Atrium | Der Tod kennt keine Wiederkehr

  • Ein flavischer Sklave geleitete die Männer, die den Leichnam Pisos aus der Stadt zur Villa Flavia getragen hatten, bis ins Atrium. Dort legten sie die provisorische Bahre auf eine Kline, die zum offenen Raum hin stand, ungeachtet der Flecken, die Staub und Blut auf dem kostbaren Stoff des Polsterbezuges hinterließen, und ein Sklave schlug vorsichtig die Stoffbahnen der Toga zur Seite. Weitere flavische Sklaven eilten herbei, einige um den Trägern Schalen mit lauwarmem Wasser, sowie Seife und Handtücher zu präsentieren, mit denen sie sich Hände und Gesicht waschen konnten, andere trugen Becher und Kannen mit Wein und Wasser heran. Da noch niemand wusste, was genau geschehen war, oder wer darüber Auskunft geben konnte, wurden alle Träger wie Gäste des Hauses behandelt, unabhängig ihrer Bindung zur Familie oder ihres Standes. Die Sklaven indes fühlten sich sichtlich unwohl, versuchten jedoch sich die Bestürzung über den Anblick des toten flavischen Herrn nicht anmerken zu lassen.

  • Bereits vom Ort des grausigen Geschehens war der Sohn eines flavischen Klienten gesandt worden, um Gracchus durch einen Senatsdiener ausrichten zu lassen, dass ein schlimmes Unglück geschehen sei mit seinem Vetter Piso. So unauffällig wie möglich hatte der Senator sich aus der Sitzung entfernt, von welcher er beim Verlassen des Gebäudes schon hatte vergessen, was ihr Inhalt gewesen war, trieben ihn doch die Gedanken an Piso um, wenn auch er noch in keinem Augenblicke an Tod und Sterben dachte, indes in Erwartung durchaus schrecklichen Geschehens, da man ihn gar aus dem Senat hatte gerufen. So trieb er die Sänftenträger zur Eile an, dass sie die Alta Semita empor hasteten und nicht allzu lange nach der Leichenlieferung bereits das flavische Anwesen erreichten. Die weiße Senatorentoga glitt unmittelbar nach der Porta von Gracchus' Schultern, kurz nur hielt er sich auf, sich von den Stoffbahnen zu befreien, ehedem er weiter eilte in den offenen Raum hinein.
    "Was ist geschehen?!"
    donnerte ungeduldig seine Stimme laut zwischen den Säulen des Atrium hindurch, da noch immer niemand ihm hatte mitteilen können oder wollen, was genau sich ereignet hatte. Die Antwort fand sich gleichermaßen vor ihm, auch wenn Gracchus im ersten Augenblick nicht realisierte, nicht begriff und nicht begreifen konnte, dass dies vor ihm die Überreste seines Vetters waren. Niemand antwortete ihm, dass nichts ihm übrig blieb als selbst die Kline zu betrachten, die richtigen Schlüsse zu ziehen, als selbst zu erkennen, was vor ihm lag. Einige Augenblicke wand sich in ihm die Erkenntnis, dass dieses Stück Mensch der Rest des Körpers Pisos war, dass die rotbraunfarbene, stockende Flüssigkeit das Blut war, welches aus Aulus' Innerstem sich hatte nach Außen gekehrt, dass sein Vetter tot war, voller Blut, voll des rotfarbenen Lebenssaftes, der nurmehr Sterbenssaft war, voller Rot, voller Tod.
    "Nein ..."
    , keuchte er fassungslos, dass kaum nur ein Laut aus seiner Kehle drang. Sukzessive, doch nur innerhalb eines Herzschlages, breitete die Flüssigkeit, welche Leben und Tod so inniglich verband, welche für das eine wie für das andere stand, sich aus über Gracchus' Sichtfeld, bedeckte das grausame Bild der Realität zuerst in einem feinen, rotschattigen Schleier, um sich alsbald zu verdichten zu einem undurchdringlichen, dämpfenden Vorhang, welcher sich über ihn legte, um unter sich ihn zu erdrücken. Ohne Bewusstsein sank Gracchus' Körper in sich zusammen und hätte neben seinen toten Vetter auf den steinernen Boden sich gelegt, wäre nicht rechtzeitig Sciurus zur Stelle gewesen, den Leib seines Herrn gerade noch zu packen und zu einer der freien Klinen zu ziehen, um ihn dort abzulegen und sich darum zu bemühen, dass er wieder zu Bewusstsein gelangte.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Eginhard war froh, als ihm die Last des Leichnams abgenommen wurde. Der Klient, der ebenfalls den Toten getragen hatte, schien ebenfalls erleichtert zu sein. Doch niemand sagte etwas. Betretene Stille herrschte. So nahm Eginhard auch nur wortlos die Seife und wusch seine Hände und sein verschwitztes Gesicht, denn Rom war ihm trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit zu warm für anstrengendere Arbeiten. Während er sich abtrocknete, betrat ein weiterer Römer das Atrium. Auf die Frage, was geschehen sei, gab niemand eine Antwort. Eginhard hielt es für die Aufgabe des Klienten, den Fragenden zu unterrichten, doch dieser tat es nicht. Noch bevor der Friese sich entscheiden konnte, selbst das Wort zu ergreifen, brachte der neu hinzugekommene Römer selbst in Erfahrung, was geschehen war. Oder zumindest, was das Resultat des Geschehens war. Womöglich hätte ihn jemand auf den Anblick vorbereiten sollen. Bei der Reaktion, die Eginhard nun beobachtete, war er sogar überzeugt davon, dass jemand den Römer hätte vorbereiten sollen. Doch so konnte er nur mit ansehen, wie dieser ohnmächtig wurde. Eginhard blieb weiter still und wartete.

  • Herrin... deinem Bruder ist etwas zugestoßen. Die Worte echoten in Nigrinas Kopf, während sie steif in der Sänfte saß und die Träger am liebsten zu noch mehr Geschwindigkeit angeprügelt hätte. Deinem Bruder ist etwas zugestoßen. Es war nahe Mittag gewesen, und Sextus und sie waren gerade dabei gewesen, es sich im Triclinium für das Essen bequem zu machen, als der Bote herein gestürzt kam. Und sein Tonfall, seine Mimik waren ernst gewesen, so ernst, dass Nigrina sich nicht damit aufgehalten hatte, sich aufzuregen über sein plötzliches Eindringen, was ihre erste Reaktion gewesen war, bevor er seine Botschaft überbracht hatte. Sie hatte sich auch nicht damit aufgehalten, irgendwelche Fragen zu stellen, so bald klar wurde, dass der Mann alles gesagt hatte, was er wusste. Deinem Bruder ist etwas zugestoßen. Der Bote war zu Luft für sie geworden, kaum dass er geendet hatte... und auch Sextus hatte sie nicht mehr wirklich eines Blickes gewürdigt. Stattdessen hatte sie nach der Sänfte gerufen – nein, nicht gerufen. Ihre Stimme war sogar eher leise gewesen... mit einem eisigem Unterton, der noch weniger Widerspruch duldete als einer ihrer Wutanfälle, aber: ihre Stimme war leise gewesen. Ein kaltes Etwas schien sich um ihre Brust zu legen und zuzudrücken, während sie sich eine Palla bringen ließ und stumm nach draußen ging, ohne wirklich zu registrieren, dass ihr Mann ihr folgte. Ihre Gedanken kreisten um ihren Bruder. Aulus war etwas zugestoßen, und es musste irgendetwas Schlimmes sein, sonst würde man sie kaum sofort rufen lassen.


