Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Das Land um ihn herum verschwamm Grau in Grau, umhüllte ihn in feinem, diffusen Nebel. Vor ihm zerbrach ein goldfarbener Kelch am Boden, hinterließ einen schimmernden Splitter, zu welchem er sich hinab beugte und einen Venuswurf darin sah.
    "Wenn die Venus dir entgegen blickt
    eile ins Lupanar,
    denn dann ist die Lupa ganz entzückt
    und gibt wonnevoll sich dir dar."

    Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und Marcus' kollerndes Lachen durchdrang den Raum.
    "Du musst ein wenig üben, Manius, eines Tages wirst du eine Frau haben, da wirst du wissen müssen, wie du sie anpackst."
    Er drehte den Kopf und blickte Caius entgegen, welcher mit einem breiten Grinsen auf dem Gesichte ihm gegen überstand und akklamierend nickte. Wie ein Beutetier fühlte er sich ob dessen in die Ecke gedrängt, den Rücken an der Wand, ohne Ausweg, ohne Möglichkeit zur Flucht. Er wusste, dass seine Vettern recht hatten, dass eines Tages ihn dieses Schicksal würde einholen, doch noch war dies weit entfernt, fort in Italia, in den Gedanken seines Vaters.
    "Und wenn schon"
    , gab er trotzig zurück.
    "Zephyrus hat Chloris, Alexander hatte Roxane, am Ende ist eine Frau nur notwendiges Beiwerk."
    "Hahaha!"
    Aristides brach in lautes Lachen aus und schlug sich auf die Schenkel.
    "Haha! Köstlich, Manius, köstlich! Eine Frau als Beiwerk des Lebens, so etwas kann auch nur dir einfallen! Haha! Da sieht man wieder, je gelehrter der Kopf, desto abgehobener die Ideen! Haha!"
    Fest presste er die Lippen aufeinander und kehrte in sich. Was nur musste ein Mensch tun, um so zu sein, so zu werden wie sein Vetter Marcus, welcher die Welt so leichthin umarmte, sie sich unbeschwert einverleibte, auf geflügelten Schultern sie zu tragen schien? Er suchte den Blick Caius', und obgleich diesem ebenfalls ein Lachen anhaftete, so schien jenes Gesicht seinen Gedanken doch nur mehr recht zu geben, denn viel mehr als jede Frau, viel mehr als jede Lupa, ersehnte er diese Person, begehrte er Aquilius. Die Musik um ihn herum - die wilden Klängen der Kithara, das rasselnde Pochen des Tamburin und das Rauschen der Schellen - durchmischte sich mit der aufkommenden Stille, verdrängte sie, untermalte Sciurus' Stimme, jener treuen Seele, welche längst weit fort im Elysium weilte.
    "Was quälst du dich, Manius male sanus? Was quälst du dich wieder deine Natur, wo das Begehr dir ins Gesicht geschrieben ist?"
    Die rauen Finger des Sklaven glitten über seine Schenkel, hinterließen einen wohligen Schauer, ließen das Begehr in ihn nur mehr noch erwachsen, doch er fegte die Hand mit einer harschen Bewegung beiseite, drehte zornig auf der Kline sich fort.
    "Alter Narr, was weißt du schon von meinem Begehr?! Schaffe mehr Frauen heran, noch mehr Frauen!"
    Er vernahm die Stimme nah an seinem Ohr, ohne dass das Gesicht des Sklaven neben ihm emergierte.
    "Caius ist dein Begehr, ich bin dein Begehr, Ximander ist dein Begehr - keine einzige dieser Frauen jedoch, mit welchen du versuchst, dich über dich selbst hinweg zu täuschen, hast du je berührt. Tag ein Tag aus umgibst du dich mit ihren wonnigen Körpern, für deren Anblick allein mancher Mann würde einen Monatslohn opfern, doch du schaust sie nicht einmal an. Sie schweben an dir vorbei, grazil wie Nymphen, doch du nimmst sie nicht einmal war. Du verschleuderst dein Vermögen auf dieser Insel, erzürnst jene, die vor dir hier waren, versuchst ein Mensch zu sein, welcher du nicht bist, und baust dir dabei deinen eigenen Scheiterhaufen!"
    "Ich baue nur dir einen Scheiterhaufen, Sciurus, nur dir"
    , antwortete er bestimmt und kniete vor den toten Sklaven hin, berührte zögerlich das Messer in seinem Rücken, welches in der Morgensonne glitzerte. Eine weitere Hand und griff die seine, und als er den Blick hob, sah er sich selbst in die Augen, doch nicht er war es, sondern sein Bruder, gleich im Angesichte.
    "Du hast längst dich selbst verloren, wozu also brauchst du diesen Nachkommen, wenn du ohnehin nichts weiterzugeben hast als nur eine Hülle, eine Farce, ein Bild? Du willst dich selbst weitergeben, dein Erbe? Du hast stets verleugnet, wer du bist, es gibt dich nicht einmal, du bist nur noch eine Idee deiner selbst, eine Figur in einem Spiel, die selbst ihren Weg nicht mehr bestimmt, sondern der Willkür ihres Spielers ausgeliefert ist. Wie selbstlos von dir, dass du mir dies überlassen wolltest. Was bist du nur, Manius? Armer Tor in deiner beschränkten Welt. Aus dir wird niemals ein Mensch werden, du wirst ewig eine Marionette bleiben."
    Von den Fäden an seinen Gliedern gezogen bewegte er sich vorwärts, sah die leuchtende Frucht vor sich, um seinen hungernden Magen zu füllen, das kühle Wasser, um seine trockene Kehle zu befeuchten. Doch immer dann, wenn er nach der Frucht wollte greifen, nach dem Wasser sich bücken, wurde er zurück gerissen von unsichtbarer Hand, so dass er weiter musste darben, weiter dürsten. Quintus hatte recht, er war nur eine Marionette in diesem Spiel.

    ~~~


    Zuckend erwachte Gracchus und war augenblicklich hellwach, zu deutlich war die Erinnerung an seinen Traum, jenen Nachhall einer fernen Realität.
    "Das ist nicht war! Ich bin viel mehr als das!"
    sprach er trotzig in die düstere Nacht hinein. Einige Augenblicke verstrichen, dann ließ sich ein leises "Herr?" von der Türe her vernehmen. Verwundert drehte Gracchus den Kopf, als würde er eben erst sich der Welt um sich herum gewahr.
    "Nichts, Sciurus, nichts. Schlafe weiter."
    Resignierend legte Gracchus seinen Kopf zurück auf das Kissen und blickte noch einige Augenblicke in die Dunkelheit. Er war nicht nur eine Marionette, er war nicht nur eine Figur in einem Spiel, er war viel mehr als das, dessen war er sich sicher. Kurz bevor er zurück in die Gefilde des Somnus glitt, glaubte er ein leises, fernes Lachen zu hören, doch womöglich rührte dies nur aus dem Traumreiche, jener anderen, fernen Realität her.

