[Baiae] Das Anwesen des M' Flavius Gracchus

  • Alle Bedenken der Sklavenschaft in Hinblick auf die grauenhafte Wetterlage in den tosenden Wind schlagend stürmte Gracchus in den Hof hinaus und quälte sein Pferd in den kalten Regen. Binnen weniger Augenblicke hatten sie im Galopp jene kurze Distanz überwunden, welche sonstig zu Fuß ihn an den Felsen ans Meer brachte, durchquerten alsbald gen Norden den kleinen Zypressenwald, in welchem die Spitzen der Bäume im Winde sich bedenklich zu den Seiten neigten trunken schwankenden Zyklopen gleich. Nie zuvor hatte der Flavier diese Grenze überschritten, hinter welcher Callistas Anwesen zu finden war. Zu dieser Jahreszeit lediglich karge Wiesen schlossen sich an die Bäume an, hernach eine Aue um einen schmalen Bachlauf, welcher an diesem Tage an einigen Stellen bereits über die Ufer trat. Unbeirrt trieb Gracchus das Pferd durch das Wasser, querte brach liegende Felder, einen Baum hier, einen Baum dort, umwand eine aus unförmigen Steinen errichtete Umzäunungsmauer, doch nirgends war ein Dach zu sehen, welches auch nur einem Bauern eine Behausung mochte bieten, geschweige denn der schönen Callista. Callista, welche keinen Augenblick gealtert schien in all der Zeit seit ihrem Zusammentreffen Jahrzehnte zuvor in Rom. Der Wind peitschte um ihn her und zerrte an seinem Mantel, an der nassen Mähne des Pferdes und jedem Halm, welcher seinen Weg säumte. Nirgendwo auch nur eine Spur von Callista. Callista, die nichts erschüttern oder überraschen konnte, da sie stets alles bereits zu wissen schien. Weit draußen am Horizont, über dem tiefschwarzen Meer, flackerten Blitze und erhellten für einen kurzen Augenblick das dunkle Wolkengetürm. Callista, die immer schon auf dem Felsen ausharrte oder einen Augenblick nach ihm kam, gleich zu welcher Stunde. Als würde der Regen sie hinfortspülen wich die von Ingrimm genährte Spannung aus Gracchus, was gleichsam auf das Pferd sich übertrug da er die Zügel lockerte, wie auch seine Oberschenkel sich nicht mehr in die Flanken des Tieres pressten. Callista, die seine Vergangenheit kannte wie sonst niemand, die von Ereignissen Kenntnis besaß, von welchen niemand außer er selbst wusste ohne dass ihm dies war sonderbar erschienen. Ohne dass er das Pferd weiter antrieb verlangsamte dies seinen Schritt, tänzelte nervös auf der Stelle inmitten eines von Stoppeln überzogenen Feldes, unschlüssig wohin sein Reiter in diesem Gewirr aus Regenfetzen und Donnergrollen es wollte lenken, überhitzt und ausgekühlt zugleich. Callista, die selbst keine Vergangenheit und keine Gegenwart ihr Eigen nannte. Gracchus spürte nicht die kalten Tropfen, nicht den zerrenden Wind, hörte nicht das nahe Tosen und ferne Grollen, sah nicht seinen getreuen Sciurus ihm folgen. Callista, die nicht existierte, war alles, was seine Sinne vermochte zu füllen. Callista.


    ~ ~ ~


    Tagelang sprach Gracchus kein Wort, nicht zu seinen Sklaven, nicht zu Sciurus. Er stand auf, aß spärlich, eilte an die Küste und harrte aus auf dem Stein am Meer. Doch niemand kam. In seinem Kopf dröhnte eine dissonante Kakophonie, in seinem Bauch rumorte gefräßiges Natterngezücht und sein Herz war durchbohrt von tausenden Splittern desperater Hoffnung, doch Callista kam nicht wieder. Erst wenn die Sonne sich anschickte unterzugehen kehrte er in sein Haus zurück, aß kaum etwas und starrte in die Flammen einer Feuerschale oder einer Kerze bis dass es Zeit zum Schlafen war. In der Nacht wälzte er sich von einer auf die andere Seite, von Unruhe und Alb getrieben, erwachte des Morgens kaum ausgeruht. Er reagierte nicht auf die Fragen der Sklaven nach seinen Wünschen, nicht auf die Worte seines Vilicus in Hinblick auf Neuigkeiten oder anderweitige Zerstreuung. Er reagierte nicht auf die Untersuchung des Medicus, welchen Sciurus nach drei Tagen einbestellte, welcher indes keine körperliche Insuffizienz - zumindest keine, welche nicht bereits bekannt war - konnte detektieren. So laut die Stille um Gracchus her tönte, umso unermesslich kakophonischer das Chaos in seinem Inneren, in welchem ihm unmöglich war, einen klaren Gedanken zu fassen. Er suchte mit sich selbst ins Reine zu kommen, doch sein Gedankengebäude war ihm verschlossen, die Welt um ihn her verwüstet und öd, die Götter blieben stumm, nicht einmal die wilde Insania bot ihre wirren Antworten ihm dar. Er glaubte sich zurückgerissen in jenen Zustand, in welchem er seine Familie und sein Leben hatte vergessen, war dieser Trug ihm doch ebenso wahrhaft erschienen wie Callista, gleichwohl ihre Existenz weit größere Vehemenz in sich barg, denn mochte eine Vergangenheit, ein Leben sich durch Worte ändern lassen, so war die Schaffung eines Menschen ein Werk weit bedenklicheren Ausmaßes. Ziellos streifte er durch die vergangenen Wochen und Monate, suchte Erleben und Erkenntnis miteinander in Einklang zu bringen, suchte einen Halt, doch verlor Tag um Tag nur mehr und mehr sich selbst.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Am siebten Tage nach dem Sturm nahm Sciurus Platz neben seinem Herrn auf dem Felsbrocken am Meer. Schweigend blickte er auf das türkiesblaufarbene Wasser, welches an diesem Tage so ruhig im trüben Licht der Herbstsonne schimmerte als könne niemals auch nur ein Windhauch es kräuseln. Es beruhigte Gracchus seltsam, dass jener Platz, welchen Callista hatte ausgefüllt, nun nicht mehr leer war.
    "Glaubst du, ich verliere meinen Ver..stand?"
    fragte er unvermittelt nach geraumer Weile der Stille.
    "Nicht mehr und nicht weniger als sonst", entgegnete Sciurus trocken.
    Der Flavier blickte zur Seite, konnte keine Regung auf dem Antlitz des Sklaven detektieren.
    "So also denkst du über mich?"
    Sciurus wandte sich um und blickte Gracchus unumwunden an. "Ich bin lange genug an deiner Seite." Allfällig war es ein marginales Lächeln, welches für einen winzigen Augenblick über seine Lippen huschte, allfällig indes auch nur ein trügerisches Spiel aus Licht und Schatten. Gracchus' Mundwinkel indes hob sich ein Stück während beide ihren Blick zurück zum Meer wandten. Obgleich er nicht sich gewiss war, ob dies die Angelegenheit vereinfachte, so hatte Sciurus womöglich recht.
    "Wir sollten nach Rom zurück kehren", bemerkte der Vilicus kurze Zeit später. "Baiae bekommt dir nicht."
    Der Flavier nickte langsam.
    "Callista war similärer Ansi'ht."
    Seine Brauen zogen sich zusammen und er schüttelte langsam, ungläubig den Kopf.
    "Sie war so ... wahrhaftig, Sciurus. Ich ... ich entsinne mich ganz genau ihrer zarten Berührungen, ihrer heiteren Stimme, ihres Duftes nach Pfirsi'hblüten ... Wie ... wie konnte ich all dies erfahren, wenn sie ..."
    Er brach ab, atmete tief ein, um die emporsteigende Furcht in sich zu supprimieren.
    "Sie war nur ein Traum, Herr, ein Tagtraum. Bist du nicht oft genug aus deinen Träumen erwacht und wähntest dich noch immer dort, weil dir alles so real erschienen war?"
    "Zweifellos, doch hernach bin ich fähig, den Traum vom Wachen zu unterscheiden, und wie lange auch sein Widerhall in mir ver..harren mag, niemals waren diese Eindrücke derart fassbar. Bei Callista indes ... wäre ... wäre sie nicht fort seit dieser Na'ht, und wärst es nicht du, welcher ..."
    Gracchus stockte, da ein ungeheuerlicher Gedanke ihm zu Sinnen kam. Sein Leib versteifte sich und er wandte seinen Blick wieder dem Sklaven zu.
    "Sciurus, du ... du hast doch nicht etwa ... Callista ... be..seitigt?"
    "Aus welchem Grund hätte ich dies tun sollen, Herr?" erwiderte der Vilicus ohne Regung und ohne seine Aufmerksamkeit von den Wellen des Meeres zu wenden.
    "Nun, aus dem glei'hen Grunde wie stets - mich zu schützen, zu meinem Wohle oder dem meiner Familie."
    "Nein Herr, das habe ich nicht getan. Hätte ich es, wäre sie nicht jählings verschwunden, sondern einem Unfall zum Opfer gefallen, dass du dich an ihrer Bestattung hättest verabschieden können."
    Gracchus nickte, denn er wusste, dass Sciurus ihn diesbezüglich nicht würde belügen, gleichwohl er einen Augenblick die Hoffnung hatte gehegt, er würde dies tun, um die Wahrheit ihm zu erleichtern. Langsam erhob er sich.
    "Lasse uns nach Hause gehen."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Ein partikuläres Gefühl umfing Manius Minor, als er hoch zu Ross das Tor zu jenem neuen Anwesen Manius Maiors durchquerte, welches weit entfernt lag von jener Villa, in welcher als Knabe er zahlreiche Senatsferien hatte verbracht und ihm doch, da in den vergangenen Dekaden lediglich ein Vilicus dort (augenscheinlich im Namen des Princeps) die Geschicke geleitet hatte, weshalb zweifelsohne es auch niemals zu Einladungen war gekommen, ihm gänzlich unbekannt war. Jenes benachbarte Haus, auf welches er nun, gefolgt von seinem Reisewagen und der Bagage, die einen Aristokraten auf Reisen zu geleiten pflegte, auf einer schnurgeraden Straße zuhielt, erschien ihm gleichsam als treffliche Metapher zu ihrem Bewohner, zu dessen Besuch er den langen und beschwerlichen Weg von Roma her auf sich genommen hatte: Wie im Grunde jedes der Sommerresidenzen am Golf von Neapolis über ein similäres Interieur verfügte, so mochte auch sein Vater den übrigen Consularen, ja gleichsam sämtlichen Aristokraten Roms und damit auch dem jungen Flavius gleichen, mochten gewisse Distrikte seiner Persönlichkeit jenen essentiellen Funktionen entsprechen, welche die Gesellschaft erwartete und derer sie bedurfte. Doch obschon er zahllose erquickliche Momente seiner Kindheit in nächster Nähe von diesem speziellen Gemäuer hatte gefristet, so galt selbiges auch für den älteren Gracchus, der gleichsam als Betrachter das Heranreifen seines Sohnes hatte verfolgt, bisweilen integriert, doch auch dann nicht mehr als eine Kulisse wie die betagten Mauern, an denen er im Rahmen infantiler Spiele mehrfach war vorbeigeeilt ohne sie jemals erklommen zu haben, nicht selten jedoch absent, sei es in räumlicher oder geistiger Hinsicht. So nah war jenes Anwesen, so nah war sein Vater, und doch vermochte er nicht recht zu ponderieren, ob er sich in ihm würde zurechtfinden, ob er zu antizipieren wusste, welche Räume und düsteren Kammern es verbarg.


