[Rhenus] Die Reise der Gesandtschaft aus Mogontiacum


  • Für den Transport der Gesandtschaft hatte man mehrere Prahmboote angeheuert, dazu ein Navis Actuaria. Die Ladung bestand vor allem aus schweren Goldkronen, die sorgfältig in strohgepolsterte Holzkisten verpackt worden waren. Noch umfangreicher war aber das Gepäck der Gesandten - wobei die Petronier noch ziemlich zurückhaltend gepackt hatten: Patulcius Merula hatte gleich zwei Wagenladungen persönlicher Gegenstände mitgenommen, dazu auch noch drei Sklaven zu seiner Bedienung. Die Petronier hatten dagegen zu zweit einen einzigen Sklaven - Arminius - und jeweils ein Bündel, das ein Mann allein tragen konnte (auch wenn es wohl etwas umfangreicher war als das, was etwa ein Legionär mit sich herumtrug). Dazu kam die Wachmannschaft, die Haakon angeheuert hatte: teils finstere Gestalten, teils normale Söldner und pensionierte Legionäre aus dem Freundeskreis der Petronier. Sie waren über alle Schiffe verteilt und sollten mit ihren Waffen dafür sorgen, dass keine Flusspiraten, die der Classis Germanica entgangen waren, sich über die wertvolle Fracht hermachten. Zur Sicherheit ging man aber Abends in den Siedlungen am Ufer des Rhenus vor Anker, übernachtete in den ansässigen Hafentavernen und brach erst am nächsten Morgen wieder auf.


    So bewegte die Reisegemeinschaft sich immer weiter nach Süden...


    [SIZE=7]Bild: Martin Bahmann[/SIZE]

  • Heute war Argentoratum das Tagesziel, wo die Legio VIII bereits seit längerer Zeit wieder Quartier bezogen hatte. Das hatte ihnen zumindest der Wirt in der Herberge berichtet, aus der sie am Vortag aufgebrochen waren. Crispus war zufrieden: Sie kamen gut voran und wenn das Militär aus Italia zurück war, würde die Rhenusflotte auch wieder mehr Zeit haben, den Fluss piratenfrei zu halten. Und tatsächlich begegneten sie an diesem Tag einer der Liburne, der der Alte fröhlich winkte.


    "Sind die Wege wieder sicher, Haakon. Oder was meinst du?"


    fragte er seinen Organisator, der neben ihm auf dem Deck des Navis Actuaria stand.

  • "Den Informationen aus dem letzten Ort zufolge, sollen sich seit der Rückkehr der Legionen kaum mehr Banditen auf die Straßen oder Piraten auf den Fluss gewagt haben. Wobei natürlich die auch ihren Part dazu beigetragen haben.", antwortete Haakon seinem Patron und zeigte dabei auf die entgegenkommende Liburne der Classis Germania.


    "Aber wir sollten uns gerade in den Alpes Montes in acht nehmen und die Augen offen halten. Ich selbst war zwar noch nie soweit südlich, aber ich habe in der letzten Taberna ein paar unschöne Geschichten über Reisende gehört, die es nicht über die großen Berge geschafft haben sollen. Dies wird sicherlich der gefährlichste Teil unserer Reise, nehme ich an, Patron.", erläuterte er dem Decurio noch die möglichen Gefahrenherde, von denen der junge Borchter bisher gehört hatte. Was danach noch auf sie zukommen sollte, konnte Haakon noch nicht wissen. Die Reise war zwar sorgfältig geplant, doch verbargen sich in jeder Planung immer ungewisse Hindernisse, die zu entdecken es erst noch galt.

  • Die Matrosen der Liburne mussten rudern, da der Wind heute nach Süden ging und damit für die Gesandtschaft günstiger stand. Allerdings winkte der Taktgeber im hinteren Bereich des Kriegsschiffes zurück, ehe das Schiff auch schon vorbei war.


    "Naja, wir werden das Schiff schon schaukeln... oder den Karren eher. Immerhin haben wir ja 'nen Haufen Wachpersonal dabei - wo hast du die Männer jetzt eigentlich alle her? Und wie viele sind es insgesamt?"


    Zwar glaubte der alte Petronier, dass Haakon ihm diese Informationen zumindest teilweise schon gegeben hatte, aber irgendwie hatte er es wieder vergessen...

