• II - III


    Die nachfolgenden Tage folgten einem stets gleichen Muster, welches mit einem müden Erwachen in fremden, unbequemen Betten begann - der Leib dabei weder erholt, noch regeneriert über die kurze Nacht hin -, gefolgt von einem kargen Frühstücksmahl - denn obgleich sie durchaus einige Münzen von Tiboetes hatten erhalten, so war schlussendlich nicht abzusehen, wie lange sie tatsächlich damit würden auskommen müssen. Hernach folgte ein Ritt durch die kühle, karge Landschaft auf den gepflasterten Straßen, welche allerorten ident erschienen, vorbei an Dörfern und Häusern, die kaum voneinander differierten so als ritten sie beständig im Kreise - und nur die Erhebungen und Täler der sich wandelnden Landschaft wussten diesen trügerischen Eindruck zu durchbrechen. Gegen Mittag suchten sie sich eine Garküche, aus welcher sie ein Mahl mit sich nahmen und außerhalb der Siedlungen aßen, dazwischen legten sie nur wenige Pausen ein, zumeist um den Pferden ein wenig Schonung zu gewähren, bis sie am Abend schlussendlich in eine Herberge einkehrten, um den Tag in einem fremden, unbequemen Bett abzuschließen.

    ~~~


    Gracchus hatte vergessen, die Tage zu zählen, welche sie bereits unterwegs waren seit sie Rom hatten verlassen, und da ihm die zurückliegenden Tage alle in gleicher Weise abominabel erschienen, gleich trist und mehr noch peinvoll, konnte er kurz vor Mantua sie nicht einmal mehr voneinander differenzieren, um so ihre Anzahl zu ermitteln. Obgleich sein eigener Leib in jeder Muskel, jedem Knochen und jeder Faser schmerzte und er darob vorwiegend mit sich selbst und seinen eigenen Qualen war beschäftigt, so bemerkte er doch seit dem Vortage an Flaccus wieder ein übermäßiges Unwohlsein, da sein Neffe die fiebrige Erkältung nicht gänzlich abgeschüttelt zu haben schien, so dass er froh war, dass sie ihr vorläufiges Ziel in einer schäbigen Unterkunft einige Meilen vor der Stadt erreichten, wiewohl er aufs heftigste darauf hoffte, dass Aurelius Ursus sie nicht würde abweisen oder gar schlimmer noch ihnen feindlich gesinnt sein. Sie hatten kaum einen kleinen Raum bezogen, welcher ihnen womöglich noch als Schlafgemach würde dienen, hatten sich gerade - mangels anderer Sitzgelegenheiten - auf den harten Betten niedergelassen, da hatte Flaccus sich bereits auf der Liegefläche zusammen gekauert und war eingeschlafen.
    "Es ist wohl besser, wenn ich direkt aufbreche"
    , wandte Gracchus sich darob an seinen Sohn, welchem die Spuren der Reise ebenfalls deutlich in sein junges Gesicht waren geschrieben.
    "Ich werde zur Legio I reiten, um mit dem Legaten Aurelius Ursus zu spre'hen. Du wirst hier bei deinem Vetter bleiben und auf mich warten. Sollte ich nicht bis morgen früh wieder zurückkehren, so werdet ihr beide weiter nach Norden reiten. Falls irgend..jemand an die Türe klopft, so werdet ihr nicht öffnen und keinen Laut von euch geben."
    Gracchus überlegte kurz, sog einen Augenblick lang die Unterlippe zwischen die Zähne, ehedem er Minor wieder fixierte.
    "Wenn ich zurückkomme und euch auffordere die Türe zu öffnen, so werdet ihr ebenfalls schweigen, es sei denn ... es sei denn, ich füge folgenden Worte an: Hephaistion ... Hephaistion hat die Gestade Aegyptens erreicht. Präge dir dies gut ein, Minimus - Hephaistion hat die Gestade Aegyptens er..reicht. Nur auf diese Worte hin werdet ihr die Türe öffnen, gleich was ich euch sonst auch sage, hast du verstanden? Erwähne ich diesen Satz nicht, so wartet, bis es wieder ruhig ist auf dem Flur und verlasst dann diesen Ort so schnell wie möglich."
    Es gab noch so viele Eventualitäten, auf welche Gracchus Maior seinen Sohn mochte vorbereiten, doch die Zeit drängte, wiewohl er wohl ohnehin nie jede mögliche Situation würde bedenken können, so dass er nach einem leisen Seufzen sich erhob und einen kleinen Stoffbeutel von seinem Gürtel nestelte, in welchem der flavische Siegelring war verwahrt, welchen er auf eine überaus unangenehme Art und Weise hatte aus Rom geschmuggelt, welche er niemals irgendjemandem würde eingestehen.
    "Passe gut darauf auf und vergiss niemals, dass du ein Flavius bist und ... und dass ich ... sehr stolz auf dich bin, Minimus."
    Ein wenig zögerlich fuhr er dem Jungen über das dunkle Haar, zögerte einen Augenblick in Gedanken daran, ihn noch einmal zu umarmen, entschied sich jedoch gegen diese übermäßige Emotionalität und klopfte ihm nur aufmunternd auf die Schulter. Dann nahm er die Tasche, in welcher unter anderem das Schriftstück lag, welches er mit Tiboetes Hilfe in Scapulas Villa im Namen des Collegium Pontificum hatte verfasst, und trat zur Tür.
    "Schließe hinter mir den Riegel"
    , wies er Minor an, ehedem er die Türe hinter sich zu zog und mit hastigen, ein wenig gequälten Schritten, das Haus verließ, sein Pferd aus dem Stall zu holen. Er wollte nicht daran denken, dass dies womöglich die letzten Augenblicke würden sein können, welche er je mit seinem Sohn hatte verbracht, doch gerade ob dessen drängte sich dies aufdringlich in seinen Geist - legte sich gar über den Schmerz, welcher wieder in seinem Leib entflammte, kaum dass er auf dem Rücken des Pferdes saß. Vor der Herberge kehrte er zurück auf die gepflasterte Hauptstraße, auf welcher sie gekommen waren, wagte erst nach einer kurzen Wegstrecke einen ihm entgegenkommenden Mann nach dem Weg zur Legio I zu befragen, um diesen einzuschlagen.

