Ein unglaublich leises Aufstöhnen schaffte es, aus Gracchus Kehle zu entwischen. Er befürchtete bereits das Schlimmste, womöglich war sein Bruder zurückgekehrt, oder einer der Söhne seines Vetters hatte sich letztendlich als Schwindler erwiesen. Es war nicht mehr weit, dann würde man sich des Namens Flavius zutiefst schämen müssen. In einer kraftlosen Bewegung ließ sich Gracchus auf einem Stuhl, natürlich nicht jenen, auf welchem zuvor die Sklavin saß, sinken. Dann jedoch kam ihm ein noch ungeheuerlicher Gedanke, eben jener, dass die Praetorianer womöglich den Mord an einem Flavius untersuchten. Gracchus wusste nicht, was ihm angenehmer wäre.
"Ihr bringt wahrlich keine gute Kunde, sobald ihr dieses Haus betretet. Doch dies liegt kaum an euch, denn an euren Aufgaben. Was ist es also in diesem Fall? Steht es an, die schwarze Toga aus dem Schrank zu nehmen, oder eher das Haus aus Schande nicht mehr zu verlassen?"
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Just in jenem Moment öffnete sich die Türe und Sciurus, der Sklave des Flavius Gracchus hielt jene auf, so dass sein Herr den Raum betreten konnte. Man hatte ihm berichtet, dass erneut Praetorianer im Haus seien, erneut jeden Bewohner sprechen wollten, doch nicht, was sie erneut in diese Mauern trieb. Unabhängig davon, ob das Gespräch beendet war oder nicht, Gracchus würde nicht wie ein Bittsteller vor der Türe stehen, trat er in den Raum hinein und erblickte ein zitterndes Subjekt auf einem Stuhl, welches er jedoch als Sklave und daher unwichtig erkannte. Er wandte sich dem höchstrangigen Praetorianer zu, es dünkte ihn, als hätte er bereits seine Bekanntschaft gemacht, doch er konnte sich nur noch an den fabelhaften Anblick des Körpers in der Rüstung entsinnen, nicht jedoch an den Namen.
"Salve, Manius Flavius Gracchus ist mein Name, man unterrichtete mich, dass die Herren in ihren Ermittlungen der Hilfe der Bewohner dieser Villa bedürfen. Wer ist der Verantwortliche und worum geht es?"
In Gedanken sandte Gracchus ein Stoßgebet gen der Götter Sitz, dass es sich nicht erneut um ein kaiserliches Attentat handeln möge. -
Mit äußerster Verwunderung bemerkte Gracchus die bröckelnde Fassade Antonias und er verbuchte sich daraufhin einen Punkt Vorsprung. Der Gleichstand war damit gebrochen und dies beflügelte ihn geradezu, mehr noch, als die freudige Aussicht, die Ludi Romani nicht an der Seite seiner Ehefrau verbringen zu müssen, sondern womöglich die ein oder andere Veranstaltung mit seinem Vetter zu besuchen und seine letzten Tage genießen zu können.
"Wunderbar, so ist die Entscheidung getroffen. Nach den Ludi Romani im September, dies gibt uns ausreichend Zeit."
Ob sie sich darüber im klaren war, wie wahr ihre Worte waren? Lange hatte Gracchus darüber nachgedacht, doch kein Stein, kein Kiesel, nichteinmal das geringste Sandkorn war ihm eingefallen, welches der Hochzeit noch im Wege lag. So hatte er sich gefügt in den Gedanken der Ehe, wieder und wieder von neuem, doch wieder und wieder widerstrebte es ihm und er konnte nur darauf vertrauen, dass sich dies irgendwann von alleine legen würde.
"So sollten wir uns Gedanken über die Gästeliste machen. Sicherlich ist es noch etwas verfrüht für eine endgültige Aufstellung, doch Ergänzungen können bei Bedarf immer noch getan werden."
Mit einem Wink gab er seinem Sklaven Sciurus zu verstehen, dass er sich die fallenden Namen notieren sollte.
"Aus meiner Familie wird nur meine Schwester geladen sein, größer ist meine Familie denn auch nicht. Dazu kommen einige Verwandte, meine Vettern Aquilius, Aristides und Felix mit seinen beiden Söhnen. Wieviele Mitglieder werden aus der Gens Claudia kommen?" -
Es kostete Gracchus einiges an Überwindung, nicht hastig in das Gebäude zu eilen. Ehrfürchtig trat er vor den Tempel der kapitolinischen Trias hin und blickte vom Ansatz der Treppe bis hinauf zum Giebel. Er streckte die Hand aus, deutete auf den Tempel und sprach zu seinem Sklaven.
"Dies ist der bedeutendste Tempel des Iuppiter, keinen schöneren, keinen größeren wirst du im gesamten Reich finden, Sciurus. Dieser Tempel markiert das religiöse Zentrum der gesamten Welt, hier ist der Gott der Götter zuhause."
Ein hintergründiges Lächeln kräuselte Gracchus Lippen, während er mit seinem Blick jede Einzelheit, jedes Detail des Gebäudes in sich aufsog. In diesem Tempel auf eben diesem Hügel fanden die wichtigsten und mächtigsten Zeremonieen des Imperiums statt, und er würde zukünftig ein Teil davon sein. Gracchus wandte sich in freudiger Erregung dem Sklaven zu.
"Das Paket."
Sciurus übergab seinem Herrn einen in goldenen Samt gewickelten Gegenstand, etwa in der Größe eines neugeborenen Kindes. Der Eindruck konnte wahrhaftig entstehen, denn der Sacerdos trug das Paket mit solcherlei Sorgfalt, mit solcherlei Vorsicht die Treppenstufen hinauf, wie er es mehr bei seinem eigenen Erben nicht getan hätte. Die Tür der Cella des Iuppiters war geöffnet und gab den Weg in das schummrige Innere frei. Gesäumt von Öllampen und flackernden Kerzen, umfangen von weihrauchgeschwängerter Luft setzte Gracchus einen Fuß vor den anderen, nur immer das gütige Gesicht des Gottes vor Augen, und blieb zu dessen Füßen stehen.
"Endlich."
