Christliche Gemeinschaft in der Casa Didia | Brüder und Schwestern, von Gott geliebt

  • "Verschlossen", stellte Pansa fest und blickte erwartungsvoll zum Optio. Seine Augen glitzerten vor lauter Vorfreude. Von allen Aufgaben der Prätorianer war das Aufbrechen von Türen eine der beliebtesten.

    "Ein Jammer", antwortete Stilo und wies mit dem Kopf in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren. "Frag den Ianitor nach dem Schlüssel."


    Pansas Mundwinkel sackten hinab. Dann polterte der große schwere Kerl zurück zur Porta. Es klang, als würde ein Stier durch die Casa Didia toben. In wenigen Augenblicken war er wieder beim Eingang, durch den sie gekommen waren, wo noch immer der Ianitor an der Wand stehen musste. Auf ein Nein hoffend fuhr Pansa den alten Sklaven an: "Wo ist der Schlüssel für den Keller? NA?!" Dem Tonfall nach zu urteilen legte er es darauf an, dass es dem armen Mann vor Angst die Sprache verschlug.


    Derweil betrachteten die zurückgebliebenen Kameraden die Kellertür, untersuchten die Bauart von Türblatt, Zarge und Schloss im Hinblick auf Stabilität und Schwachstellen. Stilos Hand glitt prüfend über das Holz.


    Vom Keller aus waren die Schritte, Bewegungen und Stimmen der Soldaten zu vernehmen.

  • An der Porta


    Von Wegen praetorianische Skorpione die sich lautlos und heimtückisch ihrem Ziel nähern. Naja, heimtückisch schon, aber von lautlos konnte wohl keine Rede sein. Wie eine Lawine rollte der dicke Soldat durchs Haus! Trotzdem fuhr Achatius mächtig zusammen als Pansa ihn von Hinten anfuhr. Denn trotz allem blieb er ein Praetorianer! Achatius hatte keine Angst vor dem Tod. Er wusste dass die Erlösung und das Reich des Herrn auf ihn wartete. Doch Achatius fürchtete sich vor der schwarzen Garde. So wie jeder Römer, der bei Sinnen war. Er fürchtete sich vor der Zeit im Würgegriff der Skorpione von diesem Moment bis zu seinem Tod.


    "Der Keller?" versuchte der alte Mann Zeit zu schinden. Sie hatten sich also eingeschlossen. Vielleicht würden die Soldaten es dabei belassen. Er musste nur die Wahrheit sprechen.

    "Nur der Herr hat den Schlüssel." Auch wenn es sich anhörte als ob er Didius Molliculus meinte meinte Achatius natürlich den HERRN. Denn nur eines seiner Kinder würde die Tür von innen öffnen können.



    Im Keller


    In der Dunkelheit schienen alle Geräusche unendlich laut. "Scht! Scht!" zischte Calvus seiner Frau zu.


    Dann lauschten sie Eudoxus Vorschlag. Theognis nickte heftig und vergaß dabei dass niemand ihn sehen konnte. Es klang zu schön um wahr zu sein. Das Wort würde über das Schwert triumphieren. So musste es sein!


    "Aber Eudoxus, du vergisst das römische Gesetz. Dieser Raum ist ein Ort christlicher Versammlung. Es ist unübersehbar."

    Im Dunkeln war das natürlich leicht zu übersehen. Aber mit Licht zeugten der kleine Altar, die Symbole und Ritualgegenstände von nichts anderem als dem Christentum.*

    "Und er ist nicht gemeldet." Philotima hatte das untersagt. Weder würde sich die Gemeinde einem religiösen Führer unterordnen. Denn der HERR war der einzige Führer! (Und Philotima vielleicht. Aber die anderen Gemeinden wollten sich ihr nicht unterordnen!) Noch würden sie den römischen Götzendienern die Orte ihrer Zusammenkunft melden wie eine Horde unterwürfiger Bittsteller!



    Sim-Off:

    *ich kenne mich damit nicht aus, daher benenne ich es nicht näher. Ich denke aber dass es wohl auch damals schon irgendwelche Gegenstände (Kelch?) und Symbole (Kreuz?) gab.

  • Während Theognis Eudoxus Vorschlag zustimmte, hatte Calvus Einwände, und Eudoxus konnte sie nicht von der Hand weisen. Der Keller war eindeutig ein christlicher Versammlungssraum mit dem an die Wand getünchtem ☧, dem Christusmonogramm, und dem Symbol des Fisches, dem Weinkelch und dem zu brechenden Brot auf dem Tisch. Unter dem Tisch standen die abgedeckten Speiseschüsseln für das Liebesmahl. Und auch wenn es nicht verboten war, Christianer zu sein, war es doch verboten, zu missionieren und sich nicht von dem von den Römern anerkannten Führer – diesem Speichellecker der Heiden - kontrollieren zu lassen.
    Eudoxus schlug sich mit einer Faust in die andere Hand, und er rief halblaut aus:
    „Oh HERR, diese Götzendiener sind eine Abscheulichkeit in deinen Augen, aber ihre sogenannten Gesetze, mit denen sie uns einzig wahren Gläubigen drangsalieren, sind genauso abscheulich!“


    Mehr als je zuvor vermisste er in dieser dunklen Stunde die geistliche Führung von Schwester Philotima. Sie hätte wie immer die richtigen Worte für alle gehabt. Aber sie waren auch alle ein Leib, und ihr Haupt war Christus, und Schwester Philotimas kämpferischer Geist war unsichtbar in ihrer Mitte.
    Nun fasste Eudoxus im Dunkeln nach Theognis und Calvus Arm: „Brüder, was hätte uns unsere geliebte Schwester Philotima in dieser dunklen Stunde geraten? Das wir getreu und mutig sein sollen, nicht wahr?

