Da sein Vilicus Sciurus noch einige Dinge für ihn in der Stadt erledigte, langweilte sich Gracchus an diesem Abend in seinem Officium und ritzte gänzlich unmotiviert Muster in eine Wachstafel. Er hatte schon während der cena beständig über die Gästeliste seiner Hochzeit nachgedacht und wollte diese dem Sklaven diktieren, ehedem er die Hälfte davon wieder vergaß. Obgleich für die Feierlichkeit noch nicht einmal ein Termin war determiniert, mochte Gracchus mit der Planung keine Zeit mehr verlieren, denn je mehr er sich in die Vorbereitungen vertiefte, desto weniger konnten seine Zweifel sich in ihm ausbreiten. Gänzlich unerwartet indes disturbierte die Ankündigung eines Tribuns - der Sklavenjunge hatte bereits den Namen vergessen und erwähnte diesen darob nicht erst - seine Langeweile, und evozierte sogleich ein Gefühl der Panik in ihm. Hastig blickt er sich in seinem Officium um, konnte jedoch nichts Verfängliches darin entdecken - etwa ein Pergament, auf dem Ich habe den Kaiser ermordet stand -, drehte die Tabula um und richtete sich gerade auf. Er wusste nicht, weshalb ein Tribun ihn mochte aufsuchen, rechnete indes mit dem schlimmsten.
"Faustus"
, erkannte er diesen erstaunt als Serapio zur Türe eintrat und erhob sich, sein Herz schneller schlagend und sein Atem beschleunigt. Von allen Tribunen Roms ausgerechnet Faustus! Standhaft und entschlossen hatte er in den vergangenen Tagen versucht, Serapio aus seinen Gedanken zu verbannen, hatte sich regelrecht fanatisch auf Aurelia Prisca konzentriert, hatte versucht ein Flämmchen der Liebe für sie zu entfachen, doch der Anblick des Decimers machte augenblicklich alle Bemühungen zunichte, fegte einer Sturmbö similär über ihn hinweg und erstickte das karge Glimmen. 'Denke an eine Möhre!' vernahm er die mahnende Stimme des Meister Fasiri in seinen Gedanken, was jedoch nur dazu führte, dass sein Blick zu Faustus' Lenden wanderte und ein Schauer über Gracchus' Rücken fuhr, da ihn dies nicht im mindesten vom Stachel des Skorpions ablenkte. Kühlen Atem in seine Kehle einlassend blickte er wieder empor, gemahnte sich, ruhig zu bleiben und sich nicht wieder in Narreteien zu verlieren. Auf Serapios Antlitz spiegelte sich Ernsthaftigkeit und eine Spur von Konfusion wieder, was einen Anflug von Sorge in Gracchus evozierte. Ein Teil seiner Gedanken bangte, jemand hatte die Konspiration enttarnt und Faustus war gekommen, ihn zu warnen.
"Ist etwas ... geschehen?"
Ein anderer Teil - sehr tief in ihm, doch überaus aufmüpfig - hoffte indes, dass Serapio gekommen war, um Trost zu suchen, da er entdeckt hatte, dass Borkan nur ein unlauterer Herzensdieb gewesen war - woraufhin ein weiterer Teil sich sogleich wieder einen törichten Narren schalt.
Officium MFG | Ein Besuch und sonst Nichts mehr
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"Du hast Nerven. Ja verdammt! Es ist etwas geschehen!" rief ich hitzig, und wedelte ihm mit dem Brief in meiner Hand wild vor der noblen patrizischen Nase herum.
Jetzt werd mal nicht hysterisch Faustus. sagte ich mir, allerdings vergeblich... Wann wenn nicht jetzt???!!!
"Wie, beim Barte des Satyr, kannst du mir nur so einen Brief schicken?!" wehklagte ich, "Und sag jetzt nicht er sei nicht von dir! Ich kenne deinen Stil! Solche Verse! Solch... WUNDERVOLLE Verse, das, das geht nicht, du kannst doch nicht einfach... oh bei Eros und Anteros, du weißt doch genau, dass Poesie meine Achillesferse ist! Du weißt genau, dass ich sowas nicht widerstehen kann, dass ich DIR nicht widerstehen kann! -" Und dramatisch hob ich die Hand, um etwaige Erwiderungen zu unterbinden:
"Nein Manius! Sag jetzt nichts Manius! Lass mich ausreden! - Ich bin VERWIRRT!!!"
