Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Zufrieden vernahm Gracchus, dass Minor seinen Pflichten in gebührendem Maße war nachgekommen, was somit seine Zuversicht nährte, selbst für ein hinlängliches Fortbestehen flavischer Pflichterfüllung Sorge getragen zu haben.

    "Es freut mich überaus, dies zu hören, schlussendlich ist das Aedilat allfällig nicht das komplizierteste, zweifelsohne jedoch eines der arbeitsreichsten Ämter des Cursus Honorum."

    Auf die Frage nach seinem eigenen Befinden kräuselte ein schmales Lächeln seine Lippen.

    "Es geht mir gut, gleichwohl ich dem Herbst entgegen sehne. Der Sommer mit seiner lähmenden Hitze enerviert mich dieser Tage weit weniger als in früheren Jahren - allfällig ist dies die Gelassenheit des Älterwerdens -, indes bevorzuge ich Regen und ein wenig Wind. Dir jedo'h muss dieses stadtrömische Lamentieren über die Hitze absurd anmuten, ist der Sommer in Cappadocia doch zweifelsohne weitaus wärmer und das Land durch die Sonne geprägt?"

    Belanglose Gespräche über das Wetter um der belanglosen Gespräche Willen, oder schlimmer noch als Vorwand zur Klage, waren dem Flavier ein Graus. In diesem Falle indes war die Witterung ihm ein Vorwand, um einen mentalen Fuß auf die Erde Cappadocias, Ravillas Heimat, zu setzen, denn so sehr Gracchus auch das Reisen abhorrierte, um so begieriger war er auf Berichte über und Geschichten aus fernen Provinzen und Ländern.

    Nachdenklich blickte Gracchus auf die Platte Minors Arbeitstisches, welche ihm gegensätzlich zu seiner eigenen gänzlich unvertraut war und darob nur wenig Halt bot. Die Sibylle zu konsultieren war in Rom in den vergangenen Jahren ein wenig aus der Mode geraten, zudem bedingte es die mühsame Reise nach Misenum, doch wenn auch Minor eine Hoffnung darin sah, wiewohl eine Notwendigkeit ob Priscas Gebaren, so würde Gracchus dies auf sich nehmen. Allfällig würde er es einrichten können, ein oder zwei Tage länger bei der Familie in Baiae zu verweilen. Er nickte darob - nun bereits mehr entschlossen, denn allen einen Plan zu haben gab ihm ein wenig mehr Zuversicht zurück, ob desssen er gänzlich das Thema wechselte.

    "Wie hat sich Seius entwickelt? Glaubst du, er taugt zu einem Staatsmanne?"

    Der Flavier dachte einige Augenblicke nach, ob es etwas gab, das der Augustus gegenwärtig in Hinblick auf seine Rolle als oberster Bewahrer des Kultes für ihn konnte tun, kam letzendlich indes zu der Folgerung, dass nichts weiter vonnöten war. So er als pro Magistro im Auftrage des Pontifex Maximus agierte, genügte üblicherweise einzig dieses Amt, um alle notwendigen Hebel in Bewegung zu setzen.

    "Danke, Augustus, doch ich bin zuversi'htlich, dass ich die Vorbereitungen ohne deine Unterstützung umsetzen kann. Sollte es nicht gelingen, werde ich dich dies selbstredend wissen lasssen."

    Selbst im Falle einer übermäßigen Orderung großer Opfertiere würde derzeit wohl niemand Gracchus' Kom­mit­tiv in Frage stellen, galt das Verhältnis zwischen Pontifex Maximus und seinem pro Magistro doch als ein durch Vertrauen geprägtes - zumindest in kultischen Belangen.

    Ein schelmisches Schmunzeln umspielte Gracchus' Lippen und für einen Moment schlich ein belustigter Unterton sich in die Couleur seiner Stimme.

    "Selbstredend gibt es ein 'aber', letztlich gibt es im Leben doch nichts ohne ein 'aber'."