  • Der erste Anflug von Seekrankheit hatte sich glücklicherweise gelegt, nachdem das Schiff ordentlich Fahrt aufgenommen und Lucius sich auf eine Kiste gesetzt hatte. Nach einiger Zeit hatte er schließlich begonnen, ein wenig über das Deck zu spazieren und die Bordwand hinunter ins Wasser zu blicken. Dabei hatte sich ihm die interessante Frage gestellt, warum Schiffe denn eigentlich schwammen - immerhin versanken Gegenstände von vergleichbarem Gewicht sofort. Die Überlegung, dass es mit dem Holz zu tun hatte, verwarf der junge Petronier sofort - ein halbvoller Becher schwamm auch in einer Wasserschale, ebenso eine Schüssel. Er glaubte sich zu erinnern, dass Xanthippus in diesem Zusammenhang einmal von Archimedes gesprochen hatte - nur leider hatte er keine Schriften des Archimedes zur Hand. Also musste er selbst überlegen: Es musste mit der Form zusammenhängen - oder damit, dass Schiffe und Schüsseln schlicht und einfach hohl waren? Das ganze sich sicherlich leicht prüfen, wenn er eine hohle Bleikugel zur Hand haben würde, doch leider war nicht davon auszugehen, dass so etwas auf einem Handelsschiff vorrätig war.


    Letztlich musste Lucius seine Überlegungen beenden, da er keine Möglichkeit hatte, seine Hypothesen durch Experimente zu prüfen. Denn selbst wenn er angefangen hätte, Dinge in einer Wasserschüssel zu versenken, hätte der Alte ihm wahrscheinlich ein paar saftige Ohrfeigen gegeben...

    cu-tribunuscohortisurbanae.png petronia2.png

    Klient - Herius Claudius Menecrates

    DECURIO - MOGONTIACUM

    MUNICEPS - MOGONTIACUM

  • "Die meisten von denen sind ehemalige Milizionäre. Die begriffen haben, dass sie wieder auf der Straße sitzen werden, sobald die Legion wieder in Mogontiacum ankommt. Da kam diese Gelegenheit doch wie gerufen!", erklärte er die Herkunft von vielen der Wachleute und endete seine Ausführungen mit einem Augenzwinkern. Selbstverständlich hatte Haakon es in den Gesprächen mit den möglichen Wachleuten auf genau diesen Fakt angelegt und versucht ihn so schlimm wie möglich an die Wand zu malen. Die bevorstehende Arbeitslosigkeit hatte dann bei vielen als ausschlaggebendes Argument gefruchtet.


    "Es sind fast zwei Dutzend Wachleute dabei. Ich hielt es nur für angemessen, in Anbetracht dessen, dass wir mit so vielen wichtigen Leuten und deren Anhängen unterwegs sind. Um von den Waren mal garnicht zu reden."

  • Der alte Petronier nickte - als Kommandeur der Miliz kannte er einige der Männer persönlich. Allerdings war er nicht von jedem überzeugt, dass er geeignet für diese Aufgabe war - es waren einige Habenichtse dabei, die nur die spärliche Bezahlung bei Gehorsam hielt. Und wenn die sich gegen die Gesandtschaft verbündeten, würde das ganze Gold schnell den Besitzer wechseln...


    "Das hätte ich auch mindestens eingeplant."


    bestätigte er aber trotzdem.


    "Du solltest aber immer ein Auge auf die Männer haben - ein paar von ihnen brauchen das, glaube ich..."


    Nicht, dass Ovinius etwas von seinen teuren Gepäckstücken verlor...

  • Freudig, ob der Bestätigung seines Patrons, lächelte Haakon genau diesen an.
    "Ja, das stimmt! Honigbrot und Knüppel, stets zur rechten Zeit.", wiederholte er eine alte Redensart von seinem Onkel, die eigentlich ganz gut auf diese Situation passte.


    "Ich werde auf sie acht geben. Auch wenn ich befürchte, dass erst die Passage über die Alpes Montes bei den Meisten ihr wahres Gesicht zeigen lässt. Schwere Strapazen haben noch immer das Innere das Aussen gekehrt.", erläuterte er seine Gedanken zu der Mannschaft, während sein Blick über eben jene wanderte. "Erst die Furcht, offenbart das Ich!", ein weiterer Spruch seines Onkels. Irgendwie machte diese Schiffahrt ihn ein wenig Nostalgisch. Warum war ihm aber nicht klar, immerhin war bisher nur selten auf einem Schiff gestanden und noch seltener damit längere Fahrten unternommen. Auch wenn dies bei ihm, im Gegensatz zu manch anderem gestandenen Bürger, weniger stark zu sehen war, dass ein wankendes Deck nicht die gewohnte Erde unter den Füßen war.

