Neues Leben unter einem fremden Dach

  • Die Wochen und Monate seit der Verkündung ihrer Schwangerschaft vergingen, Octavenas Bauch war gewachsen, und auch wenn ihr der Besuch bei Alpina in gewisser Weise ein wenig Sicherheit gegeben hatte, so wurde Octavena doch mit jedem Tag ein wenig nervöser und gereizter. Zum Leidwesen aller Menschen in ihrer Umgebung, die derzeit mit ihr im Haus ihres Onkels leben mussten solange das neue Heim der Duccier noch gebaut wurde und ihr natürlich auch nicht immer aus dem Weg gehen konnten.
    Doch auch wenn Octavena ihre Ängste auf die eine oder andere Art zu kompensieren suchte, änderte das selbstverständlich nichts daran, dass schließlich auch der Tag der Geburt kam und die Wehen einsetzten.


    Es begann in den frühen Morgenstunden. Octavena hatte nicht mehr schlafen können und wanderte wie ein müder Geist durch das Haus, hing ihren Gedanken nach und drehte dabei schon die dritte oder vierte Runde, als sie das erste Mal ein Stechen im Unterleib spürte. Noch nicht sehr stark, aber eindeutig stark genug, um sie einen Arm um die Kugel, die sie vor sich her trug, schlingen zu lassen und einen Augenblick stehen zu bleiben. Das Stechen ging weiter, wenn auch noch in recht großen Abständen, mit jedem Mal, mit dem sich ihre Muskeln schmerzhaft verkrampften und Octavena begriff, was das zu bedeuten hatte.
    Das Kind kam. Heute. Jetzt.
    Unwillkürlich kämpfte sie einen Schwall von Panik nieder und bemühte sich darum, ruhig zu bleiben. Es hatten schon Millionen Frauen vor ihr gesunde Kinder zur Welt gebracht. Da würde sie das auch überstehen. Jemand musste nur Alpina holen und sie würde das schon hinkriegen. Alles im Grunde keine große Sache.
    So eilig wie es ihr in ihrem Zustand möglich war machte sie also kehrt und tapste los, um ihren Mann zu wecken. Wäre ja noch schöner, wenn er weiter schliefe, während sie den ganzen Ärger hatte.
    "Witjon." Octavena drückte die Tür auf und trat ins Schlafzimmer, wo das Familienoberhaupt der Duccier noch selig schlief. "Numerius Duccius Marsus!"
    Diesmal etwas lauter und gereizter. Schließlich ließ sich so ein langer, römischer Name wunderbar schimpfen. Sie rüttelte unsanft an seiner Schulter und ließ ihm so eigentlich gar keinen Spielraum, langsam wach zu werden. Mit Einsetzen der Wehen hatte Octavenas Geduld gelitten und so war sie eher mäßig gewillt, Rücksicht auf irgendetwas zu nehmen. Erst recht nicht die nächtliche Ruhe ihres Mannes. "Wach auf und hol Susina Alpina! Das Kind kommt!"

  • Witjon war in letzter Zeit zunehmend gestresst. Er musste Massulas Verlust auf der Arbeit ausgleichen, solange dessen Nachfolger noch nicht ins Amt eingeführt worden war. Zusätzlich fiel ständig neue Arbeit im Ordo Decurionum an, weil Mogontiacum ja nun Municipium war und es allerhand zu diskutieren und zu entscheiden gab. Dann noch der Bau der Villa Duccia, der regelmäßige Kontrolle und Absprachen erforderte. Und schließlich seine Frau, die ein Kind erwartete - Frigg sei Dank! - und Witjon trotzdem mit ihren Launen auf die Nerven ging.


    So war er an diesem Abend wie ein Sack Mehl ins Bett gefallen und lag schon wenige Sekunden später da als wäre er tot. Schnarchend. Traumlos. Völlig erschöpft. Er verschlief Octavenas Bettflucht, verschlief ihre Aufregung, verschlief die frühen Morgenstunden, in denen Octavena durch die Casa wandelte.


