In einer strahlend weißen Toga Candida trat Gracchus auf die Rostra hinauf und blickte einen Augenblick lang über die Köpfe der Römer hinweg, um deren Gunst er nun werben wollte.
"Bürger Roms!
Mein Name ist Manius Flavius Gracchus und ich trete heute vor euch, um meine Kandidatur zur Quaestur für die kommende Amtszeit bekannt zu geben."
Er ließ dies kurz wirken, sein Name sollte sich immerhin einprägen.
"Ich entstamme einer Familie, in welcher Politik Tradition ist. Sowohl mein Vater, der ehemalige Praefectus Urbi Titus Flavius Vespasianus, als auch meine Mutter Diva L. Flavia Nyreti, ehemals Procuratrix der Provincia Aegyptus, setzten im Senat ihre Stimme zum Wohl des Imperiums ein. Doch ihr sollt mich nicht meiner Familie wegen wählen, sondern aus dem Grunde, da ich selbst meine Stimme und meinen Eifer dem Volke Roms zur Verfügung stellen möchte. Ich genoss eine Ausbildung in Achaia, widmete mich dort den Künsten und Wissenschaften und kehrte schließlich, ein wenig weiser wie ich hoffentlich behaupten darf, nach Rom zurück. Der Tradition verbunden leistete ich einen Eid dem Iuppiter und trat dem Cultus Deorum bei. Meine Ausbildung erhielt ich im Tempel des Mars Ultor, so dass ich auch in diesen Kult einen umfassenden Einblick erhielt, und schließlich konnte ich mein Gelübde gern und verdientermaßen einlösen. So stehe ich heute vor euch, noch als Sacerdos publicus, doch wenn ihr es wollt, bald als Quaestor für das Römische Volk. All mein Streben und mein Eifer werden auch weiterhin den mir gestellten Aufgaben gelten, dies ist es, was ich euch versprechen kann, nicht mehr und nicht weniger."
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Mittlerweile war auch Gracchus in den Saal hineingeführt worden und hatte auf einem freien Platz Platz genommen. Ein wenig erstaunt hatte er die Anwesenheit seines Vetters Aquilius registriert, jener war augenscheinlich ebenfalls frisch in die Sodalität berufen worden. Schweigend wartete Gracchus den Beginn der Sitzung ab und lauschte den Worten des Magisters. Als jener zur Wahl aufrief ließ er seinen Blick über die versammelten Sodales schweifen, einige hatten den ihren gesenkt, andere erwiderten ihn fragend und abwartend. Da sich auch nach einigen Minuten allgemeinen beharrlichen Schweigens und Räusperns nichts getan hatte, entschloss sich Gracchus dem würdelosen Trauerspiel ein Ende zu bereiten und stand auf.
"Werte Sodales! Die wenigsten von euch werden mich kennen, denn dies ist der erste Tag, an welchem ich als Sodalis der Salii Palatini hier anwesend bin. Dennoch möchte ich mich hiermit zur Wahl stellen. Mein Name ist Manius Flavius Gracchus und der Pflichten eines Magisters bin ich mir wohl bewusst, gehörten die Sodalitäen doch seit jeher zu den Dingen, mit welchen wir Flavier von Kindesbeinen an vertraut sind. Weiters wage ich zu behaupten, dass auch meine Berufung für mich spricht, denn ich diene dieser Tage den Göttern als Sacerdos publicus. Dem Mars insbesondere bin ich verbunden durch meine Ausbildung, welche ich unter dem jetzigen Septemvir und damaligen Sacerdos Valerius Victor im Tempel des Mars Ultor erhielt." -
Mit dem Hinweise auf seine Freundschaften erreichte Cicero sicherlich nicht bei Gracchus, was er sich erhoffte, denn jener nahm dies eher mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Da solcherlei jedoch nicht auf die Rostra gehörte, widmete er sich nur dem eigentlichen Thema.