    Seit seinem Traume auf der Reise nach Roma hatte es dem Jüngling danach verlangt, seinen Vater wieder zu sehen, um mit ihm jenes Gespräch zu führen, welches er vor so vielen Jahren schon hätte führen müssen, als er in Verblendung und Desillusion sich von jenem Mann, der ihn selbst hatte gezeugt, immer weiter entfernt hatte. Waren es nicht just jene Jahre der Adoleszenz, in welchen die Sprösslinge nobler Häuser sich ihren Vätern für gewöhnlich anzunähern pflegten, da nun endlich sie über den Verstand verfügten, die komplexen Dependenzen des politischen Lebens und der geistigen Muse zu erfassen und damit nicht lediglich zur Stütze des familiären Unternehmens, sondern ebenso zu einem interessanten, zunehmend ebenbürtigen Gegenüber wurden?
    Doch was hatte Manius Minor in jenen Jahren getan? Er hatte Manius Maior mit stummen Vorwürfen überhäuft, hatte sich seiner Feigheit geschämt, während dieser parallel doch zu höchsten Ehren war aufgestiegen, von allen respektiert und niemandem sonst seines Versagens wegen getadelt! Anstatt sein größter Bewunderer zu sein war er sein schärfster Kritiker gewesen, hatte all seine Verdienste abgetan als hohle Fassade. Anstatt seine Nähe zu suchen, um von ihm das zu lernen, wessen er zur Erfüllung seiner Pflichten bedurfte, hatte er ihn gemieden und die Einsamkeit gesucht. Anstatt seinem Namen und Vermächtnis gemäß sich ihm stetig zu approximieren, war ihre Distanz gewachsen bis schließlich ein ganzes Imperium und eine gänzlich konträre Philosophie hatte zwischen ihnen gelegen.


    All dies nun wollte der junge Flavius nun überwinden, indem er Schritt um Schritt auf das unbekannte Haus zuritt, um jenen Weg der Versöhnung zu vollenden, welchen er vor mehr als einem Jahr hatte angetreten. Und doch wusste er nichts rechtes von der Welt hinter den kleinen Fenstern, ob dortig überhaupt ein Bewusstsein für jene Differenz existierte, ob Interesse an jener Vereinigung bestand oder nicht doch eine tiefe Sehnsucht, die Bande zwischen Vater und Sohn neu zu knüpfen...

  • Als der Junge Flavius das familiäre Anwesen erreichte war ein Tonsor beschäftigt dem älteren Flavius einen akkuraten Schnitt zu verpassen, weshalb Sciurus mit der Nachricht ob der Ankunft zögerte, um nicht ein Unglück heraufzubeschwören in dem Augenblicke da sein Herr ungeachtet jeglicher scharfen Gegenstände würde von seinem Sitz aufspringen. Gracchus Minor blieb darob genügend Zeit durch den Maior Domus in Empfang genommen zu werden, sich seines Mantels zu entledigen und das Atrium zu betreten. Noch während der Tonsor mit einer weichen Bürste einige Haare vom flavischen Halse fegte erhob Gracchus sich sobald er über den Besuch unterrichtet war in größter Freude und trat eiligen, doch beschwingten Schrittes ebenfalls in das Atrium hinein.
    "Minimus!"
    entbot er euphorisch seinen Gruß und eilte auf eben diesen zu. Das Sentiment in seiner Stimme war durchaus ein wenig widersprüchlich zu seiner Erscheinung, welche ob der zurückliegenden Tage noch immer ein wenig fahl und trüb anmutete. Gleichwohl er wieder mit seinen Sklaven sprach war er noch immer in sich gekehrt, aß wenig und suchte wenig Ablenkung von seiner Grübelei.
    "Minor, welch eine Freude!"
    Tatsächlich war dies nicht nur eine Floskel, denn in der Einöde, welche um ihn her und in ihm herrschte, hatte Gracchus seine Familie zuletzt mehr als nur ein wenig vermisst, und gleich welche Differenzen auch zwischen Vater und Sohn vor einigen Jahren hatten geherrscht, gleich welche Distanz zwischen ihnen noch immer verblieben war, so war und blieb Minor doch ein zentraler Fixpunkt seines Lebens. Als er vor ihm zu stehen kam breitete er darob die Arme aus, um den Sohn erst einmal zu herzen. Erst dann trat er wieder einen Schritt zurück und betrachtete Minor.
    "Du siehst gut aus! Germania hat dir augenscheinlich nicht geschadet. Du musst mir alles darüber beri'hten, über die Germanen und die Provinz, und auch über deinen Wahlkampf und Rom."
    Er stockte als ihm bewusst wurde, dass es auch gegenüber seinem Sohn eine gewisse Pflicht als Gastgeber gab.
    "Möchtest du dich erst ein wenig ausruhen oder stärken nach der Reise?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Mitnichten kam ihm Manius Maior entgegen, als er sich dem Portale approximierte, was das Unbehagen Manius Minors amplifizierte, da doch zweifelsohne ein eiliger Melder bereits den Hausherrn über sein Erscheinen in Kenntnis musste gesetzt haben, kaum hatte er die Tore des Anwesens passiert. Im Schatten des Portikus wartete jedoch lediglich ein ihm unbekannter Fremder, der indessen sich als der Verwalter* jenes Anwesens präsentierte, und ihm beflissentlich den Mantel abnahm und hinein ins Atrium führte, wo ebenfalls niemand ihn erwartete, sondern man lediglich ihn bat, eine Weile sich zu gedulden, ehe sein Vater würde erscheinen.


