Amnestie für Tiberius Durus und Vinicius Lucianus

  • Es war lange her, dass der Senat Kandidaten für das Ulpianum nominiert hatte. Das Consilium Ulpianum hatte darüber getagt und dabei einige Probleme festgestellt, die es nötig machten, einige Namen noch einmal aufs Tablet zu bringen. Dies übernahm der Kaiser selbst, weshalb er sich wie ein normaler Senator auch auf die Rednerliste setzen ließ.
    "Verehrte Senatoren," begann er nach seinem Aufruf (natürlich als erster an diesem Sitzungstag) die Rede. "Mein Anliegen heute betrifft das Ulpianum, über das nun seit Jahrzehnten verhandelt wird. Als Vermächtnis des Divus Iulianus möchte ich dieses Projekt zeitnah zu einem Ende bringen. Vor vielen Jahren hat der Senat dem Consilium Ulpianum eine Zahl von Kandidaten vorgelegt, die sie für die Aufnahme in das Ulpianum als würdig erachtet.


    Das Consilium Ulpianum hat diese Vorschläge nun diskutiert und aus ihrer Liste einige Namen auserwählt, andere nicht. Bei zwei Namen kam es jedoch zu Unklarheiten, die nur ihr als gesammelte Weisheit des Staatswesens entscheiden könnt. Es geht um die beiden Kandidaten Marcus Vinicius Lucianus und Manius Tiberius Durus. Wie ihr alle wisst, wurden die beiden ANTE DIEM XV KAL SEP DCCCLXIV A.U.C. (18.8.2014/111 n.Chr.) vom Senat mit einer Mehrheit der Stimmen nominiert. Schon in der vorhergehenden Debatte hatte man es für nicht notwendig erachtet, ihrer Verdienste um den Staat explizit zu nennen und sie sind es auch nicht, die das Problem des Consilium Ulpianum darstellen."
    Er strich sich nachdenklich durch den Bart. "Unser Problem war vielmehr § 1, Absatz zwei der Richtlinien des Ulpianum: 'Ein Anwärter auf die Aufnahme in die Ehrengedenkhalle darf nicht seine Würde als Römischer Bürger, durch Begehung einer nach dem Codex Iuridicialis untersagten Tat, verloren haben.'
    Diese Richtlinie wurde bei der Nominierung der Kandidaten des Senats unglücklicherweise nicht bedacht. Denn Vinicius Lucianus wurde ANTE DIEM XIV KAL DEC DCCCLXII A.U.C. (18.11.2012/109 n.Chr.) formal rechtskräftig wegen Hochverrats verurteilt. Manius Tiberius Durus entging einem solchen Urteil, da er den Freitod wählte, allerdings wurde er in den Acta Diurna ANTE DIEM V ID DEC DCCCLXII A.U.C. (9.12.2012/109 n.Chr.) unwidersprochen desselben Verbrechens bezichtigt. Die Aussage stammte vom Praefectus Praetorio persönlich und meines Wissens nach belasten die Beweise, die dieser aufbringen konnte, Tiberius Durus genauso wie Vinicius.
    Der Princeps Cornelius hob nun die Proskriptionen vermeintlicher weiterer Verräter auf, allerdings äußerte er sich weder zu der gerichtlichen Verurteilung von Consular Vinicius, noch zu den Anschuldigungen gegen Consular Tiberius."

    Severus blickte fragend in die Runde. "Formaljuristisch ließe sich nun feststellen, dass gegen Manius Tiberius Durus keine Verurteilung vorliegt und er somit ins Ulpianum aufgenommen werden könnte, die Verurteilung von Marcus Vinicius Lucianus dagegen nicht aufgehoben wurde und damit von vornherein die Aufnahme ausgeschlossen ist.
    Wie ihr wisst, habe ich stets die Meinung vertreten, dass die Zwietracht der Vergangenheit ruhen sollte und wir nach vorn blicken, um gemeinsam das Imperium zu gestalten. Hier können wir meines Erachtens jedoch nicht einfach den Blick zurück scheuen: Es geht um die Frage, wessen Statuen junge Römer im Ulpianum als die Vorbilder erblicken werden, die wir ihnen nahelegen wollen. Es geht um zwei große Familien, die Gens Tiberia und die Gens Vinicia, die es angesichts der Leistungen ihrer Ahnen verdient haben, dass dieses Gremium über das Andenken dieser beiden Consulare ein klares Urteil fällt, das sich nicht auf den formaljuristischen Zufall zurückzieht, dass der eine vor jeder Strafverfolgung verstorben ist, der andere nicht."
    Er verstummte kurz, um das Folgende zu unterstreichen: "Es geht also um die Frage der Gerechtigkeit. Meines Erachtens müssen dafür beide, Tiberius Durus und Vinicius Lucianus, mit demselben Maß gemessen werden. Entweder, der Senat erklärt eine Amnestie für beide Consulare, indem er das Urteil gegen Vinicius aufhebt und auch Tiberius Durus für unschuldig erachtet. Oder er bestätigt das Urteil gegen den einen und erachtet Tiberius Durus zukünftig ebenfalls als schuldig, sodass ihm eine Aufnahme in das Ulpianum verschlossen bleibt." Er strich sich wieder durch den Bart, scheinbar war ihm dieser Fall ein wenig unangenehm.
    "Dieses Haus versammelt sowohl ehemalige Parteigänger des Cornelius Palma, als auch solche des Vescularius Salinator. Ich weiß, dass in dieser Angelegenheit Emotionen im Spiel sind. Ich weiß, dass man versucht ist, anhand dieses Falles die alten Fronten wieder aufzubrechen und ihn zu einer Grundsatzentscheidung über die Bewertung der jüngsten Geschichte zu stilisieren." Er hob warnend den Finger. "Genau dies soll jedoch nicht geschehen. Wir alle wissen, dass beide Seiten in jenem grausamen Krieges gute Gründe für ihr Handeln hatten; dass beide Seiten aber auch Fehler gemacht haben. Hier kann und darf es jedoch nur um die beiden Consulare Vinicius und Tiberius gehen. Ich bitte euch daher im Namen des Consilium Ulpianum eure Meinung kundzutun, ob man sie als Hochverräter aus dem Kreis der Kandidaten ausschließen sollte oder nicht." Erwartungsvoll sah der Kaiser in die Augen jedes einzelnen Senators. Er würde keinen Grundsatzstreit über den Bürgerkrieg zulassen, das sagte dieser Blick deutlich aus.

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  • Macer folgte den Ausführungen des Kaisers mit einer großen Portion Ernsthaftigkeit und Konzentration, wie es sowohl das Thema als auch die Stellung des Redners es erforderten. Und es war wahrlich keine leichter Aufgabe, die die Senatoren hier aufgetragen bekamen, fand Macer. Noch dazu machte der Kaiser sie schwieriger, indem er einige Leitlinien aufstellte, die Macer leider gleichermaßen wenig hilfreich und wenig zwingend erschienen. Dass er daher gerne Widerspruch äußern wollte, machte es dann auch nicht leichter, das Wort zu ergreifen.


