~ Hortus ~ | Die bucklige Verwandtschaft

  • Stilo fragte sich, warum er nicht solche Freunde traf, die einem bedürftigen Bekannten einfach mal ein Atriumhaus in bester Lage schenkten. Und extrem baufällig sah das Gebäude wirklich nicht aus, genau so wenig, als ob es zum Großteil hätte neu errichtet werden müssen. Er ließ seinen Blick über die Wände und das Dach schweifen, auf dem der Pfau saß.


    "Irgendwas mache ich falsch", brummelte er. "Und ihr braucht ein paar Tauben, damit man euch schreiben kann. Ich habe welche aus Mantua mitgebracht, wo bringt ihr sie unter?"


    Es war keine Frage, ob die beiden die Tauben überhaupt haben wollten. Jedes gute Haus benötigte Tauben. Und den schönen, aber nutzlosen Pfau fütterten sie schließlich auch durch.


    "Hätte ich das gewusst ... in Mantua ist alles voller herrenloser Tauben und Hühner. Ihr solltet eure Sklaven losschicken, um sie hierher zu bringen. Wo wir schon einmal von Adoptionen sprechen, bin ich so frei, mit der Tür ins Haus zu fallen."


    Was für eine Überleitung. Ein guter Redner war Stilo noch nie gewesen.


    "Scato, du und dein kleiner Bruder, ihr seid nun Waisen und in eurer Gens praktisch allein. Meiner Ansicht nach seid ihr dafür zu jung und ein wenig mehr Familie hat noch niemandem geschadet. Ich möchte euch darum anbieten, der Vater zu sein, den ihr nicht mehr habt. Ich möchte euch adoptieren."


  • "Das war schlichtweg Glück und das Haus mag jetzt nicht mehr baufällig aussehen, aber hättest Du es vorher gesehen, hättest Du Dich gefragt ob das wohl ein Scherz ist.


    Heute erstrahlt es im alten, neuen Glanz. Das war ein hartes Stück Arbeit. Viridomarus war noch nie geizig, aber damit haben Scato und ich auch nicht gerechnet. Umso schöner war die Überraschung, trotz der Baufälligkeit.


    Zudem ist der Lallende Löwe unser zweites Standbein und unsere Altersversorge.


    Sehr gerne, wir lassen den Rest der Tauben und Hühner ebenfalls herholen. Charislaus und Terpander werden sich der Sache annehmen. Du musst nur genau sagen, wo sich das Haus und am besten auch Mantua befindet", antwortete Lurco freundlich.


    Als Stilo auf die Adoption zu sprechen kam, schaute Lurco ziemlich perplex. Der Vorschlag schmeckte ihm gar nicht. Natürlich war er froh, dass Scato seine Familie hinter sich lassen konnte. Gutes hatte er nicht zu berichten gehabt. Aber wer wusste was Stilo vor hatte und wohin es Scato dann ziehen würde.


    "Eigentlich ist Scato hier recht glücklich", warf Lurco zerknirscht ein.

  • "Hispania, beim Abgrund wo liegt das überhaupt? Doch noch hinter Thrakien! Aber gute Pferde sollen sie haben. Scato hat sich auf zwanzig Jahre verpflichtet. Vorher kann er eh nicht weg. Aber danke für das Angebot Stilo. Du hast es ja gehört. Zudem ist er unser einziger Medicus. Du kannst den Urbanern nicht ihren Medicus nehmen", versuchte es Lurco auf die Art.

  • So leicht ließ sich ein adoptionswütiger Onkel nicht abschütteln. Er lächelte milde und schüttelte langsam den Kopf.


    "Ich hatte nicht vor, Scato aus seiner Umgebung zu reißen, sondern ihm und Fango einen sicheren Hafen anzubieten, in den das Schiff bei Seenot einlaufen kann, während es ansonsten die Weiten des Ozeans durchreist."


    Oder so ähnlich. Caepio war und blieb vermutlich für alle Zeiten verschollen, weshalb er an dieser Stelle nicht erwähnt wurde.