    Octavena weckte ihn in dermaßen schneidigem Ton, dass Witjon augenblicklich senkrecht im Bett saß. "HMWAS?", quiekte er völlig orientierungslos. Die Augen noch halb geschlossen, erkannte er seine Frau. Seine liebevolle, reizende, nervige, schwangere Frau.
    Wach. Auf. Hol. Wen? Kind. Was für ein...schlagartig war Witjon wach. "OH!", stieß er hervor und begann dann hastig die Decke wegzuschieben und rollte sich aus dem Bett. "Hose!", brummelte er und fand das Kleidungsstück nicht weit vom Bett entfernt auf dem Boden. "Susina Alpina", bestätigte er seiner Frau den Auftrag, während er sich die Hose anzog und sich fahrig die Haare aus dem Gesicht strich. "Das Kind!", fiel ihm daraufhin ein und starrte kurz Octavenas Bauch an, sah ihr anschließend in die Augen und erkannte, dass er besser einfach genau das tat, was das Weib ihm auftrug. Widerstandslos. Ohne Murren. Schnellstmöglichst.
    "Hemd!", befahl sein Mund seinen Händen, während seine Augen schon nach dem Gegenstand suchten, den er sich sogleich überstreifen wollte. "Schuhe! Herr-Wodan, wo bei Tweiwaz...ah, da!", haspelte er weiter mehr zu sich selbst als zu Octavena. "Bin schon weg!", rief er schlussendlich aus, wollte bereits aus der Tür hasten, als ihm der Gedanke nach einer zärtlichen Geste in den Sinn kam.


    Er machte im Türrahmen kehrt und gab seiner Frau einen Kuss. "Halte durch, ich fliege wie ein ... naja, wie ein Vogel halt."

  • Fast schon tat Octavena ihr Mann leid, wie er so von einem Moment auf den anderen kerzengerade im Bett saß, nur um schon im nächsten vollkommen neben der Spur durchs Zimmer zu taumeln und sich anzuziehen. Allerdings auch nur fast. Spätestens in ein paar Stunden, das wusste sie, würde dieses Mitleid Geschichte sein, wenn die Wehen stärker und in kürzeren Abständen kommen würden.
    "Geh schon!", fauchte sie also trotzdem, wenn auch etwas versöhnlicher ob dieser kleinen, aber liebevollen Geste des Kusses, die sie durchaus zu schätzen wusste. Da brachte sie es sogar fertig, ihm doch noch ein halbherziges Lächeln zu schenken und sich einen Kommentar zu der selten dämlichen Aussage "Halte durch, ich fliege wie ein ... naja, wie ein Vogel halt." zu verkneifen. Denn natürlich musste ihm klar sein, dass sie ihm den Kopf abreißen würde, wenn er sich nicht beeilen sollte, auch wenn die Geburt im Grunde gerade erst begonnenen hatte und es somit noch Stunden würde dauern können bis sie ernsthaft Alpinas Hilfe benötigte. Trotzdem: Lieber zu früh als zu spät und jetzt war nun einmal ihr Mann in der unbequemen Position, so früh am Morgen loszuziehen, um dafür zu sorgen, dass die Hebamme Bescheid bekam.
    "Geh und hol' Alpina. Ich laufe wohl kaum weg."

  • "Sofort!", beeilte Witjon sich, seiner Frau klar zu machen, dass er ihre Anweisungen ohne Zögern umzusetzen gedachte. "Bin schon weg", fügte er hinzu und hastete hinaus ins Atrium, wo er sich erst zur Tür wandte, woraufhin er allerdings innehielt.


    Sollte er vielleicht Gunda bescheid geben? Gunda würde Octavena helfen bei diesen Geburtsdingen, die es jetzt zu tun galt. Andererseits waren seine Anweisungen klar und deutlich: Susina Alpina herholen! Und so wie er dieses Schwangerschaftsmonster kannte, das einmal seine Frau gewesen war, würde er eine gehörige Portion Unmut abbekommen, wenn er nicht genau das tat, was sie wollte. Andererseits bekam er auch regelmäßig Unmut ab, wenn er genau das tat, was sie wollte. Im Grunde genommen konnte man es den Frauen sowieso nie recht machen. Er sah den Moment schon kommen, in dem er gleich Susina Alpina mit ins Haus bringen würde und als Dank nur von Gunda oder Octavena oder Gunda und Octavena äußerst unfreundlich aufgefordert werden würde, sich zügigst aus dem Staub zu machen.