    Also formulierte er erst einmal eine Weile still im Kopf, bevor er dann doch Anstalten machte, um das Wort zu bitten. "Verehrter Imperator, liebe Kollegen, es ist in meinen Augen ein gleichermaßen wichtiges wie schwieriges Thema, das es hier nun zu diskutieren gilt und ich kann gut verstehen, dass das Consilium Ulpianum dazu an uns heran tritt und dies in Gestalt seines Vorsitzenden und unseres Imperators tut", leitete er seinen Beitrag ein. "Nun bin ich bekanntermaßen kein großer Experte der Juristerei, so dass ich hier wenig formaljuristische Winkelzüge beisteuern kann, die das Problem elegant zu lösen vermögen. Vielmehr möchte ich die Frage stellen, ob wir als Senat denn überhaupt eine Rechtsgrundlage haben, auf der wir eine Aufnahme des Tiberius Durus in das Ulpianum verhindern könnten. Denn wie wir eben hörten, ist jener nicht rechtskräftig verurteilt und ohne eine neuerliche formelle Anklage, über die der Senat als Gericht zu entscheiden hätte, können wir eine solche Verurteilung meines Erachtens auch nicht erwirken", führte er dann aus und enthielt sich bewusst jeglicher Meinungsäußerung dazu, ob er eine solche Anklage für wünschenswert oder erfolgversprechend hält. "Umgekehrt gibt es meines Erachtens jedoch sehr wohl die Möglichkeit, bereits ergangene Urteile zu revidieren und eine neuerliche Entscheidung herbeizuführen, die gegebenenfalls im Falle von Vinicius Lucianus zu seinen Gunsten ausfallen könnte. Aber wie ich schon sagte, bin ich kein Experte auf diesem Gebiet und überlasse daher gerne jenen das Wort, die die Bedingungen für eine solche Aufhebung besser beurteilen können", äußerte er sich dann auch zur zweiten Person und versuchte auch hier, keine persönliche Wertung des bestehenden Urteils einfließen zu lassen. "Es scheint mir daher jedenfalls geraten, die Möglichkeiten in beiden Fällen erst einmal getrennt zu bewerten, auch wenn das Ziel des Imperators, für beide ein identisches Ergebnis in Bezug auf eine potenzielle Aufnahme ins Ulpianum zu erreichen, durchaus naheliegend erscheint", folgerte er dann aus seinen Ausführungen den Punkt, der ihm eigentlich am wichtigsten war.

  • Als Teil beider bisheriger Consilia Ulpiana und als Senator der stadtrömischen Curia Iulia hatte Dives den Tag bereits erwartet, an welchem es zur Thematisierung der Vorwürfe gegen die Consulare Tiberius Durus und Vinicius Lucianus kommen würde. Mit Spannung verfolgte der Iulier daher die heutige Rede des Augustus, bevor er ebenso gespannt die erste Meinungsäußerung, welchem von Consular Purgitius vorgetragen wurde, anhörte. Anschließend dann erbat er sich selbst das Wort.


    "Patres Conscripti! Auch ich möchte zunächst dem erhabenen Princeps meinen Dank aussprechen dafür, dieses schwierige, aber doch keineswegs unwichtige Thema auf die senatliche Tagesordnung gebracht und hier und heute nun angesprochen zu haben.", schloss er sich sodann zunächst den Worten seines direkten Vorredners an. "Denn in der Tat war auch ich als Teil beider bisheriger Consilia Ulpiana stets der Auffassung, dass es nicht Teil unserer Aufgabe war, über eine Schuld oder Unschuld zu entscheiden, wie ich mich an dieser Stelle ausdrücklich hocherfreut zeige, dass auch der Princeps nicht alleinig in den zwei vorgebrachten Fällen eine Entscheidung zu treffen beabsichtigt, sondern hier nun den Senat miteinbezieht und um seine weise Meinung bittet.", baute Dives im Anschluss die lobenden Worte noch etwas aus, um hernach nun vorsichtig etwas Kritik - an beiden seinen Vorrednern - zu üben.


    "Allerdings hörte ich nun zweimal bereits, wie formaljuristisch eine Verurteilung des Consulars Tiberius Durus fehlte und ob es damit überhaupt eine Grundlage dafür gäbe, ihn von einer etwaigen Aufnahme ins Ulpianum auszuschließen." Mit diesen Äußerungen zielten der Aquilier und der Purgitius schließlich beide in die gleiche Richtung. "Dem möchte ich", fuhr Dives nach kurzer Kunstpause fort, "noch einmal die bereits eingangs erwähnte Richtlinie zum Ulpianum entgegenhalten, in welcher es heißt: 'Ein Anwärter auf die Aufnahme in die Ehrengedenkhalle darf nicht seine Würde als Römischer Bürger, durch Begehung einer nach dem Codex Iuridicialis untersagten Tat, verloren haben.'", ließ er einen Moment wirken. "Mit anderen Worten würde ich es im Sinne dieser Richtlinie als durchaus _hinreichend_ betrachten, sollte ein römisches Gericht in einem ordentlichen Prozess einen der Männer für des Hochverrats schuldig befunden haben, wie ich es umgekehrt jedoch für nicht zwingend _notwendig_ erachte, jemanden post mortem zu verurteilen, nur um die zitierte Richtlinie auf seine Person anwenden zu können.", erklärte Dives. "Denn ich lese in der Richtlinie, dass es hier einzig auf begangene Taten, nicht auf rechtskräftige Verurteilungen ankommt.", fasste er zusammen, bevor er eine größere Zäsur folgen ließ.


    "Selbstredend möchte ich mit meinen Worten in keiner Weise die Bedeutung von Urteilen ordentlicher römischer Gerichte herabwürdigen, dienen sie uns doch im Gegenteil gar als eines der zuverlässigsten Indizien dafür, ob oder ob nicht ein Beschuldigter tatsächlich auch der ihm vorgeworfenen Tat schuldig ist. - Die Frage im Falle des Vinicius Lucianus lautet, so denke ich, nur, inwiefern dieser Consular allerdings überhaupt vor einem ordentlichen Gericht stand und nicht nur in einem geheimen, hinter verschlossenen Türen verhandelten Scheinprozess abgeurteilt wurde.", erhoffte sich Dives vor allem von etwaig damals anwesenden Prozessteilnehmern einige Aussagen zur Art der Anklage, zu Umfang und Qualität der Verteidigung, zur Zahl womöglich vernommener Zeugen oder sonstig angeführter Beweise und ähnlichen Details. Denn diese Details letztlich würden es sein, die in den Augen des Iuliers darüber entschieden, wie viel Bedeutung und Gewicht man dem gegen den Vinicius gesprochenen Urteil beimessen konnte.


    "Sollte es sich im Rahmen dieser Debatte herausstellen, dass der Consular Vinicius Lucianus zum Opfer eines Scheinprozesses wurde, so möchte ich im Übrigen betonen, dass ihn dies meiner Ansicht nach aber noch nicht gleich von dem ernsten Vorwurf des Hochverrates befreit. Stattdessen, so meine ich, stünde er dann lediglich auf der selben Stufe wie der Consular Tiberius Durus, gegen dessen Person ebenfalls der Vorwurf des Hochverrates im Raum steht und bei dem wir ebenfalls darüber zu befinden haben, ob oder ob nicht dieser Vorwurf begründet genug ist, ihn im Sinne der Würde-Richtlinie von einer etwaigen Aufnahme ins Ulpianum auszuschließen.", schloss Dives seine allgemeinen Ausführungen zur Sache ab, in denen er unter anderem auch deutlich gemacht hatte, welche Erwartungshaltung an diese Diskussion er hatte: Er wollte den Prozess des Vinicius Lucianus untersucht wissen, bevor er darauf aufbauend die Hochverrats-Vorwürfe selbst etwas näher beleuchtet wissen wollte, sodass sich in Summe letztlich eine Entscheidung für oder gegen eine Amnestie der beiden verblichenen Consulare fällen ließe. - Inwiefern diese seine Erwartungshaltung auch von den anderen Senatoren des stadtrömischen Ältestenrates geteilt wurde oder auch nicht, würde sich im Folgenden selbstredend nun erst noch zeigen...

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  • Bei der Antwort des Iulius Dives zuckte Macer zwischendurch ein wenig zusammen, denn bisher kannte er den Iulier vor allem als kühlen und rationalen Logiker, aber er schien offenbar auch eine andere Seite zu haben, die sich hier nun offenbarte und Macer zu einer schnellen Gegenrede herausforderte.