"So lass mich denn deinen Worten wiederum widersprechen, werter Aurelius. Denn ich bin Priester, wenn auch nicht auf den Dienst an der Ceres spezialisiert. Doch sie allein als Göttin des Getreides zu sehen, würde jener nicht gerecht werden. Seit jeher ist sie tief mit der Erde verwurzelt, mit jenen Kräften, welche alles Wachstum und Reifen fördern. Die Bauern erkoren sie aus zur Herrin über das Getreide, ebenso, wie die Huren Flora zu ihrer Göttin erhoben, doch beides allein wird keiner von beiden gerecht. Nicht umsonst wirst du Bildnisse der Ceres oftmals mit einem Füllhorn in der Hand entdecken, gefüllt nicht nur mit den Ähren des Getreides, sondern ebenso mit Früchten, vor allem mit den Fürchten, welche durch den Menschen gesäht, angebaut oder geerntet werden."
Es war wahrlich erbaulich, mit diesem Aurelier zu disputieren.
"Bleiben wir noch ein wenig bei diesen Spitzfindigkeiten. Denn so müsste auch Flora nicht für eure Zwecke geignet gewesen sein, ist sie doch dieser Tage vorwiegend Göttin der Blumenblüten und nicht derer der Feld- und Baumfrüchte. Dazu wurden in alter Zeit die Floralia wohl speziell und ausschließlich der Getreideblüte wegen gefeiert. Ich wage also zu behaupten, dass doch Ceres, und gerade sie, für Mantuas Bitten empfänglich gewesen wäre."
Dass der Imperator selbst den Floralia beigewohnt hatte, erstaunte Gracchus, wenn es ihn nicht gar ein wenig entsetzte. Doch der Kaiser war der Kaiser, daran gab es nichts zu rütteln und an ihm nichts zu kritisieren, vor allem nicht an der Rostra.
"Dass die Region aus jenem Fest einen landwirtschaftlichen, und sicherlich auch einen wirtschaftlichen Nutzen gezogen hat, mag ich nicht bestreiten. Doch die leichten Mädchen gehören seit jeher zu den Floralia, ist Flora doch ihre Göttin und es ist nur ihr gutes Recht sie an ihrem Ehrentage zu feiern, ganz egal, was wir davon halten mögen. Solch eine Festivität in eine Stadt zu ziehen, welche sich gerne den Ruf einer sittlichen und moralischen Festung gibt, halte ich dennoch weiterhin für unbedacht." -
Aufmerksam lauschte Gracchus den Ausführungen des Kandidaten. Schließlich, als jener geendet hatte, hob er zu einer Antwort an.
"Mein Name ist Manius Flavius Gracchus. Du wirst nun sicher verstehen, dass mich jenes Thema gerade als Patrizier interessiert, und auch wenn es nicht meine Absicht war, in Wunden zu stochern, so muss ich doch die Fragen stellen, welche mir auf der Seele brennen. Das Jahr, welches unsere Ahnen festgelegt und gefüllt haben, jenes, welches Caesar um einige Tage erweiterte, auf dass es mit dem Kreislauf von Sonne, Mond und Jahreszeiten übereinstimmt, weist über sechzig Feiertage auf, dazu über ein Dutzend Ludi. Der Bauernkalender allein ist beileibe nicht spärlich befüllt. Selbst, wenn es in jedem Falle hätten Spiele sein müssen, so wären die Ludi Ceriales noch in vertretbarer Nähe gewesen, beachtet man die Alternative. Dennoch hast du die Ludi Florales zur Ausrichtung gewählt."
Eine kurze Pause folgte, in welcher sich Gracchus seine Worte zurecht legte. Er wollte den Mann nicht angreifen, doch um ihm seine Stimme zu geben, musste er sich sicher sein, das Richtige zu tun.
"Weshalb, so frage ich dich? Sollten dir die Folgen deines unbedachten Handelns nicht klar gewesen sein? Und sollte dies zutreffen, wie gedenkst du fürderhin solch unbedachtes Tun zu vermeiden?" -
Es verwirrte Gracchus einen Moment, als ihn die Frau direkt beim Namen nannte, doch schließlich dämmerte es ihm, vor wem er stand. Er hatte die Quaestrix in einem Cursus der Schola Atheniensis kennen gelernt, wenn auch nur flüchtig, so musste sie sich dennoch seinen Namen gemerkt haben.