Langsam wickelte Gracchus die Gabe aus dem samtenen Stoff. Hervor kam eine Statue des Iuppiters, ähnlich jenen, welche in dieser Form in Tempeln, Heiligtümern und heimischen Lararien allerortens im gesamten Imperium gefunden werden konnten, allerdings auf ihre Art viel kostbarer als die meisten. Sie war vollkommen überzogen von einer glänzenden Schicht aus Gold und in die Augen des Bildnisses waren zwei kleine funkelnde Edelsteine eingelegt. Der Blitz, welcher in der Hand des Iuppiterabbildes verweilte, war an einem Stück aus Gold gegossen und so fein, dass es schien, eine einzige Berührung könne ihn brechen. Am Boden der Statue waren die Buchstaben V.S.L.M. M.F.G. eingraviert. All das hatte Gracchus ein kleines Vermögen gekostet, mehr noch, als er in seiner gesamten Zeit im Cultus Deorum bislang verdient hatte. Er hasste Verschwendung, doch für die Götter war das Beste gerade gut genug, daneben würde die Statue sicherlich einige Zeit in diesem Tempel verweilen, er selbst würde dafür Sorge tragen. Gracchus Mundwinkel umspielte ein zufriedenes Lächeln und mit einem Laut, welcher wie ein tiefes, wohliges Seufzen klang, stellte er die Statue auf den Gabentisch vor den gewaltigen Iuppiter hin.
"Wie ich es dir einst geschworen habe, so stehe ich heute hier um mein Gelübde einzulösen, gern und verdientermaßen."
Er sprach die Worte feierlich, verharrte schließlich schweigend. Es schienen ihm zu wenig Worte, doch es waren alle, die nötig waren. Darum nickte er lächelnd, atmete noch einmal tief durch und verließ den Tempel im Anschluss wieder. An diesem Tage hatte er sein Gelübde eingelöst, am folgenden würde der Alltag beginnen. -
Gracchus vergaß für einen Moment das Kauen und seine Augen weiteten sich unmerklich in stillem Entsetzen. Zwischen dem gegenwärtigen Tag und dem August lag beinahe nur ein Monat. Ein einziger Monat! Er schluckte seinen Bissen hinunter und nickte mit ausdruckslose Miene.
"Der August bietet sich wahrhaftig an. Ein wunderbarer Monat für ein wunderbares Fest."
Es klang nicht unbedingt überzeugend, denn das wunderbare Fest blieb ihm beinahe im Halse stecken, daher fuhr er eilig fort.
"Doch im August liegen viele Feiertage, beinahe jeden zweiten Tag, so dass große Zeiträume wegfallen, benötigen wir doch zwei gänzlich unbelegte Tage. Es würden mir daher nur der vierte, der dritte Tag vor und der Pridie der Iden* einfallen, oder nach den wechselnden Feiertage, also ab dem fünften Tag vor den Kalenden des September**. Oder wir legen die Feier in den September, vor die Ludi Romani***, zu diesem Zeitpunkt dürften sich ohnehin viele Gäste in Rom befinden. Alterniv im Anschluss an die Ludi."
Der September würde Gracchus schon um einiges besser gefallen, dies würde noch einen weitereren Monat in freiheitlicher Ruhe bedeuten.
"Als Form der Eheschließung kommt natürlich nur die Confarreatio in Frage."
Genau genommen hatte Gracchus mit niemandem darüber gesprochen, doch jegliche andere Form war für ihn ohnehin unmöglich, verpflichtete doch der Stand der Gentis maiores.
"Mit dem Flamen Dialis werde ich persönlich sprechen. Man hat mich endlich in den Kult des Iuppiter entsendet und ich bin sicher, dass sich im Zuge dessen eine Gelegenheit dafür ergeben wird."Sim-Off: * 10.-12.08.
** 28.08.
*** 5.-19.09. -
Gracchus zeigte den Anschein einer Gefühlsregung und gestattete sich ein entzücktes Lächeln.
"Ich danke dir, Septemvir Valerius. Nicht nur für die Glückwünsche, auch für die Ausbildung."
Zufrieden erhob sich der frisch gebackene Sacerdos, verabschiedete sich von seinem Ausbilder und verließ, gefolgt von Sciurus, den Raum. Auf dem Forum Augustum nahm er in der Sänfte Platz, den Fächer in Empfang und dirigierte die Träger zur Villa Flavia. -
Die Lichtblicke, auf diese gedehnte Weise ausgesprochen, gingen Gracchus wie Öl die Kehle hinab und hinterließen ein wohliges Flattern in seinem Magen. Er dachte über die Liebe nach und welch sonderbares Element der Natur sie doch war. Er würde Antonia niemals lieben, nichteinmal begehren, einzig ehren. Liebe war nichts für eine Ehe, Liebe war etwas für hinter verschlossene Türen, für Beziehungen zwischen Menschen vollkommen unterschiedlichr Art.
"Beide Brüder zu einem Abendessen laden? Fürwahr, dies scheint mir eine vorzügliche Idee zu sein, welche unserem Amüsement nur zuträglich sein kann. Bisweilen bestach mich das Gefühl, dass sie sich ebenfalls eher befremdlich, denn brüderlich sind, doch wer könnte es ihnen verdenken, kennen sie sich doch selbst ebenso wenig wie wir sie. Die Verteilung der Relationen wäre für uns also durchaus vorteilhaft. Zudem solltest du die Küche kennen lernen, welche zu besonderen Anlässen wahrhaft im Stande ist, kleine Wunderwerke aufzutischen. Ich würde Sciurus einen Hinweis darauf geben."
In Erinnerung an Seeigel mit Melonenpaste, sauren Spargel mit Sesam und Kümmel, Omlett mit Kürbis, Tintenfisch gebacken in Honigkruste und in Mulsum eingelegte Oliven lief Gracchus bereits das Wasser im Munde zusammen. Er hatte noch nie reichlich gegessen, doch immer sehr speziell und am liebsten äußerst erlesen, und wer immer in der Culina der Villa Flavia stand, er war sich nicht zu schade Absonderliches zuzubereiten, um die Herren zufrieden zu stellen. Dazu erregte der Gedanke Furianus noch einmal beim lasziven Schlürfen der Austern beobachten zu können Gracchus solchermaßen, dass er besorgt sein Gewand zurechtrückte. Noch viel mehr jedoch brachte ihn die Bewunderung Aquilius' Körper aus dem Konzept, an welchem nicht das geringste Bisschen zu viel war. Ein Hauch von spöttischem Vorwurf schwang in seiner Stimme.
