Es war keine sonderlich geschickte Frage, welche Titus Tranquillus seinem potentiellen Kunden stellte, denn Gracchus hatte nicht in der Armee gedient und würde dies, so er Glück hatte in seinem Leben, auch niemals freiwillig tun. Doch er hatte eine äußerst rege Phantasie diesbezüglich, nicht nur, was die zahlreichen wohlgeformten Leiber der Legionäre anbelangte, welche sich in einer Legion tummeln mochten, sondern auch und insbesondere ob der unzähligen, außerordentlich qualvollen Todesarten, welchen ein Mann in einer Schlacht würde erliegen können, so dass er selbst vermutlich bevor er überhaupt je ein Feld würde erreicht haben, bereits tausende Tode allein aus Furcht wäre gestorben. Er war ein Feigling sondergleichen was dies anbelangte, und allein die Frage ließ ob dessen äußerst unangenehme Empfindungen in ihm empor steigen, denn er war sich dieser Unzulänglichkeit nur allzu bewusst. Dennoch gedachte er selbstredend nicht, die Frage zu beantworten, immerhin wollte nicht er sich verkaufen.
"Nun denn, so bin ich bereit, das Startgebot zu bieten."
Gänzlich überzeugt war er indes nicht, doch wenn der Sklave nicht zum Kämpfen taugte, so würde er immer noch in einer Löwung Verwendung finden können, denn auch dort verbrauchte sich eine Menge Material.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Beiläufig nickte Gracchus dem Aelier zum Gruße zurück, denn obgleich er sich nicht an mehr als das nomen gentile und das Amt des Mannes entsann, war er ihm in überaus guter Erinnerung geblieben, da er es gewesen war, welcher ihm seine Aufnahme in den Senat hatte eröffnet. Hernach jedoch widmete er sich wieder dem angebotenen Sklaven. Lesen und Rechnen würde nicht unbedingt notwendig sein, ein Pferd, welches im Arenenrund durch seine Hufschläge das Ergebnis einer Addition Kund tat, oder ein Hund, welcher durch sein Bellen eine Division bewerkstelligte, dies mochte durchaus für die Pausen zwischen den Kämpfen äußerst kurzweilig sein, doch ein Gladiator brauchte nicht rechnen zu können, selbst die Zahl seiner Siege und Niederlagen würden andere für ihn zählen.
"Du sagst, er wurde vor Wochen verwundet. Kannst du diese Anzahl näher benennen, liegt sie näher an einem oder an mehreren Monaten?"
Ein Mann, der ein halbes Jahr brauchte, um wieder zu erstarken, würde sich kaum als Investition lohnen.
"Weshalb indes fand er nicht den Tod? Kämpfte er nicht gut genug oder gar zu gut? Wie kam es, dass er gefangen genommen wurde? Wie viele Römer brauchte es, ihn zu überwältigen?" -
Völlig überrumpelt von ihrer Reaktion hielt Gracchus ein wenig ratlos die Arme um seine Gemahlin und schloss aus ihrem Schluchzen, dass sie nicht gewillt war, ihn zu verlassen, dass die gesamte Misere sie ebenso traf wie ihn. Dauerte es sie tatsächlich so sehr, dass sie von ihm kein Kind würde gebären, von ihm, den sie doch so sehr verabscheute? Oder nicht? Wie kleine, messerscharfe Regentropfen prasselten die Erinnerungen an Aquilius' Worte auf Gracchus herab, doch noch immer schienen sie ihm so unwirklich und unglaublich. Ein gewaltiger Kloß formte sich in Gracchus' Kehle und war schwerlich nur hinab zu schlucken. Er war kein liebenswerter Mensch, nicht unbedingt abominabel, doch völlig unzulänglich und makelbehaftet - einzig Caius war so verrückt, ihm mehr als Freundschaft zu schenken, doch Antonia hatte zu solcherlei nicht den geringsten Grund. Und doch, es gab ebenso keinen Grund für sie, so zu zerbrechen, wenn sie sich von ihm wollte scheiden lassen - nur dann, wenn ihr tatsächlich etwas an dieser Ehe lag. Nichts war mehr sicher, nichts, und Gracchus derangierter als je zuvor in seinem Leben er es gewesen war.
"Wann?"
wiederholte er zögerlich ihre Frage und hob eine Hand, um ihr, sich dessen nicht gänzlich bewusst, mit dem Daumen die Tränen von der Wange zu wischen.
"Wohin gehen?"
Zu einem anderen, dem sie beiliegen sollte? Unbezweifelt musste auch sie zu dieser Erkenntnis gelangt sein, doch dass sie so schnell dies anbot, rührte Gracchus tatsächlich. Sie war gewillt, diese Ehe zu retten - fürwahr, niemals hatte er solch eine Gemahlin verdient, nicht, nach all dem, was er versäumt hatte zu tun, nicht bei all dem, was er niemals in der Lage wäre, zu tun.
"Ich bitte dich, das hat doch Zeit."
Sie sah so furchtbar verletzlich aus, dass Gracchus nurmehr Scham ob dessen verspürte, in welche Lage er sie hatte gebracht, welch überaus unzulänglich und unzureichender Ehemann im Grunde er war. -
Allmählich galt es, sich vorzubereiten. Natürlich würde noch eine Menge Wasser den Tiber hinab rinnen, bis es soweit würde sein - so es überhaupt je soweit würde sein - doch gute Kämpfer schossen nicht wie Pilze aus dem Boden, sie mussten lange und hart trainiert werden. Aus diesem Grunde waren sie überaus kostspielig, auch, wenn man sie sich selbst zog, doch noch viel mehr, wenn man sie fix und fertig erwarb, nur um sie für einen Kampf in die Arena zu stellen - immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie diesen nicht überlebten, und ihrem Besitzer so nie wieder Geld würden einbringen. Doch es war nicht unbedingt der Preis, welcher Gracchus dazu hatte bewogen, einen eigenen Gladiator sich heran zu ziehen - Sesterzen waren noch nie ein Problem gewesen -, er wollte einen Kämpfer seinem kleinen Neffen Serenus widmen und ihn diesem zur Mannwerdung schenken, so er die Spiele sollte überstehen. Aus diesem Grunde war es, dass Gracchus an diesem Tage vor allem die rauen Gesellen und frischen Gefangenen unter den angebotenen Sklaven betrachtete. Kostbare Sklaven erkieste er üblicherweise selbst, da er kaum jemand sonst in seinem Urteil diesbezüglich vertraute, und gerade bei einer Neuerwerbung, welche nicht aus einer bekannten Zucht stammte, war überaus großer Feinsinn vonnöten, um sich nicht etwa den Entführer seiner Tochter ins Haus zu holen - sprichwörtlich gesehen natürlich, immerhin nannte Gracchus keine Tochter sein Eigen. Der Parther des Titus Tranquillus erregte Gracchus' Aufmerksamkeit nach Begutachtung einiger eher mäßiger Exemplare einiger anderer Händler, zu deren Kauf er sich nicht hatte durchringen können, denn immerhin hatte er es nicht sonderlich eilig mit seinem Erwerb.
"Spricht er eine zivilisierte Sprache?"
