... lass uns nicht fragen, wohin er führt. (Anatole France 1844-1924)
Ja wenn der Weg schön ist, weil er am Ende doch nicht nach Germanien führt, so ist das allemal schön! Also stellte sich diese Frage erst gar nicht, dafür aber so manch Andere: Was nun?... Soll ich mich jetzt auf eine nicht minder beschwerliche Reise nach Mantua begeben, oder bleib ich einfach hier? Aber wie sag ich es dann am besten Ursus, dass er gut daran täte dem Vescularier die Treue zu schwören und was antworte ich dem Decimer, wenn dieser irgendwann Ergebnisse sehen will? Ihr Cousin war so gesehen das Zünglein an der Waage und mit seiner Entscheidung würde er wohl das Schicksal aller Aurelier besiegeln (wenn er es mittlerweile nicht schon längst getan hatte). Sehr unwahrscheinlich, dass man uns Aurelier weiterhin in Ruhe lässt, sollte sich Ursus offiziell gegen diesen homo novus stellen und das wird er sicher tun, so wie ich ihn kenne. Irgendwie muss ich also diesen Decimer hinhalten und einen Weg finden, wie ich ihn mit seinen Liebesbriefen an Flavius Gracchus erpressen kann… Oder sollte ich vielleicht doch besser flieh..pardon, verreisen und damit möglichen Gefahren hier in Rom aus dem Weg gehen? Reisen oder nicht reisen? Fragen über Fragen, die der Aurelia langsam über den Kopf zu wachsen drohten, je länger sie hier in der villa Aurelia quasi auf gepackten Kisten saß. Eine "kleine Reise" hatte sie im übrigen bereits hinter sich, denn erst vor wenigen Tagen waren ihre Sachen aus der villa Flavia hierher in die villa Aurelia geschafft worden. Eigentlich hatte die Aurelia sich in der Obhut der flavischen Sklaven sehr wohl gefühlt, aber schlussendlich stellte das Haus, der Familie ihres verstorbenen Mannes kein Heim mehr für sie da und es war einfach ein befremdliches Gefühl gewesen, auf Dauer dort weiter alleine zu wohnen. Aber ob nun hier, oder dort, oder anders wo, …dieser Tage lebte es sich eigentlich überall "befremdlich" und andererseits wieder ganz gut. Eigentlich wie immer und das trotz der latenten Gefahren, die überall um sie herum lauerten.
Wie sollte sie auch die Gefahr erkennen in der sie womöglich gerade schwebte, nachdem mittlerweile sowohl die Urbaner als auch die Prätorianer beide Villen durch sucht hatten. Ergebnis? Gleich Null. Na gut, der Ruf der Familie hatte bis dato zwar ein paar unschöne Kratzer bekommen, man wurde nicht mehr zu allen Festivitäten eingeladen und hie und da wurde hinter ihrem Rücken getuschelt, Na und? Eigentlich war doch alles wie immer. Die Patrizier waren seit je her nicht sonderlich beliebt, aber trotz der Ereignisse blieb alles friedlich. Warum also extra in die Ferne schweifen, wenn das Gewohnte doch so nah lag. Abgesehen davon war es zur Abwechslung mal ganz schön und überdies eine völlig neue Erfahrung, eine riesige Villa für sich alleine zu haben. Niemand hier der mir Vorschriften macht, was ich tun soll und wie ich mein Geld auszugeben habe, und und und ... rings herum nur Sklaven und der übliche Luxus der ihr (noch) geblieben war, … also was gab es also schöneres als diesen Luxus und die vermeintliche Freiheit zu genießen. Tag für Tag. Carpe diem. Mehr denn je das Motto das Prisca an den Tag legte, je länger sie dazu verdammt war hier in Rom der Dinge zu harren, die da kommen mochten.
