Amnestie für Tiberius Durus und Vinicius Lucianus

  • "Auch ich schätze beide Familien und vor allem habe ich die Männer geschätzt und das nicht nur auf Grund ihrer Leistungen. Ich denke daher auch nicht das es mir oder uns zusteht über ihre Taten zu urteilen. Das wird vermutlich die Geschichte übernehmen. Eines Tages wird man wohl genügend Abstand haben um erkennen zu können, ob ihre Taten vielleicht auch ein Opfer waren.


    Aber deine ersten Ansätze stoßen aus meiner Sicht durchaus in die richtige Richtung. Auch mich würden diese Fragen sehr interessieren."


    Damit wandte sich Livianus vom Iulier ab und dem Kaiser zu.


    "Gab es denn im Vorfeld eine Beratung mit den Praefecti Praetorio zu dieser Angelegenheit, verehrter Augustus? Ich nehme doch an du kennst die damaligen Untersuchungsergebnisse, die sich aus meiner Sicht weit über reine Spekulationen hinausgehen? Es gibt vermutlich auch Protokolle, Niederschriften und ganz bestimmt Zeugen."

  • Dives schüttelte leicht seinen Kopf, als der decimische Consular erklärte, dass es dem Senat nicht zustand über die Taten des Tiberius und Vinicius zu urteilen. Nachdem der Princeps seinerseits den Senat um seinen Rat bat, betrachtete der Iulier es schließlich im Gegenteil gar als ihre ausdrückliche Pflicht, zwar kein iuristisch verbindliches Urteil, aber doch ein den Augustus beratendes Urteil über den Tiberius und den Vinicius abzugeben.
    "Geschätzer Consular Decimus", drängelte sich der divitische Senator vor eine mögliche Antwort des Princeps, "hälst du es tatsächlich für eine gute Idee, meine lediglich rhetorischen Fragen zu nutzen, um anzuzweifeln, dass unser erhabener Augustus mit den Akten der Cohortes Praetoriae vertraut ist?", distanzierte er sich von seiner eigenen - aus diesem Grund bewusst nur rhetorischen - Frage.


    "Ich meinerseits möchte dies nicht bezweifeln und gehe im Gegenteil davon aus, dass der Princeps sich sehr genau mit den Ermittlungsergebnissen vescularischer Zeit befasst haben wird. Doch musste gewiss auch er sich fragen, welche mitunter falschen Geständnisse nur durch Folter oder Androhung derselben erlangt wurden - oder aber Ergebnis einer monatelangen Zermürbungshaft in Einsamkeit und Isolation waren.", wie sich der Iulier - der selbst bereits einst unschuldig eine Zelle der Castra Praetoria von innen sehen musste - dies zumindest im Falle des Vinicius Lucianus durchaus gut vorstellen konnte. Denn wie viel Zeit war doch vergangen zwischen den Razzien und Verhaftungen des Vescularius samt der recht zügigen Verbannungen einiger Consulare auf der einen und dem Todesurteil gegen einen Consular Vinicius Lucianus auf der anderen Seite? Und wie zurechnungsfähig in Konsequenz dessen mochte der Vinicier am Ende seines Lebens da mitunter noch gewesen sein? "Selbstredend möchte ich damit natürlich keineswegs an der gewissenhaften und guten Arbeit der Cohortes Praetoriae zweifeln. Denn mit Sicherheit werden auch einige wahre Täter gefasst und verhört worden sein. Doch mag ein Verhör unter Vescularius dennoch anders bewertet und interpretiert worden sein als möglicherweise heute unter einem fairen, gerechten und neutralen Aquilius Augustus - der gewiss aufgrund genau derartiger Unsicherheiten heute hier vor uns steht, in letzter Instanz _uns_ um unseren Rat zu bitten.", atmete der Iulier vor seinem letzten Punkt noch einmal tief durch.