    Du hast Recht, Bruder Calvus.

    Bleiben wir still, geben wir uns in die Hand des HERREN und warten ab, was ER von uns verlangt."


    Ich werde nichts bedauern außer der Tatsache, dass ich die Regia nicht brennen sehen durfte, dachte der Jüngling.

    Aber auch wenn Eudoxus Geist gefasst und stark war, so tat sein armseliger Körper doch das Gegenteil von dem, was er wollte: Unter seiner Tunika zitterte er wie Espenlaub, und er biss sich auf die Lippen. Er lauschte nach oben, als würden sich die Schritte, die Bewegungen, das Poltern der Prätorianer unmittelbar unter seine Haut graben.


    Würden die Bösen die kleine ecclesia finden zum höchsten Opfer bereit, oder würde dieser Kelch heute Nacht noch einmal an ihnen vorüber gehen?

  • Pansa verstand es so, dass der Besitzer des Sklaven einen Schlüssel bei sich trug. Da der sich allerdings in der Castra Praetoria befand und im Carcer vermoderte, würde der Schlüssel in der Asservatenkammer sein oder der Mann hatte ihn vorher entsorgt. Hocherfreut ob des Ergebnisses polterte Pansa zurück zu seiner Gruppe.


    "Kein Schlüssel!"


    "Dann einmal Türöffnung durchführen, Miles."


    Die Prätorianer traten zurück. Spezialwerkzeug hatten sie keins dabei, doch das brauchte man auch nur bei wirklich stabilen Türen. Pansa trat mit der Wucht eines auskeilenden Ochsen gegen das Holz, genau neben dem Schloss. Schon beim ersten Tritt zeigte die Tür eine deutliche Deformation, nach dem Zweiten hatte sich der Winkel des Schlosses derart verändert, dass es nicht mehr hielt. Wäre das ein Kopf gewesen, würde der Betreffende nach zwei solchen Tritten mit einem Schädelbruch darniederliegen.


    Stilo pfiff anerkennend durch die Zähne. "Deckung", mahnte er und wich hinter seine Männer zurück.


    Die Prätorianer hoben die Schilde, schlossen die Reihen und hielten die Speere bereit. Pansa aber öffnete die Tür von der Seite, indem er hinter dem Rahmen stand, so, dass jemand, der einen Angriff starrten wollte, erstmal nur einen leeren Bereich vor sich hätte und dahinter einen waffenstarrenden Schildwall.


    Die Prätorianer starrten über die Kanten ihrer Schilde hinweg ins Dunkel.


    "Cohortes Praetoriae", röhrte Stilo. "Tretet einzeln und mit erhobenen Händen aus dem Keller heraus!"


    Er wusste nicht, ob tatsächlich jemand darin war, aber sicherheitshalber ging er davon aus.

  • Von der Tür aus hörte Achatius das Holz splittern. Aber er konnte nichts tun außer beten. Der Soldat hinter ihm war immer noch wie ein Bogen gespannt. Bei der geringsten Bewegung würde er seinen Pfeil im Bruchteil einer Sekunde in sein Herz schießen. Den Pfeil der in diesem Fall ein Schwert war.


    Im dunklen Keller unter der Casa Didia zitterten vier Menschen. Sie hörten die Aufforderung der Prätorianer. Doch niemand regte es sich.


    Theognis wusste, dass das sein Ende war. Sein Ende oder der Beginn einer Karriere im Steinbruch. Er war nicht nur in einem nicht angemeldeten Raum. Er war ein Staatssklave der sich heimlich davongeschlichen hatte. Ein Staatssklave des Cultus Deorum der das Christentum praktizierte. Man würde ihn einfach entsorgen wie einen kaputten Gegenstand. Oder schlimmer, ein Exempel statuieren für die anderen Sklaven.


    Calvus war gefestigt. Er war ein römischer Bürger. Ein ehrbarer Bürger. Dies war nicht sein Haus und damit auch nicht sein illegaler Raum. Er praktizierte das Christentum. Aber das war nicht verboten. Trotzdem bewegte er sich keinen Millimeter. Es ging nicht um ihn. Es ging um die Gemeinschaft. Sie alle waren Gottes Kinder, Brüder und Schwestern. Er würde gemeinsam hier mit ihnen stehen. Was immer geschah.


    Caeca wartete auf eine göttliche Eingebung. Was hätte uns unsere geliebte Schwester Philotima in dieser dunklen Stunde geraten? Was hätte unsere geliebte Schwester Philotima in dieser dunklen Stunde getan? Was hätte Philotima getan? Was hätte Philotima getan? Caeca versuchte sich an die vielen Geschichten zu erinnern. Aber es hatte keine gegeben in der Philotima Prätorianern gegenübergestanden hatte.

  • Eudoxus war der Vierte von ihnen.

