[Hortus Amafidii] Eine Einführung in die Lehre des Epikur

  • Zufrieden konstatierte Chrysogona, dass auch Chairedemos in der Sexualität zwar ein natürliches Bedürfnis, nicht aber unbedingt ein notwendiges erkannte. Ebnso stand er und damit Epikur zum Bedürfnis nach Familie. Dass der Mensch ein zoon politikon im Sinne von Aristoteles war, also ein soziales Wesen, bezweifelte die Medica nicht. Doch musste er dafür eine eigene Familie gründen? Wohl kaum. Für den Fortbestand der Spezies Mensch war es jedoch Voraussetzung dass man sich sexuell betätigte. Das sah Chrysogona ein.


    Ehe sie sich noch intensiver damit auseinandersetzten konnte, ob sie deshalb der Theorie von einem notwendigen Bedürfnis nach Sexualität zustimmen konnte, kam der Lehrer auf die nächste ethische Fragestellung zu sprechen. Wie sollten wir mit den Bedürfnissen umgehen? Chrysogona war nun Feuer und Flamme für die Diskussion. Sie begann mit der Beantwortung.
    "Es liegt auf der Hand, dass die natürlichen und notwendigen Bedürfnisse befriedigt werden müssen. Der Mensch wird nicht ruhen, bis er sie befriedigt hat, weil er sonst Unlust im schlimmsten Maße erlebt, bis hin zu Krankheit und Tod. Was die natürlichen und nicht notwendigen Bedrüfnisse angeht, so wird die Person sicherlich versuchen sie zu befriedigen, soweit es möglich ist und mit einigen Bemühungen zu vollbringen. Ob der Mensch dabei immer unterscheiden kann, ob es ein wirkliches Bedürfnis oder doch nur leere Meinung ist? Ich wage es zu bezweifeln. Woran sollte er das festmachen? Widernatürliche Bedürfnisse sollten in meinen Augen keinesfalls befriedigt werden! Das wäre ja ein Paradoxon! Man sollte niemal etwas weiter verfolgen, das der Natur zuwiderhandelt. Siehst du das nicht genauso, Iulius Dives?


    Sie sprach den eloquenten Diskussionspartner direkt an. War sie doch tatsächlich sehr gespannt, wie er dieses schwierige Thema sehen würde.

  • Einmal mehr sah sich Dives doch eher enttäuscht von der Lehre des Epikur. Denn zwar mochte sein Leben seit geraumer Zeit doch gewiss alles andere als das sexuell aktivste sein, die Notwendigkeit der Sexualität selbst zu einem guten Leben indes stand für ihn nach wie vor doch außer Frage. Denn nicht zuletzt welcher Sinn blieb einem Leben, welches einzig und allein aus Nahrung, Wasser, Schlaf, Gesundheit und einer gewissen Sicherheit bestand? Zu leben nur um des Lebens Willen schien dem Iulier doch insgesamt als ein nur wenig attraktives Lebensziel.
    "Nun, als Römer habe ich mich wohl davon leiten lassen, hier weniger einzeln streunende Katzen, als vielmehr gesellig zusammenlebende Wölfe als Bezugspunkt zu nehmen.", kommentierte Dives mit einem leichten Augenzwinkern den neuerlichen Punkt Familie, während er damit unterschwellig zugleich aufzuzeigen versuchte, dass er auch weiterhin eher ein römischer Wolf mit Familiensinn denn eine griechisch-aegyptische Katze ohne selbigen zu sein und zu bleiben intendierte.


    "Nun", begann der Iulier, nachdem der eine Punkt dem nächsten gewichen war und er von der Plinierin direkt angesprochen wurde, "deiner Argumentation betrefflich natürlicher und notwendiger Bedürfnisse kann ich bedingungslos zustimmen. Auch mir scheint dies der einzig ratsame Umgang mit solchen Begierden." Das war wohl auch der leichteste aller drei Teile. Bezüglich der beiden anderen Arten von Bedürfnissen musste der Iulier zunächst noch einmal kurz in sich gehen. "Was den Rest angeht, wäre ich zwar nicht direkt konträrer Meinung, würde mich indes dennoch anders ausdrücken. Denn ich frage mich, ob ein Mensch nach Epikur denn überhaupt im Einzelnen erkennen muss, welches nicht notwendige Bedürfnis natürlich und welches unnatürlich ist.", stellte er halb fragend, halb aussagend in den Raum. "Am Ende schließlich sind beide Bedürfnisse nicht notwendig, egal welchen Ursprungs sie sind. Einzig wird einem Menschen der Verzicht auf ein unnatürliches Bedürfnis mit der Zeit ein vermutlich recht Einfaches sein, während er sich zum Verzicht auf ein natürliches, nicht notwendiges Bedürfnis jedoch immer wieder wird neu ermahnen müssen.", führte er den Gedanken hinter seiner Halbfrage aus. "Denn wie Epikur in seinem 30. Lehrsatz sagt, liegt es in der Natur des Menschen, zu leeren Meinungen zu neigen und damit also auch immer wieder aufs Neue das Bedürfnis selbst nach nicht notwendigen, natürlichen Begierden zu verspüren." Noch einmal überlegte er kurz und kam sodann zu dem Schluss: "Es läuft wohl also darauf hinaus, dass der Mensch nach Epikur einzig die natürlichen, notwendigen Bedürfnisse stillen, auf alle anderen ihm entstehenden Begierden indes stets mit Enthaltsamkeit reagieren sollte." Unschlüssig sah der Iulier in die Runde. Denn er selbst wollte es nicht neuerlich aussprechen, doch schien ihm eine derartige Enthaltsamkeit als fix vorhersehbarer Quell eigener Unlust...

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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Chairedemos lächelte zum Kommentar des Iuliers - natürlich die Wölfin mit ihrem Rudel! Aber wenn man richtig hörte, gab es ja durchaus auch die Möglichkeit für Nicht-Verwandte Wölfe zu einem bestehenden Rudel zu stoßen...


    Anstatt wieder etwas zu kommentieren, ließ er dann aber freie Bahn für die Überlegungen seiner Jünger(in), die durchaus vernünftig erschienen. Erst als beide offensichtlich wieder auf seine Bemerkungen warteten, setzte er an:
    "Wie ihr richtig erraten habt, müssen die natürlichen, notwendigen Bedürfnisse befriedigt werden. Bei den übrigen seid ihr beide aber rigoroser, als Epikur es uns rät. Am Ende empfiehlt er aber ein Lustkalkül: Das, was leicht zu befriedigen ist - und das bedeutet, dass vor allem jene unnatürlichen Begierden, die grenzenlos sind wie Macht und Reichtum, hier herausfallen - , können wir guten Gewissens befriedigen - solange wir uns nicht von ihnen abhängig machen. Denn stets besteht die Möglichkeit, dass uns die Möglichkeit genommen wird, eine bestimmte Begierde zu erfüllen, sodass wir statt Lust langfristig Schmerz daraus gewinnen, wenn wir zu sehr an ihr hängen.


