[Hortus Amafidii] Eine Einführung in die Lehre des Epikur

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Der Meister fixierte jeden der sich vorstellenden Gäste kurz, als wolle er sich Namen und Gesicht gut einprägen - natürlich auch von dem hinzugekommenen Senator, der nicht als solcher zu erkennen war (vor allem nicht für einen Epikureer, der sich ja naturgemäß eher periphär mit Politik befasste). Stattdessen bemerkte er auf die Erwartung des Tribuns:
    "Eine gute Frage, zu der wir kommen werden!"
    Er nickte und sog umständlich Luft ein.
    "Aber wir müssen vom Grundlegenden zum Besonderen kommen. Beginnen wir also mit der Frage: Wer ist dieser Epikur, auf den unser Kreis und so viele Schulen in der gesamten Welt sich berufen?
    Epikur wurde am 20. Gamelion - also nach unserem Kalender im Ianuarius - im dritten Jahr der 108. Olympiade, also 412 Jahre nach der Gründung Roms, geboren. Und zwar auf Samos als Sohn eines attischen Kolonisten und Bruder dreier Männer - Neokles, Chairedemos und Aristobulos. Früh widmete er sich der Philosophie, nicht erst in den Jahren seiner Ephebie, die er mit achtzehn Jahren als Bürger Athens in seiner Mutterstadt absolvierte. Vor allem studierte er Platon und Aristoteles, die großen Philosophen seiner Zeit.


    Hieraus entwickelte er seine eigene Philosophie, die er zu lehren begann: Zuerst in Mytilene auf Lesbos, später in Lampsakos in Mysien und schließlich in Athen, wo er jenes Haus mit Garten erwarb, das für seine Schule namensgebend sein sollte: Der Kepos des Epikur. Wie hier in Rom lehrte er dabei nicht nur mit Worten: Was er seinen Jüngern vorschrieb, das lebte er selbst, sodass er und sein Kreis zu einem Beispiel jener Lebensweise eines Weisen wurden, wie auch wir dies hier versuchen. Wie wir hier im Haus des Amafidius scharte auch er einen Schülerkreis um sich, mit dem gemeinsam er lebte und offen diskutierte - ohne Hierarchien und Denkverbote, sondern in Freiheit und Freundschaft. Dabei kann heute wie schon damals jeder teilhaben, der sich Epikurs Weg anschließen will, egal ob er Sklave oder Freier, Mann oder Frau, arm oder reich ist."
    Der Philosoph bedachte seinen Schülerkreis in der ersten Reihe mit einem Lächeln.
    "Mit ihnen und durch ständiges Philosophieren, Meditieren über die Zusammenhänge der Welt wurde er weiser und weiser und gelangte schließlich selbst zu jener Unerschütterlichkeit, die es ihm erlaubte, auch eine schwere Krankheit mit Leichtigkeit zu tragen, bis er ihr erlag und friedlich entschlief. Er hinterließ seinen Schülerkreis, dem er seinen ältesten Schüler, Hermachos, als Nachfolger vorsetzte. Hermachos folgte Polystratos, Polystratos folgte Dionysios von Laptrai, diesem Basileides von Tyrus, dann Apollodoros Kepotyrannos, Zenon von Sidon, schließlich Paidros und Patron und - mit einer gewissen Unterbrechungszeit von etwa einem Jahrhundert - eine direkte Linie bis in unsere Zeit."
    Er machte eine kleine Pause und sah dann herausfordernd in die Runde.
    "Gibt es etwas, das einer von euch ergänzen kann?"
    Sofort schnellte die Hand von Philodemos nach oben, doch Chairedemos winkte ab.
    "Fragen wir zuerst unsere Gäste: Was ist euch noch über das Leben dieses großen Philosophen bekannt, den zu studieren ihr hierher gekommen seid?"

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg "Offensichtlich nicht."
    bemerkte der Lehrer, als keiner der neuen Studenten sich äußerte. Dann machte er eine wegwerfende Handbewegung.
    "Aber ihr seid ja auch hier, um etwas über ihn zu lernen, nicht weil ihr bereits alles wisst. Und grundsätzlich genügt das, was ich euch berichtet habe, bereits recht gut als Einführung in sein Leben. Kommen wir also zu seiner Lehre, die ja ohnehin das Wissenswerteste an seiner Person ist:


    Unser Meister Epikur hinterließ uns eine überaus schlüssige Lehre, die er auch in zahlreichen Schriften entwickelte - ein Beispiel wäre etwa De re natura, die sich mit seiner Physik beschäftigt. Von besonderer Bedeutung sind allerdings seine vierzig Lehrsätze, die jeder Schüler seiner Lehre tief verinnerlichen sollte."
    Mit einem Lächeln blickte er auf seine innerste Runde seiner langjährigen Schüler.
    "Womöglich sollten wir gleich einmal erproben, ob meine engsten Freunde hier diese Empfehlung verinnerlicht haben. Also bitte: Zuerst das vierfache Heilmittel, Batis."
    Das Mädchen errötete ein wenig, begann dann aber in ihrer piepsigen Stimme loszulegen:
    "1. Ein glückliches und unvergängliches Wesen hat weder selbst Schwierigkeiten noch bereitet es einem anderen Schwierigkeiten. Daher hat es weder mit Zornesausbrüchen noch mit Zuneigung zu tun; denn alle Gefühle dieser Art sind Zeichen von Schwäche.
    2. Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was sich aufgelöst hat, empfindet nichts; was aber nichts empfindet, hat keine Bedeutung für uns.
    3. Die Größe der Lust hat ihre Grenze in der Beseitigung allen Schmerzenden. So lange aber Lust empfunden wird, gibt es dort, wo sie empfunden wird, nichts, was weh tut oder traurig macht oder beides zusammen.
    4. Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer; der Schmerz aber, der die Lust im Fleisch kaum übersteigt, dauert nicht viele Tage lang. Lange andauernde Krankheiten gewähren mehr Lust im Fleisch als Schmerz.*
    "

    Zufrieden nickte Chairedemos und bemerkte
    "Fahren wir gleich fort, los, los. Philodemos? Pythokles?"
    Tatsächlich begannen die Schüler reihum die Lehrsätze weiter aufzusagen.
    "5. Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne vernünftig, anständig und gerecht zu leben, und auch nicht vernünftig, anständig und gerecht, ohne lustvoll zu leben. Wem dies aber nicht möglich ist, der kann auch nicht lustvoll leben."
    "6. Damit man sicher sein konnte vor den Menschen, gab es das natürliche Gut der Herrschaft und des Königtums, mit dessen Hilfe man sich gegebenenfalls diese Sicherheit verschaffen konnte."
    "7. Berühmt und angesehen wollten manche Menschen werden, weil sie meinten, dass sie sich so die Sicherheit vor den Menschen verschaffen könnten. Wenn daher das Leben solcher Menschen sicher war, haben sie das natürliche Gut gewonnen. Wenn es aber nicht sicher war, besaßen sie nicht, wonach sie von Anfang an in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Natur strebten."
    "8. Keine Lust ist an sich ein Übel. Aber alles, was bestimmte Lustempfindungen hervorruft, führt zu Störungen, die die Lustempfindungen um ein Vielfaches übersteigen."
    "9. Wenn alle Lust in Hinsicht auf Umfang und Dauer zusammengefasst werden könnte und dies im ganzen Organismus oder wenigstens in den wichtigsten Teilen des menschlichen Körpers möglich wäre, dann unterschieden sich die Lustempfindungen niemals von einander."
    "10. Wenn das, was die Lustempfindungen der Unersättlichen hervorruft, die Ängste des Nachdenkens über die Himmelserscheinungen, den Tod und die Schmerzen auflöste und außerdem die Grenze der Begierden und der Schmerzen zeigte, dann hätten wir überhaupt keinen Anlass, sie zu tadeln, wenn sie von überall her von Lustempfindungen erfüllt wären und von nirgendwo her Schmerzhaftes oder Leidbringendes erführen, was ja das Übel ist."
    "11. Wenn uns nicht die Vermutungen über die Himmelserscheinungen und die angstvollen Gedanken über den Tod, als ob er uns irgendetwas anginge, ferner die mangelnde Kenntnis der Grenzen von Schmerzen und Begierden belastete, brauchten wir keine Naturphilosophie."
    "12. Es wäre nicht möglich, die Angst in Zusammenhang mit den wichtigsten Dingen aufzulösen, wenn man nicht begriffen hätte, was die Natur des Ganzen ist, sondern in Angst vor allem lebte, was die Mythen erzählen; daher wäre es nicht möglich, ohne Naturphilosophie ungetrübte Freude zu genießen.
    Und Es nützte nichts, die Sicherheit - oh, das ist schon der dreizehnte Lehrsatz, aber egal - [/I]unter den Menschen herzustellen, während man noch Angst empfände vor den Vorgängen am Himmel und unter der Erde und überhaupt im unbegrenzten Universum.[/I]"