So auch an jenem Tag, den die Aurelia, aus der Langeweile heraus geboren, kurzerhand zu einem persönlichen Feiertag erklärte und worauf die aurelischen Sklaven das gesamte Haus entsprechend schmücken und für den nötigen Kurzweil sorgen mussten: Mit Musik,Tanz, Gesang , kleinen Theaterstücken und einer Vielzahl an Köstlichkeiten, was eben zu einem richtigen Gelage dazu gehörte, im Sinne der Ästhetik und dem Credo ihres verblichenen Gatten folgend. Und mitten drin lag die Aurelia, einem Kunstwerk gleich gehüllt in ein Hauch von Nichts und umgeben von betörenden Aromen und sanfter Musik, zu der man sich so wunderbar lasziv schwebend auf einem Meer von Kissen und Rosenblüten räkeln konnte. So als würde sie auf einen feurigen Liebhaber warten, der jeden Moment zur Tür herein stürmen könnte und "…" Ach ja … das war natürlich nur reines Wunschdenken , aber wenigstens sorgten die Sklaven gerade für einigermaßen befriedigendes Amüsement, mit ihrer - mehr oder weniger gelungenen - Interpretation von einer von Aesops Fabeln. Der Löwe und das Mäuschen. Wie putzig. Schauspielerisch konnten die Sklaven jedenfalls kaum überzeugen, aber lustig anzusehen waren sie allemal, wie sie da in ihren freizügigen Tierkostümen umher sprangen und -tanzten. Das hätte ihren Freundinnen sicher gefallen! Davon war Prisca zumindest fest überzeugt, nur leider konnten Serrana und Calvena nicht mitfeiern, da sie sich um ihre Familien kümmern mussten. Insbesondere Serrana, die durch die Geburt ihres Jüngsten sozusagen "schuld" daran war, dass die Reise nach Germanien auf unbestimmte Zeit verschoben worden war. Ach ja, die gute Serrana! Mehr als einmal hatte Prisca den Göttern für die Niederkunft ihrer Freundin gedankt und auf ihr Wohl, das ihrer Kinder und das ihrer Familie getrunken. Ich muss sie unbedingt besuchen und mir den Kleinen mal anschauen. Gleich morgen. Ganz bestimmt, nahm sie sich wieder einmal fest vor zu tun, wozu sie schon in den vergangenen Tagen nicht fähig gewesen war.
Das lag aber nicht daran, dass Prisca nicht gewollt hätte. Wenn da nur nicht der viele Wein und die vielen Rauschmittel gewesen wären. Allein bei dem Gedanken an das Schaukeln der Sänfte wurde der Aurelia schon schlecht und sie musste sich übergeben, um im nächsten Moment schon wieder in ausgelassener Stimmung nach: "Mehr Wein!" zu rufen und dazu kichernd: "Und gebt mir noch etwas von den süßen Kräutern, die so schön benebeln die Sinne …" Ach ja! Mit einem wohligen Seufzer kuschelte sich Prisca in die weichen Kissen und verspeiste dazu eine süße Traube, die ein Mundschenk ihr zwischen die Lippen geschoben hatte. Ja so ließ es sich aushalten und so manches Unschöne vergessen, so wie zum Beispiel den Tod ihres Mannes und die infamen Anschuldigungen gegen ihre Familie. Über den Verlust ihres Gatten war Prisca - den Kräutern sei dank - schon seit Antium hinweg und ebenso wenig wie sie seitdem an ihn dachte, hatte sie weiter über den Decimer und das Gespräch in dessen Büro nach gegrübelt. Mit Sicherheit hatte der Kerl längst seine Spione nach Mantua entsandt und wüsste wahrscheinlich mehr als sie, was die Haltung ihres Cousins betraf. Blieb nur zu hoffen, dass das ganze nicht noch ein unschönes Ende nehmen würde. Apropos ...
"Das Wort unschön ist übrigens ab sofort tabu und wird nicht mehr laut ausgesprochen. Verstanden?", wandte sich die Aurelia aus ihren Gedanken heraus völlig zusammenhangslos an ihre beiden Leibsklavinnen, die neben ihr saßen und sich um das leibliche Wohl ihrer Herrin zu kümmern hatten. Das Gesagte war zwar völlig sinnfrei, aber das störte Prisca wenig. Kichernd schnuppert sie kurz an einer Räucherschale, nahm einen weiteren Schluck Wein aus dem Becher und blickte dann mit glasigen Augen zu ihren Sklavinnen: "Ach da fällt mir ein ihr zwei Hübschen, … wie weit waren wir eigentlich mit dem Brief an meinen, ehm ,… lieben Ursus? Ihr wisst doch wie wichtig es ist, dass er diesem Vescularier in den Allerwertesten kriecht, oder zumindest zum Schein so tut als ob. Lest doch mal vor was wir bis jetzt haben!… ", befahl Prisca ihren Sklavinnen fingerschnippend, ohne sich auch nur ansatzweise an den Wortlaut des Schreibens erinnern zu können. Hatte ich überhaupt schon was diktiert? Egal. Irgendwas werden die beiden schon aufgesetzt haben. Praktischerweise konnte Tilla schreiben und Mara sprechen, sodass die beiden Dinger sich wunderbar ergänzten. Dabei verließ sich Prisca weniger auf Mara und dafür voll und ganz auf Tilla, denn der Brief an ihren Cousin hätte eigentlich schon längst fertig sein müssen. Und wenn nicht? …Naja, Hauptsache der Weg ist schön ...