Die Tagundnachtgleiche war schon lange vorüber, der Herbst hatte alles fest in seinem Griff. Die Ernte war eingefahren und überall begannen die Arbeiten, Haus und Hof winterfest zu machen. Alles Lebende wusste, der Winter nahte. Und er würde so unerbittlich sein wie immer und die strafen, die sich nicht vorbereitet hatten. Die Zeit des Zwielichts war angebrochen.
Und deshalb war Elfleda heute mit den Kindern hier heraus gekommen. Witjon begleitete sie – Elfleda hatte ihn mit einem knappen “Du kommst mit“ höflichst darum gebeten – und so waren sie zu fünft unterwegs. Sie trug Landulf auf dem Arm. Nahas kleiner Bruder konnte sich mittlerweile an dem ein oder anderen Stuhl schon hochziehen und wenn man ihn an beiden Händen festhielt, laufen, aber Mamas Arm war noch immer der schönste Platz. Naha und Audaod liefen selbst, auch wenn Naha immer wieder eifersüchtig auf ihren kleinen Bruder blickte und selbst wohl zu gerne getragen worden wäre.
Witjon wiederum durfte immer wieder Audaod tragen – Naha weigerte sich beharrlich, sich von Witjon tragen zu lassen – und natürlich die Opfergaben. Heute morgen hatten sie Brot gebacken, doch nicht wie üblich. Sie hatten gesungen, Marga, Lanthilda und sie selbst, und Naha zum Mitsingen überreden wollen. Die Lieder waren so alt wie die Zeit selbst und für die Elfen und Waldgeister. Immer wieder hatten sie gesungen 'Kein Kümmel ins Brot, der bringt Elfen große Not'. Und sie hatten auch keinen Kümmel hineingetan.
Danach waren Irrwichte im Haus versorgt worden. Schälchen waren aufgestellt worden und der Boden mit dem obersten Rahm der Milch bedeckt worden. Diese waren verteilt worden, in die Ecken des Hauses, die kleinen Nischen zwischen den Steinen, auf das Gebälk der Decke. Für die Hausgeister und Kobolde, all die kleinen Wesen, die im Dunkeln wirkten.
Und jetzt waren die Geister der Natur an der Reihe. Daher waren sie hierher gekommen in den Wald. Die Stelle, die sie gesucht hatten, war nicht schwer zu finden. Die Eiche war alt. Sehr alt. Ihre Äste breiteten sich so weit aus, dass um sie herum kein kleinerer Baum stand. Jetzt, wo das Laub gefallen war, sah es aus, als stünde sie inmitten einer Lichtung, auch wenn dies im Sommer anders war. Schon vor Urzeiten hatte jemand hier einen Stein aufgestellt, ein einzelner Monolith, der sich aus dem gefallenen Laub grau erhob. Er reichte Elfleda etwa bis zur Hüfte und war gerade so breit, dass sie ihn noch mit beiden Händen hätte fassen können. Sein Gewicht musste gewaltig sein, und er stand hier schon so lange, dass er wie mit der Erde unter ihm verwachsen schien. Moos wuchs an seiner Seite, nun im Herbst auch fahl und gräulich wirkend. Jeder Mensch mit etwas Verstand spürte, dass dies hier ein Ort der Geister war und diesen so sehr gehörte, dass niemand auch nur daran denken konnte, daran etwas zu ändern. Zumindest kein Germane mit Augen und Ohren.
Elfleda trat zu dem Stein und ließ ihre Hand kurz darauf ruhen. Landulf war das ganze etwas unheimlich und er fing auf ihrem Arm an, zu quängeln. Mit einem leisen Summen brachte sie ihn aber zur Ruhe, und den Kopf sicher an ihrer Schulter bergend besah er sich die hersttote Umgebung.