    Der Weg, sonst eigentlich verhältnismäßig kurz, lagen die Villen doch nicht so weit auseinander, schien ihr nun viel zu lang zu werden. Sie saß ruhig in der Sänfte, ihre Miene völlig regungslos, und nur der schmale, blutleere Strich, zu dem ihre Lippen geworden waren, sowie die Bewegungen ihrer Finger, mal auf ihr Bein klopfend, mal sich streckend, mal sich zu Faust ballend, gaben einen – dafür umso deutlicheren – Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie blieb stumm während des Wegs, und wenn Sextus sie tatsächlich angesprochen hatte, hatte sie davon nichts gemerkt – zu sehr waren ihre Gedanken gefangen in der Spirale rund um Aulus. Sie hatte keine Ahnung, was geschehen sein könnte. Sie wusste, dass Prisca eine Fehlgeburt gehabt hatte... sie hatte scheinbar lange darunter gelitten und sich extrem zurückgezogen gehabt, nach allem, was Nigrina aus dem flavischen Haushalt gehört hatte. Und auch Aulus hatte das getroffen... er hatte sich, obwohl eben erst genesen von seiner langen Krankheit, gleich wieder eingegraben und war kaum ansprechbar gewesen, für niemanden, wie es schien. Und jetzt... jetzt diese Nachricht. Etwas zugestoßen. Etwas. Etwas. Zugestoßen. Nigrina presste ihre Lippen noch mehr aufeinander... und dann waren sie endlich da. Sie verließ die Sänfte, schnell, aber dennoch darauf achtend ihre Contenance zu wahren, nicht gehetzt zu wirken. Außenwirkung war alles.
    Die Mühe, auf den Ianitor zu achten, gab sie sich allerdings dann wiederum nicht. Sie ignorierte auch ihn und rauschte nur an ihm vorbei in die Villa hinein. Ins Atrium. Und dort sah sie ihn. Er lag auf einer Bahre, die wiederum auf eine Kline gelegt worden war, die Falten seiner Toga völlig zerstört, das Blütenweiß verunstaltet durch jede Menge Staub und Dreck – und durch dunkelroten Schlieren. Und irgendetwas in Nigrina übernahm die Oberhand über ihr Handeln, ihr Denken, ihr Fühlen. Langsam ging sie auf die Kline zu, besah sich ihren Bruder dabei, wie er da lag, so... blass, so... leblos. So ganz anders, als sie ihn kannte. Tot. Ihr Bruder war tot. Nach Leontia und Vera jetzt auch Aulus... und damit der letzte, außer ihr. Die Kleine, die ihr Vater nun zu sich geholt hatte, zählte da einfach nicht wirklich. Sie war nicht mit ihnen aufgewachsen, sie... gehörte nicht dazu.
    Bei der Kline angekommen ließ Nigrina sich auf die Knie sinken, und ebenso langsam wie zuvor ihre Schritte gewesen waren, hob sie eine Hand und berührte ihren Bruder. Strich über seine Haare, seine Stirn, seine Wange. Starrte ihn an. Und wusste überhaupt nicht einzuordnen, was da überhaupt wirklich passiert war, vermochte es noch nicht wirklich zu realisieren, dass Aulus... tot war.

  • Blinzelnd suchte Gracchus die Dunkelheit vor seinen Augen zu vertreiben gleich des Schreckens, welcher ihm in den Gliedern steckte, hielt sich an dem trauten Antlitz seines Sklaven fest, an dessen ausdruckslosen, graufarbenen Augen.
    "Ich ... ich hatte einen furchtbaren Albtraum"
    , flüsterte er tonlos mit einem Funken von Hoffnung im Herzen, denn es war nicht selten, dass Träume dieses Ausmaßes ihn plagten, welche im Schlaf ihm stets ebenso wahrhaftig erschienen wie die Realität, so dass es auch in diesem Falle derart musste sein, dass der Tag eben erst angebrochen war, oder allfällig auch schon der nächste, oder sonst ein friedlicher Tag, der auf den Schrecken der Nacht folgte. Doch Sciurus schüttelte nur bedauernd den Kopf. "Es war kein Traum, Herr. Dein Vetter ist tot." Gracchus schloss einen Augenblick seine Augen und verzog das Gesicht, denn er wollte nicht akzeptieren, dass Pisos Leben mit so wenigen Worten beschrieben, beendet war, nicht akzeptieren, was dies bedeutete. Doch wie stets in Hinblick auf solch gewichtige Dinge wie das Leben kümmerte das Schicksal, kümmerten die Götter oder sonst irgendwer nicht sich darum, was Gracchus wollte oder darum was er fühlte. So suchte auch er, die aufgewühlten Emotionen in seinem Inneren zu unterdrücken, in eine der schmalen Kammern im tiefen Keller seines Gedankengebäudes zu verbannen, wo allfällig er sie würde vergessen können oder aber sie irgendwann sich gewaltsam zurück empor würden kämpfen.
    "Bedecke den Lei'hnam und hänge einen Zweig an die Porta"
    , bestimmte er zögerlich, sich an Ritus und Tradition klammernd, um eine Richtung zu finden im Chaos seiner Gedanken.
    "Dann ... lasse einen Libitinarius kommen, er soll sehen, was er noch tun kann, dass wir Aulus zumindest ein oder zwei Tage noch auf..bahren können."
    Viel mehr würden die schweren Verletzungen vermutlich nicht zulassen, doch Gracchus wollte in jedem Falle die Tradition gewahrt wissen. Mühevoll, so als liege alle Last der Welt auf seinen Schultern, stemmte er sich von der Kline empor und suchte Pisos Überreste nicht direkt anzublicken, da ihm nur allzu bewusst war, dass er die Menge an Blut auf seinem Leib nicht würde ertragen können - so dass er auch Nigrinas Anwesenheit vor dem Leichnam noch nicht bemerkte.
    "Wer hat ihn hier her gebracht?"
    fragte er sodann in Richtung der Männer, die in blutverschmierten Gewändern im Atrium standen, seine Stimme nun wieder so fest als betreffe dies alles nur irgendeine Amtshandlung.
    "Wart ihr dabei als es geschah?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Wenngleich selbstverständlich nicht sofort, so war doch schon bald auch ein Bote in die Basilica Iulia entsandt worden, wo die centumviri tagten, um auch Flavius Flaccus von den schrecklichen Ereignissen in Kenntnis zu setzen. Jener, durch das ihm aufgebürdete Amt des Decemvirats gezwungen, den Hundertmännern in Erbschaftsprozessen vorzustehen, konnte nicht einfach ohne weiteres wehender Toga aus der Gerichtshalle eilen, sodass es einige Zeit in Anspruch nahm, bis schließlich eine Vertagung des Prozesses ob der besonderen Umstände erwirkt war. Erst nach und nach drangen die Worte des Boten nun endlich in die bewussten Felder seiner Wahrnehmung vor, als der junge Flavius raschen Schrittes durch die Gassen eilte. Wieder und wieder hallten sie nun jedoch durch seinen Kopf, dröhnend, gewaltvoll. Der Senator Flavius Piso kam bei einem Unglück ums Leben. ... einem Unglück ums Leben. .... Unglück ums Leben. Unglück. ums. Leben. ums Leben. Piso? bei einem Unglück? Pochend fühlte Flaccus sein Herz gegen die brennende Brust hämmern, sein Atem ging flach während er den Hügel hinauf eilte. Welches Unglück sollte Piso ... Es musste eine Verwechslung sein. Ja, ganz sicher. Flavius Piso, ein Pontifex Roms - von den Göttern umschirmt. - Welches Unglück sollte einen solchen Mann treffen? Flavius Piso, ein Senator Roms - wer würde es wagen, sich an der purpurnen Brust zu vergehen?


    Die Tür schlägt auf. Hinein ins Atrium eilt der Flavier. Versteinerte Mienen, elende Blicke. Weißer Stoff, rot verfärbt. Blut stört die Harmonie, das friedliche Bild, Blut eines Opfers? Flavius Piso kam bei einem Unglück ums Leben. Dahingesunken vor dem blutigen Nachtmahr eine Frauengestalt. Eine kräftige Stimme ruft den jungen Flavius zurück. Gracchus' Worte klangen bestimmt, beinahe pragmatisch, ganz so, als ob er hier als Magistrat spräche, als Pontifex, als Senator. Zu paradox schien dieses grausame Bild, als um es für real zu halten. Die ganze Szenerie, die blutverschmierten Männer, der bestimmende Senator, die kniende Frau, die erst jetzt in die Gestalt Nigrinas sich zu wandeln scheint, und inmitten aller der unschöne Nachtmahr, der Tote, der sein Onkel sein sollte. Schillerndes Trugbild, grausamer Streich der Moiren schien es dem jungen Flavius, der nun erst gänzlich ins Atrium trat, zögerlichen Schrittes sich jener unheimlichen Mitte des Geschehens näherte, die Bahnen der Toga verrutscht, der Blick seltsam verklärt. In unmittelbarer Nähe Nigrinas stockte er, kam zur Ruhe, zwang sich, den Blick entgegen eines starken Dranges nicht abzuwenden, sondern fest zu richten auf das schreckliche Bild, das ihm einem Schwertstoß gleich in die Eingeweide fuhr, sodass er sich, ob des unvermuteten Schmerzes intuitiv zusammengekrümmt, an der Kline abstützen musste, um nicht zu fallen, schwer atmend, während sein Blick gebannt auf das Antlitz des Toten gerichtet blieb.

  • Nach und nach trafen die Verwandten des Toten ein. Eginhard konnte es anhand der Reaktionen zumindest vermuten. Er selbst jedoch verzog keine Miene, wozu auch. Doch dann erwachte der ohnmächtig gewordene wieder, und mit einer gewissen Bewunderung nahm der Friese zur Kenntnis, dass der Römer den Schock über den Tod seines Verwandten so weit überwunden hatte, dass er nun Anweisungen geben konnte.