    "Hispania liegt im Westen, auf der anderen Seite des Meeres. Wenn man die Landroute wählt, reist du erst nach Norden in Richtung Germania - triffst unterwegs auf Mantua - und wendest dich an der Küste in Richtung Westen, noch bevor du die Alpen überquerst. Dann folgt eine sehr lange Reise, bis du Hispania erreichst, per Schiff geht es wirklich schneller, aber es gibt Leute, welche die ganze Strecke zu Pferd auf sich nehmen."


    Wie Sabaco, der vor Reisen per Schiff panische Angst hatte. Aber das sprach man nicht aus.


    "Aber dort wohne ich nicht länger, wir werden versetzt nach Cappadocia. Nach Jahren des Lebens in der Ferne kehren wir zurück in die alte Heimat. Scato hätte mitkommen können nach der Adoption ... aber er kann genau so gut hierbleiben und sich nur dann an mich wenden, wenn er Hilfe benötigt."


    Bewusst sprach Stilo nun in der dritten Person von seinem Neffen, denn ein wenig gekränkt war er schon.

  • Stilo wirkte etwas verschnupft, was die Absage der Adoption anging. Dabei ging es Lurco nicht um die Adoption, sondern darum Sacto nicht zu verlieren.


    "Hör zu Stilo, ich habe Dich nicht in mein Haus eingeladen um mit Dir zu streiten, oder Dich bloß zu stellen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Du Scato adoptieren möchtest. Dabei habe ich kein Wort mitzureden. Das Recht habe ich mir einfach herausgenommen. Scato und ich sind wie Brüder, das Schicksal hat uns zusammengeführt. Wir standen am gleichen Tag vor der Castra und ab dato haben wir alles gemeinsam bewältigt. Von der Aufnahmeprüfung, bis zur Ausbildung, einfach alles. Wir sind gemeinsam in den Orden der Luperci eingetreten, Scato hätte mich einmal bei einer Übung fast erstickt und er war es, der mich nach meinen Verletzungen zusammengeflickt hat.


    Auf einen Punkt heruntergebrochen, ich möchte Scato nicht verlieren. Ohne ihn wäre nicht nur dieses Haus verdammt leer, sondern auch mein Leben.


    Es gibt nichts Schöneres als jemanden zu haben, der für einen da ist Stilo. Da gebe ich Dir völlig Recht. Es ehrt Dich, dass Du Scato anbietest, sein Hafen in der Not zu sein. Oder einfach, wenn Scato Lust auf einen Besuch hat. Ich möchte Dir, sprich Euch nichts kaputt machen. Aber ich möchte auch nicht die Freundschaft zu Scato verlieren, weil uns auf einmal Länder trennen. Ich war ein einziges Mal in meinem Leben außerhalb von Rom Stilo. Und all das klingt gewaltig weit für mich. Das sind Strecken die ich weder mit dem Schiff noch mit dem Pferd bewältigen könnte. Und sei mir nicht böse, aber Hispania klingt wie am Ende der Welt.


    Ganz sicher würde unsere Freundschaft die Distanz überdauern, aber ist es dann noch das Gleiche?

    Es ist doch ein Unterschied, ob man abends an der Feuerschale zusammensitzt und bei einem kalten Getränk über den Tag plaudert, oder ob man einen Brief von seinem Bruder liest der soweit weg ist, dass man kaum eine Vorstellung davon hat.


    Das Einzige was ich über Hispania weiß ist, dass von dort gute Pferde stammen. Dem Land Cappadocia sagt man ebenfalls nach, die Heimat von erstklassigen Pferden zu sein.


    Wie gesagt, ich habe kein Anrecht darauf ein Veto gegen die Adoption einzulegen. Aber darum ging es mir auch nicht. Es geht mir schlicht darum, Scato nicht zu verlieren. Ich hoffe Du verstehst dass und nimmst mir meinen Einwand nicht krumm", antwortete Lurco.

