[apud Ostiam] Villa Flavia Graccha Ostiensis

  • VILLA FLAVIA GRACCHA OSTIENSIS


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    Unweit der Aula Oestrus, einer nicht unbekannten Pferdezucht, befindet sich das Anwesen des Manius Flavius Gracchus Minor, welches er auf jenem Grunde hatte errichtet, das sein damaliger Mentor Herius Claudius Menecrates sowie der Imperator Caesar Augustus ihm zum Geschenk gemacht hatten. In der Zeit nach seiner Eheschließung ließ er hier eine Residenz errichten, welche in der Zusammenschau mit den übrigen flavischen Anwesen, insonderheit der großen Residenz zu Baiae, durchaus bescheiden sich ausnimmt, ohne indessen jene Annehmlichkeiten missen zu lassen, welcher ein Patrizier zum täglichen Leben dringlich bedarf. Folglich verfügt es über diverse Triclinia für die entsprechenden Jahreszeiten, Räumlichkeiten für jedwede Form der Muse, der Notdürftigkeiten sowie selbstredend Wirtschaftsräume für jenes Personal, das für den Betrieb einer dergestalten Wohnstatt unerlässlich ist. Als Juwel mag dessenungeachtet eine weitläufige Gartenanlage gelten, welche, von einer kalkweißen Mauer umgeben, den Bewohnern ein ausgedehntes Privatissimum gewährt, sodass beinahe es erscheint, als vermöge man darin sogar Jagdpartien abzuhalten. In der Tat zählen dazu nicht lediglich säuberlich gestutzte, von dekorativen Büschen und Beeten durchbrochene Wiesen, sondern ebenso ein kleines Wäldchen, das insonderheit in der sommerlichen Mittagshitze einige naturale Kühlung verheißt, zu seinen attraktivsten Örtlichkeiten.



    Foto: "Grande Foresteria" (after 1820) of Villa Rosebery in Naples - Architects Stefano and Luigi Gasse by Carlo Raso, auf Flickr

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich* ~~~


    Brausendes Toben erklang von den Rängen des Amphitheatrum, als mit tapsendem Schritt er langsam seinen massigen Leib in die Arena manövrierte. Er vermeinte beinahe, als schwebten seine Tatzen über den Sand, doch das Knirschen der Körner unter seinen Klauen offenbarten ihm, dass lediglich der Rausch des Opiums seine Sinne vernebelte und ihm jene Gleichmut gewährte, welche selbst das Tosen der Menge verschlang und gar ihm heitere Gelassenheit angesichts dieses Kampfes hinterließ. Mitnichten empfand er Interesse für die aufgepeitschte Meute auf den Rängen, welche voll Mordlust und Blutgier der Tierhatz entgegenblickte. Mitnichten bekümmerte ihn sein Kontrahent wie der Umstand, dass keine Option ihm war gegeben, dieser Szenerie zu entrinnen.


    Desorientiert blickte er um sich, vernahm das Getrappel von Hufen hinter sich, wandte sich um und erblickte einen der Custodes, hoch zu Ross und mit einer Lanze versehen, bereit zu intervenieren, sollte eine der Bestien sich dem Publikum zuwenden. Doch auch ihm schenkte er keine Achtung, verkniff vielmehr die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht und ließ zuletzt, begleitet von gellenden Pfiffen auf den Rängen, seinen massigen Leib in den Staub plumpsen. Sein Mund war versiegt, sehnlichst wünschte er sich ein Gefäß mit kühlendem Nass herbei, um seinen Durst zu stillen, doch weder die Custodes, noch die gaffende Menge waren willig, ihn vor getanem Dienste mit einem Trunk zu erquicken.


    "Die Schlange! Die Schlange!"
    , gellte vielmehr es von allen Seiten, als seine Kontrahentin in die Arena wurde gefordert und in der Tat öffnete sich eine den Blicken bis dahin verborgene Falltür und mit einer gleitenden, blitzartigen Bewegung schoss eine gewaltige Natter aus dem Boden, stieß geradehin in die Höhe und formte sodann einen grazilen Bogen, um ihren schuppigen Leib auf dem erhitzten Sand der Arena zu platzieren, von wo aus sie mit geschickten Windungen ihres schimmernden Leibes sogleich ihren Weg in seine Direktion bahnte. Ein Fauchen entfleuchte ihrem gierig aufgerissenen Maul, sodass zwei steil errichtete Fangzähne sich entblößten, von welchen bereits grün leuchtendes Gift herabtroff.