    Sie hatten wohl beide genug erlebt, um zu wissen, dass dies der Wahrheit entsprach. Seine Stimme nahm wieder den gebührend ernsthaften Ton an.

    "In diesem Falle ist es das Pomerium."

    Die Pläne des Praefectus - eine bewaffnete Einheit inmitten des Pomerium - hatten selbstredend die Aufmerksamkeit der Pontifices erregt. Schlussendlich waren sie unter anderem die Wächter und Bewahrer des Kultes, von welchem der heilige Bezirk der Stadt von alters her ein essentieller Teil war.

    "Der Frieden in Rom ist glei'hsam Gabe an die Götter, wie ihr Geschenk an Rom, sie sind Bewahrer, wie auch Benefizianten."

    Die Details dieses komplexen Wirkungsgefüges zu erläutern hätte zu weit geführt, wiewohl sie jenem Wissen zuzurechnen waren, welches das Collegium Pontificum ohnehin nur im kleinen Kreise weiter gab.

    "Darüberhinaus wurde das Pomerium einst geschaffen als sakrale Grenze der Stadt, um sie von ihrem Umland zu separieren, zu einer Zeit, in welcher dies auch gleichbedeutend war mit einer juristischen Grenze, und nicht nur, doch ebenso, um auf ganz profane Weise den Tod aus der Stadt fernzuhalten, um Pestilenzen abzuwenden, wiewohl um Frieden in Rom zu gewährleisten und gewalttätige Ma'htstreitigkeiten zu unterbinden. Diese Zeit ist längstens vergangen, gleichwohl wurde die Grenze bereits mehrmalig adaptiert, um dem Wachstum unserer Stadt und unseres Reiches Rechnung zu tagen, und etwa weiterhin die Toten aus ihren Kerngebieten fernzuhalten."

    Hätte Gracchus geahnt, wie sehr Menecrates die möglichen kultischen Einschränkungen umtrieben, so wäre er allfällig in Versuchung geraten, den Claudier noch ein wenig länger zappeln zu lassen. So indes fuhr er den Fakten folgend fort.

    "Das Pomerium dient Rom und muss sich darob seinem Wandel entsprechend adjustieren. Auch das Collegium Pontificum kann - und darf - sich diesem Wandel nicht verschließen. Rom ist zu groß geworden, zu unkontrollierbar, als dass eine sakrale Grenze, als dass selbst Gesetze Gewalt aus ihr fern halten könnten. Die Cohortes Urbanae tragen diesem Wa'hstum Rechnung, und die neue Statio wird zum Schutze und friedlichen Miteinander beitragen. Die Götter, welchen schlussendlich ebenso das Wohle der Stadt am Herzen liegt, haben bereits ihr Urteil gesprochen, daher stimmt auch das Collegium Pontificum diesem Unterfangen zu - allerdings nur unter vier Be..dingungen. Erstens, dies ist und bleibt eine Ausnahme, und kann nicht als Präzedenzfall herangezogen werden für weitere, ähnliche Unterfangen. Eine außerordentliche Weihung sollte dies kenntlich machen. Zweitens bis viertens leiten sich unmittelbar von den geltenden Gesetzen des Pomerium ab - kein Befahren des Geländes bei Tag, kein Pflügen des Bodens, und der Tod darf nicht dauerhaft Einzug halten. Ich schätze indes, dies ist kein Hindernis, ihr werde wohl weder einen Acker, noch ein Gräberfeld im Hinterhof der Station anlegen."

    Die Vorstellung eines Gemüsegartens als Teil der Station war durchaus amüsant, während Gracchus das Bild der Soldaten, welche Leichname der in den Carcern verblichenen Delinquenten im Hinterhof verscharrten, hastig wieder aus seinen Gedanken zu schieben suchte.

    "Darüberhinaus ist selbstredend auch die von dir angespro'hene Entsühnung der Soldaten wichtig. Ich werde die Causa einer adäquaten Formel zu jährlicher lustratio der stationierten Einheiten im Collegium thematisieren."