Ein verwirrtes Blinzeln später war ich ihm um den Hals gefallen. Heftig schlang ich meine Arme um seinen Nacken... Manius... Ihn so zu spüren. Es fühlte sich so richtig an. Ich wollte ihn! Und dieses Wollen scherte sich ums Dürfen gerade nicht im Geringsten.
"Denn du meinst das doch gar nicht so!" murmelte ich konfus ganz dich an seinem Ohr, "Du schreibst das doch nur, im Grunde hast du... doch gar keinen Platz in deinem Leben für mich, du liebst die Idee unserer Liebe aber du... würdest mich niemals deiner Familie vorstellen, ja, nenn mich kleinmütig, aber ich.... ich bin vergeben, und ich will glücklich sein, verstehst du, und ich will ihm treu sein, weil: es ist ihm sehr wichtig und er ist mir sehr wichtig, und alles, ALLES kann immer sofort und von jetzt auf gleich zu ende sein und... ich will mich nicht wartend verzehren, ich will etwas reales, ich bin der Dramen müde, der Entfernung, der Heimlichkeit und der unermesslichen Erwartungen, wir sind... wir beide, Manius, sind doch... eigentlich... schon längst passé..... Und wir sollten..."
Meine Lippen legten sich auf seinen Hals, auf die herrliche, zarte, verlockende Stelle ein wenig über dem Schlüsselbein. Ich küsste ihn, heiß und konfus, und flüsterte:
"...wir sollten es uns eingestehen. Und... endlich voneinander lassen.... also, wirklich diesmal...."
Sollten wir. Sollten wir echt. Dringend. -
Derangiert verfolgte Gracchus das Schriftstück mit seinem Blicke, öffnete noch erstaunter den Mund, um die Frage zu stellen, woher Serapio wusste, dass diese Zeilen die seinen waren, als jener bereits eine Erklärung folgen ließ.
Du weißt genau ..., dass ich DIR nicht widerstehen kann!
Es hätte nicht der inhibierenden Geste bedurft, um den Flavier zum Schweigen zu bringen, denn Faustus' Worte ließen sprachlos ihn zurück, schlugen in seine Welt ein wie ein Stern, welcher vom Himmel hinab fiel. Heiß. Und Kalt. Schwarz. Und Weiß. Laut. Und Leise. Hell. Und Dunkel. Mit leicht geöffnetem Mund suchte er noch die Bedeutung dieser Worte zu erfassen, als bereits Serapio um seinen Hals lag. Um seinen Hals lag. Sein Leib ganz nah. Nah. Seine Worte ein Hauch an seinem Ohr. So nah. Seine Lippen auf seiner Haut. Berückend. Überwältigend. Ein Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, in welchem alle Sehnsucht, alle Hoffnungslosigkeit und alles Verzehren der letzten Jahre lag, welches im gleichen Atemzuge aus ihm entwich in welchem seine Hände ihren Weg um Serapios Hüfte fanden, nicht die Erinnerung dieses Körpers mussten suchen, der ihm so präsent war wie die Realität nur konnte sein. Unbotmäßig gegen jede Vernunft folgten seine Lippen dem Drang die Berührung zu erwidern, die Küsse zu erwidern. Alle Anstrengung, dies zu beenden - nichtig. Aller Vorsatz dem zu entsagen - nichtig. Alle Idee, eine Frau zu lieben - nichtig. Nichtig im Bruchteil eines Herzschlages, zerschlagen, zersprengt, zerstört durch einen einzigen Kuss. Einen atemberaubenden, atemraubenden Kuss.
"Ich habe versucht ... es zu beenden ..."
, flüsterte Gracchus atemlos zwischen einem Kuss und dem nächsten.
"Zwecklos ... als wollte ich ... der Sonne ver..bieten, aufzugehen ... "
, verlor er sich in Faustus.
"Ich kann nicht ... von dir lassen ... nicht aufhören ... dich zu lieben ..."
Drängend schob Gracchus den Saum Faustus' Tunika empor, um sich seinen Weg zu bahnen, drängte den Körper des Geliebten zurück bis zu dem massiven, hölzernen Schreibtisch.
Ich bin vergeben, und ich will glücklich sein, ... , und ich will ihm treu sein, ... er ist mir sehr wichtig...
