Officium | MFG et MFGM - oder: Der Fluch der gelben Schlange

  • Die Dunkelheit herbstlicher Abende hatte Rom bereits fest im Griff, überzog die Straßen und Gassen mit undurchschaubaren Ecken und Schatten, tauchte nur die Eingänge belebter Einkaufsstraßen, frequentierter Tabernae und Garküchen oder herrschaftlicher Häuser in das Licht goldgelbfarbener Fackeln. Die familiäre Cena im Hause Flavia war bereits beinahe beendet, gleichwohl hatte der Hausherr nicht daran partizipiert, denn Gracchus war durch eine diffizile kultische Angelegenheit in der Regia aufgehalten worden und darob ein wenig zu spät nach Hause gekommen. Selbstredend war dies kein zwingender Grund, der Cena fernzubleiben, doch als er das Atrium hatte betreten schallte aus dem kleinen Triclinium gerade ein helles Lachen hinaus, welches ihn veranlasste, der Familie bei diesem Essen nicht beizuwohnen, kreisten seine Gedanken doch bereits beinahe den gesamten Tag um jenes Gespräch, welches vor ihm lag. Er hatte sich in sein Officum zurück gezogen, dorthin ein wenig Fleisch und Brot angewiesen und sich nach wenigen lustlosen Bissen in das Studium einiger Schriften vertieft, welche er aus den kultischen Archiven hatte ausgeborgt. Ein Sklave war zudem angewiesen, Manius Minor während des Nachtisches davon zu unterrichten, dass sein Vater nach dem Essen ihn zu einem Gespräch erwartete.

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  • Die Cena dieses Tages war Manius Minor überaus vergnüglich erschienen, da erstlich Manius Maior, dessen Präsenz, obschon er den Jüngling seines drückenden Joches der Vita Activa ledig hatte gesprochen, stets die Furcht erweckte, er möge seine Gabe retirieren, dem Male ferne war geblieben, zum zweiten der junge Flavius hatte erkannt, dass der ersehnte Moment der Freiheit nun am Ende seiner Amtszeit in tangible Nähe war gerückt und drittens endlich die Familia ein kurzweiliges Gespräch über die zurückliegenden Ludi Plebei hatte entsponnen, welches gar die gewöhnliche Trübsal über der Villa Flavia Felix ein wenig hatte gelichtet. Erstorben war das Lächeln auf den Lippen des Jünglings indessen, als ein Sklave zu dem süßlich-physischen ein bitter-informationelles Dessert ihm reichte, denn welchen Grund mochte der ältere Gracchus haben, seinen Sprössling zu später Stunde noch zum Gespräch zu bitten, als ein überaus ernstliches Sujet, welches keinen Aufschub ihm gestattete?


    Sogleich waren Furcht und Ratlosigkeit in den Jüngling zurückgekehrt und sein Appetit, welchen er ob des regulären Konsumes an Opium ohnehin nicht selten lediglich in geringer Vehemenz verspürte, zur Gänze erstorben, sodass er sich genötigt sah, die Speise beiseite zu stellen und sich zu exkulpieren, um mit einem kleinen Schlücklein Opiums sich doch zumindest zu stärken, ehe er seinem Vater gegenüber trat. Dergestalt durch opiöse Gleichmut kalmiert (obschon der Thanatos-Trunk bei dem Jüngling bei weitem nicht mehr jene intensive Wirkung evozierte, wie dies einem ungeübten Konsumenten mochte geschehen) machte er final sich auf, dem Unentrinnbaren die Stirne zu bieten und jene zweifelsohne unerfreuliche Angelegenheit, deren Tragweite ihm unter dem Eindruck seiner Droge ohnehin bereits belanglos erschien, zu passieren, um endlich sich der Ruhe hinzugeben.


    Wie gewöhnlich klopfte er an die Türe des Officium, ehe er mit leisen Sohlen eintrat, den Schemen seines Vaters im dämmrigen Licht des scheidenden Tages, verstärkt durch die zarte Flamme einer Öllampe erblickend, gebeugt über ein Schriftstück.
    "Du hast mich rufen lassen, Vater?"
    , fragte er, wobei er die Schwere seiner Zunge verspürte, da sein Trunk bereits seine Wirkung entfaltete und vehement durch Mattheit den Leib des Jünglings gemahnte, sich in die Behaglichkeit einer Kline zu retirieren!

  • Als Minor den Raum betrat legte Gracchus ein Lineal beiseite und blickte auf.
    "In der Tat, Minimus, bitte nimm Platz."
    Er deutete auf einen der beiden Stühle, welche seinem eigenen auf der gegenüberliegenden Seite des massiven Schreibtisches waren platziert, rollte die Schrift zusammen und legte sie zu dem Lineal an den Rand der Tischplatte. Sodann erhob er sich und trat durch den Raum zu einem der Regale, aus welchem er eine längliche Schatulle aus dunklem Ebenholz nahm, deren Deckel geziert wurde von feinen, floralen Schnitzereien. Zurück an seinem Schreibtisch nahm er wieder Platz und stellte das Kästchen zwischen seinen Sohn und sich selbst, die Scharniere des Deckels zu Minor weisend.
    "Was ich dir heute offenbare muss in diesem Raume ver..bleiben, zwischen dir und mir. Nicht einmal deine Onkel, geschweige denn deine Vettern kennen zuweilen die gesamte Last, welche auf unserer Familie liegt."
    Ein Augenblick verrann in Schweigen während Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne sog und langsam wieder daraus hervorließ, sodann atmete er tief durch die Nase ein, ehedem er den Deckel aufklappte und aus dem Kästchen einen Gegenstand hervorholte, welchen er sodann auf den Tisch legte: ein zierlicher Dolch, mit langer, schmaler Klinge, schimmernd im Lichte des Feuers, der Griff aus glattem, rotfarbenen Kirschholz.
    "Deine Großmutter, meine Mutter, ist ... keines natürlichen Todes gestorben"
    , begann er sodann unumwunden, fürchtete er doch die Wahrheit nicht mehr aussprechen zu können wenn er zu lange zögerte.
    "Mit diesem Dolch ... hat sie sich einst ihr Leben genommen. Nicht um einen ehrenhaften Tod zu finden, nicht um sich und ihrer Familie eine Schande zu er..sparen oder aus großer Not heraus. Nein, es war schlichtweg aus Gram. Aus Gram darüber, dass mein Vater, den sie augenscheinlich sehr liebte, verstorben war, und sie nach geraumer Weile schlichtweg keinen Sinn mehr darin sah ohne ihn zu leben."
    Noch immer zürnte ein Teil Gracchus‘ seiner Mutter ob dieser absurden, irrationalen Tat, mit welcher sie aller Pflichten und Verantwortungen gegenüber ihrer Familie, und insbesondere ihrer jüngeren Kinder sich hatte entzogen - und ein wenig wohl auch deshalb, da ihre Begründung einen Teil der Schuld letztlich auch auf seine eigenen Schultern lud. Mit einem leisen Seufzen griff er noch einmal in die Schatulle, nahm eine weitere Klinge daraus hervor: einen ägyptischen, geschlängelten Dolch, das Griffende den Kopf einer Kobra formend, die Augen zwei kleine Rubine.
    "Minervina, meine Schwester ... Auch sie erlag keinem natürlichen Tode"
    , fuhr er tonlos fort.
    "Auch sie wählte den Freitod durch die Klinge aus Gram über ihr Schicksal, aus Gram über den Weg, der ihr verwehrt und jenen, welchen zu gehen ihre Pfli'ht war."
    Dass er selbst ihr diesen Weg hatte verwehrt und ihre Pflicht auf das Schärfste hatte eingefordert, mochte Gracchus nicht weiter vertiefen, stattdessen die Aufmerksamkeit von der Vergangenheit hin auf die Gegenwart lenken.
    "Auf den Töchtern unserer Familie liegt ein Fluch, Minor, der Fluch ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen, aus Gründen, welche viel zu gering sind für solch eine Tat, aus Gram und Kummer. Allfällig war meine Mutter nicht einmal die erste dieser Reihe - doch solche Wahrheiten werden selbst in unserer Familie bisweilen ver..schwiegen, und sie wiederholen sich darob, ... wieder und wieder, von einer ... zur nä'hsten Generation."
    Er fixierte Minors Blick, welcher ihm ein wenig stumpf erschien, wiewohl er dies der Fehlsichtigkeit seines Sohnes zuschrieb.
    "Deine Schwester … Flamma … auch sie ist keines natürli'hen Todes gestorben, Minimus."

