• Nach dem, mich vollkommen überraschenden und ebenso vollkommen erschütternden, Auftauchen meines Gastes, und dem spontanen Entschluss, dass er hier verweilen würde, ließ ich sofort ein Zimmer für ihn richten. Da das Haus zur Zeit mal wieder ziemlich voll war, und weil ich kein Aufsehen erregen wollte, wurde es aber eines der weniger repräsentativen - ein schlichtes Cubiculum im Obergeschoß des hinteren Teils des Hauses, ohne großen Luxus, aber mit einem hübschen Fresko an der Wand, und mit allem was man so brauchte eingerichtet. Die Fenster gingen hinaus auf den Nutzgarten, boten Aussicht auf Kräutertöpfe, ordentliche Reihen von Rüben und abgeerntete Bohnenbeete. Es war mir zwar schon etwas unangenehm, meinem noblen Gast keine elegantere Unterkunft zur Verfügung zu stellen... aber dieses Zimmer passte nun mal genau zu dem was er hier war: Aton.


    "Aton aus Alexandria", so stellte ich ihn der Hausgemeinschaft vor. Ein Freund aus meiner Zeit in Ägypten, ein Gelehrter, der hier in der Hausbibliothek aushelfen würde. Unseren eigentlichen Bibliothekar, Orosius, der "Aton" hätte erkennen können, schickte ich unter einem Vorwand auf Reisen. Er sollte mir un-be-dingt eine Abschrift des verschollenen Dramas "Tarpeia" besorgen. Angeblich gab es in Arelas einen Sammler, der noch ein Exemplar hütete. Wie auch immer, Orosius war aus dem Weg, und Aton zog ein.

  • Seit geraumer Weile hatte Gracchus seine Identität gänzlich abgelegt, lebte und agierte unter falschem Namen in der Casa seines Geliebten und verrichtete dort die Aufgaben eines Bibliothecarius - sofern er nicht unter Andeutung fadenscheiniger Vorwände sich zurückzog in das Gästezimmer mit einigen Schriften, diese wie er vorgab zu studieren. Die erste Zeit hatte er tatsächlich dazu genutzt, die Titel der vorrätigen Stücke in der Bibliothek der Casa Decima zu sichten, und wohl hatte diese ein wenig eintönige Tätigkeit ihn vorerst abhalten können von weiteren Grübeleien über seine Zukunft, wiewohl die seiner Familie und des Imperium Romanum. Viele Schriftstücke waren ihm traut gewesen, bisweilen schlich gar sich ein schmales Lächeln über seine Lippen im Anblick der Titel, alsbald indes entdeckte er einige Schriftrollen, deren Inhalt ihm unbekannt waren - welche gleichsam die kurze, beinahe unbeschwerte Zeit wieder zu einem Ende führten, denn im Versuch, die Texte zu lesen musste Gracchus wie stets nach wenigen Worten wieder scheitern, vermengten die Sätze sich doch zu undurchdringlichem Gewirr, reihten die Bruchstücke derer sich zu wirren Sinnen, welche nicht einmal die modernsten Schreiber derart mochten gestalten. Wozu Manius Flavius Gracchus nicht in der Lage war, dies würde auch "Aton" nicht können - und ein Bibliothecarius, welcher nicht konnte die Texte in seiner Bibliothek lesen, dies war wie ein Streitwagen ohne Räder, ein Löffel mit einem Loch oder eine Lyra ohne Saiten - unbrauchbar und unglaubwürdig. Im Bewusstsein dessen wurde Gracchus zunehmend unruhig, schlich zwischen dem Mobiliar der Bibliothek ruhelos auf und ab - eine Schriftrolle stets nur als Alibi in seinen Händen haltend -, zog mehr und mehr sich mit Schriftstücken in sein Cubiculum zurück, doch dachte beständig wieder an die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Des Nachts wurde sein Schlaf unruhig, oft lag er wach, des Tags war er rastlos und nervös, erwartete instinktiv hinter jeder Biegung des Hauses eine Abordnung des Vesculariers, welche in den Carcer ihn würde schleifen wollen - und nur in den Augenblicken, wenn Faustus bei ihm war, fand er ein wenig Ruhe, konnte die Welt um sich her gänzlich ausblenden, in Aton aufgehen und alles vergessen. Serapio jedoch hatte weiter sein alltägliches Leben, sich um Belange seiner Familie zu kümmern und seinen Dienst als Praefectus Praetorio zu verrichten, dass Gracchus-Aton viel Zeit in dem ihm fremden Haus alleine verbrachte, beständig gequält von Gedanken aus seinem Innersten, beständig unter der Oberfläche seines Selbst mit sich ringend, beständig im Kampf zwischen seinem nichts wissen wollenden Geist und seiner wissenden Seele.