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  • Der Weg nach dem Gespräch mit Aurelius Ursus vom Castellum der Legio I zurück war nicht schwer zu finden, so dass selbst Gracchus, welcher sich um solcherlei Dinge wie Wegfindung in seinem Leben sonstig nicht zu kümmern brauchte - in jenem unkomplizierten Patrizierleben, welches ihm so fern, so lange zurück schien als wäre es das Leben eines anderen gewesen -, alsbald zu dem Gasthaus zurück fand. Decurio Decimus, welcher ihm von Ursus zur Seite war gestellt worden, um eine reibungslose Rückkehr in das Lager der Legion zu ermöglichen, und er banden die Pferde an einen Holm vor dem Haus, ehedem Gracchus den Soldaten wortlos durch den kahlen Innenhof des Gebäudes die schmale Treppe zu den Gästezimmern empor führte. Vor dem Raum, in welchem Minor und Flaccus warteten, stoppte er und klopfte.
    "Flaccus, Minimus, öffnet die Türe. Faustus hat die Gestade Aegyptens errei'ht."
    Nichts tat sich im Inneren, und als Gracchus daraufhin sein Faux Pax bewusst wurde, spürte er wie seine Wangen ein wenig sich erhitzten, was durchaus auch in einer leichten Röte sich mochte zeigen, welche jedoch durch den Bart, welcher sich in den letzten Tagen dort hatte ausgebreitet, beinahe gänzlich wurde verdeckt. Obgleich er sich für die Losung eines mythisch-historischen Themas hatte bedient in der Hoffnung, dass Minor die zugehörige Geschichte bekannt war, so hatte er selbstredend dabei an Faustus Serapio gedacht. Selbst in Anbetracht der Schmerzen, welche seinen Leib und Geist fortwährend auf dem Rücken des Pferdes hatten gequält, so hatte er doch auf dem langen Weg von Rom nach Mantua überaus reichliche Gelegenheit gefunden, sich in seinen Gedanken zu bewegen, dabei auch ausgiebig an seinen Geliebten zu denken, von welchem er wieder einmal nicht mehr wusste, ob er überhaupt noch sein Geliebter war. Dass Serapio jedoch versucht hatte, ihn noch einmal zu treffen, ehedem er Rom wieder hatte verlassen - insbesondere die Worte, welche er dazu hatte verwendet -, ließ nicht nur Hoffnung in Gracchus aufkeimen, sondern gleichsam seine Sehnsucht ins Unermessliche wachsen. Er unterdrückte ein Seufzen, suchte Faustus aus seinen Gedanken zu verbannen, da die grausame Realität fern dieses wundervollen Traumes war, und klopfte noch einmal an die Türe und korrigierte sich dabei.
    "Öffnet die Türe, es besteht keine Gefahr. Hephaistion hat die Gestade Aegyptens erreicht."
    Obgleich Flaccus womöglich noch immer oder wieder schlafen würde, so hoffte Gracchus, dass zumindest Minor wach war und sich nicht ebenfalls aufgrund des Mangels anderer Möglichkeiten zu Beschäftigung hatte noch einmal schlafen gelegt.