Es war Gracchus durchaus lieber, wenn ein Kämpfer ob seiner Möglichkeiten wusste, als dass man ihm seine Aussichten in den Leib musste schneiden, obgleich er sich im Zweifelsfall ohnehin nicht damit würde auseinander setzen müssen. -
Zitat
Original von Claudia Antonia
Ein pflichtschuldiger Dank war alles, was ihren Lippen zu entkommen wusste. Verwunderlich indes war dies kaum, Antonia hatte vermutlich mehr Schmuck als eine der kleineren Provinzen als Jahressteuer einnahm, und obgleich Gracchus persönlich ihr Geschenk hatte ausgesucht, keine Kosten und Mühen hatte gescheut, um sie mit etwas überaus Exquisitem beschenken zu können, so war es vermutlich von Beginn an vergebliche Mühe gewesen. Doch dass es nicht einmal dazu gereichte, ihr eine kleine Freude zu bereiten, dies dauerte ihn ein wenig. Nichts, nicht das geringste schien er richtig machen zu können, so es seine Gemahlin betraf. Er konnte nicht länger ihren missbilligenden Blick auf sich ertragen, unter welchem seine wohl studierte Fassade für diesen Abend zu zerbröseln begann, darum wies er unbestimmt durch den Raum.
"Die Gäste, du entschuldigst mich bitte."
Ein flüchtiges Lächeln kräuselte seine Lippen, dann nahm er den Saturnalienbeutel wieder auf und wandte sich ab, strebte eilig in eine andere Richtung, gleich wohin, nur fort. Im Vorbeigehen nahm er einen Becher Wein mit und trank ihn in einem Zug zur Hälfte aus, was seiner Verfassung eher ab- denn zuträglich war, ihn doch nicht weiter bekümmerte. Seine Flucht indes hatte ihn bis beinahe zum Rande des Atrium geführt, wo Hannibal, der treue Sklave Aristides', an eine Säule gelehnt stand und merkwürdig aufmerksam einen Punkt auf der anderen Seite des Raumes fixierte, was Gracchus jedoch nicht wahrnahm, da er noch immer zu sehr damit beschäftigt war, seine eigenen Sinne wieder beieinander zu bringen.
"Bona Saturnalia, Hannibal!"
Insgeheim hatte sich Gracchus immer gewundert, weshalb Aristides den Sklaven hatte in Rom zurück gelassen, doch vermutlich hatte es etwas mit seinem niedrigen Rang in der Legion zu tun, welcher womöglich keine persönlichen Sklaven duldete. Weiters wusste Gracchus auch nicht, was Hannibal in Abwesenheit seines Herrn überhaupt in der Villa zu tun hatte, doch da er nicht einmal wusste, was sein eigener Leibsklave den lieben, langen Tag über tat, so ging er selbstredend davon aus, dass auch Hannibal seiner gewohnten Arbeit - wie auch immer diese aussehen mochte - geflissentlich nachging. Für einen Moment wollte Gracchus dem Sklaven den Becher in die Hand drücken, auf dass er ihn halten möge, wurde sich doch gerade rechtzeitig des Anlasses gewahr und stellte den Becher auf einem kleinen Tisch zur Seite ab, um sodann mit freier Hand in den Beutel zu greifen, und eine Tonfigur heraus zu ziehen. Es war ein Hase, welchen Gracchus dem Sklaven reichte, sodann gab er ob des verköstigten Weines gelockert seinem Drängen nach.
"Du hast nicht etwa zuletzt etwas von deinem Herrn, welcher heute nicht dein Herr sein mag, es sonstig aber ist, gehört?"
Schon viel zu lange war keine Nachricht mehr aus dem Osten eingetroffen, auch in der Stadt und selbst im Senat flossen die Informationen nur äußerst spärlich. -
Zwei mal repetierte sie sein Eingeständnis, als wolle sie sicher gehen, dass auch er selbst es in jedem Fall laut und deutlich vernehmen konnte, als würde ihr exorbitante Freude bereiten es auszusprechen, da sie ohnehin es schon immer hatte gewusst. Die Anspannung und Last der Jahre rieselte auf Gracchus herab, beständig, häufte langsam einen Berg an Sandkörnern über ihm auf, unter welchem zu ersticken er drohte. Zu all seinem Versagen konnte nun er auch noch eine gescheiterte Ehe hinzufügen, er spürte genau an ihrem Tonfall, dass sie ihn würde verlassen, dass nichts mehr nun sie an ihm hielt, endlich ihr Vorwand gefunden war, diese Bindung zu lösen. Es waren die erstickten Laute und das Rascheln von Stoff, welches ihn aufblicken ließen, gerade rechtzeitig, um Zeuge dessen zu werden, dass Antonia zu Boden sank. Zu allem Überfluss glaubte zudem er feuchte Spuren auf ihren Wangen zu entdecken. Ein unbändiges Drängen keimte in Gracchus auf, aus den dunkelsten Tiefen seines Selbst, jenes Verlangen, welches seit jeher ihn begleitete, welchem nur allzu gerne und bereitwillig er nachgab - dem Hang zur Flucht. Sein Leben glitt an ihm vorüber, in Sekunden, ein einziges Versagen vom ersten Augenblick, ein ständiger Verlust all dessen, was kostbar war, und schlussendlich stetige Selbstverleugnung. Und doch - in diesem Augenblick ging es nicht um ihn, nicht um seine Person. Er stand auf, nur um einige Schritte weiter vor Antonia sich wieder hinab sinken zu lassen. Sein Herz raste, Gracchus fühlte sich wie in einem Traume gefangen, aus welchem jeden Moment er musste erwachen, zögerlich streckte er seine Hände aus, doch Antonia zerplatzte nicht unter seiner Berührung. Vorsichtig umfasste er sie, noch immer nicht sicher, ob sie lachte oder weinte, noch immer nicht sicher, ob er zerstörte oder rettete, was geblieben war, und drückte ihren Körper sachte an den seinen.
"Es tut mir leid, Antonia, es tut mir so unendlich leid."
So oft waren jene Worte bereits aus seinem Munde gedrungen und doch verloren sie mit keinem Mal an Gravation, denn zu seiner eigenen Schande sprach er sie tatsächlich ein jedesmal in tiefster, wahrhafter Absicht aus. Gleichsam wusste nichts anderes er zu sagen, nichts anderes zu tun, wartete nur bangend darauf, dass sie sich würde lösen, ihm eine Ohrfeige verpassen und die Scheidung aufsetzen. -
~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Weißfarbenen, dunstigen Nebelfetzen gleich zogen sich die dicken Stränge durch die warme Luft, vibrierten leicht bei jedem Schritt, welchen er baren Fußes auf ihnen tat. Beständig breitete die sanfte Schwingung sich unter ihm aus, bis zu den Rändern, dort, wo die feinen, seidenen Fäden im Geäst der Rosensträucher waren verankert. Seine hauchdünnen Flügel schimmerten regenbogenfarben, zart im hellen Sonnenlicht, einem Lockruf gleich, einer willigen Forderung. Langsam kniete er sich hernieder, setzte sich herab auf die mit zähflüssiger Masse bedeckten Stränge und bettete schlussendlich seinen Körper im klebrigen Netz, streckte weit von sich seine Glieder, zog und zerrte an den filigranen Fäden, bis dass erneut das gesamte Konstrukt in heftige Schwingung geriet. Nicht lange musste er darben, ließ der Jäger auf sich warten, witterte die willige Beute in seinem Netz. Mit einem leisen Kratzen schoben seine Beine sich langsam über das dürre Geäst, ließen die welken Blätter der Rosenbüsche rascheln, bis er den Rand des Gespinnstes erreichte. Einem filigranen Tänzer gleich schwebte er mit seinen acht Beinen über die Seile, schweifte akrobatisch über die luftleeren Zwischenräume hinweg, bis dass er endlich vor ihm angelangt war. Gierig beugte die Spinne ihr Haupt herab, um ihre Beute zu mustern, und Caius' ließ seine tiefbraunen Augen über seinen Körper wandern.