    Damit ergibt sich natürlich die nächste Frage: Was sind leicht zu befriedigende, wenn auch nicht notwendige Begierden? Oder allgemeiner gefragt - denn wie Iulius schon treffend festgestellt hat, ist die Trennung an dieser Stelle gar nicht so zentral - welchen Begierden sollte ich dann nachgeben? Und welchen auf keinen Fall?"

  • In der Tat hatte das divitische Bild vom Wolf auch mit der Möglichkeit für nicht-verwandte Wölfe, zu einem bestehenden Rudel zu stoßen, keinerlei Probleme. Denn auch der Iulier selbst definierte die Familia nicht ausschließlich über Blutsverwandtschaft, da es gerade für die Iulii Caepiones wohl auch eine gewisse Tradition hatte, dass gelegentlich fremdes, frisches Blut in die Familie adoptiert wurde. Das prominenteste Beispiel hierbei stellte wohl Iulia Severa dar, die verblichene Gattin des großen Triumphators Decimus Meridius. Sie war dereinst, soweit er die Familiengeschichte hier kannte, sogar extra für den Decimer in die iulische Gens adoptiert worden, sodass der Senator die frühere Peregrina zu ehelichen imstande war. Ähnlich stellte sich wohl auch die Geschichte der Iulia Andreia, die seit ihrer Hochzeit mit dem Senator Annaeus Florus den Namen Annaea Iuliana geführt hatte, dar. Ferner hatte auch der Großonkel Licinus des heutigen Diskussionsteilnehmers einen jungen Mann unter dem Namen Iulius Servianus als seinen Sohn angenommen, wie nicht zuletzt auch Dives selbst bereits Teil dieser 'Tradition' geworden war, als er die spätere Vestalin Iulia Torquata adoptierte.


    Doch nicht sein vergleichendes Bild, sondern die eigentliche Diskussion wurde in der Folge nun vom Praetorinus fortgeführt. Der Iulier folgte dessen Worten aufmerksam und rümpfte einzig zu Beginn einmal seine Nase. Schließlich konnte er zwar nicht wissen, wie die Plinierin zu ihren Aussagen gekommen war. Er selbst jedoch hatte gewiss weniger geraten, als vielmehr gedacht und zu schließen versucht.
    "Ich denke", setzte Dives am Ende der praetonischen Ausführungen an, "dass es zum Beispiel nicht notwendig ist, seinen Durst stets mit ein guter Jahrgang eines Falerner-Weins stillen. Sollte ich jedoch einen solchen Wein von einem Freund geschenkt bekommen, so wäre es im Sinne des eben Gesagten wohl nicht verboten, der Begierde nach einem guten Tropfen für einen Abend einmal nachzugeben.", konstruierte er. "Sollte der gleiche Freund nun jedoch regelmäßig einige Male pro Woche mit einem derartigen Wein vor meiner Haustür stehen, so wäre es im Sinne Epikurs vermutlich nur richtig, der Begierde nach einem guten Wein _nicht_ nachzugeben. Denn es bestünde die Möglichkeit, dass ich bald schon das Wasser zu schätzen verlernte und mich damit von gutem Wein abhängig machte - genauso wie mitunter von demjenigen Freund, welchen selbigen Wein mir stets brächte.", spann der Senator sein eigenes Beispiel weiter und blickte neugierig auf weitere Beispiele in die Runde.

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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Auch diesmal konnte der Praetonier zufrieden hören, welche Schlüsse sein Schüler zog:
    "Ein treffendes Beispiel! Etwas allgemeiner gesagt gibt es also keine einfachen Gesetze, sondern wir müssen stets abwägen: Welche Begierde kann ich befriedigen? Wovon muss ich mich frei machen durch Übung, Askese und Selbsterziehung?
    Ein Beispiel wäre etwa: Kann ich mir etwa die Austern leisten, die ich so gerne esse? Dann soll ich sie genießen, denn ihr Genuss bereitet mir immer mehr Lust. Doch bin ich ein armer Schlucker, dann sollte ich mir klar machen, wie überflüssig Austern doch sind, muss mich vielleicht an ihre unangenehme Salzigkeit oder meinen Nachbarn erinnern, der sich an schlechten Austern vergiftete, bis ich die Begierde nicht mehr spüre.


    Ebenso gilt es im Auge zu behalten, dass Lust und Schmerz zwar die einzigen Alternativen, in ihrer Qualität aber durchaus unterschiedlich sind, wie uns die Erfahrung lehrt: Mancher Schmerz ist nicht physisch, sondern geistig und bezieht sich nicht auf die Gegenwart, sondern auf Vergangenheit - etwa die Reue - oder die Zukunft - wie die Furcht, die wir ja schon mit der Physik bekämpft haben.


    Auch die Ethik muss uns aber abwägen lehren, um Reue für die Zukunft zu vermeiden und langfristig Lust zu gewinnen. Denn schon der 9. Lehrsatz sagt uns: Wenn alle Lust in Hinsicht auf Umfang und Dauer zusammengefasst werden könnte und dies im ganzen Organismus oder wenigstens in den wichtigsten Teilen des menschlichen Körpers möglich wäre, dann unterschieden sich die Lustempfindungen niemals von einander.
    Doch leider ist dies nicht so. Verprassen wir heute unser gesamtes Geld, um uns den teuersten Falerner von ganz Italia zu leisten, dann werden wir womöglich diesen Abend größte Lust empfinden, der Morgen wird aber ein fades Erwachen bringen.


    An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf unsere Diskussion über die Tugenden - vor allem die Gerechtigkeit zurückkommen. Philodemos hatte sie ja schon kurz als Beispiel für eine Tugend herangezogen und darauf hingewiesen, dass sie nicht viel mehr als eine Konvention ist. Trotzdem spricht Epikur:
    Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne vernünftig, anständig und gerecht zu leben, und auch nicht vernünftig, anständig und gerecht, ohne lustvoll zu leben. Wem dies aber nicht möglich ist, der kann auch nicht lustvoll leben.
    Wenn wir das eben Gehörte über die Zukunft und Vergangenheit bedenken - hat jemand eine Idee, warum die Gerechtigkeit, der Anstand und die Vernunft am Ende doch wieder Geltung gewinnen, auch wenn wir sie nicht einfach befolgen müssen, weil sie Tugenden sind? Welchen Nutzen mögen diese Tugenden haben, wenn wir mit Epikur in erster Linie unsere eigenen Begierden und Schmerzen in den Blick nehmen?

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Scheinbar war seine Frage wieder zu schwer gewesen - der Philosoph wartete trotzdem eine ganze Weile, ob sich nicht jemand hervorwagte. Als das eisige Schweigen dann aber zu lang wurde, beantwortete er sie doch lieber selbst:
    "Der Grund ist sehr einfach: Der Selbstschutz vor Abhängigkeiten und die Vermeidung von Unannehmlichkeiten mit meinen Mitmenschen wird es am Ende weise erscheinen lassen, die vermeintlichen Tugenden auch zu beherzigen. Nicht, weil sie Tugenden sind, sondern weil sie pragmatisch unser Leben regeln.
    Denkt nur an den 34. Lehrsatz: Die Ungerechtigkeit ist kein Übel an sich, sondern nur aufgrund der misstrauischen Angst davor, dass sie von der Strafverfolgung nicht unentdeckt bleibt.
    Angst ist - wie bereits gesagt - aber nichts anderes als Schmerz, der sich auf die Zukunft bezieht. Folglich müssen wir auch so leben, dass wir Reue für die Zukunft vermeiden.