    Der Lehrer und die anderen Schüler lachten leise über den Übermut des Rabirius. Dann aber fuhren sie der Reihe nach weiter fort:
    "14. Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad... auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten."
    "15. Der Reichtum unserer Natur ist begrenzt und leicht zu erwerben; aber der Reichtum an wertlosen Meinungen weitet sich aus ins Unendliche."
    "16. Nur in geringfügigen Angelegenheiten überfällt den Weisen ein Zufall; die wichtigsten und bedeutendsten Dinge hat die Vernunft geordnet, ordnet sie im Lauf des Lebens und wird sie ordnen."
    "17. Der Gerechte ist am wenigsten zu beunruhigen; der Ungerechte ist von größter Unruhe erfüllt."
    "18. Die Lust im Fleisch wird nicht mehr größer, wenn einmal der schmerzende Mangel beseitigt ist, sondern nur vielfältiger. Das Denken hat in Bezug auf die Lust seine Grenze erreicht, wenn man alles das genau klärt, was dem Denken die größten Ängste bereitete, und was verwandt damit ist."
    "19. Die unbegrenzte Zeit verschafft die gleiche Lust wie die begrenzte, wenn man die Grenzen der Lust mit der Vernunft abmisst."
    "20. Das Fleisch empfand die Grenzen der Lust als unbegrenzt; und nur die unbegrenzte Zeit konnte diese Lust erzeugen. Das Denken aber - nun, das Denken aber... - das den Einblick in das Ziel und die Grenze des Fleisches gewann"
    Batis errötete ein wenig, als sie einen Hänger hatte. Doch Chairedemos schien nicht beunruhigt, sondern ließ ihr einen Moment zum Nachdenken. Tatsächlich schien sie plötzlich eine Eingebung zu haben und fuhr mit leuchtenden Augen fort:
    "und die Ängste vor der Zukunft auflöste, begründete das vollkommene Leben, und wir brauchten die unbegrenzte Zeit nicht mehr; doch weder mied das Denken die Lust noch zog es sich zurück, sobald die Umstände den Abschied vom Leben erforderlich machten, als ob ihm etwas am besten Leben gefehlt hätte."
    "21. Wer die Grenzen des Lebens kennt, weiß, wie leicht das zu beschaffen ist, was den schmerzenden Mangel beseitigt und das ganze Leben vollkommen macht. Daher braucht er nichts von dem, was er nicht ohne Kampf bekommen kann."
    "22. Das tatsächlich existierende Ziel muss man ins Auge fassen und die ganze anschauliche Wirklichkeit, auf die wir unsere Meinungen beziehen; andernfalls wird alles voller Unsicherheit und Unruhe sein."
    "23. Wenn du gegen alle Wahrnehmungen kämpfst, wirst du keinen Maßstab haben, auf den du dich beziehen kannst, um jene Wahrnehmungen zu beurteilen, von denen du behauptest, dass sie falsch seien."
    "24. Wenn du irgendeine Wahrnehmung einfach verwirfst und nicht unterscheidest zwischen der Vermutung, die noch auf Bestätigung wartet, und dem, was bereits als Wahrnehmung und Empfindung und als ein umfassender, von einer Vorstellung geprägter Zugriff des Verstandes gegenwärtig ist, dann wirst du durch deine unbegründete Meinung auch die übrigen Wahrnehmungen durcheinander bringen und so jeden Beurteilungsmaßstab verlieren. Wenn du aber... aufgrund von Mutmaßungen sogar das, was noch auf Bestätigung wartet, und was nicht, insgesamt für gewiss erklärst, wirst du dich unweigerlich einer Täuschung aussetzen; denn du wirst jeden Zweifel bei jedem Urteil über richtig und nicht richtig zwangsläufig gelten lassen."
    "25. Wenn du nicht in jeder Situation all dein Handeln auf das Ziel beziehst, das dir die Natur vorgibt, sondern vorher abweichst, indem du Ablehnung und Zustimmung auf etwas anderes beziehst, werden bei dir die Taten nicht den Worten entsprechen."
    "26. Alle Begierden, die nicht zu einer Schmerzempfindung führen, wenn sie nicht befriedigt werden, sind nicht notwendig, sondern erzeugen ein Verlangen, das leicht zu vertreiben ist, wenn es sich erweist, dass sie auf schwer Beschaffbares oder gar Schädliches zielen."
    "27. Vor allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste."
    "28. Dieselbe Erkenntnis brachte uns die Gewissheit, dass nichts Furchtbares ewig oder lange Zeit dauert, und ließ uns erkennen, dass die Sicherheit gerade unter schwierigen Bedingungen vor allem durch Freundschaft gewährleistet ist."
    Es schien, als würde es ewig so weitergehen. Doch bisher hatten die Mitphilosophen offensichtlich kaum Mühen, die Worte des Epikur fehlerfrei vorzutragen:
    "29. Die Begierden sind teils natürlich und notwendig, teils natürlich und nicht notwendig, teils weder natürlich noch notwendig, sondern durch leere Meinung begründet."
    "30. Die natürlichen Begierden, die keine Schmerzen verursachen, wenn sie nicht befriedigt werden, obwohl das angespannte Bemühen um Befriedigung erhalten bleibt, entstehen aus einer leeren Meinung; und wenn sie nicht beseitigt werden können, dann liegt es nicht an ihrer eigenen Natur, sondern an der Neigung des Menschen zu leeren Meinungen."
    "31. Für alle Lebewesen, die nicht in der Lage waren, Verträge darüber abzuschließen, sich nicht gegenseitig zu schädigen oder schädigen zu lassen, gab es kein Recht und kein Unrecht. Das Gleiche gilt für die Völker, die nicht in der Lage waren oder nicht den Willen hatten, Verträge darüber abzuschließen, niemanden zu schädigen oder sich schädigen zu lassen."
    Plötzlich intervenierte der Praetonier und hob den Finger.
    "Na, das war doch der 32. Lehrsatz! Rabirius, den 31. bitte:"
    Brav begann der Eques herunterzuleiern:
    "31. Das der menschlichen Natur entsprechende Recht ist eine Vereinbarung über das Mittel, mit dem verhindert wird, dass sich Menschen gegenseitig schädigen oder schädigen lassen."
    Neratia nahm daraufhin sofort den Faden wieder auf:
    "33. Niemals gab es absolute Gerechtigkeit, sondern nur einen Vertrag, der jeweils im gegenseitigen Austausch an beliebigen Orten darüber abgeschlossen wurde, niemanden zu schädigen oder sich schädigen zu lassen."
    "34. Die Ungerechtigkeit ist kein Übel an sich, sondern nur aufgrund der misstrauischen Angst davor, dass sie von der Strafverfolgung nicht unentdeckt bleibt."
    "35. Es ist ausgeschlossen, dass derjenige, der heimlich gegen den Vertrag darüber, niemanden zu schädigen und sich nicht schädigen zu lassen, verstößt, darauf vertrauen kann, dass er immer unentdeckt bleiben wird, auch wenn er im Augenblick tausendmal unentdeckt bleibt. Denn bis zu seinem Tode ist es ungewiss, ob er auch unentdeckt bleiben wird."
    "36. Im Allgemeinen ist die Gerechtigkeit für alle dieselbe; denn sie ist ja etwas Nützliches im Umgang miteinander. Aber aus den Besonderheiten eines Landes und aus vielen anderen Gründen ergibt es sich, dass die Gerechtigkeit nicht für alle Menschen dieselbe ist."
    "37. Alles, was als gerecht gilt ... darf nur dann den Rang des Gerechten beanspruchen, wenn es nachweislich den Anforderungen des geregelten Umgangs miteinander entspricht, ob es nun für alle Menschen gleich oder nicht gleich ist. Wenn aber jemand ein Gesetz erlässt und es nicht der Regelung des Umgangs miteinander dienlich ist, dann hat es nicht mehr die natürliche Legitimation des Rechts. Und wenn sich der Nutzen, der vom Recht ausgeht, verändert, aber noch eine Zeit lang der ursprünglichen Vorstellung entspricht, dann war es nichtsdestoweniger zu jener Zeit gerecht für alle, die sich nicht durch leere Wort selbst verwirren, sondern einfach die Tatsachen im Auge behalten."
    "38. Wo das, was als gerecht galt, ohne Veränderung der äußeren Umstände in der Praxis offensichtlich nicht mehr zu der ursprünglichen Vorstellung passte... war es nicht wirklich gerecht. Wo aber nach Veränderung der äußeren Umstände dieselben rechtlichen Vereinbarungen nicht mehr nützlich waren, waren sie doch seinerzeit gerecht, als sie zur Regelung des Umgangs der Bürger miteinander nützlich waren. Später aber waren sie nicht mehr gerecht, als sie nicht mehr nützlich waren."
    "39. Wer seine Angelegenheiten am besten gegen die Bedrohungen von außen geordnet hat, machte sich mit allem, was er beeinflussen konnte, vertraut. Was er aber nicht beeinflussen konnte, blieb ihm wenigstens nicht fremd. Wo ihm aber auch dies unmöglich war, vermied er jeden Kontakt und bemühte sich darum, alles zu tun, was dazu nützlich war."
    Als letzter war schließlich Philodemos an der Reihe, der mit besonders getragener Stimme verkündete:
    "40. Diejenigen, die die Fähigkeit besaßen, vor allem gegenüber ihren Nachbarn Mut zu entwickeln, lebten auch auf diese Weise sehr angenehm miteinander, weil sie im Besitz des sichersten Pfandes waren, und nachdem sie ein Höchstmaß an Vertrautheit zueinander gewonnen hatten, klagten sie nicht, wenn jemand gestorben war, über seinen vorzeitigen Tod, als ob sie Mitleid erregen wollten."
    Der Praetonier klatschte zufrieden in die Hände.
    "Wie mir scheint, habt ihr doch einiges gelernt, meine Freunde. Nun liegt es nur noch daran, diese Sätze auswendig zu lernen und zu jeder Zeit zu beherzigen! Manche Bedeutung wird euch noch kryptisch erscheinen, aber ich bin sicher, dass wir diese Unklarheiten im Laufe unserer Reise durch die Philosophie des großen Epikur lichten werden.
    Ich erwarte euch und alle meine Schüler wieder morgen zur gleichen Zeit! Valete bene! Das heißt, sofern keine Fragen bestehen."