    Witjon kniff die Lippen zusammen. Nein, er würde jetzt einfach nach Plan handeln. Sekunden später hörte man wie die Tür sich geräuschvoll öffnete, Witjon eilig das Haus verließ und die Tür mit ein wenig Rücksicht auf die womöglich noch schlafenden Bewohner des Hauses etwas weniger geräuschvoll hinter sich schloss.

  • Alpina kannte die Casa Petronia vom Sehen, war aber noch nie in dem Stadthaus der Petronier gewesen. Sie folgte dem Familienoberhaupt durch das Vestibulum zum Zimmer in dem Octavena in den Wehen lag. Dort begrüßte sie die Gebärende während sie ihren Korb mit den Kräutern und Instrumenten abstellte.


    "Salve, Octavena! Es geht also los, nicht wahr?"


    Mit diesen Worten setzte sie sich zu Octavena an die Bettkante und nahm wie nebenbei die rechte Hand, um den Puls zu tasten und sich einen Überblick zu verschaffen. Der Puls ging schnell und er war kräftig. Keine Anzeichen von Fieber oder einer Entzündung. Während sie Octavena in die Augen sah, fragte sie gleich weiter:
    "Sind die Wehen schon regelmäßig und wenn ja, seit wann ungefähr?"

  • Zufrieden sah Octavena Witjon nach, wie er zunächst aus dem Raum und dann aus dem Haus eilte. Gut, die Hebamme war also so gut wie auf dem Weg. Fast beruhigte sie sich dank dieses Gedankens wieder ein wenig, allerdings auch nur fast.
    Nun, da sie allein war, jedenfalls für den Augenblick, meldete sich ihre Nervosität zurück. Gemeinsam mit der nächsten Wehe, deren Intensität Octavena erst einmal so sehr überraschte, dass sie sich unwillkürlich am Bett abstützte. Vielleicht hatte sie ja doch zu lange damit gewartet, ihren Mann loszuschicken, um Alpina zu holen? Egal, jetzt war es sowieso zu spät, noch etwas zu ändern.
    Kurz überlegte sie, Gunda zu wecken, ließ es aber dann sein, um nicht noch weiter durchs Haus zu wandeln, und ließ sich stattdessen zunächst auf der Bettkante nieder ehe sie sich vollends hinlegte.


    Es kam ihr zwar vor wie eine Ewigkeit, die sie so da lag und den dumpfen Schmerz ihrer sich immer wieder verkrampfenden Muskeln hinnahm, aber schließlich ging die Tür wieder auf und Octavena seufzte erleichtert auf, als Alpina herein marschierte.
    "Guten Morgen, Alpina." Sie lächelte, während die Hebamme sich zu ihr setzte und ihr den Puls fühlte.
    "Ich bin mir nicht ganz sicher", erwiderte sie dann wahrheitsgemäß auf Alpinas Frage, "Seit zwei oder drei Stunden?" Sie verzog das Gesicht und setzte sich ein wenig weiter auf. "Ich konnte schon früh nicht mehr schlafen und habe ein wenig das Zeitgefühl verloren."

  • Alpina lächelte. "Kein Problem! Wir werden es ja sehen, wo ich jetzt da bin. Kann mir jemand heißes Wasser bringen und Wasser für einen Verbenentee kochen? Außerdem werde ich Essig und Öl brauchen. Keine Sorge, ich mache keinen Salat aus Dir, ich brauche den Essig zur Desinfektion und das Öl um Dich besser untersuchen zu können und Deinem Nachwuchs den Weg zu erleichtern."

  • Witjon war in sicherem Abstand im Türrahmen stehen geblieben und beobachtete, wie die beiden Frauen miteinander umgingen. Er wusste, dass Octavena schon bei Alpina gewesen war wegen ihrer Schwangerschaft, aber er hatte keine Ahnung wie oft das geschehen war und wie sehr seine Frau dieser Geburtshelferin vertraute. Aber da sie ihn geschickt hatte, um Alpina zu holen, schien Octavena sich sicher genug zu sein, weshalb Witjon ihre Entscheidung nicht in Zweifel zog.