  • Stilo nickte langsam. Seine Miene war, wie meistens, ernst, doch seine Stimme freundlich, als er antwortete.


    "Das sind gute Gründe. Ich bin dir nicht böse, Lurco, und zum Streiten gehören zwei. Ich freue mich, dass ihr euch so gut versteht."


    Auf der anderen Seite, wenn das mal kaputt ging, war das Geheule groß ... wenn solche Freundschaften zerbrachen, ob aus einem Streit heraus oder weil die Götter die Wege der Freunde trennten, war das ein kleiner Tod. Besonders, wenn diese Verbundenheit sich nicht nur beruflich, sondern bis ins Private hinein erstreckte. Stilo konnte an dieser Stelle nicht einmal klug daherreden, weil er selbst nicht besser war. Falls Cimber eines Tages in eine andere Legio versetzt werden sollte als er oder Schlimmeres - nicht auszudenken. Stilo rieb sich nachdenklich Kinn und Hals.


    "Du würdest Scato nicht verlieren, Lurco. Scato entscheidet selbst, wo er wohnt und ich hatte auch nicht vor, ihn mit nach Cappadocia zu schleppen. Obwohl es da sehr schön ist, das muss ich dazu sagen! Verregnete Sommer gibt es dort nicht, dafür viel Sonne, freundliche Eingeborene, interessante Kultur ... und Pferde. Cimbers Familie hat dort ein eigenes Gestüt, das würde euch sicher gefallen." Bewusst sprach er in der Mehrzahl. "Aber wo auch immer ihr wohnt - Scato hätte nach der Adoption wieder einen Vater."

  • Lurco war froh, dass Stilo ihm nicht böse war. Wen hatte Scato denn sonst noch? Einen Bruder, wie er erfahren hatte. Scato hatte ihn nie erwähnt. Entweder war der Mann so langweilig, dass er ihn fast vergessen hatte. Er war peinlich, dass er ihn vergessen wollte oder er war grausam und Scato war froh ihn los zu sein.


    Letzteres glaubte Lurco nicht, sonst hätte Stilo ihn nicht in solch freundliche Pläne einbezogen.


    Das Leben von Stilo und seinen Kameraden schien sich ganz um Pferde zu drehen. Einen Moment später bestätigte sich dies, Cimbers Familie führte ein Gestüt. Lurco liebte Pferde und war entsprechend begeistert.


    "Freut mich zu hören, dass Du Scato nicht entführen möchtest. Einen Vater zu haben der sich interessiert und kümmert, ist etwas Besonderes. Wir besuchen Dich sicher mal gerne, Deine Pferde, Tauben, dass Gestüt", grinste Lurco.

  • "Gestüt Umbrena bei Caesarea, Cappadocia. Du wirst das Anwesen leicht finden, da es nur eines dieser Art gibt. Es liegt am Fuße des Argaios, der ruht, doch niemals schläft, denn manchmal grollt er und speit giftigen Dampf aus alten Wunden. Der Vulkan ist der höchste Berg der Provinz und sein Abbild sieht man gelegentlich auf Münzen. Man hielt ihn früher für den Olymp und wenn du ihn siehst, wirst du begreifen, warum. Um ihn herum erstreckt sich ein Ödland zu allein Seiten, das er allein überragt. Nur zwei Mal im Jahr ist das Land für kurze Zeit begrünt, im Frühling und im Herbst. Das ist die Zeit der Pferde. Es ist unmöglich, den Argaios ganz zu besteigen, selbst im Sommer, wenn seine weiße Krone ablegt und sie gegen die steinerne tauscht."


    Verzückt von den Erinnerungen an seine Heimat, war der sonst eher bedächtige Stilo ins Schwärmen geraten.


    "Bald geht es heim", freute er sich. "Und ihr seid natürlich immer als Gäste willkommen. Weder Cimber noch ich werden euch wohl persönlich empfangen können, es sei denn, man gewährt uns Urlaub, doch wir werden uns sehen - versprochen. Wenn nicht in Caesarea, so werdet ihr in Satala eine kleine, aber beschauliche Bleibe finden und wir haben sogar ein Theater."