    Für Augenblicke drohte die Situation aus den Fugen zu geraten und Gracchus der Kontrolle über das Geschehen verlustig zu werden, als Celerinas Augen den Anschein gaben von wässrigem Nass überzogen zu werden, und sie in einem Schluchzen sich ergab. Der Umgang mit ihm fremden Frauen war Gracchus so lange ein leichtes, so lange die Farce der Distanz wurde aufrecht erhalten oder er tatsächlich eine Ebene gemeinsamer Interessen oder Anschauungen fand, doch Gefühlsausbrüche gehörten hierzu mitnichten und gereichten dazu ihn stets vollends zu überfordern. Doch noch ehe er sich selbst damit musste beruhigen, dass jene Frau vor ihm Teil der Familie war, was wiederum bedingte, dass eigenes Verhalten ihr gegenüber in einem solchen Falle des Distanzverlustes nicht auf Dignitas und Gravitas musste beschränkt bleiben, fing Celerina sich, unterstützt durch den äußeren Anreiz eines Taschentuches, und bewahrte ihn so vor jeglicher Verlegenheit.
    "Eine Zusammenführung am späteren Tage ist selbstredend möglich, allfällig zum Abendessen, so dir dies agreabel ist, dabei könntest du ebenso einige weitere der hier in der Villa wohnenden Familienmitglieder kennen lernen. Es sind derzeitig nicht allzu viele in Rom, genau genommen neben Lucanus und Aquilius nur meine Gemahlin, Claudia Antonia. Mein Vetter Aristides weilt mit der Legion in Parthia, sein Sohn hält sich bei dessen Großmutter in Baiae auf. Aristides' Bruder Felix ist auf unserem Landsitz auf Sardinia, sein Sohn, Furianus, Proconsul von Hispania eben in jener Provinz. Meine Geschwister, Minervina und Lucullus, weilen derzeit ebenfalls auf Landgütern, Minervina nahe Arretium, Lucullus weiter im Norden noch, am Lago Larius."
    Die Verluste der vergangenen Monate und Jahre erwähnte Gracchus indessen nicht, denn er wollte Celerinas Geist nicht unnötig mit solcherlei beschweren, zumal dies ohnehin kaum für sie von Bedeutung würde sein. Während er jedoch aufzählte, wohin die Familie sich zerstreut hatte, wurde er sich allmählich dessen gewahr, weshalb es zuletzt in der Villa so ruhig geworden war. Aufmerksam lauschte er Celerinas kurzer Schilderung ihres bisherigen Lebens, sie erwähnte nicht den Namen jener, ihrer früheren Familie, und Gracchus fragte nicht weiter nach. Es war ohnehin irrelevant.
    "Das flavische Leben wird dich sicherlich schneller einholen, als du dies bisweilen noch vermuten magst. Furianus wuchs ebenfalls fern der Heimat auf, bei einer Familie in Britannia, ohne um seine Herkunft zu wissen. Heute ist er Proconsul, einer der mächtigsten Männer dieser Familie. Als Flavia magst du nicht eben wie er in die Politik streben können, doch die Frauen dieses Hauses standen der Macht ihrer Brüder noch nie auch nur im Geringsten nach."
    Gegenteilig, so er an seine Schwester dachte, hatte sie von seinen Geschwistern es als Virgo vestalis maxima bisher am weitesten gebracht - abgesehen davon, dass letztlich es sie das Leben hatte gekostet, doch teilte sie dies Los gleichsam mit zweien ihrer Brüder.

    Salve Lydia,


    Aufgrund deiner Wahl bleibt kaum verborgen, dass du ganz neu in die Welt des Imperium Romanum einsteigst. Aus diesem Grunde muss ich eine Aufnahme ablehnen, gleichsam möchte ich dir den Hintergrund dessen erläutern, denn ein Neueinsteiger allein ist mitnichten ein schlechter Spieler und wir alle haben immerhin einmal klein angefangen.


    Das 'Problem' bei patrizischen Gentes ist jedoch, dass diese auf 12 Mitglieder beschränkt sind, wir also mit unseren freien Plätzen haushalten müssen, im Gegensatz zu plebeischen Gentes, welche beliebig viele Mitglieder aufnehmen können. Die Erfahrung im IR zeigt leider, dass ein Teil der Neueinsteiger irgendwann die Lust am Spiel verliert und einfach nicht mehr wieder kommt, ohne die ID vorher aus dem Spiel zu nehmen, sowohl SimOn (d.h. einen Hinweis im Spiel zu geben, was mit diesem Charakter passiert), als auch SimOff (d.h. der Spielleitung zu sagen, dass die ID aus dem Spiel genommen werden soll).
    Solche Charaktere werden im Imperium Romanum durch einen Prozess aus dem Spiel genommen, welcher sich Lectio nennt und einmal im Monat durchgeführt wird. Bis ein Charakter in diese Lectio fällt und auf einen inaktiven Status gesetzt wird, darf diese ID 3 Monate lang nicht eingeloggt werden.


    Für diese 3 Monate der Inaktivität ist jedoch in patrizischen Familien ein Platz belegt, welcher nicht durch eine neue ID gefüllt werden kann, was die Flavia gerne vermeiden möchte. Aus diesem Grund nehmen wir nur äußerst ungern IR-Neueinsteiger auf.