    Chairedemos machte keine Anstalten aufzustehen. Vielmehr begann er sofort ein Gespräch mit Rabirius - nicht ohne allerdings jederzeit bereit zu sein, auf Fragen seiner Schüler zu antworten.


    Sim-Off:

    Zitate der Lehrsätze sind entnommen: Epikur: Kyriai Doxai [Maßgebende Sätze] nach Diogenes Laertius 10, 139-154, zit. n. Epikur: Wege zum Glück. Griechisch-lateinisch-deutsch, hrsg. u. übers. v. Rainer Nickel, Düsseldorf/Zürich 2003, S. 238-253.

  • Oh je. Zuerst hatte ich es nicht gewagt, das Wort zu ergreifen, um etwas beizusteuern. (In Gegenwart von so rasend gebildeten Intellektuellen fühlte ich mich immer etwas unzulänglich.) Aber vielleicht war es auch besser so, dass ich nicht erwähnt hatte, dass ich ja gehört hatte, Epikur sei ein ausschweifender Lebemann gewesen, habe mit fünf Hetären zusammengelebt, sich zwei mal am Tag erbrochen um wieder neu schlemmen zu können, und er habe ein spannendes Tagebuch seiner unzähligen skandalösen erotischen Abenteuer geführt.
    Die Epikureer würden wahrscheinlich sagen, dass seien nur die Verleumdungen böser Zungen und eifernder Stoiker gewesen. ;)


    Und nun war ich völlig erschlagen von der Masse der Lehrsätze, mit denen die gut dressierten Schüler des Weisen uns überhäuft hatten. Und auswendig lernen sollten wir die alle?! Ich war es gewohnt, Autoritäten zackig Folge zu leisten, und stellte diese Herkulesaufgabe somit nicht in Frage, fragte mich nur bang: bis wann?! Und die anderen Gäste des Gartens sahen alle so gelassen aus, fand ich, als würden sie jeden Tag vierzig Lehrsätze noch vor dem Prandium sich reinziehen.
    Beklommen beugte ich mich zu Borkan und klagte mit gedämpfter Stimme.
    "Puh. Bis du da mitgekommen? Ich nicht. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll mit dem Fragen. Das nächste mal nehmen wir besser Orosius mit, der kann tironische Kurzschrift. Weißt du was ich glaube? Ich glaube der Meister ist einer von diesen Weisen, die einen zuerst abzuschrecken versuchen, damit nur die allereifrigsten und hartnäckigsten Schüler bleiben und erlesene Gefäße seiner Weisheit werden....."

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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Am folgenden Nachmittag war es wieder so weit: Wieder versammelten sich die Schüler um Praetonius Chairedemos, der es sich wie beim letzten Mal auf seinem Stein saß und jeden mit einem freundlichen Lächeln begrüßte.
    "Avete, meine lieben. Heute beginnen wir endlich mit der eigentliche Lehre des Epikur. Ihre Grundlage ist die Grundlage jeden philosophischen Systems: Wie kann ich die Wahrheit erkennen? Denn nichts geringeres sucht die Philosophie als die letztgültige Wahrheit, die über jeden Zweifel erhaben ist! Nicht umsonst spricht der Meister so abfällig über leere Meinungen, die unsere Welt überall bevölkern!


    Anders als andere Philosophen, die das reine Denken als Quelle der Welterkenntnis sehen oder die Erkenntnis ganz allgemein für unmöglich erachten, setzt Epikur bei der Wahrnehmung an. Aber wer sagt uns, dass das, was wir wahrnehmen, wahr ist?"
    Er lächelte wissend in die Runde.
    "Für die, die die Lehrsätze des Meisters fleißig studiert haben, ergibt sich hier natürlich ein signifikanter Vorteil!"
    Fragend sah er von einem Gesicht zum anderen.

  • Heute war ich besser vorbereitet. Ich war nämlich nicht gewillt mich abschrecken zu lassen! Unser Bibliothekar, der gute Orosius, hatte am Vortag noch alle vierzig Lehrsätze für mich aufgetrieben und herauskopiert und mit erläuternden Kommentaren versehen. Ausserdem war er heute mitgekommen, hockte nun hinter Borkan und mir, den Stylus gezückt, und notierte ungemein flink in kryptischer Kurzschrift alle Worte des weisen Praetonius.
    Wer sagt uns, dass das was wir wahrnehmen wahr ist? Mit solch einer Frage sich zu beschäftigen, da konnte ja nur ein Grieche drauf kommen...
    "Im... dreiundzwanzigsten und vierundzwanzigsten Satz..." begann ich, den Blick angestrengt auf mein Dossier geheftet, "unterscheidet Epikur zwischen Wahrnehmungen, die nur Vermutung sind, 'Vermutung, die noch auf Bestätigung wartet', und der Wahrnehmung, die, ähm, 'als ein umfassender, von einer Vorstellung geprägter Zugriff des Verstandes gegenwärtig ist'. Es gibt also... wenn ich das recht verstehe... zwei Kategorien von Wahrnehmungen: Zum einen die Eindrücke, die noch nicht vom Verstand überprüft und bestätigt wurden. Und zum anderen die vom Verstand bestätigten Wahrnehmungen, die Gewissheiten. Die dann auch den Bewertungsmaßstab bilden, um die neuen Eindrücke zu überprüfen und einzuordnen, und zu erkennen ob sie Täuschung oder Wahrheit sind. -
    Man könnte es vielleicht vergleichen mit dem Vorgehen bei einer Ermittlung... wenn man schon ein paar feste, ganz klar bestätigte Fakten hat, und neue Hinweise und Spuren dann auf ihre Plausibilität überprüft, indem man sich immer erst einmal die Frage stellt: 'in wie fern passt das zu dem was wir bereits über den Fall wissen?'."