    "Aber werter Kollege Iulius, es gilt doch wohl in unserem Rechtssystem die Unschuldsvermutung, nach der eine Person solange als unschuldig anzusehen ist, bis ihre Schuld erwiesen wurde", erinnerte er ihn an eines der in seinen Augen wichtigsten Prinzipien des Rechtssystems. "Wie soll also ein gerichtliches Urteil keine notwendige Bedingung sein, wenn alles andere erst einmal nur Behauptungen sind, die eben jener Unschuldsvermutung unterliegen? Dass der Senat oder irgendein anderes Gremium behaupten mag, diese oder jene Person hätte dieses oder jenes Verbrechen begangen, ist eben nicht hinreichend, um dies zu einer Tatsache werden zu lassen, sondern könnte im Gegenteil den Tatbestand einer üblen Nachrede oder Verleumdung erfüllen. Erst und nur wenn nach gerichtlicher Verhandlung und Urteil zweifeslfrei feststeht, dass ein Vorwurf zutreffend ist, gilt nach meinem Rechtsverständnis die Person auch tatsächlich als schuldig und das Verbrechen kann ihr zugeschrieben werden", legte er dann die Folgen dieses Grundsatzes dar. "Eine Ausnahme mag gelten, wenn sich seine Person vor Zeugen aus freien Stücken auch ohne Anwesenheit eines Gerichtes zu einer Tat bekennt, aber das ist der hier zur Rede stehenden Person ja nun offensichtlich nicht mehr möglich", fügte er dann noch hinzu, um auch diesen Teil der gelebten Praxis nicht außer Acht zu lassen, auch wenn er hier nichts zur Sache tat.

  • Der iulische Senator musste ob der Antwort seines Kollegen zunächst unweigerlich ein wenig schmunzeln. In der Tat schließlich war ausgerechnet das genannte Beispiel der üblen Nachrede doch nicht die beste Wahl, wenn es um das Prinzip des 'in dubio pro reo' ging. Denn nicht der Kläger war es hier, sondern der Beklagte war es, der mit einer solchen Anklage konfrontiert in der Pflicht stand, den Wahrheitsgehalt der zugrunde liegenden Aussage zu belegen. Konnte er diesen Wahrheitsbeweis jedoch nicht erbringen, erging ein Urteil auch schon einmal 'in dubio contra reo' - im Zweifel gegen den Angeklagten.


    "In der Tat", meldete sich Dives in der Folge wieder zu Wort, nachdem er sich selbiges hatte neuerlich erteilen lassen, "möchte ich dir in deinen Aussagen gar nicht allzu sehr widersprechen, Consular. Denn im Gegenteil gar kann ich viele deiner Worte - im Allgemeinen - nur bekräftigen und unterstützen. Jedoch...", kündigte er - für diesen speziellen Fall - seinen Widerspruch an und ließ anschließend eine kurze Kunstpause folgen. "... sollten wir einige Fakten nicht außer Acht lassen.", unterstrich er, indem er neuerlich eine Pause einlegte, die er zu einem kleinen Durchatmen nutzte.


    "Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass es hier nicht (!) darum geht, irgendjemanden rechtskräftig zu verurteilen und für eine etwaig begangene Tat gemäß unserer Gesetze zu bestrafen. Die Consulare Tiberius und Vinicius Lucianus sind beide tot (!), was einen jeden Prozess zu einem Theater verkommen ließe, an dessen Ende womöglich die Frage stünde, wie viel 'Person' ein Toter nach seinem Ableben noch ist und wie man im Falle einer Verurteilung das Verdikt an einem Toten vollstrecken sollte.", führte er aus. "Wir sind kein Gericht. Wir verhängen keine Strafen. Wir sprechen an dieser Stelle kein rechtskräftiges Urteil.", fasste er zusammen. "Allerdings sind wir ein politisches Gremium, dem ich sowohl das Recht als auch die Pflicht gegeben sehe, eine eigene Meinung und Haltung zu haben und diese hier auch offen zu vertreten - selbst dann, wenn unser Urteil nicht rechtlich bindend ist.", verteidigte der Iulier seine Ansicht und warf einen kurzen Blick zum Princeps, der seinerseits jedoch durchaus die Macht und Mittel besaß, dem Urteil seines Senates zu folgen und ein bereits ergangenes Urteil aufzuheben oder umgekehrt höchstrichterlich die Schuld eines bereits verblichenen Römers festzustellen.


    "Aus exakt diesem Grund nun verweise ich auch noch einmal auf die Richtlinie zum Ulpianum, in der es heißt: 'Ein Anwärter auf die Aufnahme in die Ehrengedenkhalle darf nicht seine Würde als Römischer Bürger, durch Begehung einer nach dem Codex Iuridicialis untersagten Tat, verloren haben.'", wiederholte der Senator diesen Satz ein weiteres Mal. "Aus dieser Richtlinie erkenne ich keine Notwendigkeit, eine etwaige Schuld auch gerichtlich feststellen zu müssen, wie darüber hinaus auch der Consular Purgitius am Ende seiner Ausführungen zugeben musste, dass es - im Gegensatz zur Verhängung etwaiger Strafen - kein alleiniges (!) Privileg der Gerichte ist, eine Schuld zu erkennen und diese Erkenntnis anschließend auch kundzutun.", schlug Dives den Bogen und fand zurück zu den vorherigen Worten des Purgitiers. "Daher kann ich nur appellieren, dass sich der Senat hier nicht versteckt hinter formaljuristischen Problemstellungen und einem gerichtlichen Urteil, das vielleicht nur so fair und gerecht war, wie es sich bei Hannibal um einen patriotischen Römer handelte.", flammte für einen kurzen Augenblick bereits auf, welchen Standpunkt zum Prozess gegen den Bruder seines Patrons der Iulier derzeitig zu vertreten gewillt war. "Ich denke, das sind wir dem Divus Iulianus und den Verfassern der Richtlinien zum Ulpianum schuldig.", schloss er und setzte sich wieder.

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  • "Ich teile in gewisser Weise die Meinung von Senator Iulius." erklärte der Kaiser. Abgesehen davon konnte der Senat ja durchaus auch als Gericht fungieren, sodass es auch rechtlich bindende Urteile fällen konnte. "Es bestünde natürlich die Möglichkeit, eine Feststellungsklage einzureichen zu dieser Frage. Dann müssten die Cohortes Praetoriae erneut ermitteln und ihre Ergebnisse vor den Richtern präsentieren." Er machte eine kurze Pause. Es war klar, dass in diesem Fall leicht auch weitere Personen, die in die vermeintliche Verschwörung verstrickt gewesen waren, Probleme bekommen konnten. Das war aber nicht im Interesse des Kaisers, der ja einen Schlussstrich unter den Bürgerkrieg ziehen wollte. "Wenn dies der Wunsch einer klaren Mehrheit des Senates ist, werden wir dies mit einem Iudicium Senatus durchführen." Er lächelte gequält.
    "Ich bin jedoch der Meinung, dass diese Angelegenheit in erster Linie eine politische ist. Deshalb befrage ich euch, was zu tun wäre. Wir können das ganze entweder durch ein Aufrollen der Geschichte lösen, oder, etwa in Anbetracht der Tatsache, dass die Wahrheit dieser so lange zurückliegenden und heiklen Situation nach Billigkeit entscheiden, indem wir die beiden entweder vorsorglich ausschließen oder eben nicht."