"Friss mich"
, säuselte er selbst und bereitete sich darauf vor, verzehrt zu werden. Die Bestie riss weit ihr Maul auf, entblößte scharfe Zähne - bei deren Anblick er wohlig erschauerte -, einen gierig tiefschwarzen Schlund - in dessen Endlosigkeit er wollte versinken -, und entließ ein markerschütterndes Grollen daraus ertönen. Doch als sie den Mund wieder schloss, war es Antonias Antlitz, welches ihm mit einem Male aus gleißenden Augen entgegen funkelte.
"Mit Vergnügen!"
Panisch versuchte er sich zu drehen und zu wenden, doch sein Körper haftete fest in ihrem Netz, und je mehr er mit seinen Gliedmaßen riss und rüttelte, desto mehr verhedderte er sich in den weißfarbenen Strängen. Maliziös drang ihr Lachen und erfüllte seine Welt, gierig klapperten ihre aus dem Maul hervorstehenden Reißzähne. Mit glühenden Augen beugte sich ihr Kopf zu ihm herab, eines ihrer dünnen, spitzen Spinnenbeine schob sich über ihn, dann riss sie ihm den Bauch auf, dass das rotfarbene Blut nur so spritzte.~~~
"Ahhhhhhhhh ..."
Wild schlug Gracchus um sich, verhedderte sich mehr und mehr in seiner Decke, riss entsetzt die Augen auf und schrie in die dunkle Nacht hinein. Sogleich eilte seine Sklave Sciurus herbei, drückte die Arme ihm hernieder mit der einen und seinen Kopf mit der anderen Hand - er war dererlei längst gewöhnt. "Beruhige dich, Herr, beruhige dich! Es war nur ein Traum, nur ein Traum!"
Als wäre er nach der Schlacht bei Marathon von dort bis nach Athen gerannt keuchte Gracchus, versuchte Atem zu schöpfen und die grauenerregenden Bilder aus seinem Kopfe zu vertreiben. Zähflüssig nur rannen die Worte des Sklaven in seinen Verstand hinab.
"Antonia ... sie wollte mich ... sie ... "
stammelte er zusammenhanglos.
"Sie ist nicht hier, Herr. Es war nur ein Traum", wiederholte der Sklave noch einmal, bis dass Gracchus endlich derangiert, doch affirmierend nickte.
"Nur ein Traum. Ja."
Doch er wusste es besser. -
Sie reagierte, wie immer sie es tat in seinem Angesichte - abweisend, als wäre er das Schlimmste, was je ihr geschehen war - und vermutlich war es so - als könne nichts mehr sie stören denn seine Anwesenheit, als wäre er Scylla und Charybdis gemeinsam, gekommen, um sie zu verschlingen. Vorhaltungen trafen ihn aus ihrem Munde, trafen ihn tief wie eh und je, denn nichts konnte er je in ihrem Sinne richtig machen, einem einzigen, gewaltigen Makel kam er gleich. Sein Geständnis würde sie nur noch weiter auseinander treiben, dessen war er sich gewahr, und mit einem Male fürchtete er sich nurmehr abgrundtief vor der Wahrheit. Sie würde ihn verlassen. Für sie, eine Claudia, die perfekte Frau, würde er nichts mehr zu bieten haben, sie würde binnen Wochen sich scheiden lassen und einen neuen Ehegatten finden, jenen, welchen sie hatte verdient. Er dagegen würde bei den pedarii enden, aus dem Collegium Pontificium ausgeschlossen werden, wenn er Glück hatte noch ein Mittelsmann eines seiner Vettern werden können. Hatte er nicht stets behauptet, sie nur glücklich wissen zu wollen? Wäre es nicht darum besser, sie ziehen zu lassen? Er sehnte sich danach, sie zu berühren, sie zu halten, nicht aus Verlangen, nur, um ihr zu zeigen, dass er sie respektierte, sie mit allem würde umsorgen, was ihm möglich war, dass trotz allem er dem Bildnis eines guten Ehemannes mochte entsprechen können. Doch sie verkeilte ihre Arme vor sich, ließ nicht ihn auch nur ansatzweise in ihre Nähe, ließ nurmehr ihn wieder zweifeln an allem, was er war. Um nicht gänzlich sich selbst aus den Augen zu verlieren, besann er sich auf jene Worte, die seit Tagen, seit Nächten, er sich hatte zurecht gelegt - verworfen, neu arrangiert, variiert, rezitiert - die mit jedem Male wahrer hatten geklungen, und doch noch immer so falsch waren.
"Es ist nicht zu leugnen, dass wir eine im Grunde adäquate Ehe führen."
Verheiratet vor den Göttern, wohnhaft im gleichen Hause, immer wieder einmal gemeinsam in der Öffentlichkeit präsent - eine von zahllosen patrizischen Ehen, und in Anbetracht dessen, dass sie beide ihrem Leben nachgingen, ohne sich allzu sehr einander in gewalttätigen Worten oder Taten zu zürnen, war es vermutlich sogar als gute Ehe anzusehen. Gracchus zog einen Stuhl neben den Tisch und ließ sich darauf nieder sinken, senkte gleich seinem Leib auch seinen Blick, denn er konnte nicht Antonia anblicken.
"Dennoch ist wohl uns beiden bewusst, dass etwas fehlt, um dies Bündnis zu komplettieren, und je mehr Zeit in seiner Absenz vergeht, desto dringlicher wird es. Bereits vor einiger Zeit habe ich begonnen, mir ernsthaft ob dessen Gedanken zu machen."
Seine Finger verkeilten sich ineinander, unbehaglich knetete er sie, zögerte, kaute einen Augenblick auf seiner Unterlippe herum, suchte auf dem Boden einen Strang, an welchem es sich festzuhalten, entlang zu hangeln galt, wartete darauf, dass die Villa über seinem Kopfe würde zusammenbrechen, um ihn aus dieser unbeschreiblichen Misere zu erretten. Doch nichts geschah.
"Ich ... verzeih mir, doch ich musste wissen, wessen Verschulden dies ist. Über mehrere Monate hinweg wohnte ich darob jeden Abend einer Sklavin bei."
So war es denn ausgesprochen. Er schämte sich ob dessen, zutiefst. Doch ohne zu wissen, weshalb er sich seiner Sache sicher war, hätte Antonia ihm nicht geglaubt, dessen war er sich sicher.
"Doch es ... ich ..."
Mit einem Male sehnte er sich danach, dass der Hades sich vor ihm mochte auftun und ihn verschlingen. Es war wahrhaft genügend unangenehm, sich selbst gegenüber dies sich einzugestehen, es war bereits eine Überwindung gewesen, Caius einzuweihen, es wäre eine Schmach, einem anderen Mann dies zu gestehen, doch einer Frau, noch dazu seiner Ehefrau - dies war mehr, als Gracchus konnte ertragen. Seine Stimme verlor ihre einstudierte Festigkeit, die zurechtgelegten Worte lösten sich in eine diffuse Wolke aus Nebel auf und die feste Absicht versank im Grund einer endlosen Ödnis.
"Kein Kind reift in ihrem Körper heran, obgleich sie allen Grund gehabt hätte, meinen Bastard auszutragen. Nichts. Nicht einmal der Anschein eines Keimes. Es ist ..."