"Ich verstehe, an was habt ihr dabei gedacht? Die Vinalia rustica werden natürlich auch offiziell gefeiert werden, ich selbst werde für das Opfer verantwortlich zeichnen, auch wenn es ein wenig geringer ausfallen wird, als jenes, mit welchem der Flamen Dialis vor wenigen Tage die Weinlese eröffnete. Die Tradition verbietet es zwar, den neuen Wein vor den Vinalia prioria im nächsten Jahr zum profanen Gebrauch frei zu geben, doch es wäre womöglich eine gute Idee, die ersten Trauben oder auch den ersten Wein des Weinberges dem Iuppiter darzubringen. Doch ich vermute, ihr meint mit einem besonderen Opfer auch das Opfer eines Tieres? Für diesen Fall schlage ich einen Schafsbock vor, weiße Böcke sind einfacher zu finden, als helle Eber. Oder schwebt euch gar noch größeres vor Augen?" -
Um sich ein wenig vertraut mit der politischen Lage der Stadt zu machen, hatte Gracchus beschlossen, dem diesmaligen Wahlkampf selbst beizuwohnen, zumindest in Teilen. Vor allem die patrizischen Kandidaten erregten dabei seine Aufmerksamkeit und so hörte er dem Mann, der sich Aurelius Cicero nannte, besonders genau zu. Schließlich jedoch regte sich in ihm eine Frage und nachdem bereits die ersten, augenscheinlich recht einfach zu beindruckenden, Bürger dem Mann ihre Stimme versicherten, hob Gracchus zu sprechen an.
"Gestatte mir eine Frage, Aurelius Cicero, oder womöglich auch mehrere. Einerseits hebst du deine verwandtschaftliche Beziehung zu den Aureliern hervor, sprichst von dieser Familie in wir-Form, es scheint dir also ein Anliegen zu sein, deine Zugehörigkeit zu dieser traditionsverbundenen und tugendhaften Gens zu betonen. Auf der anderen Seite jedoch schreibst du dir die Ludi Florales auf deine Fahne - ein unsittlicheres Fest, welches ganze Städte in Sümpfe der Hurerei und Vergnügungssucht stürzt gibt es wohl kaum. Mag man darüber denken, was man möchte, wichtig ist nur, wo soll der unbedarfte Bürger dich einordnen? In den Schoß einer auf Sittlichkeit und Anstand bedachten patrizischen Familie oder in die Ecke derer, welche in Ausgelassenheit und Vergnügen ihr Heil suchen? Denn vereinbar sehe ich beides kaum miteinander." -
"Sehr gut."
Obwohl Gracchus ohnehin keinen Widerspruch geduldet hätte, war er sich des Datums nun doch zu sicher, war er erfreut darüber, dass seine Verlobte ihm zustimmte, und ihr ehrliches Lächeln gab ihm endlich das ersehnte Gefühl, wenigstens ein mal etwas richtig gemacht zu haben.
"Ich werde dieses Datum von den Auguren prüfen lassen, doch ich erwarte nicht, dass dies kein akzeptables Datum ist."
Es gab wenig, dessen er sich in diesem Augenblick so sicher war. Wessen er sich noch nicht sicher war, dies war die Gästeliste, welche Aquilius nun ansprach.
"Eine grobe Übersicht über die zu ladenden Gäste haben wir bereits zu früherer Stunde angelegt. Sie ist noch nicht final, doch darum wird sich Sciurus kümmern. Du stehst natürlich ganz oben auf jener Liste, dessen sei dir versichert, werter Vetter."
Ein hintergründiges Lächeln bahnte sich seinen Weg und kräuselte Gracchus Lippen.