    Satala war das letzte Kaff, das neben der dort stationierten Legio nur noch für seine schlechten Aufführungen und hässlichen Schauspieler bekannt war, aber das würde Stilo ihnen nicht auf die Nase binden.

  • "Deine Beschreibung von Cappadocia klingt malerisch, ebenso die des Gestüts und des Berges. Falls wir Urlaub bekommen, werden wir Euch gerne dort besuchen. Ich selbst habe Italia noch nie verlassen. Rom hingegen ein einziges mal, Dank Scato. Bis nach Cappadocia klingt nach einer weiten und spannenden Reise. Vor allem wenn dort eine solche Landschaft samt Gestüt und Pferde winken. Das Du Dich derart auf Deine Heimat freust ist verständlich. Rom muss Dir dagegen wie ein überfüllter Sumpf aus Menschen vorkommen.


    Alles ist im Übermaß vorhanden, jedenfalls behaupten dies die meisten Besucher. Wer hier geboren wurde, kennt es nicht anders. Aber Neuankömmlinge sind meist von den ersten Eindrücken regelrecht erschlagen. Hinzu kommt, dass sie sich häufig in Rom verlaufen und dann an Orte geraten, wo sie besser nicht hingeraten wären.


    Vermutlich gibt es solche Orte auch in Cappadocia, ich denke es gibt sie überall auf der Welt. Caesarea kann ich mir als Ort nicht vorstellen. Wie ist es dort so? Das Land Cappadocia klingt schon schön und fremdartig zugleich für mich. Wie sieht Caesarea aus?", fragte Lurco neugierig.

  • "Caesarea wurde zu Ehren der römischen Kaiser mit diesem Namen benannt. Gegründet wurde Caesareas wurde an der Stelle einer kleinen Hafensiedlung namens Turris Stratonis. Caesara kann sich durchaus sehen lassen, die Stadt bietet eine Vielzahl luxuriösen Bauwerken. Es gibt unter anderem ein Theater, ein Amphittheater, Geschäftsstrassen sind dort zu finden, ebenso natürlich Bäder und Palastanlagen.


    Das Theater von Caesarea soll eines er ältesten seiner Art sein. Das Theaterhalbrund mit seinen 4.000 Sitzplätzen ist in zwei Ränge gegliedert. Das U-förmig gebaute Amphitheater dient für Pferderennen, Sportwettbewerbe und Unterhaltungsveranstaltungen. Die Arena hat zwölf Reihen und 10000 Sitzplätze. Also die Stadt hat neben unserem Gestüt schon einiges zu bieten", erklärte Cimber stolz.

  • "Ein überfüllter Sumpf?" Stilo kratzte sich die Bartstoppeln unterm Kinn. "Ja, ich denke, das Beschreibt Rom ganz gut." Die Beschreibung der Stadt von Cimber kam wie ein Pfeil vom Bogen geschossen. Stilo nickte anerkennend.


    "Manche Stadtrömer behaupten, Caesarea wäre nicht mal eine Stadt. Und in Cappadocia ist es die Hauptstadt. Da kannst du dir den Kontrast in etwa vorstellen. Man kann tagelang reisen, ohne wen zu treffen. Gerade im Winter ist es sehr still, wenn die Einheimischen sich in ihren unterirdischen Behausungen verschanzen und von den Vorräten zehren, während die Wirtschaft vollkommen brach liegt. Im Winter ist Cappadocia praktisch tot. Aber mir gefällt es.


    Natürlich gibt es dort auch unerfreuliche Orte, aber die meisten Einheimischen sind ausgesprochen gastfreundlich gegenüber uns Römern gestimmt. Nur manche Tempelfürsten zicken ein wenig herum. Denen muss man gelegentlich auf die Finger klopfen und dann geht es wieder. Wenn wir versetzt werden, wird das eine unserer Aufgaben sein."

