Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Zitat

    Original von Flavia Minervina et Lucius Germanicus Maximianus


    Nach dem gelungenen Opfer wandte sich auch Gracchus dem Opfermahl zu, auch wenn ihm der Sinn nicht nach belangloser Konversation stand, pochten hinter seinen Schläfen doch noch die Nachwirkungen des Styrax. Er ließ sich einen Becher Wein reichen und mischte sich unter die Menge, als ihm eine Person ins Auge stach, deren Anblick ihm beinahe das Herz aussetzen ließ. Zuerst glaubte er einer Täuschung der Sinne zu erliegen, hervorgebracht durch die berauschenden Dämpfe der Räucherung, doch je näher er dieser Person kam, desto deutlicher wurde, dass dies kein Trugbild war. Sie sah aus wie ihre Mutter, wie seine Mutter, wie er jene in Erinnerung behalten hatte aus der Zeit, in welcher er Rom, nach Achaia geschickt, verlassen hatte. Minervina war zu einer Schönheit herangereift seit er sie zuletzt gesehen hatte. Dies mochte bei der Bestattungsfeier ihres Vaters gewesen sein, damals, als er auch Lucullus zum letzten Male gesehen hatte, bevor jener ebenso wie er nach Rom zurückgekehrt war. Sie war eine Fremde für ihn gewesen und doch war sie an seiner Seite geschritten, wie eine Schwester, wie die Schwester, die sie war. Sie war auch hier und heute eine Fremde für ihn und doch war sie auch heute seine Schwester. Gracchus trat auf Minervina zu, welche im Gespräch mit einem Mann inbegriffen war.
    "Verzeih."
    Die Entschuldigung galt dem Gracchus unbekannten Mann, welchen er mit schnellem Blick vom Haaransatz bis zu den Fußsohlen musterte und irgendwie seiner Schwester zuzuordnen versuchte, jedoch weder Erinnerung noch Zusammenhang in seinem Gedächtnis fand. Im folgenden war dieser Mensch ohnehin nur noch nebensächlich.
    "Minervina, welch eine Freude, dich wohlauf zu sehen. Seit wann bist du in Rom?"
    Ein feines Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen und täuschte über seine große Verwunderung über diesen Umstand hinweg.

    Obwohl Gracchus die Vitalia bis ins letzte Detail prüfte, war das Ergebnis jener Prüfung für den Verlauf des Opfers eher nebensächlich und einzig für die Collegien interessant, welche sich im Falle des Missfallens der Gottheit in den folgenden Tagen damit würden mehr oder minder intensiv befassen müssen. Doch die Innereien der drei geopferten Widder waren ohne Makel, der Aufwand für die Priester somit gespart, und Gracchus hob die Hände zum wartenden Volk hin.
    "Der himmlische Saturnus, Vater der Götter, Vater der Erde und allen Wachstums, König des goldenen Zeitalters und Schützer des Imperiums, nimmt das Opfer des römischen Volkes gerne und wohlwollend an! Litatio!"
    Während eine Woge der Erleichterung durch die Menge brandete, entzündete ein Sklave das Feuer in der bronzenen Schale auf dem Opferaltar. Ein scharfer Windhauch fegte über das Forum und fachte die Flammen an, als Gracchus die dem Gott zustehenden Fleischteile mit Mola Salsa bestrich und sie ihm damit noch einmal explizit als Gaben weihte.
    "Wie es Dir zusteht, göttlicher Saturnus, diese Gaben für Dich, mannigfaltige Wurzel des Seiens, Bewahrer der römischen Schätze, über und unter der Erde, wie es Dir zusteht, an dem Dir geweihten Tag, welcher der Deinige ist, diese Gaben für Dich!"
    Der Geruch des verbrennenden Fleisches vermischte sich mit dem Duft der Styraxkörner, welche Gracchus zwischen den einzelnen Fleischstücken immer wieder über das Feuer streute, und welche in großen Räucherbecken vor den Stufen des Tempels nun exzessiv von den Ministri verbrannt wurden. Die Nasenflügel des Sacerdos bebten unter dem grauen Rauch, der eingeatmet erneut seine Sinne verwirrte, nicht nur belebt durch das berauschende Harz, sondern gleichzeitig dumpf und benebelt von dem Brandgeruch. Eher in Routine versinkend, denn bewusst, schloss Gracchus das Opfer nach der Verbrennung der Vitalia ab. Die Böcke waren längst zerlegt und das restliche Fleisch in die Tempelküche gebracht worden, um dort gekocht und zubereitet zu werden für den Verkauf an das Volk.
    "Bürger Roms, Söhne und Töchter der Götter! Wie es Saturnus zusteht an diesem Tag zu speisen, so seid auch ihr geladen, an seiner Tafel zu partizipieren und ihn zu ehren, wie es eure Pflicht ist, wie es ihm zusteht!"
    Seitlich des Tempels, wo sie seit einiger Zeit schon gewartet hatten, traten nun Sklaven hervor, in ihren Händen große Körbe mit frisch gebackenem Brot oder hölzerne Tabletts mit Tonbechern voll verdünntem Wein. All jenen Bürgern, welche dem zwanglos feierlichen Teil des Opferfestes noch beiwohnen wollten - und dies waren die meisten, kamen viele doch hauptsächlich deswegen - teilten sie die Gaben aus. Wenig später wurde auch das Fleisch herbeigebracht, welches an diesem Tag zum Verkauf bereitgestellt wurde.



    Sim-Off:

    WiSim, Cultus Deorum: Brot, Wein und Opferfleisch: Fest des Saturnus.

