Rundgang des Legaten

  • Als Baldemar die Axt beschrieb, runzelte Ursus die Stirn. Er hatte sich die Äxte der Legion nie näher angesehen, aber er bezweifelte, daß es so etwas gab. "Schauen wir uns einfach an, was da ist." Die Soldaten, die im Magazin beschäftigt waren, würden mit der Beschreibung vermutlich mehr anfangen können als er.


    "Zeit zum Üben? Sicher. Wenn ich in meinem Officium bin, brauche ich Dich eigentlich nicht unbedingt." Eigentlich gar keine schlechte Idee. Das gab auch Ursus Gelegenheit, sich von der Anwesenheit des Germanen zu erholen, denn unter dessen Blicken fühlte er sich ständig beobachtet und abgeschätzt. Kein besonders angenehmes Gefühl, auch wenn er es sich niemals anmerken lassen würde.

  • Ja. Knapp viel die Antwort aus. Was sollte er auch mehr sagen? Es stimmte. Besser sie sahen sich erst einmal an, was die Suche ergeben würde. Sie gingen weiter. Der Germane sah sich immer wieder um. Er beobachtete die Soldaten. Deren Ausrüstung war eindeutig von hoher Qualität. Und sie waren geübt. Das würde eine schwere Aufgabe werden. Was er so erst einmal nicht zugeben würde.
    Er würde Zeit zum Üben bekommen. Gut. Sagte er nur kurz angebunden. Ein grummelnder Unterton machte sich breit. Jener, den er oft in seiner Stimme hatte. Selber bemerkte er es kaum. Den Gedanke, das er so auch mal Ruhe vor dem Legaten hatte, verschwieg Baldemar. Er konnte den Römer noch nicht besonders gut einschätzen. So überwog noch die Vorsicht. Vor allem, da er immer noch mit der Anrede zu kämpfen hatte, die in ihm zu brodeln schien.
    Noch an diesem Tag wollte er mit dem Üben beginnen. Er hatte nicht vor vollkommen zu versagen. Auch wenn er sich langsam aber sicher von der Vorstellung verabschiedete, ein leichtes Spiel zu haben. Unmöglich war ein Sieg nicht.

  • Wieder so knappe Antworten wie nur möglich. Ursus nahm es von der scherzhaften Seite und schmunzelte. Sie hatten das Magazin erreicht und er grüßte den anwesenden Optio militärisch. "Salve, Optio. Zeig uns alle Arten von Äxten, die Du hier vorrätig hast." Pionieräxte waren sicherlich vorhanden. Aber sonst? Ursus war gespannt, ob auch Beutegut hier eingelagert war.


    Der Optio bekam große Augen, als der Legat einfach so hereinspazierte. Es war doch gar keine Inspektion angesagt? Wie gut, daß er gerade kein Nickerchen gemacht hatte. "Salve, Legat Aurelius", grüßte er zurück und bemühte sich, dem Ansinnen sogleich nachzukommen. Er legte die Axt vor, die gewöhnlich in der Legion zum Einsatz kam.


    Ursus ließ Baldemar den Vortritt, damit der das Werkzeug in Augenschein nehmen konnte. "Entspricht die in etwa Deinen Vorstellungen?"

  • Baldemar schnalzte. Das Magazin war größer als er erwartet hatte. Was hatte er erwartet? Hier ging es um eine Legion nicht um ein kleines germanisches Dorf. Sein Grinsen galt mehr ihm selbst als dem Römer. Er wartete ab. Der Mann, der hier zu tun hatte schien sehr nervös. Ihm war es egal. Er sah die Pionieraxt zweifelnd an. Es war wirklich nicht, was er erwartet hatte.
    Er schüttelte den Kopf. Nein.
    Dann sah er den Mann an. Eine breitere Schneide. Etwas kürzerer Stiel. Schwungvolles Blatt. Wie ein Halbmond. Er versuchte mit knappen aber eindeutigen Beschreibungen die Mischung zweier germanischer Äxte zu erklären. So wie er es kannte. Die eine war rein zum Kämpfen. Die andere für das Holz. Er bevorzugte eine Mischung daraus. Aber ob es so etwas hier gab bezweifelte er. Er hatte einmal gehört das die Kelten ähnliche Äxte mit eben solchen Blättern nutzten.

  • Der Optio verstand nicht wirklich, worauf die beiden hinauswollten, aber diese Axt war anscheinend nicht das, was sie suchten. Er zuckte mit den Schultern, räumte sie weg und öffnete dann eine Kiste, in der er eine Weile kramte. Dabei befördete er eine recht rostige Axt zutage, die alt aussah. "Der Stiel müßte erneuert werden und das Blatt gründlich gereinigt und geschärft. Es stammt vermutlich aus Gallia, ein Centurio hat das Ding hier mal abgegeben, weil es aus der Habe eines seiner Männer übrig geblieben war." Zumindest hatte das Ding in etwa die gewünschte Form.