    Fragend sah ich zu dem Philosophen auf, ob ich mich da im Dickicht der Lehrsätze nicht verirrt hatte.
    "Und er... rät sowohl davon ab, ausnahmslos alles Wahrgenommene in Frage zu stellen, weil man damit nämlich jeden Beurteilungsmaßstab verlieren würde... als auch leichtfertig alles Unbestätigte für Gewissheit zu halten, weil man dann eben automatisch sich täuschen ließe, und allen möglichen Humbug auch für wahr halten würde."

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg "Eine sehr gute Analogie!"
    lobte der Meister seinen gelehrigen Schüler, der dazu sogar seine Referenzen angegeben hatte - wie es ein guter Epikureer machte!
    "Epikur nennt die Gewissheiten prolepsis - Vorbegriffe. Auch sie entstehen aber, wie du schon sagtest, durch Sinneseindrücke, die aisthesis, die sich in der Erfahrung verfestigt. Beispiel für so eine prolepsis sind etwa Begriffe, beispielsweise Turm, Haus, Wand, Statue. Ebenso gehören aber auch abstrakte Begriffe, beispielsweise "Gerechtigkeit" dazu. Solche abstrakten Begriffe entstehen durch die aisthesis, die wir mit weiteren Sinneseindrücken kombinieren.
    Neben diesen zwei Kategorien der Erkenntnis gibt es aber noch eine dritte, die uns besonders bei der Beurteilung von Wahrnehmungen hilft, die Empfindungen - pathe. Denn jede aisthesis ruft in uns Lust oder Unlust hervor - die Wahrnehmung einer schönen Frau oder einer guten Rede mag uns Lust bereiten, der Schmerz einer Wunde dagegen Unlust.


    Basiert alles auf Wahrnehmungen, kann es natürlich auch zu Irrtümern kommen - etwa, wenn wir uns falsche Vorbegriffe bilden. Um diesen Irrtum zu belegen, kann aber nur wieder aus unseren Sinnen fließen. Was dagegen nicht mit den Sinnen oder mit zwingenden Schlüssen aus unseren Eindrücken - der antimartyresis - belegbar ist, kann nicht als wahr angenommen werden. Im Zweifelsfall müssen dann eben unterschiedliche Erklärungsansätze nebeneinander stehen bleiben, bis eine der Hypothesen durch neue Sinneseindrücke widerlegt werden kann.


    Weiß jemand, gegen welche Schule sich diese Vorstellung von Wahrheitserkenntnis vor allem richtet?"
    Er sah erwartungsvoll in die Runde.

  • Ich war sehr froh, mich in diesem erlauchten Kreis nicht in die Nesseln gesetzt zu haben, sah aus den Augenwinkeln kurz beifallheischend zu Borkan, verfolgte dann die weiteren Ausführungen. Mit redlichem Bemühen.
    Prolepsis - "Vorbegriffe", Gewissheiten, entstanden aus Sinneseindrücken, die sich in Erfahrung verfestigt haben. Prolepsis gab es konkrete und abstrakte.
    Aisthesis – Sinneseindrücke, rufen Lust oder Unlust hervor.
    Pathe – Empfindungen, die uns bei der Beurteilung von Wahrnehmungen helfen.
    Antimartyresis – zwingende Schlüsse aus unseren Eindrücken.
    Hm... Dieser gesamte Prozess der Erkenntnis, der da beschrieben war, erschien mir befremdlich individuell.


    "...Die platonische Ideenlehre? Da kommt der Wahrnehmung durch die Sinne nur eine untergeordnete Rolle zu. Denn die Erscheinungen in der Welt sind ja nur mangelhaftes Abbild des wahrhaft Seienden.... der nur dem Geist und der Seele zugänglichen ewigen Ideen. Aus der Wahrnehmung mangelhafter Schatten kann nur... vermeintliches Wissen entstehen, nur Meinungen." wagte ich mich wieder aus der Deckung. Ich mochte Platon, allein schon weil seine Figuren im 'Gastmahl' so poetisch die Liebe zwischen Männern rühmten.


    "Ich habe noch eine Frage zum eben gesagten. Es ist... so ich das recht verstanden habe, also nach der Lehre Epikurs an jedem Menschen, sich im Laufe seines Aufwachsens, seines Lebens, die Prolepsis von der Welt zu bilden. Jedes Individuum gelangt, durch Sinneseindrücke, Folgerungen aus den Sinneseindrücken, Erfahrung und Empfindung zu den Vorbegriffen, ja?
    Wo.... wo haben in dieser Lehre die Autoritäten ihren Platz? - Am Beispiel des Vorbegriffes von 'Gerechtigkeit'. Ich meine, in einer Familie, da ist es doch Aufgabe des Pater familias den Kindern zu sagen was gut und richtig ist. Und den anderen Schutzbefohlenen auch. Es kann doch nicht jeder einzelne Mensch, jeder für sich, darauf kommen was Gerechtigkeit ist."

    Oder? Gäbe das nicht Chaos? Besonders im größeren Maßstab eines Staates... Ich war verwirrt.

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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Chairedemos wartete eine ganze Weile auf eine Meldung - dann aber war es wieder der Tribun, der die Diskussion durch einen geistreichen Kommentar voranbrachte.
    "Nun, die Platoniker sind durchaus eine mögliche Stoßrichtung. Geradezu entgegengesetzt ist Epikurs Kanonik jedoch den Skeptikern, die der sinnlichen Wahrnehmung prinzipiell misstrauen."
    löste er dann auf, worauf er eigentlich hinausgewollt hatte.


    Um dies zu begründen, lieferte der Decimer aber direkt die Steilvorlage:
    "Tatsächlich streiten die Gelehrten darüber, woher genau die Prolepsis stammt. Manche - wer Ciceros De natura deorum gelesen hat und sich an Velleius erinnert, wird zu dem Schluss kommen, dass sie von den platonischen Ideen nicht so weit entfernt sind. Anders als diese späteren Jünger wollte Epikur die Prolepsis aber wohl eher in Analogie zur Sprache bilden: Die Bezeichnungen der Sprache liefern und Vorbegriffe, an denen wir unsere Wahrnehmungen messen. Insofern wir die Sprache von unseren Eltern erlernen, lehren sie uns also auch automatisch die Vorbegriffe. Aber es ist genauso möglich, aus einem Zusammenwirken von Pathe und Aisthesis eigene Begriffe zu bilden oder die Prolepsis zu modifizieren, wenn sie mit unserem Wahrnehmen und Fühlen übereinstimmen - so wie wir zu dem Schluss kommen können, dass das, was mein Vater unter Gerechtigkeit oder Tugend oder Schiff verstand, sich in meiner Erfahrung als falsch oder nutzlos erweist."
    Er dachte noch einmal kurz über den Einwand Serapios nach, der römischer wohl nicht sein konnte. Aber eben auch ein wenig philosophiefeindlich, denn wenn man einfach alles unbesehen übernahm, brauchte man ja keine Philosophie.
    "Insofern wird man ohne Reflexion vermutlich einfach das übernehmen, was man gelernt hat und nicht weiter darüber reflektieren. Jedoch besteht auch die Möglichkeit, selbst darauf zu kommen, wie du es nennst.


    Ich denke, das genügt als Einführung in die Kanonik Epikurs, denn wie schon gesagt, stellt sie nur eine Vorbedingung für die eigentliche Seelenarznei dar, der wir uns ja zuwenden wollen. Wer sich intensiver damit beschäftigen möchte, für den hat Epikur uns ein ganzes Buch mit dem Titel "Über die Maßstäbe" hinterlassen, das man in jeder guten philosophischen Bibliothek findet. Etwa in der Trajansbibliothek auf dem Forum Ulpium."
    Noch einmal sah der Praetonier in die Runde - gab es weitere Fragen?