    "Vettern ... wir sind Vettern."
    Jahrelang hatte sich Gracchus durch die Rhetorikausbildung hindurch gekämpft, Literatur gewälzt, Literatur rezitiert, berühmte Reden studiert, seine Ausdrucksweise verfeinert, seine Stimmlage perfektioniert, sich darauf vorbereitet mitreißende, intelligente, bestechende und dabei auch noch verständliche Reden von sich zu geben und undurchsichtige Sachverhalte plausibel darzulegen. Doch es hatte nicht ausgereicht, um in eben diesem Augenblick einen ausgereiften zusammenhängenden Satz zu formulieren. Womöglich sollte er sich statt des Iuppiters ein wenig mehr um den Mercurius, den Gott des geflügelten Wortes, kümmern, doch war es nicht Iuppiter, jener, der die Götter liebte, welcher ihn im Grunde davor bewahren sollte, sich aufgrund nebensächlicher Gefühlsregungen in solcherlei Situationen zu manövrieren? Nun stand er hier, verschämt wie ein pubertierender Jüngling, anstatt wie ein Mann von Welt sich der Konversation hinzugeben, wie man es von einem gewesenen Magistraten erwarten können sollte. Ein Imperium für einen Becher Wasser, Tiberwasser wenn nötig. Wieder schluckte Gracchus, obwohl es wenig gab, denn leere Luft, was sich zu Schlucken gelohnt hätte. Der Mann vor ihm war einer der wichtigsten Männer des Reiches, ein Plebeier zwar, doch immerhin würde er bald zur Nobilitas Roms gehören, die Gelegenheit nun nicht zu nutzen, dies würde einzig von Dummheit und Verschwendung zeugen. Gracchus hasste beides.
    "Nun ... Consul ... wie steht es um unser Reich? Man hört von Aufständen in Hispania und Übergriffen in Germania, ferne Provinzen und dennoch sollte es uns stets mit Sorge erfüllen, wenn dererlei ernst zu nehmen ist. Immerhin zeigte die Geschichte schon des öfteren, dass dies nicht ernst zu nehmen ein großer Fehler sein kann. Sind dies Dinge, welche den Senat beschäftigen, oder brauchen wir uns darum kaum Sorge zu machen?"
    Einmal die Stimme in Gang, zeigte sich nun doch noch die Effizienz seiner Ausbildung, und ehe sich Gracchus wieder von anderen Sinnen ablenken ließ, war es ihm tatsächlich gelungen, sich einer mehr oder minder sinnvollen Konversation zu stellen.

    Niemals in seinem Leben hatte Gracchus eine Wüste gesehen, geschweige denn die dortigen Verhältnisse am eigenen Leibe erlebt. Zwei Monate hatte er einst in Aegyptus zugebracht, war dabei jedoch nicht über die Hauptstadt Alexandria hinausgekommen. Dennoch, in diesem Augenblick wusste er instinktiv, dass seine Kehle einer Wüste glich. Er räusperte sich leicht, obwohl ihm eher danach war, wie ein Verdurstender nach Wasser zu rufen.
    "Flavius Gracchus ... Sacerdos publicus und ... Quaestor Principis der zurückliegenden Amtszeit."
    Sich der vollen Aufmerksamkeit des Viniciers bewusst, bemerkte Gracchus nun auch das Rauschen in seinen Ohren. An manchen Tagen war das Leben ein schlimmerer Alptraum, als ihm die Nächte je bescheren konnten, denn am Ende der Nacht lag immer ein Erwachen, doch der Tag brachte kein solch gütliches Ende.

    Noch immer ein klein wenig hingerissen von dem Möbelstück , lauschte Gracchus mit halbem Ohr der Begrüßung des Aurelius Cicero, als der Consul im Raum erschien. Es war wahrlich ein Erscheinen, wie es eines Consuls würdig war, zumindest aus der Perspektive des Flaviers heraus. Gracchus schluckte schwer.
    "Salve, Consul Vinicius."
    Seine Worte klangen gedehnt und während sich ihr Nachklang noch den Weg aus dem Raum hinaus suchte, fühlte Gracchus eine leichte Hitze in sich aufsteigen. Natürlich hatte Durus in seiner Einladung auf das potentielle Erscheinen des Consuls hingewiesen, natürlich hatte Gracchus damit gerechnet, doch nichts hatte ihn auf das Eintreffen des dieses Mannes vorbereitet. Vinicius Lucianus stand seinem Bruder in nichts nach, weder im Consulat noch ... in anderen Dingen. Gracchus spürte seine Kehle regelrecht ausdörren und er war sich dessen bewusst, dass er kein weiteres Wort würde daraus hervorbringen, bis nicht eine kühle Flüssigkeit seinen Hals wieder befeuchtet hätte, womöglich nichteinmal dann. Er versuchte einen möglichst unscheinbaren Eindruck zu erwecken, um die Zeit bis zum Niederlegen und ersten Ausschenken der Getränke ohne die Notwendigkeit eines Gespräches zu überstehen. Solcherlei Zusammenkünfte hatten ihn schon des ein oder anderen Males in recht prekäre Situationen gebracht, und die Vorstellung, dass dies nach der Hochzeit mit Antonia der Vergangenheit anghehörte, war augenscheinlich ein Trugschluss gewesen.

    Die frische Luft war es, im Winter tatsächlich auch mitten in der Stadt einigermaßen frei von Gerüchen, welche Gracchus die Sinne während der Prozession wieder klärte. Spätestens, als sie das flavische Amphitheater umsschritten, kehrten seine Gedanken zurück in rationale und geradlinige Bahnen, und er konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Aufgabe. Als König des goldenen Zeitalters, in welchem der Ertrag nicht gesäht, sondern nur geerntet werden musste, entthront und von seinen eigenen Kindern in Ketten gelegt, fristete der uralte Saturnus sein endloses Dasein. Der heutige Festtag galt nicht, wie die Saturnalien, der Erinnerung und Feier des längst vergangenen goldenen Zeitalters und des Saturnus als dessen Regent, sondern einzig des Gottes selbst. Bis zum Tempel hatte Gracchus noch genügend Zeit, seine Konzentration wiederzufinden und das weiter andauernde Murmeln des Namens half nicht nur dabei, sondern auch sich auf das Opfer einzustimmen. Am Ende des Forums und Beginn der Straße hinauf auf den capitolinischen Hügel stand jener Tempel, in dessen Keller Saturnus über das Aerarium Populi Romani, den römischen Staatsschatz, wachte. Nachdem die Prozession dort zum Stillstand gekommen, die Statue postiert, die Trommeln verstummt, die Partizipierenden symbolisch gereinigt und zur Ruhe aufgefordert worden waren, folgten die rituelle Darbringungsformel und Handwaschung. Gracchus bemerkte, dass seine Hände noch immer ölig von der Salbung der Statue waren, doch hinsichtlich der rituellen Bedeutung des Öls war dies unbedenklich. Während junge Knaben begannen auf ihren Tibiae zu spielen, weihte Gracchus die Widder neben dem steinernen Altar mit Wein und Mola Salsa. Schließlich nahm er eine pergamentene Rolle entgegen, entrollte diese, wandte er sich der Menge zu und verlas das uralte Gebet.

