CURSUS: Belagerungstechnik

  • Macer betrat wieder einmal das Auditorium und blickte über die nicht mehr ganz so große Schar von Zuhörern. "Es freut mich, dass Sie sich hier eingefunden haben, um mit diesem Cursus und der dazugehörigen Prüfung ihr Examen Tertiam in Angriff zu nehmen. Ich nehme an, Ihnen ist bekannt, dass sich die Prüfung aus einem schriftlichen Teil und einem Kolloquium zusammen setzt.
    Gibt es Fragen zu den Formalitäten?"


    Er blickte in die Runde und schritt dann zum Lesepult.


    "Dann können wir uns ja nun in die Materie stürzen. In diesem Cursus möchte ich Ihnen einiges an Wissen über den Belagerungskrieg vermitteln. Wir werden uns mit dieser besonderen Situation in der Kriegsführung sowohl aus dem Blickwinkel der Angreifer als auch aus dem Blickwinkel der Verteidiger befassen und dabei technische und taktische Möglichkeiten sowohl grundsätzlich als auch an konkreten Beispielen behandeln.


    Die heutige Vorlesung möchte ich einem kurzen Überblick über die Herkunft und Geschichte des Belagerungswesens widmen. Schon immer haben Menschen nicht nur die offene Feldschlacht gesucht, sondern auch versucht, den Gegner von bestimmten Plätzen zu vertreiben. Und natürlich hat der Gegner stets versucht, diese Plätze so zu befestigen, dass er die Stellung halten konnte.
    Schon vor 1000 Jahren haben die Völker des Ostens, die ja schon sehr viel länger als z.B. die Barbaren im Norden stabile Bauweisen kennen und technisches Geschick besitzen, Belagerungskriege geführt. Schon die Assyrer verwendeten Belagerungsrampen, Belagerungstürme, Sturmleitern und Rammböcke im Angriff und die Verteidiger wehrten sich mit allerlei technischen Vorrichtungen, um diese Geräte zu zerstören und gruben Tunnel, um feindliche Rampen zum Einsturz zu bringen. Beide Seiten machten Gebrauch von Bögen und Geschützen, um sich mit brennenden und nicht brennenden Geschossen zu bekämpfen. Schon damals gab es zwei grundlegende Techniken für eine Belagerung: den gewaltsamen Sturmangriff und die Blockade.
    Das alles - insbesondere die lange Tradition der assyrischen Bogenschützen - ist für Sie natürlich nicht neu und gehört noch heute zum Programm einer Belagerung. Was natürlich nicht weiter verwundert, denn nach den Assyrern folgten die Perser und setzten die oben genannten Techniken ebenfalls ein, bespielsweise auf ihren Kriegszügen in den heutigen Provinzen Asia, Thrakia und Achaia. Die dort lebenden Griechen steckten manche Niederlage ein, reagierten aber auch auf die Angriffe und trieben die Entwicklung von Verteidigungsanlagen weiter voran. Es wurden verbesserte Mauertechniken entwickelt, raffinierte Torkonstruktionen ersonnen und die Anordnung von Türmen in einer Mauer perfektioniert. Und in gleicher Weise wurden Techniken der Angreifer adaptiert, weiter verbessert und als Vorlage für Neuentwicklungen verwendet. So dürfen wir davon ausgehen, dass die Griechen, deren mathematisches und technisches Geschick wir ja noch heute bewundern und nutzen, die Erfinder der Torsionsgeschütze sind, die ja heute einen Großteil unseres Geschützvorrats ausmachen. Mit der vielfältigen Anwendung des Torsionsprinzips für Stein- und Pfeilgeschütze werden wir uns ausführlich befassen. Diese Geschütze finden sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung bei einer Belagerung Anwendung und können bei richtigem Einsatz den Ausgang einer Belagerung entscheidend beeinflussen.
    Bleiben wir noch kurz bei den Griechen, die nicht nur Torsionsgeschütze bauten, sondern auch riesige fahrbare Belagerungstürme planten. Über diese sollten die Angreifer an feindliche Mauern herangeführt werden und über Brücken auf verschiedenen Etagen auf die feindliche Befestigung herübersteigen können, während Geschütze im inneren des Turms oder auf seiner obersten Plattform Feuerschutz leisteten. Ganz so effektiv waren diese Türme aber eher selten, wie wir ebenfalls im Verlauf der Vorlesung sehen werden. Ein wahres Wunder an Effizienz waren allerdings die gewagten Maschinen, die angeblich ein einziger Mann - Archimedes - zur Verteidigung der Stadt Syrakus erfand und damit eine römische Belagerung beinahe im Alleingang erfolglos hätte werden lassen. Nicht nur seine äußerst sinnvolle Anordnung von Geschützen auf mehreren Mauerringen machte den Angreifern zu schaffen, sondern seine Geräte waren sogar in der Lage, mit einem langen Hebelarm angreifende Schiffe aus dem Hafenbecken zu schleudern und zu versenken!
    Nun ist Ihnen natürlich bekannt, dass wir die Stadt trotzdem erobern konnten - Erfolg brachte ein Überraschungsangriff. Wir dürfen uns in einer Belagerung also niemals nur auf die Überlegenheit einer Technik oder Methode verlassen, sondern immer alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten im richtigen Augenblick nutzen.