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  • Spärlich nur fiel das Licht auf den hölzernen Boden unter dem einfachen Bett in Atons Cubiculum, doch Gracchus kniff seine Augen zusammen und ritzte unbeirrt mit dem scharfen Stein Muster in das weiche Holz, dabei Worte in altitalischer Sprache vor sich hinmurmelnd, deren Sinne kaum mehr jemand würde erfassen können, deren Sinn ihm selbst nicht im einzelnen, sondern nur im Gesamten war verständlich. Zuletzt schlussendlich legte er seine linke Hand einige Augenblicke flach in das entstandene Gewirr aus Kreisen und Linien, schloss die Beschwörungsformel mit der abschließenden Anrufung der nächtlichen Schutzgeister und kroch sodann ein wenig umständlich unter der Bettstatt hervor. Seufzend blieb er einige Augenblicke auf dem Boden davor sitzen, zufrieden über die Sicherheit, welche des Nachts nun ihn würde umfangen, doch unmutig über das leise, schmerzhafte Ziehen und die Enge in seinem Brustkorb, als würde dort eine gewaltige Hand ihn umfasst halten. Zwar mochte er kein junger Knabe mehr sein, welcher flink unter Betten und Tische kroch, um sich beim Versteckspiel darunter zu verbergen, doch seit der Flucht aus Rom, aus seinem angestammten Leben, hatte Gracchus fortwährend das Gefühl, sein Leib würde ihn im Stich lassen, würde über alle Maßen hinaus ihn piesacken und gängeln, sich eines siebzigjährigen Greises würdig gebaren, doch keines Mannes im besten Alter. Nur in Faustus' Gegenwart ließ er noch sich entspannen, nur in Faustus' Armen mochte er jedes Ziehen und Zerren vergessen - doch zu oft weilte der Geliebte in der Castra als das Gracchus sein Unwohlsein mochte dauerhaft verdrängen können. Mit einem neuerlichen Seufzer zog er sich am Bett empor und trat zu dem kleinen Tisch mit der flachen Schüssel voll Wasser darauf, um sich seine staubigen Hände darin zu reinigen, stockte jedoch als sein Blick auf die spiegelnde Oberfläche fiel. In dem klaren Nass zappelte ein kleiner, schwarzfarbener Käfer, suchte vergeblich aus dem für ihn gewaltigen See zu entkommen.
    Was für ein jämmerliches Wesen in seinem jämmerlichen Kampf um sein jämmerliches Leben!
    Gracchus achtete nicht auf die Stimme in seinem Rücken, hob seine Hand und tauchte sie unter das zappelnde Insekt, dieses in seiner Handfläche empor zu heben aus dem Wasser.
    "Auch ein Käfer hat seinen Nutzen, seine Aufgabe in der Welt, und es steht dir nicht zu, darüber be..stimmen zu wollen, ob dies jämmerlich ist oder nicht."
    Er schüttelte das Insekt von seiner Hand auf die Tischplatte und drehte sich um zu dem dröhnenden, tiefen Lachen, welches hinter ihm hatte eingesetzt, welches doch nur in seinen Ohren, in seinem Geiste zu vernehmen war.
    Hahaha! Ich spreche von dir, Bruder, nicht von dem Käfer! Von deinem jämmerlichen Leben und diesem jämmerlichen Versuch, es dir zu bewahren - wie du dich hier verkriechst, dich versteckst und verleugnest, wer du bist und was du getan hast!
    Quintus Tullius' Stimme troff von Verachtung und Abscheu, doch Gracchus starrte das Trugbild nur einige Augenblicke an, ehedem er langsam den Kopf schüttelte.
    "Ich habe nichts getan"
    , sprach er leise.
    Wieder lachte sein Zwilling abschätzig auf.
    Oh ja, und du bist auch niemand! Du bist ein jämmerlicher Wurm, jämmerlicher noch als dieser Käfer!
    Mit einem schnellen Schritt trat er an Gracchus heran, so dass jener glaubte seinen Atem in seinem Gesicht spüren zu können - ein fahler, eisiger Hauch, eine leise Ahnung des Todes.
    Du hast es nicht verdient, mein Leben zu leben! Was auch immer du getan hast oder nicht getan hast, du hast in allem versagt, du hast die Wahrheit, das Imperium und die Familie verraten!
    "Ich habe ihn nicht umgebra'ht!"
    suchte Gracchus halbherzig sich zur Wehr zu setzen, doch während sein Verstand, sein Geist dies mochte glauben, so wusste sein Leib um die Qual in seinem Inneren, spürte er neuerlich die Enge in seiner Brust.
    Du warst immer ein schlechter Lügner, Manius, schon als kleiner Junge.
    Tröstend fuhr Flavia Nyreti ihrem Sohn über den Kopf.
    Die Wahrheit war doch stets dein höchstes Gut, mein Sohn. Was ist nur aus dir geworden?
    "Aber es ist die Wahrheit!"
    fuhr Gracchus in den leeren Raum herum.
    "Ich ... ich habe ihn nicht ermordet!"
    Es klangen diese Worte alles andere als überzeugt aus seinem Munde, ausgelaugt und ausgezehrt im Bemühen beständig das fragile Konstrukt der Lüge in und um sich her aufrecht zu erhalten.
    Ja, du bist frei von Schuld, Flavius Gracchus, denn er war längst tot! Kaltblütig ermordet von den finsteren Plänen des Vescularius Salinator! Der Kaiser und das Imperium waren längst tot bevor wir auch nur den Gedanken fassten, etwas zu tun.
    Ein wenig erschrocken drehte Gracchus zu der neuen Stimme sich um, deren Couleur ihm zwar bekannt, doch nicht traut war, welche nicht zu jenem Stimmenorchester gehörte, welches beständig und immer wieder ihn quälte.
    "Auch du, Tiberius Durus, auch du!?"
    Er wollte nicht den verloren Freund sich einreihen lassen in die Reihe der verlorenen, rastlosen Schatten um ihn her.
    "Du bist tot, Tiberius, tot und längst fort!"
    Zögernd wich er zurück bis dass er hinter sich das Bett spürte, ließ darauf sich hernieder.
    Ich bin tot und doch bin ich es nicht, Gracchus, denn was wir begonnen haben ist nicht beendet und das Imperium noch immer in Gefahr. Ich bin tot, doch du nicht, Gracchus, du nicht! Du musst beenden, was wir begonnen haben, du musst das Imperium vor dem Unheil bewahren!
    "Nein!"
    Er schüttelte seinen Kopf, hielt seine Handflächen an die Schläfen, schloss seine Augen, im vergeblichen Versuch die Larven aus seinem Leben zu vertreiben wenn er nur sie nicht mehr würde sehen können.
    "Nein, ich muss nichts tun, ich habe bereits alles getan! Ich … habe ihn nicht er..mordet! Ich kann nichts mehr tun, denn ... ich bin nicht mehr ich selbst, ich … habe alles getan,... ich kann nicht ich selbst sein, ich ... habe ihn nicht ermordet, ... ich kann nichts mehr tun ..."
    Langsam wiegte sein Körper im Strom der Worte sich vor und zurück, während stille Tränen durch die schmalen Spalte zwischen seinen Fingern sich drückten.

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  • Am Meditrinalientag, sehr früh am Morgen, bevor ich in die Castra praetoria aufbrach, tappte ich, noch etwas verschlafen, zum Zimmer meines Geliebten. Lächelnd kniete ich mich hin und schob ihm still und leise ein kleines Briefchen unter der Türe hindurch.


    An Aton


    Dein Antlitz seh ich stets, und schließ ich auch die Lider,
    Dein golden warmes Licht umschmeichelt meine Glieder,
    Vertreibt die Kälte und durchglüht mich ganz.
    Du überragst sie alle – drum stehst Du allein,
    Und ich, verzehrt von Sehnsucht, will Dir Gefährte sein!
    Im Fieber folge ich dem Feuerglanz,


    Bis endlich Deine Hand sich um die meine schließt.
    Die Welt verstummt. So hitzig wogt mein Blut und kocht und fließt
    In meinen Adern wie der Lohe roter Brand.
    In Deinem Sonnenschiff durchfahren wir die Nacht.
    Ich pflücke der Gestirne hohe Pracht,
    Und setz sie Dir ins Haar, ein funkelnd Band.


    Wir wolln an heute nur, nicht an den Morgen denken.
    Lass Menschen-Freude hier und Menschen-Lust uns schenken!
    In Ewigkeit und Rausch verströmen und verglühn...
    Niemals kann diese Himmelsfahrt zu Ende sein.
    Ich gab mich Dir, ich fand mich, ich bin Dein!
    In Ewigkeit im Jetzt. Vergehen und Erblühn.



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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Trist war der Raum um ihn her, blass und verschwommen, getaucht in ein trübes Licht gleich der Dämmerung eines verregneten Tages. Eng war der Raum um ihn her, hielt ihn fest in seinen knöchernen Klauen, raubte jede Luft ihm zum Atmen. In weiter Ferne wisperten leise Stimmen, murmelten ein Lied aus vergangenem Sein, flüsterten über ein Leben, das niemals zu existiert haben schien, erzählten von Menschen, von Begebenheiten und Gedanken, welche einem Traum gleich im nächsten Augenblick wieder verblassten.
    "Erwache, Manius Gracchus!"
    Einer im Winde tanzenden Feder gleich wogte ein leeres Blatt Pergament vor ihm her, senkte allmählich zum Boden sich herab und sog dort sich voll mit dem warmen Nass aus längst ausgetrockneten Tränen.
    "Entsinne dich, Manius Gracchus!"
    Träge hob er seinen Blick zu den pastellfarbenen Wolken hin, welche am endlosen Horizont ihn umwölkten, die Strahlen der goldfarbenen Sonne in sich aufsogen, dass sein eigenes Reich nur getaucht blieb in fahle Reminiszenz.
    "Erhebe dich, Manius Gracchus!"
    Doch nichts konnte noch dazu gereichen, sein Innerstes zu berühren, nichts konnte derart von Bedeutsamkeit sein, dass es ihm bemerkenswert schien im Angesichte der Wahrheit, deren Anblick er nicht mehr konnte ertragen.

