[Germania Magna] In der Nähe des Limes - Ein kleiner Ausflug zu den Ahnen

  • Es war ein kühler und grauer Novembermorgen als vor dem Haus der Duccii geschäftiges Treiben ausgebrochen war. Es wurde ein Wagen angespannt und drei Pferde fertig gemacht. Auf dem Wagen saßen die beiden Kinder und einige Vorräte waren darauf untergebracht worden. Dagmar hatte sich überlegt mit den Kindern ein Opfer durchzuführen. Auf der anderen Seite des Rheins, einen halben Tagesritt entfernt kannte sie einen alten Hain, der dafür genau richtig war. Doch bis dahin würde es noch etwas dauern. Zephir war für sie bereit gemacht worden. Alan hatte einen dunklen Rappen erhalten. Ein weiterer Angestellter würde sie begleiten. Die beiden Kinder mussten auf den Wagen weil sie noch nicht reiten konnten. In Roma hatte es dafür keine Möglichkeit gegeben. Das würde sich hier aber auch ändern. Im nächsten Frühjahr würde sie es ihnen beibringen.


    Die Sonne war gerade erst am Horizont zu sehen als sie sich auf den Weg machten. Ihre Route führte sie durch die Stadt, dann über die Brücke damit sie den Rhenus überqueren konnten. Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten und etwas später auch das Castellum Mattiacorum, umfingen sie bald die Wälder und Wiesen. Eine ganze Weile wechselten sie sich immer wieder ab. Dann erreichten sie den Limes. Inzwischen war es auch schon etwas heller geworden. Durch die Wolken konnte die Sonne aber nicht richtig hindurch kommen. Es dauerte etwas bis sie den Grenzposten hinter sich gebracht hatten. Jetzt ritt sie neben Alan am Anfang des kleinen Konvois.
    “Wir müssen jetzt aufpassen. Die Germanen wissen, dass die Legion erst zurückgekehrt ist und ihre normale Stärke noch nicht erreicht hat und die Grenzen waren seit dem Weggang der Legion auch nicht mehr so stark bewacht. Es war dennoch sehr ruhig hier, aber man weiß nie. Ich bin schon auf einer Rundreise mit Bewachung überfallen worden.“
    Sie hatte sich und die Männer auch mit einem Sax ausgestattet falls wirklich etwas passieren sollte. Doch ihre Kinder sollten das nicht mitbekommen. Am Abend wären sie eh wieder zurück und sicher in der Stadt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme also.


    Die Wälder wurden etwas dichter als sie an einer Wegkreuzung ankamen. Kurz richtete sie sich auf ihrem Pferd auf. Es war ein Geschenk von ihrem Mann gewesen. Nachdem sie sich orientiert hatte, bogen sie rechts ab und hielten sich dann eine Weile auf diesem Weg bis sie dann in einen etwas engeren Waldweg nach links abbogen. Ein Stück bevor sie den Hain dann schließlich erreichten, hielt Dagmar an, stieg vom Pferd und band es an einem Baum fest. Hier würden sie erst etwas essen ehe sie ihren Ahnen Gedenken würde. Sie legte eine Decke auf dem Boden, Sevilla verteilte das Brot, den Käse, die Oliven, Eier und etwas kaltes gebratenes Fleisch. Es war viel zu viel. Marga hatte es mal wieder sehr gut mit ihnen gemeint. In Ruhe aßen sie.
    „Ich habe das früher immer sehr gern gemacht. Wenn meine mal Eltern nichts zu tun hatten oder meine Tante, dann gingen sie mit uns Kindern vor das Dorf auf eine Wiese und dort aßen wir dann und spielten miteinander. Es war immer sehr schön,“ schwelgte sie in Erinnerungen, die so weit entfernt schienen als wäre es schon viele Jahrzehnte her und sie würden ihren Enkeln von ihrer Kindheit erzählen. Zu viel war einfach passiert, das in ihren Erinnerungen einen Platz finden musste, dass es schon weit zurückgedrängt war.

  • Immer wieder sahen die Kinder sich um. Erstaunen, aber auch Angst lagen in ihrem Blick. Ihr würde es wohl auch so gehen wenn sie solch Ausflüge nicht zur Genüge kannte. Während sie also aßen, begann Venusia eine Geschichte von damals zu erzählen.
    "Wir waren damals viele Kinder im Dorf. Da gab es meine zwei Brüder und mich, dann meine zahlreichen Vetter und Basen. Leif und Sarolf waren damals die Ältesten und sollten auf ins aufpassen. Sie hatten kein leichtes Leben mit uns kleinen Rackern. Wobei ich die Jüngste war und natürlich überall dabei sein musste. Oft sind wir in den Wald gegangen obwohl wir es nicht sollten. Es war nicht ganz ungefährlich. Eigentlich ist es hier sogar sehr ähnlich. Wir haben uns dann immer durch die Bäume und Büsche geschlichen. Da wir mehr Jungs als Mädchen waren, lernten wir so auch das was eigentlich nur die Jungs lernen sollten. Es hat uns immer viel Spaß gemacht im Sommer an der Amisia Fische zu fangen oder manchmal auch Frösche. Die haben wir dann mit nach Hause genommen und in den Hütten laufen lassen. Dann rannten wir ganz schnell weg damit unsere Eltern uns nicht kriegten. Meistens war es dann Albin, der uns erwischte und dann ein ernstes Wort mit uns sprach. Er konnte uns aber nie lang böse sein und wir ihm auch nicht. Nur ein einziges Mal war er böse mit uns. Es war Winter und wir wollten unbedingt auf das Eis des Flusses. Aber es war noch nicht stark genug um uns tragen zu können. Euer Onkel Hagen musste aber unbedingt auf das Eis drauf und brach ein. Auf unser lautes Gebrüll hin kam Albin mit zwei Männern aus dem Dorf und rettete dann meinen Bruder. Beide saßen sie die daraufffolgenden Tage an unserem Feuer und kurierten mit warmer Milch mit Honig und heißen Brühen die Erkältung aus, die sie sich eingefangen hatten. Albin sonst herzensgut war sehr böse mit uns allen."
    Dagmar selbst aß so kaum etwas. Es war ihr aber wichtiger den Kindern die Angst zu nehmen und diesen Ausflug für sie interessanter zu gestalten.
    "Ist es noch weit bis zu diesem Hain," fragte Secundus und seine Mutter lächelte ihn an.
    "Nein, es ist nur noch ein kleines Stückchen zu Fuß und dann sind wir da. Habt ihr euch beide gemerkt was ihr dort machen sollt?"
    Artig nickten sie. Oft genug hatte sie es den beiden ja auch eigentlich erklärt gehabt.
    "Und wir dürfen bei diesen Göttern auch für alle beten? Auch für Papa?"
    Venusia war über diese Gedanken ihrer Tochter etwas überrascht.
    "Ja warum denn nicht? Was sollte dich denn davon abhalten bei den Göttern auch für deinen Papa zu beten?"
    "Na Papa war doch Römer und das sind germanische Götter. Vielleicht verstehen die sich nicht?"
    "Das ist gar nicht schlimm. So wie wir Menschen unterschiedliche Namen und Sprachen haben so ist es bei den Göttern auch. Du musst dir keine Gedanken machen. "
    Sevilla war nun etwas erleichterter und aß weiter.


