Lucius Praetonius Chairedemos
http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Der Meister fixierte jeden der sich vorstellenden Gäste kurz, als wolle er sich Namen und Gesicht gut einprägen - natürlich auch von dem hinzugekommenen Senator, der nicht als solcher zu erkennen war (vor allem nicht für einen Epikureer, der sich ja naturgemäß eher periphär mit Politik befasste). Stattdessen bemerkte er auf die Erwartung des Tribuns:
"Eine gute Frage, zu der wir kommen werden!"
Er nickte und sog umständlich Luft ein.
"Aber wir müssen vom Grundlegenden zum Besonderen kommen. Beginnen wir also mit der Frage: Wer ist dieser Epikur, auf den unser Kreis und so viele Schulen in der gesamten Welt sich berufen?
Epikur wurde am 20. Gamelion - also nach unserem Kalender im Ianuarius - im dritten Jahr der 108. Olympiade, also 412 Jahre nach der Gründung Roms, geboren. Und zwar auf Samos als Sohn eines attischen Kolonisten und Bruder dreier Männer - Neokles, Chairedemos und Aristobulos. Früh widmete er sich der Philosophie, nicht erst in den Jahren seiner Ephebie, die er mit achtzehn Jahren als Bürger Athens in seiner Mutterstadt absolvierte. Vor allem studierte er Platon und Aristoteles, die großen Philosophen seiner Zeit.
Hieraus entwickelte er seine eigene Philosophie, die er zu lehren begann: Zuerst in Mytilene auf Lesbos, später in Lampsakos in Mysien und schließlich in Athen, wo er jenes Haus mit Garten erwarb, das für seine Schule namensgebend sein sollte: Der Kepos des Epikur. Wie hier in Rom lehrte er dabei nicht nur mit Worten: Was er seinen Jüngern vorschrieb, das lebte er selbst, sodass er und sein Kreis zu einem Beispiel jener Lebensweise eines Weisen wurden, wie auch wir dies hier versuchen. Wie wir hier im Haus des Amafidius scharte auch er einen Schülerkreis um sich, mit dem gemeinsam er lebte und offen diskutierte - ohne Hierarchien und Denkverbote, sondern in Freiheit und Freundschaft. Dabei kann heute wie schon damals jeder teilhaben, der sich Epikurs Weg anschließen will, egal ob er Sklave oder Freier, Mann oder Frau, arm oder reich ist."
Der Philosoph bedachte seinen Schülerkreis in der ersten Reihe mit einem Lächeln.
"Mit ihnen und durch ständiges Philosophieren, Meditieren über die Zusammenhänge der Welt wurde er weiser und weiser und gelangte schließlich selbst zu jener Unerschütterlichkeit, die es ihm erlaubte, auch eine schwere Krankheit mit Leichtigkeit zu tragen, bis er ihr erlag und friedlich entschlief. Er hinterließ seinen Schülerkreis, dem er seinen ältesten Schüler, Hermachos, als Nachfolger vorsetzte. Hermachos folgte Polystratos, Polystratos folgte Dionysios von Laptrai, diesem Basileides von Tyrus, dann Apollodoros Kepotyrannos, Zenon von Sidon, schließlich Paidros und Patron und - mit einer gewissen Unterbrechungszeit von etwa einem Jahrhundert - eine direkte Linie bis in unsere Zeit."
Er machte eine kleine Pause und sah dann herausfordernd in die Runde.
"Gibt es etwas, das einer von euch ergänzen kann?"
Sofort schnellte die Hand von Philodemos nach oben, doch Chairedemos winkte ab.
"Fragen wir zuerst unsere Gäste: Was ist euch noch über das Leben dieses großen Philosophen bekannt, den zu studieren ihr hierher gekommen seid?"