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Als sie sich diesmal in der Domus Amalfidii versammelten, war der Verlauf anders als sonst. Die Schüler wurden nicht in den Garten geführt, sondern in ein Triclinium, das reich geschmückt war. In der Mitte des Raumes stand auf einem Sockel eine vergoldete und umkränzte Büste Epikurs, rundherum waren Klinen verteilt. Zwei Sklaven standen bereit und reichten jedem der Eintretenden einen Kranz, wie ihn auch die schon anwesenden Schüler trugen.
    "Einen schönen Geburtstag des Epikur wünsche ich dir!"
    begrüßte Philodemos den ersten Gast.


    Kurz darauf erschien auch Chairedemos, der heute einen weißen Himation trug.
    "Chairete, meine lieben Freunde!"
    grüßte auch er die Ankommenden.
    "Heute ist ein besonderer Tag - ein Festtag, den die Schüler des Epikur schon feiern, seit er selbst seine Schule begründete! Deshalb wollen wir heute seinen Rat befolgen und uns heute ganz unbefangen der leiblichen Lust zuwenden und das anstrengende Studieren ein wenig hinten anstellen. Unsere großherzigen Gönner haben auch in diesem Jahr ein wenig Geld gespendet, um uns bei Wein und Speisen eine bescheidene Freude zu gewähren.


    Freude bereitet es aber auch, unserem Lehrer und Meister zu danken, denn ohne ihn würden wir nicht wissen, was Glück und Weisheit bedeuten. Von Beginn an feierten die Schüler des Epikur diesen Freudentag deshalb mit einem Opfer für ihren Retter und Seelenarzt. Deshalb wollen auch wir den großen Epikur ehren und ihm ein bescheidenes Opfer darbringen, um unserem Dank Ausdruck zu verleihen."
    Scheinbar kannten die eingesessenen Schüler dieses Ritual bereits, denn sie holten sofort kleine Opfergaben hervor und begannen sich in einem Halbkreis um die Büste aufzustellen. Auch bei den beiden Sklaven des Hauses brach hektische Betriebsamkeit aus: Einer stellte einen transportablen, bereits entzündeten Klapp-Altar vor der Büste auf, der andere holte eine Doppelflöte.
    Der greise Praetonier positionierte sich direkt gegenüber seines Idols, drehte sich dann aber noch einmal zu den "neuen" Schülern um.
    "Auf, auf, gesellt euch zu uns! Auch ihr seid eingeladen, unseren Meister zu ehren und ihm, wenn ihr wollt, eine bescheidene Gabe darzubringen!"

    Sim-Off:

    Mit etwas Zeitverschiebung zu Alexandria, aber da der Gamelion ja dem Mondkalender folgt, müssen wir ja nicht so sklavisch am römischen Kalender kleben ;)

  • Ach so! Ich begann zu überlegen, ob dann wohl wir Römer - die wir unsere Vorbegriffe ausgehend von den Bezeichnungen unserer klaren, nüchternen Sprache gewannen – dann auch von Grund auf über klarere Wahrnehmung verfügten, als die anderen Völker. Während die Griechen eher dazu befähigt waren, die Poesie und die feinen Nuancen in der Welt wahrzunehmen, die Ägypter einen Hang zum Vagen und Mystischen hatten... und vielleicht spiegelte auch die rauhe Mundart der Germanen einfach die stumpfe Härte ihres primitiven Barbarenlebens dar, beziehungsweise die groben Wahrnehmungen, denen so ein Wilder stets ausgesetzt war.
    Bibliothekar Orosius nickte bedächtig, bei der Erwähnung der Natura Deorum. Ich erinnerte mich daran, wie unser Hauslehrer dazumal mich und meine Geschwister mit diesem Werk geplagt hatte, hatte wieder die gekerbte Schulbank unter den Händen, das Gefühl unruhig baumelnder Beine, den sehnsüchtigen Blick durch das Fenster nach draussen, wo das Meer blau war und der Ziegenwagen wartete. Das alles war mir ganz präzise eingeprägt, dafür hatte ich keine Ahnung mehr was in dem Buch stand...
    Orosius notierte weiter mit Feuereifer. Er schien hier in seinem Element, sah glücklicher aus als ich ihn je gesehen hatte. Die anderen Gäste hielten sich sehr zurück. Leider! Auch Borkan... Ich mußte mir eingestehen, dass es wohl doch keine so glorreiche Idee gewesen war, ihn hierher zu schleppen. Beim nächsten Anlauf gemeinsam etwas zu unternehmen, würde ich echt darauf bestehen, dass er entschied was denn.


    Beim nächsten Besuch im Hause der Epikureer war der Rahmen dann aber viel lockerer. Eine Geburtstagsfeier für den Weisen, da ließ ich mich natürlich nicht lange bitten. Sich "unbefangen der leiblichen Lust zuwenden" klang ganz vortrefflich. Vielleicht gab es ja auch bei diesen tugendhaften, sich so sehr mäßigenden Hedonisten, Ausnahmen, wo sie mal so richtig über die Stränge schlugen? (Es war ja auch durchaus der ein oder andere hübsche darunter.)
    "Oh, aber gern. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich ein richtiges Opfer mitgebracht."
    So nahm ich eben eine Handvoll Münzen, um sie dem Genius des großen Weisen als Opfer darzubringen.

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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Damit begann der eine Sklave, die Flöte anzustimmen, während sein Kollege kurz darauf mit einem Tablett erschien, auf der er ein Schälchen Weihrauch, eine Weinkanne und ein Tellerchen mit Opferkeksen balancierte.
    Mit ernster Miene griff Chairedemos nach einem Häufchen bunter Weihrauchkörner und legte sie in die Mitte des Altars. Süßlicher Duft verbreitete sich und Rauch stieg an die Decke des Speisezimmers, während der Lehrer die Hände zum Gebet hob:
    "Großer Epikur, unser Erlöser!
    Die lebendige Kraft deines Verstandes überwand die flammenden Festungen der Welt,
    ging weit über sie hinaus und durchquerte in Sinn und Geist das grenzenlose Ganze!
    Deine Klugheit überwand die Irrtümer der Schwätzer, Deine Studien machten Dich weise und ruhig!
    Weisheit strömte aus deinem Mund, Freundschaft umhegte Deinen Garten!
    Dort schufst Du Weise wie Dich, deren Namen noch heute unter Deinen Jüngern erklingen:
    Meoikeus, Hermarchos, Polystratos, Dionysios und Basileides und viele weitere,
    die Deine Offenbarung, dieses Heilmittel der Seele, auf uns brachten!


    Du öffnest uns auch heute die Augen und heilst unsere Blindheit,
    aufdass wir die Welt schauen, wie sie in Wahrheit besteht!
    Deine Therapie nimmt uns die Furcht vor dem Schicksal, den Göttern, ja selbst dem Tode
    und schenkt uns Seelenruhe und Frieden, was immer geschieht!
    Dafür ehren wir Dich heute, da sich der Tag jährt, da Du in diese Welt getreten bist!
    Gemäß Deinem Vermächtnis versammeln wir uns, um für unsere Rettung zu danken!


    In der Schau Deiner erhabenen Weisheit sehen wir, wie ein Mensch den unsterblichen Göttern gleich wurde.
    Wie sie erreichtest Du die Ataraxie, unbewegt von Aufwallungen des Gemüts, von Trauer oder Freude, von Schmerz oder Krankheit.
    Um dir gleichzukommen, ehren wir dein Andenken und bringen deiner Erhabenheit Opfer dar!"

    Nun nahm er die Kanne und goss Wein in einen reich verzierten Becher, den er schließlich auf den Boden vor dem Altar leerte.
    "Dich ehren wir mit diesem Wein, dem Zeichen der Freude und Lust! Lass uns trinken aus dem Becher der Erkenntnis!"
    Noch einmal goss er den Becher voll und stellte ihn wieder auf das Tablett. Dann nahm er einen tiefen Schluck und reichte ihn an seinen Nebenmann weiter. Auch die Schüler tranken nacheinander und gaben ihn schließlich auch an die neuen weiter, die ebenfalls trinken durften.

