Die Sklavin ließ sich nicht lange bitten und gab ihr Werk zu Gehör. Nun ja, sie war etwas leise, als ob sie sich für etwas Skandalöses schämen müsse. Oder lag es einfach an ihrer Schüchternheit, oder gar an ihrer Angespanntheit, etwas falsch machen zu können? Gleich was es auch war, die Flavia empfand es als störend und machte ihrer Frustration Platz, indem sie „Lauter!“ dazwischenrief. Einem Befehl, dem die Sklavin sofort nachkam. Doch trotz all ihrer Bemühungen, schien Domitilla alles andere als begeistert zu sein. Immer wieder konnte man sie Kopfschüttelnd und wild gestikulierend beobachten.
„Nein, Nein Nein!“, rief Domitilla, nachdem Evridiki geendet hatte. „Ich muss zwar zugeben, dein Brief ist hervorragend formuliert, und er trifft auch den Kern der Sache, aber…“ Domitilla hatte sich erhoben und trat an den Schreibtisch heran, an dem die Sklavin noch immer saß. Dann entriss sie der Sklavin die Tabula und nahm den Stilus zur Hand und versah den in Wachs geritzten Text mit ihrer Korrektur.
Salve Vater!
Ich hoffe, du bist wohlauf und erfreust dich bester Gesundheit und bestem Gemüt. Und doch muss ich dir mitteilen, dass mein eigenes Glück von einem äußerst unpässlichen Umstand getrübt wird: So sehr es mir widerstrebt, dich, Pater, und dein Ermessen anzuzweifeln, sehe ich mich in diesem Fall dazu gezwungen. Denn, so lass mich - in der Hoffnung, du mögest mein Anliegen verstehen - erklären, Der Ehemann, den du für mich wähltest, weckt in mir allzu große Zweifel, ob diese deine Entscheidung die Richtige sein kann. Diese starken Zweifel sind dadurch bedingt, dass die familiären Bindungen dieses Mannes zur Germanischen Stammesherkunft, und der damit einhergehenden Barbarei und Identität als Homines Novi, keine sind, die ich mir und unserer Gens guten Gewissens zumuten könnte. Eine solche Verbindung entspräche nicht meiner Vorstellung eines schicklichen Eherverhältnisses. Ich möchte also erneut betonen, dass ich dich dringendst ersuche, meine Sache anzuhören und deine Entscheidung bezüglich meines künftigen Ehepartners zu überdenken.
Mögen die Götter dir auch in Zukunft gewogen sein,
Domitilla
„In diesem Fall kannst du dir das ganze geheuchelte Geplänkel sparen!“ Domitilla ließ den Stilus auf die Schreibtischplatte fallen und gab der Sklavin die Tabula wieder zurück. „Schreib den Brief neu! Candace wird dir die Adresse nennen. Und dann seht zu, dass der Brief seinen Weg nach Ravenna findet!“
Das Dunkel im Antlitz der Flavia hatte sich inzwischen wieder verflüchtigt. Selbstgefällig ließ sie sich wieder auf ihrer Kline nieder, um sich wieder ihrer Schriftrolle zu widmen. Der Sklavin schenkte sie nun keinerlei Aufmerksamkeit mehr, während sie schrieb.
In der Zwischenzeit war Candace zu der Neuen herangetreten. Wenigstens sie hatte nun ein kleines Lächeln für Evridiki übrig. „Das hast du gut gemacht!“, flüsterte sie ihr zu. Das Mädchen hatte doch gerade bewiesen, welche besonderen Fähigkeiten in ihr steckten. Für Candace war dies eine Bestätigung, auf dem Sklavenmarkt eine gute Wahl getroffen zu haben. „Die Adresse lautet: Cnaeus Flavius Aetius, Villa Flavia, Ravenna.“, fügte sie noch lächelnd bei. Dann trat sie wieder zurück auf ihren Platz im Hintergrund.