    Doch selbst nun, da seine Nemesis unaufhaltsam heranglitt, verspürte er weder Furcht, noch hinreichend Erregung, um auch nur seinen Leib vom erhitzten, unter seinem monströsen Gesäß indessen bereits zu wohliger Wärme erkalteten Sand zu erheben, um sich für jenen Kampf auf Leben und Tod zu präparieren.


    Schon hatte die Natter ihn erreicht, türmte erneut einer Cobra gleich ihren Leib auf, zog ihr Haupt zurück und eröffnete neuerlich ihren Rachen, umrahmt von den aufgerichteten Giftzähnen, als lechzten sie geradehin danach, voller Lust sich in ihn zu versenken und ihr letales Extrakt zu verströmen, ihn zu lähmen und zu töten. Anstatt diesem zweifellos existenten, reptiliösen Trieb nachzugeben, schloss die Natter wiederum ihr Maul und neigte ihren Kopf, sodass die starren Augen ihre Beute besser zu fixieren vermochten, während die leicht nach oben gezogenen Winkel ihres Maules von beachtlicher Ausdehnung nahehin den Anschein erweckten, als lächelten sie höhnisch.
    Ihr Erstarren währte indessen nur kurz, sodann wandte sie sich ab und umtänzelte abschätzig ihre potentielle, bisherig weiterhin passive Beute und schien sodann ihren seidigen Leib zu einem gordischen Knoten zu verknoten, welcher jedoch beständig in Bewegung verblieb, was geradehin den Anschein erweckte, als zöge sich der Wust aus Schuppen immer enger und enger.


    Ein Schaudern durchzog das Vieh schließlich, dann ein weiteres und schließlich ein geradezu regelmäßiges Pulsieren. Schon erwog er, ob das Tier sich selbst mit ihrem letalen Kauwerkzeug traktiert habe und nun an ihrem eigenen Gift krepierte, doch dann öffnete sich an einer augenscheinlich willkürlichen Stelle des Schlangenleibes langsam, doch bedächtig eine Öffnung, als geruhe das Tier zu defäkieren. Anstatt bräunlich-schwarzer Exkremente erblickte er jedoch eine weiße Substanz, welche wenige Zuckungen später sich als eine gewaltige, ins Ovale gepresste weiße Kugel erwies, die angesichts der grazilen, schlanken Natter beachtliches Ausmaß annahm, das Licht der Welt. Das ovale, von garstigem Schleim umfangene Objekt löste Fäden ziehend schlussendlich sich von seinem Produzenten und plumpste geräuschlos in den Sand der Arena. Doch mitnichten war damit die mirakulöse Darbietung vollendet, denn die Natter förderte, diesmalig mit weitaus weniger Kontraktionen ihres Leibes, noch eine weitere, weiße Kugel zutage.


    Und während er noch erwog, worum bei diesem seltsamen Spektakel es sich mochte handeln, erbrachen die Hüllen der Kugeln, als sei sie lediglich eine dünne Membran, und offenbarten zunächst hastig hervorschnellende, spitze Zünglein, sodann die schuppigen Schnauzen und schließlich zwei vollständige Schlangenleiber, die denen ihrer Mutter aufs Haar genau glichen. Und sogleich setzten die Schlänglein an, mit größter Emsigkeit in den Knoten ihres maternalen Leibes schlängelnd sich zu integrieren.
    Fasziniert von jenem Schauspiel der Geburt, deren Zeuge er skurrilerweise inmitten eines Amphitheatrum war geworden, blickte er auf die recht vergnügt tollenden Schlänglein, deren Leiber zwar signifikant kleiner als ihre Mutter erschienen, deren Ausstaffage bis hin zu den kleinen, leuchtend weißen Giftzähnen denen ihrer Mutter glichen. Für eine Weile schien in der Tat die tödliche Situation der Arena sich in dieses geradehin lebensspendende Spektakel aufzulösen und er vermeinte bereits, jene unerregte Gleichmut habe zurecht ihn ergriffen.