  • Verdammt! Natürliche hätte ich was besorgt, wenn ich gewusst hätte, das hier heute gefeiert wird. So konnte ich Serapio nur nickend beipflichten. „Ich wer konnte das ahnen.“ sagte ich.
    Sich unbefangen der leiblichen Lust zuwenden? Beinahe hätte ich laut losgelacht. Wenn Lucius Praetonius Chairedemos gewusst hätte, welche Gedanken mir … und scheinbar auch Serapio dabei gerade durch den Kopf gingen...
    Natürlich sah ich seine Blicke, die über die Anhängerschaft schweiften. Inzwischen hatte ich sogar meine Eifersucht im griff, daher konnte ich nicht an mich halten, beugte mich zu Serapio und war so nah, das er meinem Atem in seinem Nacken spüren konnte und flüsterte. „Na mit wem von denen würdest du dich gern der leiblichen Lust zuwenden?“

  • Chrysogona hörte zu. Sie stolperte schon über die ersten Leitsätze der epikuräischen Lehre und über die Aussage, dass lange Krankheit mehr Lust im Fleisch erzeuge als Schmerz. Auch bei den weiteren 36 Lehrsätzen schüttelte die Medica nicht selten innerlich den Kopf. Nach außen hin ließ sie sich nicht anmerken, dass sie die Lehren des Epikur für mehr als fragwürdig hielt. Epikurs Aussagen zu den Zusammenhängen von Lust und Schmerz konnte sie nicht oder nur bedingt zustimmen. Ihre Erkenntnisse aus dem Museion von Alexandia und dem Asklepieion von Kos hatten sie anderes gelehrt und es wurde mehr und mehr deutlich, dass sie im Garten des Amafidius fehl am Platze war. Die Höflichkeit gebot ihr, sich nicht näher darüber zu äußern.
    Was über die Wahrnehmung gesagt wurde fand zumindest größtenteils ihre Zustimmung. Begriffe wie Prolepsis, Aisthesis, Pathe und Antimartyresis hatte sie schon gehört und konnte sie nun im Kontext mit Epikurs Lehrsätzen besser einordnen. Chrysogona versuchte sich in den Vorlesungen ein Bild dieser Philosophie zu machen, hatte aber schnell realisiert, dass sie mit Sicherheit keine Epikuräerin werden würde.


    Dann folgte das Opferfest zu Ehren von Epikurs Geburtstag. Ein wenig skeptisch welcher Art die Feier wohl sein würde, hatte sich Chrysogona zu den anderen Studenten in den Hortus Amafidii begeben. Die Erinnerungen an die ausschweifenden Feierlichkeiten zu den Saturnalien noch im Hinterkopf fühlte die Medica sich unsicher.
    Die Begrüßungsworte und der Anfang des Gebets gefielen Chysogona jedoch sehr gut. Auch sie trank einen Schluck des Weines, der reihum gereicht wurde. Die Aussagen zur Freundschaft hatten sich ihr eingeprägt und so sah sie sich die Anwesenden der Reihe nach an, während sie tranken und rekapitulierte den 27. Lehrsatz: "Vor allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste."
    Ihr Blick blieb an Serapio und Borkan aber auch an dem jungen Helveiter hängen. Hatte sie in diesem Kreis Freunde gefunden?

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Zuletzt griff Chairedemos nach den Keksen und legte sie zu dem noch immer dampfenden Weihrauch.
    "Die Natur der Dinge bedarf der Speise, um den Schmerz fern zu halten und die Lust zu wahren. Wir ehren dich mit diesem Brot, das in seiner Einfachheit den Hunger stillt. Stille auch unseren Hunger nach Weisheit!"
    Diesmal wurde nichts weitergereicht. Stattdessen wartete der Philosoph eine Weile, bis die kleinen Kekse komplett schwarz waren und sich ein unangenehmer Geruch von Verbranntem unter den Weihrauchduft mischte. Dann drehte er sich nach rechts um und sah in die Augen seiner Jünger.
    "Als Zeichen der Hingabe an die Lehre unseres Meisters steht es nun jedem frei, eine kleine Opferspende vor ihn niederzulegen. Danach wollen wir unseren Hunger stillen - den nach Weisheit und den, der unsere Mägen knurren lässt!"
    Er lächelte kurz und machte dann Platz für seine Schüler.


    Rabirius war der erste, der vor die Büste trat und ein kleines, verschlossenes Säckchen an den Fuß des Sockels legte.
    "Ich war reich und glaubte, mir Sicherheit kaufen zu können. Du hast mich geheilt und mir die wahre Arznei gegen die Furcht geschenkt!"
    erklärte er und trat wieder auf seinen Platz zurück. Stattdessen kam Neratia in die Mitte, in den Händen eine Spindel, die sie auf den Altar legte. Die Wolle um das Holz begann recht schnell zu glühen und brannte schließlich, bis sie ihre Erklärung vollendet hatte:
    "Früher war ich gefangen im Schaffen des Alltags. Deine Weisheit hat mir gezeigt, hinter die Dinge zu blicken!"
    Nun war Batis an der Reihe, die wie immer etwas schüchtern wirkte, als sie vortrat und ein Spielzeugpferd auf den Altar legte.
    "Ich war ein Kind und hatte keine Ahnung von der Welt. Du hast mich zum verständigen Erwachsenen erzogen!"
    piepste sie und huschte wieder zurück an ihren Platz. Als nächstes war Pythokles an der Reihe, der etwas ratlos dreinblickte und einfach eine Münze zum Geldsack von Rabirius legte. Er schien auch keinen geistvollen Gedanken dazu zu haben, denn wortlos ging er beiseite, um Philodemos Platz zu machen. Der hob etwas in die Höhe, das aussah wie ein Haarbüschel. Als er ihn in die brennende Spindel rieseln ließ, verglühte er, bevor er die Flammen berührt hatte. Wer eine aufmerksame Nase hatte, würde erkennen, dass es tatsächlich verbranntes Haar war.
    "Früher glaubte ich, der Sinn meines Lebens wäre die kurze Lust bei einer Frau! Du hast mir gezeigt, was wahre Lust ist!"
    erklärte er geradezu stolz und warf einen unauffälligen, aber erwartungsvollen Blick auf Chairedemos, der ihn aber gar nicht wahrzunehmen schien. Dann war Raum für die neuen Schüler, eine kleine Gabe dazuzulegen - falls sie spontan etwas improvisieren konnten...

  • Zitat

    Original von Borkan
    ... beugte mich zu Serapio und war so nah, das er meinem Atem in seinem Nacken spüren konnte und flüsterte. „Na mit wem von denen würdest du dich gern der leiblichen Lust zuwenden?“


    Ein heißer Hauch in meinem Nacken ließ mir einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Ich grinste leise in mich hinein über Borkans verstohlenes Necken... wobei ich doch einen leidenschaftlichen Unterton von "Meins!" da herauszuhören meinte... und versicherte ihm mit treuherziger Miene, ihm ebenso heimlich zurückflüsternd: "Mit dir mein Schöner!"
    Dann rief ich mich aber wieder zur Vernunft, und hielt den Mund, denn nun begann das Flötenspiel und es wurde andächtig:

    Zitat

    Original von Lucius Praetonius Chairedemos
    "Großer Epikur, unser Erlöser!
    Die lebendige Kraft deines Verstandes überwand die flammenden Festungen der Welt..."


    Was für wunderbare poetische Bilder Meister Praetonius da in seiner Anrufung aufsteigen ließ. Ich lauschte, bewegt von der Metapher eines 'von Freundschaft umhegten Gartens'... und stutzte ein wenig bei seinen weiteren Worten: ein Mensch den unsterblichen Göttern gleich. Denn der weise Epikur war doch kein vergöttlichter Kaiser oder Heroe... Aber für seine Anhänger offenbar doch ein Unsterblicher.
    Jetzt erst wurde mir bewußt, wie tief ihre Ergebenheit wirklich war! Die Kraft ihrer philosophischen Überzeugung schien mir der religiösen Glaubensstärke im Mysterienkult des Serapis in Trans Tiberim um nichts nachzustehen. Doch ich konnte nicht umhin mich zu fragen: würde ich die vollkommene Ataraxie (gesetzt den Fall dass ich sie überhaupt erreichen könnte) überhaupt wollen? Frei von Furcht sein, keine Angst mehr zu haben vor dem Tod und vor dem Verlust geliebter Menschen, unabhängig von Ansehen, Ruhm, dem Urteil ander, und über jeden Schmerz erhaben zu sein.... das wäre natürlich ganz furios. Aber wenn 'das Gemüt nicht mehr in Freude aufwallte'? Wo blieb da die vielgepriesene Lust? Das klang für mich nun gar nicht so verlockend. Was war mit Rausch, Exzess, leidenschaftlichem Liebestaumel, warmer patriotischer Begeisterung, und dem Zauber des grenzenlosen Augenblickes... Konnte man auch "ein bisschen" Epikureer sein? Oder war es ein alles oder nichts?
    Der Becher der Erkenntnis kreiste. Ich fand das sehr aufmerksam, dass auch wir Gäste so im Ritus einbezogen wurden und nahm natürlich auch einen Schluck, bevor ich ihn weiterreichte.