    Als es Mittag war, packten sie alles zusammen. Venusia ging mit ihren Kindern, Alan und den Opfergaben zu dem Hain. Die anderen passten auf den Wagen und die Pferde auf.

  • Es war ungewöhnlich und vor allem etwas vollkommen neues für den Schreiner, einen Ausflug in dieser Art auszurichten. Er half wo er konnte, doch er hatte schon vor einiger Zeit festgestellt, dass hier jeder seine feste Arbeit hatte. Es war nicht wie in seinem Heimatdorf, dass jeder eben das tat, was gerade anfiel. Hier mal eine helfende Hand reichte oder dort mal einsprang, weil ein Mann zu wenig war. Hier war alles viel organisierter und auch daran musste sich Alan erst gewöhnen. Ihm waren verschiedene Arbeiten im Stall zugeteilt worden. Es gab immer irgendetwas zu tun. Pferde waren große Tiere und da ging des Öfteren mal was zu Bruch oder musste erweitert werden. Gerade die Koppelzäune schienen ein beliebtes Angriffsobjekt zu sein und so verbrachte Alan oft den ganzen Tag damit auf den großzügigen Wiesen die Zäune nach Schäden abzusuchen. Und jetzt saß er auf genau so einem großen Tier. Er konnte reiten, so war es nicht. Er hatte es früher nur nicht allzu oft getan. Doch das dunkle Pferd schien es gut mit ihm zu meinen und als sich die Gruppe in Bewegung setzte, da trottete es brav los. Das frühe Aufstehen war dem Schreiner nicht unbekannt. Im Gegenteil, er war es gar nicht anders gewohnt. Der Tag begann auch früher schon oft vor Sonnenaufgang. Gerade im Sommer gab es so viel zu tun. Deswegen verspürte er keine Müdigkeit und wachsam blickte er sich immer wieder um. Er war noch nicht genauestens mit den Gepflogenheiten in dieser Gegend vertraut. Lauschte also jedem Wort von Dagmar und als sie darauf hinwies, dass nun besondere Sorgfalt angesagt war, spannte sich Alan etwas an und nahm sich vor noch wachsamer zu sein. Es war ein ungewohnt angenehmes Gefühl, als Dagmar auf gleicher Höhe mit ihm ritt. Zweimal erwischte sich der ehemalige Sklave dabei, wie er verstohlen zu ihr hinüber sah und feststellte, dass selbst das trübe Licht des Morgens ihrer Schönheit keinen Abbruch tat. Doch dann schalt er sich jedes Mal einen Narren und konzentrierte sich wieder auf die Umgebung. Das Sax an seiner Seite gab ihm ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit. Mit dieser Waffe kannte er sich aus. Sie war etwas vertrautes. Sie war Heimat.


    Die Pause kam unerwartet aber wurde natürlich von allen gerne angenommen. Etwas steif stieg Alan vom Pferd und musste sich erst einmal strecken, bevor er das Tier ebenfalls an einem Baum anband. Bis er damit fertig war, war die Festtafel schon so gut wie gedeckt. Alan staunte wie viel Essen man in so wenige Körbe unterbringen konnte und setzte sich an den Rand der Decke zu der Gruppe. Erst jetzt merkte er wie hungrig er eigentlich war und langte ebenfalls gut hin. Er hörte Dagmar zu wie sie von ihrer Kindheit erzählte und automatisch wanderte auch Alan zurück. Ja, es war eine schöne Zeit. Eine wilde Zeit. Er hatte mit ein paar anderen Jungen aus dem Dorf keine Gelegenheit ausgelassen um die Mädchen zu ärgern. Sicherlich wäre auch Dagmar eines seiner „Opfer“ gewesen. Seine Mutter hatte Alan leider nie kennen gelernt und sein Vater war sehr darauf aus, dass er sobald wie möglich das Schreinerhandwerk lernte. Aber auch wenn ihm dabei ein wenig seiner Freiheit als Kind genommen worden war, so empfand Alan keinen Groll. Im Gegenteil, er war seinem Vater sehr dankbar für dessen Strenge und dafür, dass er ihm alles beigebracht hatte was dieser wusste. Auch wenn er vieles davon jetzt nicht mehr gebrauchen konnte, so trug er die Erinnerungen stets im Herzen bei sich.


    Während den weiteren Erzählungen von Dagmar musste Alan immer wieder lächeln. Ja, sie war wirklich ähnlich wie die Mädchen in seinem Dorf. Wenn man sie nicht gerade geärgert hatte, dann hatten sie den größten Spaß zusammen und auch er war oft genug viel zu weit in den Wald hinein gelaufen. Doch auch er bemerkte die ängstlichen Blicke der Kinder und blieb deswegen sehr aufmerksam. Bei jedem Geräusch, dass nicht sofort einem Tier zugeordnet werden konnte, hob er den Kopf.
    Es war so lange her, dass Alan ein Opfer dargebracht hatte und auch er trug natürlich etwas bei sich, dass er opfern wollte. Er hatte vor den Göttern dafür zu danken, dass sie ihn aus einer scheinbar ausweglosen Situation gerettet hatten und ihm nun dieses Leben schenkten. Das Beste, dass er hatte bekommen können, nachdem er das Andere verloren hatte. Doch auch er staunte nicht schlecht über die Frage des kleinen Mädchens und wurde tatsächlich einen Moment nachdenklich. So hatte er das noch nie betrachtet. Gut, er hatte auch nie wirklich viel Kontakt mit den römischen Göttern gehabt. Aber aus der Sicht des Kindes war das eine sehr berechtigte Frage und die Erklärung ihrer Mutter war weise und überzeugte auch Alan vollkommen. Dann aber war es soweit, dass man sich zur Opferstelle begeben wollte. Er ließ der kleinen Gruppe den Vortritt und bildete das Schlusslicht.