    Der Kelch war nicht an ihnen vorüber gegangen, die Prätorianer warteten oben und befahlen ihnen, mit erhobenen Händen die Treppe hoch zu kommen.

    Das Eudoxus Vater ein braver, recht wohlhabender Mann in Antiochia war, spielte hier keine Rolle: Sein einziger Sohn war ein Peregrinus und konnte ähnlich wie Theognis bestraft werden. Aber Bruder Achatius wartete bestimmt schon im Paradies auf sie.


    Eudoxus drückte im Dunkeln die Hände von Calvus und Theognis, nicht die von Caeca, die eine sittsame Frau war, doch ihr lächelte er zu, obwohl sie es in der Finsternis nicht sehen konnte. Er liebte sie alle, wie sie da waren, diese tapferen hochherzigen Streiter für den wahren Glauben. Was sie getan hatten und was sie zu tun vorhatten, dies hatten sie für die Seelen dieser verblendeten Heiden, ja selbst für die der grausamen Prätorianer, die sie nun erwarteten, getan. Jede Aktion, jeder Brandsatz, all das war im Geiste der allumfassenden Liebe geschehen. Nur der Tod der obersten Vestalin war gar nicht geplant gewesen.


    Immer noch rührte sich Eudoxus genauso wenig wie seine Brüder und Schwestern. Wollten sie sie haben, mussten sie sie holen und nach oben tragen, einen nach dem anderen. Wie Steine waren sie, Ecksteine des Glaubens, in sich ruhend, und die Ungläubigen würden sich an ihnen stoßen.

  • Aus dem Eingang drang der Geruch von frisch gelöschtem Feuer. So war klar, dass dort unten jemand lauerte.


    Als niemand sich rührte, trat einer der Prätorianer mit einem brennenden Öllämpchen vor die Tür, gesichert von einem Kameraden an seiner Seite. Er leuchtete ins Dunkel. Der Feurschein schälte vier ängstliche Gesichter aus der Dunkelheit. Die Gestalten zeigten keine Anzeichen, eine aktive Gegenwehr vorzubereiten. Da Stilo bereits dazu aufgefordert hatte, herauszukommen, tat er es kein zweites Mal. Die Hälfte seiner Truppe quoll in den Keller, einschließlich ihm selbst, doch wie stets blieb er im Hintergrund. Den Zugriff übernahmen seine Männer. Unbewaffnete Zivilisten gegen Elitesoldaten, wie das ausging, konnte man sich leicht ausrechnen.


    Scheinbar hatten diese Menschen vor, sich wie ein Gerstesack zu verhalten. Nun gab es aber schmerzhafte Grifftechniken, um jemanden reflexartig zum Aufstehen zu zwingen. Eine davon war ein Griff von oben mit beiden Händen um den Unterkiefer. Und dann zog man nach oben, wobei sich alle Fingerspitzen in das weiche, knochenlose Fleisch gruben. Auch wenn man sich die Wirkung nicht gut vorstellen konnte, wenn man den Griff bei sich selbst testete, relativierte sich das, sobald man einen Übungsspartner darum bat. Man stand binen eines Wimpernschlags auf den Füßen, auch wenn man sich zuvor entschlossen hatte, wie ein nasser Sack sitzen zu bleiben, um den Übungspartner zu ärgern.


    Mit diesem und ähnlichen Griffen - Stilo war es egal, was seine Soldaten taten, so lange es wirkte - zwang man nun die unglücklichen Zivilisten auf die Füße, um sie hernach in den Sicherungsgriff zu nehmen. Dieser verbot aufgrund starker Schmerzeinwirkung das erneute Hinlegen, wollte man sich nicht selbst die Schultern auskugeln und ein paar Sehnen zerreißen. Falls jemand meinte, sich mit einem Tritt nach hinten zwischen die Beine retten zu können, musste derjenige erfahren, dass er dabei nur gegen einen Oberschenkel treten würde, denn selbstverständlich stellte niemand mit Verstand sich breitbeinig in Reichweite möglicherweise auskeilender Füße.


    Stilo beobachtete ruhig das Geschehen.

  • Der alte, dürre Theognis zitterte wie Espenlaub. Niemand musste irgendeinen Griff an ihm anwenden um ihn zur Kooperation zu zwingen. Sein Körper war zwar schlaff wie ein nasser Lappen. Aber auf die Aufforderung der Soldaten folgte er dieser. Er war nur ein Sklave. Sein Leben lang schon. Er liebte die christliche Gemeinschaft weil er hier ein Bruder unter Brüdern und Schwestern war. Aber draußen war er nur ein Ding. Und folgte allen Anweisungen.


    Calvus und Caeca hielten sich an den Händen. Sie leisten stummen Widerstand. Zumindest bis ein Soldat an Caecas Unterkiefer ruckte und ihr ein Schrei entfuhr. Da war ihr Widerstand gebrochen und sie folgte bereitwillig den vorgegebenen Bewegungen.

    Auch ihr Mann fügte sich nun leichter. Blieb aber in störrisch stummem Protest. Auch wenn er die Zähne zusammen beißen musste um nicht unter den Griffen der Soldaten zu stöhnen. Er war Christ. Er war Mensch. Er war Römer. Er bewahrte sich seine Würde auch im Angesicht von Unrecht!


