Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Der Sklave blickte demütig in das Officium hinein. "Mein Herr, der Quaestor Principis Flavius Gracchus, möchte mit euch sprechen Herr." Er schob sich aus dem Türrahmen und wich zurück, denn damit war seine Aufgabe erfüllt. Zudem stand Gracchus schon ungeduldig hinter ihm und winkte ihn unwirsch davon. Er hasste dererlei Formalitäten, wenn sie einen flüssigen Arbeitsablauf behinderten. So trat er selbst in das Officium ein und nickte dem Aedil grüßend zu.
    "Salve, Tiberius. Meine Pflichten als Quaestor führen mich zu dir, sollen doch die von dir begonnenen Arbeiten am Codes Universalis fortgeführt werden. Hierzu bedarf es jedoch es Wissens, welche Teile du davon bereits bearbeitet hast."

    Mit der vom Kaiser gestellten Aufgabe machte sich Gracchus direkt auf den Weg zu seinem Amtsvorgänger. Mit Tiberius Durus würde er sich hernach absprechen, denn bevor besprochen werden konnte, was getan werden musste, musste zuerst indentifiziert werden, was getan werden musste. So hielt die Sänfte des Flaviers alsbald vor der Basilica Iulia, wo Gracchus hoffte, Tiberius Vitamalacus anzutreffen. Nach kurzem fand einer der Sklaven das Officium und klopfte.

    Gracchus knetete ein wenig an seiner Unterlippe und warf schlussendlich doch weitere nachdenkliche Fragen ein.
    "Wäre es in diesem Falle nicht sinnvoller, die Verwaltung direkt in Illyricum anzusetzen? Nur weil Italia eine Anlaufstelle bietet, so muss dies nicht zwingend dazu führen, dass diese in Anspruch genommen wird. Was ist mit den übrigen großen Häfen an der Ostküste unserer Provinz? Was spricht gegen die Nutzung jener?"

    Da keine weiteren Fragen in den Raum gestellt wurden, gab es weiters nichts zu besprechen. Für geringe Absprachen würde man sich ohnehin während der Proben verständigen können.
    "Nun denn, so scheinen alle Fragen geklärt und alle Aufgaben klar zu sein. Werte Sodales, damit schließe ich diese Versammlung. Möge Mars seine schützenden Hände über uns alle wie über Rom halten."
    Nach Auflösung der Versammlung würde Gracchus noch einen Blick in die Aufzeichnungen der Salii Palatini werfen. Er erwartete zwar ordnungsgemäße Niederschriften, doch er wollte sich am Ende seiner Zeit als Magister nicht vorwerfen lassen, die Arbeit seines Vorgängers nicht wenigstens geprüft zu haben.

    Zitat

    Original von Medicus Germanicus Avarus


    Persönlich kannte Gracchus den Senator nicht, er war einer von jenen, welche ihres Standes wegen geladen waren. Natürlich wusste er um die spottende Rede des Senators gegen den Stand der Patrizier, doch da Germanicus zur nicht gerade unbedeutenden Vereinigung zweier Gentes maiores erschienen war, schien er sich immerhin der Gewichtung seines eigenen Standes bewusst zu sein. Gracchus wollte daher nicht vorschnell urteilen.
    "Salve, Senator Germanicus. Ich kann mich nur den Worten meiner Verlobten anschließen, es ist uns eine Ehre, dich zu diesem freudigen Ereignis Willkommen zu heißen. Ebenso danken wir für die überbrachten Glückwünsche."
    Es kam in Gracchus die Frage auf, ob eine mehrmals ausgesprochene Lüge eine einzige Lüge blieb, oder ob die Verwerflichkeit ihrer selbst aufkumuliert wurde? Das freudige Ereignis würde er an jenem Abend sicherlich noch des Öfteren gebrauchen.



