Im Auditorium der Academia hatten sich diesmal nur wenige Zuhörer versammelt, dass allerdings nicht weiter überraschend war, handelte es sich doch um einen schweren Cursus, der mit dem Examen Quartum abschließen sollte. Legat Macer verzichtete daher auch auf einen Teil der üblichen Erklärungen zum Ablauf eines solchen Kurses und ging nur auf die Besonderheiten ein. "Sie werden diesmal neben der Beantwortung der Prüfungsfragen auch eine eigene kleine schriftliche Arbeit, die sogenannte Dissertation anfertigen müssen. Da wir uns diesmal mit Schlachten der römischen Geschichte befassen, werden Sie sich als Thema ebenfalls eine Schlacht vornehmen können, die wir in der Vorlesung nicht behandeln werden. Es sollte genug Auswahl geben; ich werde Ihnen gleich sagen, was wir hier behandeln werden. Wenn Sie mir bis in einer Woche angeben, welches Thema Sie behandeln möchten, dann haben Sie insgesamt etwa zwei Wochen Zeit für die Bearbeitung."
Er machte eine kurze Pause, um Fragen abzuwarten und fuhr dann fort: "Wir werden uns mit voraussichtlich sechs Schlachten befassen. Beginnen wollen wir mit drei zeitlich recht eng zusammenhängeden Begegnungen aus den Punischen Kriegen: die beiden verlorenen Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae sowie den Sieg bei Zama. Nachdem wir damit die Konfrontation zwischen Römern und Karthagern intensiv studiert haben, werden wir uns der Seeschlacht von Actium, der Varusschlacht und schließlich der Belagerung von Masada zuwenden. Damit erreichen wir einen gewissen Querschnitt von verschiedenen Schlachttypen und lernen sowohl aus Siegen als auch aus Niederlagen.
Beginnen wir also mit dem zweiten Punischen Krieg, der Ihnen ja hinreichend bekannt sein dürfte. Es ging dabei wie im ersten punischen Krieg um die Vorrangstellung im Mittelmeerraum gegen das punische Reich mit der Hauptstadt Karthago. Die Schlacht am Trasimenischen See fand im Frühjahr 217 v. Chr. am namensgebenden See im Herzen des Kernlandes des römischen Imperiums statt. Der Karthagische Feldherr Hannibal stand im Jahr zuvor in Hispanien und beabsichtigte, Rom auf dem Landweg über die Alpen anzugreifen. Dazu musste er den Winter abwarten, um seinem großen Heer, in dem er u.a. auch Kriegselefanten mitführte, einen sicheren Marsch zu gewährleisten. Die römische Armee war über die Vorbereitungen Hannibals informiert und versuchte, zwei Armeen bei den Städten Ariminium und Arretium zu postieren, um Hannibal sofort nach der Alpenüberquerung in die Zange zu nehmen. Die beiden Heere wurden von den beiden Konsuln Gnaeus Servilius und Gaius Flamininius angeführt.
Selbstverständlich war auch Hannibal durch Kundschafter über die Stellungen der Römer informiert und entschied sich dazu, auf Geschwindigkeit zu setzen: er überquerte die Alpen bereits Ende des Winters, als die Pässe längst noch nicht als sicher angesehen werden konnten. Er verlor dadurch zwar überdurchschnittlich viele Männer und einen großen Teil seiner Elefanten, aber der gewünschte Überraschungseffekt trat ein, da die beiden römischen Heere noch nicht einsatzbereit waren. Sie konnten den Vormarsch nicht verhindern und mussten nun die auf Rom zumarschierenden karthagischen Armee verfolgen. Um den römischen Truppen die Versorgung zu erschweren, ließ Hannibal beim Durchzug die Felder und Bauernhöfe verwüsten. Dabei ließ er aber die Stadt Cortona, etwas nördlich des Trasimenischen Sees, unberührt, um das römische Heer in diese Richtung zu locken. Offensichtlich hatte sich Hannibal auch hier bereits durch hervorragende Aufklärungsarbeit seiner Späher über die römischen Bewegungen und das Gelände informieren lassen.
So kannte er auch die Gegebenheiten am See genau: ein dicht bewaldeter Höhenzug, der den Trasimenischen See vom Tiber trennte liess nur einen schmalen Uferstreifen für den Durchzug einer Marschkolonne. Hier baute er einen Hinterhalt auf, indem er sich mit seiner Armee entlang des nordöstlichen Ufers auf einer Länge von etwa 10 Kilometern in den Wäldern versteckte. Das ihm folgende Heer des Konsuls Flaminius, das gerade wie von Hannibal vorgesehen aus Cortona kam, errichtete ein Nachtlager am nördlichen Ufer des Sees. Tragischer Weise verzichtete Flaminius auf den Einsatz von Kundschaftern, so dass er die in der Nähe versteckten Gegner nicht entdeckte. Er hatte vermutet, sie würden mindestens einen Tagesmarsch voraus in Richtung Rom liegen. Wir sehen hier als, wie Hannibal durch den intensiven Einsatz von Spähern in feindlichem, ihm prinzipiell unbekanntem Gebiet einen Hinterhalt legen kann, während der römische Feldherr sich aufgrund mangelhafter Erkundungsarbeit auf heimischen Terrain in die Falle locken lässt.
Der eigentliche Ablauf der Schlacht ist nach dieser Vorbereitung recht schnell berichtet und nur konsequent: der schmale Weg zwischen See und Höhenzug führte zu einer sehr langgezogenen Marschkolonne, die nur langsam vorrückte. Als sich praktsich die gesamte Armee auf dem engen Weg befand, liess Hannibal beide Enden blockieren und griff die Kolonne auf der gesamten Breite an. Vielen Soldaten gelang es nicht schnell genug, Kampfbereitschaft herzustellen, so dass ein den ersten Augenblicken der Schlacht bereits ein großer Teil der insgesamt 15.000 Gefallenen ums Leben gekommen sein werden. Lediglich die Vorhut von etwa 6.000 Mann konnte aus der Falle entkommen, wurde aber von der karthagischen Kavallerie verfolgt und gestellt. Der selben Kavallerie-Einheit gelang es danach, die von Konsul Servilius aus der anderen Armee geschickten 4.000 Reiter abzufangen, zur Häfte zu vernichten und den Rest gefangen zu nehmen. Auch hier dürfen wir massive Probleme in der Erkundung und der Kommunikation der beiden Heere annehmen, weil Servilius auf den Einsatz seiner gesamten Armee verzichtete.
In der Bilanz ging das komplette 25.000-köpfige Heer des Flaminius, der selber in der Schlacht fiel, durch Gefallene, Gefangennahme oder Zerstreuung verloren. Das Heer des Consuls Servilius verlor die komplette Kavallerie und war dadurch personell und taktisch stark geschwächt. Auf Hannibals Seite gab es lediglich 1.500 Tote; vor allem unter seinen keltischen Hilfstruppen, während sein Hauptarmee fast unbeschadet blieb. Drastischer lässt sich der Erfolg des Hinterhalts wohl kaum darstellen. Ihnen allen ist nun wohl klar geworden, welche enorme Bedeutung der Erkundung in der Kriegsführung zukommt. Wir werden auf diesen Aspekt noch einmal zurück kommen, wenn wir uns mit der Varusschlacht befassen."