Seiana war sich nicht so sicher, ob sie die genauen Umstände überhaupt wissen wollte, wie der Kaiser – und seine Familie! – zu Tode gekommen waren. Es war einfach leichter, Distanz zu wahren, wenn sie nicht zu viel wusste... Distanz, die nötig war, um einen Weg zu finden, der ihnen möglichst viele Optionen offen ließ. Auch wenn das opportunistisch war. Seiana wollte, dass ihre Familie diesen Bürgerkrieg heil überstand. Wenn sie allerdings hörte, so wie jetzt, dass Valerianus' Tod qualvoll gewesen sein musste, wenn sie gezwungen wurde an das zu denken, was sie sonst am liebsten verdrängte – dass auch seine Frau und sein Sohn umgebracht worden waren –, fiel es ihr so viel schwerer sich auf das einzige zu konzentrieren, was doch in ihren Augen wirklich zählte: den Schutz, das Wohlergehen ihrer Familie. Fiel es ihr so viel schwerer sich davon zu überzeugen, dass es wirklich das einzige war, was zählte. Dass es nicht doch noch mehr gab als das... Dinge, an deren Wichtigkeit und Einfluss sie zu glauben aufgehört hatte. „Ja, du... du hast Recht“, murmelte sie, und als sie ihn ansah, lag ein leicht gequälter Ausdruck in ihren Augen. „Nur...“
Sie ließ ihren Satz unvollendet, hörte nur weiter zu und nickte leicht. Lächelte am Schluss sogar, als Faustus von ihren Medici sprach. „Sicher. Soll ich dir für dich den hübschen schicken?“ rang sie sich sogar zu einem Scherz durch, bevor sie wieder ernst wurde. „Ja, das ist gut. Es gibt noch zu viele Gerüchte... Ein öffentliches Geständnis würde die Meinung der Leute sicherlich mehr zu Vescularius' Gunsten beeinflussen.“ Was entscheidend sein konnte im kommenden Bürgerkrieg... Faustus hatte sich entschieden, ganz offensichtlich, und Seiana überraschte das noch nicht einmal. Ihr Bruder war anders als sie, in dieser Hinsicht jedenfalls, er konnte ihre Beweggründe vielleicht nachvollziehen, aber sie bezweifelte, dass er jemals selbst so würde denken oder gar handeln können. Und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie auch gar nicht, dass er an diesen Punkt kam. Es reichte, dass einer von ihnen beiden seinen Idealismus größtenteils verloren hatte. „Meinst du, Vinicius wird sich überzeugen lassen?“