    Zitat

    Original von Manius Tiberius Durus


    Der nächste Gratulant war Gracchus' Amtskollege Tiberius Durus. Er nickte ihm mit einem freundlichen Lächeln zu, auch wenn ihm bei der Erwähnung der Nachkommen beinahe die Maske der zur Schau gestellten Freude entglitten wäre.
    "Salve, Tiberius. Vielen Dank für die Glückwünsche, ich bin sicher, die Götter werden dafür sorgen, dass auch alles, was nach der Eheschließung kommt, seinen Lauf nehmen wird."
    Im Prinzip würde Gracchus ein einziger Nachkomme vollauf genügen, doch er ist sich nur allzu deutlich darüber bewusst, dass er es dabei sicherlich nicht bewenden lassen kann, denn wie leicht konnte ein einzelner die Pläne einer ganzen Familie verwerfen. Doch sein dringlichstes Problem war zuerst, die kommende Nacht zu überstehen, alles weitere würde er im Anschluss planen.
    "Wie du sicherlich vermutest ist dies Claudia Antonia, ich denke, ihr beide kennt euch noch nicht? Antonia, dies ist Tiberius Durus, er ist in dieser Amtszeit ebenfalls Quaestor."

    Gracchus nickte beruhigt. Die horrenden Lücken der Chronicusa Romana hatten ihm vor Augen geführt, dass nicht alle Quaestoren der letzten Jahre ihre Aufgaben ernst genommen hatten, und auch wenn die Chronik der letzten Amtszeit vollständig war, so konnte man bei vier daran arbeitenden Köpfen nie genau sagen, welchem dies nun zu verdanken war.
    "Keine weiteren Fragen. Wenn es mir gestattet ist, so würde ich gerne noch ein privates Anliegen vorbringen."

    Es kam, wie es kommen musste. Kaum waren die ersten Gäste eingetroffen, war es denn vorbei mit der Ruhe vor dem Sturm und das Atrium der claudischen Villa füllte sich mehr und mehr. Ein wenig der Anspannung fiel von Gracchus ab, denn seine Aufmerksamkeit wurde nun ganz von den Begrüßenden eingenommen und die bevorstehende Hochzeit schien, obwohl permanent vor Augen geführt, vorerst weit weg. Nach der Begrüßung der Tiberia und des Vinicius trat Gracchus Vetter Aristides an das Brautpaar heran.


    Zitat

    Original von Claudia Antonia
    Ein kurzer Blick huscht zwischen ihm und Gracchus hin und her.
    Und welche Art Familienbande verbinden euch? Vettern?
    Soweit sie wusste, waren die meisten männlichen Flavier auf diese Weise verwandt, also riet sie einfach.


    "Salve, Aristides. Es freut mich, dass du diesen Tag mit uns in Rom verbringen kannst."
    Obwohl Aristides sicher nicht zu den ohne Einschränkung vorzeigbaren Verwandten gehörte, war Gracchus doch äußerst erfreut, in der fremden Villa nun familären Rückhalt zu wissen.
    "Aristides ist tatsächlich mein Vetter. Er ist der Bruder meines Vetters Felix."
    In diesem Augenblick erschien der Hausherr selbst. Gracchus wandte sich seinem Vetter zu.
    "Bis zur Zeremonie wird es noch ein wenig dauern. Die Sklaven stehen jedoch bereits mit den Getränken bereit, du entschuldigst mich bitte?"



    Zitat

    Original von Gaius Claudius Vitulus
    "Salvete! Salve meine geliebte Cousine. Ich konnte mir diese Feier nicht entgehen lassen. Hinter mir siehst du mein Geschenk, es ist äußerst vielseitig einsetzbar wie mir gesagt wurde, erbrobe dich gerne daran."


    Auch Gracchus trat Vitulus entgegen und nickte ihm freundlich zu.
    "Salve, Claudius. Es ist gut, dass du kommen konntest. Auch wenn diese Villa das Zuhause Antonias ist, ich würde nur äußerst ungern ohne den Hausherrn feiern."
    Das ein wenig verfrühte Geschenk bedachte Gracchus mit anerkennendem Blick. Es würde vorzüglich in die Villa Flavia passen und war Gracchus bei weitem lieber, als wenn eine Sklavin seine Zukünftige begleiten würde.