    "Himmlischer Vater, großmächtiger Titan, höre,
    Großes Lob von Göttern und Menschen, welche alle dich verehren:
    Du, der du über mannigfaltige Weisheit verfügst, so rein und stark,
    Zu dem Vollkommenheit wie Vergehen gehören.
    Dir erliegen all die Formen, welche gar stündlich sterben,
    Durch dich gedeihen sie, wenn ihr Leben du ihnen einhauchst.
    Die Welt so unermesslich in unaufhörlichem Kreis,
    Durch deine Macht umfasst so stark und unbeschreiblich.
    Vater der gewaltigen Ewigkeit, Göttlicher,
    Oh mächtiger Saturnus, vielfaltige Sprachen sind in dir:
    Die Blüte der Erde und des gestirnten Himmels,
    Gatte der Rhea, und Prometheus Weisheit.
    Geburtshelfer der Natur, ehrwürdige Wurzel,
    Aus welcher die mannigfaltigsten Formen des Seins erwachsen.
    Kein anderer kann deine Macht umfassen,
    Verbreitet in allem, aus welchem die Welt entsteht.
    Oh, größtes aller Wesen, von scharfsinnigem Verstand,
    Glückverheißender, höre die heiligen Gebete wohlgeneigt;
    Den sakralen Riten wohne wolhlwollend bei,
    Und gewähre ein schuldloses Leben, ein gesegnetes Ende."

    Der Sacerdos publicus zog das Opfermesser und strich allen drei Böcken der Reihe nach vom Nacken bis zum Schwanzansatz. Sodann reichte er die Klinge dem Victimarius weiter. Die Trommeln setzten wieder ein, schlugen in schneller Folge, steigerten sich zu einem Wirbel, nur um schließlich mit einem Schlag zu verstummen.
    "Agone?" Der Schlächter hob das Messer um seiner Frage Nachdruck zu verleihen. Gracchus holte tief Luft.
    "Age!"
    Ein schneller Schnitt schlitzte den Bauch des Tieres auf, Blut floss in Mengen und der Bock brach ohne eine weitere Regung ein. Während dem Opfer durch einen Popa die Eingeweide noch entnommen wurden, trat der Victimarius bereits an das zweite Tier heran und die Zeremonie wiederholte sich. Auf das Agone? folgte das Age! und auch jener Widder fiel, stark aus der frischen Schnittwunde blutend, zu Boden. Auf ein drittes Agone? folgte ein drittes Age! und als der letzte Bock bereit war, ihm die Vitalia zu entnehmen, lagen die Innereien des ersten schon in den Opferschüsseln und wurden Gracchus angereicht, welcher eingehend ihren Zustand prüfte.

    Dumpfe Klänge drangen aus dem Tempel des Saturnus am Fuße des Forums, bahnten sich ihren Weg hinaus durch die geöffneten Türen, mitten in die Stadt hinein, zogen vorbei an den Ohren zahlreicher Zuschauer, die gekommen waren, den Saturnus an diesem Tage zu feiern, wie es ihm zustand. Neben diesen dumpfen, monotonen Schlägen der Trommel drang nur der Schein der Flammen aus den Feuerschalen aus dem Tempel hinaus, und höchstens jene, welche direkt vor dem Gebäude und mit Sicht durch die große Pforte hindurch standen, höchstens jene sahen ab und an eine Gestalt durch die Cella umhergehen, doch auch sie konnten nur wenig erkennen, ward ihr Blick doch zuerst die Stufen hinauf gerichtet und streifte somit für gewöhnlich nur die Dunkelheit, welche sich unter dem Dach des göttlichen Hauses dahinzog. Im Tempelinneren wurde in eben jenem Augenblick ein kleineres Abbild der imposanten Statua des Saturnus mit Öl gelsalbt, welches einen intensiven Duft nach Costoswurzel verströmte, der sich mit dem schweren, süßlichen Geruch der Styrax-Räucherung vermischte und so zu einer gleichermaßen anregenden wie entspannenden Atmosphäre beitrug. Flavius Gracchus, seines Zeichens Sacerdos publicus und für das Gelingen des heutigen Kultaktes verantwortlich, nahm ein weiches, ledernes Tuch entgegen, und rieb mit bedächtigen, langsamen Bewegungen die Statue damit ab, rieb das kostbare Öl sorgsam in den weichen Stein. Der Duft, Costus wie Styrax, welchen er tief einsog, berauschte ihn regelrecht, ließ seine Sinne die Umgebung ein wenig langsamer wahrnehmen, als sie tatsächlich an ihm vorüber zog, ließ ihn den Fluss der Zeit beobachten, wie dies sonst nur mit dem Dahinfließen eines Flusses möglich war. Tempeldiener brachten die dunkelgrünfarbene Tunika herbei, welche dem Saturnus um den Körper gelegt und verschlossen wurde, sodann wurde ihm die Toga, von gleicher Farbe und mit goldenen Fäden durchwirkt, um die Schultern und in Falten gelegt. Zum Abschluss nahm Gracchus einen Kranz aus Lorbeer, eben von jener Art wie ihn an diesem Tage alle anwesenden Sacerdotes trugen, und bettete ihn auf dem Kopfe der Statue. Die Trommeln wurden nun in schnellerem Takt geschlagen, während die Priester begannen den Namen des zu feiernden Gottes zu preisen, ein ums andere mal, in schier endloser Wiederholung, in forwährender Iteration.
    "Saturnus! Saturnus! Saturnus! Saturnus! Saturnus!"
    Einzig Gracchus fiel die Aufgabe zu, mit erhobenen Armen und zum Himmel gewandten Handflächen Saturnus, einen der ältesten unter den Göttern, anzurufen und ihn um seine Aufmerksamkeit und Gunst für das ihm zu Ehren gehaltene Opfer zu bitten. Doch Gracchus' Worte gingen unter im Ton der Trommeln und der Litanei der Sacerdotes.
    "Saturnus! Saturnus! Saturnus! Saturnus! Saturnus!"
    Als Gracchus seine Arme senkte und sich umwandte, hoben die Sklaven die auf einer offenen Sänfte stehenden Statue an und trugen sie langsam aus dem Tempel hinaus, gleitet von jenen Sklaven, welche die Trommeln schlugen. Die Sacerdotes folgten, unter ihnen Gracchus, sich jeden einzelnen Schrittes mehr bewusst als allem anderen, den verklärten Blick starr geradeaus auf den vor ihm schwebenden Saturnus gerichtet und nun ebenfalls wie die übrigen Priester den Namen des Gottes in fortwährendem Gemurmel preisend. Bevor das Volk sich der Prozession anschließen konnte, wurden die Opfertiere in den Zug geführt, drei weiße Widder, deren Fell mit kleinen Metallspänen gespickt war, so dass es im Licht der weichen Wintersonne silbrig glitzerte, deren prächtige Hörner und Hufe goldfarben glänzten, und deren Augen mindestens ebenso verklärt dreinschauten, wie jene der Priester. Da die Prozession nur das Forum umschritt, vom Tempel des Saturnus aus an der Basilica Iulia, dem Atrium Vestae und Porticus Neronis vorbei zog, einmal das Amphitheatrum Flavium umrundete und zwischen der Basilica Aemilia und den Kaiserforen hindurch zum Tempel des Saturnus zurückkehrte, war keine Eile gefordert und keine Eile gegeben.

