Die Schreibstube des Carcers

  • Die Schreibstube des Carcers


    << RE: Die Zelle von Calvus & Frau | Römisches Ehepaar unter Christenverdacht


    Für die Wachsoldaten gab es eine Schreibstube, in der sie tägliche Protokolle schrieben und über alle Vorgänge innerhalb des Carcers Buch führten. Die Tür war schalldicht. Hierhin führte Stilo nun den Praefectus Urbi samt Begleitung, damit sie ungestört sprechen konnten. Wichtige Unterlagen wurden im Archiv gelagert und nicht hier, so dass alles seine Ordnung hatte. Falls Herius Claudius Menecrates sich setzen wollte, gab es dafür die Möglichkeit, doch wahrscheinlich würde er nicht lange bleiben wollen.


    "Hier sind wir unter uns. Mein Auftrag lautet, Informationen von bestimmten Gefangenen zu gewinnen, doch Folter sparsam einzusetzen. Wer tot ist, kann nicht mehr reden, einfache Rechnung. In der Vergangenheit ist das leider hin und wieder passiert. Folter von römischen Bürgern ist sowieso noch mal eine andere Sache. Ich gehe also den Weg über die Psyche. Das braucht Zeit, aber die Ergebnisse sind besser, da man mit Folter jede noch so unsinnige Aussage aus jemandem herauspressen kann.


    Die beiden Inhaftierten sind ein römisches Ehepaar. Gaius Trebatius Calvus und Trebatia Caeca, die durch endlos viel Zeit, sehr viel Langeweile und ewige Dunkelheit mürbe gemacht werden sollen. Ihr erstes Verhör steht noch bevor. Ich beginne bei allen Gefangenen mit dem Status Null, was bedeutet, dass sie zu Beginn, von den unerfreulichen Umständen des Gefängnisalltags abgesehen, neutral behandelt werden. Je nach Verhalten haben sie vom ersten Tag an die Chance, sich Privilegien zu verdienen oder zu verspielen. Diese beiden sind zu zweit, da sie sich bei der Festnahme fügsam zeigten - und damit man künftig drohen kann, sie zu trennen."


    Er gab dem Praefectus Urbi Gelegenheit, Rückfragen zu stellen.

  • Auf dem Weg in die Schreibstube kam die Gruppe um den Praefectus Urbi an weiteren Zellen vorbei, in denen nach der Auskunft des Wachsoldaten ebenfalls Inhaftierte aus den Razzien saßen. Menecrates fasste den Entschluss, den für Verhöre zuständigen Offizier auch nach jenen zu befragen. Mit etwas Glück konnte er dadurch den Rundgang abkürzen.

    Er folgte dem Prätorianer in das Officium, wies auf zwei seiner Begleiter mit der Aufforderung, es ihm nachzutun, und der Rest wartete draußen. Als die Tür ins Schloss gezogen wurde, begann der Vortrag, dem er folgte, ohne dafür Platz zu nehmen. Er unterbrach nicht, obwohl er verschiedentlich Anmerkungen dazu hätte, sondern übte sich in Zurückhaltung mit Ausnahme eines Winks zu seinem Cornicularius, als die Namen der Insassen genannt wurden.


    Als der Vortrag endete, wog Menecrates ab, welche Anmerkung er gegenüber dem Offizier fallenlassen und welche er sich sparen wollte. Die Vorgehensweise bei Verhören hatte sich jedenfalls verändert, seit er das letzte Mal wegen Christen eine Carcerbesichtigung gemacht hatte, was ihn dazu veranlasste, die Methoden bei seinen Männern zu überprüfen. Er befürwortete die weiche Vorgehensweise keineswegs und den Grund nannte er sofort.

    "Das braucht Zeit, aber wir haben keine. Durch den Mord an der Vestalis Maxima stehe ich unter Ermittlungsdruck, denn zum einen muss ich Schuldige präsentieren und zum anderen muss dringendst, und zwar besser vorgestern als heute, die erschütterte Ordnung wiederhergestellt und die Entweihung der Stadt beseitigt werden. Ganz Rom und der Kaiser warten auf Ergebnisse." Er atmete durch, bevor er fortfuhr.

    "Wobei", er atmete noch einmal durch und hob den Zeigefinger, "wir können Teilergebnisse liefern." Er tippte Richtung Offizier in die Luft, denn von ihm erwartete er diese, dann senkte er den Arm.