    Dies war indes nur eine Formalität und hatte immerhin noch mehr als ein Jahr Zeit.

    In ihrem gemächlichen Schritte vorangehend staute sich an mancher Engstelle alsbald der Fluss der stets Getriebenen, dass weiter hinter den beiden Senatoren bisweilen unzufriedenes Gemurmel und Geschimpfe ausbrach, etwa dass die Schnecken doch auf den Feldern außerhalb der Stadt sollten verbleiben. Näher um sie her verstummte dies jedoch, waren sie doch unschwer als Senatoren zu erkennen, welchen ein jeder in Rom Respekt zollte - zumindest öffentlich und augenscheinlich. Zudem taten auch die Leibwachen und Sekretäre zwischen ihnen und dem Volk ihr übriges, um das Gespräch von aller Hast abzuschirmen, während Gracchus' pontifikaIer Liktor ihnen voraus genügend Raum bahnte. Nicht genügend Raum indes für Geheimnisse, ob dessen der Flavier den fragenden Blick Menecrates' ob 'des Todesfalles' nur mit einem wissenden Nicken quittierte.

    "In der Tat scheint es, dass diese Vorfälle sich häufen. Die Fremden bringen nicht nur ihre Träume mit nach Rom, sodern oft auch Gebräuche, welche mit den unseren nicht vereinbar sind - oder auch untereinander. Zudem bisweilen gar wenig Ver..ständnis für unsere Gesetze, welche nun einmal den Gegebenheiten und Bedingungen einer großen Stadt, respektive eines fortschrittlichen Imperium genügen müssen, und nicht nur einer Ansammlung von Hütten in einem Sumpf am Ende der Welt"

    , warf er seine Gedanken zur Subura ein, denn wiewohl Gracchus sie nicht direkt erwähnte, so war er sich doch mit Claudius darin einig, dass vorwiegend dieser Stadtteil inmitten Roms die Fremdländer anzog.

    "Eine verstärkte Präsenz der Stadteinheiten scheint daher nur angemessen."

    Der Flavier nickte nachdenklich. Wie er Aquilius einschätzte, würde jener zweifelsohne eher einen Krieg zu verhindern suchen als ihn heraufzubeschwören. Indes, so dies ein dreister Akt der Feinde Roms war, welche sich allfällig auch noch dessen würden rühmen, würde ihm kaum etwas übrig bleiben als dem mit aller Härte zu begegnen - die Virgo Vestalis Maxima war nun einmal die Virgo Vestalis Maxima.

    "Wievie Zeugen gibt es für diesen Mord? Ist es möglich ihn bis zum Abschluss der Ermittlungen aus der Öffentli'hkeit fernzuhalten? Es wäre von Vorteil so Umsicht und strategische Überlegungen die nachfolgenden Reaktionen diktieren können, und nicht ein aufgebrachter Mob oder feindliche Lager."

    Da die Ereignisse noch nicht einmal bis zum Pontifex pro Magistro waren vorgedrungen standen die Aussichten allfällig günstig - zumindest so Claudius seine Soldaten im Griff hatte, wovon Gracchus ausging.

    "Das Collegium Pontificum steht selbstredend zu deiner Verfügung, indes werde ich es vorerst noch nicht offiziell informieren. Ich werde selbst in den Akten nachsehen, welche Vorbereitungen notwendig sind, und dafür Sorge tragen, dass im rechten Augenblicke alles vorgebra'ht werden kann und bereit ist. Der Vorteil eines Präzedenzfalles ist, dass wir weder das Collegium, noch den Senat einbeziehen müssen, um das Vorgehen zu prüfen oder zu ratifizieren, sondern schlichtweg umsetzen, was notwendig ist."

    Dass der Kult sich starr an vorgegebene Regeln und Riten hielt brachte nicht nur Verlässlichkeit und Stabilität, sondern auch Vereinfachungen.