    Schlagartig jedoch erstarrte der Knoten aus den drei Schlangenleibern mit einem Male und drei Natternhäupter erhoben sich daraus, fixierten mit ihrem starren Blick ihn, der er noch immer auf dem Boden ruhte, und dann sich gegenseitig. Aufs Neue wurde er der seltsam hochgezogenen Mundwinkel der damit zu einem beständigen Lächeln geformten Mäuler gewahr, die nun wechselnd sich weit öffneten, als dehnten die drei Tiere sie in Erwartung einer kommenden Speise.


    Ein jähes Ende fanden diese Präparationen, als sodann der gordische Knoten sich zerschlug und jede Schlange in windenden Bewegungen in eine andere Direktion sich bewegte. Die Mutter selbst, mit einem Fauchen neuerlich ihre Fangzähne präsentierend, hielt strikt auf ihn zu. Er wusste, dass diesmalig sie nicht sich würde abwenden, dass sie kam, um sich im Kampfe um ihn zu winden und ihn zu töten. Verdutzt rappelte er sich auf, streckte seine Tatzen ihr entgegen und ließ ein mehr perturbiertes denn erschröckliches Brummen vernehmen.
    Dann war sie bereits bei ihm, ließ ihren Natternkopf hervorschnellen und nach seiner Pranke schnappen, um sogleich wieder zurückzuziehen und einem ungelenken Hieb seinerseits auszuweichen und mit einem eleganten Schwung ihres Leibes die Position zu wechseln. Eine neue Attacke folgte, den er bereits zu parieren außerstande war, sodass die giftigen Zähne sich in sein Fell und die darunter liegende Haut bohrten. Sogleich verspürte er, wie die Natter ihr Gift in ihm verströmte, ein Brennen verbreitete sich in seinem Arm und nötigte ihn, seinem Schmerz durch ein klagendes Brummen Ausdruck zu verleihen, doch gelang es zumindest ihm, mit einem Schütteln seiner Pranke das Vieh zum Ablassen zu nötigen.
    Indessen verbreitete rasch sich das brennende Gift sich in seinem Leibe, durchkroch seine Venen und entfachte in ihm ein Feuer, welches seine Sinne noch zusätzlich zum Morpheustrunk lähmte. Dahin war seine Gleichmut, gewichen einer panischen Furcht, jener Natter zu erliegen, die bereits zur nächsten Attacke sich rüstete.


    "Minimus!"
    Ein Ruf durchbrach jenen Strom der Konzentration, der ihn mit seiner Opponentin verband, und intuitiv wandte sich zur Quelle jenes Rufes. Ein skurriles Bild bot sich ihm dar: Die beiden jungen Nattern hatten beachtlich an Größe gewonnen und traktierten nun einen der Custodes zu Pferde. Schon war das Reittier erklommen und einer der Schlangenleiber hatte sich um den kräftigen Hals des Rosses gelegt, während das andere geradehin im Damensitz auf dem Pferderücken hinter dem Custos Platz genommen hatte. Dessenungeachtet ließen die erhobenen Schlangenhäupter mit ihren fauchend aufgerissenen Mäulern, in welchen die Giftzähne blitzten, es indubitabel erscheinen, dass sie gedachten, den Reiter in ihrer Mitte hinzuschlachten.


    Doch warum rief der Custos just in dieser Situation nach der Bestie, welche in Schach zu halten ihm aufgetragen war? Und war nicht die Stimme, welche er vernahm, ihm sonderbar vertraut?


    Auch das Antlitz, welches nun in panischer Furcht vor dem Gebrüt der Natter nicht wusste, wohin es blicken, wem mit seiner Lanze, einer für diese Zwecke gänzlich inadäquate Waffe, nun zuzusetzen sei, hatte vertraute Züge!
    "Minimus, zu Hilfe!"
    , erklang der Ruf eindringlicher und nun war er sicher, dass die Stimme jene seines Vaters war, welcher dessenungeachtet nunmehr ein Opfer der jungen Nattern wurde, als eine von ihnen ihre Zähne in seine Kehle versenkte und die paternale Stimme in einem Gurgeln ersticken ließ.