  • Kairos war der Gott des rechten Moments. Er hatte einen Haarschopf, den man packen musste, daher die Redensart mit der Gelegenheit. Eudoxus verabscheute natürlich die Götter aus tiefstem Herzen, doch kairos wurde in den Schriften auch der rechte Moment des Herren genannt.


    Eudoxus Stärke war nicht körperlicher Natur. Er versuchte daher auch nicht einmal, physischen Widerstand zu leisten. Unter dem Griff in seinen Kiefer winselte er und kam auf die Beine.


    Um das einzusetzen, was er selbst für seine Stärke hielt, sein geöltes Mundwerk nämlich, hätte es eben kairos gebraucht. Sein Zaudern hatte ihm im Weg gestanden, und jetzt hatten die Praetorianer die kleine Christianerversammlung auf gleichsam effiziente wie kunstvolle Weise im Griff und schleifte jeden von ihnen nach oben.


    Eudoxus stolperte auf der Kellertreppe, schlug sich sein Schienbein an, und ihm stiegen die Tränen in die Augen. Er überlegte noch, ob er Bruder Theognis nicht für seinen leiblichen taubstummen Bruder ausgeben könnte, der nicht ganz richtig im Kopf war, um wenigstens dessen Leben zu retten. Aber dieser Einfall kam zu spät, und da war er wieder beim Kairos. Den hatte er gründlich verpasst.


    Eudoxus hörte jetzt Schwester Caecas Schrei, und in ihm stieg Zorn auf, war sie nicht eine ehrbare und tugendhafte Christianerin, und wer wusste, welche Schändlichkeiten die Soldaten ihr antaten? Sie und ihr Gatte, Bruder Calvus, waren hinter ihm, doch er konnte den Kopf nicht wenden, um sie zu sehen. Einen Moment nur Zorn, dann war er wieder damit beschäftigt, nicht zu stürzen, als er mit unsanfter Nachhilfe die Treppen hochstolperte.


    Nicht die Häscher, sondern den etwas von den anderen distanzierten Soldaten, der ruhig die Szene beobachtete, hielt er vom Habitus her (Mit Rangabzeichen kannte er sich nicht aus) für deren Anführer. Der Gestank der Sünde umwaberte ihn mit solch einer Intensität, dass es dem Jüngling fast den Magen umdrehte.

    Er hatte vorhin im Dunkeln, als er gewartet und die Schritte über sich gehört hatte, so starke Angst empfunden, dass er mit den Zähnen geklappert hatte wie im Fieber. Aber jetzt, da er dem Feind ins Gesicht sehen konnte, oh, sein geschundener Leib zitterte natürlich weiterhin und ohne es selbst zu merken, wimmerte er immer noch ganz leise vor sich hin, war es, als würde er neben sich stehen und dem Geschehen wie ein unbeteiligter Beobachter zuschauen. Er war wie abgeschnitten von sich selbst. Zweifellos eine Gnade des HERREN.


    Hätte er, Eudoxus, jetzt nur die Macht besessen, er hätte Feuer und Schwefel über sie alle regnen lassen wie einst der lebendige und einzige Gott über die sündigen Städte Sodom und Gomorrha.

  • Einen langen Augenblick trafen sich die Blicke eines jungen Gefangenen und des Anführers der Prätorianer. Eine namenlose Finsternis lag in der Luft, gewoben von diesem Blickkontakt, man spürte ihre Gegenwart, wenn man die Gabe besaß, Menschen zu lesen. Doch von wem sie ausging, vom Prätorianer oder seinem Gefangenen, das war schwer zu sagen.


    Der Blickkontakt wurde unterbrochen, als die Soldaten den Christianer nach oben beförderten. Zwei Prätorianer verblieben mit der Öllampe im Dunkel des Kellers, um den Altar zu untersuchen und schriftlich festzuhalten, was man hier gefunden hatte. Das kleine Heiligtum würde anschließend abgebaut und mitgenommen werden für die Asservatenkammer.


    Oben wurden derweil alle vier Menschen neben dem unglücklichen Ianitor breitbeinig mit den Händen an die Wand gestellt. Die Untersuchung erfolgte ohne Rücksicht auf Schamgefühl und Würde. Auch für die Frau wurde keine Ausnahme gemacht und die Finger der Prätorianer tasteten und wühlten gründlich überall dort, wo etwas versteckt sein könnte.


    Fragen gab es noch keine an die Christianer. Auch keine Antworten, falls sie selbst Fragen stellten, nur Befehle, was sie zu tun hatten. Stilo stand dabei, beobachtete die Prozedur, und wartete, ein unbestimmtes Gefühl der Vorfreude spürend, ob man etwas finden würde, das eine Verhaftung rechtfertigte.

  • Als sie alle an der Wand standen wie Verbrecher raunte Achatius leise zu seinen Brüdern und Schwestern: "Habt keine Furcht! Ihr habt nichts unrechtes getan und Gott, der gütige Vater wird seine schützende Hand über euch halten. Diese Männer können nichts für ihre Taten, sie sind nur Werkzeuge in falscher Hand." Ein Stoß in die Rippen brachte ihn zum Schweigen. Die Werkzeuge waren unerbittlich. Bei ihm fanden die Soldaten nichts weiter unter seiner Tunika als das alte Sklavenmal. Und um den Hals ein Lederband mit mit einem Holzfisch als Anhänger.