    Und dann kamen die beiden Fragen, die früher oder später gestellt werden mussten. Wer hat ihn hier her gebracht? und Wart ihr dabei als es geschah? Sofort beanspruchten einige der anwesenden Klienten dieses "Verdienst" für sich. In gewisser Hinsicht konnte man die Eskortierung des Toten auch so betrachten, doch es war schnell klar, dass sie, außer mitzulaufen, nichts getan hatten. Letzlich deutete einer der Männer auf den Römer, der zusammen mit Eginhard den Leichnam getragen hatte. Das Geplapper verstummte langsam, und der Römer begann zu sprechen, unterwürfig im Tonfall. "Ich habe den Senator Flavius Piso hierher getragen, mein Patron. Lucius Montanus Tertius. Dabei geholfen hat mir dieser Mann." Er deutete auf Eginhard. Dieser verneigte sich kaum sichtbar, doch einem geübten Politiker sollte diese Verneigung dennoch auffallen. "Er war vor mir am Unglücksort und kann vielleicht mehr zum Tod des ehrenwerten Senators Flavius Piso sagen."


    Eginhard nickte. "Ich habe das Unglück gesehen. Doch zunächst, Flavius," da er den Namen des Manius Flavius Gracchus nicht kannte, blieb ihm nur, den seiner Meinung nach sicheren Namen des Fragenden zu verwenden, "möchte ich dir mein ehrliches Mitgefühl ausdrücken. Es ist niemals leicht, den Tod eines Verwandten in der Blüte seines Lebens zu ertragen." Dabei war er ein Bild der dignitas, wie es auch einem Römer gut zu Gesichte gestanden hätte. Mehr Informationen gab er zunächst nicht, da er nicht sicher war, ob er vor allen Anwesenden den Tod des Senators schildern sollte. Dazu war er zu wenig bewandert in der römischen Etikette.

  • Tilla war zu Hause und ihre Herrrin war in Begleitung Maras ausgegangen. Die neue Sklavin Priscas sollte bei Händlern vorgestellt werden bei denen Prisca besonders gerne einkaufte. Nachher sollte Tilla beide Frauen in der Stadt vor einem bestimmten Schnelder treffen und nach Hause geleiten. Bestimmt hatte die Herrin so viel eingekauft, dass Mara unmöglich alles alleine heimtragen konnte. Von diesem Gedanken im Kopf wurde sie von Saba, die wieder einmal zufällig zum Klatsch und Tratsch in der Villa Flavia eingetrudelt war, abgelenkt. Lächelnd hörte sie einer lustigen Begebenheit Sabas aus ihrer Vergangenheit zu und musste lachen, bis ihr die Tränen kamen.


    Das Zusammensitzen der beiden Sklavinnen wurde von einem hereinstürzenden Sklaven unterbrochen. Er berichtete allen Anwesenden atemlos, dass dem Ehemann Priscas etwas hässliches zugestoßen war. Tillas amüsierte Miene verwandelte sich augenblicklich in eine besorgte Miene. Wenn das wahr war... was konnte Prisca noch schlimmer treffen?? fürchtete sie sich und stand hastig auf. Saba tat es ihr gleich und gab kund, dass sie Esther holen lassen würde. Dem hereingestürzten Sklaven bat sie auch Hektor die schlimme Nachricht zu überbringen. Tilla verabschiedete Saba, die den Seitenausgang nahm und eilte ins atrium.


    Sciurus und Manius Flavius Gracchus, Flavia Nigrina und ihr Ehemann Sextus Aurelius Lupus, ein fremder großer Mann und eine schnatterndere Klientenschar bevölkerten den sonst so leeren Raum. Sie trat gerade aus dem Gang als Quintus Flavius Flaccus eintraf. Stumm beobachtete sie seinen Weg bis zur Kline und folgte ihm wenige Schritte später hinterher. Die Toga des jungen Mannes war verrutscht. Ein kleiner Schritt zur Seite noch und sie konnte sehen, dass es Piso nicht gut ging. Nein, es ging ihm überhaupt nicht gut. Er war tot. Priscas Ehemann! So unerwartet der Tod des Herren auch war... sie konnte es schlichtweg nicht fassen. Ihr Herz klopfte immer schneller. Tamdadadamdamdam! Ihre rechte Hand wanderte auf die Schulter von Flaccus und drückte sie sachte. Oh nein! Tilla betete inständigst zu den Göttern, dass Prisca sich an ihr vereinbartes Treffen hielt und nicht früher heimkehrte. Dieser erneute Schicksalsschlag würde ihre Herrin erneut umhauen.


    Der Tod hatte erneut zugeschlagen. Der wievielte Todesfall war das in den letzten Monaten?? Während sie sich zu sammeln versuchte, lauschte sie den Stimmen, die zu hören waren. Tillas Blick wanderte zum überaus großen Mann namens Eginhard, der gerade sein Beileid für den Hausherrn der Villa ausgesprochen hatte. Oh bitte.. sag doch was passiert ist! flüsterte sie stumm mit dem Hauch eines Flüstertones. Irgendjemand musste sich um Nigrina kümmern und dieser irgendjemand wollte Tilla nicht sein. Sie trat näher an Flaccus heran und legte ihm ihre Hand an die Wange. Ob er jetzt 'wach' wurde? Als er über sie gestürzt war, hatte diese Geste hatte ihm geholfen aus seiner Orientierungslosigkeit zu reißen. Mit einem sachten Kopfnicken machte sie ihn auf die trauernde junge Frau aufmerksam. Prisca ist in der Stadt! Ich hole sie ab und bringe sie heim. informierte sie ihn.

  • Gerade wollten sie eine Kleinigkeit zu Mittag zu sich nehmen, als ein Sklave einen Boten aus der Villa Flavia angekündigt hatte. Sextus hatte sich schon gefragt, was es geben konnte, dass es für nötig befunden worden war, ihn und seine Frau (vermutlich vornehmlich seine Frau und lediglich in zweiter Instanz ihn) jetzt zu stören und nicht zu warten, bis sie wenigstens mit dem Essen fertig waren. Als der Bote dann damit rausrückte, hätte der Aurelier unter weniger selbstbeherrschten Umständen auch mit den Augen gerollt. Irgendwie überraschte es ihn weniger, dass sein Lieblingsschwager für diese Störung verantwortlich war, wenngleich die Nachricht ernst klang.


    Nigrina wollte sofort zur flavischen Villa, und so begleitete er sie natürlich. So abwesend, wie ihre Gestik und Mimik sich präsentierte, versuchte er gar nicht erst, sie aus ihren Gedanken zu reißen. Sie würde es ihm kaum loben, im Gegenteil wohl eher einen ihrer üblichen Wutanfälle bekommen. Also schwieg er, ließ sich in der Sänfte hinüber zur Villa Flavia schaukeln und betrat hinter seiner Frau das Atrium.
    Die Bahre mit dem darauf liegenden Flavier war nicht wirklich zu übersehen. Allerdings war sein Zustand dann doch etwas außergewöhnlicher. Seine Weise Toga war nicht nur dreckstarrend und blutbesudelt, sondern hatte auch ein paar vom Schneider so nicht vorgesehene Risse und Löcher vorzuweisen. Auch Piso selbst gab nicht unbedingt das ab, was man eine schöne Leiche nannte. Er sah aus, als wäre er erschlagen worden – wörtlich. Was auch immer geschehen war, es war schmerzhaft gewesen.


    Flaccus kam ebenso herein und tat es Nigrina gleich, sank an der Kline nieder und wirkte abwesend. Gracchus unterdessen kam gerade scheinbar zu sich, gestützt von seinem Sklaven, und verlangte nach einer Erklärung, bekam stattdessen aber zunächst einmal Kondolenz.
    “Die Schicksalsgöttinnen sind wahrhaft grausam an diesem Tag“, meinte Sextus mit der gebührenden Gravitas zu diesem Ereignis. Und wahrlich waren sie grausam, fand Sextus, brachten sie ihn doch um ein besonderes Vergnügen. Er wollte seinen Schwager nur zu gern selbst umbringen nach all den kindischen Schmähungen, die dieses Kind im Körper eines Erwachsenen ihm angedeihen hatte lassen, einzig aus dem Grund, dass ihm die Ehre seiner Familie nicht so gleichgültig war wie dem Flavier, der nur seine Gelüste an Prisca stillen hatte wollen. Hörte er da ein Stimmchen in seinem Inneren echoen? Wollte ihn selber umbringen. Selber. Umbringen. Selbst. Umbringen.
    Nein. Wäre auch albern gewesen.
    Sextus Gedanken kreisten viel eher um die Folgen, die sich daraus ergaben. Leider hatte er keine Ahnung, ob Piso seine Schwester wohl entsprechend in seinem Testament bedacht hatte, so dass dieser Umstand trotz aller Ärgerlichkeit – man denke nur an den nun verfallenen Gefallen, den der Tote ihm noch schuldete! - noch positiv sein könnte. Doch vermutlich hatte er das meiste davon seiner Frau angedeihen lassen, in die er ja ach so sehr verliebt war, nach eigenen Worten. Sextus würde es herausbekommen. Sofern der Flavier ein Testament hatte, würde es in den nächsten Tagen den Sitten gemäß im Kreise seiner Familie verlesen werden.