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  • In der opiösen Umnachtung gefangen platzierte der Jüngling sich auf den rechten der Stühle und betrachtete das befremdliche Verhalten seines Vaters, welches er nicht recht zu identifizieren vermochte, sodass er vermutete, mit einem ennuyanten Schreiben konfrontiert zu werden, womöglich einem Vertrag oder dergleichen, was für gewöhnlich in einem Regal ward verwahrt. Indessen erschien es ihm selbst in seinem Status befremdlich, einen solchen in einem hölzernen Kästlein zu verwahren, sodass mit wachsender Irritation er dem Introitus jenes obskuren Zwiegesprächs lauschte.
    Erstlich argwöhnte er bereits, Manius Maior habe seine eigene Mutter höchstselbst ermordet, als erstlich der kalte Stahl ward aufgedeckt und sodann Diva Flavia Nyreti wurde erwähnt. Doch ehe noch sein nebulöser Geist die Konsequenzen jenes Argwohnes zu ermessen imstande war, enthüllte endlich sich der wahrhafte Anlass. Dieser jedoch erschien dem Jüngling in keinster Weise erschröcklich, respektive nicht dergestalt, dass jene Information nicht auf den nächsten Tag hätte warten können, denn weder der Römer, welcher die leeren Meinungen der Majorität verfolgte, missbilligte den Freitod, noch der große Philosoph, der da an Menoikos hatte geschrieben (was Epimenides nicht lediglich einmalig hatte rezitiert):
    Noch viel minderer aber ist, wer da sagt: Schön ist's, gar nicht geboren zu sein. Ist man geboren, aufs schnellste des Hades Tor zu durchschreiten.
    Ist dies nämlich seine wirkliche Überzeugung, warum gibt er dann das Leben nicht auf? Das steht ihm ja frei, wenn er es sich fest vornimmt. Redet er aber nur aus Spott so daher, dann gilt er bei denen, die solches Gerede nicht mögen, erst recht als Narr.

    Die Melancholie erschien somit zwar irrational, doch keinesfalls kondemnabel, zumal der junge Flavius niemals die Bekanntschaft seiner Großmutter hatte gemacht und somit außerstande war zu ermessen, inwieweit die Trübsal ihr Leben wahrhaftig hatte ruiniert.


    Indessen ängstigte es ihn doch ein wenig, als der ältere Gracchus eine weitere Klinge hervorholte, bezeichnenderweise orientalischer Provenienz und somit wohl als überaus adäquat um dem Vater zu erlauben, dem Sohne den Gram über dessen Häresie zu symbolisieren, indem er mit selbigem sich oder gar ihn selbst nun ebenfalls aus dem Leben verabsentierte. Mit beachtlicher Gleichmut nahm der jüngere der Gracchen indessen auch diesen Gedanken hin, was ihn als wahren Schüler Epikurs wohl adelte, ehe auch diese unerhörte Ästimation durch weitere Explikationen wurde zerschlagen. Doch obschon Minervina bisweilen in seinen Kindertagen ward thematisiert worden, vermochte er auch dieser Person sich nicht zu entsinnen, sodass es seiner Droge keine Mühe bereitete, ihn in einer Apathie gefangen zu halten, welche die Seelenpein seines sonst so reservierten Vaters umso stärker kontrastierte.


    Die finale Information endlich drang wieder hindurch durch den Panzer seiner Lethargie, erreichte seinen Geist: Flamma! Sogleich erwachten Remineszenzen an jenen Tag, als er im so unendlich fernen Alexandreia die Botschaft ihres Verscheidens hatte empfangen! Sogleich erinnerte er sich seiner Spekulationen hinsichtlich der Involviertheit seiner Stiefmutter, mit welcher soeben er noch den Tisch hatte geteilt, präsentierte sich ihm jener emotionale Brief, den er damals seinem Vetter Scato hatte gesandt und der doch niemals war repliziert worden.
    Schlagartig war sämtliche epikureische Ataraxie verschwunden, fühlte er sich trotz der Schwere der Glieder hinreichend klar, weshalb unvermittelt er sich aufrichtete und jene Schatten fixierte, welche zweifelsohne die traurigen Augen seines Vaters verbargen.

  • Mit großen Augen blickte sein Sohn ihn an, beinahe vermeinte der Vater einen Anflug von Flehen darin zu erblicken, welchem er doch keine Hoffnung konnte einräumen.
    "Flamma ... hat sich ebenfalls selbst das Leben genommen ... ehedem es noch recht einen Beginn konnte finden..."
    Einige Augenblicke vermochte er nicht weiter den Blick zu halten, senkte ihn hinab auf die im goldfarbenen Lichte der Flammen schimmernden Klingen.
    "Ich ... ich habe zweifelsohne versäumt, die ihr zustehende Aufmerksamkeit ihr zu..kommen zu lassen, doch ..."
    Nun blickte er wieder auf.
    "Doch dies drastische Handeln ..."
    Er schüttelte den Kopf.
    "Es ist ein Fluch, Minor, ein Flu'h, der in unserem Blute gebunden ist. Für mich ist es zu spät, doch für deine Töchter, für Titus' Töchter soll dies nicht ihr Schicksal sein."

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  • Selbstredend hatte Manius Minor nicht erwartet, dass Manius Maior im offenbaren würde, seine Stiefmutter habe Flamma ermordet. Dennoch ponderierte er jene Information sogleich als eine Konfirmation seiner Hypothese, dass eben Aurelia die Verantwortung für jenen gräulichen Tod trug, womöglich aus weibischer Eitelkeit und Neid auf die jugendliche Grazie seiner Schwester, welche den bereits welkenden Liebreiz seiner Stiefmutter beiweitem übertraf. Denn warum hätte Flamma, die in der römischen Nobilitas mit jedwedem Vorzug aufstrahlte, den ein junges Mädchen aufzuweisen vermochte, nämlich sowohl Anmut wie Schönheit, sowohl noble Dezendenz wie wohlanständige Bildung, und sowohl einen potenten Vater wie eine zweifelsohne opulente Dos, sich das Leben nehmen sollen? Gewiss war nach dem Verscheiden seiner geliebten Mutter noch größere Last auf ihre Schultern gelegt worden, hatte sie weitaus vehementer wohl unter der Tyrannis jener Natter von Stiefmutter gelitten. Doch immerhin war sie jener nach Baiae entfleucht, hatte dort zweifelsohne die erquickliche Gesellschaft Onkel Aristides' genossen und mit den übrigen Aristokratinnen, welche dort ihre freie Zeit vor dem Eheschluss verlebten, vergnügliche Tage gehabt!
    Zweifelsohne hatte Manius Maior versäumt, auf sie zu achten, doch in einem konträren Sinne, als er in seiner geradehin närrische Obödienz seiner neuen Gattin gegenüber wohl vermeinte! Umso enervierender erschien in dieser Perspektive jedoch die infantile Superstitiosität, mit welcher er jenes Versagen fremden Mächten und irrationalen Projektionen wollte anheim stellen, anstatt den wahren Fluch der Flavia: die leeren Meinungen, welche mörderisch jeden, der sich ihnen unterwarf, früher oder später von Unlust umfingen und final hinwegrafften, zu erkennen und sich ihrer zu privieren!