    Vielmehr sah er sich immer mehr in der Position des Dienstboten/Knechts gefangen. Die Frage von Alpina, ob ihr jemand dies und jenes und hasse nich gesehen bringen und tun könnte, nahm Witjon als Aufforderung entgegen, selbiges in die Wege zu leiten. "Ich kümmer' mich drum", gab er den Frauen zu verstehen und verschwand geschwind aus der Tür.


    Im Atrium musste er wieder kurz überlegen. Wo schlief Gunda? Und wenn er das herausgefunden hatte, würde sie zu dieser Tageszeit - es war immerhin mittlerweile beinahe ganz hell geworden - überhaupt noch schlafen, oder war sie schon auf den Beinen und ging ihrer Arbeit im Haushalt nach? Witjon entschied sich dafür, einfach auf gut Glück in Richtung der Sklavenräume und anschließend, falls erfolglos, in Richtung Küche zu laufen, um dort das Haus zusammenzubrüllen...


    "GUNDAAA!", rief er - allerdings aus Respekt vor Crispus' Schlaf nur halblaut - und hoffte inständig, dass sich die Sklavin beeilen würde, bei der Geburt zu helfen. "GUNDA, das Kind kommt! Verdammte Axt, die brauchen Wasser für den Salat und Essig für Tee und noch so ein Öl zur Desuktion oder so!" Verzweifelt stellte Witjon fest, dass er bereits nach wenigen Schritten alles durcheinandergeworfen hatte, was Alpina ihm aufgetragen hatte. Er strich sich die Haare aus dem Gesicht nach hinten und fuhr sich nervös über die Augen.
    Frigg steh' mir bei, dachte er hilflos. Ein Bier wäre jetzt wohl verdammt hilfreich...

  • Alpina war froh, dass sie den nervösen Hausherrn durch ein paar Aufgaben beschäftigen konnte. Nichts war schlimmer für eine Gebärende als der Partner, der wie ein Panther im Geburtszimmer auf und ab ging. Während also der Kindsvater die notwendigen Dinge besorgte, untersuchte Alpina Octavenas Bauch. Sie konnte den Kopf im Becken spüren. Alles schien perfekt zu stimmen.


    "Ist schon Fruchtwasser abgegangen?", wollte sie wissen.

  • "Ein wenig", erwiderte Octavena. Erleichtert, Witjon aus dem Weg zu haben. Der würde nur früher oder später Energie zu einer Nervosität haben, die sie selbst ab einem gewissen Punkt bezweifelte, noch aufbringen zu können. Wahrscheinlich würde er in so einem Fall nur das eine oder andere genervte und später böse Wort an den Kopf bekommen, das ihr später wieder leid tun würde.
    "Stimmt auch bisher alles?", schob sie dann im Bezug auf Alpinas Untersuchungen hinterher, "Nichts, das nicht so sein soll wie es ist?"

  • Alpina beruhigte Octavena.


    "Soweit ist alles ganz normal. Wir werden sehen, ob bald noch mehr Fruchtwasser kommt. Dann nimmt auch der Druck auf den Beckenboden zu und der kleine Kerl oder die junge Dame rutscht besser nach unten. Dafür wäre es besser, wenn du dich bewegst. Ich werde dir aufhelfen und wir sollten ein wenig spazieren gehen. Dann sinkt das Kind scheller nach unten und wahrscheinlich entleert sich das Fruchtwasser dann auch von selbst. Allerdings will ich zuvor noch Untersuchen, wie weit der Muttermund bereits geöffnet ist."


    Sie wusch sich die Hände in dem mit Essig angereicherten heißen Wasser und trocknete sie ab. Dann rieb sie sich die Hände mit dem bereitsgestellten Olivenöl ein. An der Bettkante sitzend, schob sie sanft Octavenas Schenkel auseinander, um den Muttermund tasten zu können. Tatsächlich war er schon etwa 3 Finger breit geöffnet. Sie konnte das Köpfchen durch die Eihaut tasten. Alpina teilte Octavena den Tastbefund mit.


    "Alles prima. Wir wollen sehen, wie häufig die Wehen kommen und ob nicht die Position in der Senkrechten besser ist, um die Geburt voranzutreiben. Dort drüben steht ein Tee für dich aus Verbenenblättern. Der soll helfen die Wehen zu fördern. Denn nur kraftvolle, regelmäßige Wehen bringen den kleinen Fratz ans Tageslicht! Komm, ich helfe dir auf!"