    Wie bei der Ungerechtigkeit ist es aber auch bei der Schamlosigkeit oder der Unvernunft. Diese Dinge werden bei nüchterner Betrachtung stets zu Schwierigkeiten oder deutlichem Schaden führen: Nur in geringfügigen Angelegenheiten überfällt den Weisen ein Zufall; die wichtigsten und bedeutendsten Dinge hat die Vernunft geordnet, ordnet sie im Lauf des Lebens und wird sie ordnen., 16. Lehrsatz.


    Was aber unterscheidet den wahren Epikureer dann in seiner Lebensführung von einem Stoiker oder einem Platoniker?"
    Er blickte fragend in die Runde.
    "Zum einen wie gesagt die Intention, warum er sich an die Normen der Gesellschaft hält. Denn für ihn sind sie keine Gesetze, die aus sich heraus Gültigkeit beanspruchen. Deshalb mahnt Epikur uns auch im 33. Lehrsatz: Niemals gab es absolute Gerechtigkeit, sondern nur einen Vertrag, der jeweils im gegenseitigen Austausch an beliebigen Orten darüber abgeschlossen wurde, niemanden zu schädigen oder sich schädigen zu lassen
    Daraus ergibt sich aber auch, dass eine Norm niemals absolute Gültigkeit beanspruchen kann. Wieder anhand der Gerechtigkeit lehrt uns der große Philosoph deshalb einen pragmatischen Umgang mit ihr: Alles, was als gerecht gilt, darf nur dann den Rang des Gerechten beanspruchen, wenn es nachweislich den Anforderungen des geregelten Umgangs miteinander entspricht, ob es nun für alle Menschen gleich oder nicht gleich ist. Wenn aber jemand ein Gesetz erlässt und es nicht der Regelung des Umgangs miteinander dienlich ist, dann hat es nicht mehr die natürliche Legitimation des Rechts. Und wenn sich der Nutzen, der vom Recht ausgeht, verändert, aber noch eine Zeit lang der ursprünglichen Vorstellung entspricht, dann war es nichtsdestoweniger zu jener Zeit gerecht für alle, die sich nicht durch leere Wort selbst verwirren, sondern einfach die Tatsachen im Auge behalten.


    Dies wäre also die erste Differenz. Eine weitere, überaus wichtige ist jedoch auch die Haltung Epikurs zum öffentlichen Leben.


    Einen Hinweis bietet hier der 14. Lehrsatz: Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten
    Was nun mag das bedeuten? Iulius?"

    Als Senator war dieser Teil der epikureischen Lehre für Dives sicherlich ein besonderer Affront - umso wichtiger war, dass der Berufspolitiker zu verstehen lernte, was dahinter steckte.

  • Der Iulier folgte aufmerksam den Erklärungen und Ausführungen des Praetonius. Denn obgleich er sich nach allem Gehörten bereits überaus sicher war, dass er gewiss kein glühender Anhänger der Lehren des Epikur werden würde, wie ihn folglich auch das Verstehen derselben mitnichten weiterbrachte, so anerkannte er zumindest die Ablenkung von seinen alltäglichen Sorgen, welche ihm die temporäre Teilnahme an diesem Zirkel bescherte. Es dauerte einen Moment, bis Dives den folgenden zwei umfangreicheren Wortbeiträgen des Praetoniers einigermaßen gefolgt war und selbige nachvollzogen zu haben glaubte, bevor er dazu bereit war, sich der direkt an ihn gerichteten Frage zuzuwenden.


    "Nun, aus meinem eigenen politischen Leben, welches einst mit einer nicht unumstrittenen Liegegebühr für die Schiffe in den ostiensischen Häfen begann und mich letztlich bis in den Senat führte, wo ich ebenfalls vor einiger Zeit für einige gesetzliche Veränderungen sorgte, die alles andere als unumstritten waren", dachte er hier vor allem an sein Glanzstück, die curulische Aedilität neuerlich auch für plebeische Senatoren zu öffnen, "kann ich mittlerweile mit größter Sicherheit sagen, dass wohl jede politische Betätigung stets zu Auseinandersetzungen und Konflikten führt." Teils waren es eigene Vorschläge und Initiativen, mit denen man sich bei einigen beliebt, bei anderen unbeliebt machte. Teils provozierte der Vorstoß eines anderen, für oder gegen diesen Partei zu ergreifen, womit man sich ebenfalls automatisch politische Freunde und politisch Kontrahenten schuf. Selbst jene, die nur still und leise ihre Magistraturen ausübten und sich ansonsten zurückhielten - weil sie beispielsweise während ihres eigenen Decemvirats auch gar kein Mitspracherecht im Senat hatten - wurden für eine zu engagierte Amtsführung mitunter von der Acta Diurna als etwas 'umtriebig' bezeichnet, während jene, die in ihren Ämtern zu wenig taten, selbstverständlich ebenfalls mit Kritik rechnen mussten.


    "Dabei selbstredend ist man im Senat von Roma, wie auch in jenem von Ostia, gesittet und kultiviert genug, besagte Auseinandersetzungen und Konflikte nur verbal zu diskutieren. Nichtsdestotrotz aber macht man sich im politischen Geschehen selbst als Pedarius früher oder später bei einigen Menschen unbeliebt.", erklärte der Senator weiter und konnte sich ein leicht hilfloses Zucken mit den Schultern nicht ganz unterdrücken. "Epikur, so möchte ich meinen, hat an dieser Stelle nun erkannt, dass ganz allgemein das Zusammenleben mehrerer Menschen stets zu Problemen führt, wobei umso mehr Differenzen entstehen können und nahezu unumgänglich sind, je größer die Gemeinschaft ist. So mag ich mit zwei Freunden oder mit dreien noch eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten teilen. Bei zwölf Menschen oder dreizehn wird die gemeinsame Schnittmenge aller zwölf oder dreizehn Lebenseinstellungen und Weltauffassungen jedoch schon deutlich geringer sein." Von einem Senat mit gar 300 Senatoren wollte der Iulier gar nicht erst beginnen. "Wo ein überzeugter Politiker nun zu dem Schluss kommen würde, dass er sich zu einem höheren Zweck - für den Staat - dennoch diesen Differenzen, diesen Konflikten und letztlich dieser daraus für ihn persönlich erwachsenden Unsicherheit aussetzt, gelangt im Gegensatz dazu Epikur nun offenkundig zu der Einsicht, dass es keinen höheren Zweck geben kann als das eigene Wohl. Wo nun jedoch das eigene Wohl der höchste Zweck ist, gibt es nicht länger eine Rechtfertigung, sich der Unsicherheit auszusetzen, welche den Differenzen und Konflikten des zwischenmenschlichen Zusammenlebens entspringt. Daher erscheint es letztlich nur konsequent, dass Epikur in diesem Lehrsatz also zum Rückzug vor den Leuten - und den stets mit ihnen kommenden Konflikten - rät. Denn ein Leben ohne Konflikte wäre wohl zweifelsohne das deutlich sicherste Leben.", schloss der Quaestorier schlussendlich seine Überlegungen ab, die an seiner eigenen, gefestigten Einstellung jedoch erwähntermaßen kaum mehr bedeutend zu rütteln vermochten.