    Wie ich zu Beginn erwähnte, kommt es immer dann zur Belagerung, wenn man einen Gegner gewaltsam von einem bestimmten Platz vertreiben möchte. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Der einfachste Grund ist natürlich, dass man diesen Gegner bekämpfen möchte, der Platz also nur deshalb von Bedeutung ist, weil sich dort der Gegner befindet. Nicht immer ist dann eine Belagerung erfolgreich, weil der Gegner sich möglicherweise rechtszeitig zurück zieht und den Platz aufgibt. Diese Erfahrung musste z.B. Gaius Iulius Caesar machen, als er im Krieg gegen die Veneter deren Küstenstädte angriff: Sobald sie sein Heer anrücken sahen, verluden sie allen beweglichen Besitz auf Schiffe und segelten schnell zu einem anderen Siedlungsplatz!
    Anders sieht es aus, wenn der belagerte Ort als solcher von Bedeutung ist und der Gegner ihn daher unbedingt halten will. Möglicherweise befinden sich größere Mengen Gold oder wertvoller Rohstoffe in der Stadt oder im Hafen ankert eine große Flotte, die dem Angreifer in die Hände fallen würde, wenn man die Stadt verliert. Die Möglichkeiten auf derartige Beute sind vom Angreifer zu berücksichtigen, denn eine Belagerung ist nicht billig und lohnt sich nicht immer. Im eben genannten Fall entschied sich Caesar logischerweise gegen weitere Belagerungsversuche, da sie nutzlos waren. In anderen Fällen waren Belagerungen höchst erfolgreich, wie zum Beispiel die Einnahme von Carthago Nova durch Scipio, bei der der Wert der Beute den Wert der gewonnen Stadt als solche weit überstieg.


    Nicht immer muss eine Belagerung übrigens eine langwierige, gewaltsame Konfrontation größerer Truppenmassen sein. Eine geschickte Kriegslist im richtigen Augenblick kann eine Belagerung zu einem raschen und überraschenden Ende führen. Auch solche Tricks werden im Laufe der Vorlesung immer mal wieder zur Sprache kommen."

  • "Heute wollen wir uns mit dem Beginn einer Belagerung befassen, also der ersten Phase vor, während und direkt nach dem Eintreffen des Angreifers am Ort des Geschehens. Wir werden diese Phase von beiden Seiten betrachten und beginnen mit dem Angreifer.


    Dieser muss zwei Ziele verfolgen: die gegenerische Befestigungsanlage vollkommen von der Außenwelt abschneiden, um Nachschub an Truppen, Material und Nahrung für die Belagerten zu unterbinden sowie seine eigenen Stellungen ausbauen und befestigen, um Gegenangriffen der Belagerten standhalten zu können. Glücklicherweise sind sich diese beiden Ziele sehr ähnlich, denn Anlagen, die geeignet sind, den Gegner an einem Ausfall zu hindern sind in der Regel auch dazu geeignet, die Zuwegung zum belagerten Ort zu blockieren. Üblich sind Wall- und Grabenanlagen sowie Pallisaden. Dabei ist auf den richtigen Abstand zur belagerten Festung zu achten! Liegt der Belagerungswall zu nah an der Festung, liegt er im Einflussbereich von gegnerischer Artillerie oder Bogenschützen und kann nicht sicher gehalten werden. Der Verteidiger könnte dann unter dem Schutz von eigenem Sperrfeuer einen Ausfall machen und Teile des Walls zerstören. Liegt der Wall dagegen zu weit von der belagerten Festung entfernt, so ist der Angreifer zwar vor feindlichen Attacken sicher, kann aber seinerseits seine Fernwaffen nicht ausreichend nah an die Festung heran bringen. Außerdem wird sein Anlauf zur Festung länger und schnelle, überraschende Angriffe damit schwieriger. Ein weiterer Nachteil eines zurückgezogenen Walles ist seine Länge. Je weiter der Belagerungskreis gezogen wird, desto einfacher wird es für den Verteidiger, eine schwache Stelle zu finden, oder der Belagerer braucht eine sehr große Masse an Truppen, um den Wall zu schützen.
    Um derartigen Problemen zu begegnen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen können die Belagerungswälle natürlich so massiv errichtet werden, dass der Gegner sie nicht leicht überrennen kann. Dies kostet allerdings sehr viel Zeit und Material und ist daher eigentlich nur in Ausnahmefällen für kurze Abschnitte denkbar. Wesentlich einfacher ist der Einsatz von zusätzlichen Annäherungshindernissen vor dem Wall. Besonders wichtig sind Fallgruben und die sogenannten Krähenfüße und Stimuli. Fallgruben verschiedener Größe können im Schutz der Nacht von kleinen Trupps errichtet werden und sind zum einmaligen Aushalten von Angriffen sehr effektiv und zumde verbrauchen sie praktisch kein Material. Nachteilig wirkt sich aus, dass man Fallgruben selten dicht genug setzen kann; der Gegner also immer zwischen ihnen hindurch kommt. Außerdem lassen sich die Gruben selten tief genug gestalten, um Gegner ernsthaft zu verletzen. Indem man angespitze Holzpfosten in diese Gruben steckt kommt man diesem Ziel sehr viel näher.
    Etwas materialaufwändiger sind die Krähenfüße und Stimuli. Krähenfüße bestehen einfach aus vier kurzen, in alle Richtungen abstehenden eisernen Widerhaken und können von einem Schmied schnell hergestellt werden. Zu ihrem Einsatz braucht man sich nicht einmal aus seiner Deckung zu wagen, sondern schleudert sie einfach ins Vorfeld. Dicht genug gestreut sind sie vor allem gegen Reiterattacken ein sehr wirksames Mittel! Mit Abstand die brutalste Methode sind allerdings die Stimuli. Hier wird nur ein kleiner Widerhaken in einen kurzen Holzpfahl geschlagen und dieser in den Boden gerammt. Ein Mann, der dort hinein tritt, macht in seinem Leben keinen weiteren Schritt mehr!
    Natürlich müssen bei all' diesen Annäherungshindernissen Gassen gelassen werden, durch die der Angreifer selber unbeschadet zur Festung vorrücken kann.