"Du verschmähst mich demnach bereits als Partner für die morgendlichen Übungen? Du wirst schon sehen, was du von Felix' Söhnen hast. Furianus hat sicherlich keinerlei Zeit für solcherlei Kinkerlitzchen, hat er doch seine guten Freunde und Klienten zu empfangen. Milo dagegen wirst du kaum antreffen, er verlässt das Haus jeden Tag bereits früh am Morgen, doch frage mich nicht, wohin er sich aufmacht."
Ein spitzbübisches Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen.
"Womöglich ist er ebenfalls der Liebe zum Opfer gefallen, besitzt jedoch genügend Anstand, sie nicht mit nach Hause zu bringen."
Das Lächeln verharrte auf seinem Gesicht, als er darüber nachdachte, ob es womöglich eine gute Idee wäre, Aquilius an seinem Gespräch mit Antonia teilhaben zu lassen. Er befürchtete, dass sie sich bedrängt fühlen könnte, daher sollte sein Vetter mehr zufällig, denn geladen erscheinen.
"Es ist nicht so, dass ich sie grundsätzlich nicht verstehen würde, mit anderen Frauen komme ich überaus gut zurecht. Bei Gelegenheit muss ich dich der Senatorin Tiberia vorstellen, eine reizende Person! Belesen, beredt, intelligent und anmutig zugleich. Doch mache dir keine Hoffnungen, sie ist bereits vermählt."
Über den Gemahl der Tiberia konnte Gracchus noch um einiges mehr schwärmen, vor allem über seinen Körperbau, doch dies waren Gedanken, welcher er allerhöchstens mit seinem Leibsklaven teilte.
"Eine solche Frau ist geradezu geschaffen, um Abende mit anregenden Diskussionen und künstlerischen Betrachtungen zu füllen, ich habe sie auf einer kleinen Gesellschaft zu einem eben solchen Anlass kennen gelernt. Auch Claudia traf ich dort zu ersten mal, was mich vermuten lässt, dass sie sicherlich gleiche Qualitäten vorzuweisen hat. Doch mir will oder kann sie diese offenkundig nicht offenbaren. Wie dem auch sei, ich habe Claudia in die Villa geladen da wir uns über den Termin verständigen müssen und einige andere wichtige Kleinigkeiten. Dies würde dich sicherlich nur langweilen und mich würdest du ablenken, da ich liebend gerne jegliches übrige Thema denn die Hochzeit ansprechen würde. Doch was sagst du, ich könnte dir Sciurus schicken, wenn wir die heiklen Themen beendet haben, so dass du anschließend rein zufällig im Triclinium erscheinen kannst? Natürlich werde ich darauf achten, dass wir zu diesem Zeitpunkt den Hauptgang noch nicht angetastet haben."
Gracchus wischte den Gedanken an Antonia bei Seite, es würde noch genügend Zeit vergehen, welche er mit ihr teilen musste.
"Wenn du eine Anstellung suchst, so ist es nie verkehrt, die gewählten Magistrate in Augenschein zu nehmen. Leider kann ich dir nicht sonderlich viel über sie berichten. Den neuen Praetor kenne ich nicht einmal vom Namen her, ein Aedilis Curulis ist nicht gewählt, wobei ich dir keinen von beiden Kandidaten raten würde. Auch Aedilis Plebis und Tribunus Plebis sagen mir nicht viel mehr, als dass sie irgendwann einmal ihre Quaestur abgelegt haben. Womöglich gibt es einige Senatoren in hohen Ämtern, welche ebenfalls einen Scriba gebrauchen könnten, doch dazu können dir sicherlich Furianus und Milo mehr sagen. Einzig, wenn du den Weg zu den Göttern einschlagen willst, werde ich dir von Nutzen sein, denn den Weg zur Regia des Cultus Deorum kennen meine Sänftenträger bereits recht genau." -
Jede einzelne Frage beantwortete Gracchus ausführlich und gewissenhaft. Nach der ersten Wachstafel folgte eine weitere, Wort um Wort, Satz um Satz fand seinen Weg in das weiche Wachs und schließlich war alles getan. Mit einem leichten Räuspern beabsichtigte Gracchus die Aufmerksamkeit des Septemvir erneut auf sich zu lenken. Er reichte ihm die beschriebenen Tafeln.
"Wie lange wird es dauern, bis das Ergebnis feststeht?"
Ein Wink ließ Sciurus in seinem Tun innehalten, denn im Gespräch war das stetige Fächern störend. -
"Richtig."
Dies war der Zeitpunkt, da Gracchus das Ende des Gespräches herbeisehnte. Sie hatten seiner Ansicht nach bereits genug gesprochen, doch leider war noch nichts gesagt worden, so dass es ein Wunsch blieb, nicht mehr.
"Der Termin sollte in einiger Ferne liegen."
Wie gut sich dies doch anhörte.
"Immerhin werden einige Gäste eine längere Anreise planen müssen, daher sollten wir die Einladung mit entsprechender Vorlaufzeit versenden. Da wir den Termin von den Auguren bestätigen lassen müssen, sollten wir von vorneherein mehrere Termine zur Auswahl haben, von denen wir auch mehrere bestätigen lassen sollten. Denn jene passablen Termine werden wir beim Pontifex Maximus zur Prüfung vorlegen müssen, ist jener doch oft beschäftigt und diktiert somit den letztendlichen Zeitpunkt. Habe ich noch etwas vergessen?"
Beiläufig, und ohne seine Verlobte aus den Augen zu lassen, greift Gracchus zu einem Häppchen. -
Immer wieder war die eigene Familie dazu angetan, Gracchus die Sorgenfalten auf die Stirn zu treiben. Trotz seiner jungen Jahre würde dies früher oder später dazu führen, dass sie ihm nicht mehr aus dem Antlitz wichen, wenn das Leben mehr von dieser Art bereit hielte.