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  • Chrysogona hörte zu, traute sich aber nicht eine Antwort auf die Fragen des Lehrers zu geben. Zu fremd war ihr die Denkweise der Epikuräer. Sie war also auch froh, als er den Iulier direkt ansprach. Der 14. Lehrsatz war interessant und sie fragte sich selbst ob sie in diesem Fall Epikur nicht doch zustimmen konnte. "...so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten" Bislang hatte sie von dem Philosophiegründer eher das Bild eines Lebemannes gehabt. Doch aus diesem Satz sprach etwas anderes. Hatte er nicht eigentlich Angst vor der Allgemeinheit gehabt und sich deshalb mit seinen Schülern in den Hortus zurückgezogen?
    Die Medica musste an ihren Schützling den Kaiser und seine Familie denken. Ja, für diesen galt auch, dass der Rückzug vor den Leuten wohl die deutlichste Sicherheit bringen würde. Nur konnte ein Kaiser das nur bedingt.


    Auch über Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit und die Lehrsätze dazu machte sich Chrysogona Gedanken. Fast fand sie es schade, dass der Lehrer nicht diese zur Diskussion stellte, sondern den Iulier zu dem Sicherheitsgedanken befragte. Dessen Antwort war interessant, denn er verfügte über die Erfahrung eines aktiven Politikers. Sie lauscht den Auführunge des Senators und konnte ihnen, soweit sie es beurteilen konnte, nur beipflichten. Mit Neugier wartete sie auf die Antwort des Lehrers. .

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Die Worte des Iuliers waren natürlich durchaus korrekt - dann herrschte aber wieder Schweigen.
    "Nun, was denkt ihr zu diesem Ratschlag?"
    Er wollte ja auch das pflegen, was Epikur als Lehrform empfohlen hatte - das gleichberechtige Gespräch zwischen Schülern und Lehrern. Vor allem, weil er spürte, dass nicht alle seiner Schüler einer Meinung waren...

    Sim-Off:

    Jetzt hattet ihr so viel Zeit, eine Diskussion vom Zaun zu brechen :P Wir können es aber auch zügig abschließen, wenn es bei euch momentan nicht passt...

  • Sim-Off:

    Ich fürchte, hier standen Plinia und Dives schlicht auf der gleichen Seite des Zauns, sodass folglich wohl keiner von uns den Drang verspürte, irgendetwas künstlich von diesem Zaun brechen zu wollen. ^^


    "Nun, in der Tat ist eine gewisse Logik wohl kaum in Abrede zu stellen.", setzte Dives in Reaktion auf die folgende Nachfrage an. "Denn nicht zuletzt möchte ich auch nicht bezweifeln, dass die eigene Sicherheit durchaus von Wichtigkeit ist. Epikur würde dies womöglich begründen damit, dass ein Fehlern von Sicherheit gleichbedeutend mit vorhandener Unsicherheit ist, wie Unsicherheit wiederum zu Angst und damit zu Unlust führt.", vermochte der Iulier durchaus nachvollziehen zu können. "Dennoch scheint es mir persönlich, als wäre bei aller Logik der epikureische Sicherheitsaspekt ein wenig überbetont, da ein Rückzug vor den Leuten gewiss die deutlichste Sicherheit und damit den deutlichsten Schutz vor Unlust böte, letztlich jedoch auch die Lust in alles andere als unerheblichem Maße bei einem konsequenten Befolgen des 14. Lehrsatzes auf der Strecke bliebe.", äußerte sich der Senator kritisch.


    "Schaue ich auf mein eigenes Leben, so würde mir wohl manche Unlust des politischen Daseins erspart bleiben, so ich mich entschiede, der gesamten Politik schlicht den Rücken zuzukehren. Zugleich jedoch würde ich allerdings wohl auch der Lust verlustig gehen, welche mir das Halten nahezu jeder Rede vor einem Publikum bereitet.", stellte er beispielhaft dar. "Betrachtete ich mir nun Plinia, der es offenkundig zu eigener Lust gereicht, anderen Menschen heilend und oder schmerzlindernd zu helfen, so würde wohl auch sie ihre Sicherheit überaus deutlich erhöhen können, würde sie sich in Gänze vor den Leuten zurückziehen. Doch auch sie würde damit nicht nur potenzielle Unlust vermeiden, sondern überdies auch potenziell lustvolle Momente sich verhindern.", ging der Quaestorier von seinem eigenen Leben zu einem anderen Leben und intendierte, damit den Weg der Induktion zu beschreiten.


    "Mir stellt sich damit die Frage, was letztlich ganz allgemein die Folgen wären eines konsequenten Befolgens dieses 14. Lehrsatzes des Epikur.", sah Dives einmal kritisch durch die Runde. "Denn es liegt auf der Hand, dass Unlust das Gegenteil von Lust, Lust wiederum das Gegenteil von Unlust ist. Befreite ich mich nun jedoch von sowohl der aus der Unsicherheit sich ergebenden Unlust als auch den sich aus meiner Betätigung ergebenden Momenten von Lust, was bliebe mir dann noch?", fragte er rhetorisch. "Mir bliebe in diesem Bereich meines Lebens wortwörtlich nichts. Mir bliebe eine Leere, die sich mutmaßlich kaum durch irgendetwas ausfüllen ließe, was mir nicht zugleich auch wieder eine gewisse Unsicherheit und damit potenzielle Unlust verursachte - ob ich mich nun neuerlich politisch betätigte oder kranken Menschen helfen würde oder aber regelmäßig hier zu einem Philosophenzirkel einladen würde.", deutete der Iulier an, dass auch der Praetonius offenkundig die eigene Sicherheit nicht über alles stellte, sondern sie wenigstens partiell auch der Lust am Philosophieren unterordnete.


    "In einem Satz denke ich daher, dass ein konsequentes Befolgen dieses epikureischen Ratschlags wohl zwar zu einem überaus sicheren, jedoch zugleich auch äußerst langweiligen Leben führte, das damit am Ende vermutlich kaum noch tatsächlich lebenswert wäre.", zog der Senator den Schluss. "Denn wie sollen wir das Gute erkennen, wenn wir nie das Schlechte sehen? Wie sollen wir Glück erfahren, wenn wir das Unglück nicht kennen? Wie sollen wir Lust empfinden, wenn uns die Unlust gänzlich fremd ist?" War nicht mit anderen Worten ein Mindestmaß an unlustvoller Unsicherheit schlicht notwendig, ein lustvolles Leben führen zu können?