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  • Nachdem der Kaiser gesprichen hatte, ließ sich Macer erneut das Wort erteilen. "Gerade weil es sich in dieser Angelegenheit um eine äußerst heikle Sache handelt, halte ich es für geradezu fahrlässig und auch der Würde und Tragweit der Entscheidung nicht angemessen, hier schlicht nach Billigkeit zu entscheiden und gegebenenfalls eine 'vorsorgliche' Entscheidung treffen", begann er mit einem Gegenargument, das er jedoch gleich mit einer Zustimmung zu begründen dacht. "Denn auch ich unterstützt das Ansinnen, alte Wunden heilen zu lassen und Dinge, die lange zurück liegen, eines Tages auch als abgeschlossen zu betrachten. Doch genau dies bedeutet, dass unsere Entscheidung eine endgültige sein sollte, die somit den Blick unserer Nachfahren auf unsere Geschichte bestimmen wird. Lehnen wir beide genannten Personen ab, machen wir sie beide endgültig zu Verrätern. Dass man dies nicht leichtfertig tun sollte, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen. Befinden wir jedoch beide einer Aufnahme in das Ulpianum für würdig, erklären wir damit ein Urteil aus der Feder des Salinator für ungültig und fällen damit eben auch ein eigenes Urteil, was weitere Entscheidungen über andere Urteile aus dieser Zeit nach sich ziehen könnte. Auch dessen sollten wir uns bewusst sein. Ich bitte daher darum, die Entscheidung nicht als kleiner zu betrachten, als sie wirklich ist", schloss er seine Rede mit einer Bitte.

  • Dives runzelte nachdenklich die Stirn, bevor er sich neuerlich das Wort erteilen ließ.
    "Ich möchte hiermit die Frage in den Raum stellen, inwieweit es dem Senat überhaupt möglich ist, das Urteil eines Imperators", wählte der Iulier hier bewusst nur den militärischen Titel des Vesculariers, "für ungültig zu erklären.", warf er zunächst mit Blick auf den purgitischen Consular auf. "Mir nämlich scheint es, als könne der Pinceps jeden Fall von besonderem öffentlichen Interesse an sich ziehen, der Senat hingegen nicht.", gab er anschließend in etwa den Inhalt des Paragraphen zur sachlichen Zuständigkeit wieder. "Daraus will sich mir die Schlussfolgerung ergeben, dass das Urteil eines Imperators nicht durch den Senat, indes einzig durch das Urteil unseres Princeps rechtskräftig für ungültig erklärt werden kann.", zog er den Schluss und sah mit diesen Worten zum Aquilier.


    "Entsprechend kann ich die Worte des Princeps nur bekräftigen, dass diese von ihm hier aufgeworfene Frage nur einzig und allein eine politische Antwort dieses Senats zur Folge haben kann.", strich er seine Zustimmung zu diesem Satz mit einer Geste seiner rechten Hand deutlich heraus. "Ob der Senat also für oder gegen die beiden verblichenen Consulare Tiberius und Vinicius Lucianus entscheidet, ist nach meinem Dafürhalten iuristisch einerlei. Denn wenn der Senat kein Urteil eines Imperators aufzuheben oder für ungültig zu erklären imstande ist, dann können insbesondere auch andere durch den damaligen Imperator gefällte Urteile keinerlei rechtliche Konsequenzen für sich daraus ableiten.", versuchte der Iulier die Bedenken seines purgitischen Mitsenators zu entkräften, wie er damit zugleich natürlich auch die Idee eines senatlichen Iudicium Extraordinarium - so er den Princeps in dessen Vorschlag richtig verstand - etwas ad absurdum führte. Denn wo ein Gericht im Zweifel kein rechtskräftiges Urteil zur Gültig- oder Ungültigkeit eines anderen Urteils zu fällen imstande war, konnte es schließlich kaum formal zuständig sein - und es wäre dies in der Folge wohl der einzig mögliche Schluss, zu welchem ein derartiges Gericht formal kommen könnte. Aus genau diesem Grunde auch hielt Dives die Auffassung des Falls als eine in gewöhnlicher politischer Diskussion zu klärende politische Frage für weitaus zielführender und praktikabler.


    "Nichtsdestotrotz stimme ich meinem Vorredner selbstredend zu darin, dass unsere Entscheidung von unbezweiflbar bedeutender Tragweite ist und darob nicht leichtfüßig sondern gut durchdacht getroffen werden will.", stimmte er abschließend auch dem Purgitier durchaus neuerlich zu. "Allerdings hoffe ich sehr, dass auch in seinem üblichen Tagesgeschäft mit seinen in der Regel etwas alltäglicheren Fragen kein Senator allzu leichtfüßig für oder gegen ein Gesetz, für oder gegen eine Gesetzesänderung und für oder gegen den Kandidaten auf eine Magistratur stimmt.", schloss der Iulier seinen Wortbeitrag. Schlussendlich, so war er überzeugt, hatte schließlich jede einzelne Entscheidung des Senats eine große Tragweite für das Imperium und wollte darob nicht nur hier und heute sondern stets und ständig und ganz generell nur mit Bedacht und Sorgsamkeit gefällt werden.

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  • Die findigen Juristen waren schon wieder dabei, alles genau rechtlich zu durchdenken. Der Kaiser war kein Jurist und konnte deshalb nur nachdenklich durch den Bart streichen, während Macer und Dives die möglichen Folgen abmaßen. "Wir könnten die juristische Bewertung der beiden Fälle auch einfach dadurch außen vor lassen, indem wir einfach noch einmal über Aufrechterhaltung der Nominierung der beiden für das Ulpianum abstimmen." Er sah fragend in die Runde. "In diesem Fall wäre es offenbar keine Abstimmung über die Rechtmäßigkeit der Verurteilungen und Anschuldigungen, obwohl ich natürlich jeden Senator ermahnen würde, auch diese Verdachtsfälle bei seiner Abstimmung zu berücksichtigen und mir niemanden zur Aufnahme in das Ulpianum zu empfehlen, von dem er annimmt, dass er per Gesetz sowieso davon ausgeschlossen ist." Von hinten durch die Brust ins Auge. Severus wusste nicht, ob das juristisch stichhaltig war.

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  • Weder sah der Flavier den Blick des Augustus nach dessen Eröffnungsrede, noch sonstige Blicke, welche ob der brisanten Thematik im Senat wurden gewechselt, denn sein eigener Blick klebte auf dem Boden der Curia, klebte in den Ritzen, in welchen einst Caesars Blut geronnen war. Durch das halbe Reich hatte man dessen Mörder verfolgt, Armeen in Bewegung versetzt, tausende Meilen über Land und See, bis dass der letzte von ihnen sein Leben hatte ausgehaucht. Die Mörder des Valerianus saßen noch immer in der Curia, inmitten ihres Verrates, inmitten der Fronten, welche sie hatten geschaffen, und welche nicht wieder sollten aufgebrochen werden.
    Mörder!
    In den Ritzen floss das Blut des ersten Kaisers Roms, Tropfen um Tropfen sammelte es sich zu dicken Wülsten, wand und krümmte, fassonierte sich zu rotfarbenen Schlangen, welche zischend und züngelnd nur ein Ziel kannten: den Verräter. Rotfarben glühend ihre Augen, Gift und Galle speiend, seinen Namen wispernd und um seine Füße sich schlängelnd, dass kein Zweifel mehr bestand, was ihr Begehr war. Unsicher hob Gracchus seinen Blick, doch niemand schien die Chimären zu sehen, niemand sprach über Verrat und nannte seinen Namen. Niemand. Die Wahrheit war irgendwo dort draußen. Doch niemand wollte sie hören. Die Wahrheit war ein Privileg der Toten.

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  • Das Thema der heutigen Senatssitzung interessierte Menecrates im besonderen Maße. Die Personen, über die auch er heute ein Urteil zu fällen hatte - Amnestie oder nicht - vermochte er nicht von den damaligen Umstürzen im Reich zu trennen. Vielmehr grassierten im alten Claudier Zweifel über ihre Redlichkeit. Leider konnte er nie Klarheit in das Dunkel bringen. Gleich, wen er ins Vertrauen zog, niemand wollte oder konnte aufklären. Als eine der letzten Situationen fiel Menecrates die Cena mit dem Augustus ein, jenem Mann, der die heutige Debatte ins Rollen brachte. Damals wollte der Kaiser keine Wunden aufreißen und Menecrates schien es, als wäre dies auch der Tenor dieser Senatssitzung.
    Nachforschungen wären unbequem, kosteten Mühe und Zeit. Anscheinend störte auch kaum jemand die Ungewissheit über die damaligen Vorgänge. Anders bei Menecrates: In ihm fraßen Zweifel und er hasste nebulöse Zustände. Sie ließen ihm keine Ruhe, und trotzdem erreichte die inzwischen verstrichene Zeit eines: Resignation.