  • Lurco hörte Cimber und Stilo gebannt zu.


    "Für mich klingt Caesarea nach einer Stadt, sie scheint doch alles zu haben. Lärm und Trubel gehört zu Rom dazu. Wie es ohne all das wäre, kann ich mir nicht vorstellen. Das Cappadocia im Winter völlig brach liegt, wie kommt das? Meinst Du damit wirklich, dass jede Aktivität eingestellt wird? Wo genau verschanzen sich die Bewohner? Unterirdische Bewohnungen, dass klingt wie Höhlen in denen die Einheimischen leben. Vermutlich stelle ich mir gerade etwas völlig falsches vor. Eine Stadt die im Winter zum Stillstand kommt, eine seltsame Vorstellung. Rom ist niemals still.


    Wer sind die Tempelfürsten, etwa eine Art Priester? Wir nehmen unseren Glauben ebenfalls sehr ernst und praktizieren ihn aktiv. Vielleicht besuchen wir Euch eines Tages, aber dann nicht im Winter wo alle unter der Erde hausen und kein Mensch weit und breit zu sehen ist", antwortete Lurco freundlich und trank noch einen Schluck.


    Das was er so in dem Gespräch nebenbei lernte war hochinteressant. Rom war zwar der Mittelpunkt der Welt, aber an anderen Orten schien es ziemlich unterhaltsam und bisweilen auch sonderbar vorzugehen.

  • Etwas misstrauisch wurde Stilo schon in Anbetracht der kritischen Rückfragen. Lurco stocherte ihm ein wenig zu sehr in dem einzigen Manko herum, welches Cappadocia in seinen Augen hatte - dem Winter.


    "Es ist ein wenig frisch." Das war hart an der Grenze zur Lüge. "Und Holz ist nicht ganz so einfach zu besorgen, weil es nur an der Küste nennenswerte Waldbestände gibt. Die Kappadokier beziehen deswegen im Winter unterirdische Wohnungen. In der Nähe von Caesarea gibt es sogar eine ganze unterirdische Stadt. Wenn sie den Steindeckel dort zu machen, läuft man einfach vorbei und ahnt nichts davon. Das hängt mit den etwas kühleren Wintern zusammen, aber auch mit den Räuberbanden, die hin und wieder auf Plünderkurs gehen.


    Aber alles kann ja nicht perfekt sein, nicht wahr? Alles in allem ist es wirklich schön da."


    Diese Meinung teilte kaum jemand, aber Stilo weigerte sich, auch nur ein schlechtes Wort über seine Heimat zu verlieren.


    "Aber zu den Tempelfürsten befragst du besser ihn."


    Er wies mit dem Kopf in Richtung Zmertorix.

  • Zmertorix war niemand, der sich aufdrängte, wenngleich er viel zu erzählen hatte. Böse Zungen behaupteten, er ließe sich gern betteln. Er selbst fand, dass er seine Ansichten nicht an desinteressierte Gesprächspartner zu vergeuden brauchte. Er brachte seine Worte daher nur an das Ohr, was auch bereit war, zu hören - und dies auch ausgiebig bekundet hatte.


    "Die herrschende Kaste von Cappadocia war und ist die Priesteraristokratie", sprach er nun, da Interesse bekundet worden war und sich alle Augen gespannt auf ihn richteten. "Das wird besonders deutlich, wenn man weiß, dass der Oberste Priester der zweite Mann neben dem König war und dem gleichen Geschlecht wie er entstammte. Dass Rom den unglückseligen letzten König Archelaos vor etwa 110 Jahren unter fadenscheinigen Gründen entfernte und das Amt des Königs gleich dazu, hat nichts an der Macht der Priesterfürsten geändert. Denn diese beließ man als lokale Elite in ihren Ämtern.


    Dass über ihnen seither ein Kaiser anstatt eines Königs steht, kümmert sie wenig. Warum sollte es, wenn Rom ihnen doch alle Freiheiten lässt, die sie vorher ebenso hatten und ihnen obendrein noch Straßen baut und Kundschaft für die Märkte ins Land bringt? Sie wären Narren, Rom zu bekämpfen, wie die einfältigen Germanen und Nordlandkelten es tun."