    Da jene letztere paternale Narretei ihm als geübten Disputanten in epikureischen Zirkeln vertrauter erschien, begann er sarkastisch erstere zu kommentieren:
    "Sorge dich nicht: Ich werde jenen Fluch zu brechen wissen."
    Sofern er überhaupt jemals würde Nachkommen produzieren, da doch die Familie dem Epikureer wenig Lust zu bereiten vermochte und jene Agonie, welche seine eigene ihm in all den Jahren hatte bereitet, ihn ohnehin wenig motivierte, jene schmerzbeladene Tradition zu prolongieren.
    "Doch sage mir: Wie starb Flamma?"
    Durch den Schleier des Opiumrausches damalig wie heute erinnerte der Jüngling des Briefes, in welchem sein Vater die Todesumstände seiner Schwester beiläufig hatte abgetan. Nun jedoch drängte es ihn mehr zu erfahren, durch Indizien seinen Verdacht zu erhärten und sodann seine Korrektheit seinem Vater zweifelsfrei zu belegen, um ihn in Titus' Interesse von seinem Bann zu erlösen.
    "Hat sie sich ebenfalls-"
    Er stockte, als sein Geist ihm die zu jenen Worten gehörige Illustration mental materialisierte, doch würgte er die Abscheu des Bildes einer blutüberströmten Grazie hinab und fuhr fort:
    "-erdolcht? Oder nahm sie den Schierlingsbecher?"
    Er wusste nicht, welche Replik er erhoffen sollte, da doch letzteres vortrefflicher zur Hypothese des Giftmordes sich fügte, während ersteres womöglich einer perfiden Finte der Natter mochte entwachsen sein, ihren Gatten durch eine similäre Todesart wie die übrigen Flaviae in jenen Wahn zu treiben, der ihn nun tatsächlich in seinen Klauen hielt.

  • Der Blick des älteren Gracchus wanderte wieder hinab zu den beiden Klingen, gefolgt von einem kraftlosen Nicken.
    "Ebenfalls ... erdol'ht"
    , reichten die Worte ihm nicht einmal mehr zu einem vollständigen Satz. Ihn von der Last ihrer Existenz befreien, dies waren Flammas Worte gewesen, und gleichwohl er ihr tatsächlich zu Lebzeiten wenig Aufmerksamkeit hatte geschenkt, so hatten diese Worte, gefolgt von ihrer Tat ihn doch tief getroffen.
    "Sie ... haben den Dolch mit ihrem Leichnam ver..brannt."
    Zweifelsohne wäre er sonstig Teil dieser traurigen Sammlung geworden, welche sich zwischen Vater und Sohn ausbreitete, einem Mahnmal gleich.
    "Es ist nichts von ihr zurückgekehrt ... außer einer Urne. Sie steht ... neben jener deiner Mutter."
    Dies war Flammas letzer Wunsch gewesen und selbstredend war Gracchus diesem nachgekommen - gab es doch schon zu viele Larven, welche an seiner Haut zerrten.

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  • Die Imagination seiner Schwester, die entflammt von Thanatophilie sich selbst einen similären Dolch wie jene, welche Manius Maior ihm soeben hatte präsentiert, in den wohlgeformten Busen trieb, erschien Manius Minor überaus abwegig, zumal sie die Frage evozierte, ob solch ein zartes Wesen wie sie es gewesen war überhaupt die Kraft mochte aufbringen, sich den Brustkorb mit einer Klinge zu durchstoßen. Nun, da die Weise ihres Verscheidens war offenbar, hielt er den Tod durch Gift doch für die weitaus adäquatere feminine Todesart!


    Überaus dubios war darüber hinaus das Fehlen des Corpus Delicti ebenso wie das umstandslose Vernichten sämtlicher physischer Beweise, das der ältere Gracche freiheraus gestand, noch ehe der Jüngling diesbezüglich sich hatte erkundigt, sodass es geradehin den Anschein erweckte, jener wolle jedwede Possibilität zur Verifizierung seiner Konfessionen bereits von vornherein exkludieren, was wiederum den Verdacht nährte, sein Vater habe Kenntnis von den Irregularitäten jenes mysteriösen Todesfalles und sekundierte seiner natterngleichen Gattin bei deren Vertuschung, was jedoch eine noch größere Monströsität ankündigte als der Mord selbst. Dennoch wollte der Jüngling so weit als möglich weitere Indizien sammeln, ehe er eine Reaktion erwägen mochte:
    "Warum gab sie sich selbst den Tod?"
    Sichtlich erregten jene erschröcklichen Hypothesen und Befürchtungen, sodass seine Atemfrequenz wie seine Stimme zu beben begann:
    "Existieren Zeugen oder Assistenten jener Tat? Wann erlangtest du Kenntnis von ihr? Warum hielt keiner sie zurück?"
    Er stockte.
    "Inwiefern ist eine Fremdeinwirkung mit Gewissheit zu exkludieren?"

  • Mit einem Male schien der Geist des jüngeren Gracchen in rege Betriebsamkeit zu verfallen, da eine Frage nach der anderen seinem Munde entfleuchte, welche den älteren Gracchen indes ein wenig in Not brachten.
    "Im Sommer letzten Jahres ist sie nach Lavinium abgereist, augenscheinli'h der Hitze der Stadt zu entkommen - doch ... letztlich war dies wohl nur ein Vorwand. Im Herbst traf ein Bote ein, die Urne bereits mit sich bringend. Ich ... habe Sciurus dorthin entsandt. Es gab ... keinen Zweifel an ihrer Tat."
    Gracchus wusste, dass er sich auf seinen Leibsklaven verlassen konnte. Hätte auch nur der geringste Verdacht bestanden, dass etwas nicht mit rechten Dingen sich hatte zugetragen, so hätte Sciurus dies zweifelsohne ermittelt.
    "Er hat ... zudem für alles weitere Sorge getragen."
    Einige Sklaven des Landgutes hatte der Vilicus mit sich genommen, doch sie waren nicht in Rom angelangt. Gracchus wollte nicht wissen, was aus ihnen geworden war, es reichte ihm vollkommen aus, dass Sciurus wusste, was er tat. Der Vater blickte seinen Sohn durchdringend an.
    "Ich möchte nicht, dass dies publik wird, Minor. Hätte sie ihre Ehre verteidigt, hätte sie ein Opfer gebra'ht für Rom oder ihre Familie, wäre sie ergraut und verwelkt gewesen oder krank und leidend ..."
    Er schüttelte leicht den Kopf und sog die Unterlippe für einen Augenblick zwischen seine Zähne, ehedem er langsam weiter sprach, gegen den inneren Drang ankämpfend dies schlichtweg unter dem schweren Mantel der Lüge weiterhin zu verbergen. Doch Minor war sein Sohn, sein Fleisch und Blut, sein Erbe, sein Nachkomme, der diesen Fluch und alle Geheimnisse dieser Familie mit sich würde tragen müssen.
    "Sie ... gab mir die Schuld an all ihrem Kummer. Meinetwegen hat sie sich das Leben genommen."