    Erst als ein Soldat Caeca unter das Kleid griff und sie wieder leise aufschrie vor Entsetzen und Empörung fuhr Calvus herum und die Soldaten an: "Genug! Ich verbitte mir diese Behandlung einer ehrbaren römischen Matrone! Mein Name ist Gaius Trebatius Calvus und dies ... ist meine ... Frau ..." Seine Worte erstarben unter dem Blick eines Skorpions, der all sein Blut gefrieren ließ. Diese Männer waren keine Urbaner, die in der Stadt für Recht und Ordnung sorgten. Und die sich an Recht und Ordnung hielten. Diese Männer waren Prätorianer. Soldaten mit ihrem eigenen Recht. Dutzende, hunderte Geschichten und Gerüchte über die schwarze Garde vermischten sich in Calvus Gedanken mit den Geschichten aus der Hölle. Und die Realität stand vor ihm. Klein wurde er unter dem stechenden Blick. Winzig klein, drehte sich um und tat nicht mehr. Die Soldaten fanden einen Beutel mit einigen Münzen. Das Abzeichen seiner Bäckergilde. Und eine Lederkette mit Fischanhänger.


    Auch bei Caeca fanden sie einen Fischanhänger. Aus dem gleichen Holz wie der von Calvus. Sonst nur einen kleinen Holzkamm.


    Und sogar Theognis trug das Lederband mit dem Fischanhänger um den Hals. An seinem Gürtel außerdem einen kleinen Stoffbeutel. Da drin bewahrte er die Kette außerhalb der Gemeinschaft auf. Als Staatsklave konnte er sie schlecht öffentlich tragen. Auf seinem Schlüsselbein prangte außerdem das Brandzeichen des Collegium Pontificum.

  • Bruder Achatius war noch am Leben! Was unter anderen Umständen herzliche Freude, ja Tränen der Erleichterung in Eudoxus hervorgerufen hätte, blieb weiterhin unter der grauen Decke dieser seltsamen Distanz, die sich seiner bemächtigt hatte.


    Aber dann wurde die Gnade der Apathie unerwartetet von ihm genommen, und die Welt kehrte brüllend zurück; der Geruch, die Farben, die Stimmen: Caecas Beschämung entlud sich in einem Schrei, Gaius Trebatius Calvus nannte seinen vollständigen Namen, den Namen eines römischen Bürgers; nach Fischen wurde gesucht, nicht einmal außergewöhnlich grob, sondern nur kalt und zielgerichtet.


    Sie wurden fündig: Die ehrbare Matrone Caeca trug einen Anhänger, Theognis,der Sklave, der römische Bürger Calvus, - und er, Eudoxus auch. Er hatte ihn auf dem Weg zur Casa Didia verwahrt, um nicht in Händel zu geraten, aber hier in der Versammlung trug er ihn natürlich mit Stolz und Freude.


    Eudoxus schloss die Augen, als sie auch sein Lederhalsband mit dem schön gearbeiteten Anhänger, das Geschenk seines Taufvaters, entdeckten. Er war ihm lieb, aber ihm entwich kein Laut, als profane Hände ihn berührten.
    Herr steh mir bei, ich weiß dass du das kannst, betete er stattdessen: Ich, dein demütiger Diener, will doch nichts anderes als dein Werk tun, um diesen Sündenpfuhl zu läutern.

    Vielleicht war nun der rechte Moment für demonstrative Demut gekommen, auch wenn Eudoxus niemals wahrhaftig demütig gewesen war. Wie denn auch, wenn er sich und seine geistlichen Brüder und Schwestern allesamt für auserwählt hielt?


    „Verzeiht ihr Soldaten Roms, bitte was wirft man mir denn vor?“, fragte er sanft und schlug die Augen nieder.

    Die Frage galt nicht dem, der ihn festhielt, sie galt dem Anführer, der bisher weder ein Wort der Anklage noch sonst etwas geäußert hatte. Der Anführer der Praetorianer war derjenige, der die Gewalt über Gefangennahme oder Davonkommen in seinen Händen hielt. Er war wichtig.


    "Eudoxus Sohn des Demetrios aus Antiochia am Orontes bin ich.“, ergänzte der junge Christianer und folgte damit dem Beispiel von Calvus, zu sagen, wer er war.
    Wie lange hatte er selbst sich nicht mehr Demetriades genannt, wie lange schon sich von Familie und seiner Vaterstadt losgesagt?

    Aber gerade jetzt war die Nennung seines Namens ein Mosaiksteinchen in dem Bild rechtschaffender Harmlosigkeit.

  • Während der Durchsuchung glitten Stilos Blicke über die Hände seiner Männer, beobachteten, was sie bei wem zutage förderten. Doch nichts davon wurde einbehalten und nichts davon fand bislang seinen Weg auf einen schriftlichen Bericht. Die Prätorianer beließen die Christianer in dem Zustand, in dem sie aufgegriffen worden waren, einschließlich der Fischanhänger um ihre Hälse.


    "Der Ianitor verbleibt in der Casa Didia", befahl Stilo. Eine Begründung nannte er nicht, auch wenn er natürlich für sich eine hatte.