    ~~~


    Manius Aton erwachte in seinem Cubiculum der Casa Decima, um jenen Tag zu durchleben, welchen er Zeit seines Lebens erlebte, einem stets wiederkehrenden Alpdruck gleich, einem Paradoxon der Zeit, einer Irritation der Natur, welche doch gänzlich ihm unbewusst blieb. Schon immer war er in diesem Raume erwacht als derjenige, welcher er war, schon immer hatte er seinen Tag hier beendet als eben dergleiche. Früher einmal musste es eine Zeit gegeben haben, in welcher er in Alexandria hatte gelebt - doch jede Erinnerung an diese Tage schienen ihm gleich den Erzählungen eines Schriftwerkes, jene Bilder, welche ihm gegenwärtig waren aus seiner Vergangenheit, hätten ebenso gut in Worte gegossene Berichte sein können eines ihm fremden Reisenden, denn es fehlten ihnen jegliche Emotion, jegliche Regung in seinem Inneren, sie bedeuteten ihm nichts. Eine Zukunft indes existierte nicht für Manius Aton, und selbst seine Gegenwart war begrenzt auf das unmittelbare Sein, den goldenen Käfig um ihn her. Faustus Serapio war der Inhalt seines Lebens, die Bibliothek des Hauses seine Farce und sein Schrecken zugleich, das Cubiculum indes der einzige Ort, an welchem er glaubte einen Teil von sich selbst erkennen, einen Teil von sich bewahren zu können. Er war definiert einem Protagonisten im Werk eines Dichters gleich und doch beschlich bisweilen ihn das Gefühl, dass es mehr musste geben in Manius Aton, mehr als die Larve, welche er nach Außen hin trug. Nur im Beisein Faustus' schien dieser Manius, welchen der Geliebte nannte, echt zu sein, schien ein wahrer, ein wahrhaftiger Kern in ihm zu existieren, welchen er um so mehr genoss als dass es der einzige Bestandteil seiner Existenz zu sein schien, doch um so mehr überkamen ihn Schwermut und Desperation sobald Serapio das Haus wieder verließ. Es gab augenscheinlich keinen Sinn in seiner Existenz, wiewohl der Gedanke an eine so derart sinnlose Existenz beständig ihn im Geiste beschwerte, dass bereits der Beginn des Tages ihm auf seiner Seele lastete.

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  • II - III


    Es war bereits dunkel vor dem Fenster, nur eine einsame Öllampe tauchte den kleinen Raum in ein honiggoldfarbenes Licht, ließ indes die Schatten des Raumes in ihrer dumpfen Düsternis verharren. Ein Teller mit Fladenbrot, einem kleinen Stück kalten Hühnerfleisch und einigen Oliven stand unangetastet auf dem dreibeinigen Tisch, ein noch unbenutztes Messer daneben, wiewohl ein leerer Becher, in dessen Bauch nurmehr einige rotfarbene Tropfen Wein schimmerten. Manius saß auf dem Bett, in sich versunken, der Leib eingesunken, den Blick hohl auf den Fußboden gerichtet und doch nicht im gegenwärtigen Geschehen verhaftet. Als er seine Augen schloss konnte er noch immer die Bewegungen des Tages fühlen, einem Nauta gleich welcher an Land stets das Schwanken der Schiffsplanken unter sich konnte spüren, konnte noch immer das Rascheln der Schriftrollen und Pergamente in seinen Ohren vernehmen, das Flimmern des Staubes in seiner Nase perzipieren. Er sehnte sich nach Stille, nach der bedingungslosen Stille traumlosen Schlafes, doch schon ein einzelner Tropfen Regen auf die Ziegel des Daches, ein einziger Lufthauch in den kahlen Ästen des Baumes vor dem Haus, nur das Seufzen eines Borkenkäfers in dessen Rinde gereichte ihm bereits dazu, die Stille gleich sich selbst zu verlieren. Nurmehr das Aufbegehren eines Sturmes, eines gewaltigen Unwetters würde noch ihn bewahren können vor Unheil und Schmerz, doch nichts dergleichen geschah, nichts dergleichen ließ er geschehen. Er verschwand einfach, erlosch. Er würde seine Schuld ertragen können, mit einem sublimen Lächeln im Gesicht, den Kopf erhoben im Wissen um die sonderbaren Grausamkeiten der Götter, denn letztlich war auch der Narr, welcher im Namen der Götter handelte, nur ein Narr. Doch er hatte seinen Weg verloren, er verschwand einfach, erlosch, ohne ein Wort, ohne eine Zeile, ohne ein Lächeln des Abschieds, denn längst konnte er nicht mehr darauf vertrauen, dass seine Füße noch verlässlich einen Pfad fanden. Eine leere Hülle nahm seinen Platz ein, ein Gesicht ohne Vergangenheit, ohne Leben und Erinnerung, welches nur eine Fassade konnte präsentieren, um die Welt zu täuschen - doch nicht sich selbst. Bisweilen versuchte Manius sich selbst zu erwecken, suchten in seinem Inneren die Reflektionen seiner Vergangenheit ihn wach zu rütteln, die Mauern einzureißen, welche er sich selbst hatte geschaffen, doch stets triumphierte sein Gemüt über diese Schatten, verbannte sie zurück in tiefe Versenkung, um nicht über die Wahrheit der Realität den Verstand zu verlieren, bemerkte dabei nicht, dass er selbst dabei verschwand, erlosch. Ohne Faustus, welcher ihn an seinen letzten Sinn gemahnte, welcher diesem trostlosen Dasein noch seine letzte Daseinsberechtigung verschaffte, begann jedoch sukzessive auch Atons Existenz zu bröckeln, blieb ein ratloser Manius zurück, welcher nicht mehr wusste, was an sich er noch konnte glauben, was überhaupt noch von ihm wahrhaftig war und was nur ein Trug. Als ein fernes, undefinierbares Wispern ihn zurückholte in die Gegenwart, erhob er sich, nahm das Messer vom Tisch und verließ den Raum.