    Nachdem die Hände gereinigt und getrocknet waren, trat Gracchus in den ansprechend hergerichteten Raum hinein und auf den Gastgeber zu.
    "Salve, Tiberius. Oder wäre es angemessener, Aedilis curulis zu sagen? Wie dem auch sei, lass dir für die Einladung danken und meinen Glückwunsch zu deiner Wahl aussprechen, auch wenn es denn schon einige Tage zurückliegt. Der Purpurstreifen kleidet dich vorzüglich."
    Ein Lächeln umspielte Gracchus' Lippen, während sein Blick kurz durch den Raum wanderte und schlileßlich auf dem Möbelstück im Zentrum liegen blieb.
    "Ein Sigma, wie originell!"

    Noch ehe der Ianitor ihn einließ, gesellte sich auch Aurelius Cicero an die Tür.
    "Aurelius, salve."
    Gracchus war im Beginn, einige Worte mit seinem vorigen Mitquaestor zu wechseln, als sie denn eingelassen wurden und dem Ianitor vorerst folgten.

    "Caius!"
    Schweißüberströmt schreckte Gracchus aus dem Schlaf auf, schwer atmend, die Augen weit aufgerissen, sich im trüben Licht des nahenden Morgens desorientiert umblickend. Das Bett neben ihm war leer. Selbst wenn Sciurus sein Lager die ganze Nacht hindurch teilte, so stand der Sklave schon weit vor Sonnenaufgang auf, um seinen morgendlichen Pflichten nachzugehen. Er war es auch, welcher bereits eine kleine Lampe entzündet hatte, deren weiches Licht sich mit den ersten Strahlen des Tages vermischte und das Zimmer in einen warmen Schein tauchte. Doch Sciurus war nicht derjenige, welchen Gracchus neben sich erhofft hatte. Langsam klärten sich seine Sinne, doch der Schrecken des Traumes blieb haften, hielt sein Herz umklammert auch im Bewusstsein der Realität, war jene doch kaum besser. In seinem nächtlichen Traum hatte Caius die Villa verlassen, hatte Rom verlassen, um nie wieder zurück zu kehren, und Gracchus hatte keine Worte, keine Tat finden können, welche ihn aufgehalten hätte und dabei nicht in Schande auf sie alle zurückgefallen war. Doch was brachte der Tag an Linderung des Schmerzens, was brachte der Tag an Erleichterung, da Caius nicht fern und doch unerreichbar blieb? Gracchus hob die Hände vor sein Gesicht und vergrub dieses darin. Einige Minuten saß er nur schweigend da, beruhigte seinen Atem und drängte die Bilder vor seinen Augen tief in sein Innerstes hinab. So einfach es auch war, die Gegebenheiten am Tage zu ignorieren, hinter Pflichten und Arbeit zu verbergen, jede Nacht holten ihn seine vergebenen Sehnsüchte, unerfüllbaren Wünsche und verlorenen Hoffnungen wieder und wieder unbarmherzig ein, zerbarsten vor seinem inneren Auge und ließen ihn verstört, zerstört und zerbrochen in den nächsten Tag hinaus. Er schlug die Decke zurück und quälte sich mühsam aus dem Bett. Seine Glieder waren schwer und es schien ihm, als hätte er keine Stunde geschlafen. Trotz der kurzen Tage des Winters würde ihm der kommende endlos erscheinen, wie so oft, wie all die vergangenen Tage, seit er seinen Vetter seines Lebens verwiesen und eine Frau an seiner Seite wusste, die er nur ein einziges Mal angerührt hatte. Gracchus hoffte inständig, dass zumindest Vitumnus Gnade mit ihm haben, und ihm im Ausgleich zu all den nächtlichen Qualen wenigstens einen Sohn schenken würde.

    Mochte der junge Serenus ein Rebell sein, er blieb ein Patrizier, ebenso wie Gracchus, welcher ob dieser Tatsachen nicht gewillt war den Widerspruch des Kindes zu dulden. Doch ebenso gab es nur wenig, was Gracchus' geduldiges und zumeist milde gestimmtes Gemüt erhitzen konnte, weshalb keine Zurechtweisung erfolgte, sondern eine Erklärung.
    "Es ist und bleibt ein Tier, Serenus. Sieh dir Sciurus an."
    Mit einer unbestimmten Geste wies Gracchus auf den blonden Sklaven, welcher allzeit um ihn herum war, wie ein Schatten seiner selbst, und immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte.
    "Er ist mein Leibsklave, er ist mein Custos Corporis und Scriba personalis. Er folgt mir, wohin ich gehe, hat Vorrechte, welche nur wenige Sklaven in diesem Haus genießen, und sicherlich ein besseres Leben, als so mancher Plebeier draußen in der Stadt. Er ist äußerst schicklich, sich seines Standes bewusst und von untadeliger Herkunft. Um bei deinem Vergleich zu bleiben, Sciurus ist ein Patrizier unter den Sklaven. Dennoch, er ist ein Sklave und er bleibt ein Sklave, selbst dann noch, wenn Fortuna ihm eines Tages die Freiheit in die Hände spielen sollte, denn wen sie einmal in Besitz verwandelt hat, dem ist es für immer unmöglich, seine Würde zurückzuerlangen. Gleichermaßen verhält es sich mit allen Ständen und auch mit den Tieren, ein jeder ist, was die Götter ihm zugedacht haben, und dies bleibt er. Dein Hund bleibt ein Hund, wie mein Sklave ein Sklave bleibt, und weder Sklave noch Hund haben gemeinsam mit den Herren etwas am Tisch zu suchen."
    Auf die Worte des Jungen über die kaiserlichen Flavia hin kräuselten sich Gracchus' Lippen zu einem feinen Lächeln, welches er hinter der Hand verbarg, mit welcher er sich auf die Kline stützte. Es war in den eigenen vier Wänden nicht ungewöhnlich, dass Flavia über ihre Herkunft und Zukunft hinsichtlich der kaiserlichen Linien sprachen, doch dass bereits Serenus sich mit solcherlei Gedanken befasste, dies amüsierte ihn.
    "Wer weiß, vielleicht wirst du eines Tages Imperator. Zwar hat der hochgeschätzte Caesar Valerianus bereits einen Sohn, doch es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass ein Kaiser seinen Nachfolger an Kindest statt annimmt."
    Davon abgesehen, dass die Herrschaft des Caesar längst nicht gesichert war, solange der Imperator noch lebte. Aus politischem Kalkül heraus, oder aber auch nur einer Laune nachgebend, konnte jener jederzeit einen anderen Mann zu seinem Nachfolger bestimmen.
    "Benimm dich schicklich, vor allem in Gegenwart der kaiserlichen Familie, widme dein Streben den Tugenden und dem Imperium, und setze dich darüber hinaus nicht mit Tieren und Sklaven an einen Tisch, vielleicht wist du dann eines Tages den Namen Flavius zurück in den Palatium Augusti tragen."
    Einen Moment überlegte Gracchus zu erwähnen, dass dies ganz sicher auch nicht geschehen würde, solange Serenus mit seinem Rennwagen den Rasen der Villa Flavia maltretieren würde, doch er war sich nur allzu bewusst, zu was junge Knaben getrieben wurden, denen das Spiel in der heimischen Villa verwehrt blieb. Mit einem erregenden Kribbeln, gleichermaßen jedoch auch mit einem gewissen Schauder erinnerte er sich daran, in welchen Gegenden sich Aquilius und er selbst herumgetrieben hatten, um sich ihrer jugendlichen Energien zu entledigen. Eingedenk mancher dieser Erinnerungen grenzte es beinahe an ein Wunder, dass sie beide noch am Leben, und dass tatsächlich tugendhafte Bürger aus ihnen geworden waren.
    "Was auch immer du mit deinem Wagen befährst, es sei dir auf jeden Fall angeraten, einen großen, um nicht zu sagen sehr großen Bogen um die Rosensträuche deines Onkel Felix zu machen, denn dieser wäre sicherlich äußerst ungehalten, wenn an jenen auch nur das geringste abgeknickte Blatt zu entdecken ist. Ein geeigneter Zeitpunkt für den Markt wird sich sicherlich finden, vorerst sollten wir jedoch die Nachricht deines Vaters abwarten."
    Die Frage nach dem Zeitpunkt für Unruhe im Haus brachte Gracchus in ernsthafte Bedrängnis. Andererseits hielt er sich selbst ohnehin während des Tages nicht sonderlich oft in der Villa auf. Die übrigen Bewohner würden ihre eigenen Vereinbarungen mit Serenus treffen müssen.
    "Da du die Vormittage ohnehin für deine Studien aufwenden solltest, werden dir die Nachmittage für gemäßigte Unruhe bleiben. Du wirst zudem schon herausfinden, wann die meisten Flavia außer Haus und damit die beste Zeit dafür ist. Neben deiner Schwester und deinen beiden Vettern Furianus und Milo, befinden sich dein Onkel Aquilius aus dem Zweig des Atticus und Lucullus, mein Bruder, in der Villa. Zudem meine Frau, Antonia. Deine Tante Agrippina, die Virgo Vestalis Maxima, wird uns sicherlich mit Freude empfangen, wenn es dir ein Anliegen ist, sie zu besuchen. Es ist die Pflicht der vestalischen Jungfrauen das heilige Herdfeuer zu hüten, wie du sicherlich weißt, darum verlassen sie das Atrium Vestae nur selten."