    Zitat

    Original von Plinia Chrysogona
    ... Ihr Blick blieb an Serapio und Borkan aber auch an dem jungen Helveiter hängen. Hatte sie in diesem Kreis Freunde gefunden?


    Dabei fing ich einen sinnenden, fast fragenden Blick der Plinia Chrysogona auf, den ich freundlich erwiderte – wo ihre Gedanken wohl gerade weilten?
    Die Opfer der Jünger zeigten eindrücklich, wie sich ihr Leben unter dem Einfluß der Lehre des Weisen gewandelt hatte. Schlicht war diese Zeremonie, und anmutig gerade dewegen. Eine ruhige und glückliche Stimmung erfüllte den Raum, als hätte auch ihn ein Abglanz gelassener olympischer Freude erhellt... Und zugleich konnte man am Beispiel des hübschen Philodemos erkennen, dass (was geradezu beruhigend war) auch diese philosophische Gemeinschaft nicht ganz frei von menschlicher Eitelkeit war.


    So schön symbolisch wie die vorherigen Gaben war meine natürlich nicht, ich legte einfach eine großzügige Handvoll Denarii zu den anderen Münzen und sprach:
    "Deine Jünger haben uns, beseelt von deinen erhabenen Lehren, gastfreundlich in ihrem Garten willkommen geheißen um freigiebig ihre Weisheit mit uns zu teilen."
    Darauf trat ich zurück zu den anderen, gespannt darauf herauszufinden wie die Epikureer feierten...




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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Wer wollte, gab eine Opfergabe - aber nicht alle "Neu-Jünger" waren schon so weit, dem Weisen ihre Referenz zu erweisen. Zuletzt trat Chairedemos wieder selbst in die Mitte und setzte zum Sprechen an:
    "Du hast uns den Pfad zur Weisheit geebnet, eine Weisheit, der wir uns dank edler Spender täglich zuwenden dürfen.
    Ihnen verdanken wir diese Gelegenheit, dieses Haus und diesen Garten als Hort der Ruhe, in dem wir philosophieren, um letztlich dir nahe zu kommen. Steh uns bei und führe uns voran."

    Er drehte sich nach rechts - wie es römische Staatspriester taten - und ging dann mit langsamen Schritten zu den aufgestellten Klinen.


    "Der große Epikur lehrte uns, die Freuden des Lebens zu genießen: carpe diem - pflücke den Tag! Als Wechselläufe des Zufalls haben uns heute reiche Speisen beschert, die wir mit Lust genießen dürfen. Nehmt also Platz und erfreut euch an Essen und Trinken!"
    Er kletterte auf seine Kline und legte sich hin. Für alle anderen schien es keine feste Klinenordnung zu geben, sodass jeder sich dort niederlassen konnte, wo er wollte. Der Sklave mit dem Tablett verschwand und kam kurz darauf mit selbigem wieder - diesmal hatte er allerdings mehrere schlichte Becher darauf positioniert, die er den Gästen präsentierte.


    Auch der Praetonier nahm einen von ihnen und erhob ihn.
    "Wir trinken auf den großen Epikur, den die Wechselläufe des Zufalls uns vor vielen Jahren an genau diesem Tag uns bescherten. Wie er mögen wir uns an der Lust dieses Mahles erfreuen!"
    Er goss einen Schluck Wein auf den Boden, wie es traditionell als Trankopfer üblich war. Dann trank er selbst.
    "Der weise Epikur lehrt uns aber, dass der Bauch allein uns keine vollendete Lust bereiten kann. Deshalb ist es unsere gute Tradition, an diesem Tag auch zu philosophieren. Gibt es ein Thema, das dieser Runde besonders auf den Nägeln brennt?"
    Er sah in die Runde.
    "Nur keine Scheu, erinnert euch an meine Worte: Das Wort des neuesten Jüngers zählt hier ebensoviel wie das meinige!"
    Inzwischen waren die Sklaven wieder in der Küche verschwunden und trugen als Vorspeise ein Fischgericht mit Eiern auf - nicht so üppig, wie es in einem Senatorenhaushalt üblich war. Aber auch weit genug entfernt vom alltäglichen Essen der allermeisten Römer, um als luxuriös gelten zu können.

    Sim-Off:

    Entschuldigt meine Absenz. Ich werde jetzt ein bisschen zügiger fortfahren.

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Nach der Kanonik war an diesem Tag der nächste Teilbereich der epikureischen Philosophie an der Reihe. Chairedemos begrüßte an diesem Morgen wieder wie üblich jeden Jünger einzeln und setzte sich schließlich auf seinen Stein.
    "Unsere bisherigen Überlegungen sind gewissermaßen die Vorüberlegungen zu den eigentlichen Heilmitteln des Epikur. Nachdem wir also das Fundament gelegt haben, können wir jetzt die erste Säule aufrichten, um unsere Ängste zu besiegen: die Physik.
    Warum aber überwindet die Physik unsere Angst? Der weise Epikur gibt uns selbst die Antwort in seinem 12. Lehrsatz!"

    Wieder waren die Schüler gefragt - wer hatte seine Lehrsätze gut verinnerlicht?

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Nachdem von den neuen Schülern keiner es wagte, meldete sich nach einigem Schweigen schließlich Rabirius und spulte den Lehrsatz ein wenig gelangweilt ab:
    "Es wäre nicht möglich, die Angst in Zusammenhang mit den wichtigsten Dingen aufzulösen, wenn man nicht begriffen hätte, was die Natur des Ganzen ist, sondern in Angst vor allem lebte, was die Mythen erzählen; daher wäre es nicht möglich, ohne Naturphilosophie ungetrübte Freude zu genießen."
    Der Praetonier nickte stumm.
    "Freude ist es, zu der Epikur uns anleiten will. Wahre Freude aber nennen die Griechen eudaimonia, das echte Glück. Dieses besteht nach dem weisen Epikur in der Lust, die entsprechend das höchste Prinzip seiner Philosophie bildet und - im Umkehrschluss - in der Vermeidung von Schmerz, der Un-Lust.


    Dieser Begriff von Schmerz geht aber über den körperlichen Schmerz einer Wunde weit hinaus - er ist alles, was uns Un-Lust bereitet und da spielt die Angst eine zentrale Rolle. Sie muss also überwunden werden und dafür benötigen, wie Rabirius uns dankenswerterweise erklärt hat, die Physik."
    Er nickte, als wolle er die Bedeutung seiner Worte unterstreichen.
    "Die Physik des Epikur basiert weitgehend auf der eines anderen großen Philosophen - Demokrit. Weiß jemand etwas über dessen Vorstellung von der Welt?"

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg "Niemand?"
    Der Praetonier schüttelte etwas enttäuscht den Kopf. Demokrit war in seinen Augen doch keiner der unbedeutenden Philosophen und zumindest seinen Leitbegriff - die Atome - hatte er als bekannt erwartet. So musste er aber doch selbst die Frage beantworten:
    "Nun, Demokrit - diesen Namen solltet ihr euch merken!
    Seine Lehre beruht auf der simplen Einsicht, dass wir alle Dinge teilen können - theoretisch immer weiter und weiter, bis wir zu einem kleinsten Baustein gelangen, der nicht mehr teilbar ist - den Atomen. Der Begriff ist Griechisch und bedeutet genau das: unteilbar!