, gemahnte ihn sein Gewissen an Serapios Worte, und doch gab es kein Halten mehr, insbesondere nicht durch Worte. Diese Liebe war keine Idee, sie war das Ideal, dieser Mensch, dieser Leib, dieser Geist, diese Seele war, wonach Gracchus sich verzehrte, wieder und wieder, unablässig, machtlos gegen sich selbst, gegen jeden Verstand, respektive mit vollstem Einverständnis seines Verstandes..
Alles kann immer sofort und von jetzt auf gleich zu ende sein
, - alles allfällig, doch diese Liebe nicht.~ ~ ~
Eine Unendlichkeit und einen Augenblick nachdem die Welt in Euphorie und Ekstase sich hatte verloren, ließ Gracchus schwer atmend sich auf die Kante des Tisches fallen. Sein Mundwinkel war ein wenig empor gehoben und ein verklärtes Leuchten lag in seinem Blicke, mit welchem er Serapio bedachte. Alle Entscheidungen seines Lebens waren stets geleitet von einem Zögern, jeder Wille geführt von Zaudern, doch in diesem Augenblicke lag kein Funke von Unentschlossenheit mehr in seinen Worten.
"Ich bedaure diese Konstellation, Faustus, doch ich werde niemals aufhören, dich zu lieben. Und wenn es eine Schwä'he ist, oder eine Krankheit oder sogar der Wahnsinn - es ist nichts als die Wahrheit, welche ich geschworen habe, dir niemals wieder vorzuenthalten. Du kannst nicht den Menschen, welcher die Schönheit des wahren Seienden hat er..blickt zurück in die Höhle fesseln und ihm Schatten an der Wand als Realität offerieren."
Er fasste Serapio bei den Schultern, sein Blick eindringlich.
"Du bist das Korrelat meiner Seele, und nie wieder werde ich so lange ak..zeptieren, dass du mir entrissen bist! Dieser Brief ist die Wahrheit, viel zu lange schon, und wenn es nur eine Wahl gibt zwischen der Heimli'hkeit und dem Ideal, zwischen meiner Pflicht für Rom und ... dir, zwischen ... meiner Familie ... und dir ... dann ..."
Zögern. Zaudern. Allfällig nur eine rhetorische Pause, um die Tragweite dieser Worte sich selbst bewusst zu machen. Ein letzter Augenblick, um sich für das Leben zu entscheiden, welches niemals sein eigenes war, und doch immer das seine.
"Dann möchte ich dich wählen, Faustus."
Alles konnte immer sofort und von jetzt auf gleich zu ende sein, und er hatte schon viel zu viel Zeit mit Serapio verloren. -
Dagegen war ich machtlos.
"Manius, was... -
"... wir sollten besser nicht... -"
"Mhmmm.... aber.... -"
"Lass... nein... ja.... komm... hier?... ja..... -"
"...so... gut... -"
"...Oh Manius!"
"......"
Dagegen war ich machtlos. Ich war sein. Und als ich mich endlich von diesem Tisch aufrappelte – von seinem höchst seriösen Schreibtisch, in seinem geheiligten Officium, in dem er mich früher nicht mal hatte küssen wollen, und auf dem die Wogen unserer Leidenschaft nun ein herrliches Chaos hinterlassen hatten – da war ich auf eine ganz irrsinnige Weise glücklich, so leicht und frei war ich wie ein Tänzer auf dem Seil ganz ungeheuer oben, und leise lachend zog ich meine Tunika zurecht, schlang die Arme um ihn. Die Reue konnte später kommen, würde später mit aller Macht zuschlagen. Jetzt aber ließ ich mich durchglühen von dem Strahlen unserer Seligkeit.
"Ich liebe dich auch, Manius. Immer!"
Draussen rauschte der Regen. die Schönheit des wahren Seienden erblickt Wie er doch immer die wunderbarsten Worte fand. Ich wollte nicht reden. Nur meine Augen schließen, meinen Kopf an seine Schulter legen, und so verharren. Für immer. Oder zumindest solange wie möglich. Solange eben bis es auffällig würde, dass mein Besuch sich so lange hinzog und ich würde nach hause gehen müssen...Auf Manius Erklärung war ich nicht gefasst. Ich war auf überhaupt nichts gefasst gewesen, von dem was geschehen war, seitdem ich das Siegel seines Briefes gebrochen hatte.
Das Korrelat seiner Seele... Mich wählen...?"