    Der Belagerer muss sich allerdings nicht nur zur Festung hin schützen, sondern auch seine Deckung nach außen beachten, um nicht von einem Entsatzheer des Feindes im Rücken angegriffen zu werden. Möglicherweise muss sich der Belagerer also zwischen zwei Wallanlagen verschanzen, um seine eigene Postition zu halten! Dementsprechend wichtig ist die Planung einer Belagerung, um nicht plötzlich selbst unerwartet und ohne Vorräte zum Belagerten zu werden.


    Eine Festung, die sich darauf vorbereitet, belagert zu werden, wird sich ebenfalls vor allem um ihre Vorräte sorgen. Selbstverständlich am wichtigsten sind Nahrungsmittel und Wasser, aber auch alle art von Kriegsmaterial von Öl für Brandgeschosse über Seile und Sehnen für Artillerie bis hin zu Knochen und Leder für Rüstungen und Waffen sollte alles eingelagert werden, was zu bekommen ist und nützlich sein kann. Selbst an die banalsten Dinge wie Brennholz will gedacht sein! Im übrigen sollte es für einen Feldherrn keine Schande darstellen, alle nicht kampffähigen Personen rechtzeitig wegzuschicken (das gilt natürlich insbesondere bei der Verteidigung von Städten), um eine unnötige Belastung der Vorräte zu vermeiden. Frei Flächen innerhalb der Befestigung sollten konsequent für den Anbau schnell wachsender Nahrungsmittel genutzt werden.
    Weiterhin gilt in Sachen Befestigung für den Verteidiger natürlich das selbe, was ich eben auch für den Angreifer gesagt habe: Annäherungshindernisse sollten die festen Verteidigungsanlagen ergänzen. Selbstverständlich ist es aussichtslos, eine ohnehin schon schlecht gesicherte Stellung nur mit ein paar zusätzlichen Fallgruben sichern zu wollen. Also sollte jede Stellung, bei der mit einer Belagerung gerechnet werden muss, schon rechtzeitig vorher mit einem sinnvollen System aus Gräben, Wällen und Mauern umgeben werden und durch Türme und Geschützpositionen gesichert werden. Auf Details dazu gehe ich jetzt aber nicht ein; vielleicht gibt es ja mal eine Vorlesung zum Festungsbau.


    Wir wollen uns beim nächsten Mal lieber ansehen, wie man denn nun diesen Befestigungen zu Leibe rückt und was der Verteidiger dagegen tun kann."

  • Amüsiert betrachtete Macer die Nachzügler. "Ist ja fast wie bei einer Belagerung hier - mit der Zeit kommen immer mehr Truppen auf einem Haufen zusammen..."


    Macer erinnerte die Verspäteten daran, sich die Unterlagen zu den bereits gehaltenen Vorlesungen von ihren Kommilitonen zu besorgen und begann dann mit seinem heutigen Vortrag:


    "Nachdem wir uns in der letzten Vorlesung in unseren Stellungen eingerichtet haben, befassen wir uns nun mit den kriegerischen Handlungen und beginnen mit einem meiner Lieblingsthemen: der Artillerie. Die Artillerie ist üblicherweise die erste Waffengattung, die bei einer Belagerung massiv zum Einsatz kommt. Dabei gibt für den Angreifer grundsätzlich zwei Ziele, um die Artillerie einzusetzen: entweder Sperrfeuer, um den eigenen Truppen die Annäherung an die Festung zu ermöglichen oder direkte Angriffe, um die Festung zu zerstören. Für den Verteidiger gilt analog, dass er schießt, um eine Annäherung des Belagerers zu verhindern oder dass er gegnerische Stellungen zerstören will.