  • Nachdem sie sich durch einige Büsche geschlagen hatten, waren sie endlich angekommen. Dagmar deutete den Kindern leise zu sein. In der Mitte des Baumkreises befand sich ein Stein unter einer großen und alten Eiche. Drumherum standen die anderen Bäume in bunter Mischung. Birken, Buchen, Erlen und Weiden. Zu dieser Zeit trugen sie keine Blätter mehr. Dieser Hain war ihrem in der Nähe des Dorfes ganz ähnlich. Oft war ihre Familie mit dem Goden dorthin gegangen um für das Dorf, den Stamm oder einen Sieg zu Opfern. Wenn jemand aus ihrer Familie heiratete dann wurde auch für eine glückliche Ehe und viele Kinder geopfert. Erneut breitete sie die Decke auf der Wiese aus und verteilte darauf den Met, einen der beiden Opferkuchen und etwas Wasser. Dann ging sie gemessenen Schrittes auf den Stein zu, stellte darauf den Schönsten der beiden Kuchen, die Marga für diesen Anlass gebacken hatte. Vor dem Stein sank sie auf die Knie und rief die Götter um ihre Aufmerksamkeit an. Auf den Stein stellte sie dann noch einen Topf Honig und ein großes Stück gutes Rinderfleisch.


    Dagmar kehrte zu den anderen zurück und brach den Opferkuchen, der zurückgeblieben war in mehrere Stücke. Dann reichte sie jedem der Anwesenden ein Stück davon. Den Met gab sie in ein großes Trinkhorn und einen Schluck Met mit Wasser verdünnt in ein Kleineres für die Kinder. Als alle aufgegessen hatten, ging sie mit allen, die opfern wollten in Richtung des kleinen Wasserlaufes. Sie wusste, dass der Boden dort morastig war und ihre Opfergaben dort auch gut aufgehoben waren. Als Ertes sollte ihre Tochter ihr Opfer darbringen können.
    "Mama, wo ist der Papa jetzt?"
    "Hier? Da ist er in Hel's Reich. Dort gelangen alle hin, die nicht im Kampf gestorben sind."
    "Und wen muss ich für die Familie anrufen?"
    "Speziell dafür hatten wir nie eine Göttin oder einen Gott. Aber du könntest die Nornen anrufen. Sie sind für das Schicksal aller zuständig oder du wendest die generell an die Disen. Die Schutzgeister."
    Dann trat sie vor und kniete sich an den Fluss. Die Worte, die ihre Tochter sprach, verstand Dagmar nicht, aber da Sevilla so gezielt nachgefragt hatte, meinte sie ahnen zu können was sie sich von den Göttern erbitten wollten. Ehe Sevilla aufstand, warf sie eine ihrer Puppen in das morastige Wasser. Danach trat Secundus vor. Er hatte schon vor einigen Tagen genauer wegen der Götter nachgefragt. So konnte Dagmar leider nicht erahnen was er erbitten wollte. Aber jeder sollte seine eigenen Bitten an die Götter richten und es sollten auch die eigenen bleiben. Secundus warf eines seiner Holzpferde in das Gewässer. Dann folgte sie selbst. Auch sie kniete sich in das feuchte Gras.
    "Ihr Götter bitte nehmt dieses Opfer an und legt eure schützenden Hände über meine Familie und alle, die ihr nahe stehen. Außerdem möchte ich eure Gunst für all jene erbitten, die in das Reich Hels eingegangen sind und all jenen, die nach Wallhall gekommen sind viel Erfolg bei ihrem großen Kampf erbitten. Sie haben uns immer und zu jeder Zeit Ehre gemacht. Außerdem hoffe ich, dass ich meine Eltern stolz auf mich gemacht habe."
    Dagmar selbst warf einen alten Dolch in den Morast, der sie eine lange Zeit ihres Lebens begleitet hatte. Nun waren die anderen an der Reihe.

  • Schweigend hatte Alan im Hintergrund gewartet, bis seine ehemalige Domina und deren Kinder ihre Opfer dargelegt hatten. Es war eine sehr bewegende Szene für den Schreiner, denn es war so lange her, dass er zum letzten Mal an einem Opfer teilnehmen konnte. Und er hatte so viel zu danken und zu bitten. Gab es mal eine Zeit, in der er glaubte die Götter hätten ihn fallen gelassen, so wusste er jetzt, dass sie alles für ihn vorhergeplant hatten. Er musste hierher kommen. Zu Dagmar und in ihre Familie. Das wusste er jetzt, während er so dastand und zusah. Er war von einer inneren Gewissheit erfüllt, die es ihm unmöglich machte daran zu zweifeln. Es war ein harter Weg und Alan begriff immer noch nicht ganz warum er ihn hatte gehen müssen. Aber die Götter hatten es so für ihn entschieden.
    Und auch wenn ihn das alles sehr gefangen hielt, so behielt Alan auch immer noch die Umgebung im Auge. Wachsam sah er sich immer wieder um, schließlich hatte Dagmar das zu Beginn ihrer Reise angemahnt. Und nichts, absolut nichts sollte dieser kleinen Familie geschehen. Nicht, wenn Alan es verhindern konnte. Vielleicht hatte er deswegen diesen beschwerlichen Weg beschreiten müssen um nun dafür sorgen zu können, dass kein weiteres Leid über seine ehemalige Domina kommt.


    Als es dann an der Reihe war, dass er sein Opfer darlegen konnte, bedankte er sich bei Dagmar mit einem fast immer noch unterwürfigem Nicken. Er ging zu der schlammigen Stelle am Fluss und opferte eine selbst geschnitzte Figur. Es war ein kleiner Bär. Dieser glich dem, an dem er zuletzt gearbeitet hatte. Ein Fest stand damals an und er wollte einem der Kinder eine Freude machen. Es war lange krank gewesen und endlich wieder gesund. Den ganzen Sommer über hatte es in der Hütte liegen müssen und das kleine Figürchen hätte es aufmuntern sollen. Doch Alan konnte es dem Jungen nie überreichen. Noch in der Nacht des Festes würde das Dorf überfallen. Er würde nie erfahren, was mit den Anderen alle passiert war.
    Deswegen bat Alan. Er bat darum, dass es den anderen Bewohnern des Dorfes gut gehen sollte, egal wo sie nun waren. Und er bat darum, dass alle die man mitgenommen hatte wie ihn, ebenfalls so viel Glück erleben sollten. Und dann dankte er dafür, dass die Götter ihn hierher geschickt hatten. Alan sprach in einem anderen Dialekt als Dagmar und das verdeutlichte, dass er aus einer anderen Gegend kam als sie, doch im Herzen waren sie gleich.
    Anschließend drehte er sich wieder um und sah zu der kleinen Gruppe. Würden sie nun wieder zurück reiten? Alan hoffte nicht, denn der Tag war so schön, auch wenn das Wetter nicht ganz mitspielte. Doch er wagte es nicht zu fragen.