    Mit unschlüssigem Blick lehnte sich Gracchus zurück und begann an seiner Unterlippe zu kneten, während er all die Aufgaben der Quaestores vor seinem Inneren Auge vorbeiziehen ließ, und dabei kaum auf die vorbeiziehende Zeit achtete. Nach einigen Augenblicken der Stille, welche jedoch nicht lange genug währten, als dass jene Stille angetan war unangenehme Empfindungen hervorzubringen, ließ Gracchus seine Hand sinken und schüttelte langsam den Kopf.
    "Außer den in Paragraph 56 des Codex Universalis festgelegten Aufgaben gibt es meines Erachtens wenig, auf was es zu achten gilt, ausgenommen jene Aufgaben natürlich, welche der Imperator Caesar Augustus dir selbst zuträgt. Ich hatte bei meinen Vorschlägen zu den Standeserhebungen zwar im Nachhinein betrachtet den Eindruck, als wären ihm die Dossiers zu den Kandidaten für eine Erhebung in den Ordo Senatorius ein wenig zu ausführlich, doch wahrscheinlich ist es angemessener diese ausführlich zu halten, denn zu kurz."

    Die Sonne stand schräg über dem Himmel Roms und warf bereits lange Schatten, als eine Sänfte das Tor der Villa Flavia verließ und sich durch die Straßen und Gassen der Stadt schlängelte, bis hin vor die Türe der Villa Tiberia. Dort entstieg jener Sänfte Flavius Gracchus und ließ sich von seinem Leibsklaven beim Ianitor der Tiberia ankündigen. Er trug eine fein gearbeitete Tunika in orangeroter Farbe, deren Ränder aufwändig verziert waren, und deren Farbton perfekt mit dem braunfarbenen Pallium harmonierte, welches Gracchus anstatt einer Toga darüber trug, immerhin handelte es sich bei dem Mahl des Durus um einen mehr oder minder zwanglosen Anlass.