"Wenn du die Gelegenheit nutzen und eine bestimmte Dame wiedersehen oder kennen lernen möchtest, so sage es nur. Wenn sie mit den Gästen vereinbar ist, so soll es keine Schwierigkeit darstellen, sie, gegebenenfalls mit ihrem Pater familias, zu laden. Nicht selten werden auf Hochzeiten die ersten Grundlagen für weitere vorteilhafte Verbindungen gelegt." -
Mit leuchtenden Augen postierte sich Gracchus in dem Kampfarreal und funkelte seinen Vetter an.
"Nichts liegt mir ferner, als diesen Staub auch nur einzuatmen. Eher wirst du es sein, der sich vor mir am Boden wälzt."
Entzückt betrachtete er, wie sich Aquilius' Sehnen anspannten. Beinahe gleichzeitig gingen sie beide in Position, die Füße fest in den sandigen Grund gestemmt.
"Möge der Bessere gewinnen und mögest du deinen Platz unter mir einnehmen."
Die Zweideutigkeit seiner Bemerkung brachte ein fröhliches Grinsen auf Gracchus' Gesicht, wie es sonst äußerst selten an ihm zu sehen war. Mit einem Nicken verständigten sich die beiden wie es früher schon so oft geschehen war, auf den Beginn des Kampfes. Sogleich erlosch das freundschaftliche Grinsen und Gracchus biss die Kiefer in Konzentration aufeinander, während er Aquilius aus zusammengekniffenen Augen taxierte. Sie umschlichen einander, lauerten auf die Aktion des Gegenübers, bis Gracchus seine sichere Position aufgab und mit einer raschen Bewegung vor Aquilius stand und dessen Oberarme ergriff, was jener seinerseits sogleich mit einem Gegengriff erwiderte. Es dauerte nicht lange und die beiden waren ineinander verkeilt, trotz des Öls, welches sie immer wieder den Halt ihrer Griffe einbüßen ließ. Gracchus schnaubte und drückte seinen Vetter mit aller Kraft zurück und aus seiner Sicht zur linken Seite hin. Würde Aquilius sich zur rechten Seite dagegen stemmen, so würde Gracchus den Vetter mit einem schnellen Ruck nach Rechts über sein Bein auf den Boden befördern. Es war eine einfache Taktik, welche Gracchus schon recht früh perfektionniert hatte und welche bei seinem Vetter fast immer funktionniert hatte, bis Aquilius begonnen hatte, mit entsprechenden Gegenmaßnahmen zu kontern. Doch womöglich hatte der Vetter mit vielen anderen gerungen und einige seiner alten Taktiken würden auch an diesem Tag Erfolg zeigen. -
Ein heißeres, freudloses Lachen entkam Gracchus.
"Die Götter lassen sich nicht vom Pöbel lenken? Oh, Lucullus, du musst noch viel lernen. Was sind die Götter? Wer gibt ihnen ihre Macht? Weshalb glaubst du, existieren Iuppiter, Mars und Quirinus, während die Götter unserer Feinde im Staub der Bedeutungslosigkeit versunken sind? Die Menschen sind es, die den Göttern ihre Stärke geben und wir sind es, welche die Menschen lenken können, neben ihren Bedürfnissen, Sehnsüchten und ihrer Gier. Quirinus und Mars, Götter des Krieges, sie sind den Römern in der Hauptstadt fern geworden. Weisheit und Weiblichkeit regiert jetzt auf dem Thron der Trias, denn Wissen und Familie ist es, nach was die Menschen hier begehren."
Er ergriff den dargebotenen Wein und trank einen Schluck, ließ ihn eilig die Kehle hinab rinnen. Schließlich seufzte er schwer.
"Die patrizische Trias, die patrizischen Flamen, sind nur noch Relikte einer längst vergangenen goldenen Zeit. Ihre Aufgaben mögen traditionell und hoch geachtet sein, doch all zu oft sind die Ämter der Flamines verweist, weil kein Römer mehr an die Traditionen glaubt und bereit ist, sich seiner Pflicht zu stellen, weil Gier und Habsucht sie die Götter vergessen allzu schnell vergessen lassen."