    "Die Besetzung der Sacerdos Vestalis Maxima ist zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig. Solange das Feuer der Vesta nicht erlischt kann die Schwesternschaft einige Zeit ohne sie auskommen. Die neue Maxima kann ohnehin erst dann eingesetzt werden, wenn die pax deorum wieder hergestellt ist. Bis dahin wird zweifelsohne die Sacerdos Papiria die Aufsicht übernehmen können. Letzendlich obliegt es natürlich dir, welche der Sacerdotes du erhebst, doch Papiria wäre ebenfalls die logische Nachfolgerin, nicht nur an Alter und Erfahrung, sie hat stets viele ver..antwortungsvolle Aufgaben übernommen."

    Der Flavier wollte dem Augustus in diese Angelegenheit nicht hineinreden, doch in die kultpraktischen Alltagsgeschäfte - selbst der Vestalinnen - hatte er vermutlich mehr Einsicht als Aquilius.

    "Gewiss"

    , stimmte Gracchus dem Spaziergang zu ohne auf seine eigenen Pflichten einzugehen, denn schlussendlich erwartete er nicht, dass sie meilenweit würden gehen, und wo auch immer ihr Gespräch endete wären die Sänftenträger in gebührendem Abstande ihnen gefolgt. Ein wenig umständlich war es zwar mit den Togen, welche wenig mehr als Schlendern zuließen, doch letztlich galt ihre Konzentration ohnehin der Konversation, und da sie beide bereits in gesetztem Alter waren, würden sie wohl ebensowenig ohne die Togen zu einem Spurt ansetzen - Gracchus zumindest konnte sich nicht dessen entsinnen, zu welchem Anlasse er überhaupt zuletzt gerannt war, während er Menecrates durchaus zutraute, noch immer regelmäßig zu sprinten.

    "Minor hat bereits einige Andeutungen erwähnt, doch allfällig könntest du das Vorhaben und seine Notwendigkeit noch einmal grob erläutern?"

    Der Flavier wollte schlussendlich seine Beurteilung nicht auf Annahmen stützen.

    Nach einer recht belanglosen Sitzung des Senates strömten die Senatoren an diesem Tage aus der Curia Iulia, manch einer weiteren Aufgaben entgegenstrebend, manch einer zweifelsohne auch dem Müßiggange, denn der späte Sommer bescherte Rom an diesem Tage laue Temperaturen, welche geradezu dazu einluden, sie mit einem Training auf dem Sandplatz zu verbringen. Flavius Gracchus stand der Sinn weniger nach Staub, Öl und Schweiß, als mehr nach dem Duft seines Hortus, doch seine Pflichten waren für diesen Tage noch nicht erledigt. Ob dessen eilte er seinen Schritt, um Senator Claudius auf den Treppenstufen noch zu erreichen.

    "Senator Claudius, binden dich anderweitige Pflichten oder kannst du ein wenig Zeit erübrigen? Nachdem wir keine Gelegenheit fanden, die Causa der neuen Statio während Seius' Cena zu erörtern, möchte ich dies gerne na'hholen."

    Gracchus Minor hatte das Thema am Abend jener Cena in Aussicht gestellt, doch letzendlich hatten die Themen der bevorstehenden Wahlen die Gespräche derart lange gebunden, dass die beiden Senatoren die Causa hatten vertagt - oder auch schlichtweg vergessen.

    Gegenteilig zu den meisten Bewohnern der Villa hielt Gracchus seine Augen, wie seinen Verstand verschlossen vor familiären Zwistigkeiten, dass er hinter der Besorgnis in Minors Stimme nichts anderes vermutete. Ein wenig ratlos hob er die Schultern und ließ sie gleich darauf wieder fallen.

    "Nein"

    , schüttelte er den Kopf.

    "Die Kinder sind kaum noch bei ihr."

    In seinem Innersten fürchtete Gracchus stets den Tod seiner Familienangehörigen, doch insbesondere in Hinblick auf seine Gemahlin hing eine Schuld über ihm, welche diese Furcht regelrecht komplementierte.