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  • Der decurio war schweigend neben dem Fremden geritten. Ob er so hieß, wie er ihn nennen sollte, war ihm egal. Er hatte sich den Weg, den sie geritten waren, genau eingeprägt, eine alte Gewohnheit aus seiner Tätigkeit als Kundschafter. Daß sich dieser Maxentius auffällig benahm, war seinem geübten Blick nicht entgangen. Es hatte ihn nicht zu bekümmern und es tat es auch nicht.


    Sie erreichten ein Gasthaus. er kannte es nicht. Er folgte dem Fremden bis sie vor einer Tür standen. Dann, daß das eine Losung sein mußte, war nicht zu verkennen, und noch einmal, dieses Mal jedoch mit einem anderen Namen!


    Unwillkürlich fuhr seine Hand an die spatha, zu allem bereit ...

  • Sukzessive hatten die Schmerzen, welche durch die infamiliare Belastung des Leibes auf dem Rücken eines Pferdes entstanden, sich in den folgenden Tagen gemildert, ohne gänzlich abzuklingen. Statt den Muskeln, meldete nun vielmehr die Haut sich zu Wort, um das stetige Reiben des Stoffes am Sattel des Pferdes zu beklagen. Am Abend erblickte Manius Minor gerötete Oberschenkel, was sich erst in den folgenden Tagen durch die Einfügung einer zusätzlichen Schicht in Form einer ledernen Reithose meliorisierte. Dennoch deprivierte die Monotonie der Bewegungen und der deplorable Zustand der infantilen Muskulatur des Knaben auch die Gelenke im Rücken und an allen Enden, womit ein neues Leiden gefunden war, welches ihn bei Tage und Nacht traktierte. Mit den Tagen verstummten indessen auch jene Klagen ob der Schmerzen, der Widrigkeiten der Reise, ebenso seine ab und an fröhlichen Fragen etwa bezüglich der Landschaft, welche ob seiner Fehlsichtigkeit sich ihm kaum erschloss. Bar jedweder Äußerung stierte der junge Flavius vielmehr lediglich auf den Rücken des Tieres, ließ vorwärts sich tragen und übte im Stillen, auf welche Weise er sein Vehikel zu beeinflussen vermochte.


    Als sie endlich die sumpfige Landschaft um Mantua durchquert hatten, verbreitete sich doch eine gewisse Freude in dem Knaben, der das Ende der Reise kommen sah. Rasch quartierten sie sich dem eingeschliffenen Usus entsprechend ein, Onkel Flaccus wurde auf eine Liege verfrachtet und Manius Minor zur Wacht an dieser abgestellt, während Manius Maior sich nicht wie gewohnt dem Erwerb von Proviant widmete, sondern aufbrach, um Kontakt mit Aurelius Ursus aufzunehmen.


    ~~~


    Als es endlich wieder an der Pforte klopfte, erschien es dem Knaben, als sei bereits ein vollständiges Saeculum vergangen, so inbrünstig und voller Furcht hatte er die parentale Rückkehr erwartet, welche an diesem Tage in weit höherem Maße unsicher gewesen war als bisher. Geradezu erschrak der junge Flavier, als das Pochen unvermittelt in den Raum drang, sodass er, bis zum Rande gefüllt mit Kleinmut, einen Satz über die Kline, auf welcher Flaccus lag, einen feuchten Lappen auf der Stirne, und an die der Tür gegenüber liegende Wand machte. Zweifel nagten plötzlich an ihm, schlimme Befürchtungen, man habe seinen Vater inhaftiert, einer Tortur ausgesetzt und Versteck wie Passwort von ihm erpresst, um die Flavii nun gänzlich auszumerzen.


    Fortunablerweise erfolgte der Anruf indessen ein weiteres Mal, in welchem Manius Minor die Stimme des Vaters klar zu erkennen glaubte, sodass er sich voller Umsicht der Tür näherte, den Riegel beiseiteschob und hinauslugte, um dort die bärtige Gestalt Manius Maiors zu erspähen. Rasch wurde nun Platz gemacht und der Knabe fiel dem Rückkehrer um den Hals voll von Erleichterung, ein weiteres Mal dem Waisentum entgangen zu sein.
    "Vater, wird nun alles gut?"
    fragte er, da im Laufe der Einsamkeit mit dem fiebrigen Onkel die Hypothese in ihm gereift war, Mantua mochte das finale Ziel und Aurelius Ursus ihr Hüter werden, welcher die Familie vor dem grausigen Zugriff des Vescularius bewahren würde.