Ein Hauch in der erdrückenden Stille.
"Es ist allein mein Verschulden, Antonia." -
Aus weiter Ferne klang Antonias Stimme zu ihm, als würde sie längst nicht nur ein wenig Luft und eine ordinäre Holztür durchdringen müssen, sondern aus den verborgenen Tiefen des Orcus hinaus flüchten. Noch einmal atmete Gracchus tief ein und bereitete sich mental auf das vor, was folgen mochte. Sie konnte ihn nicht mehr brechen, denn er war bereits gebrochen, sie konnte ihn nicht mehr anblicken wie ein minderwertiges Exemplar Ehemann, denn er war ein minderwertiges Exemplar Ehemann. Er war das unzureichende Element in ihrem perfekten Leben, er war sich dessen nur allzu gewahr, und es galt nun, den Schaden zu begrenzen, dieser Ehe ihre Ehre zu lassen, gleichsam ohne ihre Notwendigkeiten zu vernachlässigen. Entschlossen öffnete Gracchus die Türe, trat ein und schloss die hölzerne Barriere hinter sich.
"Salve, Antonia. Es ist unumgänglich, dass wir ..."
Er stockte, denn in diesem Augenblick wurde er sich jener Person gewahr, deren Haltung auf dem Korbsessel weder als Sitzen, noch als Liegen zu bezeichnen war. Mehr noch jedoch irritierten ihn die unscheinbaren Haarsträhnen, welche sich in aufmüpfiger Art und Weise vom Haupte seiner Gemahlin steckten, als wollen sie auf etwas hinweisen, was an der Decke oder den Wänden des Raumes verborgen war, so dass er unbewusst ihrem Zeig mit dem Blicke folgte, jedoch nichts ungewöhnliches konnte entdecken. Abgesehen von seiner Gattin, zu welcher der Blick nur allzu bald wieder zurück kehrte. Helle Socken umwanden ihre Füße, so dass Gracchus glaubte, sie bei einer Kurpackung gestört zu haben, welche ihre, vermutlich vom Einkaufen geplagten, Füße sollte erfrischen.
"Verzeih ... ich ..."
Der Anblick brachte ihn vollkommen aus seinem Konzept, welches ohnehin nur auf wankelmütigen Säulen errichtet worden war. Sie sah so völlig anders aus als gewöhnlich. Menschlich.
"Ich wollte nicht ... störe ich?"
In einer langsamen Bewegung stellte Gracchus die kleine bronzene Götterstatuette auf dem Tisch ab. Es war Viriplaca, die gute Göttin der Ehe, zu welcher verheiratete Paare gemeinsam sprachen, wenn häusliche Probleme sie plagten. Anfänglich hatte Gracchus seine Gemahlin zu deren Tempel auf den Palatin bringen wollen, denn Viriplaca war immerhin bekannt dafür, dass sie nur glückliche Paare wieder aus ihrem Tempel nach Hause entließ. Doch natürlich wusste Gracchus als Pontifex um den klandestinen Betrug hinter jenen Worten, denn so das Glück oder die Übereinkunft nicht hergestellt wurde, entließ die Göttin die Eheleute nicht mehr als Paar, sondern als Einzelpersonen. Zudem hatte er Antonia nicht in aller Öffentlichkeit sein Geständnis darbringen wollen, so dass letztlich er sich dazu entschieden hatte, nur ein Bildnis der Göttin mitzunehmen - ein wenig göttliche Hilfe konnte immerhin nicht schaden.
"Ich wollte nur ... über unsere Ehe mit dir sprechen ... und ... ihre Zukunft ..."
Noch immer konnte er seinen Blick nicht von den Haarsträhnen losreißen, welche das helle Licht, das durch das Fenster in den Raum hinein fiel, über Antonias dunkelfarbenem Haupt einfingen. -
Der für das Wetter verantwortliche Iuppiter schien sich an diesem Tage einen Scherz zu erlauben und sandte trotz der kalendarischen Wintertages warme Sonnenstrahlen über die Hauptstadt des Imperium Romanum hinweg, ein Wetter, welches nicht im Geringsten zu Gracchus' Stimmung und Vorhaben wollte passen, so dass er beinahe schon schwankte, ob das vor ihm liegende Gespräch nicht doch besser um einige Tage noch zu verschieben war, bis womöglich wieder anhaltender Regen oder Nebeldunst die sieben Hügel umfangen hielt. Indes nützte alles Warten und Harren nichts, ein Mann musste tun, was ein Mann tun musste, so dass Gracchus all seine Entschlossenheit und jedes Quäntchen Mut, dessen er in seinem Geiste fündig wurde, zusammen klaubte, die kleine bronzene Statue in seine Hände nahm und sich anschickte, zielstrebigen Schrittes zum Gemach seiner Ehefrau zu eilen. Mit jedem gradus jedoch wurde sein Gang langsamer, seine Füße wurden schwerer gleich seines Herzens, so dass er schlussendlich nur zögerlich, zaudernd vor jener Tür angelangte, auf deren Maserung er schon so oft hatte gestarrt, tiefsinnig sich in den feinen Linien und Flächen hatte verloren. Er kannte sie so gut, die kleine, filigrane Schwingung neben dem Scharnier, den gebogenen Wirbel knapp unter dem Griff, den schmalen, nebulösen Flecken, welcher sich von der oberen Hälfte bis fast zur Unterkante der Türe zog, die unzähligen Schattierungen, von welchen nicht wenige einem Gesicht, einer Maske oder auch einem Tier ähnelten - Daimonen, Strigae, Larven und Inferiores schienen es ihn an diesem Tage, welche maliziös ihm entgegen grinsten, kein Wort sprachen und doch damit mehr auszusagen wussten als mit infernalischem Geschrei. Die Stille ließ Gracchus sichtbar frösteln, als habe ihn ein eisiger Windhauch gestreift, welchen nur er zu bemerken vermochte, als habe er urplötzlich entdeckt, dass nichts so war, wie es nur einen winzigen Augenblick davor zu sein schien, als habe er den unvermeidlichen Gast in seinem Ohr flüstern hören: Gräm' dich nicht heute und nimm morgen dir nichts mehr vor. Doch er fürchtete, dass auch dies nur Trug war, dass sein Morgen längst nicht würde kommen und dass eben das endlose Verharren im Heute sein Fluch war, jene Bürde, welche er hatte zu tragen, ob derer er längst nicht mehr wusste, aus welchem Grunde. Als Gracchus hinter sich das leise Streichen von nackten Füßen über den Boden vernahm, war er sich dennoch sicher, dass sein Tag in eben diesem Augenblick würde enden, er ihn würde vor der Schmach bewahren. Er schloss seine Augen in Erwartung des Augenblickes und fühlte eine seltsame Ruhe in sich empor steigen, als auf völlig ungustiöse Weise eine Person hinter seinem Rücken die Nase hochzog und eilig weiter schlich. Langsam öffnete Gracchus die Augen und wandte den Kopf, es war nur ein Sklave gewesen. Ein Seufzen echappierte Gracchus, aus den tiefsten Untiefen seiner Seele empor, und er fragte sich, wie lange er schon vor der Tür verharrt haben mochte. Es würde dennoch nicht besser werden, nichts würde besser werden, je mehr Zeit verstrich, so dass er endlich die Hand empor hob und an die Türe zum Gemach seiner Gattin anklopfte.