    Folglich verblieb dem jungen Flavius hinreichende Zeit zu bangen und sich zu verwundern, warum sein Vater ihn derart mochte warten lassen, ob er womöglich erst durch seinen getreuen Sciurus überredet werden musste, seinen Sohn überhaupt zu empfangen, ob er selbst in der Muse jener ruralen Ländlichkeit seine Okkupationen als zu bedeutsam erachtete, um sie wegen der Visite seines seit mehr denn einem Jahr nicht mehr gesehenen Sohnes zu unterbrechen. In jedem Falle schien jene Wartezeit Unerfreuliches zu verheißen, was den Jüngling nicht nur ob der Novemberkühle des Atriums frösteln ließ, während er die noch ein wenig kahlen Wände inspizierte. Gefangen in jener Furcht dehnten sich Sekunden zu Minuten, füllten sie sich mit horriblen Spekulationen, welche beinahe den jungen Gracchen wieder bemüßigten, den augenscheinlichen Wunsch seines Vaters zu respektieren und diesem Haus und dem Leben des Hausherrn umgehend wieder den Rücken zu kehren, als plötzlich sein Kosename durch den Raum hallte.
    Erschrocken über jene unerwartete Störung der bangen Stille wandte Manius Minor sich um und erblickte in der Tat die vertraute Gestalt seines Vaters, obschon jener nicht unbedingt in bester Konstitution sich zu befinden schien, was dem Sohne einen weiteren, besorglichen Schrecken einjagte, während seine soeben noch so intensiv kultivierten Sorgen in der vernehmlichen Freude des älteren Flavius zerstoben. In der Tat vermochte der Jüngling lediglich einige, zaghafte Schritte seinem Vater entgegen zu gehen, ehe dieser bereits eilend ihre Distanz hatte überwunden und ihn inniglich herzte.
    "Welch eine Freude, in der Tat!"
    , hauchte Manius Minor bewegt und drückte seinerseits den ein wenig verhärmten Leib seines Vaters an seine trotz der verlorenen Pfunde noch immer feiste Brust, als er realisierte, dass seine Befürchtungen und Ängste in der Tat gegenstandslos waren gewesen, dass sein Vater trotz der neuerlichen Separation noch immer ihm prinzipiell gewogen war und selbst das Jahr ungehinderte Einflussnahme der aurelischen Natter nicht vermocht hatte, sie aufs Neue zu entzweien. Schlagartig wuchs seine Zuversicht, dass seine Intention dieses Besuches von Erfolg würde gekrönt sein.


    Ein wenig widerwillig trennte er sich somit wieder und blickte in das Zerrbild jenes vertrauten Antlitzes, dessen Züge er aus jenen Tagen, als sein Augenlicht noch nicht ihm seine Dienste hatte limitiert, noch vorzüglich memorierte.
    "Es gibt in der Tat vieles zu berichten, in der Tat."
    , kommentierte er dann Gracchus Maiors Wunsch und fragte sich bereits, mit welcher Episode er zu beginnen hätte, als er bereits mit weiteren Offerten wurde überhäuft:
    "Nein... oder womöglich eine Kleinigkeit."
    Die Nervosität der letzten Etappe seiner Reise hatte ihn doch ein wenig exhaustiert, sodass einige Süßigkeiten ihm zweifelsohne neue Kraft würden verleihen. Zu schlafen vermochte indessen in seiner Exaltiertheit ob jenes herzlichen Empfanges ohnehin nicht.
    "Verfügt deine neue Villa über eine Therme? Womöglich könnten wir ein Bad nehmen, sofern du ein wenig Zeit erübrigen kannst."
    , offerierte er dann, da der Tag im Sattel ihm doch zweifelsohne diesen oder jenen Schweißtropfen hatte abverlangt.

  • Einen unscheinbaren Moment lang weiteten Gracchus' Augen sich in freudiger Erwartung abenteuerlicher Berichte, waren es doch Narrationen eben jener Art, welche am meisten Pläsier ihm bereiteten, allfällig da ihm eigene Reisen und Ereignisse stets überaus unerquicklich anmuteten, während die Ausführung darüber ihn teilhaben ließ ohne auch nur einen einzigen Schritt vor die eigene Porta wagen zu müssen.
    "Selbstredend inkludiert das Anwesen eine kleine Therme"
    , lächelte er ein wenig spöttisch, schien Minor doch von seinem Erleben in Germania ein wenig verunsichert ob der Adäquanz eines ihm gebührlichen Refugiums. Kein Mitglied ihrer Familie würde wohl einen Landsitz sein eigen nennen wollen, welcher eines Badebeckens entbehrte - selbst in dem Falle dass um die nächste Ecke eine vorzügliche öffentliche Therme zu finden war, lag der Wert eines Bades doch nicht einzig in praktischen Überlegungen sondern viel mehr im Ausdruck der Dignität der eigenen Person. Er legte seinem Sohn väterlich einen Arm um die Schulter und führte ihn durch das Atrium zum hinteren linken Flügel des Hauses.
    "Und es ist ni'ht nur meine neue Villa, Minor, es ist auch deine Villa."
    Theoretisch stand der junge Gracchus zwar noch immer unter der patria potestas seines Vaters und besaß somit keinerlei eigenes Vermögen, praktisch indes tangierten Vermögenswerte den älteren Gracchus wenig, gleichwohl ohnehin all sein Besitz eines Tages an Minor würde übergehen, so dass ihm bereits dieser Tage alle Besitztümer zustanden - zumindest insofern dies mit Sciurus, welcher die Besitzungen verwaltete, nicht konfligierte. Das Bad des Anwesens konnte selbstredend sich nicht mit den öffentlichen Thermen messen, doch beherbergte es alles, was ein ländliches Refugium benötigte: ein kleines Areal mit einem hüfttiefen Becken, sowie diversen Krügen gefüllt mit lauwarmem Wasser zur ersten Reinigung, daneben zwei Liegen, auf welchen eine Massage sich genießen ließ, wie auch ein Becken zur Abkühlung am Ende des Badeganges, welches kaum groß genug für zwei Personen war. Im dahinter liegenden Raum befand sich ein Becken voll warmen Wassers in welchem bequem sechs Erwachsene ihren Platz konnten finden, in einer beinahe geschlossenen Nische zudem ein kleines Dampfbad.
    "Du hast Glück, das Wasser ist bereits gewärmt, denn wärest du nicht einge..troffen, so hätte ich ebenfalls ein Bad nehmen wollen."
    Zwar hätte Gracchus nach dem tonsor zuvor noch eine Massage eingeschoben, doch die Zeit mit seinem Sohn war ihm nun wichtiger - würde er doch während der intensiven Bearbeitung seiner Muskeln sich kaum auf diesen konzentrieren können. Bis die beiden Gracchen am tepidariums-Becken sich grob gereinigt hatten und im caldariums-Becken Platz fanden, hatten die Sklaven dort auch verdünnten Wein und eine Platte mit einigen kalten Kleinigkeiten am Beckenrand angerichtet. Das Wasser war heiß und dampfte, so wie Gracchus es bevorzugte, dass es einfach war darin zu versinken und umschlossen von elysäischer Wärme alle irdische Kälte zu vergessen.
    "Mhm..."
    tauchte der ältere Flavier genüsslich brummend inmitten des Beckens bis zur Nasenspitze in das Wasser hinab und schloss dabei die Augen. Welch eine Wonne musste es sein das Leben als Heißwasserfisch führen zu können. Einige Augenblicke verharrte er in seinem Genuss, ehedem er die Augen öffnend wieder sich aufrichtete und zu einer der im Beckenrand eingelassenen Steinbänke manövrierte, auf welchen man bequem im Wasser konnte sitzen. Wein und Essen ließ er dabei außer Acht, strich nur mit der Hand sein nasses Haar zurück und musterte Minor.
    "Nun, was sagst du zu unserem Landsitz? Gefällt er dir?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Gleich Balsam auf seiner Seele legte Manius Maior Manius Minor seinen Arm um die Schulter und führte ihn hinein in jenes Haus, welches, wie sein Vater betonte, eines Tages auch das seinige würde sein, obschon es dem Jüngling nicht unbedingt vonnöten erschienen wäre, in direkter Nachbarschaft zum Anwesen seines Oheims eine eigene Heimstatt zu erwerben. Indessen würde dieses ihm womöglich auch langfristig die Perspektive offerieren, häufiger seinen Anverwandten am Golf von Neapolis einen Besuch abstatten.
    "Nun, ich hoffe, dass noch möglichst lange du der formelle Hausherr bleibst."
    , scherzte er und ließ sodann sich in die Villa führen, welche in der Tat sämtliche Annehmlichkeiten offerierte, über die auch die übrigen Villae Rusticae seiner Familie verfügten. Primär wandten sie sich jedoch vorerst den Thermen zu, wo der junge Flavius erstlich sich mit ein wenig Olivenöl und dem Strigilis durch seinen Leibsklaven den Schmutz der Reise vom Leibe schaben ließ, ehe sie hinüber in die warmen Becken glitten. Ein wenig wortkarg erkundigte er sich währenddessen über die Villa, das zugehörige Land sowie die Annehmlichkeiten, welche sie bot. Doch insgesamt genoss der junge Flavius primär die Zweisamkeit mit seinem Vater, welcher er so lange entbehrt hatte, dass er nicht einmal sich zu entsinnen vermochte, wann sie gemeinsam einmal ein Bad hatten genommen.