    Alpina half Octavena aufzustehen. Kaum stand sie, wurde sie von einer heftigen Wehe gepackt. Alpina bot ihr den Arm, damit sie sich daraufstützen konnte. Dann führte sie die Kreißende zum Tisch wo der Eisenkrauttee stand.
    Die junge Obstetrix ärgerte sich, dass sie noch keinen Geburtsstuhl hatte. Sie musste unbedingt bald einen Schreiner aufsuchen, um sich einen solchen Stuhl anfertigen zu lassen. Es war weniger anstrengend für die Gebärenden, auf dem Stuhl das Kind hervorzupressen als im Stehen, Hocken oder an der Bettkante. Nun, in diesem Fall blieb keine Wahl.


    "Später werden wir deine Dienerin brauchen. Gunda, heißt sie, glaube ich. Sie wird helfen müssen, dich zu stützen, wenn es in die letzte Phase geht. Nun, das wird noch einige Zeit dauern, aber wir sollten ihr Bescheid geben. Außerdem soll sie eine mittelgroße Schüssel und eine Waschschüssel mitbringen sowie frische Tücher, in die wir dann dein Kind wickeln können. Hast du auch Binden vorbereitet?"


    In den römischen Famiilien war es üblich die Kinder komplett mit schmalen Binden einzuwickeln. Jeder Finger, die Arme, Beine und der ganze Körper wurden komplett eingewickelt. Die Binden sollten dann häufig gewechselt und ausgewaschen werden. In den Familien der Einheimischen bevorzugte man einfache Tücher und dann Decken, mit denen man den Säugling wickelte. Jede Kultur hatte ihre eigenen Traditionen. Alpina hielt sich an das, was die Mütter wollten.

  • Octavena nahm die Erklärungen und Untersuchungen der Hebamme erst einmal nur mit einem stummen Nicken hin. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie hatte sich in Alpinas professionelle Hände begeben und bisher hatte sie keine Zweifel daran, dass das eine gute Entscheidung gewesen war. Jetzt war einfach Vertrauen angesagt.


    Also erhob sie sich auch brav, als Alpina ihr aufhalf, auch wenn noch im selben Moment die nächste Wehe kam. Einen Moment umklammerte sie erschrocken den Arm der Obstetrix und zwang sich selbst ruhig zu atmen, dann war es auch schon wieder vorbei.
    "Tut mir leid." Mit einem entschuldigenden Lächeln lockerte Octavena den Griff um Alpinas Arm wieder, um sich dann zum Tisch hinüber führen zu lassen, wo der Tee inzwischen wartete. Sie nahm sich einen Moment zeit, um an der warmen Flüssigkeit zu riechen, doch dann begann die werdende Mutter auch damit, den leicht bitter schmeckenden Tee zu trinken, wenn auch nicht ohne kurz eine Grimasse zu schneiden.
    "Ruf am besten einfach nach Gunda", antwortete Octavena Alpina dann zwischen zwei Schlucken und machte sich dabei nicht die Mühe, klarzustellen, dass Gunda ja genau genommen die Haushälterin ihres Onkels war. Schließlich änderte das ja auch wieder nichts daran, dass sie ihre Hilfe benötigen würden. "Es würde mich ohnehin nicht wundern, wenn sie in Rufweite geblieben ist. Sie kann dann auch die Binden mitbringen."
    Sie konnte gerade noch den Tee, von dem ohnehin nur noch ein Rest übrig war, wieder abstellen, als sich mit der nächsten Wehe ihre Muskeln wieder schmerzhaft verkrampften.
    "Die haben wir..." Ruhig atmen! "...längst vorbereitet."

  • Alpina nickte zufrieden. Im Hause der Petronier war alles vorbereitet. Sie unterstützte Octavena, die erneut von einer Wehe gepackt wurde.
    "Du machst das sehr gut", lobte sie die Gebärende. "Langsam und tief in den Bauch atmen. Stell dir vor, dass du zu deinem Kind atmest."