"Sei nicht so bescheiden, Vetter, es ist nicht allein der Zweig des Atticus, welcher die Bürde der Flavia tragen muss. Sei es nur durch Adoption, der Zweig des Corvinus sieht nicht nur unübersichtlich, sondern um keinen Deut besser aus. Und wie wir wissen, selbst aus so tadellosen Verbindungen wie der meiner Eltern erwächst nicht immer Gutes. Das einzig gute an meinem Bruder ist bisweilen, dass man ihn lange Zeit schon vermisst. Er scheint sich zu den christianischen Zentren aufgemacht zu haben, doch mittlerweile vermutet man ihn im Elysium. Mein eigener Bruder, doch Aquilius, ich hoffe so sehr, dass es wahr ist und dass er dort endlich erkannt hat, dass es der Götter viele sind."
Seit der Zeit, da Gracchus als kleiner Junge nach Achaia gekommen war, hatte er Animus nicht mehr gesehen. Doch was er später in Briefen und Berichten über den Bischof von Rom lesen musste, dies war ausreichend, um keinerlei Verlangen danach zu spüren und die Existenz eines Bruders aus seinen Gedanken zu streichen.
"Ich habe auch Calpurnia getroffen, als ich nach Rom kam, kandidierte sie nicht für den Cursus Honorum? Doch, ich befürchte, so war es. Schon damals hatte ich geglaubt, dass es nicht schlimmer werden könnte, doch was du berichtest..."
Es drängte Gracchus förmlich dazu, die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen, doch er beherrschte sich mühsam.
"Es ist der Egoismus dieser Zeiten, der auch unsere Familien vergiftet. Selbst Furianus heiratet aus Liebe, wie er es nennt, ist denn dies vorstellbar? Es ist ein Glück, dass seine Liebe immerhin auf die Flaminca gefallen ist, doch wieso muss er dies auch noch propagieren und kann nicht wie es sich gehört aus dem Grund einer vorteilhaften Verbindung in die Ehe gehen? Er hat sie beim Opfern getroffen..."
Der despektierliche Tonfall ließ deutlich werden, was Gracchus davon hielt. Er lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander, sinnierend auf die Linie blickend, wo die Wand des Zimmers in die Decke eben jenes überging. Bedächtig wanderte dieser Blick hinab und blieb auf seinem Vetter ruhen.
"Ich bin wahrlich froh, dass du hier bist, Aquilius, wahrlich. Du weißt, mir fehlt oft ein wenig der Antrieb, dazu scheint es mir so mühselig mit Furianus über diese Dinge zu sprechen. Bisweilen habe ich das Gefühl, er nimmt mich nicht wirklich ernst, auch wenn er mich tatsächlich zu Anfang Onkel genannt hat. Entweder dies, oder er erfasst nicht, was ich versuche, ihm begreiflich zu machen. Eine Weile nach unserem Disput, als sein Bruder in Rom eintraf, hatten wir ein längeres Gespräch, doch ich werde nicht schlau aus ihm. Mal scheint er so, mal andersherum und manches mal stimmt er einer Aussage zu, ist dabei jedoch gänzlich anderer Auffassung. Ich fürchte, es fehlt ihm am nötigen Feinsinn, um sublime Äußerungen zu identifizieren."
Es schien ihm, als könnte Gracchus bereits den aufkommenden neuen Luftzug im Haus spüren, als er über Sublimes nachdachte, spürte er doch unterschwellig schon jetzt die in ihm aufkeimende Erregung beim Anblick seines Vetters. Wie lange würde es dauern, bis sie ihre Körper gegeneinander maßen, welches mit gegenseitiger Berührung einhergehen würde? Der Reiz des Aquilius war ein gänzlich anderer, als jener, welchen Sciurus ausstrahlen konnte, sowohl sein alter Sklave aus Achaia, als auch sein jetziger treuer Diener. Und gänzlich unmöglich war jenes prickelnde Gefühl von Freude und Furcht zugleich im Angesicht seiner Verlobten.
"Claudia ist mit einem äußerst reizenden Äußeren gesegnet, dazu zeigt sie einen großen Sinn für Ästhetik und bietet auch in rhetorischer Hinsicht alles, was man sich von einer Gattin wünschen kann. Es könnte eine durchaus angenehme Vorstellung sein, in einer Ehe mit ihr zu leben, wäre nicht diese distanzierte Oberflächlichkeit. Ich hege bisweilen das Gefühl, dass alles, was ich tun und sagen nur das Falsche sein kann. Findet sie mit anderen ein anregendes Gespräch, so scheint es ihr unmöglich jenes mit mir zu ihrer wahrhaftigen Freude zu führen, auch wenn sie vordergründig nichts anderes zeigt. Nun, es ist nur eine Ehe. So sie denn nicht an Konversation und feingeistigem Austausch interessiert ist, werde ich sie nicht dazu zwingen."
Die Erinnerung an den erwähnten Abend in Athen treibt Gracchus geradezu ein Lachen heraus.
"Dies ist auch nicht mehr notwendig, habe ich doch nun dich wieder hier für ein angenehmes Eheleben."
Lachend winkte er ab.
