetor einfinden. Daraufhin spricht der Kläger, der ja das Eigentum für sich behauptet, die Worte HUNC EGO HOMINEM/REM EX IURE QUIRITIUM MEUM ESSE AIO. Diesen Wortlaut kennen wir auch schon von der Mancipatio und von der Cessio in Iure. Allerdings endet die Ansprache hiermit nicht beendet, sondern wird mit den Worten SECUNDUM SUAM CAUSAM SICUT DIXI, ECCE TIBI, VINDICTAM IMPOSUI fortgeführt, während nach dem ECCE TIBI der Stab an die Person oder den Gegenstand angelegt wird. Man nennt dieses Ritual die Vindicatio.


    Sollte der Beklagte an seinem Anspruch festhalten, so führt er mit exakt den gleichen Worten das exakt gleiche Ritual aus, welches auf Grund seines einen Gegenanspruch erklärenden Charakter Contravindicatio nennt. Nun hat man also zwei gleich lautende Ansprüche, und der Praetor erhält das Wort und befiehlt MITTITE AMBO HOMINEM/REM, woraufhin beide, Kläger und Beklagter, sich von der Person oder Sache entfernen. Daraufhin fragt der Kläger den Beklagten POSTULO, ANNE DICAS, QUA EX CAUSA VINDICAVERIS, woraufhin der Beklagte antwortet IUS FECI, SICUT VINDICTAM IMPOSUI. Hier ist nun der letzte Punkt erreicht, in dem ein kostenpflichtiges Verfahren vor dem Praetor noch abgewendet werden kann, indem der Kläger seine Klage zurückzieht.


    Macht er dies nicht, so fordert er den Beklagten mit den Worten QUANDO TU INIURIA VINDICAVISTI, D AERIS SACRAMENTO TE PROVOCO heraus. Diese Provocatio dient dem Zweck, die Übernahme der Prozessgebühr, dem Sacramentum, vom Beklagten zu sichern. Bei Gegenständen, auch Sklaven, deren Wert M As übersteigt, wird ein Sakramentum von D As gefordert. Bei Gegenständen, deren Wert darunter liegt, beträgt das Sacramentum lediglich L As. Der Wortlaut ist dann entsprechend abzuändern. Der Beklagte antwortet daraufhin ET EGO TE D AERIS SACRAMENTO PROVOCO, wodurch auch das Sacramentum des Klägers gesichert ist. Der Verlierer des Prozesses verliert sein Sacramentum zu Gunsten der Staatskasse, während der Gewinner sein Sacramentum zurückerhalt. Danach obliegt es dem Praetor, Recht zu sprechen und den Fall zu entscheiden. Auf Grund der Hinterlegung eines Sacramentum für einen typischerweise Sachenrechtlichen Prozess nennt man diesen Prozess Legis Actio Sacramento in Rem.


    Sollte es bei dem Prozess um die Freiheit eines Menschen gehen, wie man dies bei der Anfechtung der Legitimität einer Versklavung durchführen würde, so beträgt das Sacramentum nur L As. Hierdurch soll eine gerechtfertigte Anfechtung des Sklavenstatus und die entsprechend rechtlich gebotene Freiheit der Person nicht unnötig erschwert werden.


    Von besonderer Bedeutung sind bei dieser Form des Prozesses die genauen Worte der oben genannten Spruchformeln. Es sollte auch erwähnt werden, dass diese Form der Prozessführung zwar niemals abgeschafft wurde, aber schon seit einiger Zeit unüblich geworden ist. Sie wurde im Allgemeinen durch die Edikte der Praetoren ersetzt, welche die Form der Prozessführung vereinfacht und dadurch zugänglicher und flexibler gestaltet haben.


    Deshalb sprechen auch gute Gründe dafür, die Prozessführung über eine Res mancipi nach den jeweils aktuell üblichen Regeln des Formularprozesses durchzuführen, wie sie durch die Praetores definiert sind. Einerseits, weil es der Vereinfachung des Rechtsverkehrs dienlich ist, andererseits, weil das Imperium der Praetores eben genau diese Befugnis enthält und man sonst deren Auctoritas ernsthaft in Frage stellen würde. Auch die verständliche Einrede, dass durch den der Mancipatio, der Cessio in Iure und der Legis Actio Sacramento in Rem gemeinsamen Eröffnungssatz einem durch frühere Gesetze festgelegten Spruchformelprozess der Vorzug zu geben sei, ist zu verneinen, da einerseits neueres Recht älteres Recht verdrängt und andererseits die Auctoritas, die den Praetores durch deren Imperium gegeben ist, als wichtiger einzuschätzen ist, zumal die Effizienz des Prozesses hiervon nicht beeinträchtigt wird. Statt dessen wird durch das aktuell übliche Verfahren mit der hiermit einhergehenden Vereinfachung sogar ein höheres Maß an Gerechtigkeit erreicht, was im Sinne der Götter und der Ordnung des Logos ist.