    ~ ~ ~


    "Neiiiiin!"
    , rief Manius Minor und sprang ruckartig in seiner Liegestatt auf. Panisch blickte er um sich, insekur, ob die ausstehende Attacke der Natternmutter oder das Resultat des Werkes ihrer Zöglinge mehr sollte fürchten.
    Doch erstorben war das Licht der gleisenden Sonne, verstummt das Johlen des Publikums und verschwunden jene ganze Szenerie des Amphitheatrums, der überdimensionierten Nattern und ihrer Beute. Lediglich sein finsteres Cubiculum umgab ihn, durch die verschlossenen Läden drang nur wenig Licht auf seine Decken, die seine zitternden Hände und nicht die behaarten Pranken aus seinem Traume krampfhaft umklammerten.


    Er blickte hinüber zum Lager seines Patrokolos, welches jedoch verwaist im Halbdunkel lag, da augenscheinlich der Sklave sich wie so oft nächtens hatte hinfortgeschlichen. Für gewöhnlich mochte sein Herr dies akzeptieren, nun indessen beraubte es ihn eines Gesprächspartners.


    Langsam und bedächtig ließ Manius Minor daher seinen wuchtigen Leib wieder in seine Kissen sinken und zog sorgsam die Decke über seinen noch immer fröstelnden Leib. Welch obskurer Traum war dies gewesen! Und doch war es offenbar, in welcher Weise er war hinsichtlich seiner Situation zu interpretieren: Gestern erst hatte ihn ein Brief Manius Maiors aus Roma erreicht, in welchem dieser ihm die Kunde hatte gebracht, dass Aurelia Prisca ihm nicht eines, sondern gleich zwei Kinder hatte geboren. Mochte es nicht genügen, dass Manius Maior selbst als Geminus war geboren, war nun auch noch erst selbst mit einem Zwillingspaar gesegnet worden. Quintus Flavius Gracchus und Flavia Prisca. Abscheu erfüllte den jungen Gracchen selbst beim Gedanken an Namen jener beiden Persönchen, welche sein Traum so trefflich als Natterngebrüt hatte repräsentiert!


    In der Tat hatte diese Novität ihn in noch tiefere Depression geworfen, obschon ja bereits einige Monate zuvor sein Vater ihm hatte eröffnet, dass Aurelia guter Hoffnung war. Doch obschon dies hatte genügt, ihn derart zu verärgern, dass er nicht nur seine bis dahin ohnehin spärlichen Visiten in Roma gänzlich eingestellt, sondern auch jedwede briefliche Korrespenz seiner Familia unerwidert gelassen hatte, so hatte er insgeheim doch verhofft, dass seiner Stiefmutter ein Malheur würde unterfangen, dass womöglich nicht nur ihre Brut und damit zugleich ihre Gunst bei seinem Vater würde verlustig gehen, sondern gar sie selbst den Strapazen der Schwangerschaft oder zumindest der Geburt würde erliegen und damit auf einen Streich (nahezu) sämtliche seiner familiären Dyssonanzen aus der Welt schaffte. Die gemeinhin als freudige Kunde ponderierte Information, dass Kinder und Mutter wohlauf waren, hatte indessen jede dieser Hoffnungen zunichte gemacht und aufs Neue konfirmiert, dass nicht er, sondern die aurelische Natter im Kampf um die Gunst seines Vaters und mit um das flavische Erbe würde obsiegen. Ein heftiger Opiumrausch, assistiert von nicht geringen Mengen Weines waren das Resultat dieser Einsicht gewesen, sodass er kaum wusste zu sagen, wann und in welchem Zustand er am gestrigen Abend seine Kammer hatte aufgesucht.


    Zweifelsohne war Cornelia jedoch nicht mit ihm gewesen. Und dies war zweifelsohne nicht darin begründet gewesen, dass er stark berauscht und vermutlich in weinerlicher Facon war gewesen, denn niemals hatte das nunmehr geraume Zeit verheiratete Paar das gemeinsame Bett geteilt. Dabei war insgeheim dies das Ziel des jungen Flavius gewesen, als sie wenige Zeit nach ihrer Hochzeit hierher waren verzogen, um vorgeblich die Vollendung ihrer Villa Urbana zu überwachen, zugleich jedoch jene Abgeschiedenheit privater Ländlichkeit zu nutzen, um sich als Paar undisturbiert von Anverwandten und den Lasten des aristokratischen Alltags ein wenig aneinander zu gewöhnen und zugleich eben jenen Erben zu zeugen, den die Hautevolée Romas und insonderheit ihre beiden Familiae von ihnen erwarteten.