    Zitat

    Original von Titus Tiberius Flaccus
    Salvete, Manius Flavius Gracchus, Claudia Antonia. Ich freue mich über eure Einladung und noch mehr über den Grund, zu welchem diese geschah. Selten sahen die Götter wohl einen so glücklichen Mann mit einer so wundervollen Frau. Trotz der Mühen in diesen Tagen versucht diesen Moment, der so wichtig ist für euch und eure Familien, zu genießen.
    Mit dem einem aufgesetzten Lächeln nickte Flaccus den beiden zu.


    Der nächste Gast war wiederum gern gesehen, und Gracchus sinnierte bei seinem Anblick kurz darüber nach, wann der letzte Conventus Electorum stattgefunden hatte. Es war bereits viel zu lange her, wie er feststellen musste, möglicherweise wäre dies ein guter Anlass um die Gastgeberqualitäten seiner baldigen Ehefrau baldigst auszuloten.
    "Salve, Tiberius. Wir danken dir für dein Kommen und hoffen, dass wir durch diese kleine Feier ein wenig unserer großen Freude mit unseren Gästen teilen können."
    Würde Gracchus sich für jede ausgesprochenen Lüge an diesem Tage einen Schritt weit von Antonia entfernen, so würde er bis zur bevorstehenden Hochzeitsnacht sicherlich bis kurz vor die Alpen gelangen.

    Ein Lichtblick errettete Gracchus aus seinen trüben Gedanken, ein Lichtblick in Form der ersten Gäste. Zudem waren es gern gesehene Gäste, keine, welche nur die Pflicht geboten hatte zu laden, denn es waren Tiberia Livia, welche Gracchus aufgrund ihres Scharfsinns und ihrer Kunstverständigkeit äußerst schätzte, und deren äußerst gefälliger Gatte Vinicius.
    "Salve, Tiberia. Salve, Vinicius. Wir freuen uns sehr, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid."
    Ein wenig Neid kam in Gracchus auf, denn schon bei ihrer Hochzeit schienen die Tiberia und Vinicius perfekt aufeinander abgestimmt, vermutlich führten sie eine Ehe, welche ihresgleichen innerhalb ihres Standes suchte.
    "Eure Anwesenheit ist bereits Präsent genug, weiteres ist wirklich nicht notwendig."

    Die Versicherung seines Vetters, dass es jenem besser ginge, nahm Gracchus ein wenig seiner Sorge.
    "Wahrlich, du bist ein echter Flavier. Zäh wie Unkraut und nicht aus der Welt zu schaffen. Wahrscheinlich ist es der Umgang mit deinen eigenen Verwandten, der dich gegenüber räuberischen Banden nur auflachen lässt."
    Es blieb dahin gestellt, welche Verwandten dies waren, die hispanischen, Aquilius näheren, oder jene aus Rom, zu welchen auch Gracchus zu zählen war.
    "Doch mache du dir ebenso um mich keinerlei Gedanken. Wie könnte ich mich langweilen in deiner Gegenwart?"
    Gracchus Stimme war weich, beinahe zärtlich.
    "Das Opfer war gut, die Litatio ist erfolgt. Der Wein der Artoria wird auch im nächsten Jahr fließen. Meine Pflicht ist erfüllt, was nun folgt, ist nur Vergnügen. Doch mein Vergnügen werde ich gern geben, um hier bei dir zu sein. Ruh dich noch ein wenig aus, dann werden wir dafür sorgen, dass man dich zur Villa Flavia bringt. "