    Als sodann sie im Caldarium Platz nahmen, resümmierte der ältere Gracchus die Unterredung mit einer Frage, welche der jüngere leichtlich zu beantworten wusste:
    "Er ist formidabel! Ich kann es kaum erwarten, ihn morgen selbst zu erkunden und hoffe, dass wir noch viele Sommerfrischen hier in der Nähe von Serenus und Onkel Aristides verbringen können. Sind sie übrigens von ihren Reisen zurück? Oder haben sie geschrieben?"
    Da Titus ihn bisherig nicht begrüßt hatte, vermutete er Gegenteiliges, doch da er seine Ankunft nicht auf den Tag genau konkretisiert hatte, mochte sein jungerer Bruder sich auch gemeinsam mit Serenus auf der Jagd oder sonstigen Lustbarkeiten befinden.
    "Es wäre schön, die gesamte Familie wieder einmal vereint zu haben, meinst du nicht?"
    Selbstredend exkludierte er damit seine Stiefmutter, jene aurelische Natter, gegen die sein Zorn nach dem eisigen Empfang in Rom jedoch noch weiter war gestiegen, obschon er sich mühte, die Remineszenz an sie beiseite zu schieben und sich lieber auf den erfreulichen Umstand zu konzentrieren, seinen Vater nun für einige Tage gänzlich für sich allein zu genießen.

  • "Wahrhaftig, es wäre zweifelsohne überaus er..sprießlich, die Familie wieder einmal beisammen zu wissen, doch fürchte ich in diesem Jahre wird sich keine Gelegenheit mehr dazu bieten. Aristides ist noch nicht wieder zurückgekehrt und er wird noch über den Winter fort bleiben."
    Er konnte seinem Vetter nicht verdenken, dass er die Überfahrt über das Meer im Winter nicht wagen wollte, wenngleich die Strecke nicht allzu lang war.
    "Auch Serenus und Titus sind noch auf ihrer Reise."
    Die Brauen des Flaviers zogen sich zwischen den Augen zusammen.
    "Bisweilen grämt mich noch immer Serenus' eigenmä'htiges Handeln und gar ein wenig Zorn wallt in mir empor, doch dann wiederum liegen seinen Briefen einige Zeilen von Titus bei, in welchen dieser etwa von einem Ausflug in das Pindosgebirge schwärmt, von welchem er einen Ausblick auf den göttlichen Olymp konnte erhaschen, oder von den Märkten in Sidon, auf welchen er einen gläsernen Löwen hat erstanden. Stets sind seine Berichte dabei voller Ho'hgefühl und Vergnügen - wie also könnte ich Serenus noch zürnen, der meinem Sohn zuteil werden lässt, zu was ich selbst niemals in der Lage wäre?"
    Nachdenklich wandte sein Blick sich zu Minor hin.
    "Ermangelte es letztendli'h nicht auch dir an jener Erfahrung, dass du das Tribunat in Germania aus freiem Entschlusse wähltest, um zumindest ein wenig die Welt zu erkunden, welche ich dir stets habe vor..enthalten?"
    Die abenteuerlichste Reise, welche sie je hatten unternommen, war die Flucht aus Rom nach Mantua - und zweifelsohne war dies nichts, an das sie mit Begeisterung sich erinnerten.
    "Augenscheinlich hast du durchaus gut daran getan."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Die Äußerungen Manius Maiors grämten den Minor nicht wenig, da ihm doch nun, wo er die Präsenz seiner Anverwandten wenn nicht erwartet, so doch erhofft hatte, ihre langjährige Absenz doch schmerzlich bewusst wurde, doch als sein Vater von Titus' erquicklichen Abenteuern rapportierte, kam er doch gleich jenem nicht umhin, ein Lächeln seinen Lippen entfleuchen zu lassen, da er sich doch noch vortrefflich seiner eigenen Erfahrungen zu entsinnen vermochte, als er erstmals Italia den Rücken hatte gekehrt, selbst wenn Achaia nicht eben auf seiner Reiseroute hatte gelegen.
    "Ich danke dir, auch dir hat das Landleben-"
    , erwiderte der junge Gracchus schließlich, brach jedoch seine Erwiderung des Lobes intuitiv ab, als ihm gewahr wurde, dass der ältere Gracchus keineswegs den Eindruck erweckte, als habe ihm das Exil in Baiae sonderlich wohl getan, da er doch einen recht entkräfteten Eindruck erweckte.
    "-hoffentlich Linderung verschafft."
    , beendete er somit den Satz in einer eher hypothetischen Weise, welche zumindest den Vorzug seines Zustandes vor dem des potentiell noch erschröcklicheren implizierte.
    "Doch sag an: Wie bekommt dir die Seeluft? Vermisst du bereits den guten Capsa?"
    Der lakonische Medicus der Villa Flavia Felix war dem jungen Flavius ans Herz gewachsen, nachdem dieser ihn damalig von seinem Opium-Abusus errettet und über die Schrecken des Entzuges geführt hatte, obschon er augenscheinlich nicht imstande war gewesen, seinen Vater an Ort und Stelle zu kurieren.