    "Bei welcher Razzia sind diese beiden Personen aufgegriffen worden? In welcher Situation und vor allem: trugen sie Fischanhänger?"

  • Auf die Gefahr, dass bei Folter Ergebnisse zu Tage traten, die mit der Wahrheit nichts gemein hatten, hatte Stilo schon hingewiesen. Kurzfristige Ergebnisse waren gewünscht, weil der Praefectus Urbi seinerseits unter Druck stand. Unter Zeitdruck mussten sie beide nun arbeiten. Stilo würde das Beste aus der Anweisung machen, auch wenn es ihn ärgerte, dass irgendwer in den höheren Etagen meinte, besser als der Optio zu wissen, welche Zeit für ein brauchbares Verhör angemessen wäre.


    "Gaius Trebatius Calvus und Trebatia Caeca wurden beim Spezialeinsatz "Zugriff Casa Didia" aufgegriffen, als sie sich im Keller des Anwesens versteckten. Die gesuchten Anhänger trugen: Der römische Bürger Trebatius Calvus, die Matrone Trebatia Caeca und Theognis der Sklave, den wir zu Beobachtungszwecken in der Casa Didia beließen. Alle aufgegriffenen Personen frönen ihren Angaben nach dem christlichen Glauben. Verdächtig, kriminell zu agieren, macht sie die Anwesenheit im Hause des Fanatikers Didius Molliculus und dass sie sich vor meinen Männern im Keller verbargen, anstatt der römischen Ordnungsmacht freudig die Tür zu öffnen.


    Die Verhöre, wie gesagt ... sie laufen noch, Praefectus. Die inhaltlichen Zwischenergebnisse werden dir vermutlich kaum weiterhelfen. Ich werde die Befragungen, wie gewünscht, beschleunigen. Wünschst du, dass dabei bestimmte Fragen gestellt werden, die für dich von Interesse sind?"

  • Als die Namen der Inhaftierten genannt wurden, gab Menecrates seinem Cornicularius einen Wink. Während der Offizier schrieb, hörte der Präfekt zu. Was er zu hören bekam, ließ ihn erahnen, woran es lag, dass - zumindest von Seiten der Prätorianer - noch kein Ergebnis der Razzien vorlag.

    "Hier liegt offensichtlich ein Missverständnis vor. Ich frage nicht nach Verhörergebnissen, sondern nach der Ausbeute der Razzien. Den Sondereinsätzen gingen monatelange Ermittlungen voraus, sodass jeder der Einsätze in ein mutmaßlich radikales Christennest oder Treff platzen musste. Wir sondieren als erstes nach der Kennzeichnung 'Fischanhänger'." Der Praefectus Urbi hätte noch mehr erläutern können, denn wer so einen Anhänger trug, galt nicht als verdächtig, sondern überführt, aber dies einer Einzelperson zu erklären, machte wenig Sinn, denn dann müsste er sich beim nächsten Prätorianer wiederholen.

    "Jene stammen also aus dem Einsatz bei der Casa Didia", wiederholte er die vernommene Aussage. "Jene trugen den Anhänger genauso wie der Sklave." Menecrates sah Handlungsbedarf, wandte sich an den Cornicularius und diktierte:

    "Einsatzbefehl mit folgendem Text: Einsatzort: Casa Didia / Inhaftierung Sklave Theognis." Anschließend wandte er sich wieder dem Optio zu.

    "Die Casa Didia wurde im Vorfeld als Treffpunkt nicht irgendeiner, sondern der radikalen Christengemeinde ermittelt, ebenso die übliche Tageszeit für diese Treffs, wo wir die größtmögliche Teilnehmerzahl erwarten. Ich benötige eine Liste über alle angetroffenen Personen samt Auskunft über das Vorhandensein dieser Anhänger. Diese Zuordnung ist das von mir gewünschte Zwischenergebnis." In Bezug auf den Inhalt des Zwischenergebnisses bestand auch ein Missverständnis, weswegen Menecrates sicherheitshalber nachschob:

    "Was die Verhöre betrifft, mich interessiert nichts außer der Benennung weiterer Personen, die zum Zeitpunkt der Razzien nicht angetroffen wurden, aber Teil der radikalen Sekte sind."