    "Allfällig sollte ich die Sibylle um Rat befragen ..."

    Da die Sibylle fern war, blickte er vorerst ratsuchend zu seinem Sohn.

    "Bist du der Ansi'ht, dies wäre angemessen? Oder doch zu übereifert? Immerhin klagt Prisca selbst über keinerlei Leid."

    Ob der neuerlich aufkeimenden Emotionalität der Tiberia suchte Gracchus sein eigenes Sentiment zu supprimieren, den Ingrimm in sich zu ersticken, denn die junge Frau vor ihm war schlussendlich nicht das Ziel eben dieses, nicht einmal ihre Botschaft. Sein Zorn war weitaus älter, beinahe so alt wie er selbst, entfacht aus der Historie seiner Familie, genährt über Jahr und Jahr. Doch seine Perspektive war längst nicht mehr die eines verwundeten Knaben, der sich als Spielball des Schicksales sah und unter dessen grausamen Wirrnissen zerbrach. Er mochte ein Vater sein, der alles auf sich würde nehmen, um für das Wohl und die Zukunft seiner Kinder Sorge zu tragen, doch er dachte nicht in den kleinen Dimensionen einer Familie, eines Verbundes oder einer Stadt. Er war ein Staatsmann, dessen Blick auf das große Ganze war gerichtet - und die Causa der Christianer war dabei keine Ausnahme.

    "Ich werde mit Senator Claudius sprechen"

    , sprach er in nüchternem Tonfalle.

    "Wenn wir die Fakten zusammentragen aus den Archiven der Cohortes Urbanae und des Collegium Pontificum, respektive der Quindecimviri, werden weder der Senat, noch der Augustus selbst sich vor dieser Gefahr ver..schließen können. Kaiser Aquilius hat bereits eine strengere Fassung des Decretum Christianorum ratifiziert, ich bin überzeugt, er wird weiteren Maßnahmen offen gegenüber stehen, um die Bewohner Roms zu schützen. Dieses Übel kann nur durch tiefgreifende, nachhaltige Maßnahmen beseitigt werden."

    Durchdringend blickte er Stella an und suchte ihr Alter zu eruieren. Er war noch nie gut gewesen in diesen Schätzungen, doch sie mochte etwa im Alter seines Sohnes Titus sein.

    "Dir selbst droht kaum Gefahr, denn so du unter dem Schutz Senator Claudius' stehst, gibt es wenig mehr Sicherheit in Rom."

    Allenfalls noch in der Obhut des Augustus mochte man sicherer sein.

    Nachdem er hatte Platz genommen, ließ Gracchus einen Augenblick diesen, wie die vorigen Tage Revue passieren, konnte doch keiner delikaten Angelegenheit sich entsinnen, was zweifelsohne in diesem Falle nicht etwa daran lag, dass der Flavier solcherlei bisweilen nur allzu gerne verdrängte, sondern daran, dass die Cohortes Urbanae in der Angelegenheit überaus diskret ermittelten. Ehedem er indes in Verlegenheit kam, von nichts zu wissen, fuhr der Augustus bereits fort mit der ungeheuerlichen Neuigkeit.

    "Die Virgo ... Vestalis Maxima?"

    , presste Gracchus hervor, während alle Farbe aus seinem Gesichte wich, in seiner Brust die Luft zum Atmen ausblieb und sein einziges Glück war, dass er saß, hätte er sonstig doch den Boden unter seinen Füßen verloren. Augenblicklich war er Jahrzehnte jünger und sank neben dem Leichnam der Virgo Vestalis Maxima, seiner Schwester Agrippina, auf den Stufen zum Heiligtum der Göttin nieder, während ihr Blut auf den marmornen Stein allmählich zu einer zähen, braunfarbenen Masse gerann. Mühsam suchte der Flavier das Bild zu verdrängen, den Schmerz zu verdrängen, seinen Atem wieder in Gang zu setzen. Seine Schwester war viele Jahre bereits tot, sein Schmerz viele Jahre vergangen - zumindest verdrängt. Dies war nicht sein persönlicher Verlust, dies war Roms Verlust.