    Ohne dass er auch nur es aussprach, wusste Aquilius, was sein Begehr war, denn sie kannten sich bereits zu lange und zu genau, als dass dies notwendig war, und Gracchus war froh darum, es nicht aussprechen zu müssen. Dennoch wirkte es befremdlich auf ihn, wie distanziert und pragmatisch Aquilius auf all dies hinab sah, wie er leichthin die Optionen aufwies, schlussendlich sich selbst. Und doch, war es aus seiner Sicht nicht eben auf diese Weise zu sehen? War denn der Unterschied so groß, einem Vetter ein Kind zu ermöglichen, welcher selbst dazu nicht in der Lage war, oder das Kind eines Vetters anzunehmen, welchen die Welt würde verloren haben? Würde nicht Gracchus auf der anderen Seite der Misere stehend gleichermaßen Aquilius diesen Dienst erweisen, ohne auch nur einen Herzschlag lang zu zögern, ihm jenen Wunsch erfüllen, welchem sehnlichst er würde nachhängen? Alledem ungeachtet, auf dieser, seiner Seite der Misere stehend, brach es Gracchus das Herz, von seinem Geliebten dies zu verlangen, so gierig von ihm zu rauben, was selbstverständlich er gab. Die Pflicht hallte in seinem Gewissen wider, wieder und wieder, überschattete jede Emotion, jede Freiheit, die in den letzten Wochen er ihr mühevoll hatte entrissen. War es dies, was er seinem Nachkommen eines Tages würde mit in sein Leben geben? Aus Pflicht bist du geboren, um eine Pflicht zu erfüllen. Er war noch nicht Vater, würde niemals leiblicher Vater sein, und doch war er bereits ein schlechter Vater.
    "Ich habe mit Antonia diesbezüglich gesprochen. Wegen all ... dem."
    Mit einer flüchtigen Handbewegung umfasste er die Welt, sein Leben, die Misere.
    "Sie war äußerst ... konnivent. Sie ... wir ... nun, es gab wohl einiges, was zwischen uns stand, ohne dort seinen Platz haben zu müssen, und ich ... wir haben ein wenig mehr zueinander gefunden. Ich kann wahrlich nur mich glücklich schätzen, sie als meine Gemahlin zu wissen."
    Während all der Worte war Gracchus erneut Aquilius' Blick ausgewichen, doch letztlich musste er ihm in die Augen sehen, in jene wundervollen, unendlich tiefen, braunfarbenen Augen, in welchen in seinen Träumen er schwamm, in welche er eintauchte, um darin unter zu gehen, sich verschlingen zu lassen von ihrer warmen Couleur.
    "Es muss ein Mann sein, welchem ich vertraue, welchem mein Leben ich würde anvertrauen, denn nichts anderes tue ich."
    Womit nur zwei Männer blieben, was auch Caius würde wissen, er selbst und Aristides.
    "Es kann Monate, Jahre noch dauern, bis Marcus zurück kehrt, zudem hegt Antonia Bedenken Epicharis' wegen. Es ist auch ihre Entscheidung."
    Obgleich er es nicht hatte ausgesprochen, wünschte sich Gracchus, dies nie auch nur angesprochen zu haben. Er wollte seinem Vetter auf die Schultern klopfen, lachend, ihm einen Scherz eröffnen, doch er wusste, dass dies ein sinnloses Unterfangen war, denn Aquilius würde diesem Trug nicht Glaube schenken, da er ebenso gut wie er selbst wusste, dass er solcherart nicht war. Mit einem Male schien das Zimmer kalt, als wäre das Feuer im Ofen des Hypokaustensystemes erloschen, und Gracchus konnte sich nicht eines marginalen Zitterns erwehren, welches von seinem Körper Besitz ergriff. Aquilius hatte längst nicht zugestimmt, nur Möglichkeiten genannt, und im Zweifel an sich selbst, im Zweifel, ob er würde präferieren, dass jener ablehnte oder zustimmte, wollte Gracchus am liebsten zerbrechen, in Tausende Stücke zerfallen, zu einem unbedeutenden Häuflein Asche, welches in den Fugen des Bodens versickerte und darin würde festgestampft werden, auf immer Teil dieses Hauses, doch längst vergessen. Er wusste die Antwort bereits, wusste, dass er sich dessen gewahr war, doch kämpfte er sie in sich hinab, kämpfte gegen sie an als würde sein Leben davon abhängen. Und vielleicht tat es dies. Sein Leben.

    [Blockierte Grafik: http://img166.imageshack.us/img166/8767/sacerdoser4.jpg
    Mit dem Blick einer Priesterin, welche bereits mehr Innereien in ihrem Leben hatte gesehen als Menschen in Rom wohnten, untersuchte Catonia Secunda die dem Schwein entnommenen vitalia auf ungewöhnliche Farbflecken, Geschwüre und anderweitige Makel, doch nichts hiervon war zu entdecken.
    "Die Göttin ist geneigt, deinen Dank anzunehmen."
    Sie lächelte erfreut Lucanus zu und übergab ihm die Schale mit den Innereien, auf dass dieser sie den rotfarbenen Flammen konnte überreichen und so in die Gefilde der Götter überführen. Sodann winkte den Sklaven mit dem zweiten Tiere sie heran, um erneut auch dieses Ferkel mit etwas Wein der Göttin zu weihen.
    "Mit diesem roten Rebensafte weihe ich Dir, O Mutter Iuno, dieses Jungschwein, auf daß Du dieses Opfer annimmst und den Worten des jungen Flavius Lucanus Gehör schenkest! Gewähre ihm Deine Gunst und verschließe nicht dein Ohr vor seinem Flehen!"
    Wiederum wechselte das Opfermesser den Besitzer, auf dass Lucanus den Ritus des Opferherrn konnte vollziehen und sein weiteres Gebet sprechen.



    Ein eisiger Schauer zog über Gracchus' verspannten Nacken hinweg, hinterließ ein Gefühl der Beklemmung, welches nichts mit körperlicher Anstrengung hatte zu tun, sondern mit der Erkenntnis, dass als Teil der flavischen Familie augenscheinlich auch auf ihr der Fluch jener zu lasten schien.
    "Mein Beileid zu deinem Verlust. Einen geliebten Menschen zu verlieren, ist niemals einfach, doch ich hoffe sehr, dass wir als Familie dir ein wenig der Sicherheit zurückgeben können, welcher du verlustig geworden bist."
    Celerina erweckte tatsächlich den Anschein, als würde der Tod ihres Gatten schwer auf ihr Gemüt drücken, zudem hatte sie womöglich nicht nur ihn, sondern auch die mit ihm verbundene Familie verloren.
    "Es mag dies möglicherweise ein wenig übereilt dir erscheinen, da niemand dich hier kennt, doch Teil der Flavia Romulus zu sein, bringt nicht nur Verpflichtungen mit sich, sondern gleichsam ein festes, familiäres Gefüge. Deine Abstammung allein gereicht dazu, in diesen Mauern heimisch zu sein und solange du keinen Grund für Gegenteiliges uns gibst, wirst du jede Unterstützung durch die Familie erhalten, welcher du bedarfst."
    Gracchus beugte sich ein wenig vor und legte den Siegelring auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen ab. Einige Augenblicke schaukelte das Kleinod hin und her, bis es schließlich zur Ruhe kam, die Petschaft zu Celerina hin gerichtet.
    "Eventualiter hält sich Lucanus derzeit im Hause auf. Er hilft seinem - und auch deinem - Onkel Aquilius als Scriba personalis, manche Tage begleitet er ihn durch die Stadt, andere geht er hier seinen Aufgaben nach. So du dies wünschst, werde ich nach ihm schicken lassen, es sei denn, du möchtest dich erst ein wenig akklimatisieren. Immerhin, er wird dir nicht davon laufen."
    Ein feines Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen. Dies alles musste wie eine Entdeckungsreise für Celerina sein, der Besuch einer großen Bibliothek oder einer fremden Stadt, wo allenthalben sich Neues auftat. Wieder fühlte er sich an seinen Bruder erinnert, gegenteilig zu der jungen Frau vor ihm hatte dieser jedoch kein Interesse an seiner Familie gehegt, abgesehen davon, dass er sich einige Tage von Gracchus hatte ausgeborgt. Er hätte so viel erreichen können.
    "Möchtest du von deiner bisherigen Familie erzählen?"
    Ihre Erscheinung, Auftreten und Wortwahl kündeten davon, dass es eine passable Familie gewesen war, wenn nicht patrizisch, so doch sicherlich distinguiert.

