~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Das Land um ihn herum verschwamm Grau in Grau, umhüllte ihn in feinem, diffusen Nebel. Vor ihm zerbrach ein goldfarbener Kelch am Boden, hinterließ einen schimmernden Splitter, zu welchem er sich hinab beugte und einen Venuswurf darin sah.
"Wenn die Venus dir entgegen blickt
eile ins Lupanar,
denn dann ist die Lupa ganz entzückt
und gibt wonnevoll sich dir dar."
Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und Marcus' kollerndes Lachen durchdrang den Raum.
"Du musst ein wenig üben, Manius, eines Tages wirst du eine Frau haben, da wirst du wissen müssen, wie du sie anpackst."
Er drehte den Kopf und blickte Caius entgegen, welcher mit einem breiten Grinsen auf dem Gesichte ihm gegen überstand und akklamierend nickte. Wie ein Beutetier fühlte er sich ob dessen in die Ecke gedrängt, den Rücken an der Wand, ohne Ausweg, ohne Möglichkeit zur Flucht. Er wusste, dass seine Vettern recht hatten, dass eines Tages ihn dieses Schicksal würde einholen, doch noch war dies weit entfernt, fort in Italia, in den Gedanken seines Vaters.
"Und wenn schon"
, gab er trotzig zurück.
"Zephyrus hat Chloris, Alexander hatte Roxane, am Ende ist eine Frau nur notwendiges Beiwerk."
"Hahaha!"
Aristides brach in lautes Lachen aus und schlug sich auf die Schenkel.
"Haha! Köstlich, Manius, köstlich! Eine Frau als Beiwerk des Lebens, so etwas kann auch nur dir einfallen! Haha! Da sieht man wieder, je gelehrter der Kopf, desto abgehobener die Ideen! Haha!"
Fest presste er die Lippen aufeinander und kehrte in sich. Was nur musste ein Mensch tun, um so zu sein, so zu werden wie sein Vetter Marcus, welcher die Welt so leichthin umarmte, sie sich unbeschwert einverleibte, auf geflügelten Schultern sie zu tragen schien? Er suchte den Blick Caius', und obgleich diesem ebenfalls ein Lachen anhaftete, so schien jenes Gesicht seinen Gedanken doch nur mehr recht zu geben, denn viel mehr als jede Frau, viel mehr als jede Lupa, ersehnte er diese Person, begehrte er Aquilius. Die Musik um ihn herum - die wilden Klängen der Kithara, das rasselnde Pochen des Tamburin und das Rauschen der Schellen - durchmischte sich mit der aufkommenden Stille, verdrängte sie, untermalte Sciurus' Stimme, jener treuen Seele, welche längst weit fort im Elysium weilte.
"Was quälst du dich, Manius male sanus? Was quälst du dich wieder deine Natur, wo das Begehr dir ins Gesicht geschrieben ist?"
Die rauen Finger des Sklaven glitten über seine Schenkel, hinterließen einen wohligen Schauer, ließen das Begehr in ihn nur mehr noch erwachsen, doch er fegte die Hand mit einer harschen Bewegung beiseite, drehte zornig auf der Kline sich fort.
"Alter Narr, was weißt du schon von meinem Begehr?! Schaffe mehr Frauen heran, noch mehr Frauen!"
Er vernahm die Stimme nah an seinem Ohr, ohne dass das Gesicht des Sklaven neben ihm emergierte.
"Caius ist dein Begehr, ich bin dein Begehr, Ximander ist dein Begehr - keine einzige dieser Frauen jedoch, mit welchen du versuchst, dich über dich selbst hinweg zu täuschen, hast du je berührt. Tag ein Tag aus umgibst du dich mit ihren wonnigen Körpern, für deren Anblick allein mancher Mann würde einen Monatslohn opfern, doch du schaust sie nicht einmal an. Sie schweben an dir vorbei, grazil wie Nymphen, doch du nimmst sie nicht einmal war. Du verschleuderst dein Vermögen auf dieser Insel, erzürnst jene, die vor dir hier waren, versuchst ein Mensch zu sein, welcher du nicht bist, und baust dir dabei deinen eigenen Scheiterhaufen!"
"Ich baue nur dir einen Scheiterhaufen, Sciurus, nur dir"
, antwortete er bestimmt und kniete vor den toten Sklaven hin, berührte zögerlich das Messer in seinem Rücken, welches in der Morgensonne glitzerte. Eine weitere Hand und griff die seine, und als er den Blick hob, sah er sich selbst in die Augen, doch nicht er war es, sondern sein Bruder, gleich im Angesichte.
"Du hast längst dich selbst verloren, wozu also brauchst du diesen Nachkommen, wenn du ohnehin nichts weiterzugeben hast als nur eine Hülle, eine Farce, ein Bild? Du willst dich selbst weitergeben, dein Erbe? Du hast stets verleugnet, wer du bist, es gibt dich nicht einmal, du bist nur noch eine Idee deiner selbst, eine Figur in einem Spiel, die selbst ihren Weg nicht mehr bestimmt, sondern der Willkür ihres Spielers ausgeliefert ist. Wie selbstlos von dir, dass du mir dies überlassen wolltest. Was bist du nur, Manius? Armer Tor in deiner beschränkten Welt. Aus dir wird niemals ein Mensch werden, du wirst ewig eine Marionette bleiben."
Von den Fäden an seinen Gliedern gezogen bewegte er sich vorwärts, sah die leuchtende Frucht vor sich, um seinen hungernden Magen zu füllen, das kühle Wasser, um seine trockene Kehle zu befeuchten. Doch immer dann, wenn er nach der Frucht wollte greifen, nach dem Wasser sich bücken, wurde er zurück gerissen von unsichtbarer Hand, so dass er weiter musste darben, weiter dürsten. Quintus hatte recht, er war nur eine Marionette in diesem Spiel.
~~~
Zuckend erwachte Gracchus und war augenblicklich hellwach, zu deutlich war die Erinnerung an seinen Traum, jenen Nachhall einer fernen Realität.
"Das ist nicht war! Ich bin viel mehr als das!"
sprach er trotzig in die düstere Nacht hinein. Einige Augenblicke verstrichen, dann ließ sich ein leises "Herr?" von der Türe her vernehmen. Verwundert drehte Gracchus den Kopf, als würde er eben erst sich der Welt um sich herum gewahr.
"Nichts, Sciurus, nichts. Schlafe weiter."
Resignierend legte Gracchus seinen Kopf zurück auf das Kissen und blickte noch einige Augenblicke in die Dunkelheit. Er war nicht nur eine Marionette, er war nicht nur eine Figur in einem Spiel, er war viel mehr als das, dessen war er sich sicher. Kurz bevor er zurück in die Gefilde des Somnus glitt, glaubte er ein leises, fernes Lachen zu hören, doch womöglich rührte dies nur aus dem Traumreiche, jener anderen, fernen Realität her.