    Die wichtigsten heute eingesetzten Geschütze sind die Torsionsgeschütze. Es gibt sie in allen Größen und Ausführungen, von leichten Pfeilgeschützen bis hin zu riesigen Steinwerfern. Sie können je nach Größe getragen werden, stationär errichtet werden oder auf Wagen oder auch Schiffen montiert sein. Diese Vielfalt verdient eine genauere Betrachtung.
    Das Torsionsprinzip ist eine sehr geniale Erfindung, die es uns ermöglicht, mit wenig Bedarf an Material und vor allem ohne den Einsatz eines schweren Gegengewichts eine große Schußkraft zu erzeugen. Alles was wir brauchen ist viel Seil. Aus diesen Seilen werden in der Regel zwei lange Bündel gewickelt, in denen jeweils ein Spannarm eines Geschützes steckt. Die Bündel sind senkrecht in Halterungen montiert, die Arme verlaufen waagerecht schräg nach hinten außen. Über einen langen Hebel werden die Seilbündel dann an beiden Enden verdreht, und zwar so, dass sie den Spannarm nach vorne drücken. Die beiden Enden der Arme sind durch eine Sehne verbunden und zwischen den Seilbündelhalterungen verläuft noch der Lauf des Geschützes. Auf diesem lauf sitzt ein Schlitten, an dem die Sehne eingehakt werden kann und der über eine Seilwinde nach hinten gezogen wird. Die Seilbündel drücken die Arme als nach vorne außen, das Zurückziehen des Schlittens zieht dagegen an der Sehne und damit beide Arme nach hinten innen - das Geschütz wird also gespannt. Jede erfahrene Geschützmannschaft wird Ihnen bestätigen, wieviel Kraft nun in diesem Geschütz steckt. Nun braucht nur noch ein Geschoss vor die Sehne gelegt zu werden und der Schuß ausgelöst werden. Die Arme drücken dann nach außen, siehen die Sehne stramm nach vorne und schleudern so das Geschoss in einer sehr direkten Flugbahn hinaus.
    Soweit das Prinzip, wie können wir das nun konkret einsetzen? Nun, es gibt wie gesagt mehrere Ziele und Geschütztypen. Leichte Geschütze, die getragen werden können oder auf Karren oder drehbar auf Geschützplattformen montiert sind, schießen mit Pfeilen oder Bolzen. Sie kommen direkt gegen Personen zum Einsatz auf einer Entfernung von 50 bis maximal 200 m. Bei höheren Distanzen nimmt die Durchschlagskraft beim Auftreffen zu stark ab, um gegen einen gerüsteten oder mit einem Schild geschützen Gegner wirksam zu sein. Normalerweise wird man versuchen, auf Distanzen von 100 bis 150 m zu operieren. Dann erreicht eine geübte Mannschaft durch präzise Einstellung der Spannung und des Abschußwinkels eine sehr hohe Zielgenauigkeit bei mehreren Schuß pro Minute. Der Angreifer kann diese Geschütze zum Beispiel einsetzen, um damit eine bestimmte Stelle der feindlichen Verteidigungsanlage unter Beschuß zu nehmen. Damit wird beispielsweise verhindert, dass der Gegner ein dort stehendes eigenen Geschütz nutzt oder er wird damit von einem Zugang zu einem Brunnen vor seiner Festung abgeschnitten. Der Verteidiger stellt diese leichten Geschütze vorzugsweise drehbar auf Türmen auf und kann damit in möglichst viele Richtungen gezielt auf herannahende Angreifer schießen oder den Aufbau von Rampen oder Schutzanlagen, die wir in der nächsten Vorlesung kennen lernen werden, im Vorfeld zu erschweren bzw. ganz zu verhindern.
    Neben den leichten Pfeilgeschützen kommen schwere Steingeschütze zum Einsatz. Diese werden vom Angreifer in der Regel erst vor Ort errichtet, sofern er nicht mit Schiffsgeschützen angreift. Sie sind so groß und schwer, dass sie praktisch nicht drehbar sind, also exakt für eine Schußrichtung gebaut werden. Das selbe gilt für die Seite des Verteidigers, so dass Steingeschütze als Verteidigungswaffe eher selten sind, sofern nicht gerade eine klare Angriffsrichtung zu erkennen ist, z.B. eine Schlucht oder eine Hafeneinfahrt. Steingeschütze haben höhere Reichweiten und kommen je nach Bauart auf Weiten von 150 bis 600 m bei Geschoßdurchmessern von einem halben bis drei Fuß. Auch hier sind mit großen Geschützen und leichter Munition größere Weiten möglich, die Wirkung und Treffgenauigkeit sinkt dann aber ab. Im übrigen liegt man ja bereits mit der üblichen Gefechtsdistanz von 150 bis 350 m außerhalb der Reichweite feindlicher Pfeilgeschütze (und Bogenschützen und Schleuderer sowieso) und benötigt daher keine größere Reichweite. Auch diese Geschütze haben eine hohe Präzision und Schußgeschwindigkeit, sind aber nicht zum Einsatz gegen Personen gedacht. Vielmehr nutzt man sie, um entweder in flachem Winkel und kurzer Distanz Mauern direkt anzugreifen oder in steilerem Winkel auf längere Distanz in Festungen hinein zu schießen und sie somit von innen zu zerstören. Nichts ist für einen Verteidiger demoralisierender, als einem ständigen Steinhagel hilflos zusehen zu müssen und nach einigen Tagen in einem von einer Mauer umgebenen Schutthaufen zu sitzen! Eine einzige Legion führt normalerweise zehn derartige Geschütze mit sich und ist damit problemlos in der Lage, 1000 Schuß pro Stunde abzugeben.


    Neben den zweiarmigen Geschützen können auch einarmige Schleudergeschütze, die Onager, zum Einsatz kommen. Diese erzielen ähnliche Reichweiten wie die eben beschriebenen Steingeschütze, schießen aber grundsätzlich in einem hohen Bogen. Der etwas schlechteren Präzsion steht dabei eine höhere Wucht entgegen. Diese Wucht ist es aber auch, die die Geschütze selber schwer zu bedienen macht: Onager neigen dazu, beim Abschuß einen Satz nach vorn oder zur Seite zu machen und bedürfen daher spezieller Befestigungen und einer besonderen Vorsicht der Geschützmannschaft.


    Auf Details der Geschützkonstruktion möchte ich hier nicht weiter eingehen, stehe aber für Fragen gerne zur Verfügung. Beim nächsten Mal bereiten wir dann den Nahkampf vor."