Ein durchdringender Blick sucht den seines Bruders.
"Furcht ist es, was die Menschen als einziges noch zu lenken vermag. Furcht, vor dem missglückten Opfer, Furcht vor dem Zorn der Götter, vor Seuchen, Krankheit und Krieg. Du wirst es erkennen, wenn du vor ihnen stehst, den Blick aus den Eingeweiden hebst und in ihre Augen schaust. Ihr Flehen nach der Litatio, ihr Bangen um die Zukunft. Das ist es, was die Menschen noch zu lenken vermag und das ist es, was in deiner Hand liegen wird. Doch fürchten sie Quirinus noch? Ich kann es dir nicht sagen, ich kann dir nur sagen, sie beben vor Angst um Iuppiters Zorn."
Womöglich waren dies bereits zu viele der Worte gewesen, doch obwohl Gracchus sein Bruder fremd war, so war er ihm dennoch der Bruder und als solcher waren sie gemeinsam durch ihr Blut gebunden. Als verklärter Priester würde er es nicht weit bringen, soviel war sicher. Wenn er sein Leben den Göttern widmen wollte, so sollte dies gleich von Anfang an auf die richtige Art und Weise geschehen. Die Antwort auf Gracchus Frage bezüglich der Landwirtschaft, wischte dieser nun mit einer Handbewegung davon. Womöglich konnte ihm sein Bruder im Cultus Deorum mehr nützen, als er zu Anfang dachte. -
An Tagen wie diesem genoss es Gracchus, für den wichtigsten Tempel des Reiches verantwortlich zu sein. Allgemeinhin entschied ein willkürlich gewählter Turnus, in welchem Tempel welcher Sacerdos zu welcher Zeit Dienst tat und jener, welcher den Turnus gewählt hatte, hatte sicherlich auch nicht voraussehen können, wie sich die Wetterlage über der Stadt zeigte. Doch Gracchus war nicht umsonst dem Gott des Wetters zugeneigt und sah sich so zu Recht begünstigt. Während die Straßen in der Stadt zu seinen Füßen an solchen Tagen der Bewölkung dreckiger erschienen, als an sonnigen Tagen, während dunkle Winkel noch dunkler wurden und schummrige Tavernen nicht mehr als schwarze Löcher waren, während all dem wehte auf dem Mons Capitolinus ein laues Lüftchen. Immer wieder suchte Gracchus einen Vorwand, die Nebengebäude aufzusuchen und dabei durch die frische Brise zu wandeln. Von solch einem kleinen Ausflug kam er nun mit einer Kanne Öl zurück, als er vor der Statue des Iuppiters zwei Personen entdeckte, eine davon im Umsehen begriffen. Er stellte die Kanne in eine der Nischen der Tempelwand und ging langsam auf die beiden zu.
"Salvete, kann ich euch behilflich sein? Möchtet ihr ein Opfer darbringen?" -
"Quirinus."
Das Wort klang völlig wertneutral, nur ein wenig nachdenklich. Gracchus hob seine Hand und begann, seine Unterlippe zu kneten.
"Eine weise Wahl. Wenn Quririnus durch den Pöbel bedingt auch nicht mehr ganz so mächtig scheinen mag, wie dies zu früheren Zeiten der Fall gewesen ist, so ist er dennoch einer der wichtigsten Götter, auf denen die Grundfeste unseres Reiches errichtet sind."
Zumindest zu Anfang würden sie sich nicht in die Quere kommen.
"Ich hoffe doch, du hast neben dem Studium der Götter deine wirtschaftlichen Studien nicht vernachlässigt?"