    "Das... das ist eine Katastrophe. Eine Devastation der pax deorum von ungeheuerli'hem Ausmaße. Ein Frevel ohnegleichen. Eine Katas..trophe für Rom. "

    Atmen. Er musste sich auf die Gegenwart konzentrieren. Auf Rom. Die pax deorum. Atmen.

    "Indes... es ist nicht das erste Mal, dass eine Virgo Vestalis Maxima er..mordet wurde."

    Atmen. Er musste sich auf die Gegenwart konzentrieren, gleichwohl in der Vergangenheit stöbern ob der angemessenen Reaktion.

    "Es ist ... schwer erträglich, doch es gibt tatsä'hlich bereits ein kultisches Prozedere für einen solchen Fall."

    Nicht etwa, dass jenes Prozedere in die allgemeingültigen kultischen Riten war aufgenommen worden, denn niemand rechnete schlussendlich, dass überhaupt je wieder es zu einer solch ungeheuerlichen Tat würde kommen können. Die Konzentration auf das Fachliche jener Angelegenheit half Gracchus allmählich zurück zu seiner Obliegenschaft angemessener Ruhe und Kompetenz zu finden, gleichwohl ein gewisses Maß an Anspannung in ihm verblieb, das vorwiegend weiterhin in seiner Aussprache sich offenbarte, was indes ihm selbst nicht bewusst war.

    "Ein Präzedenzfall schafft in solchen Ange..legenheiten neue kultische Richtlinien. Sofern ich mich recht entsinne"

    , und für die Anzahl an Jahren, welche dies bereits zurücklag, und der sonstigen Lücken in seiner Erinnerung war dies bereits beträchtlich,

    "bedingt dies eine große Entsühnung, mehrere Rinder als Gabe an das gesamte göttli'he Pantheon - ich meine, es waren neun."

    Da der Zahl Drei im Kult eine besondere Bedeutung zukam, war ihre Verdreifachung durchaus plausibel, dennoch vetat der Flavier sich in dieser Angelegenheit um ein Rind, respektive einen weißen Ochsen.

    "Diese werden durch den Senat um das Pomerium geführt und hernach auf dem Kapitolium den Göttern dargebra'ht."

    Gracchus ließ eine kurze Pause folgen, atmete noch einmal bewusst, ehedem er vorsichtig nachhakte.

    "Gibt es... bereits Hinweise auf die Täter? Ein Angriff auf die Virgo Vestalis Maxima kommt einem Ver..brechen gleich, welches kaum größer könnte sein."

    Allfällig die Ermordung eines Kaisers samt seiner Familie, doch solcherlei Gedanken wollte der Flavier in diesem Augenblicke sich auf keinen Falle hingeben.

    "Sie ist Symbol für die ältesten Ordnungen und Ge..setze unseres Reiches, für den Frieden mit den Göttern, für die Reinheit und Hehrheit Roms. Ein Angriff auf sie, im Herzen unserer Stadt, im Herzen des Rei'hes... Die pax deorum wiederherzustellen ist nur ein Aspekt - ein Aspekt, der Rom letztenendes nur einige Mühen und Gelder wird kosten. Doch das Verlangen des Volkes nach Ver..geltung für diesen Frevel zu befriedigen ... dies wird uns im schlimmsten Falle in einen Krieg führen."

    Es stand für Gracchus außer Frage, dass die Täter in den Reihen der Feinde Roms zu finden sein mussten, denn kein Römer würde eine solche Tat vollbringen. Die Parther kamen allen voran ihm in den Sinn, waren sie doch ein hinterlistiges Volk, das vor Meuchelmord kaum würde zurückschrecken. Und auch wenn dieser Krieg weit fort an den Grenzen des Reiches würde ausgetragen werden, so saß doch der Schrecken davor tief in Rom, und selbst in Gracchus - denn nicht ohne Grund war das parthische Reich kein Teil des römischen, nicht einmal ein Verbündeter.