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  • Der junge Flavius legte die Stirne in Falten, während aufs Neue ihn ein Schub der Wirkung des Opiums überfiel und ihm die Konzentration raubte, obschon er zutiefst sich wünschte, seine Sinne in jener verworrenen Situation zu kontrollieren. Unerwartet hatte seine Schwester der Urbs den Rücken gekehrt, augenscheinlich einen Irreales vorwendend, da doch sie in höchster Begierde war gestanden, ihren Platz in der Familia Flavia Romae endlich einzunehmen und auf diese oder jene Weise der törichten Imagination von Familienruhm zu dienen. Was also hätte sie von ihrer Pflicht abhold zu machen vermocht als ihre neue Cohabitantin, die doch just in jenem Sommer den Ehebund mit Manius Maior hatte geschlossen und wohl mit ihrer Tyrannis in der Villa Flavia Felix dem zartesten Flämmchen seiner Familia das Leben zum Orcus gemacht?
    Mit den Finger massierte er sich Nasenwurzel und Überaugenwülste, um sich von jenem unwillkommenen Schweben zu befreien und seinen Geist auf jene Situation hin zu erden, in welcher soeben er sich befand.
    Sciurus also hatte den Casus geprüft; jene sinistre Figur, welcher dem jungen Flavius stets überaus suspekt war gewesen, da er doch stets weitaus mehr Zeit mit Manius Maior hatte verbracht, als Manius Minor jemals zu hoffen hatte wagen dürfen. Niemals hatte der Jüngling Zugang zu diesem Ianitor am paternalen Officium gewonnen, der doch allzu oft in Kindertagen ihm den Zugang seinem stets überaus okkupierten Vater zu verwehren. Insofern verspürte er wenig Zuneigung zu diesem paternalen Schatten, der zweifelsohne nur zufällig diesem Dialoge nicht beiwohnte, und schon erwachte in ihm der Verdacht, dass er, welcher zweifelsohne von hoher Intelligenz und messerscharfem Sinn für die Macht begabt war, den neuen Potentaten im Hause hatte erkannt und sich seinem servilen Geist gemäß auf die Seite der Natter geschlagen!


    Doch verpufften all jene Hypothesen über Mordkomplotte und Conjurationen, als schlussendlich der ältere Gracchus höchstselbst eine Erklärung darbot, welche sämtliche Schuld ihm selbst zuwies.
    Irritiert blickte der Jüngling auf und fixierte seinen Vater voller Misstrauen:
    "Was hast du ihr angetan?"
    Hatte er sie genötigt, wie er vielmals es hatte in Aussicht gestellt, dem Ordo Vestalium beizutreten und ihr gesamtes Leben jene imaginierten Götter zu verehren, die als grausames Opfer ihrer Diener jedwede Entsagung von fleischlichen Lustbarkeiten verlangten? Überaus komprehensabel erschien es Manius Minor nun, da er die geschlechtlichen Freuden hatte entdeckt, dass ein junges Mägdlein von der Schönheit, wie seine Schwester sie hatte besessen, jene Perspektive zutiefst vergrämte! Oder hatte womöglich doch Aurelia ihrem Gatten eine alternative Diabolität eingegeben, um sie in den Tod zu treiben?

  • "Angetan?"
    repetierte Gracchus Maior erst ein wenig irritiert, klang dies in seinen Ohren doch beinahe als hätte er höchstselbst den Dolch geführt, so das er sich aufrichtete und vehement widersprach.
    "Ni'hts, ich habe ihr nichts angetan! Sie ist ... sie war meine Tochter, und obgleich ich sie womögli'h nicht im selben Maße gefördert und ... geliebt habe wie dich, so habe ich doch stets versucht, die beste Entscheidung für sie zu treffen, wie ich stets versuche, die besten Ent...scheidungen für diese Familie zu treffen."
    Bisweilen mochte dies mit den Wünschen und Sehnsüchten ihrer Mitglieder konfligieren, doch letztendlich lebte der Mensch - zumindest der flavische - nicht in einen ihm umflorenden Kosmos, sondern einem komplexen Verbund aus Pflicht und Ehre, aus Vorzug und Obliegenheit gleichermaßen.
    "Indes war dies ihr augenscheinlich nicht genügend, war das Leben als Flavia ihr nicht genügend..."
    Ein Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, und mit ihm auch die Echauffierung über die vermeintliche Anklage, dass seine Schultern wieder herabsanken.
    "Similär war dies auch in Minervinas Falle ..."
    In facto war Minervinas Trotz noch ein wenig stärker gewesen, befeuert durch eine augenscheinliche Liebe zu einem plebejischen Soldaden, doch letztendlich hatte auch sie schlichtweg dem flavischen Leben sich entzogen, welches ihr Bruder für sie hatte eingefordert. Ein kleines Knötchen in dem flachsenen Docht einer der Öllampen ließ die Flamme darauf für einen marginalen Augenblick zischen und flackern, gleichwohl dies subtile Ereignis ausreichte, dem älteren Flavier einen Moment des Erkennens zu gewähren - denn hatte nicht auch Minor sich dem Tode - dem gesellschaftlichen, wie familiären Tode - hingeben wollen, zur besten Entscheidung gedrängt? Saß er nur deswegen noch hier, da Gracchus ihm den weiteren Weg durch den Cursus Honorum schlussendlich hatte freigestellt? Als würde er aus einem Traume erwachen musterte der ältere den jüngeren Flavius, suchte in seinem Antlitz eine Antwort, studierte die Linien und Konturen als wäre dies Gegenüber sein Spiegel.
    "Ich ... habe stets versu'ht nur die besten Entscheidungen für diese Familie zu treffen ..."
    Langsam schüttelte er den Kopf, seine Aufmerksamkeit allmählich aus der Gegenwart hinfortfortdriftend, sein Blick durch die hölzerne Tischplatte hindurch in die Ferne gerichtet, ein kalter Schauer sein Rückgrat hinabfahrend, eine Faust sein Herz umschließend.
    Seine Entscheidung.
    Nicht ein Fluch die flavischen Töchter betreffend.
    Seine Entscheidung.
    Nicht irgendein Fluch.
    Seine Entscheidung.
    Sein Fluch.
    Mörder!
    Noch ein wenig mehr sank der Vater in sich zusammen als er realisierte, dass es kein Entrinnen gab. So sehr hatte er sich an die Hoffnung geklammert, dies aus der Welt räumen zu können, diese Reihe von Ereignissen einer anderen Ursache zuschreiben zu können als sich selbst. So sehr hatte er der grundlosen Hoffnung sich hingegeben, dies Verhängnis endlich hinter sich gelassen zu haben, diesen Makel von sich gestreift, dieser Verdammnis entronnen zu sein. Doch mit welchem Anrecht, durch welche Kompensation? Minor hatte Recht, er war das Bindeglied zwischen all dem Tode. Immer gewesen. Immer noch. Und immer wieder.
    "Allfällig ... habe ich ihr dies angetan..."
    , flüsterte er leise.
    Mörder.
    Ihr, und all den anderen vor ihr.