Mir wurde schwindlig, mein Atem stockte. Unzählige Male hatte ich mir dies hier gewünscht, es mir vorgestellt, sehnsuchtsvoll vor dem inneren Auge ablaufen lassen... und dann brach der Krieg mit all seiner Verheerung herein und es war aus mit uns gewesen, und Borkan war es, der meine Gebeine aufgesammelt und erneut mit Fleisch umkleidet und mir neuen Atem eingehaucht hatte, und nun stand ich hier, überwältigt, und mit einem mal lag die alte Sehnsucht zum greifen nah vor mir... und ich bekam eine Scheiß-Angst.
Bedenke gut, was du dir wünschst, es könnte wahr werden. Alles um uns herum rückte weit, weit fort, die Wände des Hauses öffneten sich, bogen sich beiseite, und Manius und ich standen allein zu zweit in einer schwarzen Unendlichkeit. Ferne Sterne taumelten vorüber. Ein kalter Schauer lief über mich, ich trat ganz dicht an ihn heran und suchte seinen Halt, barg mein Gesicht an seinem Hals, in seiner Nähe, seiner Wärme, dem geliebten Geruch seiner Haut.
"Es geht nicht" flüsterte ich bang, "Ich wage es nicht. Ja, ich habe es dir zum Vorwurf gemacht, die Heimlichkeit, aber im Grunde... bin ich derjenige, der es nicht wagt. Ich habe Angst. Sie würden sich wie Hyänen auf uns stürzen. Sie alle. Niemanden zerfleischen sie lieber, als die, zu denen sie einmal aufgesehen haben. Ich weiß was es heißt geächtet zu sein. Damals dachte ich zuerst auch es würde mir nichts ausmachen. Ich hatte ja meine Ehre mir bewahrt, und ich dachte das wäre genug, und wir, wenn wir das wirklich tun würden, wir hätten unsere Liebe die uns umgiebt - aber dann, Stück für Stück, schabt es einem doch den stolzen Harnisch weg, wenn alle sich abwenden, immer wieder, und wenn die, die du für Freunde hieltest, dich fallen lassen, und dann schabt es dir Stück für Stück die Haut immer dünner, und irgendwann stehst du bloß und wund, wenn die Gespräche verstummen sobald du hinzutrittst und hinter deinem Rücken gehässig wieder aufflammen, wenn die Familie schwer an der Last trägt einen wie dich... solche wie uns... in ihrer Mitte zu haben. -
Die Worte hetzten furchtsam und leise aus meinem Mund. Ich bewegte mich nicht. Mein Kopf lag an seiner Schulter. Es war unausweichlich dass wir auseinander gehen mussten, aber jetzt, jetzt in diesem Augenblick war er mir so nahe, konnte ich ihn spüren.
"Die Familie." flüsterte ich stockend, "Wir haben beide Menschen, die sich auf uns verlassen, deren Wohlergehen von uns abhängt, und du bist Senator, hochangesehen, bald Konsul, es ist deine Berufung... Und ich, ich fasse gerade wieder Fuß in der Garde, endlich wieder, und ich will und werde sie zu ihrem alten Glanz zurückführen. Und... heiraten werde ich, und... Ich bin mit Borkan zusammen. Ich kann ihn nicht fallen lassen. Ich will ihn nicht im Stich lassen. Ihn so verraten. Ich kann doch nicht einfach, ich meine, wir können doch nicht einfach alles, ALLES hinter uns lassen und...... Ich meine, was sollen wir denn tun – durchbrennen?!" -
Der Augenblick war perfekt, Faustus ganz nah und Gracchus endlich bereit, den entscheidenden Schritt zu wagen - und um so derangierender, um so dräuender war die Spur der Beunruhigung, der Anflug von Furcht beinahe, welcher in Serapios Stimme lag. Die Ächtung, die Familie, all dies mochte Gracchus in diesem so perfekten Augenblicke nicht hören, dass er sich geradewegs auf jene wahnwitzige Idee stürzte, welche Serapio selbst unterbreitete, dass in ihm das Feuer erglomm, welches das Durchbrennen entfachte.
"Warum nicht? Warum nicht, Faustus? Wir könnten der Welt schli'htweg entschwinden, dem Leben entfliehen, das uns fesselt, und ein neues beginnen. Der Oceanos, Faustus, der [/i]Oceanos[/i] kann uns der Existenz entreißen!"
fabulierte er begeistert von dieser Idee, Serapio haltend als würden sie bereits gemeinsam auf seinen Worten reisen und er verhindern müssen, dass Faustus ihm entglitt.