"Ich fürchte nur, so einfach wird es nicht mehr werden. Rom ist anders als Athen, nicht nur die Stadt, auch die Menschen. Die Rostra meide ich, was dort geboten wird hat keinerlei Ähnlichkeit mit anregender Diskussion. Der Kult des Mars wäre sicherlich eine gute Überlegung. Der mich ausbildende Sacerdos Valerius ist mittlerweile Septemvir. Ein etwas einfacher Mensch, auch wenn er den Namen Valerius trägt, so scheint er doch aus einem sehr bürgerlichen Zweig der Gens zu stammen, doch ansonsten recht kompetent. Leider bin ich mir nicht sicher, ob er weiterhin ausbilden wird, denn im anderen Fall kann es dir leicht passieren, dass du vorerst in einen anderen Kult musst. Doch wenn ich den Tempel des Mars überstanden habe, so würdest du sicherlich auch den des Iuppiter oder vielleicht des Merkur überstehen." -
Es ließ Gracchus einen kurzen, aber doch angenehmen Schauer über den Rücken laufen, als sein Vetter sich auf seinem Bett ausbreitete, denn er hatte schon immer eine Schwäche für dessen Bewegungen gehegt. Er versuchte sich daran zu erinnern, wann er diesen Fluss der Muskeln zuletzt beobachtet hatte und dies war schon recht lange her. Es war der Abend, bevor er nach Creta weitergezogen war. Bei seinem fluchtartigen Aufbruch von dort nach Nicopolis hatte er lange überlegt, ob er in Athen Zuflucht suchen sollte, doch er hatte seinen Vetter nicht in Dinge hineinziehen wollen, über welche er längst die Kontrolle verloren hatte. Daneben hatte er einen klaren Kopf gebraucht, welchen er in Gegenwart Aquilius' noch nie besessen hatte, zu sehr fühlte er sich immer zu ihm hingezogen. Wie er sich eingestehen musste auch heute noch und er befürchtete bereits, dass dies bald wieder in ausgelassenen Feiern enden würde, welchen Gracchus allgemein nicht zusprach, welche er seinem Vetter jedoch weder verwehren konnte noch wollte, wenn er daran dachte, wie nahe er ihm im Fall der allgemeinen Erheiterung meist gekommen war. Selbst das schwere Gefühl, dass das Elysium am folgenden Tage nahe war, selbst das Wissen um das eigene, beschämende Fehlverhalten war es dies immer wert gewesen.
"Allein dieser Ausdruck, hispanische Flavier. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass man in unserer Familie pauschalisieren könnte, man könnte dich eintauschen gegen meinen Bruder, welchen wir den hispanischen Flaviern unterschieben würden. Oh, Aquilius, wäre das Leben so einfach gesponnen, doch wir haben an allen Ecken Schandflecken, die wir nicht tilgen, sondern nur ignorieren und verschweigen können. Meine eigenen ersten Erfahrungen mit Furianus waren indes ebenfalls ein wenig merkwürdig, doch nichts scheint mehr merkwürdig, wenn man sich darüber klar ist, dass er in Britannia bei einfachen Plebeijern erzogen wurde. Eingedenk dieses Umstandes dürfen wir eher erfreut darüber sein, dass aus ihm ein halbwegs anständiger Mensch geworden ist, doch er sollte selbst nicht vergessen und Umsicht walten lassen in Bezug auf Bemerkungen über Herkunft und Abstammung. Doch eingedenk dessen ist es weiter nicht verwunderlich, dass Felix ihm nicht den gesamten Besitz der Flavia anvertraute, war Furianus doch nicht lange her aus Britannia angekommen, wobei er erst kurz vor diesem Ereignis überhaupt von seiner Herkunft erfahren hatte. Eine Villa bleibt eine Villa, doch ein Vermögen vermag vieles zu ändern."
Der Gedanke an die Schwärmereien seines Vetters für seine Schwester ließen ein Lächeln Gracchus' Lippen kräuseln. Sie waren Kinder gewesen, noch ohne Sinn für Liebe, Lust oder Verlangen, doch immer bemüht den großen Vorbildern nachzueifern.
"Du hast Agrippina vergöttert, wenn ich mich recht entsinne, auch wenn es mir vorkommt, als wäre dies bereits in einem anderen Leben gewesen, so weit in der Vergangenheit liegt es. Ich habe sie besucht, gleich als ich in Rom ankam, sie ist zu einer wunderschönen Frau herangereift und es beruhigt mich zu wissen, dass sie im Haus der Vesta lebt. Sie ist viel zu zerbrechlich, viel zu rein für den Rest dieser Stadt."
Schlussendlich weiteten sich Gracchus Augen besorgt und er blickte seinen Vetter verwirrt an, in dessen Augen forschend, ob er zu scherzen beliebte.
"Praetorianer, sagst du? Ein Mord?"
Er stützte einen Ellenbogen auf den Tisch und ließ seinen Kopf schwer auf die Hand sinken.
"Bei den Göttern, dieser Haushalt verkommt. Wieder und wieder stehen Truppen vor unserer Tür, wegen Attentaten auf den Kaiser, Einbrüchen und nun auch noch Morden. Wo soll dies alles hinführen?"
Ein abgrundtiefer Seufzer bahnte sich seinen Weg in die Freiheit und wieder drängte sich Gracchus der Gedanke an die kleine Unstimmigkeit zwischen Furianus und ihm auf.
"Ich habe meine Augen dem längst abgewandt. Furianus pflegt Freundschaften aus seiner Zeit bei den Vigiles. Ja, du hast recht gehört, Vetter, den Vigiles. Bereits mit dem Namen Flavius trat er erst der Legion bei um sich später zu den Vigiles zu melden, neben Peregrini und Liberti. Wir hatten bereits einen Disput über Gelage in diesem Haus, letztendlich jedoch war ich der Meinung, dass ihm der Weg in den Cursus Honorum nur gut tut. Dazu ist er mit einer Flaminca aus dem Haus der Tiberia verlobt, ich hoffe, dies verhindert einen weiteren potentiellen Schandfleck in unserem Stammbaum. Gleiches gilt auch für seinen Bruder, sicherlich fähig, doch bin ich mir bei ihm ebenfalls noch etwas unschlüssig. Auch er tauchte hier aus heiterem Himmel auf."
Gracchus suchte den Blick seines Vetters und ehrliche Erleichterung über dessen Anwesenheit lag darin.
"Mein eigenes Tun bietet mir glücklicherweise Möglichkeiten, an einigem der Geschehnisse hier keinen Anteil zu haben, auch wenn mein Leibsklave mich über alles informiert. Ich habe noch in Achaia dem Iuppiter ein Gelübde abgelegt und löse dies nun ein, indem ich mich dem Cultus Deorum anschloss. Noch verrichte ich meinen Dienst als Commentarius im Tempel des Mars Ultor, doch ich hoffe darauf, dass die Prüfung zum Sacerdos nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt. Hast du bereits Pläne, was du hier in Rom nun mit deinem vielen Wissen anfangen möchtest?"