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Ein unwirkliches Gewühl von ineinander verkeilten, graufarbenen Wolkenfetzen bedeckte die weite Fläche, welche üblicherweise überzogen war von Himmel, aber auch von sonstiger Welt umher, ließ nur Raum für den schmalen Pfad vor ihm, und wich erst mit Ankunft an der weitläufigen, kolossalen Villa vor ihm hinfort. Ein wenig zaghaft, eingeschüchtert durch die schiere Größe und den Glanz des Gebäudes klopfte er schlussendlich an das hölzerne Tor. Das Geräusch eines Riegels war zu vernehmen, welcher beiseite wurde geschoben, fern und dumpf, sodann ein weiterer auf der anderen Seite der Porta, dann erschien das Antlitz des Alexandriners in einem Spalt, hinter ihm nur Dunkelheit.
    "Salve, ich bin auf der Suche nach Manius Flavius Gracchus"
    , erläuterte der Gast sein Begehr.
    "Gibt es hier nicht"
    , entgegnete Aton nur knapp.
    "Aber er muss hier sein"
    , beharrte der Gast.
    "Bedaure, nein."
    Atons Antlitz blieb unbewegt, einer Maske gleich.
    "Aber ich bin ganz sicher, dass dies der rechte Ort ist."
    "Der rechte Ort womöglich, doch die falsche Zeit. Hier lebe nur ich, Aton aus Alexandria."
    "Kannst du allfällig nachsehen, ob er nicht doch hier ist?"
    drängte der Besucher.
    "Hier ist niemand außer mir!"
    blaffte Aton nun seinerseits und schloss verärgert, ohne ein weiteres Wort die Pforte. Hastig trat er durch den schmalen Spalt aus Niemandsland, welcher zwischen der alexandrinischen Fassade und dem eigentlichen Gedankengebäude klaffte, zurück in das Innere der Villa. Düster und bedrohlich schienen ihm die Masken der Ahnen im Atrium, von welchen er kein einziges Antlitz mochte wiedererkennen, welche doch gleichsam schauerlich und bedrohlich jede seiner Regungen beobachteten, fremd waren ihm die Erinnerungen, Eindrücke und Empfindungen, welche im Rest des Hauses waren kultiviert worden, welche er nun achtlos an sich vorüberziehen ließ, die Flure mit schnellem Schritte zu durchqueren. Nurmehr der schwache Schein einer schmalen Kerze, deren heißes Wachs ihm beständig auf die Hand tropfte, leuchtete den Gang aus, an dessen Ende er die schwere, eherne Türe aufschloss, welche hinab zum Keller führte. Feuchtigkeit und Moder schlug ihm entgegen je tiefer er eindrang in das Labyrinth, dass beinahe ihm der Atem fehlte als er schlussendlich im hintersten Gewölbe den Riegel löste, welcher die grob gearbeitete Falltür geschlossen hielt. Vorsichtig hob er das schwere, eisenbeschlagene Holz an, lugte im klammen Schein der Kerze in das Verlies hinab, in welchem nichts zu erkennen war als Dunkelheit und eine Anhäufung von etwas.
    "Manius Flavius Gracchus?"
    flüsterte er, da jeder Laut dröhnend von den Wänden widerhallte, doch nichts änderte sich an dem tristen Bild.
    "Manius Flavius Gracchus?"
    widerholte Aton darob noch einmal ein wenig lauter, wagte jedoch nicht nachzufragen, ob er noch am Leben war. Träge kam ein Hauch von Bewegung in die Anhäufung von etwas, geleitet von einem unwirschen Brummen, bis im Schwarz der Tiefe zwei Augen waren zu erkennen, von welchen schwerlich zu sagen war, ob sie nur den Schein der Kerze reflektierten oder ob ihnen selbst ein Glühen immanent war. Eilig ließ der Alexandriner die Klappe der Falltüre zufallen und verschloss sie, zufrieden mit dem Wissen, dass dort unten noch Leben sich regte, und entfernte sich mit schleichendem Schritte. Die Dunkelheit umfing Gracchus nun wieder, hüllte ihn ein in den trauten Klang der stillen Einsamkeit, dass nur der Funke des Wahnsinns ihm blieb, welcher sein Herz noch wärmte. Irgendwann würde dieser zu einem Feuer entfachen, einem Inferno gleich alles um sich herniederbrennen, die fragile Fassade zerfressen und den falschen Aton gleich mit. Bis dahin schloss Gracchus wieder die Augen, schlief weiter in seinem Gefängnis aus dissoziativer Verdrängung und Vergessenheit.

    ~~~


    Als Aton in der Dunkelheit erwachte fröstelte, zitterte er am ganzen Leibe. Kalt war es geworden im Herzen des Imperium, kalt war es ihm um sein eigenes Herz, dass kaum die Decke ihn zu wärmen vermochte, dass er nicht einmal mehr noch den Funken konnte in sich verspüren, welcher ihn am Leben hielt.
    "Faustus"
    , flüsterte er in larmoyantem Tonfalle leise in die Nacht hinein, denn Faustus war das Bindeglied, das seine Existenz zusammen hielt, Faustus war die Erinnerung, welche ihm fehlte. Doch Faustus war im Krieg, weit fort, und hatte zweifelsohne weit gravierendere Sorgen als einen klandestinen Geliebten, welchem sein Leben war abhanden gekommen. Obgleich ihm schien, dass sein Wachen ewig währte, war Aton alsbald wieder in Schlaf versunken, hatte alsbald wieder vergessen, was ihn umtrieb.