    "Denn man darf - du erwähntest etwaige Zeugen - nicht vergessen, dass bereits in der Acta Diurna dereinst sehr deutlich wurde, dass man hat jedwede Zeugen, die heute möglicherweise hätten für mehr Klarheit sorgen können, konsequent - wennauch durchaus im Einklang mit Recht und Gesetz - eliminierte.", beklagte der Aedil die ausgesprochen schlechte Lage betrefflich etwaiger Zeugen. "Du sprachst vorhin von den 'Namen aller Zeugen', als wenn es darüber hinaus noch weitere namhafte Verstrickungen in diese schrecklichen Geschehnisse gäbe. Auch der Artikel der Acta Diurna implizierte dies. Wenn es so eine Liste mit Namen gibt", wandte Dives seinen Blick für einen kurzen Moment in Richtung des Princeps, bevor er zum Decimer zurück sah, "so sollte der Senat meines Erachtens nach davon Kenntnis erhalten, um hier durch Befragung der Personen ein angemessenes Urteil abgeben zu können. Ist indes dies lediglich Teil einer einst über die Acta Diurna initiierten vescularischen Kampagne - für die ich im Übrigen keineswegs den damaligen Mitarbeiterstab verantwortlich machen würde -, so sähe ich darin nur einmal mehr die Bestätigung für eine geschickte vescularische Propaganda, der niemand noch allzu sehr trauen sollte." Kurz hielt Dives inne, bevor er abermals zum Princeps sah.


    "Ich bitte um Entschuldigung, so meine direkte Antwort auf den Beitrag des geschätzten Consulars Decimus andere Wortmeldungen unangemessen nach hinten verschob oder ich im Eifer des Gefechts unangemessen für einen hohen Mann in unserer Runde sprach, der gewiss auch für sich selbst sprechen kann und eines derartigen Einsatzes meinerseits daher nicht bedarf.", nickte er dem Augustus um Verzeihung bittend zu, bevor er sich wieder setzte.

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    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Iulius' Erklärung besänftigte Menecrates. Er nickte mehrmals leicht zum Zeichen, dass er die Beschwichtigung annahm. Als der Aedil seine Rede beendet hatte, schickte der Claudier versöhnliche Worte voraus. "In Ordnung."
    Dann ging er auf den neuerlich deutlich gemachten Standpunkt des Iulier ein. "Wenn ich Dich richtig verstehe, schlägst du trotz allem vor, entweder den Aussagen von Zeugen - nämlich meiner - keine Beachtung zu schenken oder Du hast Zweifel, dass ich damals Herr meiner Wahrnehmung gewesen bin.
    Ich verstehe, dass DIR aufgrund Deines Alters nichts anderes übrig bleibt als zu spekulieren, zu interpretieren. ICH jedoch habe die zur Debatte stehenden Personen gekannt, erlebt und habe Ereignissen beigewohnt. Was nützen Zeitzeugen, wenn ihrer Aussage kein Gewicht beigemessen wird?"


    Daraufhin entspann sich ein Dialog zwischen Iulius und Livianus. Den Decimer hatte Menecrates in der Vergangenheit als aufrichtigen und positiven Menschen kennengelernt. Zudem teilte er dessen Haltung. Mit Interesse verfolgte er die jeweiligen Vorträge.
    An einer Stelle mischte er sich mit Erlaubnis ins Gespräch.
    "Iulius, Du fragst, warum unser Princeps Aquilius heute den Senat um seine Meinung zu den beiden Consularen befragt. Eine mögliche Erklärung liegt auf der Hand: Nicht alle Personen, die über Informationen verfügten, weilten zum Zeitpunkt der Ermittlungen der Cohortes Praetoriae in Rom, nicht alle sollten oder konnten befragt werden. Ich zum Beispiel war in Germanien mit dem Kommando über die Legio Secunda betraut."


    Anschließend verfolgte er schweigend den Disput zu Ende und blickte zum Princeps. Gespannt wartete er auf dessen Reaktion.

  • Der Kaiser sah endlich eine Diskussion in Gang kommen. Aber leider ging diese in eine Richtung, die ihm so nicht passte. Vielleicht hätte er doch einfach das Consilium Ulpianum entscheiden lassen sollen.