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  • Jenes offendierte Gehabe, mit welchem Manius Maior auf seine Frage reagierte, vermochte das Misstrauen Manius Minors kaum zu beschwichtigen, zumal seine Worte unfreiwilliger Komik nicht entbehrten: 'nicht im selben Maße gefördert und geliebt habe wie dich'! Mitnichten erschien es dem jungen Flavius imaginabel, vom eigenen Vater mit größerer Distanz, ja Ignoranz gestraft zu werden. Mitnichten ließ sich ein schändlicheres Zeugnis paternaler Liebe ausstellen, als wenn ein Vater seine Primogenitur, einen hilflosen Knaben inmitten des Krieges zurückließ, formal im Schutze einer ganzen Legion, doch real in sozialer Isolation und torquierlicher Furcht, welche die Präsenz eines fieberkrank halluzinierenden Oheims keineswegs milderte! Mitnichten war indessen auch von einer Förderung zu sprechen, wenn jener ferne, lieblose Vater seinen Sohn bar jedweder diesbezüglichen, wahrhaften Äußerung von Interesse zu einem Jungpolitiker ließ dressieren, um endlich ihn aus Furcht vor der Konfrontation mit seiner neuen Herrin, jener aurelischen Natter, unter dem Vorwand der Bildung ans andere Ende des Imperiums zu transferieren!
    Die neuerliche Erwähnung Minervinas, jener Tante, deren Bekanntschaft weder Manius Minor, noch Flamma oder Titus jemals hatten gemacht, konfirmierte final und mit größter Klarität, dass seine Worte doch der Wahrheit entsprachen, wenn auch in einem gänzlich unintendierten Sinne: Mehr als das Verscheiden seines eigen Fleisches und Blutes, jener Grazie, deren Tod erst so wenige Monate zurücklag, grämte ihn das Hinscheiden seiner längst verblichenen Schwester, deren Leib nach nunmehr beinahe zwei Dezennien zweifelsohne bereits zur Gänze in seine Atome war zerfallen!
    Augenscheinlich hatte sein Vater Flamma mit noch größerer Missachtung gestraft, als dies bei ihm der Fall war gewesen, hatte er sie durch beständige Zurücksetzung in jenen Wahn getrieben, aus dem lediglich der Selbstmord als Fluchtweg war erschienen. Oder hatte nicht doch auch Aurelia Prisca Anteil an jener deplorablen Geschichte? Hatte sie ihn derartig okkupiert, dass weder die naive Mühe auf Aufmerksamkeit, noch ihr flehendes Bitten um Zuwendung nach dem Tode ihrer Mutter zu ihm war durchgedrungen? War es somit womöglich gar nicht vonnöten gewesen, sie ermorden zu lassen? Hatte es der Natter genügt, jenes einsame Mägdlein schlicht aus Roma zu verjagen, um ihre psychische Stabilität gänzlich zu annihilieren?


    Der flavische Jüngling sog vernehmlich Luft ein, als vermöge ein Mehr an Luft die Geister des Opiums zu vertreiben und seine schwere Zunge zu reanimieren. Behäbig lehnte er sich in seinem Sitzmöbel zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete jenes von Autocompassion zerfressene Häuflein Elend auf der anderen Seite des Tisches despektierlich:
    "Womöglich hättest du dich daran erinnern sollen, welcher Familie primär du verpflichtet bist."
    Er kniff die Augen zusammen, was seinen Blick noch hostiler ließ erscheinen, obschon jener Gestus lediglich dazu diente, seine vom Thanatos-Saft erschlafften Sehnerven zu aktivieren.
    "Womöglich hättest du bei jenen 'besten Entscheidungen für diese Familie' bei dir selbst beginnen und dir nicht jene Natter ins Haus holen sollen, welche dich augenscheinlich dergestalt okkupiert, dass du nicht einmal mehr das Leiden deiner eigenen Tochter zu bemerken imstande bist!"
    Mit beachtlicher Schnelligkeit spie der soeben noch erschlaffte Mund jene bitteren Akkusationen dem paternalen Angesicht entgegen, nachdem Morpheus den Geist des Jünglings endgültig von den Fesseln der Furcht wie der Courtoisie hatte priviert:
    "Womöglich hättest du dein eigenes Wohl nicht mit dem der gesamten Familie inklusive deiner eigenen Kinder verwechseln sollen!"
    Höchst unepikureisch mochten jene Worte zweifelsohne sein. Doch appellierte der ungezügelte Geist des Opiaten im Angesicht jener grässlichen Situation an weitaus tiefer liegende Emotionen, als jedwedes Philosophieren zu annihilieren imstande gewesen wäre!

  • 'Womöglich hättest du dich daran erinnern sollen, welcher Familie primär du verpflichtet bist.'
    Die Stirn des älteren Gracchen legte sich in Falten als er irritiert seinen Blick hob, denn obgleich eine Anklage allfällig durchaus gerechtfertigt war, so schien explizit diese doch keinen Sinn ihm zu ergeben, gab es doch stets nur einige einzige Familie - die seine -, welcher er allen Widrigkeiten zum Trotzte stets zur Gänze ergeben war.
    'Womöglich hättest du bei jenen 'besten Entscheidungen für diese Familie' bei dir selbst beginnen und dir nicht jene Natter ins Haus holen sollen, welche dich augenscheinlich dergestalt okkupiert, dass du nicht einmal mehr das Leiden deiner eigenen Tochter zu bemerken imstande bist!'
    Auch dieser Vorwurf ergab nicht in seiner Gänze einen Sinn, wiewohl Gracchus nicht sogleich die Natter konnte zuordnen, einige Augenblicke benötigte, um Prisca darin zu erkennen, woraufhin seine Braue empor wanderte und ein Anflug von Zorn sich auf seinem Antlitz zeigte.
    'Womöglich hättest du dein eigenes Wohl nicht mit dem der gesamten Familie inklusive deiner eigenen Kinder verwechseln sollen!'
    In Unsicherheit kniff Gracchus seine Augen zusammen, uneins in seinem Sentiment, ob dies nun Gram oder Indignation war, Einräumung oder Verwahrung der Vorwürfe, welche den seinen zwar komparabel waren, gleichwohl auf ihre Art und Weise invers, letztendlich ein Affront, welchen er aus dem Gekeife der Larven, die ihn umgaben, allfällig mochte gewohnt sein, aus dem Munde seines Sohnes indes nicht konnte tolerieren.
    "So?"
    Setzte der flavische Vater aus der Defensive an.
    "Und hinsi'htlich welcher Entscheidungen hätte ich dies tun sollen? Etwa in dem Augenblicke als ich meine Integrität opferte, um meinen Kindern eine Zukunft unter einem indifferenten Schatten und seinem tyrannischen Despoten zu ersparen?"
    Mit jedem Worte richtete Gracchus‘ Körper sich wieder ein wenig mehr auf, kehrte Dynamik und Rage in seinen Leib zurück.
    "Oder allfällig in jenem Augenblicke, da ich aberwitzig mein Leben riskierte in der bloßen Hoffnung den Bürgerkrieg auf schnellere Art und Weise beenden zu können als dabei zuzusehen wie die Si'herheit, das Heim und die Lebensgrundlage meiner Familie zerstört wird?"
    Der flavische Ingrimm war es nun, der in ihm empor kroch, inwendiger Zorn allfällig auch darüber, dass all diese Entscheidungen letztendlich auf die ein oder andere Art zu Scheitern hatten geführt.
    "Oder aber als ich neuerli'h die Last einer Ehe auf mich nahm, um die Wahrheit, welche diese Familie - mich, dich und deinen Bruder - innerhalb kürzester Dauer diskreditieren und zu Fall würde bringen, um diese Wahrheit durch mehr zu binden als durch bloße Worte?"
    Gracchus‘ Hände hatten sich auf der Tischplatte abgestützt und gaben seinem Oberkörper den notwendigen Halt, welcher sich mehr und mehr in Richtung seines Sohnes beugte, während seine Stimme bereits den Zenit eines manierlichen Disputes hatte überschritten.
    "Glaubst du etwa, ich hätte dies freiwillig noch einmal auf mich genommen!?"
    Immer mehr steigerte die Lautstärke seiner Stimme sich, gleich dem Zorne auf seinem Antlitz, während seine Finger sich schon beinahe in die Tischplatte krallten.
    "Meinem eigenen Wohle zuträgli'h würde ich längst in Hephaistions Armen auf meinem Land vor Athenae unter einem Olivenbaum sitzen und den Reichtum meiner Familie ver..prassen! Stattdessen sitze ich hier, lasse mich von den Lemuren meiner Angehörigen in den Wahnsinn treiben, flüchte vor den edelsten Männern dieses Reichen von einer in die nächste Lüge, habe ich Hephaistion schon seit Monaten nicht mehr zu Gesichte bekommen, lasse mich stattdessen be..drängen von einer Gemahlin, die schlichtweg verlangt, was einer Ehefrau zusteht, und entrüste mich über meinen Sohn, der diese Zukunft nicht einmal annehmen will, für welche ich all dies auf mich nehme!"
    Ruckartig stand er auf, dass der Stuhl hinter ihm beinahe umkippte, und schnaufte wütende durch die Nase, griff nach einem der Dolche und hielt ihn Minor vorwurfsvoll entgegen.
    "Ich bin dessen so überdrüssig, dass es ein leichtes wäre mein Leiden ebenfalls schli'htweg durch eine Klinge zu beenden! Also sage mir, Manius Flavius Gracchus Minor, ist dies die beste Entscheidung gegen das meine und für das Wohl der Familie!?"