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  • Zitternd stieß Manius Aton die Türe zu seinem Cubiculum auf, drückte sich in den Raum hinein, sobald der Spalt gerade breit genug war, und lehnte sodann sich gegen das Holz, dass niemand würde eintreten können. Aus dem tönerne Becher voll Wein, welchen er in der Küche hatte erhalten, war bereits die Hälfte des rotfarbenen Nass auf dem Weg zurück hinaus geschwappt, Brot und Käse auf dem Teller lagen ob der andauernden Vibration bereits gefährlich nahe am Rande. Langsam sank Manius in die Knie, ließ sich auf dem Boden nieder, dass Teller und Becher nurmehr aus geringer Höhe aus seinen Händen auf den Boden hinab fielen, doch während beide Geschirrteile unversehrt blieben, rutschte sein Abendmahl über den Tellerrand auf den Grund, gleichwohl der Becher kippte und der Wein in eine kleine Lache sich ergoss. Irrrelevant indes schien dies Manius, der verzweifelt suchte das Zittern seines Leibes unter seine Herrschaft zu stellen, das Umherirren seiner Gedanken dazu, ebenso die Furcht, welche in seinem Nacken sich hatte festgesetzt. Kurze Zeit zuvor hatte er gerade sein Essen in der Küche in Empfang genommen, hatte bereits sich angeschickt, den Raum wieder zu verlassen, als der Sklave Icarion triumphierend mit einer Tabula war erschienen und lauthals hatte verkündet, dass er eine Abschrift der letzten Meldung der Acta Diurna hatte erhalten können, in welcher der Hausherr Serapio über den Mord an Kaiser Valerianus war befragt worden.
    Wer tötete den Kaiser?
    hallten die von Icarion effekthascherisch in Szene gesetzten Worte in Manius' Geiste wider. Als wollte er ein Theaterstück aufführen war der Sklave durch die Küche stolziert, hatte die Frage zigfach wiederholt - in empörtem Tonfall, in Flüstern und Wispern, in zürnender Ernsthaftigkeit. Dann - Auftritt des Hausherrn, angekündigt durch ein Loblied mannigfaltiger positiver Charakteristika, in hochtrabender Couleur, ehedem er sich wieder der Abschrift hatte zugewandt.
    Decimus - unser Herr Serapio! -: Eine Gruppe von Verschwörern aus den Reihen des Senates hat diesen Mord begangen.
    Wie in Trance hatte Manius der weiteren Vorlesung beigewohnt, unfähig den Raum zu verlassen, in Furcht jede noch so kleine Bewegung würde dazu gereichen, ihn den Halt verlieren zu lassen, dabei nicht einmal dessen bewusst, weshalb die Worte ihn derart in Bedrängnis versetzten, doch mit jedem Satz hatte er mehr und mehr Zuversicht verloren, war mehr und mehr Beklemmung in ihm empor gestiegen bis das Martyrium nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ein Ende hatte gefunden.
    Das kann und darf, und sobald dieser Aufstand niedergeschlagen ist wird das auch nicht, ungesühnt bleiben. Das war's, Ende der Vorstellung und zurück an die Arbeit!
    Als wäre nichts gewesen waren die Sklaven zu ihren Aufgaben zurückgekehrt, hatten ein wenig über ihren Herrn und die Geschehnisse im Imperium getratscht, doch Manius hatte nichts davon noch in sich aufnehmen können. Hastig hatte er die Küche verlassen, war durch die Gänge des Hauses geflohen und hatte mit jedem Schritte, mit jedem Tropfen Wein, welcher über den Rand des Bechers war geschwappt, auch ein Stück mehr seiner Contenance verloren.
    "Ich"
    , beantwortete Manius wispernd die essentielle Frage, welche in seinen Gedanken umherspukte, fürchtete sich dabei vor sich selbst und wusste doch nicht weshalb. Wo war er gewesen als der Kaiser war ermordet worden? In Alexandria? Auf der Überfahrt nach Italia? In Italia? Wie war er nach Rom gelangt? Allein? Zu Fuß? Mit einem Gefährt? Weshalb konnte er dessen sich nicht entsinnen? Weshalb zerrten und rissen die Antworten Faustus' derart an seinen Grundfesten? Weshalb hielt Faustus ihn seitdem versteckt? Es musste ein Bindeglied geben zwischen ihm, Faustus und den Geschehnissen um ihn her. Wer war er, Fremder aus Alexandria, dass dies alles ihn derart tangierte?
    "Manius"
    , flüsterte er als könnte dieser Name seine Existenz erklären und wohl rüttelte der Klang dieses Namens an seiner Erinnerung. Etwas war nicht richtig, etwas war falsch an seinem Leben, seiner Existenz, seiner Erinnerung. Er suchte es zu greifen, zu fokussieren allein mit seinem Willen, emporzuzerren aus der tiefen Dunkelheit an das Licht der Wahrheit.
    "Aton."
    Er war es, der dem Zweifel entgegen stand, er war es, dessen Klang ein Konstrukt aus Gedanken erschuf, welches ausreichend schien, ein Leben zu füllen, denn Aton war das Bindeglied seiner Existenz. Womöglich war er noch auf dem Schiff gewesen als der Kaiser starb, allfällig bereits in Italia. Vielleicht war er zu Fuß unterwegs gewesen, möglicherweise auch als Mitreisender auf einem Wagen. Weshalb sollte dies relevant sein? Er war Manius Aton aus Alexandria, er war nur zufällig in diese Wirren des römischen Imperiums hineingeraten. Er hatte nichts damit zu tun. Nichts. Zweifellos war es so. Musste es so sein. Konnte nicht anders sein. Denn letztlich war es ohnehin ein reichlich einfältiger Gedanke.
    "Nichts"
    , bestätigte er sich selbst, ehedem er sich – sein Leib noch immer beherrscht von leisem Zittern - anschickte, die Überreste seines Abendessens zu beseitigen. Er hatte nichts mit alldem zu tun. Nichts. Der Hunger indes war ihm dennoch vergangen.

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  • Wie viele Stunden, Tage, Monate oder Jahre mochte lange andauern? Wie viele Stunden, Tage, Monate oder Jahre mochte zu lange definiert sein? Es war bereits lange her, dass die Absenz Faustus' Manius zu lange erschien, zu lange her allfällig, doch jede Stunde, jeder Tag änderte nichts mehr daran, dass es zu lange war, jeder Tag, jede Stunde, jeder Augenblick war nur ein weiterer Tropfen im endlosen Ozean der Zeit. Endlosigkeit, Ewigkeit - welcher Mensch mochte von sich behaupten, dieses Prinzip auch nur im Ansatze zu erfassen in der Lage zu sein, der er doch dazu war verdammt nur eines Bruchteiles der Zeit überhaupt sich entsinnen zu können - und doch glaubte Manius allmählich, eine Ahnung davon sich erlauben zu können, wie es mochte sein, zu endloser Ewigkeit des Wartens verdammt zu sein. Seine Sehnsucht nach Faustus stieg ins Unermessliche, hatte längst jede Stufe der Realität überschritten, war zu einer metaphysischen Sehnsucht erwachsen nach einem Ideal der Liebe, welches in dieser Art zweifellos in einem nahen Menschen niemals zu finden war. Würde irgendwer ihm Gewissheit bringen, dass Faustus womöglich längst gefallen war im Kriege, würde er seinen toten Leib vor sich sehen, die kalte, bleiche Haut berühren können - ohne Zweifel würde Manius ihm ohne Zögern, ohne Zaudern in den Tod folgen in der Überzeugung, dass ein Leben ohne Faustus wäre kein Leben mehr. Die Ungewissheit indes ließ ihm keine Wahl, verdammte ihn zu Leben und Warten, zu Sehnen und Wünschen, zu Hoffen und Bangen - jeden Augenblick, jede Stunde und jeden Tag auf ein Neues, stets gequält von der Frage, wie lange dieses lange noch mochte andauern.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Jede Hoffnung hinfortgeschwemmt von der Unbarmherzigkeit der Zeit, jede Zuversicht verloren in den dunklen Winkeln des Lebens, jede Aussicht auf Zukunft vergraben in der Vergangenheit. Schwarzfarben zog schweres Regengewölk über einen Himmel, welcher in Asche und Kohlestaub getaucht schien, dass jeder noch so winzige Schimmer verschluckt wurde von seiner Düsternis. Kalt und scharf schnitt das Geröll unter seinen Füßen ihm in die Haut, bohrten die Spitzen der Steine sich in sein Fleisch hinein, dass der dunkle Lebenssaft den Grund benetzte, zerrte ein eisiger Wind an seinem Leib, überzog ihn mit klirrender Kälte - doch längst spürte er keinen Schmerz mehr, längst spürte er nicht das leiseste Raunen noch in sich, hatte jegliches Gefühl aus sich verbannt in Furcht, dem Anblick seiner Existenz erliegen zu müssen. Weit war der Weg und trostlos, knorrige, verdorrte Bäume mit welken Blüten aus Pergament säumten das devastierte Land, boten den einzigen Anhaltspunkt der Entfernung, welche hinter ihm lag, welche vor ihm lag. Er mochte nicht sich dessen erinnern, was er zurückgelassen, was er verloren hatte, gleichsam nicht darüber sinnieren, was an seinem Ziel ihn erwartete, denn zu grausam war die Erinnerung, zu grauenvoll die Aussicht. Er mochte sich darniederlegen und zerfallen zu Bedeutungslosigkeit, doch sein Leib schleppte sich weiter, gönnte ihm nicht Rast, noch Ruhe, noch Erlösung, nur sein Geist driftete in apathischer Sinnlosigkeit dahin, dass er längst nicht mehr bemerkte, dass Steine und Äste sich beständig wiederholen, dass die rotfarbenen Spuren im Staub vor ihm von seinen eigenen Füßen stammten, dass er gefangen war in einem nie endenden Kreis.