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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg "Nun, wir müssen also wieder einmal ein Lustkalkül durchdenken."
    Er hob mahnend den Zeigefinger.
    "Die Lust, die du bei einer Rede vor Publikum empfindest - der Auswuchs welcher Begierde ist sie? Und wie ist diese Begierde vor den Augen Epikurs zu bewerten?


    Denkt an den 26. Lehrsatz, der da heißt: Alle Begierden, die nicht zu einer Schmerzempfindung führen, wenn sie nicht befriedigt werden, sind nicht notwendig, sondern erzeugen ein Verlangen, das leicht zu vertreiben ist, wenn es sich erweist, dass sie auf schwer Beschaffbares oder gar Schädliches zielen."
    Der Praetonier wusste, dass er den Senator mit diesen Worten ziemlich herausforderte - aber da dieser ja Debatten liebte, wagte er es dennoch.
    "Gleichermaßen können wir uns natürlich fragen, von der Befriedigung welcher Begierde die Lust Plinias an der Heilung von Mitmenschen stammt."
    Er sah zu der Medica hinüber.

  • "Nun, in einem kleinen Rahmen gedacht mag Epikur gewiss nicht allzu viel halten davon, dass ich das Publikum suche, zu selbigem zu sprechen; dass Plinia die Kranken sucht, ihnen zu helfen; oder dass du, Praetonius, regelmäßig hierher zu einem Philosophenzirkel einlädst.", begann der Iulier, indem er die Frage nicht nur auf sich allein bezog. Denn auch der Verzicht des Praetoniers auf seinen Zirkel würde wohl zu nicht weniger und nicht mehr Schmerz führen als ein divitischer Verzicht auf öffentliche Reden. "Es liegt gewiss auf der Hand, dass dir das Philosophieren besondere Lust bereitet, wie mir das öffentliche Reden und Plinia mutmaßlich die Heilung ihrer Patienten große Lust bereitet. Und es liegt auf der Hand, dass wir, indem wir - jeder einzelne von uns - gelegentlich diesem Verlangen nachgeben genau das Gegenteil dessen tun, was der 14. Lehrsatz des Epikur sagt. Denn weder ziehe ich mich vor den Leuten zurück, wenn ich in der Öffentlichkeit rede, noch zieht sich Plinia vor den Leuten zurück, wenn sie selbige behandelt, noch ziehst du dich vor den Leuten zurück, wenn du hier zu diesem Philosophenzirkel einlädst.", stellte Dives die Parallelen dar. "Ist es nicht so?", fragte er in den Raum und ließ diese rhetorische Frage einen Moment lang wirken.


    "Du fragtest uns letztlich, was wir über diesen 14. Lehrsatz denken.", kam er anschließend auf die Ursprungsfrage zurück. "Und ich denke, dass uns der 14. Lehrsatz dazu anhält, sehr viel aufzugeben - so viel aufzugeben, dass wir womöglich ein nach Epikur perfektes Leben führen könnten. Doch so wir uns dieser Utopie einmal hingeben und annehmen, dass wir alle demgemäß leben würden, welchen Sinn hätte unser Leben dann noch? Was würden wir tun, außer zu essen, zu trinken und zu schlafen?", zeigte der Iulier ganz praktisch auf. "Ich glaube und wage zu behaupten, dass ein solches Leben zwar überaus sicher und rein wäre, zugleich allerdings auch überaus trist und langweilig. Und ich frage mich, ob ich ein solches Leben je selbst leben wollen würde.", zuckte Dives einmal mit seinen Schultern.


    "Denn so wir nach unserem Tod alle nur in unsere Atome zerfallen, welchen Vorzug hätte da ein sicheres und langes, ein reines aber langweiliges Leben gegenüber einem unvollkommenen Leben, in welchem ich weniger sicher leben und darob womöglich früher sterben würde; in welchem ich große Schmerzen wie jenen durch den Verlust meiner Tochter erfahren, dafür jedoch die lustvollen Freuden des Lebens umso mehr genießen und wertschätzen könnte?", positionierte sich der Iulier nun also doch recht offen gegen Epikur. "Denn die Frage an das Lustkalkül kann doch nicht nur sein, wie sich Unlust möglichst vermeiden lässt. Die Frage an das Lustkalkül muss doch auch lauten, wie man nicht damit auch irgendwann aller Lust verlustig geht, um nur keine Unlust zuzulassen. Beziehungsweise muss wohl auch die Frage erlaubt sein, inwiefern ich zur Empfindung von Lust überhaupt noch imstande bin, kenne ich in der perfekten Utopie einst keinerlei Unlust mehr..."

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  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Bisher hatte der Iulier den Lehrstoff immer recht gut wiedergeben können - hier schien es aber an seine inneren Überzeugungen zu gehen und da reduzierte er Epikur ein wenig. Also musste Chairedemos eingreifen:
    "Iulius, da muss ich intervenieren: Der 14. Lehrsatz ist gut und richtig, aber du solltest ihn nicht isolieren. Denke an den 19. Lehrsatz, ebenso an den 27. Lehrsatz:


    Weder geht es dem wahren Epikureer darum, sich an sein Leben zu klammern, noch in Einsamkeit zu veröden. Es geht schlicht darum, die beschränkte Lebenszeit möglichst angenehm zu gestalten. Und da stellt sich die Frage, womit diese Zeit zu füllen ist, um nachhaltige Lust zu empfinden und dabei möglichst wenig Schmerz."
    Er machte eine kurze Pause.
    "Und zu deinem letzten Einwand möchte ich noch den 4. Lehrsatz zitieren:
    Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer; der Schmerz aber, der die Lust im Fleisch kaum übersteigt, dauert nicht viele Tage lang. Lange andauernde Krankheiten gewähren mehr Lust im Fleisch als Schmerz."

  • Chrysogona hörte zu. Sie wollte antworten, als die Sprache auf ihre Lust am Heilen kam, doch der Iulier kam ihr zuvor. Dann wiederum antwortete der Philosoph. Die Diskrepanz zwischen dem Wunsch der Epikuräer Lust zu empfinden, wie sie selbst es bei der Ausübung ihres Berufes tat und der Berufspolitiker ebenfalls, und der Vorstellung dass ein Schmerz Lust bewirken sollte, wollte ihr nochimmer nicht logisch erscheinen. Sie stemmte also erneut die Hände in die Seiten und zog auf ihrer Stirn ernsthafte senkrechte Falten.
    "Ich sehe sehr wohl die Sinnhaftigkeit darin, die uns verbleibende Lebenszeit lust- und sinnvoll zu nutzen ohne unerfüllbare Begierden oder Verlangen heraufzubeschwören. Das bestätigt sich in der Medizin auch wieder und wieder. Wer maßvoll lebt - und damit meine ich nicht im Überfluss, sondern maßvoll und lustvoll zugleich - der wird auch am Ende seines Lebens, dauere es kurz oder lang, mit ruhigem Herzen zurückblicken. Doch der 4. Lehrsatz wird meine Zustimmung nicht finden. Wir haben längst über ihn diskutiert, ich bin mir der Lehrmeinung durchaus bewusst, doch teile ich sie keinesfalls."