  • "In der letzten Vorlesung haben wir mit der Artillerie über die Distanz gearbeitet, nun wollen wir die Annäherung der Belagerungstruppen an die feindliche Festung weiter vorbereiten, bevor wir dann in der nächsten Vorlesung die Truppen endlich die Mauern stürmen lassen. Verständlicherweise gibt es bei der Annäherung mehrere Hindernisse: bauliche Annäherungshindernisse wie z.B. Gräben oder Mauern, den häufig vorhandenen Höhenunterschied zwischen der Festung und dem Vorfeld und die Aktionen der Verteidiger, insbesondere Beschuß mit Pfeilen und ähnlichem.


    Beginnen wir mit dem Letztgenannten. Um sich gegen starken, anhaltenden Pfeilbeschuß zu wehren, kann die Truppe feste oder bewegliche Schutzdächer errichten. Dazu reichen einfache Holzkonstruktionen, die durch angenagelte Bretter oder Weidengeflechte auf dem Dach und an zwei Seiten eine Art mobilen Tunnel ergeben. Dieser kann entweder auf Rollen gesetzt werden oder von den Soldaten getragen werden. Viele dieser Segmente hintereinander ergeben dann einen geschützen Gang, über den Angreifer an die festung heran geführt werden können. Um die Tunnel gegen Brandpfeile zu schützen, sollten die Außenseiten mit ungegerbten Tierhäuten bedeckt werden, die einen wirksamen Schutz gegen Feuer darstellen.
    Eine weitere Methode, geschützt an eine Festung heran zu kommen und gleichzeitig dem Höhenunterschied zwischen Boden und Mauer zu begegnen, stellen die bei den Griechen beliebten fahrbaren Belagerungstürme dar. Auch hier handelt es sich um Holzkonstruktionen, die mit Brettern oder Weidengeflecht benagelt sind und mit Tierhäuten oder sogar Metallplatten gegen Beschuß gesichert werden. Sie stehen auf starken Rollen und werden entweder über einen Mechanismus im Inneren angetrieben oder von hinten geschoben. Im Inneren verfügen sie über mehrere Etagen, so dass sie viele Soldaten aufnehmen können. Über Zugbrücken an der Vorderseite, die auf die gegnerische Mauer herab gelassen werden können erlauben sie den Ausstieg auf verschiedenen Höhen. Geschütze, die durch Wandschlitze oder von der obersten Ebene schießen, bieten Sperrfeuer. Aber so grandios sich diese Maschinen anhören, so schwierig ist auch ihr Einsatz in der Realität! Viel zu selten ist der Weg zur Festung eben genug, um problemlos einen großen Turm darüber bewegen zu können und viel zu selten steht genug Material zur Verfügung, um einen oder mehrere Türme in der benötigten Größe und Stabilität zu bauen. Und auch eine gute Konstruktion kann der Gegner noch zu Fall bringen, was nicht selten mit dem Verlust vieler in ihm befindlicher Soldaten verbunden wäre. Setzen sie Belagerungstürme daher nicht als Standardwaffe, sondern nur in Ausnahmefällen ein.
    Bleiben wir beim Problem des Höhenunterschieds, so bietet sich (neben dem Einsatz von Sturmleitern, zu dem wir später kommen werden) das Aufschütten einer Rampe an. Zugegebener Maßen ist der Materialaufwand hier immens, aber der mögliche Erfolg sollte dies rechtfertigen. Über eine Rampe können viele Soldaten bequem und ggf. durch die eben beschriebenen Schutzdächer geschützt an ein Ziel heran geführt werden. Auch anderes Belagerungsgerät kann über Rampen sicher vorwärts bewegt werden.
    Wer eine Rampe aufschütten kann, kann natürlich auch Gräben zuschütten, womit wir bei der Beseitigung von baulichen Annäherungshindernissen wären. Im einfachsten Fall reicht es sowohl für das Zuschütten von Gräben als auch für den Bau von Rampen, große glatte Baumstämme oder Äste passend übereinander zu stapeln bzw. in die Grube zu rollen. Die Oberfläche kann dann mit dünneren Ästen und Erde geglättet und begehbar gemacht werden. Über diese Bahnen können dann z.B. auch Rammen bewegt werden, um Mauern und Tore gezielt anzugreifen. Als Ramme verwendet man lange Baumstämme, die am vorderen Ende mit einem schweren eisernen Kopf versehen wurden. Kleine Rammen können von mehreren Soldaten getragen werden, größere können hängend unter rollenden Schutzdächern oder in Belagerungstürmen montiert werden.
    Man kann auch versuchen, Mauern und Türmen zu begegnen, indem man Tunnel gräbt, um die Fundamente zu untergraben und die Bauwerke so zum Einsturz zu bringen. Dies setzt eine gewisse Präzision in der Positionsbestimmung und der Berechnung der Tunnelroute voraus, um tatsächlich das gewünschte Ziel zu erreichen. Natürlich kann man auch versuchen, über den Tunnel gleich bis ins feindliche Lager vorzudringen!