Dies war es immerhin gewesen, was ihr Vater für Lucullus ursprünglich geplant hatte. Dies war, wo Gracchus den kleinen Bruder immer gesehen hatte, zu Anfang neidvoll, doch später abschätzig. Es war wenig verwunderlich, dass Lucullus sich so bereitwillig in seine Rolle gefügt hatte - in Gracchus Rolle, von welcher dieser nicht weichen würde. -
"Furianus scheint manches mal ein wenig... unbedacht. All zu oft zeigen sich die Defizite seiner Erziehung durch den Pöbel und es werden sicherlich noch einige Sommer ins Land ziehen, ehe er seinen Weg gefunden hat. Doch ich bin der Hoffnung, dass es der rechte Weg sein wird, so denn er sich durch seine Unbesonnenheit nicht eines Tages selbst ins Abseits manövrieren wird."
Er vermied es auszusprechen, dass es ihm nur recht war, dass ihr Vetter zweiten Grades seine überschwänglichen und manches mal seltsam anmutenden Leidenschaften nun fernab der Hauptstadt in der Provinz auslebte. Gracchus lehnte sich zurück und faltete die Hände zusammen. Er musste wissen, wie sein Bruder dachte, was sein Bruder gedachte zu tun.
"Du wirst nun also dem Dienst der Götter beitreten, wie es unser Vater zuletzt für dich vorsah? Welchem Gott wirst du dich unterstellen?"
Er war sich nur allzu bewusst, dass die Wahl eines Gottes bei einem patrizischen Sacerdos mehr über dessen Ziele aussagte, als dies bei einem plebeischen je denkbar gewesen wäre. -
Gracchus platzierte sich, legte ein Bein übers andere und stricht die Falten seines Gewandes glatt. Er fixierte seinen Bruder mit aufmerksamem Blick.
"Das freut mich sehr. Als ich Rom erreichte, war mir die Villa eher fremd. Ein Vetter, den ich nicht kannte, und sein Sohn, dessen Geschichte mir äußerst merkwürdig anmutet. Später der nächste verlorene Sohn, doch von dem Haus unserer ersten Schritte war nicht mehr viel zu spüren."
Er hielt inne, in dem Gedanken gefangen, dass trotz seiner eigenen Anwesenheit und der ihres Vetters Aquilius die Villa Lucullus möglicherweise nicht weniger fremd schien. Eine unangenehme Stille breitete sich über das Gespräch aus, doch Gracchus vermochte nicht, sie zu brechen und zu endlich auszusprechen, was ihm auf dem Herzen lag. -
Einige Herzschläge lang harrte Gracchus vor der Tür und wollte sich bereits schneller als üblich wieder abwenden in der erleichternden Annahme, dass sein Bruder nicht zugegen sei, da tönte schließlich doch das hereinbittende Wort aus dem Inneren des Raumes. So entließ Gracchus einen schweren Seufzer aus seiner Kehle um anschließend langsam die Tür zu öffnen und in das Cubiculum zu treten.
"Salve, Lucullus."
Er wartete nicht, bis sein Bruder ihn weiter herein bat, sondern schloss die Tür hinter sich.
"Hast du dich gut eingelebt?" -
Lange hatte Gracchus an diesem Abend schweigsam in seinem Cubiculum gesessen, einen Fetzen Pergament anstarrend, dessen Buchstaben vor seinem Auge verschwommen. So leer sein Blick auch gewesen war, in seinem Geist hatten Schlachten getobt. Verstand hatte mit Gewissen gerungen, Pflichtgefühl mit Wahrheit mit Gerechtigkeit mit Würde mit dem Selbst. Wie bei so vielen Schlachten zuvor hatte es keinen Sieger gegeben, nur Verlierer, halb lebendig oder halb tod. Schlussendlich hatte Gracchus das Pergament zerknüllt auf dem Tisch zurückgelassen und war schweren Schrittes bis zum Cubiculum seines Bruders gekommen. Hier nun stand er vor der Tür um sich dem zu stellen, was es zu sagen gab, unschlüssig ob er auf Vergeben, Vergessen oder Verachtung hoffen sollte. Doch tief in seinem Herzen glühte noch immer der Funke des Stolzes, der Funkte der Wut, der all das, was geschehen war, genau dorthin schob, wo es gut war. Zögernd klopfte Gracchus an die Tür.