    Ähnliches spielte sich in ihm während der Diskussion ab. Mal verspürte er den Drang, sich zu Wort zu melden, mal gab er auf und erkannte den Sinn nicht, sich einzubringen. Warum sollte auch ausgerechnet heute jemand ein offenes Ohr für seine Bedenken haben? Ein einziges Mal hatte sich jemand bemüht, mittels einer Verhandlung das Thema aufzugreifen. Ironischer Weise ausgerechnet der Mann, dem er damals wie heute zuletzt vertraute: Salinator. Aus diesem Grund wog das Ergebnis dieser Verhandlung weniger schwer. Menecrates weilte damals in Germanien und konnte sich kein Urteil darüber erlauben, wie präzise und umfassend diese Untersuchung verlaufen war.


    Wäre nicht dieser bohrende Zweifel und könnte er sein Gewissen ausschalten… Er würde sich zurücklehnen und den Seelenfrieden genießen. Sprach er hingegen jetzt, galt er sicherlich bei vielen als verbohrter alter Mann, der die Dinge verkomplizierte. Die Resignation hielt Menecrates gefangen, aber eine Bemerkung rutschte ihm doch heraus:


    "Senator Purgitius, wie ist es Dir nur möglich, die Unschuldsvermutung ins Feld zu führen, wo doch gerade DU zusammen mit mir aus einer Cena mit eben jenen Männern komplimentiert wurdest, nachdem wir zu unserer Haltung zu unserem damaligen Kaiser Iulianus befragt wurden und uns beide als loyale Senatoren geoutet haben? Zur Informationsgewinnung schien zumindest ich gut gewesen zu sein, nicht aber vertrauenswürdig genug, um wie die anderen geladenen Gäste bleiben zu können. Kein anderer verließ zeitnah das tiberische Anwesen."



    Jetzt war es raus, weniger gelassen als sonst üblich. Bestimmt würde er es bereuen, dachte Claudius bei sich, als er sich setzte.

  • Macer war nicht nur ein wenig überrascht, dass er von Claudius Menecrates so direkt angesprochen wurde, ließ es sich aber dennoch nicht nehmen, ihm kurz zu antworte. "Senator Claudius, die Unschuldsvermutung, wie ich sie eben erwähnte, ist ja nun einmal vor allem ein juristisches Konstrukt, das sich auf die Gerichtsbarkeit insgesamt bezieht", betonte er den abstrakten Charakter eben jener Unschuldsvermutung. "Selbst wenn ich einen der genannten Männer mit dem Dolch in der Hand auf ein Opfer hätte einstechen sehen, so gelten sie trotzdem für die Gerichtsbarkeit als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist - was in diesem Falle beispielsweise durch meine Zeugenaussage geschehen könnte, so es denn niemanden gäbe, der dieser widersprechen würde", konstruierte er zwar arg hypothetisch mit dem ganz großen Beutel voll Konjunktiv, aber zumindest in seinen Augen schlüssig.


    "Was nun die konkreten Geschehnisse bei jener Cena betrifft, so werden diese sicher mein Urteil beeinflussen, ebenso wie sie dein Urteil beeinflussen werden oder vielleicht auch schon beeinflusst haben. Wenn du daraus eine klare Empfehlung für den Senat ableiten kannst, wie in dieser Debatte zu entscheiden ist, dann hast du zumindest in mir einen genauen Zuhörer. Ich sehe mich nämlich nicht in der Lage, dem Senat eine solche Empfehlung auszusprechen", legte er dann noch seine Sicht der Dinge dar, die nun freilich nicht für sich in Anspruch nehmen konnte, eine besonders gefestige Meinung zu sein. Aber vage Tendenzen pflegte Macer in Senatsdebatten eben nur höchst selten nach außen zu tragen, gerade in solchen Fragen. Daher nahm er wieder Platz und war gespannt, ob er noch weitere Beiträge hören würde, die seine derzeitige Tendenz bestätigen oder ändern konnten.

  • Er nahm Macer die Belehrung über den formellen Inhalt des Begriffes Unschuldsvermutung nicht übel. Schließlich konnte der Senator nicht wissen, dass Menecrates überaus erfolgreich den Cursus Iuris absolviert hatte und sich auch sonst für rechtliche Belange sehr interessierte. Seiner Kandidatur für das Amt des Praetors stand seit Jahren nur der Zeitfaktor im Weg. Mittlerweile hatte man leider auch die Zugangsvoraussetzungen geändert.


    Ein leichtes Kopfnicken und Schmunzeln signalisierte dann auch, dass Menecrates die Hintergründe des Begriffes durchaus kannte. Anschließend ließ er Macers Worte mit ernster Miene auf sich wirken, bevor er erneut um das Wort bat. Sich JETZT zu keinerlei Äußerung durchringen zu können, würde er selbst erbärmlich finden.



    Er erhob sich erneut.
    "Mein Kaiser, verehrte Senatoren! Obwohl ich mir eine Meinung auf der Grundlage von persönlichen Erfahrungen gebildet habe, wage ich es nicht, eine direkte Empfehlung in dieser Angelegenheit auszusprechen. Der Grund ist schlicht und ergreifend: Ich verfüge auch nur über begrenztes Wissen und über keinerlei Beweise.


    So paradox es klingt, aber genau dieses eingeschränkte Wissen ist der Grund, warum ich für mich persönlich zu einer festen Meinung gefunden habe. Ich will es erläutern. Jeder, der damals unter dem Kommando des Valerianus in der Prima diente, und mich - auch senatsübergreifend - nur ansatzweise kennengelernt hatte, kannte meine Haltung unserem verstorbenen Kaiser gegenüber. Ich war nicht nur seine rechte Hand gewesen, meine Loyalität basierte auf Sympathie und untergebener Liebe. Ich habe das nie verleugnet.


    Wenn also ICH zu einer Cena geladen werde, auf der die Staatsführung unseres Kaisers zum zentralen Gesprächspunkt erkoren wurde, und mir dann das Vertrauen der Anwesenden entzogen wird, indem ich gebeten werde, die Cena frühzeitig zu verlassen, sagt mir das mehr als jeder greifbare Beweis. Wird ein loyaler Bürger aus einer Runde ausgeschlossen, was sind dann die verbliebenen Gäste? Ich habe es erlebt, ihr habt es nur gehört. Jeder möge zu seiner eigenen Meinung finden."


    Er nahm mit ernster Miene Platz.

  • Der Kaiser hörte auch dem Claudier aufmerksam zu und verzog kurz das Gesicht, als er auf eine konkrete Cena zu sprechen kam. Er fürchtete schon, dass nun auch noch lebende Senatoren beschuldigt wurden, an der Ermordung von Valerianus beteiligt gewesen zu sein. Doch zum Glück passierte nichts.
    "Vielen Dank für deine Einschätzung, Claudius. Nur wenn die, die begründete Meinungen haben, sich jetzt äußern, werden die übrigen Senatoren Argumente gewinnen, um selbst eine qualifizierte Meinung abzugeben." Auffordernd blickte er noch einmal in die Runde.

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    PONTIFEX MAXIMUS - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Livianus hatte bisher geschwiegen - ab und an tief durchgeatmet - dann aber doch wieder weiter geschwiegen. Er ließ seinen Blick durch die Runde schweifen und blieb dabei kurz bei Flavius Gracchus hängen, der nun ebenfalls bei ihm in den Reihen der Consulare saß, ehe er sich erhob und selbst zögerlich das Wort ergriff.


    "Ich…. Ich befürworte den Vorschlag des Kaisers noch einmal über Aufrechterhaltung der Nominierung der beiden für das Ulpianum abstimmen zu lassen. Wir sollten die beiden von der Liste streichen und die Vergangenheit auf sich beruhen lassen."