  • Leise drang das Geräusch von Metall, welches über Holz schabt, durch die Türe nach draußen als Minor den Riegel zur Seite schob, wenige Herzschläge später fand Gracchus Maior sich in der Umarmung seines Sohnes wieder. Ob der Anspannung der zurückliegenden Tage ein wenig rührselig schob der Vater den Sohn nicht von sich, sondern ließ die körperliche Nähe zwischen ihnen nicht nur zu, verstärkte sie gar, indem er seine Hände auf Minors Schultern legte und ihn festhielt, ein wenig der Erleichterung auf ihn zu übertragen suchte, welche er selbst nach der Ankunft bei Aurelius Ursus hatte verspürt.
    "Ja, Minimus, nun wird alles gut."
    Er wollte es selbst nur allzu gerne glauben, denn obgleich die Zukunft noch immer gänzlich nebulös vor ihnen lag, so waren ihre Aussichten doch nicht mehr gar so trüb wie in den zurückliegenden Tagen voller banger Furcht. Gracchus trat gänzlich in den Raum hinein und offenbarte somit seinem Sohn den Blick auf den Soldaten hinter ihm.
    "Dies ist Decurio Decimus, er ist ein getreuer Soldat des Legaten Aurelius Ursus und wird uns zum Castellum der Legio geleiten. Dort werden wir vorerst bleiben, dort sind wir in Si'herheit."
    Zu Decimus gewandt führte er die kleine Vorstellungsrunde fort.
    "Dies ist mein Sohn Minimus."
    Er sah keinen Sinn darin, die Abstammung, wiewohl den Namen Minors zu verbergen sofern er den nomen gentile nicht nannte, denn weitere falsche Aussagen würden ihn nur selbst verwirren, wiewohl zweifelsohne auch seinen Sohn.
    "Und dies dort ist unser Be..gleiter Flaccus. Er hat sich ein Fieber zugezogen während unserer Reise und ist ein wenig entkräftet, bis zum Lager jedo'h wird er zweifelsohne reiten können."
    In keinem Falle würde Gracchus seinen Neffen in dieser Herberge zurücklassen, selbst wenn er ihn auf seinem Rücken bis zur Legio I würde tragen müssen. Doch nachdem er an die Liege herangetreten und Flaccus geweckt hatte, war dieser durchaus bereit, ein letztes kurzes Stück auf dem Pferd zurück zu legen. In kurzen Augenblicken war das wenige Gepäck, welches sie hatten - alles, was sie derzeit überhaupt besaßen -, gepackt, und die drei Flavier waren bereit, wenn nicht gar begierig darauf, ihrer Flucht ein Ende zu setzen und Decimus Cursor zurück zum Castellum der Legio I zu folgen.

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  • "Dann sollten wir so schnell wie möglich wieder aufbrechen",


    meinte der decurio und sah den Sprecher prüfend an,


    "vorausgesetzt, dein Begleiter kann den Ritt trotz seines Fiebers durchhalten. Bedenke, daß wir hierher beinahe drei horae benötigten. Zurück zur castra kenne ich zwar eine Abkürzung, die etwas beschwerlicher, aber dafür unseren Ritt um gut eine halbe hora verkürzt. Euere Sicherheit steht für den legatus und bestimmt auch für euch an erster Stelle."


    Er machte eine kurze Atempause und fuhr, da er keinen Widerspruch erhielt, fort.


    "Wenn es dir recht ist, nehme ich deinen Sohn zu mir auf`s Pferd. Mein Incitatus ist lammfromm und gehorcht mir auf die Stimme. Du brauchst also keine Bedenken zu haben. So kommen wir schnell vorwärts und erreichen baldigst unser Ziel. Es sei denn, dein Sohn beabsichtigt selbst zu reiten."


    Augenzwinkernd nickte er dem kleinen Sohn zu.