    Die Medica war gespannt, ob der Lehrer ihre festgefahrene Meinung noch einmal ins Wanken bringen konnte.

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Zuerst wandte der Philosoph sich der Plinierin zu, die wieder einen Faden aufgriff, der so noch gar nicht weit gesponnen worden war - zumindest konnte er sich nicht daran erinnern, dass sie klar gegen ihn Position bezogen hatte. Dafür war aber jetzt, am Ende des Kurses, die Zeit gekommen:
    "Das, was du maßvoll und lustvoll nennst, ist das, was Epikur im 5. Lehrsatz subsummiert, sehr richtig.
    Doch was stört dich am 4. Lehrsatz des Epikur? Kannst du als Ärztin nicht bestätigen, dass der, der ein langwieriges Leiden hat, auch stets Momente der Linderung hat? Dass ihn kleine Freuden des Alltags nicht immer wieder seinen Schmerz vergessen lassen?
    Wenn wir uns von der Vorstellung verabschieden, einen Anspruch auf Gesundheit und Wohlbefinden zu haben - denn wer könnte uns diesen gewähren? - dann werden wir empfänglich für die kleinen Lüste des Alltags, die nicht nur der gesunde Mensch, sondern ebenso der Kranke erleben darf."


    Dann war wieder der Iulier an der Reihe, dem gegenüber er unbedingt noch etwas anfügen musste - zumal dieser vor einiger Zeit noch so sehr für die Familie argumentiert hatte:
    "Möchtest du sagen, der Verlust deiner Tochter hätte dir in gewisser Weise Lust bereitet?"

  • Der Iulier versuchte über die Worte des Praetoniers nachzudenken, während sodann die Plinierin eigene Argumente gegen die epikureische Lehre anbrachte und sich damit inhaltlich zu Dives gesellte, der wohl ebenfalls deutlich gemacht hatte, dass aus ihm in nächster Zukunft gewiss kein Epikuraeer erwachsen würde. Als im Anschluss daran der Praetonius neuerlich das Wort an den Senator richtete, glaubte letzterer, sich wohl verhören zu müssen.
    "Wahrlich, mir wurde bereits viel unterstellt im Verlaufe meines politischen Lebens. Eine solche Ungeheuerlichkeit - dass mir das tragische Ableben einer Verwandten, die dazu gar meine Tochter und eine vestalische Jungfrau war, Lust bereitet hätte -, etwas Derartiges hört selbst ein iulischer Senator nicht alle Tage.", zeigte sich Dives alles andere als erfreut über den zwischen den Zeilen an ihn gerichteten Vorwurf. "Denn mit nicht einem einzigen Wort, mit keiner Silbe und nicht einmal einem Gedanken habe ich mich JE in einer derartig abscheulichen Weise über meine Tochter geäußert!", trat er dem Vorwurf mit aller Entschiedenheit entgegen.


    "Was ich indes sagte, war nicht mehr, als dass uns wohl selbst der größte Schmerz ob des Verlustes einer geliebten Person, am Ende des Tages dahin führt, unsere eigene Lebensweise zu hinterfragen. Wir fragen uns, was der Sinn des Lebens meiner Tochter war. Wir fragen uns, was der Sinn unseres eigenen Lebens ist. Und wir beginnen zu begreifen.", kehrte Dives anschließend zum Inhaltlichen zurück. "Wir beginnen zu begreifen, dass ein jedes Licht auch Schatten wirft. Wir beginnen zu begreifen, dass wir für jeden Gewinn auch irgendwann mit einem Verlust bezahlen müssen. Wir beginnen zu begreifen, dass Lust und Unlust nicht unabhängig von einander existieren, sondern im Gegenteil gar stets Hand in Hand uns begegnen und einander bedingen.", erklärte der Iulier seine Sicht auf die Dinge, die zwar gewiss von jener des Epikur stark abwich, die allerdings dennoch - auf die eine oder andere Weise - auch ein Produkt der Teilnahme an diesem Philosophenzirkel war.


    "So wird es wohl keinem Arzt und keiner Ärztin je gelingen, ALLE eigenen Patienten zu heilen. Stattdessen wird die Lust ob der erfolgreichen Behandlungen stets auch von dem Schmerz der erfolglosen begleitet werden. Und auch in der Politik wird gewiss nicht jedes eigene Vorhaben eine Mehrheit finden. Stattdessen wird auch hier die Lust ob der Erfolge für die Allgemeinheit stets auch von der Unlust ob der eigenen Misserfolge oder halbherzigen Kompromisse begleitet werden.", führte Dives exemplarisch an. "Ja, selbst als derjenige, der zu einem Philosophenzirkel einlädt, wird man wohl nicht immer die reine Lust empfinden ob der durch die teilnehmenden Gäste geteilen Ansichten. Stattdessen wird es wohl auch immer wieder solche Gäste geben, die zu einer latenten Unlust führen, da entweder sie nicht deine oder du nicht ihre Sichtweisen und Perspektiven anzunehmen gewillt bist.", stellte der Senator möglichst wertneutral dar.


    "Aus genau diesem Grunde nun, da uns die Lust bei allem, was wir tun, nie ohne ihren unlustvollen Zwilling begegnet, ziehe ich den 14. Lehrsatz des Epikur zwar rein inhaltlich nicht in Zweifel. Ich zweifle jedoch daran, dass er uns dabei hilft, unsere - mit deinen Worten - beschränkte Lebenszeit möglichst angenehm zu gestalten.", strich er durch eine kleine Zäsur heraus. "Denn ein Rückzug vor den Leuten mag unsere Sicherheit erhöhen, wie eine erhöhte Sicherheit die Wahrscheinlichkeit von Unlust reduziert." Dies war die Hälfte, die in der Form den 14. Lehrsatz darstellte. "Wo jedoch kein Schatten ist, gibt es auch kein Licht, sodass ein Rückzug vor den Leuten also nicht nur zu weniger Unlust führt, sondern zugleich auch eine verminderte Chance auf Lust zu Folge hat.", folgerte Dives anschließend auch die in seinen Augen zweite Hälfte, die nicht im Lehrsatz enthalten war.

    ir-senator.png Iulia2.png

    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Zitat

    Original von Lucius Praetonius Cheiredemos: "Das, was du maßvoll und lustvoll nennst, ist das, was Epikur im 5. Lehrsatz subsummiert, sehr richtig.
    Doch was stört dich am 4. Lehrsatz des Epikur? Kannst du als Ärztin nicht bestätigen, dass der, der ein langwieriges Leiden hat, auch stets Momente der Linderung hat? Dass ihn kleine Freuden des Alltags nicht immer wieder seinen Schmerz vergessen lassen?
    Wenn wir uns von der Vorstellung verabschieden, einen Anspruch auf Gesundheit und Wohlbefinden zu haben - denn wer könnte uns diesen gewähren? - dann werden wir empfänglich für die kleinen Lüste des Alltags, die nicht nur der gesunde Mensch, sondern ebenso der Kranke erleben darf."