    ‚Andernfalls könnten wir die Büchse der Pandora öffnen.‘ lag ihm noch im Sinne anzufügen, doch er beließ es bei seinem recht wortkargen Ratschlag.

  • Der divitische Aedil hielt sich zunächst zurück, als sein Mitsenator Claudius sich äußerte und es in der Folge zu einem kurzen Wortwechsel zwischen ihm und dem Consular Purgitius kam. Nachdem der decimische Consular jedoch gesprochen hatte, ließ sich auch Dives noch einmal das Wort erteilen.


    "Ich möchte meinem Vorredner einerseits zustimmen, da auch ich erwähntermaßen eine neuerliche Abstimmung des Senats über die Consulare Tiberius und Vinicius für durchaus sinnvoll erachte; wie ich ihm andererseits aber auch nicht zustimmen kann, da ich glaube, dass die von ihm dargestellte Lösung ein wenig zu einfach ist.", begann er dann. "Denn wir sind hier an einem Punkt angelangt, an welchem es sich nicht mehr ungeschehen machen lässt, dass der Senat einst die beiden Consulare Tiberius und Vinicius nominierte. Genau damit aber hat sich der Senat in die heutige Lage gebracht - eine Lage, in welcher sowohl die Aufrechterhaltung beider Nominierungen als auch die Verwerfung beider Nominierungen stets mit einer direkten Aussage über die Vergangenheit verbunden ist.", führte Dives aus. "Stimmt der Senat für die beiden Consulare ab, so erkennt er Tiberius und Vinicius gleichbedeutend als zu unrecht beschuldigt an. Votiert der Senat jedoch mehrheitlich gegen die beiden Consulare, ist dies für praktisch jeden Römer außerhalb dieser Curia das Zeichen, dass auch der Senat Tiberius und Vinicius für Hochverräter hält.", zeigte er auf. "Die Möglichkeit, die Vergangenheit in dieser Frage endlich ganz auf sich beruhen zu lassen, bietet - aufgrund der damaligen Nominierung beider Consulare - heute weder die eine noch die andere Entscheidung.", ließ der Iulier nachfolgend eine Zäsur.


    "Entsprechend also teile ich die Auffassung des Princeps, dass jeder, der eine begründete Meinung in dieser Frage hat, sich hier dringend äußern sollte, da der Senat hier dabei ist, eine Aussage zu treffen, die nicht nur innerhalb sondern auch außerhalb dieser Curia mutmaßlich nicht ungehört verhallen wird.", unterstützte Dives die jüngste Wortmeldung des Augustus und ließ abermals eine Kunstpause folgen.


    "Ich meinerseits habe es bereits angedeutet, dass ich den Anschuldigungen den Consularen Tiberius und Vinicius gegenüber äußerst kritisch gegenüberstehe.", leitete er anschließend seine eigene Meinungsäußerung ein. "Denn ich sehe verschiedene Anhaltspunkte. Ich sehe, dass nach dem Tod des Ulpius Valerianus und seiner Familia der Vescularius hat zahlreiche namhafte Verhaftungen vornehmen lassen. So wurden beide Consulare Vinicius und der Consular Flavius Furianus gefangen genommen, der Consular Tiberius verlor damals sein Leben." Ob sich der Tiberier selbst gerichtet hatte oder gerichtet wurde, vermochte Dives nicht mit letzter Gewissheit zu sagen, sodass er sich dazu auch nicht explizit äußerte. "Anschließend wurden zwei Consulare ins Exil verbannt, während man Vinicius Lucianus den Prozess machte - einen Prozess, der nicht öffentlich war, sondern still und heimlich hinter verschlossenen Türen in irgendeinem Hinterzimmer auf dem Palatin verhandelt wurde. Warum? Warum, wenn man der Bevölkerung von Roma die Schuld eines Hochverräters vorführen kann, hat man dies nicht getan?", fragte er rhetorisch in den Raum hinein.


    "Nachdem der Vescularius verschieden und Cornelius Palma auf den Thron gekommen war, wurden die Consulare Vinicius Hungaricus und Flavius Furianus aus der Verbannung zurückgeholt, während das Urteil gegen den Consular Vinicius Lucianus nicht aufgehoben wurde. Warum? Warum, wenn der Consular Vinicius Lucianus den Grundstein für die Thronbesteigung des Cornelius gelegt hätte, sollte der die Urteile gegen die verbannten Vinicius Hungaricus und Flavius Furianus, nicht aber posthum auch jenes gegen Vinicius Lucianus aufheben?", fragte er erneut rhetorisch. "Und heute nun letztlich steht unser erhabener Princeps Aquilius hier vor uns, uns nach unserem Rat zu fragen. Warum? Warum, wenn die Cohortes Praetoriae, wie der einst von der Acta Diurna in ihrem Interview mit dem damaligen Praefectus Praetorio", der den divitischen Iulier auch schon hintergangen und betrogen hatte, "behauptet, tatsächlich all diese vielen erdrückenden Beweise gegen die Consulare Tiberius und Vinicius haben würden?", erhob der Aedil letztlich beide Hände auffordernd bis auf Schulterhöhe.


    "Ich meinerseits sehe also, dass der Vescularius sich einst vor allem auf den Consular Vinicius Lucianus - als möglicherweise Sündenbock - einschoss, den er jedoch nicht öffentlich sondern nur im Geheimen, Verborgenen verurteilte. Ich sehe, dass der damalige Praefectus Praetorio in der Acta Diurna neben dem Vinicier vor allem den Consular Tiberius Durus belastete - mit Beweisen, die wohl nie jemand anders je gesehen hat.", mutmaßte Dives. "Ich sehe, dass es ein Testament gab, welches den Cornelius zum rechtmäßigen Thronerben des Ulpius Valerianus erklärte, während genau dieser Cornelius jedoch einerseits zwar die Verbannungen seines Vorgängers aufhob, nicht jedoch Vinicius Lucianus oder Tiberius Durus im selben Atemzug von allen Anschuldigungen befreite. Eine tiefere Verbindung zwischen diesen Männern scheint mir daher überaus fraglich.", fasste er zusammen und ließ eine kurze Kunstpause, um das eigene Sprechtempo wieder etwas zu senken. "Und nicht zuletzt sehe ich, dass offenbar weder der Senat bei der damaligen Nominierung an einen Ausschluss der Consulare Tiberius und Vinicius aufgrund von Hochverrat dachte, wie mir auch außerhalb des Senats nicht bekannt wäre, dass man meinen Patron als Bruder eines Hochverräters, oder den gewesenen Vigintivirn Tiberius Ahala als Sohn eines Hochverräters betrachtet.", schloss er seine Argumentation mit ruhigen Worten.


    "Da ich zudem nicht einzuschätzen vermag, wie gut oder schlecht das Verhältnis zwischen Tiberiern und Claudiern vor der hier angesprochenen Cena war", mochte er hier niemandem etwas unterstellen, sondern erinnerte lediglich daran, dass nicht alle Einladungen zum Essen von Herzen kamen, indes manche schlicht eine pflichtgemäße Höflichkeit darstellten, "kann ich nicht anders, als aufgrund der mir bisherig vorliegenden Indizien zu dem Schluss zu kommen, dass der Senat sich im Zweifel für die hier Angeklagten, ihre Nachkommen und sonstigen Hinterbliebenen aussprechen sollte - und folglich weder die Nominierung des Consulars Tiberius noch jene des Consulars Vinicius zurückziehen sollte." Nachdem diese wortreiche Empfehlung verklungen war, setzte sich Dives wieder.

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  • Mencrates glaubte zunächst, sich verhört zu haben. Sein Kopf wandte sich nahezu ruckhaft dem Sprecher zu, als der ihm unterstellte, persönliche Antipathien, die es noch nicht einmal gab, in eine derart brisante Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.
    Er hob die Hand zum Zeichen, dass er direkt antworten wolle.