  • Die Replik des Vaters vermochte den Knaben zu beruhigen, was indessen rasch wieder gestört wurde, als er des Soldaten ansichtig wurde, welcher sich hinter Manius Maior durch die Tür schob. Obschon er sich gewahr hätte sein müssen, dass dieser, wenn er einen Legatus Legionis aufsuchte, potentiell mit einem Angehörigen des Militärs zurückkehren würde, so war er doch noch immer gänzlich von jener Furcht besetzt, welche er in den vergangenen Tagen vor jedwedem potentiellen Repräsentanten des Staates verspürt hatte. Doch wischte dies die parentale Deklaration der Sekurität hinfort, sodass er sich bei Nennung seines Kosenamens bemüßigt fühlte, dies zu korrigieren, da es ihm missfiel, von Fremden derartig despektierlich adressiert zu werden, zumal er sich selbst mitnichten mehr als klein betrachtete.
    "Ich heiße Manius Flavius Gracchus Minor!"
    platzte es so geradezu aus ihm heraus, uneingedenk der Tatsache, dass sie vor dem gemeinen Volk noch immer sich verborgen halten sollten, um nicht die Aufmerksamkeit der Schergen des Vesculariers zu erwecken.

  • Der decurio konnte sich eines Grinsens nicht erwehren wiewohl es ihn nicht sonderlich interessierte wie und ob der Kleine so hieß wie er sich ihm vorstellte. Er hatte sich bei diesem Auftrag seines patronus daran gewöhnt, daß hier mit Namen gehandelt wurde, die nicht ihren Trägern entsprachen.


    Lächelnd erwiderte er die Vorstellung.


    "Und ich bin Titus Decimus Cursor, decurio, turma I, LEG I TRAIANA, Mantua."


    Er beobachtete die Reaktion des Kleinen.


    "Doch Namen sind Schall und Rauch. Aber was hältst du davon, wenn ich dich heimwärts mit auf meinen Incitatus nehme?"


    Heimwärts bedeutete für ihn die castra, denn das war sein Zuhause.

  • Gracchus nahm Flaccus' Tasche zu der seinen, um den Neffen diesbezüglich ein wenig zu entlasten, als der Name seines Sohnes - sein eigener Name zudem - über dessen Lippen glitt. Sein Leib versteifte sich ein wenig, sein Blick glitt prüfend zu Decimus Cursor - zwar hatte Aurelius Ursus diesen als vertrauensvoll ausgewählt, dennoch hatte er ihm nicht Gracchus' Namen genannt, vermutlich da es vorerst trotz allem besser war, je weniger Menschen im Castellum über ihre Anwesenheit Bescheid wussten.
    "Noch sind wir nicht im Castellum angelangt"
    , mahnte Gracchus seinen Sohn darob gestreng, was weniger tatsächlichem Zorn, denn mehr seiner eigenen Furcht geschuldet war.
    "Darum gilt es für dich weiterhin zu schweigen und unauf..fällig zu bleiben."
    Letztlich indes war es wohl seine eigene Schuld, hatte er Minor doch den Soldaten als Verbündeten vorgestellt. Zu Cursor gewandt fuhr er fort als wäre der Name nie ausgesprochen worden, als wäre dies nur ein Scherz gewesen oder als wäre Gracchus von den Worten des Soldaten, dass Namen nur Schall und Rauch waren, selbst gänzlich überzeugt.
    "Wir werden die Abkürzung nehmen. Minimus wird mit auf deinem Pferd reiten, ich werde dafür Sorge tragen, dass Flaccus den Anschluss nicht ver..liert."
    Er sehnte sich nach einem Bad, einem heißen Bad mit einem Sklaven - besser noch mit Faustus -, doch vorerst würde ihm ein heißes Bad genügen, und je mehr er über die Annehmlichkeiten, welche er in einem Castellum vorzufinden erwartete, sinnierte, desto schneller mochte Gracchus dort ankommen.

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  • "Dann laßt uns aufbrechen",


    meinte der decurio. Zunehmends wurde er unruhig, ließ sich diese Regung jedoch nicht anmerken. Irgendetwas, das er sich in diesem Augenblick nicht zu erklären vermochte, lag in der Luft.


    "Ich reite an der Spitze und du,"


    er sah den Sprecher, bewußt nicht dessen Namen aussprechend, an,


    "reitest am Schluß. Deinen Begleiter nehmen wir in die Mitte. Wir halten zwei Pferdelängen Abstand. Sollte dir etwas merkwürdig erscheinen, gib` mir sofort Bescheid."


    Er reichte dem Angesprochenen seine Trillerpfeife, die ihm in so mancher Situation wertvolle Dienste geleistet hatte.