  • Honigbrot und Vitis hatten sie damals unter den Centurionen gesagt - das Sprichwort war offensichtlich weiter verbreitet. Und auch die zweite Binsenweisheit konnte er bestätigen:


    "Jaja, es war immer wieder interessant zu sehen, wie sich Leute in der Schlachtreihe verhalten, wenn wirklich ein Feind gegenüber steht. Da musste man manchem so viel Angst einjagen, dass er mehr Angst vor dir als vor dem Feind hatte..."


    Zwar war es ihm nie passiert, dass jemand im Angesicht der Schlacht desertiert war - was auch das Fustuarium zur Folge gehabt hätte. Bei so einer Strafe hatte er einmal zusehen müssen - keine schöne Sache...


    "Aber so direkt müssen wir ja nicht über die Alpen, oder? Wir wollen ja nach Massilia und nicht nicht nach Mediolanum..."


    Die Alpenpassage hatte er am Anfang auch in Erwägung gezogen - erfahrene Händler hatten ihm allerdings davon abgeraten, schon wegen der Banditen auf den Pässen, die sich vor allem in Kriegszeiten wie die Karnickel vermehrten.

  • "Ihr Römer mit eurer Disziplin. In den Erzählungen unserer Ältesten, ist noch jede Schlachtreihe gesprengt worden, wenn die Feinde aus dem Dickicht kamen." Daraufhin musste Haakon kurz auflachen, wahrlich wollte er hier jetzt keine Diskussion über vergangene Schlachten oder das Für und Wider der Guerilla-Taktik zur geordneten Schlachtreihe erörten, doch konnte er sich diesen Kommentar dennnoch nicht verkneifen.


    "Nun.", begann Haakon erst einmal vielsagend. "Direkt müssen wir nicht rüber, aber ich habe mir die Karten noch einmal genauer angeschaut, und für mich wirkt es so, als läge Geneva, zusammen mit dem Lem an, schon beachtlich hoch. Und genau diese Stadt ist doch als Wegpunkt eingeplant gewesen." Schaute er dann seinen Patron fragend an.

  • "Ja, schon. Aber ich weiß auch nicht so genau - ich hab' die Route auch noch nie genommen."


    Genaugenommen hatte er sich das ganze auf einer Karte angesehen, die keinen besonders kleinen Maßstab gehabt hatte. Und das Gebirge war dort als kleine "Dächlein" dargestellt gewesen, die ungefähr bei Geneva aufgehört hatten. Wie hoch oder flach das Land drumherum war, konnte er also beim besten Willen nicht sagen.


    "Aber wenn du es sagst, dann glaube ich dir das. Immerhin müssen wir aber nicht über die ganz hohen Pässe."


    Er sah wieder einen Moment der Liburne hinterher, die gerade um die nächste Flussbiegung verschwand.


    "Mir ist das zum Glück immer erspart geblieben, nach Germania Magna zu marschieren. Ein paar Kameraden von mir waren damals auch schon ab und an - da gibt's ja nicht 'mal vernünftige Straßen zum Marschieren! Da wundert's einen nicht, dass die Germanen keine vernünftigen Schlachtreihen bilden können. Hab' 'mal gegen einen Haufen Banditen gekämpft bei Borbetomagus. Vangionen war'n das - im Grunde arme Hunde, aber Ordnung muss nunmal sein.


    Aus welchem Stamm kommst du noch gleich? Du kommst sogar aus dem Stammesadel hattest du gesagt, oder?"


    Von der germanischen Gesellschaftsstruktur hatte der alte Petronier nur rudimentäre Kenntnisse - aber er wusste, dass es dort so eine Art Patrizier gab, die wiederum große Klientel hinter sich hatten - Gefolgschaften - und die sich auch die Häuptlingspositionen durchreichten. Und zu einer dieser Familien musste Haakon gehören, wenn er sich recht erinnerte...

  • "Nein, Nein.", wiegelte Haakon erstmal ab. "Richtige Pässe werdens wohl nicht werden."