    Dem Verteidiger steht eine ebenso große Menge an Möglichkeiten zur Abwehr der Angriffe zur Verfügung. Aus Holz aufgeschüttete Rampen und Grabenfüllungen wird er versuchen, durch Brandsätze zu entzünden. Gelingt ihm dies, zerstört das Feuer von selbst meiste die gesmte Konstruktion und der Angreifer muss von vorne beginnen. Auch gegen Rammen, Belagerungstürme und Schutzdächer kann man versuchen, mit Brandsätzen vorzugehen. Wo Geschosse nicht reichen, hilft vielleicht eine gezielte Aktion einiger mutiger Kämpfer, die im Schutz der Dunkelheit die Festung verlassen und gezielt Feuer an feindlichem Gerät legen.
    Ebenfalls vom Angreifer unbemerkt erfolgt das Anlegen von Verteidigungtunneln. So wie der Angreifer mit Tunneln versucht, Fundamente anzugreifen, kann der Verteidiger mit Tunneln versuchen, den Untergrund unter Rampen soweit auszuhöhlen, dass er einstürzt. Auch ein regelrechter Kampf im Untergrund ist möglich, wenn der Verteidiger gegnerische Tunnel vermutet und diese durch eigenen Gegentunnel stören will. Dabei ist allerdings stets zu bedenken, dass durch die dann entstehenden durchgängige Tunnelverbindung auch Angreifer in die Festung gelangen könnten, wenn man den Kampf unter der Erde verliert.
    Materialaufwändiger und spektakulärer (und damit möglicherweise psychologisch wirkungsvoller) sind technische Vorrichtungen, die gegnerisches Kriegsgerät zerstören. Über große Haken, die an langen Ketten oder Seilen befestigt sind, kann man versuchen, anrückende Belagerungstürme umzureissen oder kurz vor der Mauer stehende Schutzdächer oder Rammen von oben hochzuheben und dann am Boden zersplittern zu lassen. In der Eingangsvorlesung erwähnte ich ja auch schon den berühmten Haken des Archimedes, mit dem er Kriegsschiffe im Hafenbecken von Syrakus versenkte. Natürlich sind solche außergewöhnlichen Mechanismen der Einzelfall und ein Verteidiger sollte wohl überlegen, ob er viel Material und Energie in eine technische Konstruktion steckt oder diesen Aufwand lieber für andere Ziele nutzt.
    Nicht unbedingt materialschonender, aber weitaus einfacher ist es beispielsweise, schwere Steine (zur Not aus den Bauwerken einer belagerten Stadt entnommen) von den Mauern auf Rammböcke und Schutzdächer hinab zu werfen um sie nur mit dem Gewicht zu zerstören. Außerdem können als Gegenmaßnahme gegen Rammen zusätzliche Erdwälle vor oder hinter der Mauer aufgeschüttet werden, um die Stöße abzufangen. Und natürlich sollte es jeder Verteidiger in Betracht ziehen, seine Mauern einfach zu erhöhen, wenn er fürchtet, dass die Rampen oder Türme der Angreifer die Mauerkrone erreichen.


    Traditionell gilt der Zeitpunkt, in dem der Kopf eines Rammbocks zum ersten Mal die feindliche Mauer berührt, als der Zeitpunkt, zu dem es kein Zurück mehr gibt. Vorher kann die Belagerung noch abgebrochen werden und der Verteidiger kann seine Festung friedlich übergeben. Schlägt der Rammbock aber einmal an, dann ist Gnade in der Regel ausgeschlossen. Was alles passiert, wenn dann nun endlich die Soldaten über die Rampen die Mauern erklommen haben und den Verteidigern direkt gegenüber stehen, das betrachten wir in der nächsten Vorlesung."

  • "Es ist Ihnen vermutlich aufgefallen, dass unsere Belagerung bisher eine reine Materialschlacht war. Ich sprach von Verschanzungen, Annäherungshindernissen, Geschützen, Rampen, Tunneln und einigem mehr. Die Soldaten als Kämpfer kamen dagegen bisher kaum vor. Das ist nicht verwunderlich, denn Belagerungen sind in der Regel zum großen Teil ein Kampf der Techniker. Wenn die Kämpfer zum Einsatz kommen, dann steht die Entscheidung meist kurz bevor.