"Meine Base segelte einst gen Aegyptus hinfort, doch sie gelangte niemals dort an, noch kehrte sie zurück. Ich ließ ihr na'hforschen, dem gesamten Schiff - doch der Oceanos hatte es verschlungen, ohne jede Spur zu hinterlassen. Und dies geschieht doch immer wieder, ganze Schiffe, aber auch einzelne Personen, welche den Launen des Neptunus anheimfallen. Wir be..steigen ein Schiff, jeder ein anderes, bestechen den Kapitän und retirieren in einem Sturme, verlassen das Schiff klandestin im nächsten Hafen. Rom wird uns allfällig betrauern, unsere Familien uns ver..missen - doch alsbald wird man uns schlichtweg vergessen, denn letztlich ist dies nur der Lauf des Lebens. Wir aber, Faustus, wir aber können neu beginnen, in einer der südlichen Provinzen allfällig oder im Osten, ganz gleich solange wir nur beieinander sind!"
Selbstredend hatte Gracchus keinerlei Vorstellung davon, was es bedeutete für sein eigenes Leben Sorge zu tragen, gar für ein Einkommen oder auch nur ein Dach über dem Kopf und ausreichend Nahrung. Doch mit Serapio an seiner Seite konnte das Leben nurmehr ein Leichtes sein, konnte nur alles sich so fügen, wie es sein musste. Ein Haus am Meer - für jeden einfachen Bürger würde dies Traumgespinst eher einem Palaste gleichen -, ein lichter Wald darumherum zur Jagd, übervolle Obstbäume und duftende Blumenwiesen, ein pittoresker Bach, welcher in einen Fischteich mündete, auf dessen silbrigem Wasser die Sonne sich spiegelte, umrandet von vollkommenen Skulpturen und Statuen aus weißem Marmor, blühenden Sträuchern und grazilen Rosen, welche zum Lustwandeln verleiteten, ein luftiges Peristyl in welchem zu jeder Stunde des Tages philosophische Weisheiten erörtert wurden, ein Atrium, in welchem Faune und Oneiroi für alle Annehmlichkeiten sorgten ...
. . .
Gracchus blickte blinzelnd zurück in die Realität. Es waren die Faune und Oneiroi, welche seine Illusion zerplatzen ließen wie der Dorn einer Rose eine schillernde Seifenblase.
"Allfällig ... hast du recht"
, gestand er leise, eine tiefe, unendlich tiefe Traurigkeit die Couleur seiner Stimme durchziehend, und mit seinen Schultern sanken auch seine Hände herab, gaben Serapio frei, zurück in die Tristesse der Realität, zurück in die Verfügungsgewalt von Familie, Staat und Pflicht, zurück in die Arme Borkans.
"Doch … nun … falls du es doch irgend..wann einmal möchtest wagen … ich … ich werde auf dich warten ... und ich könnte zweifelsohne auch ohne Faune und Oneiroi leben."
Er realisierte nicht, dass dies für Faustus keinen Sinn würde ergeben können, doch da Gracchus im Angesicht Serapios Bedenken nicht noch einmal diesem würde versichern können, dass nichts ihn davon würde abhalten, alles hinter sich zu lassen, dass gleichwohl er diese Liebe nicht würde beenden können, war dies alles, was blieb. -
"...das ist... Wahnsinn..." flüsterte ich, umfangen von seinen Armen wie von seinen Worten, zage widerstrebend gegen seinen gleissenden Wahnwitz - unseren Tod zu inszenieren, alle im Stich zu lassen, unser Lebenswerk achtlos zu zerschlagen, die ganze Welt zu täuschen, um unserer Liebe willen, alles andere zu verschmähen, zu vergessen, hinter uns zu lassen, nur noch um unserer beider selbst willen zu sein!! Berauschend in seiner furiosen Unbedingtheit, und furchteinflößend in seiner Raserei hallte der Lockruf in mir wieder.
