Es war lange her, dass der Senat Kandidaten für das Ulpianum nominiert hatte. Das Consilium Ulpianum hatte darüber getagt und dabei einige Probleme festgestellt, die es nötig machten, einige Namen noch einmal aufs Tablet zu bringen. Dies übernahm der Kaiser selbst, weshalb er sich wie ein normaler Senator auch auf die Rednerliste setzen ließ.
"Verehrte Senatoren," begann er nach seinem Aufruf (natürlich als erster an diesem Sitzungstag) die Rede. "Mein Anliegen heute betrifft das Ulpianum, über das nun seit Jahrzehnten verhandelt wird. Als Vermächtnis des Divus Iulianus möchte ich dieses Projekt zeitnah zu einem Ende bringen. Vor vielen Jahren hat der Senat dem Consilium Ulpianum eine Zahl von Kandidaten vorgelegt, die sie für die Aufnahme in das Ulpianum als würdig erachtet.
Das Consilium Ulpianum hat diese Vorschläge nun diskutiert und aus ihrer Liste einige Namen auserwählt, andere nicht. Bei zwei Namen kam es jedoch zu Unklarheiten, die nur ihr als gesammelte Weisheit des Staatswesens entscheiden könnt. Es geht um die beiden Kandidaten Marcus Vinicius Lucianus und Manius Tiberius Durus. Wie ihr alle wisst, wurden die beiden ANTE DIEM XV KAL SEP DCCCLXIV A.U.C. (18.8.2014/111 n.Chr.) vom Senat mit einer Mehrheit der Stimmen nominiert. Schon in der vorhergehenden Debatte hatte man es für nicht notwendig erachtet, ihrer Verdienste um den Staat explizit zu nennen und sie sind es auch nicht, die das Problem des Consilium Ulpianum darstellen."
Er strich sich nachdenklich durch den Bart. "Unser Problem war vielmehr § 1, Absatz zwei der Richtlinien des Ulpianum: 'Ein Anwärter auf die Aufnahme in die Ehrengedenkhalle darf nicht seine Würde als Römischer Bürger, durch Begehung einer nach dem Codex Iuridicialis untersagten Tat, verloren haben.'
Diese Richtlinie wurde bei der Nominierung der Kandidaten des Senats unglücklicherweise nicht bedacht. Denn Vinicius Lucianus wurde ANTE DIEM XIV KAL DEC DCCCLXII A.U.C. (18.11.2012/109 n.Chr.) formal rechtskräftig wegen Hochverrats verurteilt. Manius Tiberius Durus entging einem solchen Urteil, da er den Freitod wählte, allerdings wurde er in den Acta Diurna ANTE DIEM V ID DEC DCCCLXII A.U.C. (9.12.2012/109 n.Chr.) unwidersprochen desselben Verbrechens bezichtigt. Die Aussage stammte vom Praefectus Praetorio persönlich und meines Wissens nach belasten die Beweise, die dieser aufbringen konnte, Tiberius Durus genauso wie Vinicius.
Der Princeps Cornelius hob nun die Proskriptionen vermeintlicher weiterer Verräter auf, allerdings äußerte er sich weder zu der gerichtlichen Verurteilung von Consular Vinicius, noch zu den Anschuldigungen gegen Consular Tiberius."
Severus blickte fragend in die Runde. "Formaljuristisch ließe sich nun feststellen, dass gegen Manius Tiberius Durus keine Verurteilung vorliegt und er somit ins Ulpianum aufgenommen werden könnte, die Verurteilung von Marcus Vinicius Lucianus dagegen nicht aufgehoben wurde und damit von vornherein die Aufnahme ausgeschlossen ist.
Wie ihr wisst, habe ich stets die Meinung vertreten, dass die Zwietracht der Vergangenheit ruhen sollte und wir nach vorn blicken, um gemeinsam das Imperium zu gestalten. Hier können wir meines Erachtens jedoch nicht einfach den Blick zurück scheuen: Es geht um die Frage, wessen Statuen junge Römer im Ulpianum als die Vorbilder erblicken werden, die wir ihnen nahelegen wollen. Es geht um zwei große Familien, die Gens Tiberia und die Gens Vinicia, die es angesichts der Leistungen ihrer Ahnen verdient haben, dass dieses Gremium über das Andenken dieser beiden Consulare ein klares Urteil fällt, das sich nicht auf den formaljuristischen Zufall zurückzieht, dass der eine vor jeder Strafverfolgung verstorben ist, der andere nicht." Er verstummte kurz, um das Folgende zu unterstreichen: "Es geht also um die Frage der Gerechtigkeit. Meines Erachtens müssen dafür beide, Tiberius Durus und Vinicius Lucianus, mit demselben Maß gemessen werden. Entweder, der Senat erklärt eine Amnestie für beide Consulare, indem er das Urteil gegen Vinicius aufhebt und auch Tiberius Durus für unschuldig erachtet. Oder er bestätigt das Urteil gegen den einen und erachtet Tiberius Durus zukünftig ebenfalls als schuldig, sodass ihm eine Aufnahme in das Ulpianum verschlossen bleibt." Er strich sich wieder durch den Bart, scheinbar war ihm dieser Fall ein wenig unangenehm.
"Dieses Haus versammelt sowohl ehemalige Parteigänger des Cornelius Palma, als auch solche des Vescularius Salinator. Ich weiß, dass in dieser Angelegenheit Emotionen im Spiel sind. Ich weiß, dass man versucht ist, anhand dieses Falles die alten Fronten wieder aufzubrechen und ihn zu einer Grundsatzentscheidung über die Bewertung der jüngsten Geschichte zu stilisieren." Er hob warnend den Finger. "Genau dies soll jedoch nicht geschehen. Wir alle wissen, dass beide Seiten in jenem grausamen Krieges gute Gründe für ihr Handeln hatten; dass beide Seiten aber auch Fehler gemacht haben. Hier kann und darf es jedoch nur um die beiden Consulare Vinicius und Tiberius gehen. Ich bitte euch daher im Namen des Consilium Ulpianum eure Meinung kundzutun, ob man sie als Hochverräter aus dem Kreis der Kandidaten ausschließen sollte oder nicht." Erwartungsvoll sah der Kaiser in die Augen jedes einzelnen Senators. Er würde keinen Grundsatzstreit über den Bürgerkrieg zulassen, das sagte dieser Blick deutlich aus.