    Betrachten wir zunächst den klassischen Fall: den Sturmangriff. Wie der Name schon sagt, sollte dieser Angriff schnell erfolgen, um dem Verteidiger wenig Reaktionszeit zu lassen. Geschützt durch Schutzdächer auf Rampen oder verborgen in Belagerungtürmen nähern sich die Angreifer der Mauer, deren Bemannung durch Sperrfeuer der Artillerie möglichst verhindert wird. Den letzten Abstand bis zur Mauerkrone überwinden die Soldaten dann über die Zugbrücken der Türme oder über mitgeführt Sturmleitern. Gegen den zu erwartenden Hagel aus Pfeilen und Geschossen schützen sie sich dabei mit der Testudo-Formation. Diese muss gut trainiert sein, um ihre Wirkung zu erziehen und sollte daher zum Standardprogramm der Ausbildung gehören. Schon kleine Spalten zwischen den zum Schutz nach vorne, zu den Seiten und nach oben gerichteten Schilden kann dazu führen, dass Pfeile eindringen und die Männer verletzen. Dann bricht die ganze Formation auf und die ganze Gruppe steht ungeschützt da. Unter dem Schutz der Schilde kann auch der der Einsatz von Wurfseilen mit Widerhaken vorbereitet werden, um die Mauer zu erklimmen. Die Testudo ist aber nicht nur eine keine Schutzformation, man kann sie auch offensiv einsetzen. Eine geübte Gruppe ersetzt mit ihren eigenen Schilden nämlich den letzten Abschnitt einer Belagerungsrampe! Während die vordere Reihe unmittelbar vor der Mauer aufrecht steht, geht die letzte Reihe tief in die Hocke und die Reihen dazwischen passen sich an. Über die so entstehende schräge Deckfläche aus Schilden können dann nachrückende Kameraden die Mauerkrone erreichen.
    In den meisten Fällen ist der Sturmangriff mit hohen Verlusten für den Angreifer verbunden, denn die ersten Soldaten können immer nur in schmaler Front vorrücken und bilden ein leichtes Ziel für die Verteidiger. Deshalb müssen die Soldaten vor einem Angriff besonders motiviert werden und entsprechend schädlich ist ein gescheiterter Sturmangriff für die Moral der Truppe. Üblicherweise wird der erste Offizier, der die gegnerische Mauerkrone überquert, mit der Corona Muralis ausgezeichnet, als Belohnung für seinen Mut und seine Tapferkeit. Denn ist es der Truppe einmal gelunden, in größerem Maße in die feindliche Festung einzudringen, so bricht beim Verteidiger häufig Panik aus und die Belagerung ist entschieden. Über die gefundene offene Stelle in der Verteidigung strömen dann immer mehr Angreifer nach und gelangen so bald zur Überzahl. Ein weiteres taktisches Vorgehen ist dann weder nötig noch möglich - die Anspannung der Soldaten bricht sich Bahn und nicht selten endet die Erstürmung einer lange belagerten Stadt mit wilden Plünderungen, der totalen Vernichtung der Verteidiger und großen Bränden.
    Für die Verteidiger ist dies allerdings kein unausweichliches Schicksal. Wie ich sagte, spielt die Psychologie bei Sturmangriffen eine wichtige Rolle. Es ist für den Verteidiger daher nicht unbedingt nötig, einen Sturmangriff sofort und mit voller Kraft abzuwehren, sondern es reicht oft, ihn im entscheidenen Augenblick zum Stillstand zu bringen. Beispielsweise kann man ein Tor von innen und vom Angreifer unbemerkt vermauern. Der Gegner setzt von außen seine Rammen an, sieht das Tor nachgeben, rechnet mit einem Zersplittern in wenigen Augenblicken, setzt viele Männer zum Sturm in Bewegung - und diese laufen gegen eine neue, unerwartete Wand. In der entstehenden Verwirrung sind sie schutzlos Bogenschützen von oben ausgesetzt und werden meist den verlustreichen Rückzug antreten. Ähnliche Erfolge werden die Verteidiger erzielen, wenn es ihnen gelingt, einen an die Mauern herangefahrenen Belagerungsturm zu stürmen. Damit sind plötzlich die Angreifer in der Defensive.


    Sollten die Sturmversuche des Angreifers immer wieder scheitern, wird er diese verlustreiche Methode vermeiden wollen. Hier bietet sich die Möglichkeit von Kriegslisten an. Ich könnte Ihnen nun sehr viele Belagerungen nennen, in denen der Angreifer durch diese oder jene List den Sieg errungen hat, doch jede List muss an die Gegebenheiten angepasst werden und es ist immer besser, sich etwas Neues auszudenken als etwas Altes zu kopieren. Trotzdem sollten Sie natürlich die häufigsten Tricks kennen. Marius eroberte im Krieg gegen Jogurtha einen Höhensiedlung, indem sich eine kleine Truppe aus einigen Centurionen und einigen besonders guten Trompetern über einen äußerst steilen und daher unbewachten Felsweg in die Stadt einschlich, während Marius Armee an einer anderen Stelle einen Scheinangriff begann. Als dann die Verteidiger den Klang römischer Trompeten und markiger Befehlsrufe in der Stadt vernahmen, glaubten sie, die Stadt sei gefallen und gaben die Verteidigung auf. Ähnlich hatten es bereits einige hundert Jahre zuvor die Gallier unter Brennus versucht, als sie das Capitol in Rom erobern wollten. Dort wurden jedoch die heiligen Gänse auf die schleichenden Gestalten im Abhang aufmerksam und alarmierten die Garnison.
    Nicht wirklich als eine Kriegslist, aber zumindest als eine äußerst geschickten Ausnutzung der natürlichen Gegebenheit dürfen wir Scipios bereits erwähnte Eroberung von Carthago Nova zählen. Er stürmte die Stadt bei Ebbe über eine flache Bucht!


    Zum Abschluß der Vorlesung werden wird beim nächsten Mal über die Folgen einer Belagerung und das mögliche vorzeitige Ende durch Übergabe sprechen."

  • Meridius lehnte sich zurück und beobachtete die Schüler, welche sich die Finger wund schrieben. Wie gut, dass er als stellvertredener Kommandeur der Academie, eine Abschrift schon vor sich auf dem Tisch liegen hatte. :D

  • Während Macer eine kleine Pause in seinem Redefluß einlegte, blickte ich mich im Raum um. Etwas neidisch schaute ich dabei auf den in der letzten Reihe sitzenden Meridius, welcher sich entspannt in seinem Stuhl zurücklehnte und nicht mitschreiben mußte.

  • "In der letzten Vorlesung besprachen wir den Angriff auf die Festung, der - sofern wir die Angreifer sind - hoffentlich erfolgreich verläuft. Doch was passiert danach, wenn das Ziel tatsächlich erobert ist?