  • Der Mann schien nicht zu verstehen. Baldemar verdrehte die Augen. Konnte es denn so schwer sein? Dann aber sah er sie. Für jeden anderen wäre sie ein Stück Dreck. Altes verrostetes Metall. Holz, das seine besten Zeiten lange hinter sich gelassen hatte. Aber für den Germanen war sie es. Sie sah der Axt die er sich hatte schmieden lassen nicht unähnlich. Ehrfürchtig fast griff er nach ihr. Sie hatte den gleichen Charme, den Ruja einst hatte. Ruja. Vom Schmied des Dorfes gefertigt. Sein Großvater. Ruja. Es war als wäre sie wiedergeboren. Ruja. Sagte er leise. Er fuhr ihre Konturen entlang. Ein Span verirrte sich in seine Haut. Baldemar grinste. Wie bei Ruja, als er sie das erste mal in Händen gehalten hatte. Der Rost war nur äußerlich. Er würde sie wieder hin bekommen. Entschlossen sah er auf.
    Kein Problem. Das mache ich. Er schluckte. Kämpfte gegen Tränen an. Noch siegte er. Dies war nicht der Ort. Nicht die Zeit für sentimentales Verhalten. Das würde später Frija im vollen Ausmaße abbekommen.

  • Der Optio tauschte mit dem Legaten einen mehr als erstaunten Blick. "Nehmt sie ruhig mit, nach dem Ding kräht kein Hahn und keine Henne mehr. Es liegt schon ewig in der Restekiste und es ist fast schon ein Wunder, daß es nicht schon lange entsorgt worden ist." Er schloß die Kiste mit einem gezielten Tritt, woraufhin der Deckel zufiel. Daß jemand wegen so einer rostigen Barbarenaxt in Begeisterung verfiel, hätte er nie gedacht. Aber gut, der Mann war ja auch ein Barbar.


    Ursus staunte sehr, was der Optio da zutage brachte. Eine alte Axt, die aber der Beschreibung des Marsers sehr nahe kam. Er nickte dem Mann zu und beobachtete dann die Reaktionen des Sklaven. Der war ja ganz hin und weg, als hätte er einen großartigen Schatz gefunden. "Nun, dann nimm sie und bring sie in Ordnung. - - Danke, Optio, Du hast uns sehr weitergeholfen." Ruja. Er würde Baldemar später fragen, was das bedeutete.

  • Baldemar sah den Blick. Seine Augen verengten sich. Sein Knurren blieb nur ein Grummeln. Die abwertenden Worte über Ruja überhörte der Germane. So wie dieser Mann mit Waffen umging war ein Verbrechen. Der Marser sah den Optio fixierend an. Diese Römer waren die wirklichen Babaren. Sie wussten nichts von der Seele der Waffen.
    Seine Kommentare verkniff er sich.
    Weiter geholfen? Baldemar atmete kurz abfällig aus und drehte sich um. Aber er wusste das er so nicht gehen konnte. Ja. Danke.Optio. Presste er dem Römer entgegen. Weiter geholfen. Mit dem Rücken zu dem Optio sah Baldemar direkt zu Ursus. Seine Augen zeigten, das er nicht begeistert von diesem Mann war. Die Kiefermuskeln arbeiteten. Da war dieser Mann hinter ihm. Da war Ursus. Dieses Spiel kannte er von Septima. Auch da gefiel es ihm nicht. Was nichts änderte.
    Ja. Danke. Eine Pause schloss sich an. Jetzt hatte er keine andere Wahl. Dominus Ursus. Seine Aussprache war hart. Er mochte es nicht. Septima nannte er eher Herrin. Wieso konnte er es jetzt nicht sagen? So war es auch ausreichend. Es war nur ein Titel. Nur eine Bezeichnung. Nichts weiter. Abwartend sah er Ursus an. Ruja hielt er fest in der Hand.

  • Irgendetwas hier ging an Ursus vorbei. Warum knurrte der Germane und sah so grimmig drein? Er hatte doch nun genau das, was er gesucht hatte. Gut, es war in schlechtem Zustand. Doch hatte Baldemar nicht selbst verkündet, daß er die Axt in Ordnung bringen wollte? Irgendwie konnte man es diesem Mann anscheinend nie Recht machen. Der Optio jedenfalls sah erleichtert aus, als Ursus endlich ging und nicht noch eine genaue Inspektion durchführte.