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Was auch geschah, Gracchus ließ es geschehen ohne einen Gedanken an seinen Verstand zu verschwenden, ohne den Augenblick nicht mit seinem Leib zu erfassen, zu verschlingen. Jede Unsicherheit ob des weiteren Vorgehens war aus Caius gewichen, er bewegte sich als hätte niemals er etwas anderes getan, als wären all die vielen Frauen an seinem Körper nur Spiel gewesen, unbedeutendes Geplänkel, und er riss Gracchus mit jeder seiner Bewegungen mit. Der Tisch im Raume indes wusste gute Dienste zu leisten und hätte Gracchus nicht bereits seinen Verstand verloren, so mochte er sich darüber gewundert haben, ob sein Vetter das Möbelstück nur eben zu diesem Zwecke im Raume hatte platziert, doch soweit kam es nicht. Nach all den unzähligen Nächten, in welchen er sich der Sklavin Salambó hatte widmen müssen, in welchen stetig von ihm verlangt worden war zu tun, genoss er, sich fallen zu lassen in die Gefilde seines Geliebten, genoss er, tun zu lassen, gleichsam zu tun, gemeinsam zu tun, beieinander, miteinander. Frauen und Männer mochten füreinander geschaffen sein, da eins ins andere passte, doch es gab niemals Similarität und Parität zwischen ihnen, welche ungleich mehr erfüllend war. Beständig und unaufhaltsam kroch das Feuer an der Innenseite Gracchus' Haut empor, verzehrte Stück um Stück seines Körpers, bis gänzlich er in Flammen stand.
"Caius"
, stöhnte er wohlig den Namen seines Vetters, das u in endlose Länge gezogen. Leuchtendes Orange tanzte vor seinen Augen, einem Funkenregen abertausender glitzernder Diamanten gleich, verzerrte sich in reißenden Wirbeln und zerbarst in sengender Detonation. Hart spürte er die Tischplatte unter sich, als er langsam sich der Umgebung wieder bewusst wurde, noch immer raste sein Herz, keuchte sein Atem und in seinen Sinnen wirbelten Fragen um Fragen umeinander, ohne dass nur eine einzige davon greifbar war. Schweiß rann ihm das Rückgrad hinab und beantwortete eine davon - warum Caius begonnen hatte, seine Tunika ihm vom Leib zu schälen, obgleich jenes Gewand für solcherlei Vorhaben doch wie geschaffen zu sein schien. Hinsichtlich solcherlei Vorhaben war sein Vetter ihm doch einiges an Umsicht voraus.
"Es raubt mir den Verstand."
Erstaunt blickte zu Aquilius er als wäre dies eine Frage, welche nur jener zu beantworten wusste, versank für einen Moment in dessen tiefen Augen. Doch noch ehe er zu einer Antwort konnte ansetzen, befreite sich Gracchus von seinem Blick und ließ seine Aufmerksamkeit den Körper des Geliebten entlang wandern. Derangiert strich er mit seinen Fingern über die Schulter seines Geliebten, in der sich der leichte Abdruck einer Zahnreihe zeigte.
"Maris indomitus! War ich das?"
Ungläubig fuhren seine Fingerkuppen um das Mal herum. Er hatte sich gehen, treiben lassen, war getrieben worden, gehetzt, gejagt, durch sich selbst, und ein wenig bereitete ihm dies Sorge, gar Frucht. -
Es war ein Schrein von unzähligen in der Stadt, in einer unauffälligen Straße mit wenig Durchgangsverkehr, prächtig geschmückt mit bunten Kerzen und kleinen Öllampen, vielen Tonfiguren und Votiven - Dankesgaben für ausharrende Eheweiber. Das Abbild des Genius, in Tuffstein gehauen, jedoch war ein wenig verwittert, kaum verwunderlich, da kein Dach es von Wind und Wetter zu schützen vermochte. Es war dies ein Schrein des Domitius, jenes unscheinbaren Schutzgeistes, welcher dafür Sorge trug, dass Ehefrauen im Hause ihrer Ehemännern blieben - und damit gleichsam auch in der Ehe. Gracchus hatte allen Grund zur Sorge, dass der Segen des Domitius bezüglich seiner eigenen Gattin dringend notwendig war. Er stand vor einem überaus exorbitanten ehelichen Problem, doch Antonia wusste noch nicht darum, musste jedoch darum erfahren. Zögerlich biss Gracchus auf seiner Unterlippe herum, drehte gedankenverloren das Päckchen in seinen Händen. Schlussendlich wickelte er drei Opferkekse daraus hervor, atmete tief durch und wandte leise dem Gotte sich zu.
"Domitius, gütiger Heilsbringer, ich, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titius Vespasianus, bitte um Deine Hilfe und Deinen Segen. Nimm diese Gabe, Domitius, wie es Dir zur Ehre gereicht, und mäßige den Zorn meiner Gattin Claudia Antonia, Tochter des Marcus Arbiter, welcher in ihr erwachsen mag ob der Worte, die ich gezwungen sein werde, an sie zu richten, und halte sie mir in meinem Hause. Domitius, gütiger Wächter über die Beständigkeit der Ehe, ich bitte um Deinen Segen ob unseres Bündnisses, auf dass nicht zerbrechen mag, was einst von den Götter begünstigt, auf dass mein Heim das ihre verbleiben mag. Dir, Domitius, will Dein hiesiges Heim ich erneuern, so Du Deine Gunst mir wirst gewähren, dies gelobe ich, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titus Vespasianus, Dir, gütigem Domitius."
Als wären es Scheiben aus Gold legte Gracchus umsichtig und feierlich die Gebäckstücke auf dem Altar ab. Hernach zündete er eine Kerze an einer bereits brennenden Flamme an, ließ ein wenig ihres Wachses auf den steinernen Altar tropfen und befestigte sie darauf. Als er sich abwandte, den Sklaven zu, welche ein Stück die Straße hinab auf ihn warteten, hoffte er zutiefst, dass der Gott ihn erhört haben mochte, denn nicht nur seine Ehe war in Gefahr, mit ihr auch die gesamte Karriere, welche noch vor ihm liegen mochte. -
~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Seine bloßen, nackten Füße strichen vorsichtig über das in grünfarbenen Schatten versinkende Gras hinweg, beugten Halm um Halm und brachen manch einen Zweig unter der Bürde seines Gewichtes entzwei. Geschmeidig drückte der Bogen in seinen Händen sich an seinen Körper, war eins mit ihm, er ein Teil dessen - dunkles, edles Holz hielt die gespannte Sehne und der Pfeil lag zielsicher auf, gleich einer Verlängerung seines Armes. Längst hatte seine Beute er vor Augen, ein braunfarbener Rehbock, welcher mit dahin fließender Bewegung langsam durch das Unterholz strich, ein edles Tier mit sanften, dunklen Augen, den Kopf stolz in die Höhe gereckt, seine Stirne durch ein prächtiges Geweih geziert. Seit Tagen bereits hatte er ihm nachgesetzt, war seiner Spur gefolgt, selbst da er ihn gefunden hatte noch lange klandestin hernach geschlichen. Er konnte den Odeuer des Opfers wittern, das trügerische sich Wiegen in Sicherheit, durchzogen von einem Hauch aus Wachsamkeit. Als den Pfeil er lautlos zurück zog und langsam den Bogen spannte, bog sich das Holz nachgiebig unter seinen Händen, nur unbedeutend schnitt der Strang in die weiche Haut seiner Fingerkuppen. Zischend schoss der Pfeil seinem Ziel entgegen, fegte bei Seite Blätter wie Geäst und bohrte sich durch die unsichtbaren Barrieren der transluzenten Luftpartikel. Scharf waren die Kanten seiner Spitze, stark und unbeugsam sein Schaft, und obgleich ein wenig auf seinem Flug er um die eigene Achse rotierte, verließ er nicht die vorbestimmte Bahn, strebte wie gefordert auf sein Ziel hin zu. Schon hatte er es vor Augen, spitze seine Lippen, begierig darauf den Tod zu küssen, durch das weiche Fell hindurch zu schlagen, zu schneiden bis in das helle Fleisch, hinein in blutrotfarbene Adern, konnte bereits den eisernen Geschmack auf seiner Zunge schmecken, als das Opfer den Kopf zur Seite hin ruckte. Knapp nur hatte die Waffe seines Jägers ihn verfehlt, seit Tagen bereits war er auf der Flucht vor dem furchterregenden Episit, seit Stunden sich des Verfolgers drängend bewusst, doch niemals war er so nahe ihm gekommen. Kein Blick noch blieb für den Pfeil in der rauen Rinde des Baumes, sein Herz pochte in wildem Reigen, seine Füße forderten bereits den Weg, welchen zu gehen mehr als bereit er war, den Feind hinter sich jeden Augenblick fürchtend. Einzig Flucht war sein Ausweg, war sein Heil, denn wenn der Jäger obsiegte, blieb für den Gejagten nurmehr der Tod. Seine bloßen, nackten Hufe hasteten eilig über das in grünfarbenen Schatten versinkende Gras hinweg, beugten Halm um Halm und brachen manch einen Zweig unter der Bürde seines Gewichtes entzwei.