    Eine Sklavin kam herein. Gehörte die nicht Prisca? Sie kam Sextus entfernt bekannt vor, was aber nichts heißen musste. Er schenkte Sklaven allgemein kaum mehr Beachtung als den Zimmerpflanzen – und er war bei weitem kein so großer Pflanzenliebhaber wie Marcus Corvinus es gewesen war. Dennoch kam sie ihm bekannt vor.
    Was ihn aber weniger irritierte als die Tatsache, dass diese Sklavin den Eindruck, den Sextus bislang vom flavischen Hausstand hatte, gehörig umdrehte. Tatschte sie da so gänzlich ungefragt einfach Flavius Flaccus an? Es war ihm ja im Grunde egal, ob Flaccus eine Sklavin vögelte, und sogar, ob er für jene Gefühle hegte oder diese eben für ihn. Allerdings fand er es doch etwas würdelos, dass er sein Betthäschen offensichtlich nicht gut genug unterwiesen hatte, die dignitas eines Toten zu ehren. Noch dazu eines Verwandten von ihm. Und stattdessen hier in dieser Szene sich derartig aufführte.
    Nach der Art und Weise, wie Nigrina ihre Sklaven behandelte – in seinen Augen nämlich durchaus standesgemäß, wenngleich manchmal etwas verschleißend, doch nie ungebührlich – hatte er darauf geschlossen, dass alle Flavier einen ähnlich hohen Wert auf Standesunterschiede legten. Offensichtlich nicht.


    Er riss sich von der verstörenden Szene los und widmete sich stattdessen den Männern, die Piso offenbar hergebracht haben. Und der Person, die hier noch fehlte, und um deren Wohlergehen sich zu sorgen sich für ihn durchaus ziemte. “Wo ist Prisca?“ erkundigte er sich bei niemandem bestimmten.

  • Zitat

    Original von Eginhard


    ...
    Eginhard nickte. "Ich habe das Unglück gesehen. Doch zunächst, Flavius," da er den Namen des Manius Flavius Gracchus nicht kannte, blieb ihm nur, den seiner Meinung nach sicheren Namen des Fragenden zu verwenden, "möchte ich dir mein ehrliches Mitgefühl ausdrücken. Es ist niemals leicht, den Tod eines Verwandten in der Blüte seines Lebens zu ertragen." Dabei war er ein Bild der dignitas, wie es auch einem Römer gut zu Gesichte gestanden hätte. Mehr Informationen gab er zunächst nicht, da er nicht sicher war, ob er vor allen Anwesenden den Tod des Senators schildern sollte. Dazu war er zu wenig bewandert in der römischen Etikette.


    Einen marginalen Augenblick durchzog der ein wenig zynische Gedanke Gracchus' Sinne, dass es oftmals Tode waren, welche die gesamte Familie zusammen brachten, so auch in diesem Falle, da die Nachricht über Pisos' Tod sich alsbald in Rom zu verbreiten schien - was ob der spektakulären Misere, welche einen derart zerschundenen Leichnahm hatte hervorbringen können zweifelsohne nicht verwunderlich war. Doch noch immer galt Gracchus' Interesse eben dieser Misere in allen Einzelheiten, dass ein wenig ungeduldig er das Schnattern der Klienten mit harschen Worten wollte unterbinden als endlich Montanus Tertius sich äußerte. Gracchus kannte den Mann flüchtig - es war der Sohn eines ehemaligen Soldaten, eines von Aristides' Klienten, welche nach seines Vetters Abschied aus Rom zu Gracchus' Klientel übergewechselt waren. Monatius Tertius betrieb ein eigenes kleines Gewerbe, mit welchem er auch seinen betagten Vater unterhielt, doch Gracchus entsann sich in diesem Augenblick nicht dessen, was genau es war, wiewohl dies ohnehin mehr als unwichtig schien. Doch der Klient hatte kaum etwas zu berichten, verwies nur an einen großen, gut gebauten Hünen mit rötlichblondem Haar und hellen, blauen Augen - eine Erscheinung, welche zu einem anderen Zeitpunkt durchaus hätten eine gewisse Anziehungskraft auf Gracchus ausüben können. Indes schien auch dieser nicht bereit ohne weiteres verlautbaren zu wollen, was geschehen war, was Gracchus innerlich durchaus ein wenig sekkierte. Doch er supprimierte diese Emotion gleich den übrigen.
    "Ich danke dir im Namen der gesamten Flavia."
    Er zögerte nur kurz.
    "So beri'hte bitte, was genau geschehen ist."
    Da Piso nicht Teil der Verschwörung gewesen war, gab es für Gracchus keine Notwendigkeit das Geschehene vor den übrigen Familienmitglieder geheim zu halten, denn was immer auch geschehen mochte sein, sie alle hatten ein Anrecht darauf, es zu wissen, wiewohl ihm hernach die Last erspart würde bleiben, es selbst ihnen mitzuteilen.
    "Und nenne mir deinen Namen."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Eginhard neigte kurz seinen Kopf in Anerkennung des geäußerten Dankes. "Mein Name ist Eginhard, Sohn des Fürsten Eginhard der Frisii von der Insel Niederoog," stellte er sich vor. Dann rief er sich die Szene in den Sinn und berichtete. "Der Senator Flavius Piso war ging durch eine Straße der Subura und war etliche Schritt vor mir. Plötzlich gab es ein Rumpeln, zunächst ein leises Grollen, dann schnell lauter werdend und eine Insula brach in sich zusammen. Genauer gesagt brachen nur die obersten Geschosse zusammen. Durch den Staub, der mit diesem Kollaps einher ging konnte ich den Senator im Augenblick seines Todes nicht sehen, doch das, was ich einen Wimpernschlag zuvor sah, war der Giebelbalken der Insula. Dieser schoss, einem Wurfspeer gleich, auf den Senator zu. Ich bin dann zu dem Trümmerhaufen geeilt, um, falls möglich, zu helfen. Auch kamen recht schnell einige Schaulustige hinzu, die aber nicht halfen. Einer wollte den Senator durchsuchen, doch ich hielt ihn davon ab. Dann traf auch schon Montanus Tertius ein, der seine Toga für die Bergung zur Verfügung stellte und wir bargen Flavius Piso und brachten ihn hierher. Die restlichen Klienten stießen unterwges hinzu und eskortierten uns." Sein Bericht war ohne jede Hast vorgetragen und ohne jede Emotion. Ein Tatsachenbericht. Lediglich im letzten Satz schwang kaum merklich Verachtung mit, hatte doch niemand Anstalten gemacht, beim Tragen mitzuhelfen. "Auch wenn ich kein Medicus bin," fügte Eginhard dann noch an, "bin ich der Meinung, dass der Senator Flavius Piso tot war, bevor sein Körper auf den Boden auftraf. Die Wucht, mit der ihn der Balken traf, muss ihn sofort getötet haben." Eginhard versuchte, durch diese Worte etwas Trost zu spenden, was er auch durch seine Stimme und Gestik zu unterstützen suchte.

  • Glasige Augen.
    Hände wie Eis.
    Er ist so kalt jetzt,
    und war doch mal so heiß.


    Tot zu sein ist komisch.


    Gestern so poltrig,
    heute so still.
    Gestern noch prächtig,
    heute schon Müll.


    Tot zu sein ist komisch.
    Tot zu sein ist komisch.


    ~ aus: Tanz der Vampire ~



    Aulus. Ihr Bruder. Der, mit dem Nigrina auf eine gewisse Art noch am meisten verbunden hatte, der ihr noch am nächsten gewesen war. Leontia hatte sie bewundert und ihr nachgeeifert, aber der Altersunterschied war zu groß gewesen und sie war zu früh gegangen, als dass daraus eine innigere Beziehung unter Schwestern hätte werden können. Vera... mit Vera war sie nie klar gekommen. Vera war ihr zu... entrückt gewesen, zu kühl, zu abweisend, zu fragil, zu sensibel, zu empfindlich. In Nigrinas Augen traf das alles irgendwie auf Vera zu. Mit Aulus hingegen hatte sie streiten können, wunderbar streiten. Selten war er ihr ein Wort schuldig geblieben, nie hatte er sie auflaufen lassen, wie Sextus das so gerne tat, wenn sie – was mittlerweile nur noch selten vorkam – in seiner Gegenwart ihrer Wut freien Lauf ließ. Sicher hatte Aulus sich auch oft genug daneben benommen, sich manchmal regelrecht unmöglich aufgeführt, und das nicht nur im privaten Bereich – in dem es Nigrina völlig egal war –, sondern auch öffentlich, was nun, da sie erwachsen waren, nicht mehr tragbar war. Dennoch war und blieb Aulus derjenige, mit dem sie noch am meisten verbunden hatte, und deswegen fiel es ihr nach wie vor schwer, wirklich zu begreifen, was da los war... Sie hatte ein wenig das Gefühl, in einer gedämpften, wolkigen Umgebung zu schweben, und ihre übliche Art schaffte es noch nicht, durchzudringen, die Oberhand zu gewinnen und alles andere zu unterjochen.
    So kniete sie nach wie vor nur neben der Leiche ihres Bruders, starrte ihn weiter an, während ihre Finger sachte über ihn glitten... vom Kopf hinunter, über das Kinn, den Hals, bis zu seiner Brust, die so verunstaltet war, ungeachtet dessen, dass sie selbst dadurch Blut abbekam, auf ihren Händen, auf ihrer Kleidung. Für diesen einen Moment interessierte sie das gar nicht. Zu... seltsam war die ganze Situation hier. Zu unwirklich. Und wie als Reaktion darauf machte sich in ihr eine Art morbider Faszination breit. Das hier war anders als bei Leontia, deren Leiche sie nie gesehen hatte. Es war auch anders als bei Vera, die... einfach nur so still und kühl und zerbrechlich wie zu Lebzeiten gewirkt hatte. Aulus dagegen war... zerstört. Wie im Leben, so im Tod, dachte sie unwillkürlich. Aulus musste immer seinen besonderen Auftritt bekommen. Und dabei immer irgendwie übertreiben.