    Chrysogona überlegte kurz. "Du hast natürlich recht, werter Praetorius Cheiredemos. Jeder ernsthaft und chronisch Kranke freut sich über kleine Verbesserungen seines Zustandes und sicherlich erfreut er sich ab und an seines Lebens, doch dass langandauernde Krankheiten mehr Lust im Fleisch erzeugen als Schmerz, dem kann ich so nicht zustimmen. Selbst wenn wir keinen Anspruch auf Gesundheit haben - und natürlich haben wir den nicht - so ist es doch meine Aufgabe, dasjenige dafür zu tun, dass man den Schmerz lindert und dem Leidenden dazu verhilft möglichst oft Lust und Freude zu empfinden. Ich kann einem chronischen Leiden nicht viel Positives abgewinnen, außer vielleicht, dass sich ein Schwerkranker umso mehr über Augenblicke der Schmerzfreiheit freuen kann, als ein Gesunder."


    Iulius Dives schien es ähnlich zu sehen und er spielte in seiner Antwort auch auf ihre ärztliche Kunst an. "Ich pflichte Iulius Dives bei. Es wird nie Lust ohne Unlust oder Schmerz geben. In meiner Profession genauso wie in jeder anderen und im Privatleben mit Sicherheit auch. Das Schicksal haben uns die Götter so auferlegt. Ein Rückzug ist weder die Lösung noch ein Aufbegehren gegen dieses Los. Ich halte es da eher mit dem stoischen Prinzip. Man muss das, was die Götter einem geben, mit Gleichmut ertragen und Kraft und Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit daraus zu entwickeln."

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Die Empörung des Iuliers kam bei Chairedemos an, doch hatte er eben diese Provokation bezweckt - denn im Grunde argumentierte ja er damit, dass der Tod seiner Tochter für ihn nützlich gewesen war!
    Da Chrysogona aber als letzte gesprochen hatte und implizit auch den vermutlichen Ausgangspunkt des Iuliers konkret benannte, setzte der Philosoph hier an:
    "Die Götter, natürlich!"
    Er strich sich nachdenklich über das glatt rasierte Kinn.
    "Sie sind der Grund, warum mein Kurs mit der Physik und der Theologie begann, und nicht mit der Ethik! Denn wenn wir Götter postulieren, die nichts besseres zu tun haben, als den Menschen Leid zuzufügen, indem sie uns immer in dem Maße, in dem wir Lust empfinden, mit Unlust zu strafen, dann können wir die Philosophie samt der Vernunft schlicht beenden."
    Ob er diese Einsicht bei den Stoikern sah, ließ er offen. Statt der Polemik wollte er nämlich noch einen Versuch unternehmen, seine Schüler ein wenig voranzubringen.
    "Epikur lehrt uns nicht, das chronische Leiden zu suchen - im Gegenteil! Alles, was uns der 14. Lehrsatz sagen will, ist, dass wir keineswegs verzweifeln müssen, wenn wir an einer solchen Krankheit erkranken, denn auch in ihr lässt sich Lust gewinnen."


    Nun war Dives an der Reihe, der die Meinung der Plinierin ja weitgehend teilte:
    "Nun zu dir, Iulius: Du bist der Meinung, dass jede Lust ihre Grenzen in der Unlust hat, sie nicht voll zu erreichen, was du aus der Einsicht schließt, dass das, was dir Lust bereitet, so unendlich ist, dass es niemals ganz zu erreichen ist."
    Er hob mahnend den Zeigefinger.
    "Deshalb mahnt Epikur uns, unsere Begierden zu prüfen. Ziehe ich meine Lust aus der Begierde, Macht auszuüben und politischen Einfluss zu gewinnen, so werde ich zwangsläufig an meine Grenzen stoßen. Ist meine Begierde, die Welt zu retten, indem ich jeden Kranken heile, dann wird auch das letztlich zur Enttäuschung führen.
    Aber diese Begierden sind nicht anders als die eines Armen nach Feigen - er wird sie nicht immer bekommen können.


    Epikur mahnt uns zur Einfachheit, zur Verfolgung jener Begierden, die wir leicht erfüllen können, und zur Abtötung derjenigen, die so grenzenlos sind, dass sie am Ende zur Frustration führen müssen. Denn dem Weisen wird ein Stück Brot genauso viel Lust bereiten wie eine Feige. Oder die akademische Diskussion unter Freunden wie die Debatte im Senat. Nur, dass er sich vor dem Scheitern nicht fürchten muss, da es letztlich um nichts für ihn geht als um den sportlichen Wettkampf.


    Du magst es als Streben nach Sicherheit verachten, doch wenn wir diesem Argument folgen wollten, dann wäre die größte Lust ja in völliger Unsicherheit zu finden. Dann solltest du wohl besser die Mauern deines Hauses einreißen und deine Klientenscharen entlassen, um den Nervenkitzel zu erhalten, ohne jede Sicherheit die Lust zu spüren."
    Er legte erwartungsvoll den Kopf schief - sein Beispiel war natürlich absurd!
    "Oder wo wäre für euch das vernünftige Maß an Sicherheit, das der Lust den Raum lässt und gleichzeitig hinreichend Unlust vermeidet? Und warum?"

  • Zitat

    Original von Lucius Praetonius Chairedemos: "Die Götter, natürlich!"
    Er strich sich nachdenklich über das glatt rasierte Kinn.
    "Sie sind der Grund, warum mein Kurs mit der Physik und der Theologie begann, und nicht mit der Ethik! Denn wenn wir Götter postulieren, die nichts besseres zu tun haben, als den Menschen Leid zuzufügen, indem sie uns immer in dem Maße, in dem wir Lust empfinden, mit Unlust zu strafen, dann können wir die Philosophie samt der Vernunft schlicht beenden."
    Ob er diese Einsicht bei den Stoikern sah, ließ er offen. Statt der Polemik wollte er nämlich noch einen Versuch unternehmen, seine Schüler ein wenig voranzubringen.
    "Epikur lehrt uns nicht, das chronische Leiden zu suchen - im Gegenteil! Alles, was uns der 14. Lehrsatz sagen will, ist, dass wir keineswegs verzweifeln müssen, wenn wir an einer solchen Krankheit erkranken, denn auch in ihr lässt sich Lust gewinnen."


    Nun schnaubte die Medica empört auf. Dieser Philosophie-Lehrer erdreistete sich die Götter zu negieren? Es bedurfte einem Höchstmaß an Selbstbeherrschung für Chrysogona nicht aus der Haut zu fahren. Für nicht weniger als das in Frage stellen der Götter hatte Sokrates den Schierlingsbecher trinken müssen. Weder Platon noch Aristoteles negierten das Wirken der Götter! Wie konnte er behaupten, dass Philosophie und Vernunft nur ohne das Bestehen einer göttlichen Ordung denkbar seien! Unerhört! Die Plinia atmete dreimal tief durch, dann antwortete sie.
    "Mit Verlaub, Praetonius Chairedemos, was du eben formuliert hast, ist nicht richtig. Weder haben die Götter nichts Besseres zu tun als uns in demselben Maße, in dem wir Lust empfinden, mit Unlust zu bestrafen, noch ist eine Philosophie ohne die göttliche Ordnung undenkbar. Ganz im Gegenteil. Die meisten philosophischen Strömungen schließen das Wirken der Götter als Grundlage des Seins ein. Die Vorsokratiker, ebenso wie zumindest Sokrates Schüler Platon, wenn nicht gar Sokrates selbst, denn so eindeutig ist seine Haltung zu den Göttern nicht. Dann auch die Stoiker und Aristoteles und nicht zuletzt sogar die Pythagoreer - alle sehen das göttliche Wirken als Ursprung der Welt und des menschlichen Handelns und somit als Grundlage ihrer Philosophie."