  • Ein wenig freudlos zuckte der ältere Gracchus mit den Schultern und unterdrückte ein Seufzen.
    "Die medici sind allenthalben ohne Unterschied in ihren Bestrebungen, letztendlich kommensurabel zu den Priestern. Während letztere um einen gedeihli'hen Konnex der Götter zu den Menschen sich bemühen, suchen erstere einen gedeihlichen Konnex des Körpers zum Menschen zu erwirken - doch beide haben im Grunde keine wahrhaftige Macht, können nur be..schwichtigen und ersuchen, offerieren und um Gunst angehen. Zugestanden mögen die Säfte in meinem Leibe durchaus in Dysbalance sich befinden, in effectu liegt die Ursache meines Missbehangens indes ... hier."
    Er hob seine Hand und legte sie auf die Brust, dort wo er sein Herz schlagen spürte, den Sitz des Verstandes und der Seele, und sein Blick verlor sich in den sanften Wellen, welche über die Oberfläche des Wassers sich kräuselten.
    "Es ist Teil unserer Familiengeschichte, unserer Tradition, dass wir jene Konspiranten vera'hten, welche den Wahn des Domitianus in ihren Mahnungen potenzierten, um letztendlich eine Exkulpation ihres Ver..brechens vorschützen zu können. In letzter Zeit jedoch muss ich wohl eingestehen, dass sie allfällig Recht getan haben in ihrem Handeln, ist doch der ... klandestine, subtile Wahn weitaus gräulicher als jener, welcher offen zutage tritt und darob ersi'htlich ist."
    Sukzessive hob Gracchus seinen Blick und wandte einen Moment lang ihn durchdringend Minor zu, ehedem er den Raum um sich her musterte. War es vorstellbar, dass er seinen Sohn sich nur imaginierte aus Sehnsucht nach seiner Familie? Doch zweifelsohne stammten die Bewegungen des Wassers nicht einzig von ihm allein, zudem lagen zwei Stapeln von Tüchern zum Trocknen bereit für zwei Personen, und auch die Platte voll köstlicher Kleinigkeiten war zuviel für ihn allein. Leicht irritiert schüttelte er den Kopf, um jene Vorstellung von sich abzuschütteln, ehedem er wieder seinen Sohn fokussierte und an einem schmalen Lächeln sich versuchte.
    "Rom oder Baiae, es macht kaum einen Unterschied - nur dort wartet die Pfli'ht, hier die Einöde. Indes ist meine Sehnsucht nach der Familie wohl weitaus größer als ... mein Hader hinsichtlich der Pflicht. Wenn du nach Rom zurückkehrst, ... werde ich dich begleiten."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Die generellen Einlassungen des älteren Gracchen erschienen dem jüngeren erstlich von vertrauter Weise, hatte sein Vater doch stets zum Philosophieren geneigt; ein Habitus, den auch er selbst sich zunehmend zueigen machte. Als dann das Sujet jedoch Konspirationen, dem Wahn des Domitianus und gar klandestinen Narrheiten sich zuwandte, stimmte dies den Jüngling ein wenig missbehaglich, da jene unerforderte Äußerung doch implizierte, dass Manius Maior in gewisser Weise sich derartiger Phänomene verbunden fühlte, obschon er nicht recht zu ermessen vermochte, ob der Irrsinn ihn befallen hatte oder lediglich er noch immer sich ob seiner Rolle am Beginn des Bürgerkrieges grämte.


    Dass er final jedoch verkündete, nach Roma zurückkehren zu wollen, wendete erneut sich das Blatt, wäre diese Information doch ein vortrefflicher Grund zur Freude gewesen, hätte sein Vater zuvor nicht einen Spalt die Pforte in sein Seelenleben eröffnet, wo konträr zu seinem gewöhnlich geordneten äußerlichen Lebenswandel manches im Argen zu liegen schien.
    "Wahrhaftig? Welch erfreuliche Novität!"
    , entfleuchte ihm dennoch erstlich eine Äußerung der Freude, ehe er sich ein wenig tiefer in das wärmende Wasser des Beckens hinabsenkte, als würde jene wärmende Masse ihn vor den Risiken des nunmehr anstehenden Gespräches protektieren, dessen Intimität er ersehnte und fürchtete zugleich:
    "Doch welcher Wahn ist es, von dem du sprichst? Was betrübt dein Herz und entzieht dich deiner Pflicht in Rom?"

  • Der ältere Gracchus zögerte einige Herzschläge, welche er deutlich in seiner Brust konnte verspüren, mochte er doch einerseits seinem Sohn keine Antwort schuldig bleiben, andererseits indes dieser Frage nicht näher nachgehen. Keine Lügen mehr, dies hatte er sich zum Ziele gesteckt in Hinblick auf seine Familiaren, gleichwohl konnte er Minor unmöglich von Callista berichten - jener verständigen und klugen Callista, mit welcher er so viel Zeit hatte verbracht in den zurückliegenden Monaten, welche er Tag um Tag am Meer hatte getroffen, um seine Seele, sein Herz und seinen Verstand ihr zu offenbaren, jene Callista, welche aus seiner Vergangenheit heraus die Gegenwart hatte invadiert, in welcher sie längst nicht mehr existierte - zumindest nicht in jener Gestalt. Gleichwohl - war sie nicht ohnehin nur ein Spiegel gewesen, eine Konfrontation all des Haders und all der Qualen, welche noch immer ihn torquierten nach all den Jahren, welche ihn stets hatten torquiert in der ein oder anderen Weise?
    "Es ist"
    , setzt er an und zögerte noch einmal.
    "Es ist stets die Ver..gangenheit, die Folgen einstiger Taten oder unterlassener Handlungen, welche suchen sich meiner zu bemächtigen. Immer schon haben die Konsequenzen meines Tuns mich heimgesu'ht, insbesondere jene, welche in widersinnigem Sterben ihren traurigen Höhepunkt fanden, gleichwohl in jenem Exitus meine desolate Errettung liegt, da der Toten Stimme und Antlitz aller irdischen Faktizität ent..behrt, dass der Wahn zwar nicht minder schauervoll, doch zumindest als solcher erkennbar bleibt. Wenn indes das Gewesene oder gar nur die Imagination erdenkli'her Realität derart gegenwärtig ist, dass ich nicht mehr vermag zwischen Wahrheit und Trug zu differenzieren, dann ... dann ist dies jener Wahn, welcher mich zweifeln lässt an allem und mir selbst, und höchstlichst vermag mich in Furcht zu ver..setzen."
    Von klaren Worten umhüllt klang dies lediglich wie eine nüchterne Abhandlung über die Betrachtung der Welt, über welche Gracchus beinahe mochte vergessen, dass dies seine eigene Welt war. Gleichwohl schien diese Introspektion ein neues Licht auf Callista zu offerieren - denn hätte er nicht den Trug ihrer Existenz erkennen können sofern er nur diese Existenz in all ihrer Konsequenz hätte bedacht? Hätte er nicht all jene Zweifel bereits zuvor in sich finden können, welche letztlich erst Sciurus' Worte ihm hatten offenbart? Tot oder vergangen - war nicht beidem gemein, dass es die Gegenwart exkludierte?