    ~~~

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Goldfarbene Flammen loderten in den dürren Ästen der Bäume, tauchten die Welt in einen gierig züngelnden Widerschein und überzogen die ferne Stadt mit einer feinen Dunstwolke schimmernder Partikel aus Asche und Staub. Erst der grelle Schein der Sonne, welche in einem gleißenden Wagen über das Firmament hinwegrollte, erlöste das Fieber der Nacht mit tiefem Schlafe, ließ selbst seinen Abschied verblassen zu Bedeutungslosigkeit. Schatten erhoben sich, fielen in sich zusammen, doch seine Ohren verschlossen sich taub dem Ruf der Sirenen, denn Jahre schienen vergangen seitdem er zuletzt seinen Namen hatte ausgesprochen. Brennend im hellen Blau stieg das Licht kalt empor, doch wie in seiner Erinnerung lag auch in der Wintersonne keine Wärme verborgen, bot nur das reinigende Feuer den Schutz, nach welchem er so sehr sich sehnte. Er wollte verbrennen, verglühen, wollte gehen, sein Herz mit sich nehmen, zurück zu sich selbst, Seite an Seite mit den Flammen die Welt durchwandern, jene Orte suchen, an welchen die verborgenen Fragmente seines Lebens ihn erwarteten, die Sonne begraben samt ihrer Geschichte, die verlorenen Tage verbrennen lassen in der Hitze des Feuers, denn Licht und Schatten des Tages bekümmerten ihn nicht mehr.

    ~~~


    Als Manius am Morgen erwachte, stieg die kalte Wintersonne allmählich am Horizont empor, denn kein Feuer vermochte das Himmelsgestirn zu löschen, so dass auch in ihm weiter das fremde Leuchten alles überdeckte.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Schwer und drückend lastete die betrübliche Dunkelheit auf seinen Schultern - obgleich er nicht körperlich war, nur ein Schemen allfällig, die Idee einer Persönlichkeit, und somit nicht wirklich seine Schultern konnte spüren, die Last darauf indes um so mehr -, und Stille umfing ihn, eine unnatürliche Stille, welche dem menschlichen Instinkt in ihm zweifelsfrei notifizierte, dass dies ein toter Ort war, ohne auch nur einen Hauch von Leben, ohne den Anschein eines Hauches von Lebendigkeit, nicht einmal eine Spur natürlicher Bewegung unbelebter Materie - den leisen Luftzug des Windes, das stumme Säuseln eines Flusses oder das Mahlen eines tristen Staubkorns auf steinigem Grund. Nichts. Leere. Bis dass ein endloser Augenblick vergangen ward.
    "Manius?"
    Im ersten Augenblicke vermutete er ein Echo aus Reminiszenz, ein Schatten seiner Vergangenheit, doch in der Repetition seines Namens erkannte er alsbald mehr als nur ein intrinsisches Flüstern seiner Imagination.
    "Manius?"
    Einem in perfekter Harmonie ausgebildeten Ton gleich schwebte diese Melodie durch die diffuse Welt, getragen von der federhaften Leichtigkeit einer Stimme, welche ihm so traut, welche ihm gleichsam so abgängig war.
    "Hier. Ich bin hier."
    "Oh, Manius! Da bist du ja endlich!"
    Erleichtert legte sie ihre Hände um seinen Hals, presste ihren zarten, zerbrechlichen Leib an seine Hülle, und entgegen seiner sonstigen Eigenart irritierte ihn diese Berührung nicht im Geringsten. Behutsam legte er seine Hand auf ihre Schulter und delektierte den zarten Duft ihres Haares.
    "Leontia."
    Erleichtert schloss er seine Augen.
    "Ich hatte solche Angst, du seiest längst tot."
    Noch ehedem er seine Augen wieder öffnete, konnte er spüren wie ihr Körper in belustigtes Beben verfiel, sich von dem seinen wieder löste.
    "Aber Manius,"
    lachte sie heiter und glockenhell, dabei ein leichter Tadel in ihrer Stimme als wäre ein unwissendes Kind ihr Gegenüber.
    "Das Leben ist doch viel zu kostbar, um es aufzugeben! Komm mit, ich zeige dir seine Anmut."
    Sie fasste seine Hand, mit zartem, doch gleichsam festem Griffe, und nahm ihn in ihrer beschwingten Euphorie mit sich, zog ihn durch die steinernen Gänge, deren grobe Wände das flackernde Licht der Fackeln - welche gehalten wurden von lebendigen Händen - reflektierten, bis aus einem Bogen hinaus in die Helligkeit der Sommersonne, dass er einige Augenblicke geblendet war von ihrer Schönheit, wie von dem kräftigen Schein des Himmelsgestirns. Stolz trat er auf das Podest hinaus und blickte durch das gewaltige Rund des Amphitheatrum Flavium - sein Theatrum! Gemeinsam mit seiner Base ließ er sich auf den Platz des Kaisers nieder als bereits die ehernen Tore am Rande der Arena sich öffneten. Unter Fanfarenstoße und Trommelschlag trat der erste Kämpfer in das Rund hinein - der animalische, ungestüme, furiose Heroe Hephaistion -, gehüllt in einen schimmernden, archaischen Muskelpanzer, einen Helm nach Griechenart unter den Arm geklemmt, vom Antlitz her ident mit Faustus Serapio. Er reckte sein Schwert empor und stieß einen siegessicheren Laut gen Himmel, dass das Publikum - tausende, abertausende Manius' Ebenbilder - in tosenden Jubel ausbrach, denn er war der Favorit der Menge, der leidenschaftliche, bedingungslose Streiter. Ihm gegenüber trat in stoische Ruhe und Contenance gehüllt das Abbild des perfekten Römers, Prototyp aller Flavier, aufrecht und stolz, voller Ehre, Prinzipien und Ideale, in der Rüstung eines Feldherren der Legionen, zielsicher, überlegt und bedacht bei jedem seiner Schritte.
    "Ave Manius, morituri te salutant!"
    entboten sie ihm, ihrem Imperator, den Gruß, und mit einem Wink ließ er das Spektakel seinen Anfang nehmen.
    "Mögen die Spiele beginnen, möge der bessere gewinnen!"