    Der erste Satz, welchen Celerina sprach, wandte sich ohne eine Reaktion zu bedingen durch Gracchus' Sinne hindurch, da es sich ohnehin nur um eine Höflichkeitsfloskel mochte handeln, der zweite Satz indes gereichte ob des ungewöhnlichen Endes bereits dazu, seine unbedingte Aufmerksamkeit zu wecken, während mit dem dritten Satze marginal seine rechte Augenbraue sich zu heben begann, im vierten Satze nun definitiv und sichtbar emporstieg, um mithin des fünften Satzes ihren vorläufigen Höhepunkt zu erreichen. Wie mochte dies sein, nicht zu sein, wer man glaubte zu sein, geglaubt hatte? Es war dies ein äußerst reizvoller, faszinierender Gedanke, nicht zu sein, wer man war, doch streifte er Gracchus' Aufmerksamkeit nur peripher, da jene, ein wenig derangiert, auf der nachfolgenden Erklärung Celerinas lag. Gracchus presste die Kiefer aufeinander, um nicht in tumber Weise den Namen des Flavius Maximus und der Foslia Milonia zu wiederholen, ehe bereits neben ihm ein Ring emergierte, welchen er mehr mechanisch, denn tatsächlich bewusst entgegen nahm. Seine Fingerkuppen glitten über die feinen Vertiefungen im Metall, es war dies ohne Zweifel ein flavischer Siegelring, er musste nicht erst ihn gegen jenen an seiner eigenen Hand halten, um dies festzustellen. Langsam blickte er von dem Ring auf zu Celerina. Obgleich braunfarbene Augen meist nicht viel mehr als heller oder dunkler braunfarbenen waren, so bildete sich Gracchus doch stets ein, dass die braunen Augen der hispanischen Flavier irgendwie ... hispanisch-Flavier-braunfarbenen waren, womöglich auch nur deswegen, da es die Augen Aquilius' waren, in denen er stundenlang sich konnte verlieren. Hatte sie jene Augen, welche in Ansätzen er auch bei Lucanus hatte zu entdecken geglaubt? Waren ihre Züge similär zu jenen ihres Bruders, zu denen anderer Flavia? War dies der Anklang einer Reminiszenz an Aquilius' Mutter und somit ihre Großmutter, welchen er bei Celerinas Anblick in sich verspürte, oder mochte dies nur Täuschung seiner Sinne sein? In unbewusster Manier hob er seine Hand, um seine Unterlippe zu kneten, während in der anderen weiter er ihren Ring hielt. Wäre sie in der Villa erschienen, hätte als Flavia sich ihm vorgestellt, ohne Zweifel hätte mit offenen Armen er sie empfangen, wie erst vor kurzem dies er bei Lucanus hatte getan. Indes, welchen Grund sollte sie haben, ihm solch Außergewöhnliches zu erzählen, so dies nicht der Wahrheit entsprach?
    "Nun"
    , begann er gedehnt.
    "Dies macht mich sodann zu deinem Großonkel."
    Er musterte sie nochmals genauer, sie mochte etwa zehn Jahre jünger sein als er, wenn überhaupt. Er würde nicht zulassen, dass sie ihn als Onkel titulierte, dass Lucanus dies tat, war im Grunde bereits mehr als Gracchus an nomineller Seneszenz konnte ertragen.
    "Ich denke jedoch, wir können auf die Grade der Verwandtschaft verzichten. Du wirst sicherlich einige Zeit in Rom bleiben?"
    Er wartete nicht erst ihrer Reaktion ab, drehte sich um und winkte den jungen Phoebus heran.
    "Bereite ein Zimmer vor, ein Familienzimmer."
    Zurück zu Celerina.
    "Dein Bruder Lucanus ist vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls hier in Rom angekommen. Hast du ihn bereits kennen lernen können?"
    Es war dies eine äußerst merkwürdige Situation, und obgleich Gracchus das Zusammentreffen mit einem bis dato unbekannten Bruder mehr als nur gut konnte nachvollziehen - es war nicht allzu lange her, dass ihm selbst dies geschehen war -, so musste das Zusammentreffen mit einer völlig unbekannten Familie für Celerina weit mehr als nur befremdlich sein.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Ein Hauch von Ambrosia durchzog das glühende Eismeer, an dessen Strand bikubische Formen sich aufstapelten, die Welt durchwanderten in feistem Orange. Gierig leckte eine gewaltige, raue Zunge über das kühle Wasser hinweg, benetzte es mit goldfarbenen Partikeln, bevor im wolkenverhangenen Himmel sie verschwand und Raum schuf für den feisten Horizont. Gleich einer Nussschale trieb sein Boot auf den gefrorenen Wogen, zerteilte die auf der beinfarbenen Flut dahinwankenden Schaumkronen in beständiger Fahrt. Dort vor ihm - Achaia, die Wiege der Wahrheit, so nah und doch unendlich ihm fern - sein Ziel, beständiges Treiben. Ein gewaltiger Vogel zog über den Horizont, schwarzfarben, mit dem Kopf seiner Gemahlin, ihre Nase Schnabel und Federn ihr Haar, Klauenbewehrte Füße und giftiger Flaum. In wildem Entsetzen und blanker Panik begann die Ruder er zu schlagen, seinen Atem zu pusten in das sich blähende Segel, auf dass Landeinwärts es ihn mochte treiben, doch längst war das Boot aufgelaufen auf den felsigen Grund der Untiefen des Meeres, umschäumt von hauchzartem Grün, umwogen von tiefgründigem Blau. Mit lautem Kreischen stürzte hinab sich der Episit, zerriss das Tuch, zerfetzte die Segel, ließ splittern den Mast in Tausende Stücke, so dass begraben er wurde unter hölzernem Spänenmeer. Wimmernd, den Kopf in Händen verborgen, harrte er aus in der glimmenden Hitze, bis dass die Dunkelheit sich erhob, hinfort wurde getragen von schmalen Händen. "Manius." Von fern die Stimme her, die einen Namen rief. "Mein Manius." Ein Echo aus längst vergangener Zeit, welches ihn drängte, der Welt zu entfliehen.

    ~~~


    Langsam öffnete er seine Augen, blinzelte hin in trübes Dämmerlicht. Verschwommen die Konturen des Mobiliars, die Luftpartikel mit farblosem Nebel durchsetzt. Warm hielt die Decke ihn umfangen, hielt seinen Geist in Antriebslosigkeit. Es war sein Ruf, doch es war nicht ihm zu folgen, nimmermehr. Ohne einen weiteren Gedanken drehte Gracchus sich um und ergab sich dem graven Verlangen, die Lider erneut zu schließen, tat nur wenige Atemzüge und hatte bereits das Wachen hinter sich gelassen.