    "Antonia, du siehst bezaubernd aus."
    Welcher Mann könnte sich nicht glücklich schätzen, über solch eine Verlobte? Wieviele Männer gab es in Rom, welche Gracchus um diese Frau beneiden mussten? Er hätte sie ihnen nur all zu gerne überlassen. Diese seine Gedanken straften das glückliche Lächeln auf seinem Gesicht Lügen. In einer fließenden Bewegung ließ er seinen Blick über ihre Erscheinung wandern, die weichen Rundungen ihres Körpers, das stolz erhobene Haupt, der Schleier, unter welchem er die sanften Wellen ihres dunklen Haares und ihre tiefgründigen braunen Augen erahnen konnte. Doch nichts davon löste in ihm jene Empfindungen aus, welche er glaubte, dass sie für einem Ehegatten notwendig waren. Wie Nortia stand sie vor ihm und besiegelte sein Schicksal, indem sie ihren spitzen Nagel mitten durch sein Herz schlug.
    "Dann ist es soweit."
    Schön war sie anzuschauen, unzweifelhaft. Wie ein Kunstwerk, wie eine Statue, welche zu bewundern war. Schmerz und Pracht Hand in Hand, ein Opfer der höchste Preis. Hoffnung ist verkörpert in Schönheit, hatte einst ein kluger Mann behauptet, zu ihren Füßen liegt hypnotisiert die Welt. Doch was würde bleiben, wenn die Schönheit verging? Was würde bleiben, um ihr Leben, um ihre Ehe zu füllen? Was würde sie tun, wenn er ihren Ansprüchen nicht genügen könnte, wie würde sie reagieren? Gracchus wusste es nicht, er wusste nur, dass er nicht einmal wusste, wie er ihre erste Nacht füllen, wie er sie berühren und seine Pflicht erfüllen sollte. Er wünschte sich, ein Sandkorn zu sein, auf die Fugen des Fußbodens herab zu fallen, durch einen leichten Lufthauch hinfort getragen zu werden und im Staub der Straße zu verschwinden. Doch es geschah nichts, er blieb vor ihr stehen, unschlüssig, unschlüssig in seinem Leben, und blickte den Schleier an, hinter dem verborgen sein Schicksal wartete.

    Die vertraute Nähe half Gracchus den Schmerz bei Seite zu schieben und gleichsam sorgte sie dafür, dass er alle Pflichten, alle Erwartungen an sich selbst vergessen konnte, so wie es ihm nur gegenüber Aquilius möglich war. Seine Stimme wurde ruhig und beherrscht, beinahe abwesend, als würde er von Dingen erzählen, die ihn nicht im Mindesten tangierten.
    "Die Jahre auf Creta nutzte ich nicht nur zum Studieren, wie ich dir schrieb. Du weiß, dass ich mich immer gegen den Willen meines Vaters gesträubt habe, als nachfolgender ältester Sohn der Familie dem Militär beizutreten, um in seine Fußstapfen zu treten. Er war ein Mann des Militärs, aber bei den Göttern, du weißt, dass ich kein solcher Mann bin. Vor Animus' ... Versagen war mir der Dienst an den Göttern vorgesehen, doch selbst in jenem konnte ich mich zu dieser Zeit nicht sehen. So weitete ich die Studien aus, auf Creta, doch gleichsam versuchte ich dem zu entkommen, was meine Pflicht war. Ich war so einfältig, Caius, unerfahren im Leben und doch glaubte ich, ich könnte es überlisten. Ich erlag dem Zauber der Münzen, glaubte sie zu beherrschen und sah darüber nicht, dass das Gegenteil der Fall war. Creta ist eine wunderbare Insel, doch wie alles gehört sie wenigen Mächtigen und auch dies bedachte ich nicht, glaubte allein mein Name und Stand würde mich vor allem und jedem schützen. Doch auch dies war nicht der Fall, beides brachte nur Schwierigkeiten mit sich. Ich begann zu investieren, Geldgeschäfte zu tätigen, Handel ohne Ernte, manches mal gar ohne Waren, bei den Göttern, Caius, es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich nur daran denke. Sciurus war der einzige, der von alledem wusste, doch ich habe seine Bedenken ignoriert, habe ihn insgeheim gar für überängstlich und töricht gehalten, denn was sollte schon schief gehen? Doch er sollte Recht behalten. Diese Welt ist nichts für Patrizier, diese Welt gehört dem Plebs, denn Sesterzen sind die einzige Möglichkeit, wie sie zu Macht kommen und dies lassen sie sich nicht wieder nehmen. Sie lassen nicht zu, dass sich einer von uns dort hineinzudrängen versucht. Die Bewohner Cretas sind rauhe Menschen. Die Ereignisse überschlugen sich, alles entglitt meinen Händen und ich konnte nur dabei zusehen, wie alles den Tiber hinunter rann, alles, was ich geglaubt hatte zu kontrollieren. Zuerst brannte ein Stall ab, dann starb eine Sklavin aus der Culina, womöglich war es Gift, doch viel eher war es Teil eines Fluches. Sciurus ... ich fand ihn eines Morgens im Garten, sie hatten ihn der Kleidung beraubt und ins taufrische Gras gelegt. Kleine Tropfen hingen an seinem bleichen Körper, sein Kopf blickte zur Seite, die Augen blass ohne Freude, der Mund leicht geöffnet, in einem stummen Vorwurf. In seinem Rücken ... steckte ein Messer, eine feine Rinne aus Blut war auf seinem Rückgrat getrocknet."
    Gracchus atmete tief ein und schloss die Augen. Er konnte das Bild vor sich sehen, in jedem Detail, der Körper in jedem Detail. Kein anderes Bild war mehr von Sciurus in seinem Kopf außer jenes, kalt und bleich.
    "Am selben Tag verließ ich Creta, mit wenig mehr als mir selbst. Ich schwor dem Iuppiter den Eid, dass ich ihm dienen würde, wenn er mir das Glück vergönnt, mich lebend nach Rom zu führen. So fand ich den Weg, für den ich gelehrt worden war, der mir am Tag meiner Geburt auferlegt worden und doch längst nicht mehr der meine sein sollte. Ich raubte Lucullus seine Bestimmung, doch wohin hätte ich mich wenden sollen, wenn nicht an die Götter?"
    Er blickte auf, Aquilius flehentlich an.
    "Ich ... habe ihn ins Elysium gebracht, Caius, durch meine Dummheit. Genau so gut hätte ich ihm selbst das Messer in den Rücken stoßen können, hätte ihn selbst ..."
    Beschämt wandte er den Blick wieder ab, nahm dankbar die Wärme entgegen, welche durch Aquilius' Nähe herrührte.
    "Wie soll ich verurteilen, was geschehen ist, mit dem Wissen um meine eigene Schuld?"