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Mitten in der Nacht erwachte Gracchus aus einem merkwürdigen Traum. Benommen stierte er an die Decke und wunderte sich darüber, dass die Decke über ihm war.
"Diese Ominösitäten"
, murmelte er im Delirium des Halbschlafes treibend, riss augenblicklich die Augen auf und sog scharf die Luft ein.
"Dius Fidius! Der Vorsatz! Dahin!"
Das Jahr hatte noch nicht einmal Gelegenheit erhalten, gänzlich seinen ersten Atemzug auszuhauchen, da war der Vorsatz bereits gebrochen.
"Nächstes Jahr dann ..."
Resignierend seufzte Gracchus, gerade rechtzeitig, bevor erneut zurück in Schlaf versank. -
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Die Sacerdos erwartete Lucanus bereits vor dem Tempel, winkte eine Sklavin herbei, auf dass diese sich der Schweine annahm und sie zum Opfer vorbereitete.
"So du soweit bist, können wir mit dem Opfer beginnen. Ila hier wird sich um die Tiere kümmern, so dass du nach dem Voropfer direkt zum Altar schreiten kannst. Lass' uns hinein gehen."
Catonias Schritte die Stufen des Tempels hinauf waren nicht eben als schwerfällig zu bezeichnen, doch das Alter hatte längst die Kraft der Jugend aus ihrem Körper gefegt. Oben, zwischen den bunt bemalten Säulen, blieb sie einen Augenblick stehen und gab vor, noch einmal nach der Sklavin Ila und den Schweinen zu sehen, die um den Tempel herum verschwanden.
"Alles in Ordnung"
, nickte sie dem jungen Flavius zu und trat durch die große Türe hindurch, die den Tag über immer auf einer Seite offen stand. Das Tempelinnere war erfüllt von nebligen Rauchschwaden, welche das goldfarbene Licht etlicher Kerzen zerteilten. Zahlreiche kleine Statuetten und Votivgaben umgaben das große Bildnis der Iuno Sospita, welches gütig über die Menschen hinweg blickte, zu ihren Füßen sammelten sich bereits Opfergaben - nur so viele jedoch, dass die Masse nicht erdrückend war, denn unscheinbare Tempeldiener räumten die Gaben immer wieder einmal über den Tag verteilt ab. Dadurch, dass der Tempel weit in die Höhe ragte und die prächtige Statue der Iuno bis beinah unter die Decke reichte, erschien sie weit größer noch als sie ohnehin war. Catonia Secunda tauchte ihre Hände in ein Becken mit Wasser, welches neben der Tür im Inneren des Gebäudes aufgestellt war, reinigte sie zum ungezählten Male an diesem Tag und forderte auch Lucanus mit stummem Wink auf, sich ebenfalls die Hände zu waschen. Sie streifte das Tuch, welches ihr offenes Haar bedeckt gehalten hatte, vom Kopf zurück und holte aus einer kleinen Nische in einer der Seitenwände eine Schale voll getrockneter Kräuter zur Räucherung, eine kleine Kanne Wein und einen Blumenkranz, durch welchen sie ihre Hand hindurch streckte. Hernach schenkte sie Lucanus ein aufmunterndes Lächeln. -
Noch war es früh am Tage, doch die meisten Senatoren waren vermutlich bereits seit einigen Stunden auf den Beinen. Abgesehen von jener Dauer, welche (hoffentlich) auf die allmorgendliche Körperreinigung und das Ankleiden verwendet wurde, hatten sie entweder die morgendlichen Pflichten der Aufwartung bei ihrem Patron oder aber des Besuches ihrer Klientel zu erfüllen, manche gar beides. Gracchus selbst genoss derzeit den Vorteil, dass sein Patron fern Roms weilte und so eine Aufwartung nicht notwendig war, doch deplorablerweise weilte auch dessen Sohn fern der Stadt, so dass Gracchus das römische Klientel seines Patrones umsorgen musste und so kaum weniger Zeit am Morgen damit verbrachte denn mit seinem eigenen Klientel und der Aufwartung bei seinem Patron zusammen. Der klare Himmel über der Curia Iulia kündete von einem kalten Tag, obgleich sich die Sonne im Osten müßig ein wenig empor hatte geschoben und langsam hinter dem Esquilin hervorlugte. Kälte jedoch war im Ausharren auf das Erscheinen der Auguren weit besser zu ertragen denn Regen und mit Sicherheit auch eine günstigere Voraussetzung für die Vogelschau, daher grüßte Gracchus wohlgemut die bereits anwesenden Senatoren, unter ihnen auch den Praetoren Tiberius.
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Die Sacerdos nickte zustimmend.
"In einigen Augenblicken ist mir so recht, wie jeder andere Zeitpunkt. Ich werde zwischenzeitlich den Wein und ein Blumengesteck holen und hernach wieder hier auf dich warten."
Erst gegen Nachmittag, wenn die vornehmen Damen aus den Bädern, und zum frühen Abend hin, wenn die arbeitenden Frauen nach Hause würden eilen, würde der Opferbetrieb im Tempel sich vermutlich ein wenig steigern, doch augenblicklich war der Altar nicht eben überfüllt. -
In jenen Augenblicken hätten die Götter Gracchus in den Circus Maximus inmitten ludi circenses stellen können, es wäre ihm nicht im Ansatze möglich gewesen, den trampelnden Pferden und pfeilschnellen Wägen auszuweichen, welche unausweichlich auf ihn würden zurasen - und ebenso unausweichlich war tatsächlich, dass geschah, was geschah, denn andernfalls glaubte Gracchus in Tausende und Abertausende Stücke zerspringen zu müssen. Er spürte die Hufe der Gespanntiere über sich hinwegpreschen, die heißen Eisen der Räder ihre Spuren auf seinem Körper hinterlassen, doch nichts konnte ihn abhalten von seinem Geliebten.
"Jung waren?"
keuchte er unter der Drehung seines Vetters hinweg.