    Während der Flavier sich in Position brachte, seinen Gegner begann abzuschätzen und seine Taktik zu konzipieren, stürzte Hephaistion sich auf ihn, dass alsbald Schlag auf Schlag durch die Arena hallte, Gladius auf Gladius schlug, Gladius auf Haut, Fleisch und Knochen, dass das Blut spritzte und den glühend heißen Sand in dunkles Rot färbte, dass die Gracchus-Menge johlte und tobte. Endlos schien der Kampf anzudauern, bis dass endlich Hephaistion den Flavier zu Boden rang. Erwartungsvoll blickte er zu seinem Kaiser empor, dass jener nurmehr in seinen wundervollen blauen Augen mochte versinken.
    "Wenn einer stirbt, werden beide vergehen"
    kommentierte Leontia das Geschehen mit einem süffisanten Lächeln, doch Manius erhob sich, sein Antlitz regungslos, den Geliebten fixierend, ballte seine Hand zur Faust, streckte den Daumen aus und ließ ihn zum Boden hin aus. Neuerlich brandete der Jubel der Zuschauer auf, und mit einem kräftigen Hieb trieb Serapio sein Schwert in das Herz seines Feindes. Gierig umarmte Manius, nun selbst im Sand der Arena stehend, im Sande des endlosen Strandes eines unendlichen Ozeanes, seinen Sieger, forderte Kuss um Kuss von seinen Lippen, ließ seine Hände wandern über die nackte Haut Faustus' und mochte niemals mehr ohne ihn sein. Zeitlos schien das glückvolle Verweilen in bedingungsloser Leidenschaft anzudauern, bis dass schlussendlich der Skorpion seine Beute zu Boden rang, mit einem kräftigen Hieb seinen Stachel in Manius' Herzen trieb.
    "Wenn einer stirbt, werden beide vergehen"
    , trieb Leontias Lächeln dem Ozean gleich an ihnen vorbei, verwischte mit ihrem Wellengang alle Spuren im Sand, dass nichts mehr übrig blieb von beiden, nichteinmal noch eine Erinnerung.

    ~~~

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  • Einem gefangenen Löwen gleich lief Manius durch den Raum, setzte seine Schritte bis dass er eine Wand erreichte, kehrte um und setzte den endlosen Gang fort. Die Rebellenarmee hatte vor den Toren Roms Stellung bezogen - in der Culina hatte er diese Neuigkeit vernommen, wie jede Neuigkeit der letzten Zeit -, die Verräter waren in unmittelbarer Nähe, und diese Nachricht wühlte ihn mehr auf als dies mochte angebracht sein, obgleich er nicht genau wusste, weshalb, nur dass dies von eminenter Bedeutsamkeit war, allfällig sogar mit ihm, mit all seinen Lügen mochte in Zusammenhang stehen, doch er hatte es nicht gewagt, Fragen zu stellen - Fragen hinsichtlich der Stärke dieser Armee, ihres Feldherren oder des Verbleibes der Praetorianer und damit Faustus'. Zurück in seinem Cubiculum suchte er wie so oft in den zurückliegenden Tagen seit dem Gespräch mit der Decima in der Bibliothek tiefer in seine Erinnerung vorzudringen, seine Vergangenheit zu rekonstruieren ohne dabei eine neue Imagination zu schaffen - vergeblich jedoch. Im einen Augenblicke glaubte er den Verstand verlieren zu müssen, im anderen wiederum ihn längst verloren zu haben, in einem Moment glaubte er, dass all dies nur ein bösartiger Traum war, im nächsten fürchtete er sich vor dem Erwachen, und letztlich blieb stets nur Ungewissheit in ihm, denn jede Möglichkeit, über welche er nachsann, schien ihm ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich. An diesem Tage jedoch spürte er in sich, dass die Zeit des Umbruches gekommen war, dass ein Geschehen um ihn her vorging, welches alles würde verändern. Deplorablerweise jedoch wusste er nicht, was genau dies würde sein, und in seiner näheren Umgebung schien jene epochale Veränderung nicht anzugelangen, so dass er wie seit Wochen, Monaten - bisweilen glaubte er gar schon Jahren - nichts weiter konnte tun als auf den entscheidenden Augenblick zu warten - was zwar seiner charakterlichen Feigheit zugutekam, seinem Gewissen jedoch nicht sonderlich zuträglich war -, wiewohl er beständig dabei fürchtete, diesen einen, essenziellen Augenblick verpassen zu können, dass er auf ewig würde verdammt sein, in der Ungewissheit seiner selbst zu verharren.

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  • Der nächste Mann, der losgeschickt worden war, suchte einfach nur stumpf im Haus nach irgendwelchem menschlichen Leben. Den ersten paar Sklaven schaffte er noch an, ebenfalls alle und jeden ins Atrium zu schicken, die sie auftreiben konnten – den Rest, der ihm dann über den Weg lief, schickte er umgehend dorthin. Und so landete er schließlich auch an der Tür des Mannes, der als Hausgast des Praefectus Praetorio hier logierte, sich um die Bibliothek kümmerte und ansonsten sehr zurückgezogen war. Und auch hier war das Vorgehen dasselbe, so dass man fast meinen könnte, die Veteranen hätten sich irgendwann mal dazu abgesprochen: ein Klopfen, ein Tür-Aufreißen, ein Satz-Hineinwerfen: „Die Rebellen sind da. Du sollst ins ins Atrium kommen.“ Und dann: ein ebenso schnelles Wieder-Verschwinden.

  • Die Rebellen sind da, trieb durch die Casa Decima wie der ungustiöse Odeur angebrannten Essens, drängte in jede Ritze und jeden Spalt des Hauses, klopfte schlussendlich ganz unverhofft auch an Atons Türe, dass Manius nicht seine Ohren konnte verschließen vor der Neuigkeit, welche von dem Umbruch kündete, der in Rom, im Imperium Romanum und somit dem Großteil der bekannten, wiewohl relevanten Welt sich formierte. In eine regelrechte Panik versetzte ihn dies, denn Faustus war noch immer nicht wieder zurückgekehrt, zudem war fraglich, ob er je wieder überhaupt würde zurückkommen, so dass niemand ihn mehr würde bewahren können vor seinem Schicksal, welchem ihm zuzuführen diese Rebellen schlussendlich gekommen sein mussten. Zwar hatte auch Decima Seiana ihm zugesichert, dass von niemandem in diesem Hause ihm würde Gefahr drohen, doch für die Rebellen galt dies zweifelsohne nicht. Faustus hatte ihm die Möglichkeit geboten, sich hier zu verstecken, da sein Leben hatte davon abgehangen, da es von eminenter Wichtigkeit war gewesen, dass niemand wusste, wo er war, ob dessen Manius nicht einmal auf die Idee verfiel, für die Rebellen könnten dies eben gerade nicht gelten. Einige Augenblicke dachte er darüber nach, sich unter dem Bett zu verstecken - denn es hatte eine Zeit gegeben, in der dies durchaus war adäquat gewesen, um der Realität zu entgehen -, verwarf diesen Gedanken jedoch alsbald wieder. Der Weg aus dem Haus hinaus war unbezweifelt bereits durch Soldaten gesichert, so dass sie letztlich ihn ohnehin würden finden, und aus diesem Grunde entschied er, seine Anwesenheit nicht länger zu verschleiern. Wenn dies sein Ende sollte sein, so sollte es nur sein Ende sein, nicht aber das der unschuldigen Bewohner dieses Hauses, dass also Manius die Schultern straffte, den letzten Rest seiner Würde und seines Stolzes zusammenraffte und sich wie angewiesen in das Atrium begab.