    "Und während des Ritts wird nicht gesprochen. Wir müssen nicht nur unsere Augen, sondern auch unsere Ohren offenhalten. Was meinst du, könnten du und dein Begleiter im Falle einer Gefahr galoppieren? Und, führst du einen pugio oder ähnliches mit dir?"


    Mitunter machte er sich Sorgen um die ihm von seinem patronus Anvertrauten.

  • Ob der harschen Ansprache biss der Knabe sich voll Schrecken auf die Lippen, da es ihm selbstredend präsent war, dass ihre Namen nicht bekannt werden durften, augenscheinlich selbst nicht im Angesicht der nahenden Rettung. Dadurch bedrückt verzichtete er auch auf weitere Proteste ob seines unzutreffenden Kosenamens, sondern nickte lediglich auf die Präsentation des Decurios hin.


    So warf er noch einen traurigen Blick auf den noch immer fiebernden Onkel Flaccus, mit dem er weitaus lieber das Pferd geteilt hätte als mit jenem Offizier, erwiderte dann aber
    "Ja, Vater. Verzeih mir."
    und schloss sich dann dem Decurio an.

  • Merkwürdig mochte Gracchus zweifellos viel erscheinen, was auf dem Weg zu erwarten war, doch hatte er sich in den letzten Tagen daran gewöhnt, dies alles nicht weiter zu beachten, dies merkwürdige Leben, welches außerhalb einer patrizischen Villa, welches außerhalb der Urbs Aeterna, welches ohne das beständige Umsorgtwerden durch eine Schar von Sklaven vorherrschte, dieses umständliche, mühsame, komplexe Leben, welches sonstig dem seinen so weit entfernt war - zumindest in seinen Gedanken.
    "Wir werden so schnell galoppieren können, wie es not..wendig sein wird"
    entgegnete er dem Decurio, denn sofern Gefahr sollte drohen, würde dies in Gracchus' Vorstellungswelt nur eine tödliche sein können, so dass es nicht mehr von Belang würde sein, wenn sie vom Rücken der Pferde wurden geworfen und sich das Genick brachen. Sodann wies er auf die ledernen Scheiden, aus welchen die Griffe der Gladii herausragten, und auf welche er gänzlich hätte vergessen - auch dies gehörte sonstig nicht zu seinem Leben.
    "Wir haben Schwerter dabei. Doch ..."
    Er blickte von seinem Sohn, der nicht mehr als ein paar spielerische Übungskämpfe mit einem Holzgladius hinter sich hatte, über seinen Neffen, der ob seiner Entkräftung kaum sich selbst konnte auf den Beinen halten, zurück zu Decimus Cursor.
    "Im Erns..tfall wäre es besser, sich nicht auf einen Kampf einzulassen."
    Auch Gracchus würde gegen einen versierten Gegner kaum etwas ausrichten können, denn die Zeiten, in denen er als junger Mann sich mit dem Waffenkampf hatte beschäftigt waren längst vorbei - zudem hatte er ohnehin stets den Ringkampf präferiert -, wiewohl er es ob mangelnder Notwendigkeit hatte versäumt, die essentiellen Bewegungsabfolgen zum Führen eines Gladius mit der linken Hand zu trainieren, nachdem die rechte ihm den Dienst hatte versagt. Er nahm die Pfeife, welche der Soldat ihm reichte, und vermied es, ihn weiter anzusehen. Sie waren Flavier, sie waren Patrizier, er war Senator, Praetorier und Pontifex des Imperium Romanum - doch im Augenblick fühlte Gracchus sich wieder mehr wie ein Körnchen Staub, welches machtlos dem geringsten Luftstrom war ausgeliefert, und nur sehr tief in seinem Innersten verborgen schürte dies weiter den Zorn auf Vescularius Salinator, welcher Ursache all dessen war. Gracchus nahm zusätzlich die drei Gladii auf, ein wenig überfordert mit der Masse an Dingen, schob dann Flaccus durch die Türe nach draußen, dass sie endlich würden aufbrechen.

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  • Die Perspektive, sich im ungestümen Galopp an die Rückenpartie des fremden Decurio zu krallen, erschrak den Knaben neuerlich und aktualisierte die Gewissheit, dass jedwede Sekurität noch immer zahlreiche Meilen entfernt lag, sich geradezu ihrem Zugriff zu entziehen schien. Als dann die Gladii Erwähnung fanden, welche sie bis hierher mit sich transportiert hatten, ohne irgendeinen Gebrauch davon zu machen mit Ausnahmen jener Exerzitien, welche der junge Flavius unter parentaler Aufsicht gegen Onkel Flaccus vollführen hatte müssen, ehe letzterer vom Fieber gefangen worden war, welche sich aber neuerlich als diffizile Praktik erwiesen hatten ob des Faktums, dass es Manius Minor in seiner Fehlsichtigkeit schwerlich möglich war, gezielte Stöße zu führen.