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  • Die inferiore Sehkraft Manius Minors verschloss ihm jenen irritierten Blick, mit welchem Manius Maior auf seine provozierlichen Fragen reagierte, sodass gar, da erstlich keine direkte Replik erfolgte, ihn ihm bereits die Satisfaktion jenes Triumphes aufkeimte, seinen Vater aus der Reserve gelockt und zur Reflexion angeregt zu haben.


    Doch war der ältere Gracchus keinesfalls so leichtlich in die Schranken zu weisen, wie dies womöglich der Wunsch des jüngeren wäre gewesen, denn sogleich erfolgte die Retoure, similär in klimatisch sich amplifizierende Fragen gepackt und similär in der assoziativen Kontextualität den Opponenten irritierend, doch mit weitaus größerer Vehemenz vorgetragen und somit gleichsam Furcht und juvenilen Protest evozierend:
    'Etwa in dem Augenblicke als ich meine Integrität opferte, um meinen Kindern eine Zukunft unter einem indifferenten Schatten und seinem tyrannischen Despoten zu ersparen?'
    So bedurfte der berauschte Geist des Jünglings einigen Spintisierens, ehe er erkannte, dass Manius Maior den Beginn seiner kritischen Entscheidungen weitaus früher ansetzte, als er selbst dies jemals hatte unterstellt: Augenscheinlich bezog er sich auf jene Verschwörung, welche in Mantua er hatte seinem Sohne gestanden und welche doch niemals Anlass zu dessen Kritik war gewesen! Noch okkupiert von jener Einsicht fiel die folgende Frage auf gänzliches Unverständnis:
    'Oder allfällig in jenem Augenblicke, da ich aberwitzig mein Leben riskierte in der bloßen Hoffnung den Bürgerkrieg auf schnellere Art und Weise beenden zu können als dabei zuzusehen wie die Si'herheit, das Heim und die Lebensgrundlage meiner Familie zerstört wird?'
    Wo hatte Manius Maior jemalig sein Leben riskiert? In jenem Moment, als er feige aus Rom war geflohen? Oder in jenem, als er sich, die Götter wussten wo (so sie wider Erwarten Interesse an derart sterblichen Belangen jemals entwickelten) hatte verborgen, um der Gefahr des Bürgerkrieges zu entfleuchen?
    Das Crescendo jenes flavischen Wahnes, der sich mit jeder Silbe amplifizierte und selbstredend als der Zorn des in die Enge Getriebenen war zu identifizieren, dem es an Argumenten gebrach, sodass durch blechernes Tönen er seinen Worten Evidenz zu verleihen suchte, hingegen verschloss jene Frage weiterer empathischer Reflexion bei dem flavischen Jüngling, zumal sein Vater nun endlich zu jenen Episoden gelangte, die er selbst hatte angesprochen:
    'Oder aber als ich neuerli'h die Last einer Ehe auf mich nahm, um die Wahrheit, welche diese Familie - mich, dich und deinen Bruder - innerhalb kürzester Dauer diskreditieren und zu Fall würde bringen, um diese Wahrheit durch mehr zu binden als durch bloße Worte?'
    Welche Wahrheit? Hatte sein Vater nicht selbst ihm offenbart, dass eitle Ruhmsucht und die leeren Meinungen der Maiores ihn dazu hatten gedrängt, neuerlich den Ehebund einzugehen?
    Manius Minor presste empört die Lippen aufeinander, während Manius Maior augenscheinlich fortfuhr zu fabulieren:
    'Glaubst du etwa, ich hätte dies freiwillig noch einmal auf mich genommen!?'
    Durchaus tat er dies! Wer sollte ihn denn genötigt haben? Selbst ein Liebestrank, den Aurelia Prisca womöglich ihm hatte verabreicht, wäre doch letztlich in seiner Naivität begründet gewesen!
    In den Ohren des Jünglings erklangen jene selbstmitleidigen Fragen nur als Konfirmation jener Feigheit, in der sein Vater sich selbst aus der Verantwortung seiner jüngsten Entscheidungen zu stehlen suchte!


    Auch die nun folgende Ausschüttung seines Herzens, zu welcher der ältere Gracche nun ansetzte, vermochte in jenem Kontext zu keinerlei Erhellung beizutragen: Wer war Hephaistion? Womöglich ein Eromenos, welchen sein Vater auf dessen langen Aufenthalten in Achaia hatte geliebt? Niemals hatte der junge Flavius erwogen, dass sein Vater womöglich eine dergestalte sexuelle Präferenz pflegte, welche ihm im Rahmen seines Myrmidonenkreises zwar durchaus war bekannt geworden, die jedoch bei seinem eigenen Vater doch ihm eine leichte Abscheu bereitete.
    Denoch war er geneigt, all jenem Lamentieren die Worte Epikurs entgegenzusetzen und ihm schlicht zu raten, sich von all jenen augenscheinlich brennenden Quellen des Schmerzes zu befreien, indem er eben dies tat, was er als Quelle seiner individuellen Lust erachtete: Warum sollte er nicht der beständig Schmerz evozierenden Politik den Rücken kehren? Warum nicht seiner parasitären Gattin die Scheidungsurkunde ausstellen? Sich ins ferne Achaia retirieren?
    Für die Zukunft seines Sohnes hatte er all dies zweifelsohne nicht zu ertragen!