    "Germania Magna.", spuckte er das Wort aus. Diese Verallgemeinerung der Römer für das Land hinter ihrer Grenze, war ein Hohn für die Anzahl an verschiedenen Stämmen und Völkern die dort lebten. "Ich kann mir schon vorstellen, dass allgemein der Kampf auf unbekanntem Terrain eine Herausforderung darstellt. Besonders für Soldaten, die stets nur klare Anweisungen bekommen und nicht lernen eigenständig zu denken.", nahm er dann noch die Disziplin der römischen Soldaten etwas aufs Korn.


    "Ja, das hast du richtig in Erinnerung. Allerdings war dieser Weg nicht für mich bestimmt. Mein älterer Bruder Harleif wird einmal alles erben. Da war für mich nie wirklich Platz gewesen.", mit einiger Trauer in der Stimme, erzählte er seinem Patron aus seiner Heimat und sein Blick schweifte dabei ab, hinunter auf die wogende Strömung des Rhenus unter dem hölzernen Kahn. Nach einigen Atemzügen des innerlichen Gedankenspiels, blickte er wieder auf. "Sag, wann wird Argentoratum denn wohl in Sichtweite kommen?", versuchte er dann das Thema zu wechseln, immerhin schmerzte ihn der Gedanke an seine Heimat noch immer.

  • Das war gut - das letzte Mal, als Crispus ein Gebirge überquert hatte, war er weitaus jünger gewesen. Und trotzdem war es ziemlich anstrengend geworden damals...


    "Naja, die einzelnen Centuriae können schon auch recht eigenständig kämpfen - die Centurionen sind keine dumpfen Befehlsempfänger, die haben schon 'was auf dem Kasten! Und es gibt heutzutage auch "Antesignati", die einzeln kämpfen und zum Beispiel die Lücken zwischen den Centurien in großer Schlachtformation freihalten - aber im Kleinkrieg sind die germanischen Plänkler eben doch überlegen."


    Das hatte in den Augen des alten Petroniers aber weniger etwas mit eigenständigem Denken zu tun, sondern vielmehr damit, dass man die eigene Disziplin nicht ausspielen konnte.


    Auf die Herkunft Haakons ging Crispus dagegen lieber nicht ein - scheinbar hatte sein Klient wenig Interesse darüber zu reden. Und dass er nach dem Stamm gefragt hatte (er lebte immer hin schon lange genug in Germanien, dass er wusste, dass Germanen sich eher als Vangionen, Chauken oder sonstwas sahen als als Germanen), schob er auf den Wind, der über den Rhenus pfiff.


    "Keine Ahnung, ich bin schon ewig nicht mehr auf dem Rhenus unterwegs gewesen - schon gar nicht so weit südlich. Aber der Kapitän sagte, dass es wohl irgendwann am Nachmittag sein müsste - weit kann's also nicht mehr sein."


    Er sah hinauf zur Sonne, die tatsächlich schon relativ westlich stand.

  • "Aber um deine Frage zu beantworten: Ich stamme von den Borchtern ab. Allerdings ist meine Mutter eine Cimber.", dann musste Haakon doch etwas grinsen, wenn auch sonst die Vergangenheit ihn eher missmutig stimmte. "Ja, eine Cimber. Ist nicht unbedingt das Nächste, aber mein Vater hatte sie auf einer Reise kennen gelernt.", oder war es ein Raubzug gewesen? Da war sich Haakon gerade garnicht mehr so sicher, oder hatte er diese unschöne Seite seiner Familie einfach in früher Kindheit schon verdrängt?


    "Na, dann sollte es wirklich nicht mehr lange dauern, bis wir wieder halt machen." Sie waren wirklich schon wieder eine ganze Zeit lang unterwegs, seit der letzten Rast.



    Mal etwas anderes:
    "Einige Zeit, bevor wir aufgebrochen sind, waren doch Wahlen in Mogontiacum, bei denen dieser Matinius, den ich auch auf der Hochzeitsfeier bei den Ducciern gesehen habe, zum Magister Vici gewählt wurde. Was macht solch ein Magister Vici eigentlich? Wofür ist der gut?", läutete er eine Frage politischer Natur ein, denn das hatte er sich schon eine längere Zeit gefragt, was die eigentlich dann so zu tun hatten.

  • Crispus nickte. Er musste allerdings kurz überlegen, bevor er sich wieder erinnerte, wie die Borchter normalerweise genannt wurden - Brukterer, genau. Und die waren ein recht kriegerisches Häufchen, soweit er wusste. Als er damals bei den Adlern angefangen hatte, hatte es noch Veteranen aus dem Aufstand der Veleda gegeben...