    Nun aber ergriff er seine Waffe gleich einem todesmutigen Soldaten, hängte sie sich über die Schulter und folgte dann Manius Maior durch die Tür, um die, wie er hoffte allerletzte Etappe ihrer wilden Flucht anzutreten.

  • Der Vater hatte seinen Sohn wegen dessen nicht vorgesehenen Ausplaudern seines Namens gerügt. Der decurio hatte es nolens volens zur Kenntnis genommen um es im gleichen Augenblick zu ignorieren. Statt dessen drängte er zur Eile.


    "Alsdann zu den Pferden. Wir müssen uns beeilen. Je eher wir in der castra sind desto besser. Gibt es noch Fragen? Wenn nicht, dann helft dem Kleinen, nachdem ich aufgesessen bin, auf mein Pferd."


    "Und du,"
    er sah zu dem Jungen,
    "suchst dir hinter mir einen guten Halt mit beiden Händen."


    Dann wandte er sich noch einmal an den Älteren.
    "Du bist dir wirklich sicher, daß dein Begleiter diesen Ritt überstehen wird?"

  • Gracchus nickte, mehr um sich selbst zu überzeugen, dass es besser für Flaccus war, diese letzte kurze Etappe hinter sich zu bringen als vor Ort zu bleiben.
    "Er wird."
    Auch sein Neffe bestätigte diese Worte mit einem Nicken und einer leisen Zustimmung, was nicht anders war zu erwarten, schlussendlich waren sie Flavier, ob dessen das Eingeständnis von Schwäche selbst in offensichtlich desolatem Zustand ihnen nicht gut zu Gesicht stand. Aus dem kleinen Stall der Herberge holten sie Flaccus' Pferd und auch dasjenige, auf welchem Minor geritten war, um keine Spur zu hinterlassen. Nachdem der Decurio auf seinem Pferd saß, half Gracchus seinem Sohn und hernach seinem Neffen auf die Tiere und kletterte dann - ein wenig umständlich über eine kleine Mauer - auf sein eigenes.
    "Wir können los"
    , gab er dem Decimus zu verstehen und reihte sich hinter Flaccus, der ein wenig gebeugt, aber alles in allem recht sicher im Sattel saß. Dennoch behielt Gracchus ihn im Auge, dass er nicht weiter auf den Weg achtete, sondern sich darauf verließ, dass der Decurio sie sicher zurück zur Legio I würde geleiten.

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  • Nachdem sich der decurio vergewissert hatte, daß sich der Kleine fest an ihn klammerte, wandte er sich noch einmal um um zu sehen, ob die ihm Folgenden ordnungsgemäß zu Pferde saßen. Er wendete Incitatus und ritt neben den Älteren.


    "Noch eines. Wenn ich einen Arm aus Schulterhöhe einmal senkrecht hochstoße, so bedeutet das, daß wir anreiten. Stoße ich einen Arm aus Schulterhöhe mehrmals schnell senkrecht hoch, bedeutet das, schneller werden. Halte ich meinen Arm mit geöffneter Hand hoch, so ist Vorsicht geboten und bei schneller Gangart in den Schritt zu parieren. Und als letztes, wenn ich einen Oberarm seitwärts in Schulterhöhe hebe, den Unterarm nach unten abwinkle und dann mehrmals nach unten stoße, halten wir an. Und vergeßt nicht, während des Ritts wird nicht gesprochen."


    Prüfend sah er den Angesprochenen in Erwartung einer Bestätigung, daß dieser verstanden hatte, an

  • Den Griff des Gladius umfasst folgte der Knabe den drei Adulten hinab durch die Wirtsstube in den Stall, wo sie neuerlich ihre Reittiere zu besteigen hatten. Dank der parentalen Hilfe gelang es ihm rasch, den Platz hinter dem Decurio einzunehmen, von wo aus er den ob des deplorablen Zustandes beklagenswerten Modus des Aufsitzens aufseiten Onkel Flaccus' begutachtete. Dank der gewissen Distanz zu jenem Geschehen vermochte er gar die Gesichtszüge der Verwandten zu erahnen, was indessen angesichts der blassen, geradezu verhärmten Miene des jüngeren Flavius von geringer Erfreulichkeit war.