    Sie gingen auf den Gängen des Hauses auf und ab, immer wieder unterbrochen von Wehen. Die kamen inzwischen in relativ regelmäßigen Abständen. Das einzige, was noch ausgeblieben war, war der schwallartige Abgang von Fruchtwasser.


    "Nimmt der Druck nach unten zu? Oder hat sich die Qualität der Wehen noch nicht verändert?", frage Alpina nach einer Weile.

  • Zum Kind atmen. Immer zum Kind atmen.
    Octavena nickte, um der Hebamme zu bedeuten, dass sie verstanden hatte. Langsam und tief einatmen. Das war machbar. Und so hatte sie immerhin etwas, worauf sie sich konzentrieren konnte, einen Gedanken, mit dem sie sich selbst durch die Wehen bringen konnte, die an Häufigkeit und Intensität immer mehr zu nahmen.
    In jedem Fall war Octavena mit jeder Wehe ein wenig dankbarer darüber, Alpina an ihrer Seite zu wissen, die sie stützte und mit einer Engelsgeduld durch die Gegend führte, während rundherum das Haus langsam erwachte.


    "Sie werden stär-" Octavena brach ab und gab stattdessen ein geknurrtes "Argh!" von sich, wobei sie ein weiteres Mal die Finger um Alpinas Arm krallte. Wahrscheinlich würde die da bis das Kind endlich auf der Welt war noch blaue Flecken bekommen.
    Tief und langsam einatmen. Immer in den Bauch. Zum Kind hin atmen. Ruhig atmen.
    Die Konzentration auf die simple Tätigkeit des Atmens half und und als der Schmerz abgeklungen war, vollendete sie ihre Antwort.
    "Sie werden stärker", erklärte Octavena und senkte erstaunt den Blick, als sie bemerkte, dass eine warme, klare Flüssigkeit ihre Schenkel herabrann und schließlich auf den Boden tropfte.
    Endlich war auch die Furchtblase geplatzt.

  • Als Alpina sah, dass das Fruchtwasser seinen Weg nach draußen gefunden hatte, atmete sie tief durch. Sie reichte Octavena ein Tuch, damit sie das Fruchtwasser notdürftig abtrocknen konnte. Jetzt würde die anstrengendste Phase für die Gebärende beginnen.


    "Wir sollten langsam den Weg in deine Kammer antreten und Gunda bitten, uns zu unterstützen", sagte Alpina ruhig. Eile war nicht geboten, doch jetzt wo die gefüllte Fruchtblase kein Hindernis mehr darstellte, war anzunehmen, dass das Kind tiefer ins Becken trat. Vermutlich würden die Wehen bald sehr schmerzhaft werden. So schmerzhaft, dass Octavena schreien und flehen würde, dass sie hoffen würde, dass es bald vorbei ist. Doch diese Phase der Dehnung des Beckenbodens musste erst überstanden werden, bevor das Köpfchen ihres Kindes hervorgepresst werden konnte.


    Alpina führte Octavena in ihre Kammer und bat sie sich an die Bettkante zu setzen. Auch Gunda war inzwischen da. Alpina wies sie an sich hinter Octavena ins Bett zu knien und ihr den Rücken zu stützen, damit sie sich entspannt zurücklehnen konnte. So würde es Alpina leichter mit der Untersuchung haben. Sie wusch sich erneut die Hände im Essigwasser und ölte die Finger ein. Dann tastete sie nach dem Beckenboden. Der Muttermund war schon eine gute Hand breit auseinander gewichen. Man konnte man das Köpfchen tasten. Es lag noch quer. Das bedeutete, dass es noch einiger Gebärmutterkontraktionen bedurfte, bis sich der Hinterkopf nach vorne drehte. Dann erst war der kleine Fratz bereit, zur Welt zu kommen.


    "Jetzt werden sehr heftige Wehen kommen, Octavena. Und wahrscheinlich wirst du das Bedürfnis haben mitzupressen. Das darfst du aber noch nicht tun. Es würde dich nur unnötig erschöpfen. Das Kind liegt quer. Der Kopf muss sich im Becken noch drehen. So kommt es nicht um die Kurve, egal wie sehr du presst. Deshalb versuche, dich auf die Atmung zu konzentrieren und den Schmerz anzunehmen. Du darfst schreien. Ja, schei nur, wenn dir danach ist. Es erleichtert! Ich werde in Kontakt mit deinem Kind bleiben und merken, wann es sich gedreht hat. Dann erst ist es an der Zeit zu pressen."