    Diese Unterscheidung der Kelten war ihm wichtig, da auch er selbst einem in Asia sesshaften keltischen Stamm entspross, den er freilich höher wertete als die Primitivlinge des Nordens. Mit diesen wollte er nicht in einen Topf geworfen werden.


    "Ihre mangelnde Einsicht lässt diese Stämme in finsteren Wäldern hausen und Jahr um Jahr einen aussichtslosen Krieg führen. Alles, was sie haben, fließt in den Krieg: ihre Erzeugnisse, ihre Kunstfertigkeit, ihre Söhne. Ein trauriges und hoffnungsloses Dasein, das jedwedes Wachstum ausschließt. Den Priesterfürsten von Cappadocia aber geht es hervorragend unter Rom, ihre Heiligtümer gedeihen wie eh und je. Und siehe: Auch heute noch sind sie die eigentlichen Machthaber der Provinz."


    Zmertorix lächelte.


    "Die Priesterfürsten sind keineswegs weltfremde Fanatiker, sondern tun alles, was erforderlich ist, um ihre Macht zu erhalten - und vielleicht nebenbei noch dem Rivalen von nebenan eins reinzuwürgen. Es sind nicht nur religiöse Würdenträger, sondern berechnende Staatsmänner und mit allen Wassern gewaschen. Wenn man Cappadocia regieren will, muss man diese Dinge wissen und ein Gespür für das sensible innenpolitische Geflecht entwickeln. Und ich fürchte, genau an diesem Verständnis scheitert unser momentaner Legatus Augusti pro praetore. Die wahre Gefahr sind nicht die parthischen Nachbarn - sie sitzt in einigen der Tempel.


    Ich könnte noch ewig erzählen ... aber ich fürchte, dann zerstöre ich den entspannten Geist dieser Runde."

  • Lurco hörte Zmertorix aufmerksam wie neugierig zu.


    "Die Priester haben die Chance erkannt, die Rom ihnen bietet. Eine gereichte Hand haben sie gesehen und zugegriffen, so war es eine Gewinnsituation für beide. Manche Menschen wissen eben was gut für sie ist. Informationen zu einer passenden Handlung zu verknüpfen, dass ist Intelligenz. Andere Völker verfügen scheinbar nicht darüber. Manche sind voller Stolz regelrecht verblendet. Nur frage sie mal, worauf sie stolz sind. Meist hörst Du dann von Dingen, für die jene Person selbst überhaupt nichts geleistet hat. Kurzum, ihr Stolz ist eine billige Ausrede, um selbst nicht nachdenken und für etwas einstehen zu müssen.


    Natürlich könnte ich einfach behaupten, ich bin stolz auf Rom. Aber ist das wirklich der Fall? Und was ist mit Stolz auf Rom überhaupt gemeint?

    Rom als die Stadt, wie wir sie kennen? Oder sind die Tugenden gemeint, die sie repräsentiert? Das Bewohner selbst, die die Stadt bevölkern und ihr ein Gesicht geben? Was genau ist damit gemeint? Es können drei Männer den Satz aussprechen und ihren Stolz auf Rom bekunden und dennoch gehen sie von etwas völlig anderem aus.


    Stolz bin ich auf meine persönlichen Leistungen, ebenso auf die meiner Kameraden. Denn wenn wir als Urbaner agieren, dann sind wir eine Einheit. Dann steht dort nicht Lurco und da drüben Scato, sondern dort stehen die Urbaner. Jeder von uns, repräsentiert die Cohortes. Und somit war der Angriff auf die Urbanerstation ein Angriff auf uns alle. Auf die Cohortes als Einheit und ein persönlicher Angriff auf jeden von uns. Zusammen standen wir für unsere Kameraden ein, aber es fügte sich letztendlich anders.