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Mitnichten nötigte Manius Minor seinen Vater, sich zu erklären, während jener noch mit seinen Worten rang, sondern geduldig blickte er von seiner Position auf dessen verschwommene Profil seines Hauptes, in welchem augenscheinlich konträre Gedanken miteinander konfligierten. Worum die schlussendlich audiblen Worte zirkulierten, deutete der Jüngling mitnichten als Anspielung auf jene ihm unbekannte Callista, sondern argwöhnte vielmehr, dass jenes widersinnige Sterben, welches Manius Maiors Delatoren zum Schweigen brachte, zweifelsohne auf das irrsinnige Morden des Bürgerkrieges war gemünzt, sodass schlussendlich er beschloss, ihn zu einem purgierenden, offenen Reden zu ermuntern:
    "Suchen folglich die Geistes des Bürgerkrieges dich heim?"
    , fragte er somit und gedachte seiner eigenen Dämonen, welche so häufig nächtens an sein Bett waren getreten, dass er selbst im Wachen sie trefflich zu imaginieren wusste.
    "Auch ich wurde meine gesamte Jugend von jenen Toten torquiert, in deren Antlitz ich blickte, als meine Kindheit ihr Ende nahm. Doch gelang es mir, sie seit"
    Er hielt inne, dachte er doch daran, dass mitnichten die Maiores, welche ihn aus seinem Wahn hatten errettet, sondern vielmehr der Wahn des Opium-Rausches ihn in Alexandria jene grässliche Nachtmär hatten vertrieben, was neuerlich gewisse Schuldgefühle in dem Jüngling evozierte, sodass mit belegter Stimme er fortfuhr:
    "einigen Jahren hinter mir zu lassen."
    Für einen Augenschlag schwieg er aufs Neue, als er erkannte, dass seine Worte womöglich auch die Schulgefühle seines Vaters, der ja der Urheber seiner horriblen Flucht war gewesen, verstärkten, sodass er sich beeilte zu erklären:
    "Dessenungeachtet wüsste ich nicht, was du dir vorzuwerfen hättest: Du warst einer der wenigen aufrechten Quiriten, die dem wahnhaften Usurpatoren die Stirne boten und Rom dadurch retteten. Du hast alles in deiner Macht stehende vollbracht, um jenen greuelichen Konflikt so rasch als möglich zu beenden!"

  • "Ganz deines Vaters Sohn"
    , flüsterte der ältere Flavius leise und fügte etwas lauter hinzu:
    "Das ... wusste ich nicht. Weshalb hast du dies nie erwähnt?"
    Noch ehedem der Satz verklungen war, wurde Gracchus sich der Entbehrlichkeit dieser Frage bewusst. Hatte er nicht selbst nach dem Bürgerkriege jeglichem Interesse an seiner Familie ermangelt, hatte Minor auf Distanz gehalten, ihn letztlich unter dem Vorwand der Bildung neuerlich fortgesandt bis dass ihr Verhältnis zueinander beinahe verödet war? Doch letztlich war dies nur ein kleiner Tropfen im oceanos, welcher gespeist wurde aus seiner Verfehlung. Er seufzte tief, schlug die Augen nieder und verlor seinen Blick in den Tiefen des Badebeckens, welche in diesem Augenblicke ihm ebenso unendlich erschienen als triebe er inmitten dieses Ozeans, Salzwasser in seinen Augen, kaum Atem in den Lungen. Unwillkürlich befeuchtete er mit der Zungenspitze seine Lippen.
    "Ich ... habe ihn ... begonnen, Minor, ... jenen Konflikt"
    , sprach er gedehnt, ohne seinen Blick zu heben. Allfällig waren es die Folgen der Einöde und der langen Stille, welche ihn zu diesem Bekenntnis bewogen, allfällig das Ebenmaß und der Liebreiz der Wahrheit, nach welcher so sehr er sich sehnte, allfällig die Leichtigkeit, mit welcher Callista ihn durch die vergangenen Wochen hatte getragen, allfällig die gewichtige Last einer weiteren Lüge.
    "Valerianus und seine Familie, und der Ves..cularier - dies sind nicht diejenigen, welche mich torquieren, war ihr Ableben doch unabdingbar und unauswei'hlich. Gleich wie oft ich diese Tage reflektiere, gleich wie oft ich nach einem anderen Wege suche - es gab keinen anderen als jenen, welchen wir ge..nommen haben. Doch wir waren wie Kinder, naiv und unschuldig hinsichtlich jener abge..feimten Taten, welche wir intendierten, nicht genügend erfahren oder auch nur kundig in dem Metier der Kabale, nicht genügend sa'hkundig eine adäquate Ausführung zu konzipieren, nicht fähig zu überblicken, was zwischen Beginn und Ende des Weges uns würde er..warten, und viel zu furchtsam, einen Manne in unseren Kreis zu in..kludieren, welcher bewandert war in diesen Dingen."
    Traurig schüttelte er den Kopf. Selbst Tiberius, der doppelte Verschwörer, war letztendlich ebenfalls nur ein doppelter Dilettant gewesen.
    "Großes Unheil ... bleibt großes Unheil, so hehr auch die In..tention und das Motiv mögen gewesen sein, ob dessen ich jeden einzelnen Toten in meine klandestine Ver..antwortung muss nehmen, jedes einzelne Unglück, welches aus diesem Kriege erwa'hsen ist, all das Leid und all das Sterben. Nicht einmal die Götter können solch gewaltige Dysbalance abgelten, insbesondere so sie nurmehr in mir selbst ver..borgen liegt. Diese Toten überdauern Jahre, Minimus, halten mehr als nur ein einziges Leben vor, das Herz der Pfli'ht zu entziehen."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • In der Tat hatte sich seit seiner Rückkehr aus dem cremonesischen Exil bereits die Relation zwischen Manius Maior und Minor dergestalt abgekühlt, dass er nicht gewagt hatte, seinen Vater mit seinen Befindlichkeiten zu disturbieren, was hingegen eben jenem Missverständnis seinerseits geschuldet war, welches seine eigenen Erfahrungen nunmehr aufgelöst hatten, weswegen wiederum er hierher gekommen war, um sich mit dem älteren Gracchen zu versöhnen.


    Erstlich jedoch galt es aufs Neue den Gedanken seines Vaters zu lauschen, deren Konsistenz kaum zu bestreiten war, lehrte doch die Historie zu Genüge, wie fragil das Resultat eines politischen Attentates mochte sein (denke man allein an Divus Caesar, dessen Ermordung noch grässlicher als jene des Valerianus zu schier unlimitiertem Schlachten hatte geführt), sodass manches jenes missglückten Regimentswechsels durchaus den Verschwörern war anzulasten. Indessen vermochte der Jüngling nicht zu imaginieren, dass derart erfahrene Politiker wie sein Vater, Vinicius Lucianus, Cornelius Palma oder der greise Tiberius Durus gänzlich blauäugig jenes Unterfangen auf sich hatten genommen, selbst wenn er einer profunden Kenntnis der damaligen Abläufe noch immer entbehrte.


    Faktisch erschien ihm die missliche Lage seines Vaters als ein philosophisches Problem der ethischen Abwägung von Gütern, da doch bereits sein Opponent selbst konzedierte, dass zum Tode Valerianus' keine Alternative sich hatte erboten, womit sich letztlich die Frage stellte, ob die Annihilierung des unwürdigen Princeps die zahllosen Tode legitimierte oder nicht, respektive ob die Verschwörer hinreichende Sorgfalt hatten walten lassen. Um den Schmerz seines Vaters zu erfassen, womöglich gar lindern zu können, bedurfte er also weiterer Information:
    "Bisweilen mag es die Pflicht sein zu töten. Und was unintendiert geschieht, kann einem Mann nur bedingt angerechnet werden, hängt es doch stets davon ab, inwiefern er mit Sorgfalt sich mühte, jene Resultate zu vermeiden."
    , bemerkte er daher, um seinen Vater erstlich ein wenig zu erbauen, ehe er ihm die vollständige Geschichte jenes grässlichen Bürgerkrieges zu entlocken suchte, über welcher in den vergangenen Jahren nicht selten spintisiert hatte, deren exakte Abläufe er von seinem Vater jedoch niemals hatte erläutert bekommen. Beinahe ridikulös erschien es ihm, dass er selbst Teil jener erschröcklichen Episode war gewesen, dass er mit Legionen marschiert war, der Sohn eines Verschwörers, und doch kaum mehr wusste als die spärlichen, offiziösen Berichte widergaben.


    Langsam rutschte er in seiner sitzenden Position ein wenig zurück, sodass er auf dem Wasser des Bades leichte Wellen produzierte, als wenn ein Wal in der See nach Luft schnappte. Dem Blick seines Vaters ausweichend fragte er dann vorsichtig:
    "Du hast mir niemals berichtet, wie genau jene Verschwörung sich zutrug, was ihr gedachtet zu tun und was final geschah."
    Umsichtig schielte er hinüber zu dem unscharfen Profil seines Vaters, obschon selbstredend seine Mimik in jener Proximität ihm ohnehin würde entgehen.