  • "Das Kind liegt quer?!" So sehr Octavena versuchte, sich zur Ruhe zu zwingen, konnte sie nun doch nicht verhindern, dass ein panischer Unterton in ihrer Stimme mitschwang, auch wenn sie ob der nächsten Wehe nicht dazu kam, weiter zu fragen.


    Sehr bald bemerkte sie dann auch, dass Alpina Recht behalten sollte. Bereits diese Wehe trieb sie zu einem keuchenden Aufschrei und wenig später war es auch mit dem letzten Rest Gelassenheit, den Octavena sich hatte bewahren können, vorbei. Sie bekam das Gefühl, jedes Mal ein wenig lauter zu schreien, nur damit jedes Mal die Schmerzen noch etwas schlimmer zu werden schienen.
    In ihrem Rücken konnte sie Gundas stützende Hände spüren, während ihre Finger sich in den Laken verkrampften und sie gleichzeitig versuchte Alpinas Anweisung, noch nicht zu pressen, zu befolgen.
    Ruhig atmen. Langsam. In den Bauch. Zum Kind hin.
    Allerdings erwies es sich selbst schon als eine Herausforderung, das Schreien mit dem Atmen und der Unterdrückung des Drangs, mitzupressen, zu koordinieren. Irgendwann gab Octavena es dann auch schließlich auf und konzentrierte sich vor allem darauf, weiter ruhig zu atmen, unter anderem um sich selbst vom Schmerz abzulenken. Auch wenn dieser Plan eher schlecht als recht aufging und sie stattdessen nur feststellte, dass ihre Kehle vom Schreien nach und nach immer trockener wurde.
    Immer ruhig atmen. Ein und aus. Ein und aus.
    Und ein stummes Stoßgebet an die Götter senden, dass es verhältnismäßig schnell vorbei sein würde...

  • "Gut, Octavena! Du machst das hervorragend! Das Kind beginnt sich zu drehen. Es muss mit dem Hinterkopf zuerst kommen und es sieht so aus als ist es bald soweit. Nur Ruhe. Keine Panik. Wir schaffen das!"


    Alpina betete laut zu Juno Lucina. "Gütige Juno Lucina, Beschützerin der Gebärenden, Fackelträgerin, die den Kindern das Lebenslicht schenkt, sei gnädig. Hilf Octavena die Schmerzen zu ertragen und ihrem Kind das Licht der Welt zu erblicken. Gib den beiden Kraft und öffne den Schoß von Octavena."


    Wieder bäumte sich Octavena auf und schrie heiser. Alpina konnte spüren, wie sich das Kind drehte und nun mit dem Hinterkopf nach vorne lag. Die kleine Fontanelle war deutlich zu tasten. Jetzt begann die Austreibungsphase. Der Damm war schon sehr gespannt. Obwohl Alpina ihn mit Öl eingerieben und massiert hatte, war die Spannung so stark, dass sie befürchtete, dass Octavan einreißen würde. Sie dachte darüber nach, ob sie den Damm einschneiden sollte, um dem Kind den Durchtritt zu erleichtern, doch entschloss sich dann, lieber in Kauf zu nehmen, dass der er ein wenig einriss. Sie versuchte stattdessen, mit ihren Fingern den Damm sanft zu dehnen.
    "Wenn die nächste Wehe kommt, darfst du mitpressen, Octavena. Es ist gut jetzt. Das Kind ist bereit. Es wird Zeit, es ans Licht zu holen."


    Sie gab Gunda ein Zeichen, Octavena zu helfen, die Schenkel nach oben zu ziehen, um das Kind nach unten zu drücken. Dann wartete sie auf die nächste Wehe.

  • Das musste Alpina der gebärenden Octavena nicht zwei Mal sagen.
    So sehr sie sich bereits die Seele aus dem Leib schrie und das Gefühl hatte, dass die Schmerzen nun kaum noch schlimmer werden konnten: Jetzt, sozusagen auf der Zielgeraden, kratzte sie noch einmal alle Kraft, die sie aufbringen konnte, zusammen. Jetzt galt es, das Kind endgültig zur Welt zu bringen. Das hatten schon genügend andere vor ihr geschafft, da würde ihr das auch noch gelingen.
    Einfach weiter ruhig atmen und - Was hatte Alpina gesagt? - den Schmerz annehmen? Das war leichter gesagt als getan.