"Wir sind jung, mein Caius."
Ein Hauch nur, leiser Protest über all das, was geschah, fadenscheinig, vordergründig. Wenn dies so war, wenn man jemanden liebte, so hatte er nie zuvor geliebt, niemals zuvor, und er wollte nie wieder dessen verlustig werden. Vergeblich versuchte er in sich hinab zu kämpfen, was aus den Tiefen seines Selbst emporstieg, Rauchschwaden gleich emporwallte, gefolgt von verzehrenden Flammen, in deren heißes Feuer er sich bedingungslos ergab. Hatte noch in jener fernen und doch so deutlich in seiner Erinnerung präsenten Nacht die sanfte, zärtliche Novität jener Relation ihn in sich schwelgen, schweben lassen, so glaubte er zwischenzeitlich an seinem gierigen Verlangen zugrunde zu gehen. Er hungerte nach der körperlichen Präsenz seines Vetters, wie nie zuvor er einen Leib hatte begehrt, ihn dürstete nach Aquilius' Berührung, denn in tiefster Seele und mit Intellekt hatte er seinen Caius schon immer goutiert, und je näher ihre Körper sich kamen, desto mehr verlor er die Beherrschung über sich selbst. Donnertosen gleich brandeten Aquilius' Lippen auf die seinen, verflochten, verwoben sich mit seinem Munde, in seinem Munde, gierig leckten die Flammen der Lust über seinen Verstand, ließen jenen erlöschen, verbrennen zu graufabener Asche, eine marginale Partikelspur im Wind der Begierte. Kein Wort mehr drang über seine Lippen, denn leer war sein Geist, kein Sinn mehr war zu fassen, nur Caius, nur mehr Caius, eins ums andere, einerlei, vereinigt, gemeinsam, einander, beieinander. Ein Ruck befreite Aquilius von den ihn umhüllenden Stoffen der Toga, ließ achtlos das Tuch zwischen ihre Füße sinken, während unaufhörlich Gracchus' Hände über den Körper des Vetters wanderten, seine Finger sich in den Stoff der Tunika krallten, als würde Aquilius ihm entkommen, so er ihn nicht an sich hielt, und er tiefer und tiefer im Feuer der Leidenschaft versank. -
Ein Jahr war vergangen, doch die Retrospektive dessen war Gracchus nicht sonderlich gefällig, weshalb er vermied, dessen zu gedenken, da die Verluste, Miseren und das Unglück nur die Momente des Triumphes und Glückes würden unter sich begraben. Das neue Jahr hatte Einzug gehalten, ohne dass es sich auffällig hätte präsentiert, mit einigen neuen Löffeln, aus welchen doch keine neuen Weisheiten zu schlürfen waren. Indes war es seit jeher Tradition, das neue Jahr mit guten Vorsätzen zu beginnen, und Traditionen waren etwas, das Gracchus seit jeher in Ehren hielt. Es kam daher, dass er nach der Beiwohnung Salambós, welche er bereits aus dem Raume hatte gesandt, allein in seinem Bett lag und nachdenklich die Decke betrachtete, darüber sinnierend, welcher Vorsatz angemessen würde sein. Nach einer Weile schob er eine Hand unter die Decke und strich prüfend über seinen Bauch. Er hatte das Training seit seinem Einzug in die Politik sträflich vernachlässigt, so dass langsam eine mäßig Besorgnis erregende Rundung sich zu formen begann. Eine leidliche Miene überzog Gracchus' Gesicht.
"Mhm. Nächstes Jahr ..."
Womöglich sollte er weniger Trinken oder etwa aufhören zu Rauchen. Die Misere daran war nur, dass er ohnehin nicht viel trank und nicht rauchte, so dass der Vorsatz kein richtiger Vorsatz würde sein, was darum nicht zählte.
"Allfällig könnte ich Antonia öfter ... nein ... nein, das ist zu hart."
Von vorneherein zum Scheitern verurteilte Vorsätze waren ebenfalls nicht zu konnivieren. Gracchus holte tief Luft und blies die Backen auf, ließ langsam den gefangenen Atem entweichen.
"Etwaig Caius öfter ... nein, das ist viel zu einfach."
Vorsätze, welche keine ernst zu nehmende Herausforderung bargen, sondern stille Verwirklichung tiefer Wünsche waren, konnten ebenfalls nicht in Betracht kommen. Lange Zeit noch lag Gracchus' wach, stierte an die Decke ohne zu einem Entschluss zu gelangen und schlief schlussendlich über die Grübelei ein.~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
In sanften, filigranen Schwingungen umspülte das grünfarben schimmernde Wasser zart, mit einem warmen Hauch seine Haut, welche in silbrige Schuppen gekleidet war. Schnellen Flossenschlages schlängelte er sich vorbei an regenbogenfarben glitzernden Perlen, durch die tanzenden Stränge wogender Algenwälder, durch ein schroffes Tor aus Felsen bis in die weit verzweigten Gänge der endlosen Höhlen hinein, in welchen sich das Licht der oberen Welt in allen Facetten des Blau brach, von den steinernen Wänden dispergierend widerhallte und die Welt in einem leisen, flüsternden Klingen verstummen ließ, als würden Eiszapfen im Wind aneinander schlagen. Ein Wort nur gereichte die Luft zum Erzittern zu bewegen, das Wasser um ihn herum gliederte sich subaltern zu feucht schimmernden Tropfen, welche im einen Augenblicke noch still in der Luft neben ihm verharrten, im anderen bereits sich der Schwerkraft ergaben und prasselnd auf den Grund unter seinen Füßen hernieder schlugen, um mit einem letzten, zufriedenen Aufseufzen in ihm zu versinken. Aus dem Felsen vor ihm nickte das steinerne Relief eines Faunus ihm zu und streckte sodann einen starren Arm, die Pforte ihm zu öffnen. Ohne einen Schritt trat er durch sie hindurch, geworfen, gestoßen durch des Faunus' starke Hand, das maliziöse Lachen im Keime erstickend. Rotfarben glimmte der Dunst der Verheißung, wirbelte hinab in endloser Sehnsucht und verlor sich in beständiger Eintönigkeit. Verlangen durchbrach die Stille und fraß sich empor bis zum Gipfel der Selbstsucht, markerschütternd bis tief hinab in sein Gebein. Aus den nebeldurchfurchten Tiefen kroch die saphirfarbene Verdammnis hervor, überwucherte den Leumund der Eitelkeit und verdarb jegliche Disposition. Blaufarben war die Verlockung, blaufarben und deletär. Dennoch streckte seine Hände er empor, griff nach einer der süßen Früchte aus Ambrosia und beraubte sie ihrer Schale, welche mit dumpfem, hohlen Klang hinab zu Boden fiel. Süß lag das Fleisch ihm auf der Zunge, rann bitter seine die Kehle hinab. Langsam verlor sich die Couleur trübe in farbloser Melancholie, versank in devastativer Ödnis und echappierte aus den freudlosen Verließen der Exiguität.
~~~
Mitten in der Nacht erwachte Gracchus aus einem merkwürdigen Traum. Benommen stierte er an die Decke und wunderte sich darüber, dass die Decke über ihm war.
"Diese Ominösitäten"
, murmelte er im Delirium des Halbschlafes treibend - in einer fernen, hinteren Region seines Denkvermögens darüber sinnierend, ob es für diese Gegenden eine Gottheit geben mochte, Halbbruder des Somnus' womöglich.
"Ich werde dies einstellen."