  • Nach Alan nutzten auch die anderen Begleiter die Möglichkeit ihr Opfer dazubringen. Da es in dieser Zeit sehr früh wieder dunkel wurde, mussten sie leider wirklich schon zurück und konnten sich nicht mehr all zu lang diesseits des Limes aufhalten. Außerdem konnte man dunkle Wolken am Horizont erkennen, die rasch aufzogen. Es würde also bald auch noch recht ungemütlich werden. Dagmar sorgte also dafür, dass sie rasch aufbrachen. Die Decke und die weiteren Utensilien wurden wieder verstaut. Dann gingen sie den Schmalen Weg zurück bis zu dem Gebüsch, kletterten hindurch und gingen dann weiter bis zu der Stelle wo sie Pferde und Wagen abgestellt hatten. Die Kinder kamen wieder in den Wagen. Der kleine Tross war fertig für die Rückreise. Langsam holperte der Wagen über den unebenen sogar löchrigen Waldweg bis ein lautes Krachen zu vernehmen war und der der wag etwas schräg stehend zum Halten kam. Erschrocken blickte sich Venusia um, stieg schnell ab und rantte zu dem Wagen um die erschrockenen Kinder zu beruhigen.


    Nach eingehender Betrachtung des Schadens kamen sie zu dem Schluss, dass der Wagen heute nicht mehr zu reparieren war. Außerdem hatte es auch eine Menge Zeit gekostet. Es dämmerte schon und die Wolken schienen das letzte bischen Licht zu schlucken. Mit anderen Worten es war schon recht dunkel. Da die Reise mit dem kaputten Wagen nicht weitergehen konnte, überlegten sie nach einer Alternative. Man würde zwar auch nur langsam vorankommen, aber man konnte immer zwei Personen auf ein Pferd setzen und den Proviant retten. Gesagt, getan. So ritten sie nun den Weg weiter bis sie in der Ferne ein Feuer entdeckten. Man konnte es gut durch die Bäume erkennen. Ein Kundschafter wurde ausgewählt und versuchte herauszufinden wer zu diesem Feuer gehörte. Nach einiger Zeit kam der Mann wieder zurück und schilderte seine Eindrücke. Gemeinsam beschlossen sie zurück zum Wagen zurückzureiten und die Nacht dort zu verbringen. Keiner war wirklich glücklich mit dieser Entscheidung, aber es war ihnen so sicherer.


    Etwas später waren sie wieder am Wagen angekommen. Die Pferde wurden wieder festgebunden, der restliche Proviant wurde auf der Decke verteilt und man entzündete ein Feuer um sich zu wärmen und vor den wilden Tieren zu schützen. Gemeinsam aßen sie zu Abend. Welch ein Glück, dass Marga so viel eingepackt hatte. Als sie gegessen hatten, wickelte Dagmar die Kinder in die Decke ein auf der sie ebend gerade noch gegessen hatten damit sie es warm hatten. Den Erwachsenen musste das reichen was sie mitgenommen hatten.
    "Habt ihr früher eigentlich oft am Feuer gesessen?"
    Sevilla wollte wohl wieder etwas aus der Kindheit ihrer Mutter erfahren.
    "Im Sommer saßen wir oft sehr lang draußen am Lagerfeuer. Die Ältesten erzählten dann immer Gruselgeschichten und wir hörten gespannt zu. ich glaube, da kann ich euch eine erzählen. aber nur wenn ihr mir versprecht dann trotzdem zu schlafen. Ihr braucht keine Angst zu haben. Wir passen auf euch auf."
    Aufmunternd lächelte sie ihre Kinder an und wartete das Nicken der Beiden ab. Erst dann setzte sie zu ihrer Geschichte an.
    "Als ich meine Freundin zum Reiten abholte, gingen wir zusammen zu unseren Pferden. Dann, nachdem wir sie von der Weide geholt hatten und anfingen sie zu putzen, verhielten sie sich sehr ungewöhnlich, viel unruhiger als sonst. Als wir sie dann satteln wollten, wollten sie überhaupt nicht mehr mitspielen. Vor irgendetwas fürchteten sie sich sehr. Meine Freundin fragte: "Du wollen wir heute wirklich ausreiten, die Pferde sind heute so komisch? Ich glaube es ist besser wenn wir sie für heute in Ruhe lassen..." Ich beruhigte meine Freundin: "Nein die sind nur aufgeregt, weil wir sie länger nicht mehr geritten haben, das wird schon wieder während wir ausreiten!" Also beendeten wir unsere Arbeiten und stiegen auf die Pferde. Gleich galoppierten sie los. Erst dachte ich, ich hätte mit meiner Vermutung, dass die Pferde nur aufgeregt waren, recht gehabt. Doch ich sollte mich gewaltig irren, wie wir erst später am Abend feststellten sollten, doch davon hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung. Wir ritten also noch zwei Dörfer weiter um unsere Pferde auszulasten. Es wurde dann auch schon langsam dunkel. Weil wir ziemlich spät dran waren wollten wir die Abkürzung durch den Wald nehmen. Das war ein verhängnisvoller Fehler gewesen. Plötzlich meinte meine Freundin, dass sie gerade ungefähr zehn Meter vor uns rote Augen in der schwarzen Nacht gesehen hatte. Ich sah erst nichts doch dann tauchten sie wieder hinter einem Baum auf. Jetzt hatten die Pferde sie auch bemerkt und sofort kehrten sie um und galoppierten so schnell sie konnte in die andere Richtung. Das Wesen verfolgte uns und die Pferde wurden immer schneller. Das Wesen wurde auch schneller doch als wir dann am Stall ankamen war es wie vom Erdboden verschluckt.Eine Woche später war meine Freundin wieder in dieser Gegend und sahen wieder die Augen hinter einem Baum. Was war das wohl für ein unheimliches Wesen?


    Seitdem wurde es angeblich noch öfter gesehen doch niemand konnte bisher aufklären wem die roten Augen gehören..."
    Lächelnd sah sie die anderen an, die ebenfalls um das Feuer herum verteilt saßen.

  • Bildete er sich das nur ein oder erlaubte sich die Schicksalsgöttin einen Scherz mit ihnen? Ratlos stand Alan vor dem gebrochenen Rad des Wagens und kratzte sich am Hinterkopf. Er würde das schon wieder hinbekommen. Wenn nur diese eine Speiche nicht auch noch gebrochen wäre. Ohne die war das Rad nicht zu retten und vor allem nicht bevor es dunkel wurde. Nachdem er das Venusia mitgeteilt hatte, beschloss die Gruppe ohne den Wagen weiter zu reisen, was eine durchaus vernünftige Entscheidung war. Alan überließ sein Pferd zwei der Kinder, die hintereinander darauf Platz nahmen. Er selber führte das Tier am Zügel und achtete darauf, dass es sich nicht verstieg. Schließlich trug es eine wertvolle Fracht auf dem Rücken.
    Das Feuer, welches sie entdeckten war Trost spendend und unheilvoll zugleich. Letzteres überwog bei dem ehemaligen Schreiner, weswegen er auch nur zustimmen konnte, als man sich erneut um entschied und dabei blieb im Wald zu übernachten. Er konnte nicht auf alle Acht geben und das Begleitpersonal, welches sie noch dabei hatten, kannte er nicht. Traute aber keinem der schmächtigen Burschen zu, dass er es lange genug aushielt, damit die Frauen und Kinder im Notfall vor den Entfachern des Feuers dort drüben flüchten konnten.