    Nigrina bekam wenig mit von dem, was um sie herum vorging – erst als jemand wiederholt danach fragte, was passiert war, und ein anderer Jemand nun zu einer Antwort ansetzte, kam sie ein Stück weit in die Realität zurück. Sie verharrte, wie sie war, rührte sich nicht, sah weiter ihren Bruder an, aber sie hörte zu, aufmerksam, gebannt. Und was sie zu hören bekam, trug nun nicht unbedingt dazu bei, ihr Gemüt zu beruhigen. Subura? Was um alles in der Welt hatte Aulus in der Subura getrieben? Selbst wenn das der schnellste Weg irgendwohin war, wer setzte denn schon freiwillig einen Fuß in die Subura, und dann noch allein? Und wie er gestorben war... begraben unter einer eingestürzten Insula. Fantastisch. Aulus hätte sich mit Sicherheit einen heldenhafteren Tod gewünscht, irgendetwas, wo er eine holde Maid – am besten Prisca – vor irgendwelchen Räubern oder Monstern rettete. Etwas in der Art wie Theseus. Mit dem kleinen Unterschied, dass Helden normalerweise nicht draufgingen. Aulus' Tod glich noch nicht einmal dem Ikarus', denn der hatte da wenigstens nach Höherem gestrebt... und... Nigrina schloss die Augen, als ihr mit plötzlich Wucht klar wurde, was Aulus' Tod noch bedeutete. Aulus. Senator und Pontifex. Mit weiteren Karrieremöglichkeiten vor ihm. Und ihr Bruder. Und jetzt? War sie die Schwester eines toten Senators und Pontifex. Und kein anderer Bruder in Sicht, dessen Macht und Einfluss auch ihren Status würde heben können. Nur ihr Cousin, den ihr Vater verabscheute. Und ihr Mann, dessen Karriere für sie freilich elementar war... von dem sie sich allerdings zugleich auch nicht zu sehr abhängig machen wollte. Ehen konnten jederzeit geschieden werden, und dann musste es irgendjemanden in ihrer näheren Familie geben, der hoch genug in der Politik angesiedelt war, dass sie davon auch profitieren konnte. Sie würde mit Gracchus reden müssen, würde sich dessen versichern müssen, dass er in einem solchen Fall für sie da sein würde. Ihr Vater würde im Quadrat springen, aber ihr Vater lebte auch nicht in dieser Schlangengrube, die sich Rom nannte, und sein Einfluss mochte in Ravenna groß sein, und in Wirtschaft und Handel auch nach Rom reichen, aber nicht, was die Politik betraf. Aulus' Tod könnte das Gleichgewicht in verschiedenen Bereichen zu ihren Ungunsten verschieben, und sie gedachte, dem entgegen zu wirken.


    Mit einem Ruck stand sie auf und trat einige Schritte zu Gracchus und dem Fremden. Was hatte der noch gleich gesagt wo er herkam? Im Grunde egal. Es war irgendein Peregrinus, der unter irgendeinem Busch hervor gekrochen gekommen war. „Ein wirklich außerordentliche Beobachtungsgabe kannst du dein eigen nennen.“ Der Sarkasmus in ihrer Stimme war zu scharf, als dass sie ihn hätte verbergen können – aber es war tatsächlich erstaunlich, welche Details der Mann gesehen hatte, obwohl er bei einer zusammenstürzenden Insula doch recht weit hatte weg sein müssen, damit er selbst unbeschadet davon hatte kommen können. Sie glaubte eher, dass er das ein oder andere Detail dazu gedichtet hatte, damit er eben nicht eingestehen musste, dass er deutlich weniger gesehen hatte... und dass er sich zudem vermutlich auch nicht mehr an alles so exakt erinnern konnte. Der kleine Bericht wirkte außerdem wie einstudiert, was der Fremde wohl auf dem Weg hierher getan hatte. Und das alles ließ Nigrina widerborstig werden... aber im Grunde war es egal, was der Fremde wie erzählte. In diesem Moment hätte wohl so ziemlich alles dazu geführt, dass sie Konfrontation bevorzugte. „Behauptest du also allen Ernstes, dass ein Senator Roms, ein Pontifex, zu Fuß durch die Subura gegangen ist? Ohne weitere Begleitung?“

  • An diesem schicksalhaften Tag begleitete ich meine Herrin (wie so oft) auf einem ihrer üblichen Einkaufsbummel, der so zu verlaufen schien wie immer - nämlich langweilig. Langweilig? Nun ja, nicht ganz. Die Nachricht von dem eingestürzten Gebäude in der suburba machte schnell die Runde in Rom und ebenso das Gerücht von dem Patrizier, der dabei ums Leben gekommen sein sollte. Ein von Trümmern erschlagener Patrizier?! Welch tragisches Schicksal, dessen Zusammenhang mit meiner Herrin selbst mir erst so recht bewusst wurde, als wir längst wieder auf dem Heimweg waren.


    Überall um unseren Tross herum hörte man die aufgeregten Stimmen: "Hast du schon gehört … was? .. Ein Patrizier, erschlagen! .. Nein?!.. Doch! Von einem Balken, direkt ins Herz! … Wie grausam! … Wie kam´s? Ein marodes Gebäude ist eingestürtzt.... Unglaublich!" ... In der Tat das war es, mit anzusehen, wie das Unbehagen meiner Herrin immer weiter stieg, als ahnte sie bereits das Unausweichliche. Ihr Mann war tot? Einfach so. Erschlagen, von einem Gebäude, das dummerweise just in jenem Moment ein zu stürzen gedachte, als sein Weg desselbigen kreuzte?!


    Kein Wunder, dass meine Herrin die Nachricht vom Tod ihres Gatten nicht wahr haben wollte so phantastisch, wie allein die Vorstellung war, dass ausgerechnet ihr Mann … Noch dazu so kurz nach ihrer Fehlgeburt! Welch schicksalhafter Schlag traf meine Herrin just in dem Moment, als sie sich wieder auf dem Wege der Besserung befand? Wirklich Tragisch! Anders konnte ich es nicht bezeichnen, so hilflos wie ich mich selbst fühlte, als man meine Herrin - am Ziel - schließlich bewusstlos ins Haus trug. Welcher von den Klienten letztendlich schuld an ihrem Zusammenbruch war spielte längst keine Rolle mehr, in dem ganzen Durcheinander das gerade in der villa Flavia herrschte.


    Aulus Flavius Piso war tot! Daran gab es nichts mehr zu rütteln, so gern ich es auch versucht hätte.


    Es war wahr! Und was das für meine Herrin bedeutete, vermochte selbst ich - ihr Leibwächter - nicht zu beurteilen, so kurz nach ihrer Genesung. Zumindest befand sich Prisca endlich auf dem Wege der Besserung nach ihrer Fehlgeburt, doch nach dieser Nachricht hatte ich so meine berechtigten Zweifel, dass sie jemals wieder auf die Beine kommen würde. Selbige verliesen sie nämlich direkt an der porta, wo sie vor aller Augen bewusstlos zusammenbrach, als die Gewissheit siegte, dass ausgerechnet ihr geliebter Göttergatte für immer das Zeitliche gesegnet hatte.


    Volltreffer! Und ausgerechnet ich wurde auserkoren, um - in all dem Durcheinander- jemanden zu finden, dem ich von dem neuerlichen Zusammenbruch meiner Herrin berichten sollte. Am besten den Oberhaupt der Familie oder indirekt über dessen majordomus.


    Scurius, der lebendige Beweis flavischer Zuchtkunst! Keinem Geringeren wollte ich Meldung erstatten, als ich ins atrium trat, wo mich augenblicklich das Chaos umfing. Überall kreischende und wehklagende Menschen, Angehörige, Klienten, Sklaven und Frauen … Ich war nahe dran einfach wieder zu gehen als mein Blick auf Tilla traf, die gerade einem Mann(einem Flavier noch dazu) die Wange tätschelte.


