Ratlos saß Manius Minor inmitten seines neuen Officium, welches Manius Maior ihm zur Präparation seiner Kandidatur hatte überlassen, in weiser Antizipation eines Reüssierens bei den Wahlen unweit des Atrium gelegen, um dortig im folgenden Amtsjahr residieren und Bittsteller empfangen zu können. Vor den Erfolg hatte die Mos Maiorum indessen die Mühe gesetzt und obschon seit Tiberius' Zeiten das Volk nicht mehr an der Amtsbesetzung partizipierte, bedurfte es noch immer eines engagierten Wahlkampfes, um auch nur zum Vigintivirat erkoren zu werden. In jener Situation also sah sich der junge Flavius an jenem Morgen, einen Becher Weines und einen Opiums auf dem Beistelltischlein zu seiner Rechten, seinen Patrokolos zur Linken parat, um eine Strategie zu ersinnen, welche ihm gestattete seinen Vater zu saturieren und die erste Stufe jener Treppe, die zu erklimmen ihm als gänzlich müßiges Unterfangen erschien, zu erreichen.
"Um welches Amt möchtest du dich nun bewerben, Domine?"
, fragte der Diener und der melancholische Herr erwiderte:
"Auf keines, Patrokolos."
Patrokolos seufzte.
"Wir sind es bereits unzählige Male durchgegangen: Du hast dich entschlossen, deinem Vater zu gehorchen, jetzt musst du die Konsequenzen tragen. Wir waren doch überein gekommen, dass sie weitaus besser sind als die Alternative."
In der Tat hatten die beiden lange Zeit das Schicksal des Jünglings disputiert, hatte Manius Minor sein Schicksal beklagt und Patrokolos sich gemüht, die Depression seines Herrn zu mindern, indem er die Alternativlosigkeit seines Entschlusses in schillerndsten Farben hatte präsentiert. Auch nun, obschon bereits vielfach bemüht, rekurrierte er auf jene Taktik:
"Du musst dich mit deinem Schicksal arrangieren, so sehr es dir jetzt Schmerz bereiten mag. Denk an Horatius, den Dichter, der ebenfalls dieses Amt bekleidete und doch seiner Philosophie treu blieb."
In der Tat hatten die beiden erkannt, dass Epikurs Lehre durchaus auch populäre Römer in ihren Bann hatte gezogen, welche deshalb mitnichten gänzlich politisch abstinent waren geblieben, obschon Horatius Flaccus nach dem Vigintivirat seine Karriere beendet hatte.
"Welchen Nutzen bringt mir mein kleinmütiges Parieren? Nur neue Dependenzen, neuen Schmerz..."
Gedankenverloren fixierte der Jüngling das ihm verschwommen erscheinende Muster des Bodens.
"Es bereitet dir die Option, dein Leben in anderer Weise zu genießen. Betrachte dein politisches Engagement als notwendiges Übel. Da du dein Glück nicht daran hängst, wird es dir wohl kaum schaden. Und sobald dein Vater verstorben ist, wirst du alle Freiheit der Welt genießen!"
Manius Minor seufzte. Patrokolos' Worte entbehrten mitnichten einer gewissen Logik, hatten ihn bisweilen in den vergangenen Tagen durchaus getröstet. Dennoch blieb der schale Geschmack des Verrates, der Inkonsequenz und der Imperfektion in seinem Streben nach vollkommener hedone. Er schwieg daher zu jener Adhortation, ehe Patrokolos seine Frage repetierte:
"Welches Amt also, Domine? Wenn die Senatoren dich fragen, musst du antworten, sonst fliegt dein Unwille sofort auf!"
Auch jene Worte leuchteten dem Jüngling immediat ein, da doch der Tradition gemäß jeder Candidatus eine Präferenz zu nennen, ja bisweilen seine Eignung für jenes spezifische Amt explizit zu illustrieren pflegte, obschon zuletzt selbstredend die Entscheidung dem Senat allein oblag, wer an welchen Platz war zu setzen.