"Das kann ich nicht, stotterte ich verstört, "wir können doch nicht einfach... alle anlügen und unsere Familien in Trauer stürzen, und..." Ich sah das Bild meines Vater vor mir, wie er mich adoptiert hatte, damals, und wie er zu mir in den Tempel gekommen war um mich zurückzuholen, und wie er mir vor kurzem dann gesagt hatte, dass er mich als seinen Nachfolger, als zukünftiges Oberhaupt der Familie, ansah. Er glaubte an mich und verließ sich auf mich. Ich konnte, ich durfte mich nicht einfach so davonstehlen! Der Okeanos!! Manius machte mir Angst. Dieser Sog der da von ihm ausging, machte mir Angst, die Macht die er noch immer über mich hatte. Manius konnte ruchlos sein, ohne Skrupel, er hatte immerhin einen Kaiser auf dem Gewissen! Nur ein paar Zeilen hatte er schreiben müssen, damit ich wieder zu ihm kam, doch wieder angelaufen kam, trotz allem, und mich ihm wie ein liebeskranker Tölpel an den Hals warf und mich ihm hingab... Voll Unglauben betrachtete ich seinen Schreibtisch."Überhaupt, wovon sollen wir denn leben..." Kleinmütig tönten meine Bedenken, die aus einer so ganz anderen Späre entsprangen, als Manius hohe und überlebensgroße Pläne. Hätte er mir dies vor zehn Jahren angetragen! Ich hätte bestimmt alles hingeworfen um mich von ihm mitreissen, von ihm entführen zu lassen, leicht wie der Wind in seiner Sonnenbarke umherzuschweifen... Aber wie ich da jetzt so stand, spürte ich eine große, müde, zynische Schwere in meinen Knochen. Und ich sah uns schon, gestrandet in irgendeiner staubigen südlichen Stadt, in bescheidensten Verhältnissen lebend, ohne Sklavenschaft, ohne Streitwagen, ich hätte vielleicht irgend eine Arbeit bei der städtischen Miliz, und er vielleicht als provinzieller Priester oder gar Bibliothekar... nein, eigentlich konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass Manius irgendeiner so profanen Arbeit nachgehen würde... und ich sah uns schon, wie wir uns am Alltag aufreiben würden, und am Ende gar über banale Dinge zanken, und... Nein, nein. In solche Niederungen durfte unsere Liebe, unsere unsterbliche Leidenschaft niemals geraten.
Unsere Liebe war wie der himmelhohe, schroffe Olymp. Eisbedeckt und atemberaubend, unendlich hoch über der Welt. Schwindelerregend schön. Und völlig untauglich, um sich dort oben ein Haus zu bauen und da gemeinsam sein Leben zu verbringen.Er hatte mich losgelassen. Falls. Irgendwann einmal. Warten.Ich schluckte schwer und nickte hastig, die bitterste Traurigkeit würgte meine Kehle, und sein Gesicht begann vor mir zu verschwimmen. Ich verstand nicht recht was er mit Faunen und Oneiroi meinte – seine Gespielen wahrscheinlich, die sublimen Bettgenossen auf die er um meinetwillen verzichten würde – aber dann war da nur noch die erdrückende Last von ihm Abschied nehmen zu müssen.
"...Leb wohl..."
Nur einmal noch. Nur einmal noch legte ich meine Arme um ihn, eine Hand auf seinem Hintern und die andere drängend in seinem Nacken, und fand seine Lippen, verschmolz in hitziger Verzweiflung die meinen mit ihnen, spielte gierig das Spiel der Zungen mit ihm, fand kein Ende, küsste ihn wieder, ein allerletztes Mal, und dann eben noch ein allerallerletztes Mal, grub sehnsüchtig zart begehrend meine Zähne in seine Unterlippe.
Manius.Wie ich aus der Villa herauskam, daran erinnere mich mich gar nicht mehr, nur dass ich dann irgendwann die Straße den Quirinal herunter ging, durch den Regen, der mir kühl auf die heiße Stirn trommelte, und neben mir die Schritte meines Wächters. Nimmermehr echote jeder Schritt wie der Abschluss einer vergangenen Strophe. Aus. Vorbei. Nie wieder.