    Zwar war recht bald schon der Bau vollendet worden, sodass mit großer Beflissenheit Manius Minor daran sich machen konnte, die Parkanlage des Anwesens mit allerlei Leben zu füllen, beginnend mit der Umsetzung diverser Bäume, über die Anlage von Wegen und Beeten bis hin zu kleinen Baulichkeiten, Statuen und Refugien, doch hinsichtlich jenes weitaus bedeutsameren Werkes ihrer Ehe war lediglich minimaler Fortschritt zu verzeichnen gewesen. Erstlich hatte Gracchus Minor seinem Vorsatz entsprechend redliche Mühe gezeigt, über die mangelnden Vorzüge seiner angetrauten Gattin hinfortzusehen und seine Pflichten als Gatte ritterlich zu erfüllen, doch hatte jene diese lediglich mit einer gewissen Retorsion erwidert und sich, wann immer die Gelegenheit sich ergab ein Stelldichein zu konstruieren, mit einem Vorwand exkulpiert. Dies, ebenso jedoch das nicht recht harmonierende Eheleben insgemein, begonnen bei dem Gebrechen an Themen, welche beide Eheleute mit Freude in längere Gespräche hätte verwickeln können, über differente Vorstellungen hinsichtlich der Gestaltung der neu erworbenen Räumlichkeiten wie des umliegenden Terrains bis hin zu dem Auseinandergehen der gustatorischen Präferenzen evozierte binnen kürzester Zeit eine merkliche Frustration bei Manius Minor, welche diesen zunehmend deprimiert hatte.

  • Er blickte zu dem Tischchen neben seinem Bett, auf welchem noch immer der silberne Opiumbecher thronte, welchen augenscheinlich er am Abend zu einem Schlummertrunke mit in das Cubiculum hatte genommen. Seit geraumer Spanne nun fröhnte er wieder dem Morpheustrunke, obschon er diesem doch einst hatte abgeschworen. Selbst in der Not jener freudlosen Ehe hatte lange er dem Verlangen widerstanden, doch als in jener misslichen Lage Titus Ovidius Pullo, ein Parvenü aus der Nachbarschaft (ein Eques, welcher über dubiose Krämergeschäfte zu Reichtum war gekommen und auf einem Landgut wenige Stadien entfernt seinen Lebensabend zubrachte), den neuen Nachbarn seine Referenz hatte erwiesen und zum Gastmahle Gracchus ein bauchiges Kännlein cypriotischen Opiums verehrt hatte, war es um ihn geschehen gewesen. Cornelia selbst, die nichts von seinen ultramarinen Eskapaden wusste, hatte den Vorschlag unterbreitet, die Substanz unverzüglich zu kosten, was Gracchus Minor trotz seiner Furcht vor einem Rückfall nicht recht abzuwehren vermocht hatte, weshalb er nach Jahren der Abstinenz aufs Neue in das wohlige Gefühl des Rausches war hinabgesunken, das aufs Neue die Leiden des Alltages verfliegen und nichts denn eine amorphe, präsentische Glückseligkeit hinterließ. Mit einem Male waren sämtliche Zänkereien mit seiner Gattin, die Furcht vor dem Spott der Gesellschaft ob des ausbleibenden Nachwuchses, ja selbst das Erbeben vor dem Zorn der Unsterblichen angesichts seines Versagens, die flavische Ehre zu defendieren, annihiliert in einem süßen Nichts!


    Hatte Gracchus Minor anfänglich noch dafürgehalten, dass es sich hierbei um eine singuläre Abirrung mochte handeln, war rasch erkenntlich geworden, dass jenes undiminuiert anhaltende Leiden im Ehehafen die Versuchung allzu groß machte, sich stets aufs Neue in die Welt des Rausches zu fliehen, sodass aller Ermahnungen seitens Patrokolos zum Trotze er recht bald anschicken ließ, in der Stadt mehr von jenem Morpheustrunke erwerben zu lassen, um das sich rasch sich lehrende Opiumgefäß zu replatzieren. Doch mitnichten war es bei diesem zweiten Kännlein geblieben, inzwischen mochte jene Menge an erworbenen Gefäßen womöglich das ganze Cubiculum erfüllen, würde das emsige Gesinde sie nicht schleunigst entsorgen, sobald ihr Herr sie bis zur Neige leerte. Selbst die immer häufigeren Ausflüge seiner Gattin zu ihrem Onkel nach Roma, respektive auf dessen Landsitze, evozierten nunmehr ein Motiv, sich des Opiums zu enthalten, obschon die dadurch ersichtliche Minderung seines Leidens seinen Konsum ein wenig dämpfte. Gleich jenem tumben Biest in seinem Traume, das gleichmütig die Irrungen und Gefahren der Welt um ihn herum ignorierte, hatte die Droge nicht nur seine Sinne, sondern auch seinen Geist, seinen Willen und seine Appetenz umnebelt und umnächtigt.