    Endlich präsentierte der Decimus noch letzte Instruktionen, welche bei Manius Minor eine gewisse Admiration evozierten, da ihm die Rafinesse militärischer Kommando-Technologie in seinem bisher ach so behüteten und unbedarften Leben niemals nahe gebracht worden war, obschon Onkel Antistes als Heroe des Partherkrieges bisweilen an den flavischen Triclinia Erwähnung gefunden hatte. Augenscheinlich war der Kasus bei den übrigen Flavii aber similär gelagert, denn in den allseitigen Konfirmationen schwang ein Erstaunen in nicht geringem Maße mit.


    So ergriff der jüngste Flavius den Rumpf des Offiziers und schloss die Augen, wodurch ihm der jedem Menschen eigene Geruch in die Nase bewusst wurde, welcher hier eine Melange von Stall, Schweiß und dem nach flavischen Maßstäben minderwertigen, zu oft getragenen Kleidungsstoffen bildete. Aber schon spürte er unter seinen Beinen die kraftvollen Bewegungen des Pferdes, welches sie, so Fortuna ihnen ein letztes Mal geneigt war, in die rettende Sekurität der Castellum-Mauern tragen sollte.

  • Zum Ende der Worte des Decurios hin hatte Gracchus' linke Braue sich deutlich in die Höhe empor gehoben, denn obgleich die Erklärung des Decimus durchaus wäre einleuchtend gewesen, sofern sie von exemplarischen Bewegungen wäre geleitet worden, sofern der Recipient eine durch die Vergangenheit geprägte Vorstellung davon hätte besessen oder aber ausreichend Gelegenheit und Geistesgegenwart, sich die Gesten zu imaginieren, so schien es dem Flavier in diesem Augenblicke, dass es wohl Jahre in den Reihen der Legio brauchte, um solch ein Gedankenkonstrukt auch nur flüssig hervorzubringen, geschweige denn es nachzuvollziehen. Hastig suchte er noch die Folge im Geiste zu repetieren und sich einzuprägen - letztlich hatte er notgedrungen sich auch daran gewöhnt, lange Reden oder literarische Werke auswendig zu lernen -, doch mehr als seitlich senkrecht mit geöffneter Hand nach unten den Oberarm in Schulterhöhe hoch stoßen um bei gebotener Vorsicht schneller zu werden konnte sich nicht mehr in seinen Gedanken festsetzen. Selbstredend indes war es eine Unmöglichkeit, dies gegenüber Decimus Cursor einzugestehen, so dass Gracchus nur nickte - letztlich waren sie ohnehin nicht darauf eingestellt, von irgendwem irgendwelche Weisungen entgegen zu nehmen und würden schlichtweg dem Tempo folgen, welches der Decurio vorgab.

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  • Endlich wurde dem decurio durch das Nicken des Älteren dessen Verständnis der erklärenden Handzeichen bestätigt. Alles in allem hatte ihm das lange Hin und Her bis zum Aufbruch viel zu lange gedauert. Er wollte diese Mission zu Ende bringen, so schnell wie möglich. Noch verdrängte er das Grummeln seines Magens, das, was ihm lieber gewesen wäre, nicht auf unzureichende Nahrungszufuhr zurückzuführen war.


    "Wir reiten heimwärts! Alles Wissenswerte ist gesagt. Folgt mir!"


    Damit setzte er sich an die Spitze. Bereits schon jetzt machte sich der Kleine hinter ihm bemerkbar. Das ungewohnte Gefühl der Umklammerung würde sich während des Ritts noch als hinderlich erweisen.

  • Schon wenige Zeit später hatte Gracchus bereits alle Anweisungen vergessen. Rechts, links, oben, unten, vorne, hinten - es war ihm alles gleich, solange nur vor ihm das Pferd seines Neffen nicht aus seiner Sichtweite geriet, er das seine dem nur immer hernach musste reiten lassen - und obgleich ihm dies nicht im Bewusstsein war, so genoss er diesen unbedarften Ritt ohne Sorge, den Weg nicht zu finden, ohne die Gefahr, die notwendige Abzweigung zu verpassen, ohne Blick darauf, dem rechten Weg zu folgen. Ohnehin war es das dumpfe Reißen, das scharfe Brennen und stechende Zerren, welches wieder von seinem Steiß empor durch seine Wirbelsäule bis in seinen Kopf empor kroch, das ihm die Gedanken vollends ausfüllte, dass er beinahe nicht einmal bemerkte als sie sich den Umrissen des Castellums der Legio I näherten.



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