    Nachdem Menecrates nochmals seine Position bekräftigt hatte, hob er mahnend die Hand. "Ich habe mir den Bericht von Praefectus Decimus, den ich seit geraumer Zeit wieder in seinen Amt habe, natürlich angehört." Er blickte in die Augen derjenigen, die unter Salinator in den Senat aufgestiegen waren. "Ich schätze ihn als treuen Soldaten und engagierten Beschützer des Staates und meiner Familie, weshalb ich ihn eben auch wieder zum wichtigsten Kommandeur des Exercitus Romanus gemacht habe, was ich im übrigen nicht bereut habe." Er machte eine kurze Pause, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. "Dennoch bekleidete er dieses Amt erstmals erstmals unter Vescularius Salinator und wird deshalb von manchen als sein Günstling und Parteigänger betrachtet. Allein deshalb werden seine Ermittlungen von manchen als politisch vorbelastet betrachtet und ihre Ergebnisse angezweifelt." Er sah zu den Parteigängern Palmas. "Der Mord an Valerianus ist ein sehr verworrener Fall und es wird kaum möglich sein, ihn zweifelsfrei aufzuklären, denn die Zeugen sind weitgehend Sklaven, deren Aussagen fraglich sind, oder unmittelbar Betroffene, die mit ihren Angaben ihre Interessen verfolgten. Am Ende halte ich die Interpretation der ermittelten Fakten für so offen, dass ich mir kein Urteil erlauben möchte." Er legte wieder eine kleine Pause ein, um dann noch einmal klar zu machen: "Ich könnte die beiden, Cornelius Palma nicht verurteilen. Ebensowenig könnte ich sie aber schlicht freisprechen." Und vor allem konnte er sich nicht leisten, mit einem solchen Urteil eine der alten Parteien vor den Kopf zu stoßen.


    Er sah ihn beide Lager und legte die Stirn in Falten. "Wie schon gesagt geht es mir nicht darum, Schuldige zu finden oder ein Tribunal einzurichten, um über die Zeit des Bürgerkriegs und der Jahre davor zu richten. Alle Kräfte dieser Jahre haben ehrenvolle Ziele zu verwirklichen versucht, alle haben das Blut guter Römer vergossen. Auch wenn die physischen Wunden nicht mehr bluten, sind die geistigen noch immer kaum vernarbt und drohen, bei zu starker Belastung erneut aufzureißen. Dies würde erneut zu Unfrieden führen, den zu begraben ich vor Jahren angetreten bin." Er strich sich durch den Bart.


    "Diese Debatte dreht sich um das Ulpianum, das unseren Kindern die großen Römer vor Augen stellen soll, die Helden unserer Zeit. Das ist der Grund, warum die Klausel mit dem Vorstrafenregister in den Richtlinien steht. In diesem Sinne sollten wir sie auch bewerten. Die zentrale Frage, um die es hier also gehen muss, ist nicht: Haben Tiberius Durus und Vinicius Lucianus von der Ermordung Valerianus' gewusst oder etwas damit zu tun gehabt? Sondern die Frage ist: Erachtet ihr sie für geeignet, den kommenden Generationen als Vorbilder zu dienen?
    Was die Grundlagen für ein solches Werturteil sind, mag für jeden unterschiedlich sein: der eine wird in dubio pro reo entscheiden, der andere allein den Zweifel an der Integrität für einen hinreichenden Grund, eine Person auszuschließen. Beide Positionen sind legitim, denn wir stehen hier nicht vor Gericht und einen Beweis, der über jede Anfechtung erhaben ist, wird es heute wie damals nicht geben."
    Die Überwachungskamera und die DNA-Analyse war ja noch nicht erfunden.


    Er strich sich noch einmal durch den Bart. Vielleicht sollte er einfach abstimmen lassen. Inhaltlich schien es sich ja tendenziell im Kreis zu drehen.

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    CENSOR - CURSUS HONORUM

    PONTIFEX MAXIMUS - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Der Kaiser wartete eine Weile auf weitere Wortmeldungen. Scheinbar war der Redebedarf aber abgeflaut. Ob er die Diskussion abgewürgt hatte?
    "Ich stelle fest, dass wir zu keinem Konsens finden konnten." Er blickte zu den Consuln. "Ich beantrage eine Einzelabstimmung über die beiden Kandidaten. Der Senat möge entscheiden, ob er die Nominierung von Marcus Vinicius Lucianus und Manius Tiberius Durus für das Ulpianum aufrechterhalten möchte." Er vermied bewusst, noch einmal den eigentlichen Anlass dieser Überprüfung der Nominierung in die Formulierung der Abstimmungsfrage aufzunehmen. So ließ sich das Ergebnis womöglich so präsentieren, dass es nicht wie eine juristische Bewertung über die Schuld oder Unschuld der beiden Verräter wirkte. Oder der beiden Helden. Wie man es sehen wollte.