    So war er derjenige der neues Feuerholz holte, als man weit genug entfernt war und den bereits bekannten Platz erreicht hatte. Aufmerksam durchsuchten seine Augen die immer schwärzer werdende Dunkelheit. Immer darauf achtend, dass ihnen niemand gefolgt war. Schließlich könnten sie auch entdeckt worden sein. Doch dieses Mal schienen es die Götter gut mit ihnen zu meinen und während Venusia alles daran tat den Kindern die Angst zu nehmen, wobei das mit einer Gruselgeschichte sicherlich nicht ganz im Sinne des Erfinders lag, saß Alan etwas abseits, die Hand am Griff des Sax und ließ die Umgebung nicht aus den Augen. Auch wenn die Müdigkeit ihn im Laufe der Nacht immer wieder zu überwinden drohte, so blieb der Schreiner wachsam. Jedes Geräusch wurde erkannt und nach dessen Ursache gesucht. Einmal war er sich nicht sicher, ob sich nicht vielleicht doch ein vorlauter Wolf genäherte hatte. Da gebot er der Gruppe Ruhe und schlug sich ein Stückweit durchs Unterholz. Man konnte Äste knacken hören und etwas entfernte sich schnell. Alan verfolgte es noch kurz, dann blieb er stehen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Es war ihm nicht wohl hier draußen. Doch es war seine Aufgabe auf seine ehemalige Domina und deren Kinder zu achten. Ob er nun ein Sklave war oder nicht. Er war ein Mann mit Ehre und Weib und Kind galt es zu beschützen. Auch wenn sie nicht sein eigen war.


    Nach einer Weile kehrte der ehemalige Schreiner zu der Gruppe zurück und gab bekannt, dass es nun wieder sicher war. Über das flackernde Feuer hinweg sah Alan zu Venusia hinüber. Auch wenn sie nicht sein eigen war…

  • Dagmar war froh als es Entwarnung gab. Ihr Blick ging zu den schlafenden Kindern hinüer. Sie wirkten friedlich und ihr Atem ging gleichmäßig. Es wäre also nicht so schlimm wenn sie kurz hinüber ging und sich mit alan unterhielt. So stand sie auf und setzte sich dann neben ihn.
    "Alan, du kannst dich ruhig etwas ausruhen. Du siehst müde aus und wir haben alles im Griff. Du musst nicht die ganze Zeit auf uns aufpassen."
    Venusia lächelte ihn an, ließ aber in ihrer Stimme deutlich durchklingen, dass sie es ernst meinte. Es knackte leise im Feuer und sie sah in die Flammen.
    "Wenn das Wetter nicht so schlecht wäre und die Temperaturen auch angenehmer, wäre es fast eine schöne Sache unter freiem Himmel zu schlafen. Wenn man im Sommer all die Sternzeichen erkennen konnte, der lauwarme Wind über die Felder strich und ferne Düfte mit sich brachte. Die Tiere der Nacht ließen ihre Stimmen erklingen. Heute sind es nur noch ferne Erinnerungen aus frühen Kindertagen."
    Wieder sah sie Alan kurz an und dann in den dunklen Wald. Ihre Gedanken gingen ein wenig auf die Reise. Viele jahre war sie schon nicht mehr außerhalb des Römischen Reiches gewesen und jetzt trennten sie nur wenige Stunden von ihrem zu Hause. Seit dem Krieg fiel es ihr schwer sich auf dieser Seite des Limes wirklich sicher zu fühlen. Ihre alten Landsleute hatten nur ihre Heimat verteidigt und ihre Neuen ihren Lebensraum und doch war so viel zerstört worden. Oft erinnerte sie sich noch daran wie sie durch die zerstörten Gebiete der Regionen gereist war und geholfen hatte den Aufbau zu koordinieren und das Leid zu mindern. Die Provinzen waren wieder zu neuem Leben erblüht und man konnte ihnen die alten Narben nicht mehr ansehen. Nur die Erinnerungen vermochten noch zu ermahnen, dass nichts von Dauer war und sie hier nicht sicher waren. Auch wenn die Germanen ruhig geworden waren so gab es genug Herumstreuner, die es noch immer auf Römer abgesehen hatten und gerade ehemalige Germanen, die es im Reich zu etwas gebracht hatten, waren nicht beliebt.
    "Ruhe dich aus. Es ist wichtig, dass wir alle morgen fit sind. Ich werde so lang aufpassen."
    Sie lächelte ihn an und hoffte, dass er ihr zum einen glaubte, dass sie es wirklich konnte und dass er zum anderen auf sie hörte. Es gab genug Arbeit am nächsten Tag zu erledigen und sie benötigte eh wenig Schlaf. Für sie war es nicht schlimm.