    Unter der Berührung Aquilus' zuckte Gracchus einen kurzen Moment beinahe unmerklich zusammen. So nah ihm der Vetter war, so unendlich groß erschien ihm die Distanz zwischen ihnen in diesen Belangen. Doch wem konnte er mehr vertrauen, mit wem konnte er mehr teilen, als mit ihm, mit ihm der ihn beinahe sein ganzes Leben kannte? Doch in seine Augen blicken konnte er ihm dabei nicht, so hielt Gracchus seinen Kopf gesenkt, die beruhigende Hand seines Vetters auf der Schulter.
    "Es ist so einfach, in Dummheit zu handeln, obwohl man es besser weiß. So einfach ..."
    Er brach ab, schwieg einen Augenblick, in dem er die Augen schloss und das Bild eines Körpers vor sich sah, eines Körpers, aus welchem jegliches Leben verschwunden war.
    "Sciurus ... nicht derjenige, welchen ich zuerst besaß, und nicht derjenige, der hier ist ... sondern jener, der uns in Achaia so vieles lehrte, der mich des nächtens ..."
    Wieder brach er ab, brachte es nicht übers Herz weiter über ihn zu sprechen. Aquilius hatte diese Zeit selbst erlebt, er würde verstehen.
    "Er starb nicht, wie ein Sklave wie er sterben sollte. Er starb durch meine Schuld ... weil ich handelte wie ein Bauer ... weil ich soviel Weitsicht zeigte wie ein Opferstier. Bei den Göttern, Caius, er starb mit einem Messer im Rücken ... ich ... ich habe es dorthin gestoßen ..."
    Es war ihm zum Weinen zumute, doch weinen konnte er nicht.