    Der Anblick war in der Tat befremdlich, selbst für mich doch Zeit, um lange darüber nachzudenken, blieb mir nicht. Schon vernahm ich eine Frage, die rein zufällig an mein Ohr drang und wer könnte darauf eine bessere Auskunft geben, als ich?


    Zitat

    Original von Sextus Aurelius Lupus
    “Wo ist Prisca?“ ....


    "Mit Verlaub Herr, deine Verwandte ist hier, doch es geht ihr sehr schlecht", meldete ich mich direkt neben ihm zu Ohr. Ich war ungern der Überbringer schlechter Nachrichten, am wenigsten unaufgefordet, doch war ich momentan wohl der Einzige der aus erster Hand berichten konnte, was mit Aurelia Prisca passiert war: "Sie hatte einen erneuten Zusammenbruch und im Moment kümmern sich ihre Ärzte um sie. Die Nachricht vom Tod ihres Ehemannes hat sie just auf den Stufen zu dieser villa ereilt.", erklärte ich dem Aurelier so leise und so diskret wie ich konnte. Ich erkannte ihn, ebenso wie er sich wohl kaum meiner erinnerte. Ein entfernter Verwandter meiner Herrin, Aurelius Lupus, der die Frage in den Raum stellte und die ich ihm, mit einer demütigen Verneigung, zu beantworten versuchte. Fragen stellte ich wiederum keine, das stand mir nicht zu und alles andere würden ohnehin die Herrschaften entscheiden ...

  • Zitat


    Mit einem Ruck stand sie auf und trat einige Schritte zu Gracchus und dem Fremden. Was hatte der noch gleich gesagt wo er herkam? Im Grunde egal. Es war irgendein Peregrinus, der unter irgendeinem Busch hervor gekrochen gekommen war. „Ein wirklich außerordentliche Beobachtungsgabe kannst du dein eigen nennen.“ Der Sarkasmus in ihrer Stimme war zu scharf, als dass sie ihn hätte verbergen können – aber es war tatsächlich erstaunlich, welche Details der Mann gesehen hatte, obwohl er bei einer zusammenstürzenden Insula doch recht weit hatte weg sein müssen, damit er selbst unbeschadet davon hatte kommen können. Sie glaubte eher, dass er das ein oder andere Detail dazu gedichtet hatte, damit er eben nicht eingestehen musste, dass er deutlich weniger gesehen hatte... und dass er sich zudem vermutlich auch nicht mehr an alles so exakt erinnern konnte. Der kleine Bericht wirkte außerdem wie einstudiert, was der Fremde wohl auf dem Weg hierher getan hatte. Und das alles ließ Nigrina widerborstig werden... aber im Grunde war es egal, was der Fremde wie erzählte. In diesem Moment hätte wohl so ziemlich alles dazu geführt, dass sie Konfrontation bevorzugte. „Behauptest du also allen Ernstes, dass ein Senator Roms, ein Pontifex, zu Fuß durch die Subura gegangen ist? Ohne weitere Begleitung?“


    Eginhards Beobachtungsgabe war in der Tat nicht schlecht, doch zeigte der Sarkasmus in der Stimme der Römerin, dass die Aussage nicht als Kompliment gemeint war. Viele, die Eginhard kannte, wären ob dieses Sarkasmus beleidigt gewesen und hätten entsprechend geantwortet. Auch Eginhard fühlte sich angegriffen, doch ließ er sich davon, bis auf ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen, nichts anmerken. Er blieb nach außen emotionslos. Auch die folgende Frage, genauer die Art, wie sie gestellt wurde, war als beleidigend zu deuten, doch hier konnte er sogar ein Aufblitzen von verletztem Stolz in seinen Augen unterdrücken. Er wusste, dass manche Menschen mit Beleidigungen des Überbringers schlechter Nachrichten reagierten. Eginhard ließ es über sich ergehen.
    "Zunächst eine Anmerkung zu meiner Beobachtungsgabe, edle Dame," begann er seine, mit kalter Stimme vorgetragene, Antwort, "Ich muss, wie bereits gesagt, zugeben, den Tod des Senators nicht direkt observiert zu haben. Und auch Richtung und Geschwindigkeit des zu Boden fliegenden Giebelbalkens konnte ich nicht exakt bestimmen. Er hätte also auch den Senator verfehlen können. Dennoch mag es einleuchten, dass ich Observation durch Kombination zu substituieren im Stande war, nachdem ich die Lage des Balkens und die Verletzungen des Senators in Korrelation setzte. Dass dies in meinem Bericht in dieser Deutlichkeit nicht klar wurde, ist mein Verschulden. Ich bitte folglich um Verzeihung dieser Inexaktheit." Eginhard hatte durchaus Bildung erfahren. Das sollte ruhig jeder durch seine Wortwahl erfahren. "Doch nun zu deiner Frage. Ob möglicherweise Begleitpersonen vorhanden waren, vermag ich nicht zu sagen. Falls ja, so waren sie mindestens zwei Schritt vom Senator entfernt und in ortsübliche Kleidung gehüllt. In diesem Fall gehören sie entweder zu den unter dem Trümmerberg Begrabenen, oder sie haben sich aus dem Staub gemacht, nachdem das Gebäude zusammenstürzte. Was mehr als ehrlos ist. Doch gestatte mir eine Gegenfrage. Ist es so außergewöhnlich, dass ein Senator allein unterwegs ist? Sollte er nicht allein durch die Würde seines Sitzes im Senat und, wie du erwähntest, durch die Würde seines Amtes als Pontifex, vor jedwedem Angriff geschützt sein?" Die Frage war durchaus ernst gemeint.

  • Gracchus hatte keinen Schimmer, wo genau der Stamm der Frisen hauste, einzig dass dies Gebiet irgendwo im Norden und damit jenseits seiner Erfahrung wie auch Vorstellungskraft lag, und da Eginhard von einer Insel sprach, musste es also im Mare Germanicum oder dem Oceanus Britannicus sein, was auf durchaus barbarische Herkunft schließen ließ, wiewohl der Mann vor ihm wenn auch recht stämmig nicht unbedingt dem Bild eines wilden Barbaren entsprach. Fürstensöhne in Rom waren ohnehin ein geduldetes Mittel der Friedenssicherung, gleichsam hegte der Praefectus Urbi rege Kontakte zu den barbarischen Stämmen im Norden und Osten, so dass es dieser Tage durchaus geschickter war, Ressentiments gegenüber diesem Menschenschlag nicht allzu offen zu zeigen, respektive nicht in ihrer Anwesenheit - Eginhard mochte allfällig einer Laune des Vesculariers folgend nach Rom gesandt worden sein und bald auf kaiserliches Geheiß in den Cursus Honorum und folgend den Senat empor fallen. Ohnehin kreisten Gracchus' Gedanken nur kurz zum die Herkunft des Fremden, wandten sich sodann dem Bericht zu, doch noch ehedem er diese Informationen hatte gänzlich verarbeitet, drängte Nigrina sich in die Befragung. Dass Piso allein zu Fuß durch die Subura eilte, schien Gracchus bei weitem nicht derart sonderbar wie es dessen Schwester augenscheinlich schien, waren seinem Vetter doch einige merkwürdige Eigentümlichkeiten wesenhaft gewesen, wiewohl es durchaus auch einen triftigen Grund für solcherlei mochte gegeben haben. An der Aussage des Eginhard indes gab es für Gracchus nichts zu zweifeln - dass irgendwer Piso in eine Falle mochte gelockt haben und der Frise daran beteiligt gewesen war, lag fern seiner Imagination und seiner Wahrnehmung der Welt, ob dessen er Nigrinas despektierlichen Einwand nach den verteidigenden Worten Eginhards mit autoritärem Tonfalle abwies.
    "Aulus wird zweifelsohne seine Gründe gehabt haben, diesen Weg alleine zurück zu legen, und selbst wenn diese Gründe nicht für alle Zeiten mit seinem Geiste ver..loren sind, so wird dieser Mann sie kaum kennen."
    Er fixierte seine Base mit hartem Blick, denn obgleich dies Schicksal für sie alle schwer zu ertragen war, so konnte er nicht tolerieren, dass sie Pisos Beweggründe in Anwesenheit Eginhards und der Klienten zu eruieren suchten - denn allfällig mochten diese nur seltsam und ohne Sinn gewesen sein, doch womöglich waren sie auch bedenklich, blamabel oder klandestin gewesen. Er wandte sich wieder dem Friesen zu, ohne weiter auf dessen Frage einzugehen, und die Härte auf seiner Miene verflüchtigte sich.
    "Ich danke dir für deine Hilfe, Eginhard, Sohn des Fürsten Eginhard, denn obgleich sie für meinen Vetter zu spät kam, so hast du unserer Familie doch einen großen Dienst erwiesen, der nicht unbea'htet bleiben soll. Wirst du noch einige Zeit in Rom weilen und wärest du bereit, deine Aussage vor einem Gericht zu wiederholen?"
    Es würde dies Piso nicht wieder lebendig machen, doch eine solche Nachlässigkeit seitens des Gebäudebesitzers musste eine Konsequenz haben.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Ausgerechnet ein Sklave antwortete auf seine Frage nach Prisca. Sextus hielt siene Augen weiterhin auf den Hausherrn und den Peregrinus gerichtet, während er dem Mann lauschte. Erneut war sie zusammengebrochen. Schlechtes Zeichen. Wenn Prisca eine allzu fragile Psyche hatte, wäre ihr Wiederverheiratungswert wohl gleich null. Zumal wiederholte Zusammenbrüche auch kein langes Leben prognostizierten. Dazu noch der Umstand, dass sie wohl eine Fehlgeburt gehabt hatte – hierbei vertraute er auf Nigrinas Informationen – was seine Cousine noch weiter von Ideal einer römischen Ehefrau entrückte: Genügsam, robust und vor allen Dingen: Fruchtbar.
    Ganz leicht runzelte sich besorgt seine Stirn. “Ich werde gleich zu ihr gehen und mir ihren Zustand ansehen“, meinte er leise, aber dennoch eindeutig nicht in Form einer Frage. Es war ein Beschluss, nicht mehr und nicht weniger.