  • Als Dagmar aufstand und um das Feuer herum auf ihn zukam, verfolgte Alan sie mit seinem Blick. Das leise Knacken des Feuers strahlte eine trügerische Ruhe aus. Sie bat ihn sich auszuruhen, doch alles in dem Schreiner wehrte sich dagegen. Allerdings schwieg er und lies seine ehemalige Domina weiter sprechen. Was sie da erzählte weckte tief vergrabene Erinnerungen und Sehnsüchte. Wie oft hatte Alan an seine alte Heimat gedacht? Sein Dorf, all die Leute darin und die Arbeit. Es gab immer etwas zu tun. Auch jetzt hatte er gute Arbeit. Der Stall von Dagmars Familie, bot ebenfalls immer viele Aufgaben. Dennoch blieb immer noch die Wehmut. Man konnte schließlich von niemandem verlangen, dass er seine Heimat vergaß, vor allem wenn man diese nicht freiwillig verlassen hatte. Bei ihrer Beschreibung wanderte Alans Blick hinauf zum Himmel. Man konnte heute keine Sterne sehen und es war auch nicht angenehm warm. Aber an solche Abende dachte auch Alan sehr oft. Vor allem weil er diese oft mit einem hübschen Mädchen aus dem Dorf verbracht hatte. Nach der Arbeit hatten sie sich oft noch ein Stück aus dem Dorf gestohlen und sich auf einer kleinen Lichtung getroffen. Doch das alles war nun nicht mehr. Er hatte jetzt eine neue Heimat, eine neue Arbeit und so gesehen eine neue Familie. Auch wenn es natürlich noch sehr lange dauern würde bis Alan sich hier einigermaßen eingewöhnt hatte und auch wenn Dagmar alles tat, ihre Familie war nicht seine.
    „Danke.“ Meinte Alan dann einfach nach einer Weile und schwieg dann wieder. Er traute es Dagmar schon zu, er wusste wie gut auch Frauen kämpfen konnten. Auch wenn der Schreiner natürlich ebenfalls der Meinung war, dass dies nicht ihre Aufgabe war, so wusste er, dass es sehr wohl im Bereich des Machbaren war. Aber eben weil es nicht ihre Aufgabe war, sollte er nicht gänzlich auf Dagmars Angebot eingehen.
    Es war seine selbstauferlegte Aufgabe, dass er für die Sicherheit der kleinen Gruppe sorgte.
    „Darf ich dich fragen wie du hierhergekommen bist?“
    Alan wandte seinen Blick vom Feuer ab und sah zu Dagmar hinüber. Ob sie es ihm erzählen würde? Aber wollte Alan hören, dass seine ehemalige Domina ebenfalls unfreiwillig in dieses Land geschleppt wurde?

  • Etwas überrascht sah Dagmar Alan an. Es war irgendwie klar, dass die Frage kommen musste wenn sie schon sie viel von ihrer Heimat erzählt hatte. Aber zu wissen, dass etwas Unangenehmes nachgefragt werden könnte war etwas anderes als es dann zu hören. Natürlich konnte sie sich jetzt etwas ausdenken und so tun als wäre damals nicht das mit ihr passiert was geschehen war, aber das war nicht ihre Art. Also sah sie ihn an und sagte ein paar Worte, die sie dann auch ganz genauso meinte.
    "Hierher gekommen bin ich im Grunde genauso wie du."
    Ein kurzes Schweigen folgte in dem sich etwas sammelte und auf die nachfolgende Geschichte vorbereitete.
    "Ich bin als Sklavin hierher gekommen und wurde gerettet."
    Das ließ sie für den Moment so stehen und unkommentiert. Die Geschichte sollte wohl am Besten beim Anfang beginnen.
    "Wir hatten immer mal wieder Streit mit einem benachbarten Stamm, die unser Land haben wollten. Wir hatten deren Anführer häufiger im Dorf, weil mein Onkel Stammesfürst war. Viele Schlachten waren bereits um dieses Land geschlagen worden und wir hatten gewonnen. Das Schicksal musste sich also irgendwann wenden und wir verloren. Ich kann daher gut verstehen wie du dich fühlen musst. Unser Stamm floh in alle Himmelsrichtungen. Mein Onkel kam hierher, rettete einem Römer das Leben und er bekam das Bürgerrecht für seine Familie verliehen. So sind wir alle zu Römern geworden. Meine Familie zog es nach Britannien. Dort lebten wir einige Zeit, ich lernte latein und das römische Leben ein wenig kennen. Wir lebten in der Nähe einer römischen Siedlung. Meine Brüder wurden fortgeschickt und sollten zu Kämpfern ausgebildet werden wie es üblich war. Nur ich blieb. Diese Siedlung wurde dann auch überfallen. Nur die Kinder überlebten und wurden als Sklaven verkauft. Doch ehe wir gingen, mussten wir mit zusehen wie unsere Familien starben. Durch ZUfall fand mich mein Bruder und befreite mich. Bis ich hier war, hatte nicht nur meine Seele viele namen davongetragen."
    Ihr Blick war bei der Erzählung zum Feuer gewandert. Sie konnte niemanden dabei ansehen wenn sie von ihren schrecklichsten Erlebnissen berichtete. Dagmar fühlte sich immer dabei so angreifbar und dieses Gefühl mochte sie nicht was man vermutlich verstehen kann, wenn man einige Angriffe in seinem Leben überstanden hatte. Unbewusst fasste sie sich an die Schulter wo eine ihre schlimmsten Narben prangte. Ihre Vergangenheit würde sie einfach nie loswerden. Aber wollte sie das wirklich? An einigen Tagen ja. Da hatte sie keinen größeren Wunsch als all das vergessen zu können. An vielen anderen Tagen, wusste sie aber, dass das alles genau das aus ihr gemacht hatte was sie jetzt war und so schlecht war es wohl nicht.
    "So kam ich ins Reich."

  • Schweigend hatte Alan seiner ehemaligen Domina zugehört. Ehrlich gesagt, hatte er gar nicht damit gerechnet, dass sie es ihm erzählte. Dafür ehrte es ihn umso mehr, dass sie so offen mit ihm sprach. Während er zuhörte, massierte er mit den Fingern der rechten Hand sein Knie. Er hatte es noch nicht offen zugegeben, doch er hatte seit mehreren Jahren Probleme damit. Bei einem Brand im Dorf war ihm ein Holzträger auf das Bein gefallen. Die Wunden waren gut verheilt, man sah nur noch wenige Narben. Doch das Knie war seit dem nicht mehr Dasselbe. Die Umstände der Sklaverei waren natürlich nicht förderlich gewesen und so war es in den letzten Wochen schlimmer geworden. Die Reise von Rom hierher war eine zusätzliche Belastung. Doch der ehemalige Schreiner beklagte sich nicht. Er war nicht gewillt Schwäche zu zeigen und vor allem nicht vor der Frau, die ihm ein erträgliches Leben geschenkt hatte.
    Was sie ihm erzählte war alles andere als angenehm, auch wenn Alan bewunderte wie weit sie bereits in der Welt herum gekommen war. Sein Horizont erstreckte sich nicht weiter als bis hinter den Wald, welches sein Dorf umgeben hatte.
    „Du bist eine bemerkenswerte Frau geworden, wenn mir diese Aussage gestattet ist.“ Alan suchte kurz ihren Blick, dann sah er aber schnell wieder ins Feuer. Immer noch wusste er nicht, was gestattet war zu sagen und was nicht.
    Lange sahen die Beiden wohl stumm ins Feuer. Jeder seinen Gedanken nachhängend.
    Irgendwo in der Ferne rief ein Uhu und man konnte von noch weiter weg einen zweiten Vogel antworten hören. Obwohl Dagmar ihm angeboten hatte sich auszuruhen, war Alan im Moment viel zu aufgewühlt So viele Gedanken gingen im durch den Kopf. Die hatten bis jetzt nur immer über die Vergangenheit gesprochen. Aber was war mir seiner Zukunft?
    „Vor einiger Zeit habe ich ein Gespräch mit angehört. Stimmt es, dass ich durch meinen jetzigen Status deinen Namen annehmen und mein eigenes Geld verdienen kann?“
    Es war nicht ganz das was Alan gewohnt war und auch nicht das was er sich für sich wünschte. Aber allein der Gedanke daran sein altes Handwerk wieder ausüben zu können, mehr als nur im Pferdestall, und damit vielleicht sogar etwas selbstständiger zu werden, verschaffte ihm wieder eine gewisse Beruhigung. Nie würde er von Dagmars Seite weichen, wenn diese ihn nicht fortschickte. Er war ihr so viel schuldig und seine Dankbarkeit wollte er durch seine Arbeit ausdrücken und wenn sie es wünschte, dann auch durch seinen Schutz.
    „Muss ich einen römischen Namen wählen, so wie du?“ Es klang komisch und der Gedanke nicht mehr Alan zu heißen war sehr befremdlich. Doch wenn ihm die Götter dieses Schicksal hier gegeben hatten, dann würde er lernen damit umzugehen.