    Nun wurde es interessant, denn der erste Christianer verlor die Nerven und plauderte. Ein römischer Bürger und seine Frau. Der Befehl hatte "Zugriff" gelautet und sonst nichts. Stilo sah die Schuld der Betroffenen folglich bereits als bewiesen an. Nicht umsonst schmorte der Eigentümer dieses Hauses, Didius Molliculus, im Carcer der Cohortes Praetoria. Auch Gaius Trebatius Calvus samt Frau würde diesen Weg gehen. Doch da er bereit war, zu sprechen, reichte Rom ihm vor der Urteilsfindung noch einmal die Hand.


    "Den Römer samt Gemahlin geleitet ohne Fesseln und ohne die beiden zu berühren. Wenn dem ehrbaren Trebatius das Ansehen seiner Familie tatsächlich so wichtig ist, wie er behauptet, wird er uns freiwillig in die Castra Praetoria begleiten." Man ließ von den Eheleuten ab und gestattete ihnen, eine würdevolle Haltung einzunehmen. Unschwer zu erraten war, dass es sich hierbei um eine einmalige Chance handelte, die verwirkt werden würde, falls einer der beiden die Geduld der Prätorianer strapazierte.


    "Name und warum trägst du das Brandzeichen des Collegium Pontificium?", fragte Stilo nun den dritten Mann, der noch kein Wort hatte verlauten lassen.


    Das Interesse Stilos blieb wach, als auch ein gewisser Eudoxus sich zu Wort meldete. Die Art, wie er sprach und seine Körpersprache waren klug gewählt. Damit würde sich arbeiten lassen. Stilos Trupp hatte in den Goldtopf gegriffen bei der Zuweisung ihres Einsatzes. Er hatte mit einer Ansammlung verblendeter Dummköpfe gerechnet, die sich bei der Festnahme gebärden und in Parolen stammeln würden, deren Botschaft sie nicht begriffen, doch hier standen ein kultiviertes römisches Ehepaar und ein gebildet wirkender Mann aus dem Osten. Heute sprachen nicht die Schwerter, sondern die Waffen des Geistes. Dieser Einsatz war ganz nach Stilos Geschmack.


    "Deine Fragen werde ich dir gern beantworten", antwortete er Eudoxus erstaunlich freundlich, wobei er nun erstmals direkt mit einem der Gefangenen sprach. "Wenn du mir deinerseits ein paar beantwortest."


    Derweil machte man das Ehepaar und den Namenlosen zum Abtransport fertig.

  • Achatius schaute erstaunt weil er in der Casa bleiben sollte. Hielt man ihn für einen Sklaven? Der nicht Teil der Gemeinde war weil er nicht mit ihnen im Keller ausgeharrt hatte? Konnte man ihm deswegen nichts vorwerfen? Er beschloss zu schweigen. Es war nicht die Zeit den Märtyrer zu spielen. Auf freiem Fuß würde er der Gemeinde mehr nutzen.


    Calvus legte seiner Frau in einer schützenden Geste den Arm um die Schulter. Es wirkte hilflos. Auch wie er mit gesenktem Blick nickte. Er und Caeca würden ohne weitere Aufmüpfigkeit die Soldaten begleiten. Im Pläne schmieden waren sie großartig. Vielleicht wären sie es sogar in der Ausführung gewesen. Solange keine echte Gefahr drohte. Aber im Angesicht der Prätorianer waren sie verängstigt wie Kinder.


    Der ältliche Theognis zitterte immer noch. Nur seine Stimme war erstaunlich gefasst. Als wäre sein Geist schon nicht mehr Teil von seinem Körper. Gewohnheit vermutlich. Die Gewohnheit eines Geistes der jede Strafe über seinen Körper ergehen lässt. Ein Leben lang schon.

    "Theognis, Herr. Sklave im Besitz des Collegium Pontificium." antwortete er Stilo fest aber ohne ihm in die Augen zu schauen.

  • Die Hölle hatte Hierarchien wie der Himmel. An der Spitze der himmlischen Ordnung stand DER HERR, an der Spitze der höllischen der Widersacher, der Satan, der römische Kaiser.
    So wie die Cherubim mit Schwertern den Thron Gottes bewachten, so waren die Praetorianer die Schwerter des Kaisers, ergo ihr Führer so etwas wie ein Fürst der Hölle. Er wirkte fast zartfühlend, als er die Römerehre von Bruder Calvus und Schwester Caeca wahrte. Und er ließ Bruder Achatius vor aller Augen laufen. Die Kreatur zeigte Eudoxus ganz deutlich ihre Macht über Freiheit oder Verderben, die ihr gegeben worden war. Ein Wort von ihr genügte. Aber Eudoxus ließ sich nicht täuschen von vorgespielter Freundlichkeit oder Mitgefühl, er wusste, was vor ihm stand.


    Nun dachte Eudoxus nicht mehr daran, für Theognis, dessen gefasstes Auftreten er durchaus bewunderte oder für sonst jemanden der Gruppe zu sprechen. Eigentümlich gefühllos wie ein Henker war der Jüngling gegenüber dem Schicksal seiner Gefährten. Sie alle dienten einem höheren Zweck.


    Er jedoch brannte darauf, mit dem Höllenfürsten zu ringen wie der HERR mit Satan gerungen hatte in der Wüste:
    „Ich werde deine Fragen mit der Wahrheit beantworten, Soldat des Kaisers, soweit ich das vermag. Doch bitte bedenke, bevor du mir zürnst: Nicht immer ist Unverständnis in der Antwort begründet. Manchmal ist es auch einfach nicht die richtige Frage gewesen. “, er sah einen Moment lang auf, und sein Blick strafte seine sanfte Stimme Lügen.