    Dann wurde das Thema aber noch einmal gewechselt - zu einer ebenfalls sehr wichtigen Sache: der Gemeindepolitik. Und da kannte der alte Petronier sich inzwischen wirklich ein wenig aus, weshalb er sofort loslegte:


    "Ein Magister Vici ist der Sprecher seines Vicus. Du weißt ja, dass Mogontiacum aus mehreren Vici besteht und jeder Vicus hat eben einen Magister Vici. Er vertritt die Bewohner gegenüber den Decurionen, aber auch in anderen Belangen. Zum Beispiel opfert er den Göttern und den Lares Vicani im Namen des ganzen Vicus. Andererseits unterstützt er aber die anderen Magistrate im Vicus, zum Beispiel hilft er dabei, dass die Gesetze und Verordnungen im Vicus eingehalten werden. Und er ist eben auch ein Ansprechpartner für die Vicani, zum Beispiel wenn es Streit gibt.
    Ich selbst hab' das nie gemacht. Manchmal sind es - gerade auf dem Land - so eine Art Häuptlinge, also ältere, angesehene Männer im Vicus. Aber heutzutage fangen viele junge Leute auch damit an, wenn sie in die Kommunalpolitik gehen. Lucius hat das auch vor kurzem hinter sich gebracht."


    Über den Erfolg seines Sohnes konnte man allerdings streiten - seine Anträge wegen des Töpfer-Streites waren eher abgeschmettert worden und die Vicani waren generell auch eher unzufrieden gewesen. Aber immerhin hatte es gereicht, um ihn zum "Chefankläger" in der Diebesgeschichte zu machen...

  • "Also ist er eine Art Vorsprecher für den gesamten Vicus, oder?", versuchte er das Gesagte wieder zu reflektieren, um nichts verkehrt verstanden zu haben.


    "Dann könnte man dies auch als erste Sprosse, dieser Kommunalpolitik sehen?", fragte er weiter, auch wenn er das Wort 'Kommunal' noch nicht gehört hatte, versuchte er es sich aus dem Kontext zu erschließen. Sein Latein, war zwar in der Zeit, in der er nun schon in Mogontiacum wohnte, erheblich besser geworden, doch gab es noch immer eine vielzahl von Fachvokabeln, die ihm nicht geläufig waren.


    "Was hat Lucius denn gemacht, damit er Magister Vici wurde?" Die Voraussetzungen für einen solchen Posten interessierten ihn jetzt auch. Gerade erst hatte er etwas dazu gelernt, da entfachte das in ihm auch schon diese allgemeine Neugierde auf das Unbekannte. Dieses Gefühl hatte sich immer mal wieder in ihm gemeldet und war auch mit ein Grund gewesen, warum er über die Grenze ins römische Reich gekommen war.

  • "Naja, so eine Art Duumvir und Aedil in einem, könnte man sagen."


    konkretisierte er Haakons Nachfrage ein bisschen.


    "Aber ja genau, die Idee ist quasi, dass man die Kommunalpolitik auf niedrigerer Stufe übt. Naja, zumindest wenn man kein Unterhäuptling eines Dorfes ist und das Amt permanent besetzt."


    Ihm fiel auch der Vergleich zwischen Tesserarius und Optio ein, aber der hinkte ein bisschen und half Haakon als Nicht-Gedientem wahrscheinlich auch wenig. Zumindest zu letzterem konnte er aber etwas mehr sagen, denn alles was der Junge gemacht hatte, war letztlich auf seinen Mist gewachsen:


    "Und um an das Amt zu kommen, muss man quasi dasselbe machen wie für alle Magistraturen: die Wähler überzeugen. In dem Fall eben nur die des eigenen Vicus. Normalerweise halten die Kandidaten dafür Reden, versprechen den Vicani dies und das - zum Beispiel die Renovierung öffentlicher Gebäude oder Straßen, Brotspenden für Bedürftige oder sowas - oder bestechen ihre Leute direkt mit Spenden aller Art. Wichtig ist dabei vor allem, die großen Patrone auf die eigene Seite zu ziehen, also zum Beispiel die Duccier oder... naja, mich zum Beispiel."


    Inzwischen war Crispus ja durchaus auch eine feste Größe in Mogontiacum und hatte eine beträchtliche Klientel aufgebaut - vor allem natürlich Veteranen.