    Wie ich bereits erwähnte, werden die siegreichen Soldaten ihrer Anspannung aus den vorangegangenen Tagen und den Gefechten Luft verschaffen wollen. Dies führt meistens zu Angriffen gegen Zivilisten, Plünderungen und Zerstörungen. So verständlich dies ist, so sehr sollte ein guter Offizier auch in dieser Situation Herr der Lage sein und seine Soldaten besser zu belohnen wissen als mit der Erlaubnis zu roher Gewalt. Die Nachteile derartiger Übergriffe sind nämlich klar: Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind dem Ansehen Roms nicht zuträglich und fördern Angst und Widerstand. Zerstörungen mindern den Wert einer Stellung zum Teil erheblich und können damit den Erfolg einer Belagerung fast zunichte machen. Man stelle sich vor, man erobert eine Hafenstadt, um die dort liegende Kriegsflotte unter seine Kontrolle zu bringen und dann wird ein Teil dieser Flotte durch unkontrollierte Brände versenkt! Plünderungen sind dagegen noch das kleinste Übel und vergleichsweise gut zu kontrollieren. Mehr als ein Mann tragen kann oder an Händler verkaufen kann wird kein Soldat mitnehmen wollen. Auch dabei ist darauf zu achten, dass die Plünderungen ruhig ablaufen. Nach der nun schon mehrfach erwähnten Belagerung von Carthago Nova erstellte beispielsweise ein Quaestor eine umfassende und sehr akribische Liste aller Beutestücke und schickte sie nach Rom!
    Eine milde Behandlung der besiegten Verteidiger stärkt dagegen das Ansehen der römischen Truppen und beruhigt so die Zivilbevölkerung. Zudem zeichnet ruhiges Vorgehen eine Truppe als besonders diszipliniert aus und sollte entsprechend belohnt werden.


    Gehen wir aber kurz noch einmal einen Schritt zurück und betrachten, wie man die Belagerung zu einem vorzeitigen Ende bringen kann. Zum einen ist da natürlich die Möglichkeit, dass der Widerstand der Verteidiger so groß ist, dass der Angreifer seine Bemühungen aufgibt und freiwillig abzieht. Für den Verteidiger ist das natürlich der Optimalfall und die einzige Möglichkeit zum Sieg. Nicht immer muss eine abgebrochene Belagerung allerdings eine Kriegsniederlage sein, die zum endgültigen Rückzug führt. Gaius Iulius Caesar belagerte beispielweise die Gallier zuerst erfolglos in Gegovia, bevor er sie dann in der Belagerung von Alesia bezwang.
    Eine andere Möglichkeit für ein vorzeitiges Ende ist die Übergabe der Festung, die natürlich ein Sieg der Angreifer ist. Dabei macht es allerding einen Unterschied, wer die Initiative zur Übergabe hat. Es zeugt von der Milde eines Feldherren, wenn er den Gegner vor der Belagerung zur Aufgabe auffordert und dafür möglicherweise die Gefechte einen Tag pausieren lässt. Ein möglicher Befehl kann auch lauten, niemanden anzugreifen, der keine Waffen trägt und den Verteidiger dann eben auf diesen Umstand hinzuweisen und zur Niederlegung der Waffen aufzufordern. Leider wird dies von den Gegnern zu häufig als Zeichen von Schwäche gedeutet und nicht akzeptiert.
    Bittet der Verteidiger dagegen um eine Einstellung der Kampfhandlungen und bietet eine Übergabe der Stadt an, so ist dies ein besonders deutliches Eingeständnis seiner Niederlage. Der Angreifer sollte in diesem Fall mögliche Bedingungen für die Aufgabe nur akzeptieren, sofern er von einer Weiterführung der Kampfhandlungen noch größere Nachteile hätte. Auch sollte er nach dem Wert des Ziels und der Vertrauenswürdigkeit des Verhandlungspartners entscheiden. Einem Magistrat einer reichen griechischen Stadt gestattet man eher eine Kapitulation unter gewissen Bedingungen, als einem Rebellen in einer Bergfestung.
    In größeren Feldzügen sollte stets auch bedacht werden, was das Ende der Belagerung an einem Ort evtl. für Auswirkungen auf andere Orte hat. Eine besonders harte Behandlung als Exempel kann vielleicht an anderen Orten zu einer Aufgabe der Verteidiger führen, aber genauso gut könnte in einer anderen Situation eher eine gnädige Behandlung zur Aufgabe des Widerstandes in anderen Orten führen.


    Eines dürfen Sie aber auch nie vergessen: das vorzeitige Ende einer Belagerung kann auch eine Kriegslist sein! Ein Angreifer, der abgezogen ist, kann noch in der selben Nacht wiederkommen, um einen unachtsamen Verteidiger zu überraschen. Und nicht jeder Verteidiger öffnet seine Tore in friedlicher Absicht, sondern spekuliert nur darauf, die Soldaten unvermutet in einen Häuserkampf zu verwickeln.


    Mit diesen mahnenden Worten möchte ich die Inhalte dieser Vorlesung abschließen und noch einmal kurz zusammenfassen: Belagerungen sind eine besondere Art der kriegerischen Konfrontation und erfordern über einen längeren Zeitpunkt ein Höchstmaß an Konzentration, Mut und Geschick auf beiden Seiten. Nicht allein die Kampfkraft ist entscheidend, sondern auch technisches Können und die richtige Strategie. Die römische Arfmee darf sich rühmen, das Belagerungshandwerk besonders gut zu beherrschen und viele schwere Belagerungen erfolgreich zum Abschluß gebracht zu haben.


    Bevor wir mit der Prüfung und dem Kolloquium beginnen, stehe ich Ihnen gerne noch für Fragen zur Verfügung."


    Zufrieden blickte Macer in erschöpfte Gesichter. Kein Wunder, war diese Vorlesung doch die bisher mit Abstand umfangreichste gewesen. Gespannt wartete er, ob dennoch Fragen offen geblieben waren.

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