Nach dem maternalen Kontaktersuchen kam dem jungen Flavius auch die andere Bezugsperson in den Sinn, welche er seit den Gräueln des Krieges gewonnen und welcher seinen Vater diesbezüglich replatziert hatte, sodass er den Plan fasste, auch diesen brieflich zu kontaktieren. Somit hatte Patrokolos neuerlich zu Tabula und Stylus zu greifen und die geistigen Ergüsse seines Herrn sorgsam zu notieren. Diesmal waren indessen weitaus weniger Korrekturen erforderlich, denn Manius Minor konnte in dem Bewusstsein, zu keinerlei Possen seinem exilischen Protektor genötigt zu sein, frei von der Seele weg sich äußern, seine Furcht und Hoffnung nackt zu verbalisieren und seiner Freude keinerlei scheingravitätische Dämpfung zu verleihen. Lediglich jener Punkt, welcher auf Patrokolos sich bezog, ließ den Sklaven innehalten und entlockte diesem einige ironische Bemerkungen bezüglich des überbordenden Lobes, welches ihm zuteil wurde, verbunde mit einem Plädieren für eine gewisse Mäßigung, da Vindex womöglich das Schriftbild graphologisch auswerten und somit die Hand eben des Gepriesenen identifizieren würde. Doch der Knabe bestand auf die überaus ernst gemeinte Panegyrik, sodass der Diener letztlich all dies zu akzeptieren hatte und gutmütig sich in sein Schicksal fügte.
Letztlich verblieb indessen neuerlich die Frage, wie ein derartiges Schreiben zu signieren war. Da indessen 'Minimus' zu keiner Zeit zwischen seinem Gastgeber und ihm gebräuchlich gewesen war, eine formales 'Manius Flavius Gracchus' dagegen zu offiziös und der intimen Beziehung, welche sie hegten, keinesfalls adäquat war, wählte er ein freundschaftliches 'Minor', welches ob seines kalligraphischen Ungeschicks zwar ebenfalls recht patzig erscheinen mochte, das allerdings dank seiner Kürze doch etwas ordentlicher sich erwies als seine letzte Signatur:
M' Vindici s.p.d.
Verzeih mein langes Schweigen, geschätzter Vindex, doch bin ich seit meiner Rückkehr nach Roma überaus okkupiert vom Leben der Großstadt. Allem voran hatte ich mich für meine Liberalia zu präparieren, denn Vater fasste direkt bei meiner Ankunft den Beschluss, mich zum Manne zu erklären. Ich weiß, dass du mir stets rietest, auch nach allem, was sich ereignet hatte, stets das Beste ihm zuzuschreiben. Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, er wolle lediglich der Verantwortung für mich ledig werden. Dessenungeachtet fühle ich mich keineswegs der Adoleszenz gewachsen. In Ermangelung eines Bartwuchses war ich nicht einmal in der Lage, den Laren am Tage meiner Mannwerdung die ersten Bartlocken darzubringen!
Hinzu kommt, dass ich mich verloben soll. Mir war es bereits gänzlich entfallen, doch haben meine Eltern bereits vor Jahren Abreden getroffen mit einem Freund meines Vaters, Nichte ich ehelichen soll. Dabei fehlt es mir gänzlich an Interesse an einer derartigen Liasion wie überhaupt an Mädchen. Selbst wenn Vater sagt, dass dies nicht bedeuten mag, dass ich bereits in Kürze heiraten muss, so stößt mich der Gedanke doch ab, mit einem Mädchen das Bett zu teilen. Artaxias ist der Meinung, dies mag sich in Kürze ändern, doch vermag ich nicht recht daran zu glauben.