    Der Flavius seufzte und schob langsam seine geschwollenen Beine über den Rand seiner Schlafstätte, um endlich tastend den Mosaikboden unter seinen Füßen zu erspüren. Neuerlich entsann er sich dieses Traumes, der grässlichen Natter und ihres Gebrüts. Weder die drohende Attacke, noch ihre Niederkunft hatte ihn bekümmert, er hatte all dies schlicht geschehen lassen. Und als Resultat war nicht nur er selbst, sondern auch sein Vater ihrem tödlichen Gift zum Opfer gefallen.
    War dies ein Zeichen? Eine neuerliche Botschaft des Mercurius, ja seiner Mutter?
    Dass sein aktueller Wandel, seine Flucht aufs Land und vor der familiären Pflicht nicht seinem Vermächtnis entsprach, dass mitnichten jene sporadischen Besuche in Rom, für die Patrokolos ihn halbwegs gesellschaftsfähig präparierte, dem genügten, was man von einem Senator Roms mochte erwarten, lag auf der Hand. Selbst wenn er auch dieses schlechte Gewissen, die lange Zeit so präsente Furcht vor dem Verdikt der Unsterblichen, durch das Opium war betäubt und beiseite geschoben worden, so schien jene fabelgleiche Nachtmär ihm doch zu offenbaren, was ein weiteres Resultat seines pflichtvergessenen Daseins war: Er hatte zugelassen, dass die aurelische Natter nicht allein seinen Vater weiter umgarnt, sondern sogar dazu hatte bewegt, dass er zu ihr ins Lager war gestiegen und ihr nun gar nicht nur eines, sondern gleich zwei Kinder hatte geschenkt. Niemals hatte Minor erwogen, dass Manius Maior in jenem fortgeschrittenen Alter, gesegnet mit bereits zwei gesunden Söhnen aus erster Ehe, sich nochmalig in die Niederungen des ehelichen Verkehres würde herablassen. Doch nun, da es so weit war gekommen, würde Prisca leichtes Spiel haben, sich über ihre Wechselbälger des flavischen Erbes zu bemächtigen, ja nicht nur ihn, sondern auch ihren Ehemann aus dem Weg zu räumen und der wahrhaft flavischen Stirps ein Ende zu bereiten!


    Welch tapsiger Narr war er gewesen! Aufs Neue hatte ihn die geradehin epikureisch anmutende Nabelschau dazu bewogen, seine Pflicht zu ignorieren, sondern gänzlich sich seinem eigenen Leiden zu widmen und dabei das drohende Leiden all jener Werte, die sein Vater ihn hatte gelehrt, zu ignorieren: Würde nicht auch die Wahrheit leiden, wenn die trügerische Natter ihre Fäden undisturbiert zu spannen vermochte, ihren Vater zur willenlosen Marionette degradierte und im Klandestinen ihre egoistischen Interessen verfolgte? Würde nicht auch die Res Publica Schaden nehmen, wenn ein derart verdientes und edles Geschlecht wie die Flavia der Gier jener patrizischen Emporkömmlinge des Hauses Aurelia zum Opfer fiel?
    Ihm selbst war dieses Versagen zuzuschreiben, er selbst hatte es geschehen lassen, als er nicht vor langer Zeit bereits nach Roma war zurückgekehrt, um seinem Vater beizustehen! Er hatte es vorgezogen seine eigene Unzulänglichkeit zu betrauern, anstatt das Unabänderliche zu akzeptieren und sich jenen Dingen zuzuwenden, die zu ändern er imstande war! Sein Versagen würde es sein, wenn das Geblüt der Flavia Graccha am Boden lag, wenn Priscas Spross das flavische Erbe einheimste und dann klammheimlich sich der Aurelia würde zuwenden!


    Dies durfte nicht geschehen!

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