  • Nur marginal hob Gracchus' Mundwinkel sich mit den tröstlichen Worten seines Sohnes, ehedem die Wellen dessen Bewegung ihn ein wenig aus seiner Erinnerung rissen, dass er den Blick wieder erhob. Nie zuvor hatte er einem Uneingeweihten die perniziösen Details jener Geschehnisse berichtet, schlussendlich lag in deren Brisanz noch immer ein Funken Gefahr solange er würde leben. Gleichwohl dräute jene Fährnis ebenso seinem Sohn, allfällig nicht in aller Konsequenz und Härte, doch auch der Sohn eines Kaisermörders würde im Angesicht dieser Wahrheit fallen.
    "Ich habe stets versucht dich und deine Geschwister zu schützen"
    begründete er sein bisheriges Schweigen.
    "Doch ... zweifelsohne bist du nun genügend umsichtig, um mehr Si'herheit aus der Wahrheit zu gewinnen als aus dem Unwissen."
    Der ältere Gracchus ließ ein wenig sich tiefer sinken in das Wasser, dass sein Kinn beinahe schon die schimmernde Oberfläche berührte. Unbeachtet von ihm sandte indes Sciurus mit wenigen leisen Worten die Sklaven aus dem Raum, welche abgestellt waren für das Wohl ihrer Herren Sorge zu tragen. Zuletzt postierte der Vilicus sich neben der Türe, so dass niemand ohne sein Einverständnis würde hinein- oder hinausgelangen.
    "Alles nahm seinen Anfang mit Valerianus. Aelianus Valerianus"
    , präzisierte Gracchus, waren jene Aelier an sich doch bereits für jeden Flavius ihrer Familie ein Grund Misstrauen und Ressentiments zu hegen, da einer ihrer Vorfahren maßgeblich für den Sturz der flavischen Dynastie war verantwortlich gewesen.
    "Zu Beginn seiner Regentschaft schien er durchaus adäquat, letztendlich hatte Iulianus ihn lange Zeit gewissenhaft auf diese Pfli'ht vorbereitet. Doch sukzessive, schleichend zuerst doch alsbald mehr als deutlich, begann der Augustus ver..antwortungslos zu werden, seine Pflichten zu vernachlässigen, in gleichgültige Lethargie zu verfallen, sich nicht zu scheren um das Wohle Roms und seiner Bürger, gar die Götter zu ignorieren. Er ... er retirierte aus dem Leben, zog in Isolation sich zurück und, was noch weitaus bedenklicher war, bestellte einen herrschsü'htigen Kretin zu seinem Stellvertreter. Mehr noch als Valerianus' Absenz untergrub die Macht- und Habgier des Vescularius kontinuierlich die Stabilität und das Wohlergehen des Imperiums. Zu Beginn war dies alles unscheinbar, unauffällig, und als seine Absichten offenbar wurden, da war es längst zu spät ihm offen Einhalt zu ge..bieten, da er bereits in beinahe allen relevanten Ämter seine Handlanger hatte positioniert. Die einen fraßen dem Vescularier aus der Hand, genossen Ver..gütungen und Privilegien - zumeist ohne den zugehörigen Pflichten nachzukommen -, die anderen schwiegen oder wurden zum Schweigen gebracht. In diesen Tagen schwieg ich viel zu oft."
    Er seufzte einen Augenblick, ehedem er fortfuhr.
    "Eines Tages lud Tiberius Durus zu einer Cena, alles war ganz unverfänglich bis im Laufe des Abends das Thema auf die Ma'henschaften Vescularius' und Valerianus' Anteil daran kam, und einige von uns ihrer Empörung Ausdruck verliehen. Andere sahen dies eher gemäßigt und wurden nach dem Mahl verabschiedet, während den übrigen schlussendlich ein Eid zum Schweigen wurde abver..langt."
    Mochte alles mit Valerianus seinen Anfang genommen haben, dieser Abend war es gewesen, welcher Gracchus in den Sog von Verbrechen oder Triumph hatte gezogen.
    "Tiberius eröffnete uns seine großen Bedenken und letztlich, dass er nur einen einzigen Ausweg sah: Vescularius Salinator zu beseitigen. Sogleich wurden jene Pläne vertieft, doch ich muss gestehen, zu diesem Zeitpunkt war ich noch gänzlich uneins mit mir selbst. Der ... Mord an dem Praefectus Urbi war schlussendlich Ho'hverrat, wiewohl mir der Vescularier ohnehin nicht die Ursache jener Probleme schien. Ich erbat Bedenkzeit und verließ die Zusammenkunft. Indes war der Samen des Zweifels gesät, ich konnte nicht länger meine Augen abwenden von den Kalamitäten, welche Rom in ihrem Griff hielten, von der enormen Gefahr, welche davon ausging. Und es gab keine Ausflu'ht mehr, dass ich allein nicht in der Lage würde sein, dies zu ändern. Gleichwohl stand für mich außer Zweifel, dass es nicht Vescularius allein war, welcher würde weichen müssen, sondern allem voran ... der Augustus."
    Er sprach dies gänzlich nüchtern, als wäre dies alles nur ein Bericht über ein beliebiges politisches Geplänkel, die Erzählung einer belanglosen Reise. Sodann hob er die Hände, um sein Gesicht mit Wasser zu benetzen, ehedem er sich drehte und nach einem Becher am Rande des Beckens griff und einen Schluck verdünnten Wein zu sich nahm.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Mitnichten bezweifelte Manius Minor die Intentionen Manius Maiors, als er sein Schweigen legitimierte, und in der Tat genügte das Wissen, welches der Jüngling über die Coniuratio Tiberiana besaß, um zu wissen, dass es sich um erschröckliche Geheimnisse musste handeln, welche sein Vater vor ihm verbarg.


    Was der ältere der Gracchen sodann jedoch berichtete, war dem jüngeren bereits weitgehend bekannt. Obschon bereits Jahre waren vergangen, so vermochte er sich noch trefflich zu erinnern, wie sein Vater in Mantua erstmalig dem Wahne war verfallen und in für einen Knaben schwerlich verständlichen Sätzen die Kausalitäten für jene Wirrungen hatte offenbart. Dessenungeachtet folgte er mit wachsender Spannung jener Narration, als sein Vater begann, die konkreten Abläufe jener Verschwörung zu explizieren.
    "So war es deine Idee, Valerianus selbst zu töten?"
    , fragte er schließlich voller Anspannung, als Manius Maior einen Augenschlag innehielt, während er zugleich imaginierte, welch grässlicher Gedanke es mochte sein, dem Imperator Caesar Augustus, welcher in den Provinzen als Gott wurde verehrt und der selbst für einen römischen Aristokraten eine geradehin divine Potenz repräsentierte, nach dem Leben zu trachten. Indessen wusste er doch recht klar, dass es die Pflicht eines wahren Römers war, den Staat, die Familie und die Wahrheit zu schützen. Selbst wenn dies bedeutete, die Gesetze um der Gerechtigkeit willen zu tangieren.