    Als man dem jungen Gracchus eröffnet hatte, dass sein Bruder, in Ungnade gefallen, aus der Familie ausgeschlossen worden war, und er, nun der nachrückende Älteste, den Platz des Erstgeborenen im Dienst des Imperium in den Legionen antreten sollte, hatte dieser geglaubt, dass jener der schwärzeste Tag in seinem Leben sei. Doch obwohl sich immer seiner Pflichten bewusst, hatte er an jenem Tag nicht an diesen bevorstehenden Tag gedacht. Den Dienst in den Legionen hatte er zu verhindern gewusst, das heutige Ereignis jedoch war unabwendbar. Als sein Vetter Felix ihm vorgeschlagen hatte, die Ehe mit der Claudia einzugehen, hatte er noch die Vorteile gesehen, hatte selbst geglaubt, welch perfekte Verbindung dies sein würde. Natürlich hatte die Verbindung keinen ihrer Vorteile verloren und dennoch gab es keinen Ort, an welchem Gracchus an diesem Tag nicht lieber gewesen wäre, als in seinem eigenen Körper zu stecken, ein Gefängnis, welches ihn umgab und mit eisernen Klauen festhielt. Den Weg in der Sänfte zur Villa Claudia legte er in Gedankenlosigkeit zurück, denn er fürchtete jeden Gedanken, welchen er fähig wäre, zu denken, würde er zwangsläufig doch immer nur am kommenden Abend enden. Bevor sich der Vorhang zur Seite schob und er die Sänfte verließ, legte Gracchus ein Lächeln auf seine Lippen, gefasst, beinahe freudig musste es scheinen und war doch viel mehr das Gegenteil. Mit seinem Tross an Sklaven wurde er in die Villa eingelassen und in den Raum der Feierlichkeit geführt.
    "Ist alles bereit?"
    Er stellte die Frage in den Raum, und aus jenem wurde sie vom Maiordomus und einigen Sklaven mit Nicken und vereinzelten Bestätigungen quittiert. Er hasste sie dafür, allesamt, dieses elende Sklavenpack. Waren sie nicht dazu da, ihrem Herrn zu sagen, was er hören wollte? Was er hören wollte war, dass die Hochzeit nicht stattfinden konnte. Dass es Schwierigkeiten gab, dass sie verschoben werden musste. Die Sklaven würden dafür gerichtet und Gracchus hätte Zeit geschunden. Doch sie sagten nicht, was ihr Herr hören wollte. Sie sagten die unerbitterliche Wahrheit. So blieb es schließlich an Gracchus, das filigrane Gebilde aus Lügen selbst auszubauen.
    "Sehr gut."
    Er blickte durch den Raum, doch dass seine Verlobte und baldige Ehefrau bis dato fehlte, dies bemerkte er nicht und noch weniger bedauerte er dies, denn so wie es war, schien es passend.

    Ohne, dass Aquilius dies wissen konnte, trafen seine Worte Gracchus hart. Denn das 'Vertuschen idiotischer Aktionen', das 'Handeln eines Bauern' und die 'Weitsicht eines Opferstieres' bezog jener unmittelbar auf sich selbst, fühlte sich dadurch gleichermaßen gekränkt und ertappt. Geschehnisse vergangener Tage krochen aus ihren dunklen Verstecken tief in seinem Inneren hervor, von dort, wo er sie hin verbannt und unter Trümmerhaufen der Ignoranz und des Vergessens begraben hatte. Aquilius konnte leicht über jene richten, da er selbst nicht gerichtet werden musste, doch Gracchus traf mit jedem Urteil sich selbst. Er hasste seinen Bruder für das, was jener mit seiner Familie getan hatte, dafür, dass er nicht geschwiegen und sein Versagen in den Wänden der flavischen Villa verborgen hatte, sondern mit seinem falschen Götzen in die Welt hinausgezogen war. Doch manches mal überwältigte Gracchus die Scham darüber, dass er sich selbst nicht ebenso hasste, dafür, was er getan hatte, dafür, dass er schwieg und verbarg. Aus der Sicht eines Außenstehenden mochte es bei Weitem nicht ernstlich erscheinen, kaum wert, sich darüber Gedanken zu machen. Doch Gracchus' Welt war bestimmt von Pflichten und Tugenden, von Geboten und Verboten der Familie, der Gens, des Standes, und von immerwährendem Zweifel an sich selbst und seinen Taten.
    "Oh, Caius ... sie wird sterben durch seine Dummheit ... und ihr Blut wird an seinen Händen kleben. Mag sie nur eine Sklavin sein ... diese Schuld wird sich nie wieder abwaschen lassen. Wie viele Sklavinnen er sich kaufen wird, wie sehr er sie lieben wird ... sie werden ihn alle mit ihren Augen ansehen."
    Seine Stimme wurde leiser, bis sie letztlich fast nur noch ein heiseres Flüstern war.
    "Wenn du ihn richtest, so richte auch mich."