    Gierig streckte die Kälte des Winters ihre eisigen Finger nach Gracchus' Gliedern aus, umfasste seine Füße, um sukzessive von dort aus seine Waden empor zu kriechen, auch seine Hände, welche - die Ellenbogen auf den Knien abgestützt - sein Gesicht bargen, sogen sich nicht nur voll der Traurigkeit, welche Gracchus' Antlitz entrann, sondern gleichsam auch voll der sie umgebenden, trockenen Kälte. Ein pergamentenes Blatt lag zwischen Gracchus' Füßen auf dem Kiesel gesäumten Wege, vor der marmornen Bank, auf welcher er saß, wurde empor gehoben von einem Windhauch und kratzte einige digitus weit über das Pflaster hinweg, bevor es schlussendlich wieder zu liegen kam, regungslos, als würde die Schwere der Worte, welche darauf geschrieben standen, es hernieder drücken. Es war dies ein Brief des Verwalters des flavischen Landgutes auf Sardinia, und seine Nachricht gereichte mehr als nur mäßig dazu, Verzweiflung ob der Familie in Gracchus empor steigen zu lassen, ihn sich einzuverleiben, auf dass er darin versank. Neuerlich hatte das Schicksal einen Flavier dem Leben entrissen - viel zu jung war er gewesen -, erneut schrumpfte die Familie und ließ jene Pflicht, welche auf den Schultern der verbliebenen Mitglieder ihrer verweilte, nur um so erdrückende erscheinen. Der Sinn hinter den Worten der Nachricht erschien Gracchus indifferent und fern, gleichsam halten die Worte in seinem Geiste wieder, füllten die Leere in seinem Kopf mit einem beständigen Dröhnen. Längst hatte er Milo nicht solchermaßen intensiv gekannt wie sein Vetter Aristides, doch er war immer gut mit ihm ausgekommen, hatte ihn geschätzt und hätte eine goldene Zukunft ihm beschieden, allein deswegen da er der Sohn des Felix gewesen war. Aristides - ob auch er einen Brief nach Parthia ob des Todes seines Neffen hatte erhalten? Womöglich, allfällig auch nicht. Indes, Gracchus würde nicht es übers Herzen bringen, ihm diese Nachricht zu senden, denn sein Vetter hatte bereits schwer genug am Tode seiner Tochter zu tragen, welche im fernen Kriege gefangen er nicht einmal selbst hatte bestatten können. Milo dagegen würde in Kürze auf Sardinia zur Ruhe gebettet werden, wiewohl sein Wunsch es gewesen war. Obgleich durchaus er lange mit sich haderte, musste Gracchus letztendlich sich eingestehen, dass keine Gelegenheit sich ihm bot, Rom ob der Bestattung wegen zu verlassen, was gleichsam ihn ebenso von der Reise mit dem Schiff würde bewahren, worüber letztlich er nicht eben unglücklich war. Durch seine Finger hindurch starrte Gracchus einige Zeit lang auf den Boden vor sich, durch ihn hindurch bis in die Tiefen des Lebens hinab, den gierigen Schlund des Schicksals, welche unaufhörlich an ihrem Rade drehte, die Flavier selten dabei mit empor trug, sondern fortwährend nur hinab zu reißen schien, um schlussendlich unter dem Radkranz sie zu erdrücken, so dass die nächste Aufwärtsbewegung längst nicht mehr Teil ihrer Existenz war.

    Als der junge Phoebus Flavius Gracchus in seinen Gemächern aufsuchte, fand er ihn in einer eher ungewöhnlichen Situation vor: auf einem Stuhl mitten im Raume sitzen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Ellbogen nach oben gedrückt, das Gesicht schmerzverzerrt, denn hinter ihm stand Kosmas von Milet - der Medicus Personalis Leontias, welcher nach deren Tode sich mit solcherlei Gefälligkeiten gegenüber den übrigen Familienmitgliedern sein Bleiberecht in der flavischen Villa erwirkte - und drückte und rückte an seinen Knochen und Gelenken, auf dass diese in ihre natürliche Lage sich wieder einfanden und gleichsam die Muskulatur gelockert wurde. Den Morgen dieses Tages hatte Gracchus in Hinblick auf das bevorstehende lustrum des Senates damit verbracht, seinen Körper zu trainieren, vorwiegend die Muskulatur an Armen und Schultern, doch da er Wochen, um nicht zu sagen Monate zuvor seinen Körper hatte schleifen lassen - die Arbeit im Collegium Pontificium, die Arbeit im Senat, immer fand sich irgendeine Ausflucht - reagierte dieser nun eher abweisend auf die Überbeanspruchung. Kein Wort sprach der Medicus, so dass Gracchus nur hin und wieder seine Knochen knacken hörte, so dass er sich nicht konnte entscheiden, was unangenehmer war, jenes Geräusch oder der Schmerz an sich. Von Sciurus, Gracchus' Leibsklave, eingelassen, kündete Phoebus diesem den im Atrium wartenden Besuch an, woraufhin Sciurus seinem Herrn den Namen Flavia Celerina nannte. Ein letztes Mal stöhnte Gracchus auf, als Kosmas irgend etwas tat, was im ersten Augenblicke einen schmerzenden Stich durch Gracchus' Körper jagte, sodann ließ er seine Arme hinab sinken.
    "Das genügt, du kannst gehen."
    Während der Medicus das Zimmer verließ, drückte Gracchus seine Schultern durch, ließ sich einen Schluck Wasser von Sciurus reichen und suchte sich an den Namen Celerina zu entsinnen. Eine Großtante fünften Grades, oder etwas in diese Richtung, aus einem entfernten Zweig mit jenem Namen drang ihm in die Sinne, eine der patrizischen Iulia, welche mit einem Flavius Tubero oder Tubulus verheiratet gewesen war - womöglich war jene Celerina ein Nachkomme dieser Linie. Indes, so sie eine der patrizischen Flavia war, war es ohnehin nur von marginaler Bedeutung, in welcher graduellen Beziehungen sie zum Zweig des Romulus stand, da fast alle Flavier im römischen Hause willkommen waren. Gracchus wusch sich die Hände an der Waschschüssel und verließ hernach seine Gemächer, um das Atrium aufzusuchen. Der jungen Frau, welche dort wartete, war auf den ersten Blicke anzusehen, dass sie gehobenen Verhältnissen entstammte, was Gracchus davon überzeugte, dass sie keine jener plebeischen Flavia war, welche ab und an versuchten, sich im Glanze dieses Namens zu sonnen und darob in diesem Hause einen Vorteil für sich zu subreptieren.
    "Salve, Flavia Celerina, ich bin Manius Gracchus. Bitte, nimm noch Platz."
    Er deutete auf die Sitzgruppe, während Phoebus im Hintergrund einen weiteren Becher mit Wein und Wasser füllte, und bereitstellte.
    "Was kann ich für dich tun?"