Beinahe wäre es Gracchus entfallen, doch der Gedanke an Antonia saß hartnäckig wie ein störender Fleischrest zwischen den Zähnen in seinem Nacken.
"Daneben habe ich meine Verlobung mit Claudia Antonia gefeiert. Unsere Hochzeit wird die Beziehung unserer beiden Gentes, welche bereits lose durch Felix geknüpft ist, weiter stärken. Sie wird ebenfalls nicht mehr lange auf sich warten lassen."
Bedauerlicherweise nach Gracchus' Ansicht. Im Gegensatz gegenüber Außenstehenden und auch gegenüber den übrigen Verwandten im Haus versuchte Gracchus gegenüber Aquilius nicht einmal zu verbergen, dass diese Hochzeit für ihn nicht mehr war, als ein politisches Bündnis und dass er, abgesehen von den sozialen und politischen Vorteilen, keineswegs erfreut über eine Hochzeit war. -
Bedächtig nahm Gracchus den Griffel zur Hand und wies Sciurus mit einem Wink die stehende Luft im Raum zu durchbrechen und für einen angenehmeren Lufthauch Sorge zu tragen, woraufhin der Sklave sogleich begann eben dies mithilfe des Fächers zu tun. Fortuna würde ihm hold sein, dessen war sich Gracchus sicher, obwohl er wusste, dass er ihre Hilfe nicht benötigen würde. In seinem grenzenlosen Selbstvertrauen, zumindest, was sein Wissen betraf, war er sich sicher, dass er mindestens einen ebenso breiten Wissensschatz in sich trug wie der Septemvir, denn er hatte sich nicht umsonst jahrelang den Studien gewidmet und diese in den vergangenen Monaten innerhalb des Cultus Deorum weiter um das vielfache vertieft. So nahm er die erste der Tafeln vor sich und schlug sie auf, um sich den Fragen zu widmen.
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Von wollen konnte keinerlei Rede sein, doch was blieb ihm übrig? Er nahm erneut auf der Kline Platz und ein wenig erfreut zur Kenntnis, dass sie die seidene Tunika trug. Er glaubte nicht daran, dass sie dies ohne Kalkül tat, doch immerhin tat sie es und dies genügte, darum schmückte auch er sein Gesicht mit einem feinen Lächeln. Ein Sklave trat heran und schenkte verdünnten Wein in die bereitstehenden Gläser, gleich hinter ihm brachte ein weiterer eine Platte mit kühlen Vorspeisen. Das Spiel indes ging weiter, Antonias Authentizität ließ einen Wimpernschlag lang schwer zu wünschen übrig, worüber Gracchus jedoch großzügig hinweg sah.
"In der Tat, denn ich sehe dafür eine Notwendigkeit. Die Findung eines geeigneten Termins, die Planung der Feierlichkeiten, der Gästeliste, all dies wird sicherlich einiges an Zeit in Anspruch nehmen."
Je mehr, desto besser, doch zumindest musste der Anschein gewahrt werden, dass stetige Bewegung Teil der Pläne war. Gracchus wies auffordernd auf die Speisen und den Wein.
"Bitte, greif nur zu."
Gerüchten zufolge waren die Claudia lange nicht mehr so wohlhabend, wie sie es in ihren besten Zeiten einst gewesen waren. Natürlich galt dies auch für die Flavia, doch da Gracchus nicht sicher war, welchen Standard die Claudia gewohnt war, hatte er Sciurus aufgetragen, für ein außerordendlich vorzügliches Mahl zu sorgen. Spätestens nach der Hochzeit würde seine Verlobte natürlich Sein von Schein trennen, doch allzu schlimm war es nicht und sie würde selbst immerhin einiges an Sesterzen mit einbringen. -
Es war Gracchus ein wenig unangenehm, dass man dem Septemvir von seinem Wirken im capitolinischen Tempel berichtet hatte und er dies nun ansprach.
"Der Dienst im Tempel des Iuppiter war ein rein zusätzlicher. Ich habe in keinstem Maße meine Pflichten hinieden vernachlässigt und nur jene Zeit dafür aufgewandt, welche mir ohnehin zur freien Verfügung zustand. Ob der Arbeiten bin ich sicher, keinen Irrtümern unterlegen zu sein, sind doch die Aufgaben in den Tempeln nur mäßig verschieden. Was dein Angebot betrifft, so bedaure ich, doch mein Platz ist ein anderer."
Ohne zögern schob der Commentarius den Stapel mit den angebotenen Fragen hinfort.
"Während meiner Zeit in diesem Tempel des Mars konnte ich die gewaltige Präsenz und Austrahlung des Gottes spüren und ein wenig meine ich auch, ihm näher gekommen zu sein. Möglicherweise könnte ich dem Stadtvater ein guter Diener sein, doch spätestens in Zeiten der Not würde sich zeigen, wie wenig geeignet ich hierfür bin. Weder den Krieger noch Heeresführer könnte ich in vertretbarem Maße preisen, geschweige denn vor einem Heer stehend dieses durch ein angemessenes Opfer beflügeln."
Zudem war der Tempel des Iuppiter auf dem Kapitol Gracchus erstes Ziel, denn dies war das religiöse Zentrum des Reiches .
"Dies ist jedoch nur ein weiterer Grund. Der primäre und ohnehin viel gewichtigere ist jener, dass ich dem Iuppiter einst ein Gelübde ablegte. Ich schwor, im Zuge für seine Hilfe in seinem Tempel Dienst zu tun und ich werde dieses Gelübde erfüllen, mehr noch, ich werde ihm sicherlich auch darüber hinaus erhalten bleiben." -
Der Gedanke an das Bevorstehende war nicht dazu geeignet, Gracchus mit Freude auf jenes Bevorstehende blicken zu lassen. Sinnierend musterte er den für seine Verlobte bereitstehenden Korbstuhl und wunderte sich ein wenig ob der Tatsache, dass eine Frau aus gutem Hause auf solcherlei verfrachtet wurde, blickte sie anschließend doch auf die Männer auf den Klinen hinab. Gerade im bevorstehenden Gespräch würde dies keine Hilfe sein, gegenteilig mocht es Gracchus noch mehr aus seinem ohnehin sehr schwachen Konzept bringen. Er schob einige Falten seines Gewandes an den richtigen Platz und strich nachdenklich über das Kissen unter der Kline, als Sciurus den Raum betrat und die Claudia ankündigte. Gracchus erhob sich sogleich und trat einen Schritt zur Tür.