    Ursus hatte es bemerkt. Er hatte gehört, daß Baldemar sich ein „Dominus“ abgerungen hatte. Auch wenn man an dem Tonfall noch arbeiten konnte, so war das doch ein Fortschritt, den er als Pluspunkt für sich verbuchte. Vor anderen war Baldemar also fähig, es zu sagen. Sehr gut.


    Als sie draußen waren, konnte Ursus die Frage nicht mehr zurückhalten. "Was bedeutet Ruja?", fragte er neugierig nach.

  • Das man nicht schlau aus ihm wurde, kannte der Germane gut. Es war ihm gleich. Der Marser folgte Ursus wortlos. Er hasste sich schon für das 'Dominus'. Aber er konnte nichts mehr dagegen unternehmen. Vielleicht sollte er es einmal mit 'Herr' versuchen. Nein. Erstmal nicht. Erstmal nichts mehr.
    Sie waren draußen. Wieder kam eine Frage auf ihn zu. Was es bedeutete? Ruja. Wiederholte er leise. Seine Hand griff fester um den Stiel der Waffe. So heißt die Waffe. Von nun an. Seine Kiefer bissen fest aufeinander. Er kämpfte mit sich. Es ging niemandem etwas an. Würde der Römer es verstehen? Der Germane biss sich auf der Unterlippe herum.
    Der Schmied. Er war mein Großvater. Er hatte mir Ruja geschmiedet.
    Das war zumindest der wichtigste Teil. Er sah sich die Axt noch einmal an. Leicht nickte er. Es war Ruja. Es fühlte sich richtig an.

  • Die Waffe erhielt einen Namen? Gut, von besonderen Schwertern, die Namen hatten, hatte Ursus schon gehört. Bei den Barbaren. Aber eine Axt, noch dazu solch eine heruntergekommene? Ursus beherrschte sich und ließ sich nichts davon anmerken, daß er diese Namensgebung mehr als eigenartig empfand. "Demnach gab es schon einmal eine "Ruja"? War sie dieser ähnlich? Bekommen alle Waffen bei Dir einen Namen oder nur Besondere?" Haufenweise Fragen. Manchmal fragte sich Ursus selbst, wo die eigentlich alle herkamen. Doch er wollte es verstehen. Um letztendlich den Menschen dahinter verstehen und vor allem einschätzen zu lernen. Baldemar konnte ein gefährlicher Mann sein. Einen solchen ließ man nicht in seinen Rücken, ohne ihn sehr gut zu kennen.

  • Baldemar verharrte. Er dachte nach. Seine Mundwinkel zuckten. Seine Schultern ebenso. Kurz biss er sich auf die Unterlippe. Es war nicht leicht solche Fragen so zu beantworten das ein Römer sie verstehen würde. Jedenfalls nicht in seinen Augen.
    Ja. Sie war dieser sehr ähnlich. Kurz hob er die Axt und sah sie sich an. Im Gedanken verweilte er bei seinem Großvater. Nur die besonderen. Gab der Germane schließlich zu. Er ging davon aus, das Ursus es nicht verstand. Aber wie sollte man so etwas auch erklären? Seine Augen sahen fest zu Ursus. Ruja war alles was mich an meinen Großvater noch erinnerte. Er sah das Blatt genau an. Der Span in seiner Hand stach ein wenig. Wie zur Erinnerung. Baldemar lächelte. Er sah sich in die Hand. Untersuchte mit den Augen das Holz in seiner Haut.
    Vielleicht ist es ein Zeichen. Murmelte er. Dann ging er weiter. Völlig in diesem Gedanken verloren war sein Blick fern. Seine Kiefermuskeln arbeiteten. Wenn es ein Zeichen war. Was bedeutete es dann? Frija würde es ihm sagen können.

  • Nur die Besonderen. Ursus merkte, daß er hier etwas berührte, das er wohl niemals würde begreifen können. Dafür war ihm die Lebensweise, der Glaube der Germanen zu fern von dem, was er kannte. "Wer weiß, vielleicht hat sie hier auf Dich gewartet." Eigentlich sollte es ein Scherz sein, aber er kam merkwürdig ernst über seine Lippen, gar nicht wie ein Scherz. Ein kluger Mann hatte einmal gesagt, daß ein jedes Lebewesen seinen Lebenszweck hätte, daß es allerdings fast unmöglich wäre, diesen zu erkennen. Vielleicht mußte Baldemar hier sein, um diese Axt zu finden. Vielleicht hatten sie zusammen eine Aufgabe zu erfüllen... Ursus schüttelte entschlossen den Kopf. Was für ein Unsinn! Er ließ sich hier einwickeln von Geschichten und Legenden! Sollte Baldemar ruhig daran glauben, vielleicht machte es ihm sein Leben leichter. Für Ursus gab es Wichtigeres zu tun. "Dein Großvater wird sich gewiß freuen, daß Du seiner so gedenkst. Halte ihn in Ehren. Auch wir glauben an unsere Ahnen, auch wir ehren sie."