    Mühevoll kämpfte Gracchus den Reflex hinab, seine rechte Augenbraue ob der Worte des Matinius' ein Stück weit empor zu heben. Die Virgo vestalis maxima, die unantastbare Unschuld des Staates, Hüterin des Heiligen Herdfeuers und damit des Wohles Roms, war auf den Stufen zum Tempel der Vesta ermordet worden - es grenzte darob viel mehr an ein Wunder, dass die Götter nicht längst ob dieses noch immer ungesühnten Frevels ihren Zorn in viel deutlicherer Weise hatten geäußert. Dennoch mochte Gracchus sich einen Kommentar auf die Worte hin nicht verbieten.
    "So sollten auch die älteren Senatoren unter uns dem Herkules für zusätzliche Kräfte opfern, denn auch für jene, welche die Opfertiere nicht auf ihren Schultern zu tragen haben werden, wird der Marsch sicherlich kein einfacher sein. Gerade da der Pontifex Maximus nicht in Rom anwesend sein kann, muss der Senat sich um so entschlossener zeigen."
    Viel mehr noch als einem Opfer, würde Gracchus selbst jedoch sich dem Training seines Körpers widmen, denn bereits seit das Collegium Pontificium den Ritus eruiert hatte, rechnete er immer wieder sich aus, wie viele Talente jeder einzelne Senator würde tragen müssen, je nachdem, wie viele Senatoren letztlich tatsächlich in Rom anwesend und in der Lage waren, noch Gewicht auf ihren Schultern zu tragen. Bei einem über Stiere, Rinder und Kühe verteilten Durchschnittsgewicht von etwa 35 talenta pro Tier, lasteten bei zehn Rindern gesamt und etwa 400 tragfähigen Senatoren 0,875 Talente pro Schulter, um so mehr, je mehr der überaus untadeligen Herren kurzfristig aus der Provinz würden flüchten, da unabdingbar dringende Angelegenheiten sie aus Rom und Italia würden hinfort ziehen. Ein talentum mochte zwar ein Gewicht sein, welches ein Legionär einen gesamten Tag mit sich herum zu tragen vermochte, doch kaum einer der Anwesenden hatte als Legionär gedient, ihn eingeschlossen, und selbst jene, die dies getan haben mochten, waren längst über diese Tage hinaus. Da diese Herausforderung schlussendlich jedoch Angelegenheit jedes einzelnen war, schob Gracchus den Gedanken vorerst bei Seite und widmete sich der Frage Senator Macers.
    "Vermutlich sollten wir nicht eben frisch gekalbte Tiere verwenden, doch gegen nicht zu ihrem völligen Gewicht und Größe ausgewachsene Tiere spricht mit Sicherheit nichts. Bezüglich der Richtung stimme ich Senator Tiberius zu, rechts herum ist die einzige Möglichkeit."

    Zitat

    Original von Hannibal
    "Leider habe ich schon seit längerer Zeit nichts mehr von meinem Herrn vernommen! Aber die Nachrichten von der Front sind auch spärlich und die Briefe dauern immer sehr lange, bis sie uns erreichen. Zudem..."
    "Zudem schreibt Aristides nicht gerne, ich glaube kaum, dass sich daran etwas geändert hat."
    "Ich schätze, Aristides hätte gerne mit uns diese Tage mitgefeiert.",
    "Meinst Du, der Krieg wird bald enden? Hat der Senat, falls Du mir das überhaupt mitteilen darfst, etwas erfahren darüber?"


    Ein Hauch von bitterer Ernsthaftigkeit zog sich über Gracchus' Miene hinweg, verdrängte für einige Momente die Saturnalienfreude, welche ohnehin nur als temporärer freudiger Kokon in sich existierte - doch je fester ein Mensch an solcherlei glaubte und dies wollte, desto eher konnte mit eine wenig Hilfe durch ein oder zwei Gläser Wein er sich wahrhaftig in solcherlei verlieren. Dennoch rang er sich den Anschein eines Lächeln ab, bevor er antwortete.
    "Dies ist vermutlich so, wahrlich, wir sollten ihm einen Schreiber als Saturnaliengeschenk nachsenden, auf dass wir überhaupt einmal etwas von ihm hören."
    Womöglich konnte auch diese Ausrede Zuflucht sein, wenn nur der Mensch fest genug daran glaubte - deplorabel nur, dass diesbezüglich die Zweifel ob Aristides' Salubrität sich viel hartnäckiger in Gracchus' Gedanken einschlichen, als dass er einfach sie konnte beiseite schieben.
    "Auch dem Senat liegen keine Neuigkeiten vor."
    Nicht nur aus diesem Grunde war Gracchus bereit, Hannibal darüber zu berichten, denn er wusste gleichsam, dass jener Sklave einer der engsten Vertrauten seines Vetters war, er selbst kannte ihn bereits seit langer Zeit, wenn auch nicht besonders gut, abgesehen von Anekdoten, welche Aristides bisweilen über ihn zu erzählen wusste. Darüber, ob er glaubte, dass der Krieg bald würde ein Ende finden, verlor Gracchus kein Wort, denn er wusste selbst keine Antwort darauf. Hoffnung war das einzige, dessen er in dieser Hinsicht sich gewahr war, für alles andere fehlten ihm zu viele Fakten.
    "Nun, wie dem auch sei, ich denke, wir brauchen uns weniger zu sorgen als wir dies glauben tun zu müssen. Marcus ist ein zäher Bursche, er lässt sich nicht so leicht umbringen."
    Selbst nach seinem proklamierten Tode akzeptiert er diesen nicht ohne weiteres, wie damals, als sein Name auf der Liste der Gefallenen in der Acta Diurna zu lesen gewesen war. Manches mal glaubte Gracchus fast, dass das Schicksal Aristides damalig bereits hatte auserkoren für den Übertritt ins Elysium, jener dies in seiner bisweilen ein wenig schusseligen Art jedoch einfach nicht hatte bemerkt und darob noch einmal vor jenem Ende bewahrt worden war.
    "Ich habe schon erlebt, wie er nach dem Genuss von fünf Amphoren Wein einen Gegner beim Ringen zu Boden rang und ich bin sicher, du weißt noch weitaus mehr solcher Dinge von ihm, bei deren Gedanken allein ich bereits würde darnieder liegen. Das einzige, worum wir uns diesbezüglich vermutlich sorgen sollten, sind die Parther, doch da dies gänzlich gegen das spricht, was wir sind, bleibt uns heute keine Sorge übrig und so soll es denn auch sein."
    Kaum nur brauchte man dies Hannibal gegenüber zu erwähnen, denn Gracchus wusste, dass er seinem Herrn in diesen Belangen nur wenig nachstand. Er entschuldigte sich sodann bei dem Sklaven, da er weiter die Saturnaliengeschenke musste verteilen - wenige nur waren noch übrig, doch der ein oder andere Gast hatte noch keines erhalten, und wandte sich anschließend eben dieser Aufgabe schlussendlich wieder zu.