Endlich war der gute Vorsatz gefasst, gerade rechtzeitig, bevor Gracchus erneut zurück in Schlaf versank. -
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Obgleich weder Lucanus noch die Sacerdos davon etwas ahnten, dachte der junge Flavier im Grunde - obgleich er andere Meinung war - eben dies, was sie hatte ausdrücken wollen - obgleich dies womöglich missverständlich war ausgedrückt worden, da eine simple Ausdrucksweise es nicht immer einfacher machte, einen komplexen Sachverhalt zu beschreiben - denn wäre es anders und die Götter würden ihre Aufmerksamkeit einzig dem generell Besten von allem im Allgemeinen schenken, so wäre Lucanus' Opfer, wie abertausende andere Opfer auch, von vorneherein zum Scheitern verurteilt, würde er nicht den Pontifex Maximus dazu bewegen können, eine mittelgroße Kuhherde als Dankesgabe für die Erfüllung seiner Bitte zu opfern. Zwei Ferkel jedoch waren für Lucanus in dessen Situation für diesen Wunsch angemessen, wohingegen bei gleicher Bitte ein ärmlicher Pelbeierjunge sicherlich Iunos Aufmerksamkeit auch durch eine Taube hätte erlangen können, ein Magistrat dagegen zumindest eine große Sau oder ein Schaf hätte opfern müssen, um einen Anschein von Ernsthaftigkeit zu wahren. Do ut des - gutes Opfer, gute Chancen - doch was für den einen gut war, mochte der andere als mäßig nur ansehen, gemessen an seinen eigenen Möglichkeiten.
"Zwei Ferkel scheinen mir eine gute Wahl zu sein. Achte darauf, dass es weibliche Tiere und sie auch schön hell sind. Für das Voropfer kann ich dir aus den Tempelbeständen ein wenig Wein und Blumen verkaufen, oder aber du siehst dich ebenfalls nach etwas passendem auf den Märkten um."
Zwei Ferkel schienen Catonia Secunda in der Tat äußerst angemessen, denn die Chancen standen dabei nicht schlecht, dass das Fleisch zumindest eines davon dem Tempel als Spende würde verbleiben und so letztenendes auf dem abendlichen Esstisch der Sacerdos würde landen. Die Vergütung des Tempeldienstes war nicht unbedingt schlecht, doch auch nicht sonderlich gut, zudem hatte sich Catonias Gemahl seit seinem Scheitern in der Politik standhaft geweigert, einer Tätigkeit nachzugehen, so dass das Essen selten sehr feudal ausfiel.Sim-Off: Für ein kleines blutiges Opfer bedarf es eines Lammes, einer Kanne Landwein, fünf mal Blumen/Kräuter und Gebäckes. Du kannst Teile davon oder alles zusammen, was Lucanus von den Märkten mitbringt, mir als Angebot einstellen, ich werde es zu einem Opfer kumulieren und dir entsprechend bepreist zurücksenden.
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~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Stille rauschte durch die leblosen Gefilde der Welt, schwarzfarben und weißfarben, dazwischen Tausende und Abertausende Schattierungen des Grauen. Schroff und rau war der Stein zu seinen Füßen, unbehauener Fels ohne eine Spur der Vegetation, ohne weiche Flechten und sanfte Moose, ohne einen einzigen krummen Halm. Endlos die Weite, über ihm nur die finstere Kuppe des maroden Himmels, sternenlos, mondlos, bedeutungslos und sinnlos.
"Hallo?"
Dünn und fahl hallte seine Stimme durch die gierige Nacht, durchschlug die Stille gleich eines Paukenschlages und donnerte auf ihn hernieder, um unter ihrem scharfkantigen Geröll ihn zu erdrücken.
"Hallo?"
wagte noch einmal zitternd er die stehende Luft in Resonanz zu versetzen, anzustoßen mit seinem quälenden Hauch. Aus dem Dunst einer schemenhaften Wolke schälte sich die filigrane Silhouette einer blonden Gestalt, groß und schmal, mit lachenden Augen und freundlichem Blicke - unwirklich - nicht epiphan, doch einer anderen Ebene entsprungen, einer fernen, fremden Realität.
"Wo ist sie?"
fragte verzweifelt er das güldene Wesen, dessen Haar wogte im Winde, einzelne Strähnen Schlangenköpfen gleich.
"Sie ist fort."
Sanft umschmeichelte der Klang Ihrer Stimme die graufarbene Welt, zerteilte mit seiner Harmonie die Ödnis, bedauernd und in Wehmut gebadet.
"Wohin?"
Desperation hatte Besitz ergriffen von all seinen Sinnen, stilles Zerfallen in partikuläre Häuflein, sanft aufgeschichtet zu kleinen, pyramidesken Gebilden durch Ihre Hand, Auflösung in farblose Couleur.
"Fort."
Eine Woge von Zuhause durchschwemmte die Szenerie.
"Dorthin, wo sie alle zurück kehren an ihrem Ende."
Mit einem Lachen, nicht hämisch, nicht maliziös, sondern hell und singend, wirklich, unendlich, hob Sie ihre Hand und tippte mit langem, schmalen Finger an Ihre Schläfe.
"Denn wenn ihr eigenes kleines Flämmchen sinkt, dann schlafen sie eine Nacht, für immer."
Wie Sie Einzug hatte gehalten, verblasste Sie und verblühte zu staubiger Prärie. Einem Ozean gleich sammelte sich in seinem Auge die salzige Flüssigkeit ob des Erkennens, stieg und stieg, bis dass schlussendlich über die Wölbung seiner blassen Wange sie rann, von seiner bleichen Haut sich löste und in endloser Langsamkeit die Moleküle der Luft bei Seite drängte, den Gesetzen der Erde folgte. Das güldene Licht einer Kerze spiegelte sich auf der glänzenden Oberfläche des Tropfens, spiegelte eine bunt glühende Welt, wie sie hätte sein können und doch niemals war, bis dass die Träne den Boden berührte, mit tosendem Krachen auf dem sandigen Grund zerbarst, verschluckt wurde von der Ödnis für immer.~~~
Nicht schreckhaft war Gracchus' Erwachen in dieser Nacht, ein langsames Hinausdämmern aus dem Reich des Todes' Bruders in die wache Welt der Erkenntnis, doch um so schmerzvoller, um so mehr voll Pein und Weh. Sie war fort, fort auf immer. Sein Leib zitterte, erbebte klandestin, Kälte kroch ihm durch Mark und Bein und das Frösteln wollte nicht weichen, so sehr sich Gracchus auch in die Decke wickelte. Das unangenehme Gefühl des feuchten Kissens unter seiner Wange ließ ihn gewahr werden, dass Tränen seinen Augen echappierten, Ströme von glänzenden, salzigen Perlen. Für sie, die nie gewesen, und doch so viel bedeutender als alles andere gewesen war.
"Kalliope."
Ein erstickter Hauch nur, ein Aufstöhnen der Erkenntnis, sich eilends in der Dunkelheit verlierend, sich verflüchtigend in der Kälte der Nacht - und doch alles war, was blieb von ihr. In weiter Ferne des Schlafes erklang das Lied eines Rastlosen, welcher von Kreuzung zu Kreuzung eilte, an vielen vorbei und doch von niemand erinnert, von Küste zu Küste floh, Zug um Zug dem Morgen entgegen, begleitet von seinem einsamen Klagen den Sonnenstrahlen hernach, denn ohne die süße Muse wollte auch er nicht verweilen.