    Ungern wollte Gracchus die Euphorie des Aurelius bremsen, doch ganz wohl war ihm bei dessen Plänen nicht. Im Grunde genommen war es ein solides Vorhaben, zumindest die Vorteile schienen bereits durchdacht, und es hörte sich durchaus vernüftig an. Doch Gracchus eigene Erfahrungen mit dem Handel steckten ihm zu tief in den Knochen, er konnte sich auch nun nich davon lösen.
    "Wenn es um Kontakte und Beziehungen geht, so sollten wir alle, die wir hier sitzen, sicherlich keinerlei Schwierigkeiten haben. Wenn es jedoch um Investitionen geht, so rate ich zur Vorsicht. Geldgeschäfte sind die Freuden des einfachen Mannes und sollten in den Händen jener bleiben."

    Ein leichtes Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen, musste sich Cicero doch sicher sein, dass seine Aussage Neugier erwecken würde.
    "Für das rechte Ziel sollten weder Arbeit noch Mühen gescheut werden. Ist dieses Projekt denn in deinen Gedanken bereits soweit gediehen, dass du uns verraten kannst, worum es geht?"

    "Eine vorzügliche Idee, Aurelius. So können wir gemeinsam bisher geleistete Arbeit bewerten und weiters feststellen, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Zur Hälfte der Amtszeit scheint mir für dererlei ein geeingeter Zeitpunkt zu sein. Wir werden dann sicher bereits auf etwas Arbeit zurückblicken können."

    Erneut entkommt Gracchus ein tiefes Seufzen, auch wenn er bemüht ist, es versteckt in seinem Inneren zu halten.
    "Du weißt, dass ich an unsere Gens glaube, daran, dass jeder von uns alles erreichen kann, wenn er nur gewillt ist, seinen Beitrag zu leisten und seine Pflicht zu tun. Doch was können wir tun, Aquilius, dass Furianus jene Verantwortung, welche ihm mit seiner Geburt auferlegt wurde, bewusst wird, dass er sich seiner Pflichten erinnert und sein Verhalten gemäß den gesetzten Maßstäben anpasst? Manches mal scheint er mir ein recht verständiger Mensch zu sein, bemüht seine Rolle auszufüllen, doch andere Male scheint mir, als wüsste er selbst nicht, wer oder was er ist. Ich fürchte, so schwer dies auch sein mag, wir müssen uns in Geduld üben, denn sein Vater scheint nicht gewillt, ihm rückwirkend die Erziehung anheim kommen zu lassen, zu welcher er zuvor nicht die Möglichkeit hatte."
    Sein Blick weicht dem Aquilius' aus, sucht einen Punkt auf dem Zimmerboden, einen Punkt in weiter Ferne.
    "Weiters fürchte ich, wir werden seinen Makel decken müssen, wie wir es bereits mit so vielen Makeln tun. Was auch immer geschieht, Aquilius, was du erfährst und was du siehst, es darf die Mauern dieser Villa nicht verlassen, sofern es dies nicht bereits getan hat. In diesem Fall ist dafür Sorge zu tragen, dass der Schaden so gering wie möglich bleibt."
    Schließlich hebt sich Gracchus Blick wieder, Kummer liegt darin und Sorge. Die Worte seines Vetters hallen in seinen Gedanken nach. 'Verzweifelte Menschen haben des öfteren die Angewohnheit, Dummheiten zu begehen.' Vielleicht war es dies, was auch Furianus manches mal handeln ließ, und wie sollte Gracchus dies verurteilen, kannte er die Verzweiflung doch ebenso?
    "Verzweiflung wird sie nicht weit bringen. Sie ist eine Sklavin, Aquilius. Sie steht unter dem Besitz des Flavius Felix oder des Caecilius Crassus, dies können wir wohl nicht mit Sicherheit sagen. Doch keiner von beiden wird zulassen, dass ihr Besitz ihnen auf der Nase herumtanzt. Sie mag verzweifelt sein, doch sicherlich ist sie nicht so dumm, im Circus enden zu wollen."