    Viele Tage bereits waren in die Welt eingezogen und hatten sie wieder verlassen seitdem Gracchus am Schrein des Domitius sein Gelöbnis hatte geleistet, mehr als ein verzweifelter Ehemann war seit diesem Tage an jenem Ort erschienen, hatte ebenso den Genius um dessen Gunst gebeten, manch einer hatte Tage danach sich von den Göttern und seiner Ehefrau verlassen gesehen, manch anderem waren die einen wie die andere zugeneigt gewesen. Tage waren vergangen, ohne dass Gracchus den Schrein des Domitius hatte erneut aufgesucht, indes, er hatte nicht darum vergessen. Trotz all der bitteren Konsequenzen, welche sich aus dem Gespräch mit seiner Gattin Antonia hatten ergeben, hatte sie nicht ihn verlassen und hatte Gracchus darob noch am nächsten Tage die Arbeiten an einem neuen Bildnis des Genius in Auftrag gegeben. So kam es nun, dass einige Sklaven das alte, verwitterte Bildnis des Domitius aus Tuffstein vom Altar herab hoben und an seiner statt ein fein gearbeitetes, detailreiches Bildnis eben derselben Genius aus lunensischem Marmor auf ihm befestigten. Der Meister selbst überzeugte sich von der Ansehnlichkeit, bevor er den Platz räumte für jenen, welcher für seinen gefüllten Tisch über die nächsten Wochen hinweg hatte Sorge getragen. Denn kurze Zeit nach ihm fand Gracchus selbst sich ein, betrachtete zufrieden die kleine Inschrift an der Seite - V.S.L.M. M'.F.G. *-, verbrannte eine Hand voll Körner einer kostspieligen Räucherung und breitete die Arme zur Seite, die Handflächen zum trüben Himmel empor gewandt.
    "Domitius, gütiger Heilsbringer, ich, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titius Vespasianus, danke Dir für Deine Gunst, und erfülle, wie ich Dir gelobte, meine Pflicht gerne und verdientermaßen mit diesem Bildnis, wie Dir, Domitius, dies nach der Gabe Deiner Gunst zusteht."
    Er entzündete eine Kerze, befestigte diese mit einigen Tropfen ihres eigenen, goldgelbfarbenen Wachses am steinernden Altar und wandte sich hernach ab. Zumindest einige Götter waren noch ihm gewogen.



    *votum solvit lubens merito

    Den Ausbruch der Decima registrierte Gracchus mit nicht minderem Erstaunen als jene neben ihm, und sollte er ihren Charakter mit einem einzigen Worte beschreiben, so würde er jenen als äußerst gewagt bezeichnen. Seine eigene Gemahlin indes dauerte ihn ein wenig, da sie eben direkt neben der Decima ihren Platz hatte gefunden, doch augenblicklich wollte nichts ihm in die Gedanken fließen, wie jener Umstand zu beseitigen sei. Ohnehin tat augenscheinlich das Geschrei der Senatorengattin seine Wirkung, da tatsächlich in das Geschehen in der Arena Bewegung kam. Zu spät bemerkte einer der Angreifer, dass der als Ziel auserkorene Löwe nicht halb so verwundet war, wie zuerst dies den Anschein gab, und sah sich darum schneller als er konnte reagieren selbst als Opfer. Auch Gracchus bemerkte dies zu spät als bereits tief rotfarbenes, menschliches Blut den Sand der Arena befleckte, sich in anscheinend endlosen Strömen über das kernige Granulat ergoss, um mäßig nur darin zu versickern. Sturzbäche aus Rot verließen den Körper des Kämpfers, Schlieren aus rotfarbenen Schatten vermischten sich mit rotfarben wogenden Wellen auf einem endlos rotfarbenen Meer, rissen die Reste von Mensch in sich hinab, auf dass er in den rotfarbenen Fluten untergehe. Sukzessive schob sich die Dämmerung vom Rande Gracchus' Blickfeld langsam zu dessen Zentrum hin, mühsam blinzelnd versuchte er die Blümeranz vor seinen Augen zu vertreiben, senkte gleich seinem Blicke auch seinen Kopf, konzentrierte sich auf die im Schoß gefalteten Hände, deren Finger sich umeinander kneteten, und den Inhalt seines Magens, welcher trotz seiner Kargheit rebellierte und Gracchus das Gefühl gab, als hätte halb Rom sich in seinem Inneren zum Aufstande versammelt und eben zum protestierenden Stampf-Marsche sich angeschickt. Dass dies augenscheinlich bereits einer der Höhepunkte der Spiele gewesen war, realisierte er nicht, gleich wie bereits ihm dies genügte und ohne einen weiteren Schwertstreich er wäre bereit gewesen, das Amphitheater zu verlassen.

    Da sonstig niemand dazu sich anschickte und vermutlich ein Pontifex in solchen Dingen zumindest den Anschein sollte erwecken, das Wissen über alle kultischen Riten im Detail in seinem Erfahrungsschatz zu bergen, entschloss Gracchus, obgleich er in seinem römischen Leben noch keine lustratio von solchem Ausmaß je hatte erlebt, zur Antwort auf Senator Purgitius' Frage anzusetzen.
    "Das Tragen der Rinder ließe sich ähnlich jenem der Götterstatuen während der Prozession eines lectisternium bewerkstelligen, auf einer Art Bahre, welche von mehreren Männern kann getragen werden, selbstredend zudem durch Gurte größeren Ausmaßes fixiert. Es gibt durchaus Wege, ein solch großes Tier über einen längeren Zeitraum hinweg ruhig zu stellen, obgleich ich nicht in solch umfassender Weise in diesen Belangen bewandert bin, um mit aller Sicherheit sagen zu können, dass bei einem solchen Zeitraum, von welchem wir hierbei sprechen, nicht eine Auffrischung jener Betäubung okkasionell von Nöten wäre, zudem müsste schlussendlich gewährleistet sein, dass zum rechten Zeitpunkt am Kapitol angekommen die Rinder wiederum auf ihren Füßen stehen, doch auch dies sollte sicherlich sich einrichten lassen, der Cultus Deorum hat für solcherlei Aufgaben Spezialisten."
    In jedem Falle wäre der Zeitraum länger als die gewöhnliche Periode, für welche Rinder beim prestigeträchtigen Opfer ruhig gestellt wurden. Mithin dieser Überlegung war Gracchus auch bereits bei der Frage des Vinicius angelangt und wandte seinen Blick daher diesem hin zu.
    "Was das Zeitlimit betrifft, so ergab die Konsultierung der sibyllinischen Bücher keinen Aufschluss darüber. Auch das Collegium Pontificium gibt hierzu keine Empfehlung, doch wir sollten bedenken, dass die Aufmerksamkeit gleichwohl wie auch die Geduld der Götter nicht grenzenlos ist. Unser Festkalender kennt viele ludi, welche zu ihren Ehren werden ausgerichtet und über mehrere Tage hinweg andauern, welche jedoch angefüllt sind mit ihnen gefälligem Tun, im Vergleich hierzu sollten wir ein Opfer, selbst eines mit umfassender Prozession und der Gabe von zehn Rindern, nicht unnötig in die Länge ziehen, nur um unserer eigenen Bequemlichkeit willen. Der Anlass zu jener Opferung ist immerhin eine lustratio, die Entsühnung eines Frevels, keine joviale Fetierung."
    Andernfalls würde der Ritus kaum wohl seine Bestimmung erfüllen, weder die divine, noch die weltliche.