    Mit der Öllampe in der Hand und Prisca im Gefolge machte sich Gracchus auf den Rückweg zum Tempel. Ihre Worte klangen zuletzt ein wenig unsicher, doch womöglich täuschte dieser Gedanke. Gracchus jedoch machten diese Worte tatsächlich nachdenklich, und bis sie bald die Hälfte der Strecke zu den Stufen des Tempels zurückgelegt hatten, schwieg er, selbst in Gedanken. Er konnte sich nicht erinnern an jenen Zeitpunkt, an welchem die Aneignung des kultischen Wissens begann. Auch nicht an jenen Zeitpunkt, an welchem sie endete, doch lag dies eher daran, dass sie niemals enden würde. Schon zu dem Augenblick, da sein Vater ihn als Neugeborenen vom Boden aufgehoben und damit offiziell als seinen zweiten Sohn anerkannt hatte, war die Fokussierung seines Lebens auf den Dienst an den Göttern festgelegt gewesen. Zwar hatte sein Bruder diesem vorerst ungeliebten Streben ein Ende bereitet, doch letztlich hatte sich Gracchus selbst dafür entschieden und schlussendlich darüberhinaus auch selbst dafür gesorgt, dass die ihm verwehrte Pflicht ihm erneut zugefallen war.
    "Jahre, würde ich sagen. Doch war es kein konzentriertes Streben, wie dies nun möglicherweise vor dir liegt. Mein Vater strebte danach, seinen Söhnen von Kindesbeinen an mitzugeben, was das Leben ihnen abverlangen würde. Wir wurden bereits früh in den Kult mit eingebunden, ich erinnere mich sehr gut an das erste öffentliche Opfer, an welchem ich als Minister teilnahm. Es war am Agonium des Veiovis im Mai, hier auf dem kapitolinischen Hügel, und ich durfte ein Kästchen mit Weihrauch anreichen."
    Beinahe ein wenig ungläubig blickte er sich um, ob dies tatsächlich noch jener Hügel war. Er hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, doch da es ihm nun in Erinnerung kam, bemerkte Gracchus die Differenz der Realität zu eben jenen Erinnerungen aus seiner Kindheit. Der Hügel war damals noch viel höher und die Tempel viel gewaltiger gewesen.
    "Zwar habe ich Rom später verlassen, doch die Einbindung in den Kult wurde auch während meiner Erziehung in Achaia aufrecht erhalten, wie es seit jeher Tradition ist. Da es vor nicht allzu langer Zeit noch üblich war, dass jeder angehende Sacerdos vorerst einige Zeit als Discipulus im Cultus Deorum dient, habe auch ich, nach Rom zurückgekehrt, diesen Dienst absolviert, doch dies brachte vorwiegend Vertiefung des Wissens."
    Die Stufen hinauf betraten sie erneut das Aedes des kapitolinischen Tempels. Tat man diesen Schritt, aus der oft allzu wirklichen, kühlen Luft hinein in das Innere des Gebäudes, schien es tatsächlich so, als würde man eine andere, unwirkliche Welt betreten. Aus der Tatsache heraus, dass die Decke weit über den Köpfen der Besucher thronte, die Cella im Gegensatz zur Curia des Senates oder der Aula Regia des Plastes jedoch von nur geringer Größe war, aus dieser Tatsache heraus erwuchs der Anschein eines fernen Himmels in der Höhe. Dass die gewaltige Statue des Iuppiters dennoch mit dem Bündel Blitze in der Hand fast an diese Decke anstieß, dies verlieh dem Gott seine erfurchtgebietende Größe und stufte jeden Opfernden zu einem kleinen, unbedeutenden Menschen herab. Das leichte Flackern der Öllampen und Kerzen, durchzogen von Schwaden des Weihrauches, welche schwer und unbeweglich in der Luft hingen, dies ließ so manche Sinnestäuschung in Hinsicht auf den höchsten der Götter zu. Obwohl Gracchus bereits seit einiger Zeit oftmals in diesem Tempel ein und aus ging, obwohl er seit langem hinter viele der unausgesprochenen Geheimnisse des Cultus Deorum geblickt hatte, trotz all dieser Tatsache durchfuhr auch ihn beim Anblick des Iuppiters tiefe Ehrfurcht, welche nicht zuletzt auch aus seiner eigenen Vergangenheit herrührte. Gemessenen Schrittes trat Gracchus an die Mensa vor der Statue, entzündete die Öllampe an der Flamme einer anderen Lampe und stellte sie sodann ab, penibel darauf achtend, dass die kleinen, lichtspendenden Gefäße in symmetrischer Anordnung aufgestellt waren. Mit einer Wendung nach Rechts, als wolle er ein Gebet beenden, drehte er sich zu Prisca um.
    "Von der Bedeutung des besonderen Ortes hinsichtlich der kultischen Handlung sprach ich bereits. Dieser Ort muss sich dabei nicht notwendigerweise durch ein Tempelgebäude auszeichnen, sicherlich fallen dir auf Anhieb einige heilige Haine ein, wie jener der Iuno Lucina oder jener der Pomona zwischen Rom und Ostia, oder aber auch Höhlen wie das Lupercal. Bei anderen Orten ist selbst Räumlichkeit überflüssig, wie die durch Blitzeinschläge aufs höchste sakralisierten Glücksbäume beweisen, welche jedoch bereits so weit über die hiesige Ebene erhoben sind, dass die reguläre Kultausübung dort nicht mehr möglich ist und nur noch äußerst außergewöhnlich Handlungen, wie das Vergraben der geschnittenen Nägel und Haare des Flamen Dialis, dort ihren Platz finden."

    Eine äußerst merkwürdige Angelegenheit, doch der Makel jener Gegebenheit zeigte sich stehenden Fußes. Die Sicht von außen bot niemals die gleichen Einblicke, wie jenes Eingewobensein in die kultischen Strukturen, welche römische Knaben schon von Kindesbeinen an genossen.
    "Es geht nicht darum, Opferfleisch fortzunehmen. Im Augenblick der Konsekration weicht jener Anteil, welcher den Göttern zugedacht ist, aus den Opfergaben, zurück bleibt nur ein profaner Gegenstand, ein profanes Stück Fleisch, ein profaner Kuchen. Was glaubst du, was mit all den unblutigen Gaben geschieht, welche auf den Opfertischen der Götter landen? Sie verschwinden nicht von göttlicher Hand, sie werden abgeräumt von Tempelsklaven. Die essbaren Dinge werden, soweit noch genießbar, durch einen äußerst weltlichen Magen vernichtet, im anderen Falle in der Erde vergraben. Votivgaben werden eingeschmolzen, insofern sie aus Metall bestehen, die übrigen werden ebenfalls vergraben. Dies mag für dich vielleicht enttäuschend sein, doch wenn du gewillt bist, im Cultus Deorum voranzukommen, so werden sich noch so einige Dinge vor deinen Augen ent-täuschen."
    Sie treten durch die Säulen der Kollonade hindurch und nähern sich einer der schmucklosen Türen dahinter.
    "Der Anteil der Götter an einem Tier ist nicht in Teilen festzulegen. Nur zu außergewöhnlichen Anlässen wird das gesamte Fleisch verbrannt, ansonsten kommen den Götter nur die Vitalia zu. Weshalb dies so ist, diese Frage kannst du dir selbst beantworten, doch solltes du die Antwort niemals laut aussprechen."
    Auch wenn über viele sakrale Gebote unter Priestern freier gesprochen wurde, es gab einiges, welches nicht dazu bestimmt war, laut ausgesprochen zu werden.
    "Jene Teile des Opfertieres, welche den Götter nicht zukommen, können während der Cena recta verzehrt, in Sportulae ausgeteilt oder verkauft werden. Ebenfalls ist die Kombination möglich, doch auch hierbei sind keine festen Anteile verpflichtend. Möchte ein Opferherr den Kopf des Tieres mit den Partizipierenden direkt verspeisen, den Rumpf frei verteilen und den Rest verkaufen, so steht dem nichts im Wege."
    Da sie die Türe erreicht hatten, öffnete Gracchus und trat in den Raum dahinter. In Regalen lagerten hier die unterschiedlichsten Gegenstände, welche zur Ausübung des Kultes oder auch nur zur Aufrechterhaltung des Kultbetriebes notwendig waren. Weihrauchkästchen, Kelche, aus welchen Wein gegossen wurde, Opferschalen, in welche die Vitalia nach dem Herausschneiden aus den Tieren gelegt wurden, die Kellen zum Schöpfen von Wein und Wasser, die Opferhämmer, -beile und -messer, allerlei Schalen und kleine Kisten, darin Salben und Öle zur Pflege der Götterstatuen, Säckchen voll der unterschiedlichsten Räucherungen, Kerzen und auch das Öl zum Auffüllen der Lampen. Bevor man jedoch all dem näher kommen konnte, musste man zwei Sklaven passieren, welche in diesem Raum wachten, auf dass nichts von hier entwedet wurde, lagerten doch durchaus auch silberne und goldene Kultgegenstände in den Regalen. Doch es gab dieser Tage nicht übermäßig viele Sacerdotes, welche im Tempel der kapitolinischen Trias Dienst taten und so erkannten die beiden Tempeldiener Gracchus und traten nur eilig heran, um ihm herbeizuholen, was er benötigte. Der Sacerdos hob die kleine Öllampe in die Höhe.
    "Diese Lampe muss neu befüllt werden."
    Die Sklaven waren bereits lange genug Sklaven, als dass sie sich keinerlei Regung erlaubten. Der zuständige Tempeldiener lief zwei Mal am Tag mit einem schweren Eimer von hier bis zum Tempel hinüber und befüllte die Lampen geduldig mit Hilfe einer Schöpfkelle und eines Trichters. Eine nicht gerade angenehme Arbeit, da unweigerlich immer ein wenig der schmierigen Flüssigkeit an den Händen haften blieb und nur schwerlich wieder abzubekommen war. Dass ein Sacerdos sich mit einer solchen Aufgabe befasste, dies war nicht häufig, und dass er wegen einer einzigen Lampe kam, dies gab die schwere Arbeit der Sklaven geradezu der Lächerlichkeit preis. Doch er war ein Sacerdos und wenn er sich zu dieser Aufgabe bemüßigt fühlte, so war dem nichts entgegen zu setzen und nichts daran zu kritisieren. Einer der Sklaven nahm die kleine Lampe entgegen und verschwand hinter den Regalen, von wo er nur kurze Zeit später wieder auftauchte und die Öllampe gefüllt Gracchus zurückreichte. Dieser nahm sie entgegen und bedeutete Prisca den Raum zu verlassen. Vor der Türe stehend wies er auf die weiteren Türen des Gebäudes.
    "Im Nebenraum befinden sich weitere Ritualgegenstände, vorwiegend größerer Art. Unter anderem die Statuen und das Mobiliar, welches bei Lectisternien Verwendung findet. Der der Stadt am nächsten gelegene Raum beherbergt schriftliche Aufzeichnungen. Dort ist auch Platz, um Schriftrollen zu studieren oder Aufzeichnungen festzuhalten."