    Er lauschte den Worten des Mannes. Peregrinus. Sextus hatte es sich denken können bei seinem Aussehen. Sohn von irgendwem im nirgendwo weit ab von Rom – denn da musste man sich nichts vormachen: Jenseits des Limes nannte sich jeder Schweinestallbesitzer gleich König und Fürst. Das hatte nichts gemein mit einer Herrscherdynastie, wie sie auch die Flavier gehabt hatten. Oder auch nur irgend eine Familie der Nobilitas oder der Patrizier. Kurz fragte er sich, ob er sich verhört hatte, als der Mann sich als zum Volk der Frisii zugehörig erklärte. Diese waren mehr oder weniger bekanntermaßen Feinde Roms – da glaubte Sextus doch seinem zweckverbündeten Duccier.
    Den Bericht fand er dann auch ein klein wenig geschönt. Ein Dachbalken hatte Piso erschlagen? Nun, egal was Eginhard da sagen mochte, das war schmerzhaft, waren die üblichen Dachbalken doch mit einer Stärke von wenigstens einem halben pes, viele sogar einen ganzen pes, gesegnet. Da sich der gemeine Dachbalken über die komplette Länge des Daches zog und so mehrere passus lang war, hatten die Dinger in etwa das Gewicht eines Pferdes. Das ganze multipliziert mit Winkel und Fallgeschwindigkeit... das war in jedem Fall schmerzhaft. Und die Tatsache, dass sie Piso an einem Stück hier hereingebracht hatten und nicht als matschigen Brei ließ darauf schließen, dass besagter Balken ihn wohl nur gestreift und niedergerissen, aber keinesfalls voll getroffen oder wie auch immer aufgespießt (zweigeteilt wäre in dem Fall wohl passender) hatte. Überhaupt wunderte sich Sextus kurz darüber, dass in der Subura eine Insula mit solchem Dach gebaut worden war und nicht einfach ein Regenablauf an die Attika gesetzt worden war, ohne Dach. Aber das waren wohl die Geheimnisse der Unterstadt.


    Allerdings kam er nicht weiter dazu, irgend etwas dazu zu sagen und zu denken. Seine Frau bewies einmal wieder ihr wankendes Gemüt. Im einen Moment noch war sie von Trauer überwältigt und abwesend, im nächsten Angriffslustig wie ein ausgehungerter Löwe. Und Eginhard war der Gefangene, der sich in der Arena nun den Krallen präsentierte.
    Sextus war bei weitem nicht verrückt genug, sich zwischen Nigrina und ihren Wutanfall zu stellen. Nein, sollte sie ihre Wut an dem Peregrinus abreagieren. Dann traf sie schon nicht ihn wegen einer Nichtigkeit, weshalb er sie an ihren Platz würde verweisen müssen, was Wochen des Schmollens ihrerseits nach sich ziehen würde. Sextus spielte lieber den galanten und ausnahmsweise einmal verständnisvollen Ehemann – wo er wohl auch den galanten und verständnisvollen Vetter ohnehin würde Mimen müssen. Also ließ er Nigrina hierbei einfach gewähren, in blindem Vertrauen darauf, dass der Peregrinus seinen Platz in der Gesellschaft schon kannte.


    Doch was dann geschah, widersprach seiner Erwartung. Und mehr noch, es widersprach ihm und seiner Überzeugung. Es gab sehr, sehr, SEHR wenige Dinge, die Sextus dazu veranlassten, die Beherrschung zu verlieren. Im Grunde konnte man solche Gelegenheiten an einer Hand abzählen. Aber diese hier, die gehörte dazu. NIEMAND, erst recht nicht jemand, der nicht einmal Bürger war, vergriff sich an seiner Frau, weder handgreiflich noch im Ton.
    “Peregrinus!“ Sextus spie das Wort aus wie die Beleidigung, die es in seinen Augen darstellte. “Es ist mir gleichgültig, ob dein Vater der Besitzer des größten Misthaufens jenseits des Limes ist. Du bist hier in Rom, nicht im Barbaricum! Hier bist du ein rechtloses Nichts, das nur aufgrund der Großzügigkeit unseres Imperators auch nur einen Fuß auf kultivierten Boden setzen darf! Du hast keine freie stimme, du hast kein Anrecht auf Ämter, du bist wertloser als der Dreck, der sich in der Subura sammelt, aber dennoch Bürger Roms ist. Als Friese bist du bestenfalls noch Löwenfutter, nachdem sich eine römische Standarte tief in diesen abartigen Sumpf, den ihr Heimat nennt, gebohrt hat! Und es ist mir scheißegal, ob dein Lehrer dich ein paar hübsche Worte gelehrt hat oder nicht.
    Das da ist Flavia Nigrina, aus derselben Ahnenreihe wie Titus Flavius Vespasianus, Titus Flavius Vespasianus und Titus Flavius Domitianus. Kaiser Roms! Das ist meine Frau und die Schwester des verstorbenen Senator Roms, und du wirst ihr den ihr schuldigen Respekt erweisen, oder ich schwöre beim Stein des Iuppiter, ich werde mit deinem Blut mein Schlafzimmer streichen und mir aus deiner Haut einen Mantel machen, haben wir uns verstanden?“
    Und er klang bei keiner einzelnen Silbe auch nur annähernd so, als würde er sie nicht vollkommen ernst meinen.
    Sextus war nicht nur wütend, er hatte Mord im Blick. Er bemerkte noch nicht einmal, dass er Flavius Gracchus mit seinen Worten ins Wort gefallen war, was wohl ebenfalls eine grobe Unhöflichkeit gegen den Hausherrn war, dem es eigentlich oblag, im Sinne der Flavier zu sprechen. Doch Sextus hasste diesen peregrinen Emporkömmling im Moment zu sehr, um sich davon aufhalten zu lassen.

  • Nigrina hatte durchaus einiges erwartet. Schließlich stand da ein Peregrinus vor ihr, und Nigrinas Meinung von Peregrinen war so eindeutig wie simpel: abwertend. Darunter kamen nur noch Sklaven, in etwa gleichauf lagen Nutztiere, wertvolle wie beispielsweise Pferde oder exotische Wildtiere nahmen schon eine deutliche höhere Stufe ein, und Plebejer, nun, Plebejer waren etwas schwierig, weil es da so eine große Bandbreite gab... die konnten je nach Status und Familie durchaus bis knapp unter den Patriziern rangieren. So oder so: sie hatte einiges erwartet, bei einem Peregrinus. Auch und gerade, dass er respektlos wurde – und dass er respektlos wurde, war für sie eindeutig, da konnten noch so viele schön gesetzte Phrasen nicht darüber hinweg täuschen. Dass er allerdings so respektlos sein würde, dass er so im Haus und im Kreis ihrer Familie mit ihr umsprang, ließ sie dann doch für einen Moment sprachlos werden, während ihre Augen schon begannen gefährlich zu funkeln. Aber dieser eine Moment war dennoch genug.
    Noch bevor sie etwas erwidern konnte, bevor sie dazu ansetzen konnte, diesen unverschämten Barbaren verbal in Grund und Boden zu stampfen, ergriff Gracchus das Wort. Und DAS hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Ihr Vetter fiel ihr in den Rücken. VOR einem Peregrinus. Aber natürlich. So wie der Kerl sprach, musste ihr Cousin ja meinen endlich einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, einen weiteren glühenden Verehrer der umständlichen Wortphrasen, bei denen am Ende keiner mehr so wirklich kapierte, was der Sprecher damit eigentlich hatte sagen wollen. Besagter Sprecher selbst wahrscheinlich auch nicht, mutmaßte Nigrina, wenn er denn überhaupt irgendetwas damit hatte sagen und nicht nur verschleiern wollen, was dahinter steckte: dass er nämlich eigentlich nichts zu sagen hatte.
    Wütend blitzte sie nun ihren Vetter an, begegnete seinem harten Blick mit ihrem lodernden, ohne auch nur eine Winzigkeit nachzugeben bei ihrem Augenkontakt. Sie war zwar klein, aber sie hatte mehr von ihrem Vater, als man ihr auf den ersten Blick ansehen mochte. Und ungeachtet der Tatsache, dass sie gerade eben noch darüber nachgedacht hatte, mit Gracchus zu reden, ihn für sich zu vereinnahmen – sie ließ sich nicht von einem Kerl maßregeln, vor dem ihr Vater keinen Respekt hatte.