  • Sie hatte auf ihn gewartet? Baldemar sah auf die Axt. Dann auf Ursus. Er dachte ein wenig nach. Nickte aber schließlich. Ja, vielleicht.
    Der Germane hörte nur den Ernst. Und für eben diesen war er dankbar. Nur zeigen wollte er es nicht. Jetzt erst dachte auch der Marser über eventuelle tiefere Bedeutungen nach. Vielleicht war es notwendig das er hier war. Langsam bildete sich ein Bild vor seinen Augen.
    Die folgenden Worte des Legaten klangen recht gut. Aber auch das würde er nicht offen zugeben. Dennoch musste er darüber nachdenken. Er biss sich auf die Unterlippe. Die Hand griff fester um den Stiel der Axt. Ja, das wird er. Ich halte ihn in Ehren.
    Baldemar pausierte kurz. Die Römer ehrten ihre Ahnen. Das wusste er. Aber er hatte sich nie dafür interessiert. Geschweige denn Fragen gestellt. Welchen Ahn ehrst du am meisten?
    Eine sehr persönliche Frage. Aber er wollte ihn besser einschätzen können. Dabei achtete er darauf ihn nicht Ursus zu nennen. Das konnte er sich gerade noch so verkneifen.

  • Puh, Baldemar nahm das mit der Axt wirklich sehr ernst. Ursus ging darauf lieber nicht mehr ein. Er wollte den Germanen nicht verspotten, deshalb ließ er das Thema besser fallen. Über die Ahnen zu sprechen, schien ihm da wesentlich unverfänglicher. "Am meisten ehre ich meine Eltern. Vor allem meinen Vater. Er starb, als ich zur Ausbildung in Griechenland weilte." Sein Tonfall verriet, wie sehr ihn die Nachricht damals getroffen hatte. Doch er wollte davon ablenken und stellte daher die unvermeidliche Gegenfrage: "Welchen Deiner Ahnen ehrst Du am meisten? Deinen Großvater?"

  • Das hörte sich gut an. Er ehrte seinen Vater. Baldemar nickte. Ein schweres Schicksal. Seine Kiefer arbeiteten. Seine Hand zuckte. Er legte sie nicht auf die Schulter des Römers. Auch wenn er es einen Moment wollte.
    Welchen er am meisten ehrte? Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. Gab es so etwas wie eine Rangfolge? Wenn es sie gab. Wer führte sie an? Ja. Gab er knapp zur Antwort. Seine Stimme klang schwächer als sonst. Sein Großvater war ein besonderer Mensch gewesen. Der Germane versuchte oftmals ihm nach zu eifern. Ich wollte seinen Weg gehen.
    So wollte er ihn ehren. Nicht Schmied wollte er sein. Der Marser wollte es menschlich seinem Großvater gleich tun.

  • "Seinen Weg gehen? Was meinst Du damit?" Daß er den Beruf nicht meinen konnte, war klar. Denn Baldemar wäre dann sicherlich in jungen Jahren Schmied geworden. Das war er aber nach seiner eigenen Aussage nicht geworden. So war unklar, was er meinte. Doch sicherlich bestimmte Lebensziele? Vielleicht Familie? Die Kunst, diese zusammenzuhalten und zu schützen?

  • Was meinte er? Der Germane stand nur da. Er überlegte. Seinen Weg. So leben wie er. Nach denselben Regeln. Seine Schultern zuckten. Du weißt schon. Wie man mit den Dingen umgeht. Ein Grinsen zeigte an, das er gerade an seinen Großvater dachte. Wie nur sollte er das alles in Worte fassen können? Das ging nicht. Ernst sah er Ursus an.

  • Sie hatten die Principia beinahe schon wieder erreicht. Und doch lag Ursus noch eine weitere Frage auf den Lippen. "Was genau ist so besonders an dem Weg, den Dein Großvater ging? Ich meine, wo liegt der Unterschied zu dem Weg, den zum Beispiel Dein Vater ging? Oder andere Männer in Deinem Dorf? Was machte Deinen Großvater zu Deinem Vorbild?"

  • Sie gingen auf die Principia zu. Baldemar atmete tief durch. Seine Schultern zuckten. Was so besonders war? Unterschiede? Was machte ihn zum Vorbild? So viele Fragen. Aber es gab nur eine Antwort. Er sah immer WIE die Menschen waren, niemals WAS sie waren. Sein Vater? ER war anders gewesen. Er schaute oft nur auf Taten. Oder hörte dem Gerede von anderen zu. Doch Baldemar hatte nicht vor schlecht von ihm zu sprechen. Denn sein Vater war niemals schlecht gewesen. Nur anders.

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