  • "Ja"
    , entgegnete der ältere Gracchus ohne Zögern.
    "Valerianus' Tod war meine Bedingung, an jenem Unterfangen mitzuwirken."
    Er ließ sich wieder gänzlich zurück in das Wasser sinken.
    "Als ich sie einforderte offenbarte sich indes, ich war nicht der einzige, welcher diese Notwendigkeit sah und... und so wurde ich Teil jener Konspiration, welche zum Ziel sich setzte, zum Wohle Roms den Augustus zu er..morden."
    Einen Herzschlag lang ließ der Flavier diese Worte in sich nachklingen. Auch nach all den Jahren, nach all den Geschehnissen, dem Leid und dem Tod, welche dies hatte letztendlich verursacht - zu jener Zeit und jenen Gegebenheiten war nichts anderes mehr möglich gewesen.
    "Ohne das Wissen darum, was herna'h geschah, würde ich auch heute wieder diese Entscheidung treffen. Und mit jenem Wissen ..."
    Er schüttelte kurz den Kopf.
    "Auch dann würde ich diese Entscheidung erneut treffen, schlichtweg die Vorbereitungen und Realisierung korrigieren, obgleich wir auch damals nicht unbeda'ht zur Tat schritten. Wir trafen uns einige Male, ersannen Pläne und Strategien, durchdachten Möglichkeiten und Optionen, erwogen Risiken, Vor- und Nachteile. Keine Entscheidung war lei'htfertig getroffen, eine jede wurde nach Für und Wider beurteilt. Es ist wohl eine Ironie des Schicksales, dass gerade auch die Gefahr eines dräuenden Bürgerkrieges uns überaus präsent war, dass darob alles auf solidem Grund sollte er..richtet werden. Über Wochen und Monate hinweg trafen wir Vorbereitungen, suchten weitere Gesinnungsfreunde, nicht alle davon in alle Details eingeweiht, doch genügend dass wir darauf konnten ver..trauen eine solide Basis für unser Vorhaben geschaffen zu haben. Letztendlich war der Plan gefasst, der kaiserlichen Familie ein ... Gift durch einen der Haussklaven verabreichen zu lassen."
    Bedauernd schloss Gracchus kurz seine Augen und sog tief Luft in seine Lungen.
    "Ein Gift, welches schnell und ohne Schmerzen sollte töten. Der Mord schlussendlich sollte Vescularius angelastet werden, was durchaus riskant war, da er nicht wenige Leibwä'hter und Soldaten hatte um sich versammelt. Um hernach ein fruchtbares Fundament für Roms Zukunft zu schaffen, fälschten wir zudem das Testament des Augustus. Für Tiberius als Pontifex pro magistro war es nicht allzu schwer, dieses Testament gegen das originäre zu tauschen. Weitaus delikater war die Wahl eines viablen Mannes, welcher Rom in seine Zukunft konnte führen. Letztendlich ent..schieden wir uns für einen Mann außerhalb unseres originären Kreises, für Cornelius Palma."
    Auch dies schien damals eine gute Entscheidung gewesen zu sein, später war Gracchus sich dessen nicht mehr gänzlich sicher.
    "Ich wollte zudem für das Konsulat kandidieren. Dies ... dies hätte alles so viel einfacher und sicherer gemacht. Doch Vinicius ..."
    Ein verächtliches Schauben echappierte ihm.
    "Vinicius Lucianus suchte ein weiteres mal das Konsulat zu erlangen nachdem wir ihn nicht hatten zum nächsten Augustus designiert. Tiberius bat mich ob dessen nicht in Konkurrenz zu ihm zu treten. Bis heute werfe ich mir vor, dass die Partizipation des Viniciers mich von Beginn an hätte stutzig machen müssen, denn wie hätte im wahren Leben ein Mann wie Tiberius Durus dem Vinicier ver..trauen können!"
    Wieder seufzte er.
    "Nun, er wurde selbstredend nicht gewählt, und wir mussten uns auf jenes Konstrukt verlassen, welches wir sonstig hatten geschaffen. Als wir ein letztes Mal zusammen kamen schien dieses Konstrukt durchaus solide. Indes, als die Zeit der Ver..änderung kam, schlug alles fehl. Das Gift tötete nicht schnell und schmerzlos, die Nachricht des kaiserlichen Todes gelangte nicht direkt zu uns, sondern zu Vescularius, dass bis wir konnten reagieren er längst seine eigenen Pläne hatte verfolgt, das Testament war nicht getauscht worden, respektive gegen eines das Saliniator be..günstigte."
    Gracchus sank noch ein wenig tiefer in das Wasser hinein, ließ seinen Kopf zurücksinken bis dass er auf dem Beckenrand zu liegen kam, und starrte zur Decke empor.
    "Wir waren verraten worden. Erst sehr viel später realisierte ich, dass die gesamte Konspiration von Beginn an eine Finte des Vesculariers war gewesen, um nicht nur sich des Augustus zu ent..ledigen, sondern einiger seiner Opponenten dazu. Wir waren nur Marionetten gewesen in einem Stück, geschrieben und dirigiert von Vescularius Salinator, ausgeführt und gelenkt von seinem Puppenspieler Tiberius Durus."
    Er senkte seinen Blick wieder und fixierte Minor.
    "Durus hätte sich niemals selbst geri'htet nur weil die kaiserliche Garde vor seiner Türe steht! Sie haben ihn exekutiert, noch in seinem eigenen Hause, da er der einzige war, welcher die gesamte schändliche Wahrheit hätte ent..hüllen können. Bis heute indes weiß ich nicht, welch abominabler Zwang Tiberius in die Fänge des Vesculariers hatte getrieben, doch aus seinem Verrat resultiert alles Scheitern."
    Gracchus mochte nicht weiter über Durus sinnieren. Ungeachtet all des Leides, welches der Bürgerkrieg, welches er hatte verursacht, lastete der Verrat seines Freundes ihm schwer auf der Seele, hatte er bis zu diesem Tage jegliches Vertrauen in das Konzept der Freundschaft verloren.
    "Was hernach folgte ist offiziell Geschichte"
    , schloss er sein Bekenntnis ab, denn die Konspiration war mit Valerianus' Tode zerschlagen worden. Die nachfolgenden Geschehnisse mochten durchaus durch ihre Vorarbeit beeinflusst worden sein, doch nichts geschah mehr im Verborgenen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Die nunmehr folgenden Informationen formierten durchaus Novitäten für den jungen Flavius, welche an Ungeheuerlichkeit manches übertrafen, was er zu antizipieren vermocht hätte: Manius Maior höchstselbst hatte auf den Tod des Imperators insistiert, honorige Senatoren hatten erwogen, den Augustus durch schändliches Gift, dargeboten von einem seiner Familiaren, zu meucheln, hatten gar die Sakralität des Atrium Vestae entweiht, indem sie, ihre offiziellen Dignitäten nutzend, ein falsches Testament dort hatten platziert. All dies erschien dem Jüngling geradehin monströs. Und dennoch augenscheinlich notwendig, denn jene Sinistrität und Verschlagenheit war doch similär dem Umstande geschuldet gewesen, jenen inkapablen Imperator durch einen kapablen zu ersetzen ohne Blutvergießen und jenen Bürgerkrieg zu produzieren, welcher sodann entgegen aller Pläne war entfesselt worden.


    Eines hingegen disturbierte Manius Minor doch trotz sämtlicher Necessitäten, welche er zu konzedieren geneigt war:
    "Tiberius Durus und Vinicius Lucianus trieben also doppeltes Spiel im Dienste des Usurpators?"
    Noch vortrefflich vermochte er sich jener beiden Consulare zu entsinnen, von welchen zumindest einen er stets als herzlichen Freund Manius Maiors hatte erachtet, dessen Hochzeitsfackel er als Knäblein getragen und dessen süße Präsente anlässlich seines Dies imperii er mitnichten vergessen hatte.

  • Gracchus hob irritiert eine Braue.
    "Aber nein"
    , schüttelte er den Kopf.
    "Vinicius war nur als Sündenbock auserkoren. Ich weiß nicht, ob Vescularius Salinator ihn von Beginn an dafür hatte ausersehen oder ob Tiberius' ihn hatte ausge..liefert. Wäre Vinicius in Vescularius' Plan eingeweiht gewesen, hätte er eben so schnell nach dem Attentat verschwinden müssen wie Durus. So indes konnte der Vescularier ihn im Carcer schma'hten lassen, da keinerlei Gefahr von ihm ausging - dann hätte er gestanden, so hätte Vescularius nur das Geständnis eines Verschwörers erhalten, während Tiberius' Geständnis ihn selbst in Misskredit hätte gebracht."
    Er bewegte mit seinen Händen ein wenig das Wasser vor sich.
    "Ich frage mich noch immer was der Vescularier Durus verspro'hen hatte, um ihn zu einem Verrat an seinen Freunden und Klienten zu verführen."
    Nicht lange ließ er die Frage im Raume stehen.
    "Doch wir werden dies wohl niemals erfahren."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!