    Die Situation offerierte indessen nicht jene vernünftige Replik, denn ehe Manius Minor auch nur ein Wort zu sprechen vermochte, sprang Manius Maior, erregt von gleißendem Selbsthass auf und griff nach dem Dolch, mit welchem seine Mutter sich den Tod hatte gegeben, sodass der Jüngling furchtsam sich gegen die Lehne seines Stuhles presste und bereits erwog, sich den geschwungenen ägyptischen Dolch Minervinas zu greifen, um den erwarteten Angriff seines rasenden Vaters zu parieren.
    Doch anstatt die Klinge gegen ihn zu richten, bot sein Vater ihm die Waffe gleich einem Kapitulanten dar, was jener endlosen Kette der Irritationen jenes Zwiegespräches eine weitere addierte, verbunden mit einer überaus diffizilen Frage:
    'Ist dies die beste Entscheidung gegen das meine und für das Wohl der Familie!?'
    In jenem Wahn, welcher seinen Vater hatte erfasst, erschien die Option des Selbstmordes überaus realistisch, welche augenscheinlich nun von der Replik des Sohnes abhing.
    Manius Minor stutzte. Wollte er seinen Vater, jene armselige Kreatur, die sich durch leere Meinungen und selbstgeschaffene Konstriktionen Tag um Tag aufs Neue torquierte und dazu seinem Umfeld similäre Lasten aufbürdete, unter den Toten wissen? Hatte er nicht schon vor einigen Jahren bereits jenen Tod für sich erklärt? Machte das Verscheiden seines Vaters nicht den Weg frei für die Manumissio seines geliebten Patrokolos, welche in Alexandreia er hatte geschworen? Wäre es nicht somit langfristig die größte Minimierung seiner eigenen Schmerzen wie der seines Vaters?
    Alles schien ein dergestaltes Todesurteil als weiseste Entscheidung zu empfehlen.
    Und doch vermochte der Jüngling nicht, die Worte zu sprechen und seinen eigenen Vater in den Tod zu schicken; abhorreszierte er vor der Perspektive, mit eigenen Augen anzuschauen, wie sein Vater sich den Dolch in den Leib rammte und gleich jenem miserablen Sklaven, dessen Todes Zeuge er kürzlich noch in Populonia geworden war, elendiglich seinen Geist aushauchte.
    Sichtlich rang er mit sich, öffnete mehrfach den Mund, um das Verdikt zu sprechen.
    Doch versagte ihm die Stimme, schlossen sich seine Lippen stets aufs Neue stumm. War er selbst ein similärer Feigling wie sein Vater? Brachte auch er den Mut nicht auf, das Beste für sich und seine Anverwandten zu wählen und Titus vor den Klauen der aurelischen Natter zu retten?
    Ärger keimte in ihm auf ob jener Inkapabilität, welche Manius Maior durch seine maliziöse Offerte so schonungslos offenbarte. Warum vermochte er den finalen Schritt nicht zu gehen? Warum iterierte sich jene Niederlage, welche schon vor einem Jahr sich hatte ereignet? Warum gelang es seinem Vater stets aufs Neue, ihm die Grenzen seiner Überzeugungen aufzuzeigen? Waren dies nicht überaus ungerechte Alternativen, vor die er gestellt wurde? Gänzlicher Ausstoß oder völlige Unterwerfung. Leben oder Tod. Vater oder Familie. Waren dies nicht melodramatische Hyperbeln ohne Bezug zu den realen Optionen des Lebens? Zielten dergestalte Worte nicht lediglich darauf, den jungen Flavius bei der Stange zu halten und ihm jene Furcht zu bereiten, die ihn vor allzu konsequentem Handeln zurückschrecken ließ?
    Dies war ungerecht!
    "Was wünscht du zu hören? Dass dein treuloser Sohn seinem eigenen Vater den Tod empfiehlt und dein Selbstmitleid konfirmiert? Dass er um dein Leben fleht und seine Rückkehr auf den Weg der leeren Meinungen offeriert?"
    Heftiger Zorn ergriff nun auch den jungen Gracchen, da er mehr und mehr zu der Einsicht gelangte, dass all dies nichts war als eine perfide Strategie, ihn aufs Neue zum Gehorsam zu bewegen. Er beugte sich vor und schlug seinem Vater mit einer raschen Bewegung den Dolch aus der Hand, nicht ohne sich an der pointierten Spitze der Waffe den Digitus salutaris aufzureißen.
    Doch verspürte er dank Opium und Erregung kaum einen Schmerz, während die Waffe klirrend auf den Mosaikboden fiel.
    "Mir ist es gleich, ob du in den Tod fliehst oder nicht! Erstich dich, stürze dich in dein Schwert oder suhle dich weiter in deinen selbstgewählten Leiden!"

  • Heftig schnaufte Gracchus in Erwartung einer Replik seines Sohnes bis dass dieser seine unerwartete Reaktion zeigte, wiewohl zweifelsohne jede Reaktion kaum zu erwarten war, schlussendlich dies heftige Gebaren aus der Kehle des älteren Flaviers ein tiefes Lachen provozierte.
    "Ja! Versuche nur vor dieser Entscheidung zu fliehen, versage dich deiner Ver..antwortung und suggeriere dir selbst, dass dies nicht in deinem Interesse liegt! Doch eben diese Entscheidungen sind es, welche dein Leben lang dir na'hhängen werden! Heute noch magst du dir glauben machen, dass du nichts hättest entschieden, doch in ein, zwei Jahren, dann wenn ich dein Leben ruiniert, deinen Bruder auf dem Ge..wissen oder ganz Rom in die nächste Misere gestürzt habe, dann wirst du beginnen zu zweifeln und zu zaudern, wirst dich fragen müssen, ob du nicht hier und heute dem hättest ein Ende setzen können, ob nicht all dies nur deshalb konnte ge..schehen, da du zu feige warst im richtigen Augenblicke die rechte Entscheidung zu treffen!"
    Längst war nicht mehr intelligibel, ob der Flavier noch mit seinem Sohn stritt oder längst mit sich selbst, beinahe schien kein Unterschied mehr zu sein zwischen ihnen, dass er, das Antlitz in Hohn verzerrt den Mund öffnete, eine weitere Salve gegen sich selbst zu entlassen als plötzlich die Welt um ihn herum still stand. Einem dickflüssigen Tropfen Weine gleich hatte ein Quantum Blut an der Spitze Minors Zeigefinger sich angesammelt und schickte nun sich an, der Gravitation folge zu leisten und dem Zentrum der Welt hinzustreben. Wie die Motte vom Lichte wurde Gracchus' Blick angezogen durch den dunklen, rotfarbenen Schimmer, folgte hypnotisiert dem aus dem Leben sich verabschiedenden Lebenssafte hinab zur Tischplatte, wo der Tropfen aufschlug mit unhörbarem Paukenschlag, die Welt des Staubes um ihn her zum Erzittern brachte und in einen kleinen See schlussendlich sich bettete und beruhigte. Sein Blut. Sein eigen Fleisch und Blut. Die Worte waren in Gracchus' Halse stecken geblieben, und obgleich der Zorn noch immer irgendwo in ihm schwelte, so wusste er nicht mehr, was es gewesen war, das er hatte sagen wollen, denn um die Ränder seines Blickfeldes zog ein Schleier von Schattigkeit auf, welcher auch seinen Geist vernebelte. Gebannt fixierte er das Blut auf seinem Tisch, fühlte das heftige Schlagen seines Herzes gleich der aufkommenden Kraftlosigkeit in seinen Beinen, konnte nicht sich abwenden von dem Blut auf seinem Tisch, verlor allmählich die Kontrolle über seinen Leib, wurde beherrscht von dem Blut auf seinem Tisch. Zweifelsohne mochte es nun ihm zum Vorteil gereichen, dass seine Heftigkeit zuvor nicht hatte ausgereicht, den Stuhl hinter sich umzuwerfen, denn so stand dieser nun fest und in all seiner Funktion bereit, seinen matten Leib in sich aufzunehmen.
    "Geh ... und lasse deine ... Wunde versorgen"
    , wies er Minor mit matter Stimme an, im Kampf gegen das blümerante Gefühl, welche ihn stets im Anblick des Blutes überkam, gegen welches er auch nach all den Jahren nicht gefeit war, den Blick noch immer auf den rotfarbenen Flecken auf der Tischplatte gebannt.