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Mit einer Schrifttafel, Pergament und Tinte bewaffnet saß Gracchus in der zweiten Reihe des Raumes, zu seinem Bedauern waren alle Plätze der ersten Reihe bei seinem Erscheinen bereits belegt gewesen, und lauschte den Ausführungen des Lehrers. Trotz seiner vorzüglichen Ausbildung entdeckte er noch Lücken in seinem Wissen, welche er bereitwillig mit den neuen Informationen füllte. Ein wenig beschlich ihn die Befürchtung, dass er die gestellten Aufgaben am Ende nicht würde lösen können, doch die Erlösung kam sogleich mit der ersten Aufgabe. Gracchus erinnerte sich noch gut an die Lehrstunde, welche er gemeinsam mit Aquilius bestritten hatte und in welcher jenes Thema abgehandelt wurde. Sein Vetter hatte ihn hernach aufgrund der Namensgleichheit solange bedrängt, bis Gracchus einen ähnlichen Satz für seinen Vetter auf einem ähnlichen Geschenk platziert und jenes ihm vermacht hatte. Durch diese Erinnerung beschwingt notierte Gracchus seine Antwort sogleich.
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Tage waren vergangen, seit das vermeintliche Götterzeichen geschehen war. Getan hatte sich seitdem nichts, der Senat debattierte, der Cultus Deorum schlief den Schlaf des Nicht-Verantwortlichen oder verfliel in interne Zwistigkeiten, und die Bürger des Imperiums zuckten mit den Schultern, wiesen die Schuld von sich und mit den Fingern auf den Senat und den Cultus Deorum.
"Deplorabel."
Manius Flavius Gracchus, seines Zeichens Sacerdos publicus, vorwiegend dem Iuppiter zugetan, stand vor der Mensa im Tempel der Iuno Sospita am Forum Holitorium und betrachtete das traurige Bild. Schenkte man den Gerüchten Glauben, so wandelte sich die Heilsbringerin langsam zur Persephone und besah man ihren Tempel, so mochte dies wenig verwundern.
"Äußerst deplorabel."
Vorsichtig nahm Gracchus sein Körbchen zur Hand und holte daraus einige Blätter getrockneter Rosenpappel hervor, welche er in einer fließend weichen Bewegung über die Räucherkohle in der kleinen tönernen Schale auf der Mensa streute. Ein leichter Duft nach Moschus stieg auf und umhüllte ihn, während er erneut in den Korb griff, einen geflochtenen Kranz aus frischen Sommerblumen hervor holte und diesen auf dem Gabentisch platzierte. Ein drittes Mal glitt seine Hand in den Korb hinab und brachte eine Hand voll im Grund gelbfarbene, sonst tief dunkelrote Blüten der Rosenpappel hervor, welche er sorgfältig über den Tisch verstreute. Er hatte die Blüten und getrockneten Blätter teuer bezahlt, hatten sie doch bereits eine Reise aus Aegyptus bis nach Rom hinter sich gebracht, als ganze Blumen in Heimaterde noch, sollten sie doch der Iuno nun in aller Frische den Sinn erfreuen. Einige Wimpernschläge betrachtete Gracchus das Arrangement, schließlich rückte er den Kranz ein wenig mehr in die Mitte und betrachtete das Gesamtbild wiederum eingehend. Schließlich wandte er seine Handflächen hinauf gen Tempeldach und sprach zur Göttlichen.