"Salve, Antonia."
Die Nennung ihres Cognomens hatte sich bereits in ihr Verhältnis eingeschlichen und es erinnerte Gracchus immer an eine Art Spiel um Macht und Vorherrschaft.
"Ich bin hocherfreut über dein Erscheinen, bitte, nimm doch Platz." -
Mehr noch als er es sich erhofft hatte, tat es Gracchus gut, seinem Vetter gegenüber zu stehen. Er erwiderte die Umarmung mit einem glücklichen Lächeln.
"Du wirst es nicht glauben, Aquilius, doch auch mir wird durch dein Erscheinen Rom um einiges erträglicher!"
Er trat einen Schritt zurück und musterte seinen Vetter. An seiner stattlichen Statur hatte sich nichts geändert und es war noch immer die reinste Freude, diesen Körper unauffällig zu betrachten. Gracchus erinnerte sich an einige Abende an welchen er über sein Maß hinaus den Wein konsumiert hatte, was nicht unbedingt schwer war, da sein Maß überaus gering war, und an welchen sie eng einander sich stützend durch die Straßen geschwankt waren, das Recht auf die Torheit der Jugend stark strapazierend. Unaufgefordert, wie es früher so oft der Fall, da nicht notwendig, gewesen war, nahm Gracchus an dem kleinen Tisch im Zimmer Platz.
"Du hast Furianus bereits kennen gelernt? Als ich aus Achaia hier ankam, war die Villa beinahe leer. Unser Vetter Felix, welchen ich bis dahin nur aus Briefen kannte, verließ bald darauf Rom, die Villa seinem Sohn überlassend. Ich kann von Glück sagen, dass er mir das Familienvermögen anvertraute, du würdest dein Heim sonst nicht wieder erkennen."
Mit Grauen dachte er an das Gespräch mit seinem Vetter zweiten Grades über Umgestaltungen der Immobilie. Glücklicherweise hatten sich Furianus Bestrebungen dahingehend vorerst zerstreut.
"Meine Schwester Agrippina ist noch immer bei den Vestalinnen die Virgo Vestalis Maxima."
Eine Spur von Stolz klang aus Gracchus Stimme.
"Nun, dies bedingt jedoch, dass sie nuneinmal nicht hier wohnt. So war die Villa recht leer, bis schließlich Furianus Bruder Milo vor der Tür stand. Vor kurzem weilte unser Vetter Aristides ebenfalls hier, doch ich habe ihn anscheinend verpasst. Es fiel mir ein wenig schwer, mich in dieses Familienleben einer mir doch ein wenig fremden Familie einzugliedern. Wie ist dein erster Eindruck?"
Gracchus wollte nicht den Eindruck seines Vetters trüben, so erzählte er vorerst nicht mehr. -
Die Hitze des Mittags bewog die meisten Bewohner der Villa Flavia vorwiegend dazu, die Kühle des Gebäudes zu suchen und sich möglichst wenig in Bewegung zu üben. Nachdem Sciurus ihn davon unterrichtet hatte, dass schon einige Tage zuvor ein Vetter des Felix und damit auch sein eigener Vetter in Rom eingetroffen war, war die Neugierde des Gracchus geweckt. Als sich schlussendlich herausgestellt hatte, dass es sich bei eben jenem Vetter um Aquilius handelte, wuchs die Freude in Gracchus und er nahm sich zukünftig vor, die Geschehnisse um sich herum in der Villa nicht nur nebenbei zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich etwas aktiver in das Familiengeschehen zu integrieren. Mit Aquilius würde dies ohnehin mehr Freude denn Pflicht werden, wie es bei Furianus und Milo der Fall war, welche Gracchus nur wenig kannte und welchen er daher noch immer ein wenig Skepsis entgegen brachte, vor allem, da ihm ihre Existenz noch immer merkwürdig anmutetete, wenn auch ihre Vergangenheit nicht sonderlich merkwürdiger als diejenige ihres Vaters war. Doch mit Aquilius war ein Stück seiner eigenen Vergangenheit nach Rom zurück gekehrt und brachte endlich Vertrautes in die Villa. Wie Gracchus selbst hatte sich der Vetter lange Zeit in Achaia aufgehalten, und wenn auch nicht in unmittelbarer Nähe, so hatten sich die Vettern doch immer wieder einmal getroffen. Zu gerne erinnerte er sich an seine längeren Aufenthalte in Athen, die Dispute und Diskussionen welche sie miteinander und mit wahrlich geübteren Männern geführt hatten. Gracchus war dem durchaus gewandteren Vetter meist im Wort unterlegen gewesen, doch dies hatte ihn kaum bekümmert, sah er doch so immer Potential, welches es weiter zu entfalten galt.
Nachdem Sciurus seinen Vetter in dessen Cubiculum vermutete, stand Gracchus vor eben diesem und klopfte, mäßig laut, an die Türe. -
In einer betont langsamen Bewegung strich Gracchus über seine Toga und musterte den Faltenwurf von oben herab. Ein Seufzen bahnte sich tief aus seiner Brust den Weg in die Freiheit und mutlos sank er auf den Stuhl hinab.
"Ist dies denn wahrhaftig notwendig, Sciurus?"
Der angesprochene Sklave nickte seinem Herrn zu. "Ich fürchte ja, Herr."
"Dieses Elend."
"Es ist eine vorteilhafte Verbindung, Herr."
"In der Tat, dies ist es. Doch dies ist auch schon das einzige, was diese Angelegenheit ansatzweise tolerabel macht. Ich möchte nicht behaupten, dass sie mich hasst. Mitnichten, wie sollte sie? Sie kennt mich kaum. Doch in ihrer Gegenwart überkommt mich unwillkürlich stets das Gefühl, das sie mich nichteinmal für bedingt passabel erachtet."