  • Die Prätorianer registrierten die schützende, liebevolle Geste des Calvus gegenüber seiner Frau. Stilo wusste nicht, ob es einen seiner Männer rührte oder ob einer sich insgeheim eine ebenso tiefe Verbundenheit wünschte. Er sah nur, dass das enge Band zwischen Mann und Frau ihm gute Dienste leisten mochte, wenn er daran ein wenig zupfte. Sie würden in eine gemeinsame Zelle gesperrt werden.


    Und der Sklave, Theognis, wie er sich sogleich in seiner Rolle wiederfand, aus der er kurz entronnen war. Vielleicht wäre er wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, wenn man die richtigen Stellrädchen fand, doch Stilo bezweifelte, dass es unter diesen Umständen noch Verwendung für ihn gab. Nicht im Collegium Pontificium. Man würde sehen. "Gut", sagte Stilo nur, denn Theognis hatte gut geantwortet.


    Ruhig lauschte er den Worte des Eudoxus, ohne sichtbare Abneigung. Es war nicht an Stilo, ein Urteil zu fällen. Er war nur derjenige, der die Verdächtigen und Straftäter in die Hände jener überführte, die über deren Schicksal entschieden. Er war gleich einem Charon des Gesetzes, der sie über die Schwelle in eine andere Welt geleitete. Ob Römer, Peregrinus oder Sklave - sie alle würden mit ihm kommen und überprüft werden, mit Ausnahme des Achatius. Was in den Mauern der Castra Praetoriae geschehen mochte, unterlag nicht seinem Einfluss, ebenso wenig trug er Schuld daran, dass diese Personen sich verdächtig gemacht hatten. Stilos Gewissen war rein. Er war eins mit sich und seiner Aufgabe. Der Härte des Blickes begegnete er mit Ruhe.


    "Ich zürne dir nicht, Eudoxus. Der Dienst ist nichts Persönliches, so wie auch die Taten der Christen nicht gegen mich gerichtet sind. Wir beide sind Facetten von etwas Größerem, für das wir stehen. Ich betrachte dich als eine Möglichkeit. Du solltest es umgekehrt ebenso halten, denn noch wurde kein Urteil gesprochen. Komm nun, und gehe in Würde."


    Beinahe einladend wies Stilo nun auf die Tür, vor der inzwischen ein Teil der Truppe wartete, damit die Gefangenen ihrem Schicksal zugeführt werden konnten. Das Leben bot unendlich viele Wege an und wenngleich die Auswahl sich stets nur begrenzt anbot, so blieb den Gefangenen auch jetzt noch eine Wahl, auf welche Weise sie durch die Tore der Castra Praetoria gehen würden.


    Aber gehen würden sie.

  • Ich werde nicht davonkommen wie es Bruder Achatius tut, dachte Eudoxus, und einen Moment lang stieg Neid in ihm auf gepaart mit einem leisen Zweifel: Ihr geistlicher Führer Achatius war offensichtlich nicht würdig befunden worden, ein Märtyrer zu werden; DER HERR wollte sein Opfer nicht. Eudoxus machte einen Schritt nach vorne, als ihm die Kreatur in Uniform den Weg wies und sich dabei selbst schamlos offenbarte; sie stand in der Tat für etwas, was größer war als sie selbst, und die Gewissheit war wieder da, dass das absolut Böse existierte.

    Die geistige Verlockung, die der Praetorianer jetzt anbot, war groß: Die Sünde zu relativieren, sich in der Eigenheit zu achten, es Unterschiedlichkeit oder Toleranz nennen. Aber das würde bedeuten, DEN HERREN selbst zu verraten. Die höllische Kreatur samt ihres Herren, des Kaisers, und diese ganze verlogene, verdorbenen Welt waren bereits verdammt. Nur noch Buße zu tun und ganz und gar umzukehren konnte sie retten.Sie, Philotimas verschworene Truppe unter dem Zeichen des Ichthys, waren der Wurm im Apfel, das, was an den Eingeweiden der Welt von innen heraus fraß, obgleich sie noch glaubte, gesund zu sein und stark.
    Eudoxus war davon überzeugt, dass das Ende der alten Welt nahe war. Er hieß den Weltenbrand aus tiefstem Herzen willkommen.


    Und dennoch gab es da die Diskrepanz zwischen seinem Geist und seinem geschundenen Körper; er zitterte immer noch vor Angst, Die Schwäche des Fleisches musste überwunden, ausgemerzt und bezwungen werden. Es ärgerte und quälte ihn, dass er nicht des alten Theognis Haltung hatte.


    Und nun sprach er: „Soldat Roms, du irrst dich. Wir sind nicht gleich. Die höchste Wahrheit und die dunkelste Lüge nämlich sind wie Tag und Nacht. Sie können gleichzeitig nicht existieren.“, das sagte er mit einer leicht spöttischen Verbeugung, wie ein Straßenphilosoph, den man für seinen Vortrag bei einem Gastmahl mietete, und der die Unwissenheit der Anwesenden ertragen musste, weil sie ihm Lohn und Brot gaben.
    Er ging an Stilo vorbei, die Hände leicht erhoben. Mochte er ihn wegführen. Er beugte sich der weltlichen Gewalt, in diesem Moment wenigstens.