    Chrysogona holte erneut tief Luft. "Und dass uns die Götter nicht jede Lust mit Unlust vergelten, sollten wir alle positiv beantworten können. Nicht wahr?" Sie sah den Iunier fragend an. Wenngleich ihn der Tod seiner Tochter schwer getroffen hatte, war Fortuna doch alles in allem nicht ungerecht zu ihm gewesen und hatte ihn bis in den Senat befördert und ihm ein Weib und Kinder geschenkt. Würde er ihr beipflichten? Sie selbst sah sich als gutes Beispiel für das postitive Wirken der Götter, wenn man seinen Dienst in die Erhaltung der göttlichen Schöpfung "Mensch" investierte. Wobei auch sie ganz in Epikurs Sinne ihre eigene Lust dabei nicht aus dem Auge verlor.

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Nun hatte Chairedemos auch die Medica aus der Reserve gelockt - das konnte man deutlich sehen. Aber auch diese Reaktion quittierte er mit einem wissenden Lächeln, da doch nur die Differenz zu einer wahrhaft fruchtbaren Diskussion führen konnte.
    "Nun, wie dir hoffentlich bewusst ist, bin ich weder ein Stoiker, noch ein Peripathetiker oder ein Pythagoreer. Und das hat gute Gründe, denn Epikurs Lehre erscheint mir nach wie vor als die plausibelste von allen, sonst würde ich mich womöglich wie unser Iulius hier sofort in die Politik stürzen oder ähnliches tun."
    Er legte nachdenklich die Handflächen aufeinander und atmete tief durch.
    "Die Beurteilung der Götter ist einer der Gründe. Natürlich ist es möglich, sie zum Ursprung der Welt und des menschlichen Handelns zu erklären. Aber wir müssen doch zugeben, niemand von uns beim Beginn dieser Welt anwesend war - und ich möchte behaupten, dass dies selbst für den verehrten Platon und seine Nachfolger gilt - oder auch nur etwas erlebt hat, was in irgendeiner Weise damit in Analogie zu setzen wäre. Darüber hinaus konnte mir auch noch niemand überzeugend erklären, die Götter hätten ihm etwas über den Ursprung der Welt verraten.
    Angesichts dessen kommt mir die Behauptung über die Götter als Ursprung der Welt oder der menschlichen Ordnung doch recht spekulativ vor.


    Ich persönlich halte es allerdings auch für unerheblich, wer nun genau an der Wiege dieser Welt stand. Vielmehr interessiert mich - und das ist wieder ein Grund, warum ich eben zum Epikureer wurde - wie ich mein Leben gestalten soll, um es gut zu führen. Die Götter können hier im Grunde zwei Rollen spielen:
    Entweder fürchte ich mich vor ihnen, weil ich glaube, dass sie wie ein übermächtiger Herrscher über mein Verhalten wachen und mich bestrafen, wenn ich nicht nach ihrer Pfeife tanze. Von dieser Vorstellung haben sich, wie ich meine, alle Philosophen verabschiedet, denn es gibt keinen rationalen Beweis, dass sie so handeln.
    Die zweite Möglichkeit ist die, die eigene Ethik dadurch abzusichern, dass man sie als übernatürlich - also durch die Götter - eingesetzt erklärt. Das ist meines Erachtens im großen und ganzen die Bedeutung, die Aristoteles oder die Stoa ihnen zuweist: Die übernatürliche Absicherung der eigenen Grundannahmen, die im Einzelnen ja durchaus unterschiedlich sind. Wenn ich mich nun frage, welche davon tatsächlich der Wahrheit entsprechen, komme ich aber mit der Vernunft offensichtlich nicht weiter, sonst wären so kluge und vernünftige Menschen wie Pythagoras, Zenon und Konsorten ja nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Dann aber erscheint auch diese Form der Einbeziehung der Götter in die Philosophie vom Standpunkt des kritischen Vernunftmenschen, der der wahre Philosoph ja sein möchte, fragwürdig. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Götter meiner Wahrnehmung nach in allen philosophischen Systemen nicht am Anfang, sondern am Ende der eigenen Theorien stehen."

    So weit zu den Göttern und der Philosophie - einem Thema, das wohl jeder Epikureer schon hunderte Male diskutiert hatte.
    "Selbst wenn wir aber unterstellen wollen, dass die Götter sich bei der Erschaffung der Welt irgendetwas gedacht haben, müssen wir uns fragen, woher wir das wissen: Wie du sehr richtig sagst, wird nicht jede Lust mit Unlust vergolten. Das stellt aber die Annahme, die Götter hätten neben jede Lust den Schmerz gesetzt, fundamental infrage. Die Logik würde sagen, diese empirische Wahrnehmung falsifiziert die Annahme."
    Zumindest, wenn es keine Zusatzregel gab, die die Ausnahme von der Regel einschloss.
    "Genauso ist es mit dem Schicksal: Woher weiß ich, welches Schicksal mir die Götter auferlegt haben? Ist unser geschätzter Iulius hier Politiker geworden, weil es sein Schicksal ist oder ist es sein Schicksal, weil er es tut?
    Wenn letzteres der Fall ist, kann ich mich gar nicht in mein Schicksal fügen und es kann auch eigentlich nicht von den Göttern zugeteilt sein - es sei denn, ich nehme an, nicht Herr meiner Entscheidungen zu sein, sondern eine Marionette der Götter."

    Er machte eine wegwerfende Handbewegung, um die Müßigkeit dieses Gedankenganges anzudeuten, denn damit erübrigte sich ja jede ethische Reflexion.
    "Im anderen Fall werde ich mich aber fragen müssen, ob ich mit meinem frei gewählten Lebensweg richtig liege? Denn wenn unser Iulius nun morgen entscheidet, die Politik an den Nagel zu hängen und sein Redetalent lieber in einem Philosophenzirkel zu nutzen, dann muss er sich ja doch fragen, ob er seinen vorbestimmten Weg gerade verlassen oder erst wirklich gefunden hat.
    Und vielleicht wird er sich fragen, warum die Götter ihm das nicht klar mitteilen, sondern ihn in Unklarheit lassen, ihm die Möglichkeit geben, sich unwissend zu quälen, indem er gegen seine Bestimmung kämpft."

    Der Praetonier zuckte mit den Schultern.
    "So geht es mir zumindest mit allen Spekulationen über göttliche Vorsehung, Bestimmung und Ordnung. Am Ende kann ich nie sicher sein, was sie konkret für mein Leben bedeutet."

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