    Wie dem auch sei, worauf sind denn die Germanen stolz? Haben sie den Wald selbst gepflanzt in dem sie hausen? Haben sie auch nur einen einzigen Moment darüber nachgedacht, wie sie die Situation für ihre Kinder, Frauen und Alten ohne Krieg verbessern könnten? Kann nicht jeder etwas von dem anderen lernen, wenn man nur bereit ist zuzuhören? Aber genau daran hapert es Zmertorix. Diese Völker sind ignorant und verbohrt. Zudem fürchten sie jeden Fortschritt, schlichtweg weil sie ihn nicht verstehen. Die Angst vor dem Unbekannten ist jedem bekannt, aber sie sollte einen nicht beherrschen.


    Du hättest sehen und hören müssen, mit was für engstirnigen Unpersonen wir uns bereits abgeben mussten. Allesamt Hinterwäldler. Früher haben sie die Scheiße von der Hühnerleiter gefressen, lebten in ihrem Drecksloch von der Hand in den Mund und kaum hier angekommen, genährt und gekleidet, meinten sie auf einmal ihren Stolz entdecken zu können. Stolz? Ich habe schon einige derart lächerliche Kreaturen festnehmen müssen, es hätte Euch geschüttelt.


    Die Priester die Du erwähnst, die hätten sich vor Lachen bei so viel Dummheit gar nicht mehr einbekommen. Und Recht hätten sie. Weise Männer", antwortete Lurco und trank noch einen Schluck. Zmertorix Ausführung hatte ihm sehr gut gefallen.

  • Ah ja, da hatten sich zwei Labertaschen gefunden. Stilo lehnte sich bequem in seinem Gartenstuhl zurück und schlürfte sein Getränk.


    "Auch bei den Germanen gibt es einige, die den Lauf der Zeit erkannt haben und ein Teil von Rom wurden", warf er am Ende der zwei Litaneien ein. Er wollte nicht alle über einen Kamm scheren. "Die Kameraden bei den Auxiliareinheiten riskieren ihr Leben, damit sie und ihre Nachkommen das römische Bürgerrecht erlangen. Sie bluten für Rom in der ersten Reihe und es gibt anständige Männer unter ihnen. Das sollten wir nicht vergessen."


    Besonders du nicht, Zmertorix, fügte er gedanklich hinzu, doch der Galater verbat sich standhaft, mit den Nordlandkelten, wie er sie nannte, verglichen zu werden. Für ihn waren sie allesamt Barbaren, ganz im Gegensatz zu seinen eigenen Leuten. Die nach Stilos Wissensstand noch bis vor kurzem Menschen geopfert und gefressen hatten. Manche taten das vermutlich immer noch, kaum dass Rom wegsah.

  • Cimber stand auf und nickte den Anwesenden zu.

    "Ich verabschiede mich für heute, vielen Dank für Eure Gastfreundschaft. Zmertorix auf ein Wort?", fragte Cimber und wandte sich zum Gehen.

  • Auch Zmertorix bedankte sich höflich bei den Gastgebern, ehe er Cimber begleitete. Sie begaben sich außer Hörweite.


    "Was liegt dir auf dem Herzen?" Er nahm an, dass eine Sorge den Cimber plagte. Sie beide kannten sich kaum, eigentlich nur über Stilo, weshalb Zmertorix den Wunsch nach lediglich einem persönlichen Gespräch ausschloss.

  • Cimber gesellte sich zu Zmertorix und musterte den Priester eindringlich.


    "Mein Sohn benötigt mich dringend in Cappadocia und ich möchte so schnell wie möglich aufbrechen. Stilo ist das nicht möglich, er hat die Adoption der beiden jungen Männer noch vor sich. Selbstverständlich möchte ich ihm das nicht verbauen, aber ich muss zu meinem eigenen Jungen. Und ich wollte Dich fragen, ob Du mich begleiten würdest. Gemeinsam reist es sich angenehmer und auch leichter", kam Cimber direkt auf den Punkt.

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