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  • Aus vorwurfsvollen, leeren Augen blickte ein steinerner Ahn der Decima Manius vom Fußboden des Flures aus an, seine Nase zerbrochen, der Kiefer gesplittert - doch die Augen intakt, voller Hass, voller Vorhaltung -, und noch als er in das Cubiculum des Aton einbog, konnte er diesen harten Blick in seinem Nacken spüren. Er war gefangen in einem Albdruck, einem entsetzlichen Orlog, einer verstörenden Realität - wenn er nicht allfällig doch endgültig der Insania war verfallen, und tatsächlich kalmierte dieser Gedanke ihn für einige Augenblicke, würde dies doch bedeuten, dass nur seine eigene Welt, nur seine eigene wahnwitzige Idee wäre diesem abominablen Geschehen anheim gefallen, dass gleichwohl irgendwo außerhalb seiner Selbst Rom noch immer in Frieden existierte, Rom noch immer Rom war, noch immer seinem Ideal nacheiferte. Gleichwohl blieb die Furcht über die Wahrheit in ihm bestehen, bohrte sich tausender Stachel gleich in das Fleisch seines Geistes, dass es unumgänglich wurde, dieses Haus zu verlassen. Er hatte den Fluch seiner Existenz über die Familie gebracht, unter deren Dach er Obhut hatte gefunden, er hatte Tod und Verderben in ihr Leben gezogen, hatte die wunderschöne Roma den Fängen der Bestie preisgegeben. Derangiert blickte er durch den Raum, doch nichts von dem wenigen darin gehörte ihm - er besaß ebenso viel wie sein Leben noch wert war. Nichts. Hinter dem Bett verborgen wusste er die Zeilen Faustus', doch wagte er nicht, diese für sich zu beanspruchen, wagte nicht einmal, danach zu streben - aus Furcht, auch dies mochte alles letztlich nur ein Trug gewesen sein. Tränen bahnten sich ihren Weg aus den Winkeln seiner Augen und rannen über seine Wangen hinab, denn er spürte wie das Feuer des Wahns seine Adern verbrannte, er konnte das Kratzen und Scharren der Krallen der Strigae über den steinernen Grund hören, welcher sein Grab markierte, konnte die ätzende Säure der Schlange schmecken, welche um seinen Leib, um sein Herzen sich wand und sukzessive ihn auffraß, konnte den stinkenden Atem riechen, welchen die Larven verströmten, die sich ihm hatten angeheftet, deren Zahl beständig wuchs, und für einige Augenblicke starrte Manius in die Tiefen seines eigenen Tartaros, unschlüssig ob dieser nicht längst sich agreabler darbot als die grauenvolle Realität um ihn her, von welcher er so sehr wünschte, sie wäre nur ein Trug.

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  • Später hätte Manius nicht mehr sagen können wie lange er tatsächlich nur in der Türe stand und in den Raum hinein, durch den Raum hindurch sah, versunken in seine Gedanken, welche aurigae gleich auf ihren Streitwägen durch den Circus seines Geistes rasten, in derartiger Geschwindigkeit, dass er weder ihnen konnte folgen, noch sie konnte bestimmen, nur gänzlich unbeteiligt ihnen konnte hernach blicken, respektive den Staubwolken, welche sie im Sand des Rundes hinterließen. Irgendwann jedoch schien es als steige der Geruch von Blut in seine Nase, dass ein wenig blümerant ihm wurde und er sich mit einem Ächzen am Türrahmen abstützte. Als wäre das Geschehen in diesem Augenblicke erneut um ihn her drängte die Reminiszenz an den durchdringenden Geruch sich in seinen Geist, den schweren, leicht süßlichen und doch mit einem Hauch von Verdreben versehenen Geruch des Blutes des Veteranen, welcher im Atrium sein Leben hatte gelassen, dessen Eindruckes er sich nicht hatte entziehen können. Gleichsam wusste er, dass dieser Moder ihm würde anhaften bis an das Ende seiner Tage, wiewohl er in diesem Augenblicke ein wenig verwundert feststellten musste, dass das Blut eines Menschen nicht viel anders roch als jenes der Schweine und Ochsen, welche auf den Altären des Imperium den Göttern wurden dargebracht - und womöglich war dies der Grund, dass Menschenopfer seit Jahrhunderten nicht mehr dargebracht wurden, da die Götter allfällig ohnehin nicht einmal differenzierten zwischen diesen Gaben. Ebenso wie die Menschen selbst bisweilen. Ohne ein Zögern, ohne ein Innehalten hatte der römische Soldat den römischen Veteranen abgestochen, ohne eine Gerichtsverhandlung, ohne eine Verurteilung - nicht einmal Opfertiere wurden derart sinnlos geschlachtet. Wieder drehte sich die Welt um Manius' her, doch diesmalig waren es nicht seine Gedanken, diesmal war es sein Gewissen, seine Reue, denn irgendwie war dies alles auch seine Schuld, aus irgendeinem Grund, welcher ihm verborgen blieb, klebte das Blut des Veteranen an seinen Händen, haftete die Ursache dieser Unmenschlichkeit, dieser Animosität des Soldaten an seinem Handeln. Einen Herzschlag lang schwebte in der Öde des Raumes die Frage, wie tief er noch würde sinken können, doch im gleichen Augenblick schon wurde er sich der Lächerlichkeit dieser Frage bewusst. Seit Wochen, Monaten - allfällig gar schon Jahren? - stellte er diese Frage wieder und wieder, fiel er wieder und wieder ohne den Boden der Tiefe tatsächlich zu erreichen. Wie marginal mussten die Stufen seines Falles sein, dass dies derart lange nun bereits durierte? Oder war er derart hoch oben gewesen, um derart lange fallen zu können? Oder aber er befand sich in einem Kreise, einem sich drehenden Rad, welches er gegenläufig durchfiel, oder aber er war der Fixpunkt in diesem Gebilde, welcher aufgrund der Raddrehung nur glaubte zu fallen? Es ergab dies alles keinen Sinn und je mehr er darüber suchte zu sinnieren, desto wirrer wurden seine Überlegungen. Er musste fort aus diesem Haus, fort aus diesem Käfig, welcher seinen Geist begrenzte, denn irgendwo, irgendwann musste es einen Beginn all dessen gegeben haben und irgendwo musste es eine Spur geben, welche ihn zu diesem Anfang würde zurückführen können. Mühsam sammelte Manius seine Gedanken, seine Contenance zusammen, drehte sich um und verließ das Cubiculum, welches in den zurückliegenden Monaten seine Person hatte definiert - ein wenig schwankend zuerst, doch am Ende des Ganges fest entschlossen, endlich dieser Obskurität ein Ende zu bereiten.

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