    "Ich werte das Einräumen der Möglichkeit, das private Verhältnis meiner Familie zu den Tiberiern könne meine hier gemachte Aussage beeinflusst haben, als eine Beleidigung meiner Person, Senator Iulius", begann er, während sein Blick den jungen Mann fixierte. "Eine solch haltlose Unterstellung überhaupt in den Raum zu werfen, ist eines Senators nicht würdig und disqualifiziert Dich in meinen Augen. Abgesehen davon, dass Senator Purgitius und ich möglicherweise die einzigen Zeitzeugen jener Zusammenrottung sind und wir mehr als nur Spekulationen zum Sachverhalt beitragen können, könnte Senator Purgitius meine Aussage jederzeit bestätigen. Oder unterstellst Du ihm ebenfalls, er könne möglicherweise ein angekratztes Verhältnis zu den Tiberiern gehabt haben?"


    Bislang hatte Menecrates den jungen Senator geschätzt. Wäre das nicht der Fall gewesen, würde er jetzt weniger entrüstet, ja enttäuscht sein. Er atmete einmal tief durch, bevor er fortfuhr. Dabei ließ er den Blick schweifen. Die Ecke, wo Iulius saß, sparte er aus.


    "Bevor ich noch einmal auf jene Cena zu sprechen komme, möchte ich Folgendes klarstellen: Abgesehen davon, dass die Gens Claudia zu keiner römischen Familie ein schlechtes Verhältnis pflegt, würde ich auch bei einem über die Maßen guten Verhältnis niemals das Pflegen der Beziehung der Wahrheit vorziehen. Außerdem ist niemand in der Gens Claudia einem Patron verpflichtet, sodass meine hier gemachten Angaben als wahrheitsgemäße Fakten angesehen werden können, die frei von jeder Taktik und Beeinflussung sind." Dass er dies je versichern müsste, hätte er nie gedacht. Er machte eine bedeutungsvolle Pause, die einen Atemzug andauerte, dann sprach er weiter.


    "Ja, es gab nach dem Tod unseres Kaisers Valerianus zahlreiche Verhaftungen namhafter Consulare. Insofern besteht ein Gleichnis zwischen den Consularen Vinicius Lucianus, Vinicius Hungaricus und Flavius Furianus, sowie Tiberius Durus, der vorab den Freitod wählte.
    Gleichwohl stützen meine Fakten, die bislang unterschiedliche Behandlung und Bewertung dieser Consulare. Während Vinicius Hungaricus und Flavius Furianus, deren Verbannung aufgehoben wurde, NICHT geladene Gäste jener Cena waren, sind die Consulare Tiberius Durus und Vinicius Lucianus Gastgeber bzw. Teilnehmer gewesen. Ich halte den Verlauf des Prozesses gegen Vinicius Lucianus auch für suboptimal, weil er nicht öffentlich geführt wurde. Das Urteil des Prozesses hingegen halte ich für korrekt. Was Tiberius Durus betrifft, der nicht verurteilt werden konnte … weder der Freitod legt nahe, unschuldig gemäß der Anklage gewesen zu sein, noch die Position des Gastgebers auf jener Cena.


    Ich sehe keine Rechtfertigung für eine Amnestie."

  • "Ich scheine mich missverständlich ausgedrückt zu haben.", lautete der erste Satz des divitischen Senators, nachdem er sich neuerlich das Wort hatte erteilen lassen. "Denn in der Tat war und ist es nicht meine Absicht, das Gewicht deiner Worte, Senator Claudius, zu mindern. Worauf ich jedoch hinaus will und wollte, ist die Tatsache, dass ich nicht zu sagen vermag, was dich dazu bewogen hat, dereinst der Einladung des Tiberius zur Cena zu folgen, wie ich ebenso nicht zu sagen vermag, was den Tiberius dazu bewogen hat, den Consular Purgitius und dich früher als andere von jener Cena zu verabschieden.", versuchte er seine missverständliche Aussage in die richtige Richtung zu lenken. "Wenn du nun erklärst, dass die Gens Claudia zu keiner römischen Familie und insbesondere also auch zu jener des Tiberius kein schlechtes Verhältnis hatte, so zweifle ich mit keiner Faser meines Körpers an diesem deinem gewichtigen Wort.", betonte er anschließend. "Umgekehrt ist es allerdings niemandem von uns heute möglich, den Tiberius nach seinen Gründen zu fragen, wie nicht zuletzt auch der Consular Purgitius bereits deutlich machte, indem er sagte, dass er seinerseits - der Unschuldsvermutung verpflichtet - sich nicht dazu in der Lage sieht, dem Senat einzig aufgrund besagter Cena eine Empfehlung für oder wider die beiden Consulare Tiberius oder Vinicius zu geben." Das war das, was der Iulier hatte sagen wollen.


    "Tatsächlich mag es schließlich viele Gründe geben, aus denen heraus der Tiberius einst handelte, wie er handelte. Ich selbst kann darüber leider nur spekulieren, wie auch der Consular Purgitius offenbar nur darüber zu spekulieren weiß und wie wir letztlich doch alle hier nur darüber zu spekulieren wissen können. Womöglich plante er eine Gesetzesinitiative, von welcher er ahnte, dass sie den vorzeitig verabschiedeten Gästen nicht gefallen würde.", wandte Dives seinen Fokus vom Claudier ab und der Allgemeinheit der Senatoren zu. "Möglicherweise ging es auch um den Wunsch des Vinicius Lucianus, ein zweites Consulat zu bekleiden - ein Wunsch, mit welchem er schlussendlich offenkundig scheiterte, wie sich vielleicht noch einige erinnern. Möglicherweise... möglicherweise wissen wir hier und heute nicht das geringste über die Gründe des Tiberius, da er selbige möglicherweise mit ins Grab genommen hat.", strich Dives die vielen Eventualitäten heraus. "Und auch ebendiesen Tod des Tiberius betreffend müssen wir uns doch fragen, was wir wirklich wissen. Ich frage euch, _wissen_ wir, dass sich der Consular aufgrund einer Schuld das Leben genommen hat? Oder _spekulieren_ wir nur und er hat sich womöglich das Leben genommen, um der Folter durch einen bekanntlich den Stand der Patrizier geringschätzenden Vescularier zu entziehen?", fragte er in den Raum hinein. "Wie viele Jahre lang hat der Tiberius das raue Leben eines Soldaten, Tribuns oder Legionslegaten gelebt? Wie robust war der bei allem Respekt vor seiner Person bereits betagte Körper dieses Mannes, einer Folter zu trotzen? Und wer von uns möchte hier wirklich mit letzter Sicherheit ausschließen, dass nicht auch ein Consular Tiberius Durus, angesehener Pontifex pro magistro mit gewichtigem Wort in dieser Curia, am Ende seines Leben einzig von der Furcht erfüllt wurde, unschuldig aber unehrenhaft in der Folterkammer der Castra Praetoria zu verenden und es daher vorzog, unschuldig aber ehrenhaft - und ohne lange Folterqualen - durch die eigene Hand aus dem Leben zu scheiden?", bot Dives eine alternative und in seinen Augen alles andere als abwegige Deutung der Geschehnisse an.