In Gracchus Tonfall lag eine Spur Verzweiflung, deretwegen er sich nicht im Geringsten schämte. Nur zu deutlich waren ihm die Erinnerungen an die wenigen gemeinsamen Momente mit der Claudia, allen voran diejenigen auf der Hochzeit der Tiberia und des Vinicius.
"Das scheint Euch sicherlich nur so, Herr. Ihr seid ein Flavius und damit weitaus mehr als bedingt passabel."
"Aber nein, aber nein, Sciurus. Es ist ein untrügliches Gefühl. Was mich zutiefst betrübt ist die Überlegung, dass es zeitlebens so bleiben wird und keinerlei Änderung dieser Sachlage abzusehen ist. Welch eigentümliche Vorstellung, tagein tagaus dieser Maske von höflicher Distanziertheit gegenüber zu sitzen und dabei genau zu wissen, welcher Vulkan dahinter brodelt."
Ein leichter Schauder durchzog Gracchus und er schüttelte sich. Schließlich weiteten sich seine Augen merklich und ein Hauch von Entsetzen spiegelte sich darin.
"Bei den Göttern! Der Gedanke bringt einen Keim von Erregung im mir hervor!"
Verzweifelt schüttelte er die Hand, als wollte er etwas daran festklebendes loswerden.
"Beängstigend!"
Er holte tief Luft und dachte lauernd an die Claudia.
"Nein, nicht die Frau ist der Anstoß der Erregung, allein die Vorstellung ihrer Distanziertheit vermag dies zu sein."
Er lehnte sich beruhigt zurück und strich abwesend mit seinem Zeigefinger über die Brauen.
"Bringen wir es hinter uns. Notiere folgendes."
Mehrmals verwarf Gracchus den Text seines Schreibens, dann endlich war es annehmbar. Er beauftragte Sciurus es in sauberer Schrift auf ein Blatt zu übertragen und schlussendlich zur Villa Claudia zu überstellen.
"Nimm Papyrus, keine Tafel, das hat den Anschein von Profanität. Wenn nur Antonias Vater sich nicht hätte zurückgezogen. Ein Gespräch mit einem ehrbaren Mann wäre um einiges einfacher. Wie dem auch sei, beginne nun, Sciurus, und... eile dich... ein wenig. Soviel es denn sein muss." -
Trotz der frühen Stunde war es bereits mehr als unangenehm warm in der Hauptstadt des Imperium. Die Hitze der vergangenen Vortage staute sich noch immer in den engen Gassen der Stadt, welche langsam den für sie typischen unterschwelligen, sommerlichen Geruch annahm. Mit gerümpfter Nase saß Gracchus in seiner Sänfte und fächerte sich mit einem Fächer aus dunkelfarbenem Eibenholz und feinem seidenen Gewebe Luft zu. Doch es half alles nichts, die stehende Luft wich nicht von ihm und bedrängte seine Poren kleine, feine Schweißtropfen auszusondern. Auf dem Forum des Augustus kamen die Träger zum Stehen und Gracchus entstieg in ein leichtes Sommergewand gekleidet der Sänfte.
"Den Göttern sei gedankt, dass der Tiber in diesem Jahr nicht über die Ufer getreten ist. Der gewöhnliche Abschaum in den Eingeweiden unter der Stadt reicht gänzlich, um meine Nase zu beleidigen."
Unermütlich fächerte er weiter und übersieht die Regung seines Leibsklaven Sciurus bei der Erwähnung der unteren Regionen Roms. Tage, welche wie diese begannen, waren vor den Toren Roms zu verbringen. Ließ sich die Stadt nicht vermeiden, so sollte man sie im schattigen Peristyl verstreichen lassen, mit zwei Sklaven, welche für Begwegung der Luft und einen, welcher für ausreichend kühle Flüssigkeit Sorge trug. Selbst der Dienst für die Götter war angenehm, fand er im angenehm kühlen Inneren eines Tempels statt. Doch eine Prüfung abzulegen in den stickigen Räumen neben dem Tempel des Mars Ultor, dies gehörte wahrlich nicht zu den angenehmsten Dingen dieser Tage. Sciurus trat neben seinen Herrn und tupfte mit einem kühlen feuchten Tuch dessen Stirne ab. Gracchus übergab ihm den Fächer und deutete auf die Türe, welche der Sklave sogleich öffnete.
"Salve, Septemvir Valerius!"
Mit einem grüßenden Nicken nahm Gracchus Platz und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Sciurus betrat nach ihm den Raum, stellte sich seitlich hinter seinen Herrn und hielt den Fächer bereit. -
Nachdem Tiberius das Voropfer in der Cella beendet und zum steinernen Altar auf dem Platz vor dem Tempel zurückgekehrt war, übernahm Gracchus die Aufgabe, die Beteiligten durch das Besprengen mit Wasser rituell zu reinigen. Der Widder war unterdessen noch prächtiger anzuschauen, als schon zuvor, hatte der Tempeldiener seine Hörner doch mit goldener Farbe überzogen, welche das leuchtende Weiß des Fells noch verstärkte. Einzig, als etwas Wein über seinen Kopf gegossen wurde, um ihn dem Iuppiter zu weihen, trübte dies ein wenig das Ansehen, da das Fell sogleich in nassen Zotteln herabhing. Der Opferherr verrichtete die rituellen Handgriffe, und schließlich ertönte nach der Frage des Popa von ihm das 'Age!' als Aufforderung, seinen Dienst zu tun. Die Klinge des Opfermessers bohrte sich in den Hals des Tieres und augenblicklich ergoss sich rotfarbenes Blut über den Boden. Es dauerte einen Moment, bis das Tier ausgeblutet war, dann beugte sich der Popa hernieder und begann damit, dem Widder die Vitalia zu entnehmen. Der Tempeldiener stand mit einer Schale bereit, um jene in Empfang zu nehmen und sie schließlich Tiberius vorzuhalten. Gracchus warf ebenfalls einen neugierigen Blick auf die Eingeweide, von seiner Position aus waren keine Makel zu erkennen, doch Defigurationen gaben sich ohnehin meist nur durch genaue Betrachtung zu erkennen.