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    CENSOR - CURSUS HONORUM

    PONTIFEX MAXIMUS - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Die blutrotfarbenen Schlangen des Verrates umkrochen Gracchus' Leib, dass er alsbald umwunden war von seinem eigenen Schrecken, den Mund leicht öffnete, um besser atmen zu können, den Blick weiterhin gesenkt in eine unendliche Leere unermesslichen Grauens. Jeden Augenblick in dem aufkommenden Disput erwartete er die offene Anklage, ein gerechtes Urteil, die Wahrheit - doch die Lüge kämpfte unermüdlich einem Giganten gleich, blendete wohlmeinende Männer heller als die Sonne es je vermochte, vernichtete jeden Zweifel durch die Illusion der Unschuld. Deutliche Worte wurden gesprochen und doch nicht gehört, und sobald das zarte Pflänzchen der Wahrheit sich dem Lichte entgegen zu recken versuchte kamen schwere Stiefel es herniederzutreten, zurückzuwängen in den dunklen Matsch der alles umfassenden Lüge. Und doch, allmählich beschlich Gracchus das Gefühl, dass die Posse seines eigenen Lebens längst viel größer war als er selbst, dass die schöne Fallacia längst in allen Gemächern Roms schlief. Nichts war noch verborgen, sie alle kannten die Wahrheit, ahnten die Wahrheit. Jeder auf seine Weise. Und gleichwohl waren sie alle miteinander verwoben, so dass letztendlich jeder von ihnen am selben seidenen Faden hing, an welchem das gesamte Konstrukt Roms baumelte, das zu durchtrennen sie alle, ganz Rom würde in die Tiefe reißen. Schweigen folgte auf die Worte des Imperators und nur jener wagte schlussendlich dies wieder zu durchbrechen. Gracchus atmete unmerklich auf, denn die Wahrheit blieb weiterhin unter dem Deckmantel der Lüge verborgen.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • In der Tat hatte der Kaiser die Diskussion abgewürgt - zumindest aus der Sicht des alten Decimers. Wirklich schade, da es sich wieder einmal um ein durchaus interessantes Thema gehandelt hatte, das selbst den politikmüden Livianus aus seiner Trägheit herausgerissen hatte. Doch er konnte die Zeichen der Zeit deuten und überließ das Feld wieder einer Generation die sich in ihrer Lethargie durchaus wohlzufühlen schien. Mit einem tiefen seufzen lehnte er sich zurück und überlegte, ob er sich an der nun beantragten Abstimmung überhaupt beteiligen sollte.

  • Zitat

    Original von Marcus Decimus Livianus
    In der Tat hatte der Kaiser die Diskussion abgewürgt - zumindest aus der Sicht des alten Decimers. Wirklich schade, da es sich wieder einmal um ein durchaus interessantes Thema gehandelt hatte, das selbst den politikmüden Livianus aus seiner Trägheit herausgerissen hatte. Doch er konnte die Zeichen der Zeit deuten und überließ das Feld wieder einer Generation die sich in ihrer Lethargie durchaus wohlzufühlen schien. Mit einem tiefen seufzen lehnte er sich zurück und überlegte, ob er sich an der nun beantragten Abstimmung überhaupt beteiligen sollte.


    Annähernd zeitgleich kreisten vergleichbare Gedanken in Menecrates' Kopf. Ein unerklärliches Empfinden, das seinen Körper erfüllte, ließ ihn den Kopf in Richtung Livianus wenden. Er dachte nicht über die Gründe für diese Anziehung nach und ließ sich - womöglich von Götterhand - leiten. Während sein Blick auf Decimus' Antlitz verweilte, stellte er nachdenklich fest, wie wenige Inhalte ihn noch aus der Reserve locken konnten. Es lag lange zurück, dass er sich derart aktiv in eine Sitzung einbrachte. Doch kaum, dass diese Diskussion ins Rollen kam, fand sie bereits ein Ende.


    Schon häufiger beschlich ihn der Verdacht, dass manch wichtigem Mann gar nicht an der Aufklärung fragwürdiger Vorgänge lag. Dieses Gefühl entzog ihm Kraft. Er nickte wie zu seiner eigenen Bestätigung mehrmals und kaum sichtbar, danach senkte er den Blick. Ein tiefer Atemzug hob und senkte seine Brust. Vielleicht würde es ihn befreien, wenn er einer längst eingegangenen Einladung in die Casa Decima Folge leistete. Schon möglich, dass ihn bereits auf dem Weg nach Hause die eigene Entschlusskraft wieder verließ. Wo waren nur die Jahre der Kraft und des Einbringens geblieben?

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