Gedankenverloren massierte er folglich seine Lippen, die einzelnen Ämter nochmalig reflektierend: Primär kam ihm jene Funktion in den Sinn, welche sein Vater, nicht nur aufgrund der nominellen Kongruenz ein Modell in sämtlichen öffentlichen Angelegenheiten, vor ihm hatte bekleidet:
Die Decemviri litibus iudicandis waren angesehene Amtsträger, was sie dem jungen Flavius, der getreu Epikurs Lehren weder dem Ansehen, noch dem Umgang mit Vermögenswerten etwas mochte abgewinnen, nicht per se attraktiv machten, zumal die Materie ihrer Tätigkeit eine überaus trockene war, welche er bereits seit den ersten vorsichtigen Schritten mit Onkel Piso als kaum sonderlich inspirierend erachtete.
In similärer Weise war auch die Straßenreinigung, das Metier der Quattuorviri viis in urbe purgandis, zu ponderieren. Kein Flavius hatte jemals dieses Amt bekleidet, zumal es zu jenen von geringerer Reputation zählte, dazu versprach eine Befassung mit Exkrementen und den Restanten anderer Leute kaum einen Gewinn von Lust.
Mehr Aufregung offerierten hingegen die Obliegenheiten der Triumviri capitales, welche immerhin mit Kriminellen sämtlicher Coleur waren befasst, dazu Kontakte zu den Cohortes Urbanae wie den Praetoren pflegten. Dessenungeachtet erweckte dieses Amt Remineszenzen an den 14. Lehrsatz Epikurs, der da mahnte: Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten. Das Amt der Capitales war somit durchaus von Nutzen, zugleich verhieß die Verantwortung für den Vollzug capitaler Strafen wohl durchaus die diffuse Gefahr, von den Anverwandten und Freunden der Delinquenten die Verantwortung für das Verdikt selbst zur Last gelegt zu bekommen, similär wie gleichsam der Bote schlechter Novitäten häufig den Zorn des Rezipienten erntete.
Blieben die Triumviri aere argento auro flando feriundo, welchen wiederum höheres Ansehen zukam, denen dafür jedoch ebenfalls das allzu technische Verfahren der Münzprägung oblag. Mochte es durchaus als kreativer Akt gelten, Münzbilder zur Verherrlichung des Kaiserhauses und politischer Heroismen zu erdenken, so blieb doch auch hier dem Epikureer die Insekurität einer allzu tiefen Verstrickung in die Spiele um Macht und Einfluss, welche gerade der direkte Kontakt mit dem Imperator (was dem Amt zweifelsohne seine Reputation verlieh) implizierte.
"Nun?"
, erweckte Patrokolos seinen Herrn aus den Gedanken.
"Ich weiß nicht, ich vermag keinem der Ämter einen definitiven Vorzug zu geben. Jedes hat sein Für und Wider, zuletzt stoßen sämtliche mich gleichermaßen ab."
"Du musst dich dennoch entscheiden."
Der junge Flavius schlug enerviert mit den flachen Händen auf die Lehnen seines Stuhles.
"Es erscheint mir gänzlich arbiträr, Patrokolos!"
Die Verbalisierung des Wörtleins "arbiträr" genügte jedoch, ihm just in jenem Momente einen Ausweg aus der diffizilen Lage zu weisen, denn sofortig memorierte er das Glücksspiel, dem er im Kreise seiner Myrmidonen immer wieder hatte gefrönt, um geleitet von Fortunas Willen (respektive dem schnöden Zufall, wollte man Epikurs Lehre gerecht bleiben) gewisse Geldbestände der reichen Jünglinge umzuverteilen, wobei insonderheit Dionysios für seine gewaltigen Auslagen nicht selten war entschädigt worden.
"Hole mir meine Astragaloi! Wir werden würfeln, welches Amt ich nennen werde!"
Selbstredend verfügte Manius Minor seit frühester Kindheit über güldene Kopien vierer Hammelsprungbeine, mit denen Hellenen und Quiriten gleichermaßen Geschicklichkeits- und Glücksspiele zu treiben pflegten. Zwar hatte er sie in Alexandreia nicht bei sich gehabt, doch mussten sie, wie er vermutete, noch immer in seiner alten Camera Ludi verwahrt sein, so Titus sie nicht mit in sein neuerliches Exil mochte genommen hatte. Selbst in diesem Fall würde es Patrokolos indessen ein Leichtes sein, similäre Varianten jener so verbreiteten Spielgeräte zu beschaffen.
Tatsächlich hatte der Sklave augenscheinlich kapituliert, denn mit einem resignativen
"Gut."
, ging er von dannen und ließ seinen Herrn zurück.