    "Du sprichst im Plural von Fakten, Senator Claudius, die dich keine Rechtfertigung für eine Amnestie sehen lassen.", wandte er sich schließlich noch einmal direkt an den Patrizier. "Ich meinerseits jedoch kann in keinem einzigen dieser Fakten die Schuld des Consulars Vinicius Lucianus, in keinem einzigen dieser Fakten die Schuld des Consulars Tiberius erkennen. Im Gegenteil halte ich die damaligen Verlautbarungen der Acta Diurna zur Sache aus zuvor genannten Gründen für eine große Schmutzkampagne des Vescularius, in die auch ein nicht-öffentlicher Prozess gegen den Consular Vinicius Lucianus passt sowie die vielen anderen genannten Anhaltspunkte.", zog er neuerlich seinen Schluss. "Daher kann und möchte ich es auch nicht verantworten, dass auf der Basis dieses Votums des Senat zu dieser Sache fortan die Nachkommen und Hinterbliebenen sowohl des Consulars Tiberius als auch des Consulars Vinicius Lucianus sich als Verwandte von infamen, ehrlosen Hochverrätern betiteln lassen müssen.", appellierte er schlussendlich noch einmal an jeden Anwesenden, sich die Tragweite dieser Entscheidung klar vor Augen zu führen. Die nähere Verwandtschaft beider Consulare wäre politisch tot. Und Dives sprach - in dubio pro reo - hier gewiss über niemanden eine Todesstrafe, der selbige nicht auch ohne Spekulation und Zweifel nachgewiesenermaßen verdiente.

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  • Erneut meldete sich Livianus zu Wort.


    "Senator Iulius. Wir sind uns vermutlich darin einig, dass es einen sehr fragwürdigen Beigeschmack hat, wenn sich ein kranker Kaiser samt seiner Familie aus der Öffentlichkeit zurückzieht und plötzlich ein ‚guter Freund‘ auftaucht, der die alleinigen Regierungsgeschäfte übernimmt und den eigentlichen Kaiser weitestgehend abschirmt. Ebenso dubios erscheint auch die Tatsache, dass eben jener kranke Kaiser samt seiner Familie vergiftet wird, damit aus dem Einflussbereich des ‚guten Freundes‘ entfernt werden soll und plötzlich ein weiterer ‚legitimer‘ Thronanwärter aus dem nichts auftaucht.


    Weder Salinator, noch Palma waren die rechtmäßigen Nachfolger des Ulpius Aelianus Valerianus. Dies war einzig und alleine sein legitimer Sohn Publius Ulpius Maioranus. Die beiden anderen haben sich den Thron auf schändliche Art und Weise erschlichen. Der eine durch seinen Einfluss auf den kranken Kaiser, der andere durch Mord der kaiserlichen Familie.


    Und das Senator Iulius geht nicht aus Verlautbarungen und Schmutzkampagnen der Acta Diurna hervor, sondern aus Ermittlungen und Untersuchungsergebnissen der Cohortes Praetoriae. Die Hintergründe, die Namen aller Täter und deren Motive – all das ist seit Jahren bekannt. Man hat es bisher nur vorgezogen es einfach auf sich beruhen zu lassen.


    Die Frage sollte also lauten ob wir bereit sein, wegen der Aufnahme zweier ehemaliger Consulare in das Ulpianum all das wieder aufzurollen. Die Wahrheit würde uns bestimmt vor erheblich größere Probleme stellen, als den Ausschluss dieser beiden Männer aus einer Marmorhalle. Das kann ich dir versichern. Nicht alles kann man immer in schwarz oder weiß einteilen."

  • Der iulische Senator war einerseits selbstredend nicht allzu überrascht, dass der Consular Decimus die namentlich ungenannten Akteure der damaligen Zeit aus Gründen verwandtschaftlicher Loyalität verteidigte. Mitunter gar würde Dives ganz ähnlich handeln. Dennoch war er auf der anderen Seite durchaus auch überrascht ob des Mutes des Consulars, sowohl den Vescularius als auch den Cornelius als illegitime Nachfolger des Ulpius Valerianus zu bezeichnen - insbesondere deshalb, da er sich damit doch selbst durchaus angreifbar machte. Denn wer nicht rechtmäßig auf dem Thron saß, konnte wohl auch keine rechtmäßigen Entscheidungen auf selbigem treffen und insbesondere folglich auch keine rechtmäßigen Praefecti Urbi ins Amt berufen...


    "Dann frage ich dich, Consular Decimus", erbat sich der Iulier in der Folge also erneut das Wort, um einen jedoch weit weniger persönlichen Punkt zu setzen, "weshalb steht unser erhabener und ohne den geringsten Zweifel rechtmäßiger Princeps Aquilius heute hier und fragt den Senat um seine Meinung zu den beiden Consularen?", wollte er wissen. "Warum trifft er sich nicht mit seinen Praefecti Praetorio und lässt sich von ihnen beraten? Warum, wenn die Cohortes Praetoriae all diese stichhaltigen Beweise und unumstößlich sicheren Ergebnisse haben, befinden wir uns heute hier in diesen heiligen Hallen und diskutieren diese diffizile Angelegenheit, anstatt nach einer Audienz der beiden Praefecti Praetorio beim Princeps lediglich die Nachricht vom Palatin zu vernehmen, dass der Princeps Kraft seines Vetos, welches in den Richtlinien zum Ulpianum festgeschrieben steht, die beiden Consulare Tiberius und Vinicius aus dem Kreis der Nominierten ausgeschlossen hat?", wiederholte er seinen Gedankengang, der es in seinen Augen doch allzu offenkundig machte, dass die Beweise aus vescularischer Zeit womöglich lediglich aus unschuldigen Sündenböcken herausgefoltert worden waren - oder schlimmer gar auf nicht mehr als bloßer Meinung und Spekulation fußten.


    "Insofern vermag ich dir mit tiefster Überzeugung zuzustimmen, wenn du sagst, dass nicht alles immer nur schwarz oder weiß ist. Allerdings muss ich den Senat fragen, sollten wir uns im Falle unsicheren und zweifelhaften Graus wirklich dazu entscheiden schwarz zu sehen und damit der Öffentlichkeit vermitteln, dass zwei unbezweifelt starke Persönlichkeiten von uns als Hochverräter, ihre Nachkommen als Nachkommen von Hochverrätern, ihre Familien und Verwandten als Verwandte von Hochverrätern angesehen werden? Sollten wir nach dem physischen Tod dieser beiden Männer also auch für den politischen Tod ihrer Hinterbliebenen sorgen?", stellte Dives fragend in den Raum und ließ eine deutliche Zäsur, um die beiden Alternativen auch auf diese Weise klar voneinander zu trennen. "Oder aber sollten wir uns im grauen Zweifel doch eher der Unschuldsvermutung verpflichtet fühlen und folglich _nicht_ schwarz sehen, sondern uns dafür entscheiden, dass der Senat die einmal beschlossene Nominierung der beiden Consulare Tiberius und Vinicius _nicht_ zurückzieht?", ließ er abermals eine Kunstpause.


    "Wir alle hier stehen vor der Wahl. Wir können aufgrund von Spekulation über die Intentionen des Tiberius bei einer einzelnen Cena - der geschätzte Senator Claudius interpretiert das Verhalten so; der nicht minder geschätzte Consular Purgitius offenkundig anders - sowie Mutmaßungen über den Wahrheitsgehalt der Ermittlungsergebnisse vescularischer Zeit - der geschätzte Consular Decimus zeigt sich überzeugt von der einen Sichtweise; der erhabene Aquilius Augustus stünde wohl kaum mit seinem Antrag hier vor uns, wäre er ebenso überzeugt davon - zwei römische Familien in den politischen Tod schicken. Es handelt sich dabei um die Familien Tiberia und Vinicia, die über Jahre und Jahrzehnte nicht nur in dieser Curia, sondern auch außerhalb derselben Großes und Bedeutendes leisteten." Wie anders wäre es auch zu erklären, dass sich der Senat einst für ihre Nominierung entschied? "Schicken wir diese beiden Familien also in den politischen Tod für etwas, an dem es doch erhebliche Zweifel gibt? Oder vertrauen wir darauf, dass zum Zeitpunkt der Nominierungen in diesem Senat eine ausreichende Weisheit, Weitsicht und Menschenkenntnis versammelt war, dass wir auch heute noch darauf bauen können?" Der Iulier ließ seine Worte noch ein wenig wirken, bevor er sich neuerlich setzte und auch weiterhin bereit war, für seinen Patron und seinen verbündeten Lepidus loyal sich einzusetzen und zu kämpfen.

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