    Kurz zuckte Gracchus unter der Berührung seines Vetters zusammen, jener Berührung, welche seit jeher stets so tröstlich gewesen war für ihn, mit einem Male jedoch sich seltsam fremd, weit entfernt und fehl anfühlte. ... als gefiele es dem Schicksal, über uns zu lachen, wo es nur kann. Gleichsam lachte Caius mit ihm, über es. Er würde alles erreichen, alles haben, was jemals er sich erträumte, er würde seiner Frau alles geben können, was jene sich wünschte, was jene verdiente, er würde der perfekte Ehemann sein, der perfekte Vater, zudem war er auf dem besten Wege seine Ziele in der Politik, der Gesellschaft zu erreichen, ein perfekter Römer, wie dies Erwartung an einen jeden Flavier war. Was auch kam, Caius lachte nur stets das Schicksal aus, er duldete nicht, dass es ihm spottete. Kein einziges Quäntchen dieses Glückes neidete Gracchus seinem Geliebten, doch es quälte ihn sehr, dass er sich dazu anschickte, ihm ein Fragment dieses Glückes zu rauben.
    "Wen, Caius, sollte ein Mann wie ich adoptieren? Wir sind keine Kaiser, welche aus den fähigsten Männern könnten ihre Nachfolger wählen. Ein junger Mann, welcher alt genug ist, wird nicht sich unter die patria potestas stellen, ein solcher, welcher jung genug, nicht aus jener entlassen. Es bliebe einzig ein Kind, welches die eigenen Eltern würden verstoßen, verkaufen gegen Sesterzen, Zuwendungen oder Einfluss, doch wie könnte ein solches Kind ich als das meine, als Flavier akzeptieren? Bedenke zudem die Schmach eines solchen Schrittes, wäre doch dies ein öffentliches Eingeständnis meiner eigenen Unzulänglichkeit. Nein Caius, in diesem Falle kann ebenfalls ich ohne einen Nachkommen diese Welt verlassen, nicht minder beschämend wäre dies."
    Eine halbe Drehung brachte Gracchus seinem Vetter in dessen Angesichte, den Blick fest, da Aquilius ebenso gut wie er musste wissen, dass eine solche Adoption keine Lösung jenes Problemes war, dessen ein Flavier sich in seinem Falle gegenüber sah.
    "Es geht nicht um die Annahme des Kindes eines anderen, keinen Augenblick würde ich zögern, im schlimmsten Falle des Todes die Nachkommen eines meiner Vettern in meiner Familie aufzunehmen, gleich meinen eigenen würden sie erwachsen, gleichsam würde niemals der Makel des Fremdseins auf ihnen lasten, denn sie wären Flavier vom Blute durch und durch. Doch fremdes Blut meine eigene Linie fortführen zu lassen, dies hast keinen Sinn, du weißt es."
    So war dies in der Flavia, und man mochte dies als deplorabel erachten oder auch nicht, es war dies unumstößlich.
    "Die ... die einzige Möglichkeit ..."
    Er stockte, konnte, wollte dies nicht aussprechen, sein Blick senkte sich herab, wanderte ziellos durch den Raum ohne Halt zu finden, nur immer in Bewegung, um nicht dem seines Geliebten begegnen zu müssen..
    "Antonia ... sie kann trotz allem ... die Mutter meiner Kinder ... [size=7]werden ..."[/size]
    Seit dem ersten Aufflackern jener Idee war dies ein ungeheuerliches Vorhaben, doch ausgesprochen mit seiner eigenen Stimme, einem anderen, in all diese Dinge nicht involvierten Menschen - nicht wissentlich involvierten -, dies ließ noch weit ungeheuerlicher es erscheinen, als ohnehin es bereits war.

    An diesem Tage, bereits kurz nach Beginn der Senatssitzung, stand als einer von wenigen Punkten die geplante Entsühnung des Mordes an der Virgo Vestalis Maxima auf dem Tagesprogramm des Senates. Nachdem er durch den Sitzungsleitenden Consul dazu war aufgefordert worden, pro collegio den Vorschlag zur procuratio Kund zu tun, erhob sich Gracchus und begann, nicht ohne einen leichten Kälteschauer der Nervosität in seinem Nacken, die sich bereits zuvor zurechtgelegten Worte zu sprechen.
    "Wie durch den Senat entschieden, stellte das Collegium Pontificium unter Konsultierung der sibyllinischen Bücher durch das Collegium der Quindecimviri sacris faciundis einen Ritus zur Entsühnung des Mordes an der Virgo Vestalis Maxima auf, welcher durch den Haruspex Primus wurde geprüft und als den Göttern wohlgefällig bestimmt."
    Da der genaue Wortlaut des Ritus zu bedeutsam war, als dass Gracchus sich konnte hierbei einen Fehler erlauben, hob er eine Tabula, auf welchem die Mitschrift des Pontifex minor ob eben jenes Wortlautes war festgehalten, und las von dort ab.
    "Die Weissagung der sibyllinischen Bücher deutend, gelangte das Collegium Pontificium, beauftragt vom Senat des römischen Volkes, zu folgender Maßnahme zur Sühnung des Mordes an der Virgo vestalis maxima: Vier weißfarbene Rinder - davon zwei Ochsen, ein Stier und eine Kuh - zur Ehre der himmlischen Götter, dazu drei rotfarbene Rinder - davon ein Ochse, ein Stier und eine Kuh - zur Ehre der feurigen Götter, dazu drei schwarzfarbene Rinder - davon ein Ochse, ein Stier und eine Kuh - zur Ehre der unterirdischen Götter, sollen getragen werden durch die Senatoren des römischen Reiches als Vertreter des Staates um das heilige pomerium einmal herum, um sodann auf der Kuppe des kapitolinischen Hügels den Göttern zum Opfer gegeben zu werden."
    Ehe er wieder Platz nahm, hob Gracchus seinen Blick von der Schreibtafel empor, und ließ ihn kurz über die Reihen des Senates schweifen. Es wäre nun an jenen Männern, die letzten Details zu klären, und sodann über die Durchführung der procuratio zu bestimmen.