    "AAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHH!"

    Die nächste Wehe und damit der nächste Aufschrei kamen, mit dem sie nun endlich auch dem Drang, das Kind endlich ans Licht zu pressen, nachgab. Jetzt war auch kein Platz mehr für Panik oder Angst in ihren Gedanken. Zwischen stummen Gebeten und innerlichen Flüchen während und zwischen der Wehen war es schwer genug, weiterhin halbwegs ruhig zu atmen.
    Tief und langsam ein und aus. Ein und aus. In den Bauch. Gleichmäßig. Ruhig.
    Sie schrie weiter, doch mittlerweile hatte Octavena das Gefühl, dass die Strategie, sich aufs Atmen zu konzentrieren, immer besser funktionierte. Inzwischen versuchte sie mit jeder Wehe und jedem Schrei auszuatmen und dabei gleichzeitig zu pressen, egal, wie sehr es ihr den Schweiß auf die Stirn oder die Tränen in die Augen trieb.
    Es hatte sich ein wenig eine ärgerliche Trotzhaltung bei ihr eingestellt: Sie würde dieses Kind nun endlich nach den Monaten, die sie es in sich herum getragen, und nach den Stunden, in denen sich die Schmerzen aufgebaut hatten, zu Welt bringen. Und Widerstand würde nicht geduldet werden.

  • Die Presswehen waren stark und Octavena tat ihr Möglichstes, um den Kopf des Kindes hervorzupressen. In den Wehenpausen atmete sie ruhig und erstaunlich geduldig. Alpina war beeindruckt, wie gut sie ihre Anweisungen umsetzte. Bei der dritten Presswehe spürte die Obstetrix, wie der Damm ein wenig Einriss. Das knirschende Geräusch wurde jedoch von Octavenas mark-und-beindurchdringendem Schrei übertönt. Nun war bereits die Hälfte des Köpfchens zu sehen.


    "Gleich hast du es geschafft, Octavena! Jetzt weiterpressen, nicht ruhig atmen, keine Pause machen! Weiterpressen!!!!


    Alpina gab Gunda erneut mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass sie Octavenas Knie noch weiter an den Bauch ziehen solle. Gleich würde der Kopf geboren sein, dann ging der Rest einfach und schnell.

  • Octavena nickte und machte sich daran, die Anweisung zu befolgen. Weiterpressen. Nur noch weiterpressen. Gleich war es geschafft, das hatte Alpina gesagt. Durchhalten und weiterpressen.
    Also legte sie alle Kraft, die sie aufbringen konnte, in ihren nächsten Schrei und das damit verbundene Pressen. Krallte sich wieder in die Bettlaken unter ihr und lehnte sich gegen Gundas stützende Hände, die nun selbst einiges an Energie aufbringen musste, um genügend Widerstand gegen Octavenas Rücken auszuüben.
    Längst kümmerte es Octavena auch nicht mehr, ob man ihr Geschrei im ganzen Haus oder gar noch weiter hören konnte. Es war egal, jetzt würde sie ihr Kind zur Welt bringen.


    Aber wie alles war auch das irgendwann geschafft und es kam der Moment in dem Octavena sich einen Moment erschöpft zurück sinken ließ, wo Gunda noch immer sie stützend kniete, während kurz ein schwarzes Flimmern vor ihren Augen erschien.
    Sie keuchte, ihre Lungen versuchten verzweifelt sich wieder gleichmäßig mit Sauerstoff zu füllen und ihr Körper fühlte sich noch immer wie ein einziges schmerzhaft pochendes Etwas an, doch sie hatte es geschafft.
    Das verkündete auch das zuerst leise beginnende, aber dann klar und deutlich anschwellende Geschrei, nein eigentlich eher Gequengel, das sich nun im Raum ausbreitete.
    Langsam reckte Octavena den Kopf, der sich wie alles mit einem Mal unglaublich schwer anfühlte, und blinzelte müde. "Ist das Kind gesund?"

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