  • "Also agiert er in beide Richtungen. Für den Vicaner in der Curia und für die Stadt im Vicus.", so langsam schien Haakon wohl dahinter zu kommen, was es so mit dem Aufbau der Politik und der Leitung der Stadt zutun hatte. Ein überaus spannendes Leben schien sein Patron zuführen, als Decurio der Stadt.


    "Was meinst du mit permanent? Die werden doch immer nur für eine gewisse Zeit gewählt, oder nicht? Kann man denn direkt im Anschluss sich wieder aufstellen lassen?", fragte Haakon dann doch etwas verdutzt nach, bisher hatte er gedacht, dass es sich dabei immer nur um temporäre Posten handelte.


    Ja, natürlich. Man musste die Wähler von sich überzeugen. Die wählten einen ja schließlich und bestimmten damit über das Siegen und das Scheitern der Kandidaten. "Wie hält es sich denn mit diesen Wahlversprechen? Schaffen die Magister überhaupt solche in der Versammlung durchzusetzen, oder bleiben das nur Versprechen?" Immerhin konnte ja ein frischer und neuer Magister Vici noch nicht so viele verläßliche Stimmen für sich verbuchen. Da musste er schon wirklich überzeugend sein um die alt eingesessenen Decurios auf seine Seite zu ziehen.
    Und was die Patrone anging: "Dich hätte ich ja schon mal!", scherzte Haakon und lachte dann schallend. Nicht das er ernsthaft daran dachte in diese Kommunalpolitik zu gehen, doch interessant war das Gebiet alle mal, fand er.

  • "Richtig!"


    bestätigte Crispus die Feststellung seines Klienten. Beim nächsten Punkt musste er dagegen scheinbar noch einmal etwas genauer erklären:


    "Die Ämter werden jedes Jahr gewählt. Aber man kann sich natürlich jedes Jahr aufstellen lassen - Duccius Marsus war zum Beispiel gleich drei Jahre in Folge Duumvir. Und in manchen Dörfern gibt's eben so eine Art Häuptling, der das dann schlauerweise jedes Jahr tut. Im Vicus Britannicus zum Beispiel gibt's einen Dorfältesten namens Indutiomarus, der ist dort Magister Vici seit ich im Ordo Decurionum bin - aber warum nicht? Wenn er seine Sache gut macht..."


    Der letzte Punkt war natürlich auch noch interessant:


    "Und naja, wenn man alle Versprechen nicht hält, dann ist's natürlich schlecht, wenn man nochmal gewählt werden will. Deswegen zahlen viele Magistrate solche Projekte gleich aus eigener Tasche, dann haben die Decuriones auch nix dagegen. So'ne Brotspende oder so kriegt man ja normalerweise auch noch gerade so hin..."


    ...zumindest wenn man einigermaßen wohlhabend war. Und wer das nicht war, hatte im Ordo Decurionum ja sowieso nichts verloren.


    "Wieso, willst du auchmal in den Ordo Decurionum einsteigen?"

  • Ach so war das, mit den Ämtern in Mogontiacum. Da konnte man also jedes Jahr erneut auf einen Posten kandidieren. Und natürlich hatte der Pontifex damit recht, dass auch nichts dagegen spricht, wenn er seine Aufgabe gut machte und die Pflichten dieses Postens auch erfolgreich erfüllte.


    "Wenn diese ihre Projekte aus eigener Tasche finanzieren, dann müssen die ja schon ein gewisses Startkapital mit sich bringen, nehme ich an." Aber wie kann sich dann ein Mann wie dieser Indutiomarus über Jahre hinweg auf einem solchen kostspieligen Posten halten?


    "Aber wie kann dann ein einfacher Handwerker aus einem der Vici überhaupt auf seinem Posten bestehen, wenn er nicht schon genügend Geld mit sich bringt? Und ohne schon bekannt zu sein, bei den Decuriones?"


    Und was seinen Einstieg in diesen Ordo anging, konnte er seinem Patron keine endgültige Antwort geben. "Also,", begann er etwas holprig. "Bisher hatte ich noch nicht wirklich darüber nachgedacht. Ich finde es nur höchstinteressant, wie ihr Römer das so regelt." Allerdings wäre es ja fast eine Überlegung wert, falls er sich für immer in Mogontiacum niederlassen wollte. Doch auch diese Frage hatte Haakon für sich selbst noch nicht geklärt. Jetzt ging es erstmal nach Roma!

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!