    Aber immer noch kam sie nicht dazu, selbst etwas zu sagen. Und nun wäre es ihr schwer gefallen, denn so sehr sie Gracchus in diesem Augenblick dafür verabscheute, dass er ihr gegenüber diesen Ton und dieses Verhalten vor einem Fremden an den Tag legte, so sehr weigerte sie sich, umgekehrt dasselbe zu tun. Den Peregrinus ging es einen Dreck an, wie sie über Gracchus oder sein Verhalten dachte. Und natürlich wusste Nigrina auch, dass sie letztlich den Kürzeren ziehen würde, was ein Risiko war, dass sie nicht einzugehen gedachte. Ganz ohne jeden Kommentar konnte sie das alles allerdings nicht stehen lassen... aber erneut bevor sie etwas sagen konnte, trat ihr Mann auf den Plan. Und rammte den Peregrinus ungespitzt in den Boden. Zu Nigrinas Erstaunen – und wachsendem Entzücken. Sextus war der Inbegriff der perfekten Selbstbeherrschung. Sie konnte sich nicht wirklich daran erinnern, wann sie das letzte Mal erlebt hatte, dass er das aufgab. Dass er es in diesem Moment tat – und Nigrina, die ihren Mann kannte, zweifelte nicht daran, dass er das bewusst tat –, hieß mehr, als die meisten Anwesenden auch nur ahnen konnten. Und es bedeutete ihr mehr, als die anderen wussten. Er ergriff ihre Partei. Er verteidigte sie. Und auch wenn sie wohl Worte gefunden hätte, das selbst zu tun – sie genoss es, das eben nicht tun zu müssen. Einen Mann zu haben, der das übernahm, der sich vor sie stellte, und der dafür sogar seine so kostbare Selbstbeherrschung für den Augenblick sein ließ.
    Jetzt war es Sextus, den sie ansah, und ihr Blick loderte immer noch – aber auf andere Art. Auch schwieg sie nach wie vor, mittlerweile, weil einfach keine Äußerung von ihr nun gepasst hätte, und warum auch hätte sie etwas sagen sollen? Ihr Mann erledigte das wunderbar, alles, was sie noch hätte hinzufügen können, hätte den Eindruck höchstens geschmälert. In diesem Moment war sie stolz darauf, Sextus' Frau zu sein, und wenn sie je so etwas wie wirkliche Verbundenheit mit ihm gefühlt hatte – dann war es jetzt der Fall.

  • Natürlich nahm auch Luca an diesem Ritual teil. Aber er hielt sich sehr im Hintergrund. Den Verstorbenen kannte er kaum. Er war ihm nur wenig begegnet und doch war es ein irgendwie lustiges Zusammentreffen. Weil der Mann so seltsam war.
    Und Luca sah einige bekannte Gesichter. Da war sogar dieser Sohn des germanischen Fürsten. Was machte denn der hier? Egal.
    Luca hielt sich eh sehr weit im Hintergrunf und nahm dies alles einfach nur schweigend wahr. Es war niemals schön, einen Menschen das letzte Geleit zu geben.


    Sim-Off:

    Sorry, für meinen kurzen Post, aber eigentlich bin ich noch nicht wirklich zurück, daher bin ich auch nicht auf alles eingegangen, da ich nicht alles gelesen haben, ganz doll sorry.)

  • Bittere Galle schmeckte der junge Flavius an seinem ausgebrannten Gaumen und hatte das Gefühl sein Magen würde sich nach außen kehren, während der stechende Schmerz in seinen Eingeweiden in seiner Intensität gewaltvoll konstant blieb. Von den Personen um sich nahm er kaum etwas wahr, blieben sie doch, ganz als ob hinter einem dicken Schleier verborgen, weit außerhalb seiner Aufmerksamkeit, die sich immernoch wie gebannt auf das zerstörten corpus seines Onkels richtete. Er spürte nicht den sanften Griff an seiner Schulter, so versunken schien er im grausamen Strudel der blanken Destruktion, des erschreckenden Bildes bar jedweder Ästhetik. Erst eine seltsame Berührung an seiner Wange ließ den Flavier sich umwenden und mit irritiertem Blick trafen seine Augen jene der Sklavin. Zu verstört war er durch die kaum fassbare Situation, das unvermutet eingebrochene Unglück, als dass er in angemessener Weise auf diese Ungeheuerlichkeit reagieren konnte, die unter gänzlich anderen Umständen wohl durchaus anziehend auf ihn gewirkt hätte. So jedoch traf kein strafendes Wort das Mädchen, sondern mit einer knappen Bewegung entzog sich der junge Mann der ungebührlichen Berührung, wandte sich ruckartig ab und trat einige Schritte vom Toten weg zu einer Säule, an der er sich, vom Schmerz gebeugt, leicht abstützte und der grauenvoll-unwirklichen Szenerie den Rücken zuwandte. So nahm er auch den nun folgenden Eklat, der seinen Versuch, die dignitas des Toten zu retten, mit Füßen trat, lediglich am Rande mit, zu beschäftigt blieb er immernoch versunken in seine eigene Fassungslosigkeit ob des grausamen Streichs der Parzen.

  • Es dauerte bis Flaccus der Flavier reagierte und 'wach' wurde. Er zog sich allerdings von ihr zurück und erwiderte nichts auf ihre geflüsterten Worte. Er lehnte sich an eine Säule und starrte vor sich hin. Sie ging ihm nicht hinterher. Sie war nur eine von den vielen unzähligen Sklaven, die unter dem flavischen Dach dienten. Tilla wandte sich ab und sah sich um, bis sie Hektor in dem Gewusel entdeckte. Es war als ob eine eisige Hand nach ihrem Herz griff. Sie waren schon vom Stadtbummel zurückgekehrt. Und Tilla war nicht zur Stelle. Bestimmt lag die Herrin wieder weggetreten im herrschaftlichen Bett.


    Der große unbekannte Mann berichtete inzwischen dem Hausherrn Gracchus was geschehen war. Er kam von weit her. Aus dem Norden. Von einer Insel? Nigrina und Lupus reagierten auf den Bericht mit scharfen Worten. Auch für Tilla war es zunächst unbegreiflich wie ein Balken eines Hausdaches sich aus einem Haus lösen konnte. Allerdings kannte sie diese baufälligen Häuser, da sie einige Zeit als diebisches Straßenkind in solchen Unterkünften gelebt und gewohnt hatte. War das wirklich schon so lange her? Tilla hatte die subura nicht mehr betreten. Jedenfalls hatte der große Unbekannte sich nicht davor geschaut Priscas tödlich verunglückten Ehemann nach Hause zu bringen. Sie achtete ihn für seine Courage.


    Mit klopfendem Herzen schob sie sich an den Menschen vorbei und gelangte zu Hektor. Da sie Prisca vor kurzer Zeit ihre Liebe zu Hektor gestanden hatte, war es in Ordnung sich an seiner Seite zu zeigen. Tilla lehnte sich an ihn an. Nur das erlaubte sie sich, um zu zeigen, dass sie um Piso trauerte. Langsam ergriff sie dessen Hand und suchte zugleich seinen Blickkontakt. Hej... schön, dass du da bist. Es ist alles so schrecklich. Ich hatte gehofft euch in der Stadt zu treffen und sie vorzubereiten, aber ihr seid früher zurückgekommen. Ist sie in ihren Gemächern? Da gehe ich jetzt hin. Die leisen Schritte hörte sie erst, als sie beinahe bei ihnen waren. Es war Mara. "Die Herrin braucht dich." flüsterte die junge Sklavin. Ich komme. Kommst du nach, Hektor? Tilla löste sich mit sichtlichem Bedauern von Hektors geliebter Nähe und folgte Mara.


    Kurz bevor sie das atrium verließ, entdeckte sie Luca. Tilla stoppte und sprach ihn an. Luca? Sehe ich gegen Abend in meiner Nische? Du weisst wo. Ich bin da, wenn du reden magst. Mit traurigen Blick verabschiedete sie sich von dem netten Hünen, der in ihren Augen dem großen unbekannten Mann von der weit entfernten nördlichen Insel in der Körpergröße in nichts nachstand. Das Bild des toten Pisos auf der Bahre begleitete die stumme Sklavin auf den dunklen Gängen durch die Villa. Sie wischte die Tränen von den Wangen und betrat Priscas Reich.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!