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  • Das irrsinnige Gelächter, in welches Manius Maior nunmehr verfiel, brüskierte Manius Minor nur umso mehr und amplifizierte seinen Zorn, während haltlos er jene abstrusen Vorwürfe zu vernehmen genötigt war; jene Verquerung der Umstände, die suggerierte ein Mann könne sich der Verantwortung für sämtliches zukünftiges Handeln entziehen und all dies seinem Sohne aufbürden, indem er diesem sein Ableben offerierte. Doch obschon es Narrheit war, derartiges auch nur zu präsumieren, trafen die Worte den jungen Flavius gleich einem Faustschlag, ließen in ihm die Furcht wachsen, sein Vater möge allein um ihm Schmerz und Schuldgefühle zu bereiten nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben von Titus zerstören (das Schicksal Roms war ihm ja immerhin gänzlich gleich).
    Doch mit einem Male verstummte sein Opponent und unterbrach seine Tiraden.


    Ob seiner Fehlsicht entging ihm selbstredend, welche Stelle der nunmehr geradezu furchtsam erstarrte Gracche fixierte und somit auch woher sein augenscheinlicher Sinneswandel rührte, weshalb es ihm lediglich war gestattet voller Irritation zu verfolgen, wie die eruptive Agonie seines Vaters einer implosiven wich, wie sämtlicher Esprit ihm entwich gleich einer luftgefüllten Schweineblase, mit denen Kinder zu spielen pflegten, sobald ein Löchlein sich in sie hatte gefügt. Geradehin erschröcklich war jener Sinneswandel zu betrachten, sodass der Jüngling auch nicht vermochte, die augenscheinliche Schwäche sich zunutze zu machen und eine weitere Offensive zu beginnen, sondern schlicht der paternalen Anweisung Folge leistete und zurückwich vor jenem Wahnwitz, tastend die Türklinke ergriff und sich ohne ein weiteres Wort retirierte.

  • Eine geraume Weile noch blickte Gracchus auf den Tropfen Blut, welcher von einem rotfarbenen See des Lebens sich wandelte in eine spröde, braunfarbene Ödnis des Verendens, ließ die Vertigo über sich ergehen bis dass sein Leib sich wieder beruhigte und mit ihm sukzessive auch sein Geist erkaltete, bis dass sein Augenmerk wieder abgelenkt wurde von jener Klinge, welche auf dem Tisch war verblieben. Die verräterische Kobra schien ihn zu locken, ihre rubinenen Augen blitzen verführerisch als seine Hand sich um das Heft legte und er sinnierend das blanke Metall betrachtete. Ein Stich nur und die kalte Klinge würde die hitzige Wut in seinem Herzen verstummen lassen, ein Stich nur und er würde seine Familie vor dem Fluch seines Lebens schützen, ein Stich nur und alles wäre vorbei. Zumindest vorerst.
    "Herr?" unterbrach ihn die traute Stimme seines Vilicus, welcher unbemerkt in den Raum war getreten - allfällig schon einige Augenblicke hinter ihm hatte gestanden.
    Der Flavier legte die Klinge zurück in das ebenhölzerne Kästchen und wies mit fahriger Handbewegung auf den Dolch, welcher noch immer am Boden lag.
    "Wie ist es nur so weit gekommen, Sciurus?"
    Fragend hob er die Schultern und ließ sie wieder fallen.
    "Gleich worüber wir spre'hen, gleich wie erhaben, erbaulich oder ernsthaft die Causa ist - am Ende verfallen wir stets in einen zänkischen Disput, werfen uns Beleidigungen an den Kopf, fahren uns an in einer Vehemenz als ent..stammten wir nicht einer der ältesten, noblen Familien Roms sondern einem groben Barbarenstamme aus den Norden!"
    Gracchus' Stirn legte sich in Falten während er fragend sich zu seinem Leibsklaven umwandte.
    "Ich habe immer geglaubt wenn Minor erst alt genug ist, wenn sein Horizont geweitet ist durch die Studien, dann werden wir endlich mehr Ge..meinsamkeiten finden, werden über Philosophie und Kunst parlieren, politische Pläne schmieden, die Familie zu neuem Glanze führen. Doch worüber auch immer wir beginnen zu sprechen, unsere Ansichten sind diskrepant und disparat - und selbst dann wenn sie es augenscheinlich nicht sind - allfällig sogar gerade dann -, verfallen wir in ein Gefe'ht, verfalle ich in eine Rage als wäre mein eigener Sohn mein größter Feind, welchen es einzig zu bezwingen gilt."
    Der Sklave bückte sich nach dem Dolch am Boden und legte ihn auf den Schreibtisch zurück, während sein Herr weiter sprach.
    "Er provoziert einen Furor in mir, einen solchen Ingrimm … es wiederholt sich alles, Sciurus, dabei hatte ich stets ge..glaubt - gehofft -, dass wir anders sein könnten, Vater und Sohn wie … wie Felix und sein Söhne, wie Aristides und Serenus … doch es wiederholt sich alles und ... eines Tages wird einer von uns in diesem Feuer verbrennen."
    Mit einem tiefen Seufzen legte Gracchus auch den zweiten Dolch in die Schatulle zurück und schloss den Deckel.

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  • Abrupt wurden die Gedanken des Flaviers unterbrochen als an der Türe ein heftiges Klopfen zu vernehmen war und ohne abzuwarten ein Sklave regelrecht in den Raum hineinpolterte. In Sciurus' Augen blitze bereits die Androhung schwerer Strafe ob dies ungebührlichen Verhaltens auf, doch noch ehe er mit scharfen Worten den Namenlosen konnte zurechtweisen stammelte dieser gänzlich außer Atem: "Dein Sohn, Herr, dein Sohn ist tot!"
    "Bitte?"
    fragte Gracchus derangiert nach, glaube er doch irrtümlich vernommen zu haben sein Sohn wäre tot.
    "Der junge Herr Minor! Sein Herz schlägt nicht mehr ... er ... es war das Opium! Patroklos sagt er hat zu viel auf einmal eingenommen!"
    "Opium?"
    repetierte der Flavier während alle Farbe aus seinem Antlitz wich und er mit einem Male realisierte, dass sein Sohn das Leben sich hatte genommen - just nach ihrem letzten Gespräch über Tod und Selbstmord, über Fluch und Familie, nach ihrem Disput, ihrem Zank und seinem Ingrimm - und er sprang von seinem Stuhle auf, schob Sciurus achtlos beiseite und hastete aus dem Raum.

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