    Dass Aristides in der Legion kaum Zeit haben würde, Briefe zu schreiben, dies konnte sich Gracchus durchaus vorstellen. Zudem war er mittlerweile wirklich alt genug, nicht seiner Mutter wöchentlichen Rechenschaftsbericht ablegen zu müssen, doch gegenüber seinem Vetter, welcher in Hinsicht auf seine Mutter ein wenige eigen war, würde Gracchus dies nie zur Sprache bringen. Er würde eine entsprechende Bemerkung in die Nachricht aufnehmen, was Aristides daraus machte, war ohnehin dessen Sache.
    "Füttere den Hund nicht am Tisch."
    Gracchus' Stimme klang schärfer als beabsichtigt. Daher fügte er die nächsten Worte in etwas gemäßigterem, wenn auch weiter ernsthaftem Ton hinzu.
    "Ein Tier hat nicht am gleichen Tisch zu speisen, wie sein Herr, genauso wenig wie ein Sklave. Das ist eine schlechte Angewohnheit, welche du ihm später nur mit Schlägen austreiben werden kannst. Zudem will ich nicht sehen, dass der Hund alleine in der Villa herumstreunt."
    Gerade noch legte sich Gracchus' Strin in Falten und er öffnete bereits den Mund, um etwas über Ziegenstreitwägen und deren Benutzung im Gebäude und Hof der Villa zu sagen, da blieben ihm die Worte im Hals stecken, als der junge Flavier begann von seinen Zielen zu sprechen. Als wäre dies nicht bereits genug für einen Abend, folgte sogleich im Anhang die Auflistung seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen. Im Nachhinein wäre es wohl klüger gewesen, nicht danach zu fragen, doch nun war es zu spät für etwaiges Bedauern darüber. Es dauerte ein wenig, bis Gracchus seine Gedanken geordnet und seine Worte zurecht gelegt hatte, dabei kamen die als Nachtisch aufgetragenen Süßspeisen gerade rechtzeitig, um Serenus vorerst zu beschäftigen.
    "Die Masse der Plebeier zu manipulieren ... dies sollte nicht dein Ziel sein, und ich bin mir ganz sicher, dass deine Großmutter weder dieses Wort gebrauchte, noch ihre Worte in diesem Sinne formulierte."
    Sein Tofall ließ keinen Zweifel daran, dass dies keine Frage war, sondern eine Tatsache, und dass selbst wenn Serenus sich an diesen Wortlaut zu erinnern glaubte, er einem Irrtum erlegen war oder seine Großmutter missverstanden hatte.
    "Dein Streben muss dem Wohle des Imperiums und des Staates gelten, ungeachtet deiner persönlichen Wünsche. Du bist ein Flavius, dazu der Erstgeborene des Aristides, und damit ist dein Weg bereits bestimmt, sind deine Pflichten bereits festgelegt. Dein Stand ist es, welcher dir die Erreichung der höchsten Ziele ermöglicht, doch dein Stand allein genügt nicht. Übe dich in den Tugenden, Serenus, und nicht in Hochnäsigkeit gegenüber jenen, denen die Götter ein geringeres Schicksal als das deine zugedacht haben. Die Tugenden müssen den Keim deines Strebens bilden und das Wohl des Imperiums muss dir als Ziel genügen."
    Tief im Inneren wurde sich Gracchus dessen bewusst, dass er sich anhörte wie sein eigener Vater, welchen er für eben solche Worte so oft verflucht hatte, und dass er im Begriff war, Serenus in genau jenes Verderben zu schicken, in welches er selbst hineingezwängt worden war. Doch es halft nichts, Serenus war, wer er war, und ebenso, wie Gracchus nie eine Wahl gehabt hatte, würde auch er keine Wahl haben, und sich früher oder später damit abfinden müssen.
    "Nichtsdestotrotz ist der Weg in die priesterlichen Ämter sicher nicht ungeeignet. Ich werde deinem Vater vorschlagen, dass du hier in Rom in eben jene Laufbahn eingeführt werden kannst. Aquilius verrichtet seinen hauptsächlichen Dienst im Tempel des Mars Ultor, Lucullus im Tempel des Quirinus auf dem Quirinal, und ich selbst im Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitolshügel. Wo sonst könnte ein junger Flavius besser lernen, als in den Tempeln der alten göttlichen Trias?"
    Zum Dienst im Kult des Mercurius äußerte sich Gracchus vorerst nicht weiter. Handel war nichts, mit dem sich ein Patrizier befassen sollte, nichteinmal in Form des Gottesdienstes. Mercurius hatte darüberhinaus glücklicherweise noch genügend andere, angemessenere Aspekte, welchen zu gedenken war. Auch zum Reichtum der Flavia sagte Gracchus nichts weiter, obwohl er, mit der Verwaltung des Familienvermögens betraut, einen äußerst guten Einblick in diese Dinge hatte. Beinahe hätte er überdies auch die abstrusen Freizeitvergnügen seines Neffen vergessen, beinahe jedoch nur.
    "Ziegenrennwagenfahrer ... Rattenabschießen ... ah ja ... "
    Dies brachte ihn zurück zu dem Ziegenstreitwagen.
    "Ich wäre dir äußerst verbunden, wenn der Wagen nur dort fahren wird, wo er hingehört: auf der Straße. Doch bedenke, dass das Fahren mit einem Wagen in den Straßen Roms bei Tage verboten ist, und dass du Nachts nichts in den Straßen Roms verloren hast. Weiters und überdies hinaus sollte auch ansonsten in dieser Villa Ruhe herrschen. Deine Onkel haben wichtige Aufgaben zu erfüllen und diese bedürfen hoher Konzentration, welche nicht in einem Haus aufgebracht werden kann, in welchem Ruhe nicht gegeben ist. Haben wir uns verstanden?"