Weiters fehlst nicht nur du mir, sondern auch meine Mutter, die noch immer nicht nach Roma zurückgekehrt ist. Sie weilt mit meiner Schwester noch immer in Patavium. Vater sagt, die Straßen seien zu gefährlich für eine Reise, obschon Titus an der Seite von Sciurius, dem Vilicus von Vater, auf den Weg geschickt wurde. Vater sagt, er müsse seine Edukation in Rom genießen, was für Flamma nicht zwingend erforderlich sei. Dies alles ist aber wenig geeignet, meinen Kummer zu mildern. Du weißt selbst, wie sehr ich all die Zeit bei dir und schon zuvor der Wiedervereinigung mit Mutter entgegengefiebert hatte. Ohne sie ist die Villa Flavia auch nur ein Ort wie jeder andere. Fast wünsche ich bisweilen, lieber wieder bei dir in Cremona zu sein, denn Vater bringt ohnehin keine Zeit für mich auf und Titus ist in vielem noch so unverständig und infantil.
Zumindest habe ich aber doch auch einige Menschen gefunden, die mir Trost spenden: Allen voran Patrokolos, ohne den zu leben mir kaum mehr imaginabel erscheint. Wie du mir versprochen hast, ist er bestens für meine Unzulänglichkeiten präpariert. Seine Augen dienen mir so hervorragend, dass ich bisweilen vergesse, dass mir die meinigen so schlechte Dienste erweisen. Dazu rezitiert er hervorragend Dramen aller Art und bringt mich stets aufs Neue zum Lachen. Schließlich hört er mir immer geduldig zu und vermag mich stets wiederaufzurichten, wie du es wohl tun würdest, wenn du hier wärst. Du hast also neuerlich Wort gehalten und mir das beste Geschenk gemacht, das ich jemals erhielt.
Weiters haben aber auch zwei Anverwandte hier Quartier bezogen, mit denen ich mich recht gut verstehe. Es handelt sich um die Söhne eines entfernten Vetters, die allerdings ein Stück älter sind als ich selbst. Scato, der Ältere, ist recht ehrgeizig und strebt in die Politik. Iullus ist hingegen ein überaus erstaunliches Individuum. Er ist überaus eitel und liebt den Plunder, bisweilen erinnert er mich in manchem gar an meine Mutter. Eine Episode, die dies illustrieren mag, war sein Geschenk anlässlich meiner Liberalia: Ein Ludus Latrunculorum, welches er mir eigenhändig gefertigt hat. Eigenhändig, man stelle sich dies vor! Selbstredend ist es nicht von besonders hoher Qualität und Patrokolos sagt, ich könne froh sein, die Figuren nicht in voller Schärfe sehen zu müssen, doch bringe ich es nicht übers Herz, diesen liebenswerten Gefährten deshalb zu tadeln. So spielen wir bisweilen damit und ich nutze es zumindest mit ihm gemeinsam.
Demnächst werde ich den Rhetor aufsuchen und meine Edukation perfektionieren. Ich hoffe, dass meine Unzulänglichkeiten mir diesbezüglich nicht zum Hindernis wird und sich ebensolche Übereinkünfte finden lassen wie mit dem Grammaticus hier und bei dir. Allerdings werde ich diesmal den Unterricht wohl nicht privatim erhalten, sodass ich doch das Verdikt meiner Kommilitonen fürchte. Patrokolos beschwichtigt meine Sorge stets und ist der Meinung, dass diese kaum Aufmerksamkeit erregen wird, da doch viele junge Aristokraten, mit Verlaub 'zu faul sind', wie er sagt, um sich selbst der Lektüre zu befleißigen und zweifelsohne auch ihre Sklaven als Vorleser mitbringen werden. Zumindest wird Iullus denselben Rhetor besuchen, sodass ich nicht gänzlich allein bin. Und wer weiß, vielleicht hat Patrokolos auch Recht?
Berichte mir doch auch, wie sich alles in Cremona entwickelt. Insbesondere, ob der Padus nun wieder in sein Ufer zurückgekehrt ist und ob eure Märkte wieder blühen.
Ich hoffe, dich eines Tages in Rom begrüßen zu dürfen! Selbst mein Vater wird zweifellos hocherfreut sein, deine Bekanntschaft zu machen!
Vale bene!
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