Faustus,
In deinen Küssen will ich ertrinken,
dem Schiffbrüchigen gleich im Meer,
will nie mehr daraus emportauchen,
Nimmermehr.In deiner Berührung will ich versinken,
dies ist noch mein einzig Begehr,
will nie wieder von dir lassen,
Nimmermehr.Deinen Leib will ich kosten und schmecken,
den Früchten gleich, die ich verzehr',
will nie mehr darben und hungern,
Nimmermehr.Mit deiner Seele will ich verschmelzen,
die des Heroens gleich rein ist und hehr,
will nie mehr nur ein Teil sein,
Nimmermehr.Mit deinem Selbst will ich vereint sein,
danach sehnt es mich so sehr,
will nie wieder ohne dich sein,
Nimmermehr.Leer war ich, und stumpf innerlich, wie eine ausgebrannte Feuerschale. Unter meiner Paenula hatte ich, in den Händen fest umklammert, wieder den Brief. Den Brief, der mich hergeführt hatte, den Brief, der diesen Abend der Wirklichkeit entrückt hatte. In die ich nun wieder zurückging. Unweigerlich. Fort von Manius. Immer weiter. Mit jedem Schritt.
Nimmermehr.
Aus.
Vorbei. -
Leb wohl, hallten Faustus‘ Worte noch lange nach in den Hallen Gracchus‘ Gedankengebäudes, als würde ein Flüstern sich an den kristallinen Strahlen der Sonne brechen und sie gleichsam in Schwingung versetzen, als würde ein sterbendes Echo zwischen den schroffen, taubenetzten Steilhängen einer Schlucht für immer gefangen, als wäre der Klang einst eingefroren in Eis, welches nun mit berstendem Krachen am Boden zerschlug und einen Nachruf auf die Vergangenheit frei gab.
Leb wohl, hallten Faustus‘ Küsse nach auf seiner Haut, auf seinen Lippen, in jeder Faser seines Seins, als würde ein blitzumwölktes Donnern seinen Leib durchtosen und mit seinen eisigen Winden ihn seiner Struktur berauben, als würde das gleißende Glühen lodernder Flammenkerne von Innen nach Außen einem Tonkruge gleich ihn zersprengen, als würde das Abbild der hehren Idee der Liebe in einem Spiegel zerbrechen in tausende Splitter aus Tautropfen, welche die Idee selbst in ihrem reißenden Flusse mit sich hinfortrissen hinab in ein devastiertes Land, aus welchem es keine Wiederkehr gab.
Leb wohl.
Irgendwann war Faustus fort, fort aus der Villa Flavia, fort aus Gracchus‘ Leben mit einer endgültigen Ernsthaftigkeit, welche kaum Zweifel noch zuließ, welche jede Zuversicht verlachte - und mit Serapio war weitaus mehr noch gegangen als nur ein Mensch. Sukzessive sackte Gracchus in sich zusammen, sank an der Kante des Schreibtisches hernieder und suchte vergeblich festzuhalten, was ihm entglitt. Der erste bewusste Herzschlag in der Zeit des Wartens begann, ein zweiter folgte und war bereits unerträglich, ein dritter zerschlug unerbittlich jede Hoffnung, ein vierter schuf die Unendlichkeit der Leere. Noch wenige Stunden zuvor hatte er sich zufrieden gewähnt mit seiner ausstehenden Verlobung mit Aurelia Prisca, hatte geglaubt nur hart genug an sich arbeiten zu müssen, um ihr darbieten zu können, was ihr zustand, doch letztendlich war er wie so oft schon nur seiner eigenen Lüge verfallen. Denn die Wahrheit war, dass es niemanden gab, den er je derart würde lieben wie Serapio, und die Wahrheit war, dass Serapio und er niemals sich derart würden lieben können wie es der Wahrheit entsprach.
“Lebe wohl, ... carbunculus meus ... “
, flüsterte Gracchus irgendwann als die Nacht längst hereingebrochen war, sein Leib bereits schmerzte von der ungewohnten Haltung am Boden - allfällig auch von der seelischen Qual, welche einem Wurme aus tausenden Messerklingen gleich durch seinen Körper kroch. Leer fühlte er sich, ausgelaugt, zerschlissen und entbehrlich, und da das Warten im Leben ihm viel zu lange, viel zu qualvoll erschien, so sann er nach über das Warten im Tode - denn hieß es nicht, dass im Reich der Toten die Zeit ohne Bedeutung war? Serapios Familie mochte sich auf ihn verlassen, doch Gracchus‘ Familie würde zweifelsohne ebenso gut ohne ihn auskommen, vom Staate ganz zu schweigen. Als er sich mühsam emporstemmte - als laste das Gewicht einer ganzen Welt auf seinen Schultern - und den Raum verließ - leer und freudlos -, war es ihm als hätte nicht nur Faustus Abschied von ihm genommen - endgültig und unwiederbringlich -, sondern gleichsam er selbst.~~~ finis ~~~
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