  • Plötzlich sah man, dass etwas in Stilo vorging. Die alltägliche Maskerade wich aufrichtigem Erschrecken, als er merkte, dass er dem Praefectus Urbi gerade ziemlichen Bockmist erzählt hatte.*


    "Ich bitte um Verzeihung, Präfekt. Mir ist gerade ein Irrtum unterlaufen. Den Sklaven Theognis wollte ich aus taktischen Gründen zurücklassen." Er legte nicht gern seine Taktik dar, weil sich das anfühlte, als würde er die Tunika anheben, um seinen entblößten Unterleib vorzuzeigen. Und nun musste er auch noch einen Fehler eingestehen. "Da die Casa Didia Treffpunkt radikaler Christen ist, muss Theognis als Ianitor eine Schlüsselrolle haben. Ich gedachte, über die Observierung herausfinden, wer mit ihm noch Kontakt aufzunehmen versucht oder wen er kontaktieren würde, um Hilfe zu erhoffen. Aber weil das dem Einsatzbefehl zuwiderlief, habe ich den Gedanken verworfen.


    Ich werde dir die gewünschte Liste** anfertigen." Oder anfertigen lassen. Mal schauen. "... und die Frage nach weiteren Angehörigen der Gruppierung beim Verhör mit dem notwendigen Nachdruck stellen!"


    Sim-Off:

    *Mir ist gerade aufgefallen, dass ich den Sklaven doch mitgenommen hatte. Es war nur eine Idee gewesen, ihn zur Observierung zurückzulassen, die ich dann doch wieder verwarf ... hab nicht mal eine Zelle für ihn angelegt. Argh. War mein Fehler, keine Willkür von Stilo. Sorry für die Verwirrung.

    Sim-Off:

    ** Link zur Liste


  • Der sich ändernde Gesichtsausdruck des Optio kündigte den erhofften Durchbruch an. Der Preafectus Urbi nahm zur Kenntnis, dass sich der Offizier entschuldigte, trug das Versehen aber in keiner Weise nach, weil im Zuge der Razzien Überstunden geleistet wurden und viele der Eingebundenen an ihre Belastungsgrenze kamen. Solange Fehler oder Versäumnisse rechtzeitig korrigiert wurden, lag nichts im Argen.

    "Perfekt", resümierte Menecrates. "Mehr wollte ich nicht." Er schickte sich an zu gehen, ohne dem Prätorianeroptio explizit den Befehl zum Wegtreten gegeben zu haben, denn zum einen ließ die Situation diesbezüglich keine Frage aufkommen, und zum anderen unterstand der Offizier ihm nicht in direkter Linie. Als nächstes wollte er sich über die Razzia am Tiberufer informieren.


    Der vom Optio angekündigte und wenig später eingereichte Bericht würde all seinen Ansprüchen, die stets im oberen Bereich der Messlatte lagen, genügen, aber das wusste er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

  • Gedanken im Schatten


    Stilo kam gerade von einer Besprechung der Centuriones und Optiones seiner Kohorte wieder. In Roma nichts Neues. Wie es schien, war die Waagschale zwischen Kriminalität und Recht durch die Christenrazzia in Richtung der Ordnungshüter ausgeschlagen. Im Moment war alles ruhig. Die bekannten Krisenherde waren natürlich nicht verschwunden, aber sie hielten die Köpfe unten und vermieden es, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Kriminalität ließ sich nicht ausrotten, sie gehörte zu den Menschen dazu. Aber so lange sie derart gedämpft stattfand, dass das tägliche Leben in Rom nicht nennenswert gestört wurde, war das als Erfolg zu verbuchen.


    Noch immer gab es keine Rückmeldung vom Kaiser, doch Stilo fiel nichts ein, was nicht zu dessen Zufriedenheit gewesen sein könnte, von der kleinen Rüge bezüglich der unglücklich verstorbenen Häftlinge abgesehen. Dass so etwas geschah, wenn jemand in die Hände der Prätorianer fiel, war klar und nach seinem Verständnis auch einkalkuliert, aber bitte, wenn der Imperator Caesar Augustus das anders sah, würde er seinen Willen bekommen. Personen konnten auch außerhalb des Carcers verschwinden. Der Stachel des Skorpions reichte weit.


    Stilo hätte Feierabend machen können, aber stattdessen kümmerte er sich um einigen Schriftkram, der aufgrund fehlender Dringlichkeit bislang liegen geblieben war. Nein, der Kaiser würde nichts mehr finden, dass er beanstanden könnte ...

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