  • Leise lachte sie auf und schüttelte dann den Kopf. Das Leben hatte so viel mit ihr angestellt um das aus ihr werden zu lassen was sie nun war und zu gern hätte sie auf einiges davon verzichtet. Zu viele Menschen hatte sie sterben sehen, zu viel Leid und Kummer und Krieg. Eigentlich ein Wunder, das sie noch das war was sie war. "Alan, so lange es keine Beleidungen oder unegrechtfertigte Anschuldigungen sind, darfst du alles sagen. Du bist kein Sklave. Du bist ein erwachsener Mann und hast deine eigene Meinung und die darfst du gern kund tun."
    Sie lächelte den Germanen dann an. "Ich möchte mich aber gern für das Kompliment bedanken." Eine kurze Pause und sie sprach weiter. "Ich möchte dich gern ermuntern mit jederzeit deine Meinung zu sagen." Sie lächelte den Mann neben sich an. Denn sie meinte es genau so wie sie es auch gesagt hatte.


    Die nächste Frage überraschte sie ein wenig, aber gern gab sie Antwort darauf. "Nach römischem Recht wäre es so üblich ja. Du kannst dir ein Cognomen aussuchen, dann würde eine abgewandelte Form meines Namens folgen. Das wäre Duccianus und dann Alan. Außerdem kannst du dir dein eigenes Geld verdienen wenn du es möchtest. Da hast du schon richtig gehört. Möchtest du dir eine andere Beschäftigung suchen als auf unseren Anlagen?" Gern wollte sie hören wenn etwas nicht passte damit sie dagegen steuern konnte. Sie hatte ihn in Roma aufgelesen und fühlte sich nun auch verantwortlich für ihn.

  • Das Lächeln erwidern, nickte Alan und betrachtete Dagmar dann im Schein des Feuers eine Weile. Er schwieg, denn es bedeutete ihm wirklich viel, hier so viel Anerkennung zu bekommen. Er wusste wie es war, wenn man diese nicht hatte. Die Wochen in Gefangenschaft waren schlimm, doch er hatte eben erfahren, dass es noch schlimmer ging und das tat ihm leid. Er hatte immer nur dem nachgehangen was ihm passiert war und mit seinem Schicksal gehadert. Nun aber wurde ihm vor Augen geführt, dass es wahrlich nicht das Schlechteste war. Und Alan fühlte sich nun fast etwas schuldig.
    Bei ihren nächsten Erklärungen musste er etwas schief Lächeln. „Duccianus Alan.“ Sprach er seinen möglichen neuen Namen aus in der Hoffnung die Erklärung richtig verstanden zu haben. „Das klingt sehr fremd.“ In dieser Aussage lag nun schon etwas Wehmut. Irgendwie machte Alan dieser Name klar, dass sein altes Leben endgültig vorbei war und sämtliche Träumereien, es vielleicht doch wieder zu bekommen, endlich begraben werden mussten. „Es klingt nach einem großen Mann, dabei bin ich doch nur ein einfacher Schreiner aus einem germanischen Dorf.“ Das war etwas, dass Alan immer schon aufgefallen war. Die römischen Namen klangen nach so viel mehr. Dagmar gefiel Alan viel besser als Duccia Venusia. Und doch war das der Name, den sie hier hatte und er gehörte zu ihr, wie der Name, den er annehmen würde.


    Als sie dann aber weiter fragte schüttelte der Schreiner schnell den Kopf. „Nein, woanders hin möchte ich nicht. Es gefällt mir auf den Anlagen. Ich mag Pferde. Sie sind ruhige Zeitgenossen. Meine Frage war falsch formuliert. Es ist nicht so, dass ich weg möchte, auf keinen Fall. Ich bin dir zu Dank verpflichtet und möchte diesen Dank durch meine Arbeit erkenntlich zeigen. Es ist nur das stete Bestreben nach ein klein wenig Selbständigkeit.“
    Den letzten Satz lies Alan so in der kalten Nachtluft verklingen, während sein Blick immer noch in den Flammen lag. Sie hatte ihn aufgefordert alles zu sagen was er wollte, solange es keine Beleidigungen waren. Und nach seinem Verständnis war das, was ihm im Kopf herum geisterte nicht wirklich eine Beleidigung.
    „Um ehrlich zu sein…“ Alan blickte zu den Kindern hinüber ob sie auch wirklich noch schliefen. Folgendes sollte wirklich nur für Dagmars Ohren gedacht sein. Und obwohl er keine sichtbare Regung der Andern vernahm, senkte der Schreiner die Stimme. „Um ehrlich zu sein, möchte ich deine Gesellschaft nicht mehr missen und ich möchte mehr für dich tun als nur für deine Sicherheit zu sorgen.“ Nun waren es die dunklen, ehrlichen Augen des ehemaligen Sklaven, die den Blick seiner ehemaligen Domina suchten. Und die Art wie Alan Dagmar ansah, verlieh seinen Worten den nötigen Untergrund.

  • "Ja, anfangs tut es das, aber man gewöhnt sich schnell daran. Überraschend schnell," erklärte sie und erinnerte sich daran wie leicht es ihr damals gefallen war. Ein neues Leben hatte sie begonnen und damit einhergehend auch einen zweiten Namen bekommen. "Du kannst mehr sein als ein einfacher Schreiner. Du musst es wollen und alles daran setzen es dann auch zu erreichen. Wurden deine Arbeiten in deinem Dorf denn nicht auch geschätzt und hat man sich nicht gern an dich gewandt?" Sie konnte sich nicht vorstellen, dass man diesen umgänglichen Menschen gemieden hat oder versucht aus der Dorfgemeinschaft auszuschließen. "Du warst sicher ein angesehenes Mitglied deines Dorfes. Warum bezeichnest du dich dann als einfachen Schreiner? Ohne deine Arbeiten hätte manche auf dem Boden sitzen müssen oder dort auch Essen." Manchmal verwunderte sie es wirklich wie wenig Handwerker von sich hielten. Sicher war Bescheidenheit schon etwas Gutes, aber sein Licht unter den Scheffel stellen, hatte auch keiner nötig.