    "Wie die Arbeit an der Chronik aufzuteilen ist, dies entscheiden die Quaestoren in gemeinsamem Einverständnis, dem Quaestor Principis obliegt dabei die Koordination und Leitung. Könnt ihr zu keinem Konsens gelangen, so verteilen die Consuln die Aufgaben. Es steht dir natürlich frei, den übrigen Quaestores ihre Aufgaben zuzuweisen und davon auszugehen, dass wenn sie sich nicht beschweren, sie diese annehmen. Doch es hat sich in den vergangenen Amtszeiten wohl bewährt, dieses Thema bei einer gemeinsamen Zusammenkunft zu besprechen. Es ist natürlich geschickt, einem Quaestor, welcher ohnehin in einer anderen Provinz tätig ist, die Aufzeichnung der Ereignisse jener Provinz anzuvertrauen. In meiner Amtszeit war es so, dass ich Aurelius letztlich die Entscheidung überlassen hatte, Rom oder Hispania zu übernehmen."
    Letztenendes war die Entscheidung des Aurelius sicherlich nicht bedauerlich. Die Ereignisse aus der Hauptstadt nachzutragen wäre um einiges aufwändiger, als dies für jene Hispanias zu tun.
    "Sollten spätestens nach der Hälfte der Amtszeit noch keine Aufzeichnungen in die Chronicusa eingetragen worden sein, so solltest du bei den entsprechenden Amtskollegen nachhaken. Es ist immerhin möglich, dass mancher den Aufwand unterschätzt, doch üblicherweise sollte es durchaus zu schaffen sein."

    Seine Unterlippe knetend hörte Gracchus dem Quaestor zu und nickte schließlich auf seine Worte hin.
    "Es geht dabei um die Dekreta des Senates und des Imperators. Jene wurden vor der vergangenen Amtszeit nicht in die Chronicusa aufgenommen, sollen nun aber doch Berücksichtigung finden. Neben den Eintragungen während meiner eigenen Amtszeit habe ich dies auch in jenen Teilen der Chronik beachtet, welche ich für die Vergangenheit nachgetragen habe. Einen Augenblick."
    Er stand auf und wandte sich dem Regal an der Seite des Zimmers zu. Gracchus brauchte nicht lange zu suchen, in seinem Arbeitszimmer herrschte eine penible Ordnung und alles lag genau dort, wo es zu sein hatte. Zielsicher griff er daher nach einer Wachstafel und kehrte zu dem Schreibtisch zurück.
    "Dies sind die Aufzeichnungen meiner Amtszeit, ich konnte mich bisweilen noch nicht von ihnen trennen. Immerhin weiß man nie, zu was solcherlei Schriftstück noch gut sein können, und tatsächlich zeigt sich schließlich nun ein Sinn darin. Neben September und October DCCCLVI (2006) kannst du dir die Überprüfung der Monate Augustus bis December DCCCLV (2005) ersparen, sowohl was die kaiserlichen, als auch die senatorischen Dekrete betrifft. Die Aufarbeitung der übrigen Zeit sollte dir mit Hilfe der Archive gelingen, es scheint kaum etwas zu geben, was im Palatium Augusti oder der Curia Iulia verloren geht."
    Da das Thema ohnehin schon auf die Chronicusa gekommen war, griff Gracchus zu einer geschlossenen Tabula, welche seitlich von ihm auf dem Tisch lag und bereits gesiegelt war.
    "Es gibt da noch einen Punkt, von welchem nicht behauptet werden kann, dass er übersehen wurde, und der mich gerade deswegen sehr bedrückt. Sicherlich sind dir bereits die Leerstellen der Chronik der vergangenen Amtszeit aufgefallen, womöglich hörtest du auch von den Rechtfertigungen des Aurelius, weshalb diese vorhanden sind. Mag es das Versäumnis des Aurelius sein, doch als Quaestor Principis, und damit Organisator und Verantwortlicher über die Arbeiten an der Chronicusa, trifft mich ein gleiches Maß an Schuld, wenn nicht ein höheres."
    Er nahm die Tabula und schob sie zu Fuscus hinüber.
    "Ich habe selbst einige Nachforschungen in verschiedenen Archiven in Auftrag gegeben. Sehr viel scheint sich in Hispania augenscheinlich nicht zu ereignen, doch es tilgt zumindest die vorwurfsvollen Leerflächen der Chronicusa zu dieser Provinz. Nachdem du den Weg zu mir gefunden hast, kann ich mir damit den Boten zum Palast sparen. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du diese Eintragungen entsprechend einfügen könntest, ich selbst habe nach Beendigung der Magistratur keinen Zugang mehr zu den Archiven."


    Aedilis Curulis M. Tiberius Durus , Villa Tiberia, Roma



    M.F.G. M.T.D. S.P.D.


    Der durch dich ausgesprochenen Einladung werde ich gerne und mit Freude Folge leisten, sofern Unvorhergesehenes dies nicht vereiteln wird, was die Götter abwenden mögen.


    Ave atque vale,
    M. Flavius Gracchus