  • Theognis fiel zurück in sein Sklavenleben. Schwieg. Sah niemanden an. Gehorchte. Trabte wie ein Opferschwein zur Schlachtbank zwischen den Prätorianern.


    Auch Calvus gehorchte. Was blieb ihm auch übrig. Er hielt seine Frau weiter fest. Caeca schaute nicht auf. Calvus suchte Achatius Blick. Suchte Eudoxus Blick. Sie waren noch immer eine Gemeinde! Brüder und Schwester im Geiste des Herrn! Er wollte dass sie wussten dass der Kampf noch nicht verloren war.

    Wenn auch vorerst schon. Denn erst mal gingen auch er und Caeca ohne Widerstand mit den Soldaten mit.


    AIs Eudoxus an der Porta vorbei kam murmelte Achatius: "Sonne, bleib stehen über Rom und du, Mond, über dem Tal vom Tiber!"


    Das war aus einer der Geschichten, die Philotima ihnen erzählt hatte.

    Damals, als der Herr die Amoriter den Israeliten preisgab, redete Josua mit dem Herrn; dann sagte er in Gegenwart der Israeliten: Sonne, bleib stehen über Gibeon und du, Mond, über dem Tal von Ajalon! Und die Sonne blieb stehen und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte. Die Sonne blieb also mitten am Himmel stehen und ihr Untergang verzögerte sich, ungefähr einen ganzen Tag lang. Weder vorher noch nachher hat es je einen solchen Tag gegeben, an dem der Herr auf die Stimme eines Menschen gehört hätte; der Herr kämpfte nämlich für Israel.


    Eudoxus würde verstehen, dass der Kampf noch nicht vorbei war. Dass die Zeit stehen bleiben würde bis Rache an Rom genommen und es vernichtet war!

  • Stilo war zurückgekehrt, um sich ein Bild zu machen. Leise sanken die ersten Schneeflocken dieses Jahres auf die Dächer Roms. Um die Casa Didia herum schien alles ruhig. Keine Aktivitäten von Achatius. Lebte der überhaupt noch? Stilo saß im Haus gegenüber, wo er sich unter einem anderen Namen und in ziviler Kleidung ein Zimmer gemietet hatte. Dort saß er nun, eingehüllt in einen Wollmantel, auf seinem Stuhl schräg am Fenster und zeichnete auf seinen Wachstafeln herum. Hinter den Vorhängen hervor behielt er die Casa Didia im Auge.


    Eine vernachlässigte Pflicht, der er nun verstärkt nachkam.


    Sein Kopf schwirrte, er war nicht bei der Sache. Zu viele Verhöre, die endlose Dunkelheit, die gleichsam Teil von ihm war und doch bisweilen an ihm zehrte. Etwas stimmte nicht. Was das war, fand er einfach nicht heraus. Zu wenig Ablenkung in jedem Fall. Beim Gespräch mit dem Praefectus Urbi war er völlig durcheinander gekommen, hatte Achatius mit Theognis verwechselt und obendrein vergessen, die Observierung durchzuführen. Das war sehr peinlich. Er würde einen korrigierten Bericht anfertigen müssen. Der Präfekt hielt ihn wahrscheinlich entweder für jemanden, der schlampte, oder für einen Säufer. Dabei war Stilo schlichtweg nicht gut drauf. Es war eine unglückliche Momentaufnahme, die leider genau in dieses Zeitfenster fiel.


    Die Lupanare boten nicht seinen Geschmack. Es war wie einen Heißhunger mit trockenem Mehl zu stillen und Tag für Tag nichts anderes zu Essen zu bekommen. War es die ungewohnte Umgebung? Vermisste er gar Madara? Wohl kaum. Stilo war ja kein sentimentaler Trottel. Der Einzige, den er vermisste, war Sabaco. Ihm fehlte sein Herz, das in schwarzen Flammen stand, und an dem auch Stilo sich bisweilen entzünden konnte, wenn ihm danach war. Dann brannten sie gemeinsam. Er schloss kurz die Augen. Ja, ihm fehlte die schwarze, lodernde, kranke Freundschaft von Sabaco.


    War das alles? Er horchte in sich hinein. Doch wie immer, wenn er nach seinen Gefühlen suchte, verlor sein Blick sich im schwarzen Abgrund seines Inneren. Da war einfach nichts. Als würde ein Teil fehlen, den andere Menschen besaßen.


    Das Theater bot auch nur den üblichen Schund, der aber nicht schlecht genug war, um witzig zu sein. Liebe, immer wieder Liebe, als sei das ein Fluch, der ihn verfolgte. Er ging mit Pansa und Dexter nur hin, um die Handlung vohrerzusagen und zu lästern. Wie oft hatte er mit Pansa gerätselt, ob es Menschen gab, die sich wirklich wegen irgendeiner Frau derart zum Affen machten, und dann Dexter ausgelacht.


    Normalität ... Stilo brauchte wieder seinen vertrauten Trott. Alles stand Kopf. Als Freund der Gladiatorenkämpfe wartete er sehnsüchtig auf den ersten Auftritt der Kämpfer aus dem neu eröffneten Ludus Magnum. Sein Stift zeichnete wie von selbst einen Gladiator.


    Noch immer herrschte Schweigen in der Casa Didia.

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