    Es erfreute sie zu hören, dass er der Familie treu bleiben würde. Natürlich konnte sie verstehen, dass er etwas anderes machen wollte als auf dem Gehöft zu arbeiten. Vielleicht wollte er hier ein Schreiner werden? Auch im Römischen Reich wurden Schreinerarbeiten benötigt. Was sie dann aber hörte, überraschte sie und verschlug ihr auch die Sprache. Es brauchte etwas bis sie nach diesem Geständnis die richtigen Worte fand. Sie war eine überaus diplomatische Frau, wenn sie es wollte. Das hatte sie in den vielen Jahren des öffentlichen Lebens lernen müssen und irgendwann hatte sie auch eine gewisse Fertigkeit darin entwickelt. Aber so mit sich nach den richtigen Worten ringend, hatte man sie schon lange nicht mehr gesehen. "Alan, deine Worte ehren mich wirklich sehr und auch ich finde Freude an den Unterhaltungen mit dir." Kurz holte sie Luft ehe sie nun zu dem Teil kam wo sie sehr ehrlich werden musste. "Im Römischen Reich ist manches nicht so einfach wie man vielleicht vermuten mag. Ich habe einiges hier erreicht. Ich habe einen gesellschaftlichen Status inne, der gewisse Dinge von mir verlangt und auch erwartet. Wenn du mit deiner Aussage den Wunsch äußern möchtest eine Bindung mit mir einzugehen so wird dies nicht möglich sein." Er ein Freigelassener und sie eine Eques. Das war undenkbar. "Es tut mir leid das so deutlich machen zu müssen, dass ist nicht möglich." Es tat ihr wirklich leid das so drastisch sagen zu müssen. Noch nie war sie gern ein Bote schlechter Nachrichten gewesen, musste es aber in diesem Moment wieder sein. Wenn er das wirklich hatte sagen wollen was sie verstanden hatte, dann war es ein Traum, den sie schnell zum Platzen bringen musste ehe er zu große Gestalt annahm. Bis eben hatte sie Alan noch ernst aber nicht böse angesehen. Doch jetzt sah sie lieber wieder zum Feuer.

  • Es war ein angenehmes miteinander, welches sie im Dorf pflegten. Jeder half jedem und sicherlich war es so wie Dagmar sagte. Viele hätten ihre Stühle nicht gehabt. Dennoch sah Alan sich nie als etwas Besonderes. Er war Teil der Gemeinschaft. Sein Vater hatte ihm alles beigebracht was er wissen musste und wenn ihm Kinder beschert gewesen wären, hätte er sein Wissen auch wieder weiter gegeben. Seine Arbeit war wichtig, da sprach nichts dagegen. Aber sie war nicht wichtiger als die des Schmieds oder die landwirtschaftlichen Arbeiten. Nun aber, da er in Rom gesehen hatte zu was diese Menschen fähig waren, kam Alan sich klein vor. Er konnte kaum lesen und schreiben auch nur bedingt. In Rom aber gab es Gelehrte, Politiker und was sonst noch alles. Da kam es nicht von ungefähr, dass Alan, zumal er ja als Sklave sein Dasein fristen musste, sich vorkam als wäre er bisher nichts Besonderes gewesen. Andererseits auch hier hatte Dagmar recht. Die Senatoren müssten auf dem Boden sitzen. Alan schwieg daraufhin. Aus dieser Perspektive hatte er es nicht betrachtet. Er würde nun also ein Römer im Namen und würde weiterhin seine Arbeit verrichten. Es gab wahrlich schlimmere Schicksale.


    Allerdings war das was er dann von Dagmar hörte alles andere als angenehm. Er hätte es vielleicht noch hinnehmen können wenn sie sagte er wäre ein Mann, den sie nicht ansehen wollte oder seine Hände wären ihr zu rau oder er war zu ungehobelt. All das hatte er auf den Märkten in Rom schon gehört. Die feinen Frauen hatten den Kopf geschüttelt, wenn sie ihn sahen und dann sofort tuschelnd die Köpfe zusammen gesteckt. Nicht, dass er Dagmar mit diesen Frauen verglich, doch sie lebte schon lange genug hier, vielleicht sah sie manche Dinge auch anders. Als sie ihm dann aber sagte, dass sie keine Bindung mit ihm eingehen konnte, weil ihr Stand das nicht erlaubte, biss Alan die Zähne aufeinander. Er war zwar klein Sklave mehr aber nicht gut genug. Langsam nickte er als Zeichen, dass er verstanden hatte. „Ich danke dir für deine Ehrlichkeit.“ Meinte er dann reserviert und sah Dagmar nicht mehr an. Er konnte sie jetzt nicht ansehen und wissen, dass er ihr nicht nahe sein durfte. Die Götter beliebten es wirklich zu spielen. Anschauen, aber nicht anfassen.
    „Wegen der Namensgebung, werde ich dann in den nächsten Tagen noch einmal auf dich zukommen.“ Und da saßen sie nun. Nebeneinander und doch so weit weg. Der Schreiner warf noch ein Stück Holz ins Feuer. Es würde sie noch bis Anbruch des Tages wärmen. An Schlaf war diese Nacht sicherlich nicht mehr zu denken. Obwohl er wohl dringend nötig wäre. Aber diese neue Erfahrung hatte Alan aufgewühlt und obwohl er kein Mann großer Worte war, purzelten sie ihm gerade nur so durch den Kopf.

  • Tief atmete Dagmar ein und aus. Es fiel ihr immer schwer Leute zu enttäuschen, aber auch das hatte sie irgendwann hinnehmen müssen. In diesem Moment war es nicht anders. Sie musste damit leben und Alan würde es irgendwann auch schaffen müssen. "Worauf du bei mir immer zählen kannst, ist meine Ehrlichkeit." Wenn sie das mal nicht tat, dann war ihr diese Person ziemlich egal. "Darüber würde ich mich freuen. Du kannst dir ja ein paar aussuchen und dann schauen wir welcher dir am Liebsten ist. Wenn es dir recht ist. "


    Der restliche Abend verlief recht ruhig und sie hielten Wache. Am frühen Morgen als es heller wurde, machten sie sich auf um zurück nach Mogontiacum zu kommen. Das schafften sie dann auch ohne weitere Hindernisse.

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