"Verlasse uns nicht, hehre Iuno, verzeih den Unwissenden, den Dummen und erst recht den Einfältigen. Schwach ist der Mensch, schon immer gewesen, schwach wird er nur immer sein. Es gibt keine Schuld, gibt keine Unschuld, nach dem ersten Mal, und vorher nur Unwissen. Die, die dich lieben, werden dies immer tun, die, die dich hassen, werden es immer tun. Der Rest ist nur Staub auf den Stufen deiner Tempel, nur Dreck unter den Sohlen deines erhabenen Volkes und keines Gedankens wert. Denke an uns, göttliche Retterin, denke an uns, die wir dich lieben und unwissend, dumm und einfältig sind. Zerstöre deine Feine, doch verzeih deinem Volk, so wie dein Volk denen verzeiht, die um Gnade winseln." -
Seinem Bruder, wie auch seinem Vetter zweiten Grades wünschte Gracchus eine geruhsame Nacht, seinem Vetter auch eine gute Reise, und blieb schlussendlich allein zurück im Triclinium. Die Logik seines Vetters blieb ihm verborgen und es schien ihm, als würde sich die Essenz seiner Worte mit jedem gesprochenen Satz wieder und wieder in andere Richtungen winden, gar umkehren. Seine Suche war in Gracchus Augen in keinster Weise gerechtfertigt, verglich er sich doch bereits mit Plebejern und lieferte nur fadenscheinige Argumente, wie es Gracchus schien, um seine eigenen Gelüste zu verbergen. Der Kaiser hatte womöglich nicht nur der Gens Flavia einen Gefallen getan.
Gracchus widmete sich der Dulcia domestica und sann über das Eintreffen seines Bruders in Rom nach. Womöglich würde dieser seinen Platz fordern, doch er war nicht gewillt, von dem Seinen zu weichen, auch wenn er möglicherweise kein Anrecht darauf hatte. Nach dem abschließenden Nachtisch zog sich auch Gracchus, in Gedanken versunken, in sein Gemach zurück und widmete sich seinem Sklaven. -
Mit mäßigem Erfolg versuchte Gracchus die Worte seines Vetters nachzuvollziehen. Jener Ehrgeiz, jener Drang der ihm eigen war, war Gracchus selbst ein wenig fremd, doch wer wusste schon, welche Beweggründe hinter jenem Ehrgeiz lauerten?
"Was ist es dir so eilig mit einem Sitz ihm Senat? Du sagst selbst, dass du nach deiner Hochzeit nicht mehr dem Wort deines Vater unterstehen wirst, weshalb also greifst du schon jetzt nach Dingen, welche dir nicht zustehen? Welches Bildnis willst du Rom liefern, als unverheirateter Mann in die Curia Iulia einzuziehen, wie es der Plebs nur zu gerne tut, da er sich nicht um seine Traditionen und Pflichten kümmert, sondern nur Ruhm und Macht ernten will? Der Kaiser tat gut daran, so zu handeln, wie er es tat, denn er schütze damit nicht nur die Werte Roms, sondern auch dein Ansehen, mein lieber Vetter. Patientia ist nicht umsonst eine Tugend."
Es war äußerst deplorabel. Steckte doch die Saat eines Flavius in Furianus, so war der Keimling fern einer adäquaten Ausbildung bedauerlicherweise in die falsche Richtung gewachsen. Dies zeigte ebenso seine Einstellung in Bezug auf seine Anstellung. Die Art der Prüfung verstand Gracchus indes in anderem Sinne, mochte der Kaiser doch ebenso gut geprüft haben, ob er einfältig genug ist, jedes noch so plebeische Amt anzunehmen, nur um dem Imperator zu gefallen, oder möglicherweise, ob er sich seiner Herkunft bewusst und daher des Senatorenstandes würdig war. Einen Vorteil durch die Einschätzung des Kaisers konnte Gracchus beim besten Willen nicht erkennen, doch er wollte seinem Vetter nicht die Illusionen rauben und behielt daher diese Gedanken für sich, war ihm doch auch nicht an einem Disput über dieses Thema gelegen.
"Wann wirst du abreisen?" -
Ein wenig blickte Gracchus dem neuen Klienten hernach, doch schließlich nahm er seine Studien wieder auf. Er war bereits bei den Angeronalia angelangt, doch obwohl damit das Jahr beinahe beendet war, lag beinahe noch einmal soviel Arbeit vor ihm, folgten doch hierauf die nicht festgesetzten Festtage der Götter und die für die Menschen eingerichteten Tage.