    Aus diesen unteilbaren Grundbausteinen ist also unsere Welt aufgebaut - egal ob sie ein Tisch, ein Stuhl, dieser Baum-"
    Er deutete auf das Gewächs hinter ihn, dann auf die Nase der Plinia.
    "- oder deine Nasenspitze oder dein ganzer Körper, jede Seele und jeder Geist.


    Schlichtweg alles besteht aus solchen Teilchen. Wollen wir aber von unteilbaren Teilchen ausgehen, dann besitzen diese gewisse Eigenschaften: Sie müssen unveränderlich sein und damit unveränderlich. Neben diesen Eigenschaften, die sich logisch aus ihrer Unteilbarkeit ergeben, können aber nicht alle Atome gleich sein - allein mit Materie, die wir sehen, ist ja so vielfältig, dass ihre Bestandteile nicht völlig gleich sein können.
    Deshalb weist Demokrit den einzelnen Atomen wesentliche und unwesentliche Eigenschaften zu: die symbebekóta und die symptomata."

    Wieder machte der Philosoph eine kleine Pause, um durchzuatmen und den Jüngern die Möglichkeit zu geben, das nicht ganz einfache Gehörte zu verarbeiten.
    "Die symbebekóta sind theoretisch empirisch messbare Eigenschaften, also Gestalt, Gewicht und Größe. Die symptomata sind überaus vielfältig und weniger leicht zu fassen - Armut oder Freiheit wären derartige Eigenschaften.
    Denken wir aber über solche Atome nach, muss sich die Frage ergeben, wie Bewegung möglich ist. Um diese Bewegung zu denken, braucht es aber Raum, der nicht von Atomen besetzt ist, denn ohne freien Raum keine Bewegung - wenn ihr euch in Sand vergraben lasst, werdet ihr diesen Schluss leicht nachvollziehen können.
    Atome und Raum sind dann aber alles, was existieren muss, um unsere Welt zu erklären. Und beides ohne Grenzen, denn was sollte sein außer leerem Raum und Atomen, die ihn füllen?

    Wieder schwieg Chairedemos für einen Moment und blickte inspiriert in die Ferne.
    "Die für uns sichtbare Materie muss dann aber aus diesen winzigen Teilen zusammengesetzt sein - begonnen beim winzigen Sandkorn bis hin zum mächtigen Berg. Von der unsichtbaren Seele bis zum brausenden Sturm.
    Um diese Verbindungen von Atomen erklären zu können, löst sich Epikur von Demokrits Lehre. Er geht von der wahrnehmbaren Realität aus - wir hatten in der Kanonik davon gehört - und schließt daraus auf den nicht wahrnehmbaren Mikrokosmos: Atome, so nimmt er an, fallen natürlicherweise alle mit gleicher Geschwindigkeit nach unten. Es mag Widerstände anderer Atome geben, weshalb es für uns nicht so aussieht - etwa ein Stein, der ins Wasser fällt im Vergleich zu einem, der im freien Fall durch die Luft fliegt.
    Wäre dies aber die einzige Bewegung, würden sich niemals ein Atom mit einem anderen begegnen. Deshalb nimmt Epikur an, dass ihr Streben nach unten durch spontane Abweichungen, die parenklisis, gestört wird, woraus wiederum Zusammenstöße und daraus Verbindungen entstehen, an denen weitere Atome anstoßen und immer so fort, bis sich daraus verschiedene Objekte ergeben: Materie wie dein und mein Körper, wie das Capitolium oder eine winzige Maus.
    Die Eigenschaften dieser Gegenstände wiederum richten sich nach den Eigenschaften ihrer Bestandteile - je nach dem sind sie weich oder fest, farbig oder farblos, süß oder salzig und so fort."

    Langsam legte er den Finger auf den Stein, auf dem er saß und drückte auf.
    "Doch so fest und unveränderlich jede Materie wirken mag - auch in ihr sind die Atome weiter in Bewegung. Und so, wie sie zusammen stoßen und Materie bilden, so streben sie irgendwann auch wieder auseinander und lösen damit die Materie, die sie einst bildeten, wieder auf. Wer ein verendetes Tier einmal gesehen hat, wird dies bezeugen können, aber auch jeder Gärtner und jeder, der schon einmal ein abgetragenes Gewand wegwerfen musste. Nichts ist beständig - weder der Leib des Menschen, noch der höchste Berg. Alles zerfällt!"
    Er hob den Finger von seiner Sitzgelegenheit mahnend in die Luft.
    "Ihr mögt mir nicht glauben, dass diese scheinbar so wohlgeordnete Welt aus nichts anderem besteht als zufälligen Atomverbindungen! Aber bedenkt eines: Der Raum und die Atome sind unbegrenzt - so glaubwürdig die Annahme, dass diese Welt wohlgeordnet ist, so glaubwürdig ist es auch, dass es hunderte - nein tausende und abermillionen! - weitere Welten da draußen gibt, die anderweitig geordnet sind! Manche besser als diese Welt, manche schlechter - aber alle besieren auf nichts als dem schnöden Zufall!"
    Die Hand des Praetoniers wanderte an seine Brust und er senkte ein wenig andächtig den Kopf.
    "Der Zufall ist es aber damit auch, der unsere mentalen und geistige Substanz geformt hat. Denn wenn nichts als Atome bestehen - wieso sollte unser Geist, unsere Seele aus etwas anderem aufgebaut sein?
    Und wenn wir dies annehmen, verstehen wir auch den zweiten Lehrsatz des Epikur: Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was sich aufgelöst hat, empfindet nichts; was aber nichts empfindet, hat keine Bedeutung für uns."

    Er blickte in die Reihe seiner Schüler.
    "Auf den ersten Blick eine erschreckende Einsicht, sich ins absolute nichts aufzulösen. Doch da wir dann nicht mehr existieren, auch nicht allzu erschreckend - und zweifellos besser als die Furcht, in alle Ewigkeit in einer finsteren Unterwelt dahinzuvegetieren, in einem eisigen Strom zu schwimmen oder selbst auf einem Berg zu setzen - so hoch er sein mag - und in alle Ewigkeit nichts als Nektar und Ambrosia zur Verfügung zu haben."
    Der Praetonier lächelte - sich selbst hatte er offensichtlich mit seinen Überlegungen überzeugt.

  • Chrysogona hörte aufmerksam zu. Sie hatte durchaus schon von der Lehre Demokrits gehört. Am Museion von Alexandria waren die Vertreter der Lehre Demokrits sehr häufig in lange und hitzige DIspute mit ihrem Vater verwickelt gewesen, der die Lehre nicht gänzlich verneinte, wohl aber seine Zweifel hatte und nicht glauben wollte, dass der Mensch zu nichts vergeht. Sie selbst als Medica wusste sehr wohl, dass nicht viel vom Körper übrigblieb nach dem Tod. Dass aber die Seele ebenso sich zu Nichts verflüchtigte schied für sie aus. Das konnte und wollte sie nicht glauben.


    Dazu knabberte sie noch immer an dem Lehrsatz davor. Sie meldete sich zu Wort.
    "Sag, Praetonius Chairedemos, wie kann man keine Angst vor Schmerz haben? Du sprichst zwar nicht nur von körperlichem Schmerz, ich aber habe tagtäglich damit zu tun. Un-Lust und Schmerz setzt Epikur gleich. Lust und Abwesenheit von Schmerz auch. Schön und gut. Aber was soll ich meinen Patienten sagen, wenn ich mit dem Skalpell oder der Brennsonde komme? Du musst keine Angst haben, denn du bestehst ohnehin nur aus einer Ansammlung von kleinen Teilchen - Atomen - ob ich da jetzt ein paar davon wegnehme oder nicht ist egal... "
    Auf ihrer Stirn bildeten sich zwei senkrechte Falten zwischen den dunklen Augen der Medica.
    "Du musst nur deine Angst überwinden, dann wird alles gut! Das ist doch nicht realistisch. In der Theorie klingt das ja sehr nett, dass wir nur die Angst überwinden müssen. In der Realität aber ist der Schmerz ja da. Ich kann ihn lindern mit Schlafmohn, Bilsenkraut und Weidenrinde, aber das meint Epikur ja wohl nicht, oder doch?"

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