    Final soll noch erläutert werden, ob eine Klage vor den Aediles gemäß Lex Mercatus möglich ist. Für eine solche Klage spricht, dass es sich auch hier um vertragsrechtliche Streitigkeiten handelt. Allerdings ist die Mancipatio ein Spezialfall des Vertragsschlusses und Res mancipi sind Spezialfälle der Sachen oder Herrschaftsrechte. Nach dem allgemeinen Grundsatz, dass Spezialgesetze die allgemeineren Gesetze verdrängen, wäre somit eine Klagemöglichkeit vor den Aediles zu verneinen. Auch der Wortlaut der Praeambel der Lex Mercatus spricht dafür, diese Möglichkeit zu verneinen. Schließlich sagt die Lex Mercatus, dass Klagen vor den Aediles erhoben werden können, jedoch nicht, dass sie vor den Aediles erhoben werden müssen. Da es sich somit um eine dispositive Vorschrift handelt, ist bei Res mancipi einzig eine Klage vor den Praetores erlaubt.



    X. Bewertung der Mancipatio


    Die Mancipatio mag zwar altes Rechts sein, jedoch besitzt sie weiterhin Gültigkeit. Inzwischen werden aber die anderen Formen der Übertragung auch von quiritischem Eigentum an Res mancipi üblicherweise angewendet, so dass die Mancipatio nur noch selten verwendet wird.


    Insbesondere die Traditio hat sich etabliert, wobei streng genommen noch die Frist der Usucapio abzulaufen hat, bevor die Übertragung vollständig rechtswirksam ist.


    Um eine Traditio einer Res mancipi besser abzusichern, empfehle ich die Ausstellung einer Vertragsurkunde, in der eine möglichst genaue Beschreibung des Gegenstands oder der Person und das Datum der Übertragung, sowie das Datum des Vertragsschlusses festgehalten werden. Im Falle einer Preisvereinbarung sollte auch diese, zusammen mit dem Zeitpunkt der Zahlung, in die Urkunde aufgenommen werden. Dieses erachte ich als sinnvoll, weil Res mancipi stets von hohem Wert sind.


    Die Anwesenheit von Zeugen ist ebenfalls grundsätzlich empfehlenswert. Gerade durch die zahlreichen Zeugen einer Mancipatio erhält diese auch im heutigen Rechtsverkehr noch immer eine Daseinsberechtung, wobei alternativ eine Cessio in Iure in Frage kommt, so man denn die Gerichtsgebühren bezahlen möchte.


    Abschließend lässt sich damit festhalten, dass die Mancipatio zwar grundsätzlich keine Übung des Rechtsverkehrs mehr ist, jedoch durch ihre besonders hohe Beweisfunktion noch immer eine Daseinsberechtigung, insbesondere für sehr wertvolle Sachen, besitzt.


    Auch im Rahmen der Coemptio als Form der Ehe besitzt die Mancipatio noch immer Bedeutung, wodurch sie vor allem in diesem Bereich weiterhin verbleibt, sofern eine entsprechende Ehe gefordert wird.



    Ich las mir alles noch einmal durch. Zufrieden beschloss ich, noch zwei weitere Abschriften anzufertigen. Eine würde hier vor Ort in der Bibliotheca der Domus Iunia verbleiben. Die zweite war für das Museion in Alexandria bestimmt.


    Sim-Off:

    Literatur: 1) Gaius, Institutiones, herausgegeben und übersetzt von Ulrich Manthe, 2. Aufl., Sonderausgabe 2015, WBG (Übersetzungen/Deutungen der Originalen Textfragmente durch mich weichen teilweise von der Übersetzung durch Manthe ab). 2) Das Zwölftafelgesetz, Texte, Übersetzungen und Erläuterungen von Rudolf Düll, 1995, Artemis & Winkler.

  • Ich betrat die Bibliothek mit den beiden Kreuzweg-Brüdern und räumte ein paar Schriftrollen weg, so dass jeder einen freien Sitzplatz hatte. Natürlich war die Toga etwas unpraktisch für solche Tätigkeiten, aber das kümmerte mich wenig. Kurz zog ich meine Toga wieder zurecht und deutete auf die freien Stühle.


    "Bitte, setzt euch. Es wird noch etwas Wein gebracht. Man soll ja nicht behaupten, dass ich meine Geschäftspartner nicht angemessen bewirte. Das Geld wird auch abgezählt und gebracht werden."

  • Wir setzten uns auf den Wunsch unseres Auftraggebers hin und warteten ab, wie er weiter vorgehen wollte.

  • Ich nahm ebenfalls Platz.


    "So lange wir auf den Wein warten, können wir die Zeit sinnvoll nutzen. Euch fehlt noch eine Beschreibung der gesuchten Person. Der Mann heißt Galeo Curtius Collantinus. Er ist mittelgroß, mit kurzem weißen Haar und einem ebenso weißen Bart. Wenngleich er aus Massilia stammt, spricht er mit Sicherheit keinen lokalen Dialekt."


    Dessen war ich mir auf Grund Coiras Lateinkenntnissen sicher.


    "Ihr könntet nun zu Recht einwenden, dass diese Beschreibung auf ziemlich viele ältere Römer zutrifft. Doch zwei Dinge, die zu einer deutlichen Einschränkung des Personenkreises führen sollten. Er trägt ein Amulett in Form eines Radkreuzes. Das sollte nur auf sehr wenige Bürger zutreffen. Und er sucht selbst jemanden. Seine Tochter. Obwohl er sicher vorsichtig ist und sie als seine Schülerin bezeichnen wird. Sie ist eine junge Frau, eher klein, mit blauen Augen und braunen Haaren."


    Bevor hier wieder seltsame Vermutungen aufkamen, sprach ich weiter.


    "Keine Sorge, sie ist in Sicherheit und es geht ihr gut. Mein Mandant beschützt sie, so gut er kann."

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