    Da die übrigen Tresviri des Armsjahres Flavius Gracchus nicht verbunden waren, stimmte er nur bei einem Kanditaten dem bevorzugten Amt dessen patrizischen Patrones zu, da jener ihm politisch des öfteren nahe stand, wiewohl er für seinen eigenen Klienten Seius Ravilla forderte, ihn den Tresviri capitales zuzuweisen, da dies nicht etwa einem realitätsfernen Wunsche entsprach, sondern die Vorzüge und Talente des Kandidaten nutzbringend in den Staatsdienst würde einbringen.

    Der sonst so bunt und ungewöhnlich gewandete Ravilla wirkte im strahlenden Weiß der Kandidatentoga regelrecht unscheinbar und beinahe fehl am Platze, was Gracchus für einen Augenblick lang zweifeln ließ, ob es tatsächlich eine gute Idee war gewesen, seinen Klienten dem Staate zu offerieren. Indes, bereits mit dem nächsten Herzschlage verbot er sich solcherlei Gedanken, reflektierte der äußere Schein doch nicht den Menschen, wiewohl er schlussendlich um des Seius' Qualitäten zur Genüge wusste. Um eben dies dem Senat zu verdeutlichen und keinen Zweifel an Ravilla aufkommen zu lassen, ergriff er sogleich das Wort.

    "Mein Klient Galeo Seius Ravilla hat während des Aedilates meines Sohnes als dessen Tiro vorzüglich bewiesen, dass Diligenz, Beflissenheit und ein wacher Geist in ihm stecken, welche jedem Vigintiviren gut zu Gesichte würden stehen. Ob dessen und seiner tiefen Ver..bundenheit mit den Traditionen Roms wegen, ist meine Stimme ihm sicher, denn ich bin überzeugt, er wird ein großer Gewinn für unser Reich sein!"

    So der Pontifex Maximus dringend bat kam dies selbstredend einem Befehl gleich, welchen der pro magistro nicht konnte ignorieren, zu was er indes ohnehin keinen Anlass hatte. So also fand Flavius Gracchus sich in der Domus Flaviana ein, betrat das ihm gewiesene Officium und grüßte den Kaiser mit einem angemessenen

    "Ave, Augustus"

    , durchaus gespannt auf die Causa, deretwegen Aquilius ihn hatte herbei geordert.



    Sim-Off:

    Ich hoffe, es ist in Ordung die Palastwache zu überspringen...

    Da Minor den Ratschlag ohne Aufbegehren annahm, insistierte auch der ältere Gracchus nicht weiter die Causa zu vertiefen.

    "Die Zwillinge gedeihen ganz prä'htig. Quintus kommt augenscheinlich nach seinem Onkel und beschäftigt sich lieber mit dem Holzschwert als mit Worten, doch ich bin sicher dies wird sich mit der Zeit noch geben. Und Prisca lässt bereits erahnen, dass sie die Anmut ihrer Mutter geerbt hat."

    Sodann jedoch wich die Freude über seine Nachkommen aus Gracchus' Antlitz und Sorge breitete darüber sich aus.

    "Doch ihre Mutter bereitet mir zunehmend Sorge"
    , gestand er offen.
    "Gleichwohl du während deiner Amtszeit überaus geschäftig warst, wird auch dir kaum wohl ver..borgen bleiben, dass sie zu lange schon den Cenae der Familie fern bleibt, generell jedem familiären Zusammenkommen. Wann immer ich sie aufsuche schient einzig Müdigkeit sie zu beherrschen, doch sonstig befindet sie sich nach eigener Aussage wohl."
    Ein Seufzen echappierte Gracchus' Kehle. Seit Monaten nun schon hatte seine Gemahlin sich zurückgezogen, vor den Kindern, vor ihm, hatte ihn gar aufgefordert, seinen Neigungen und Vorlieben nachzugehen. Hätte die Aurelia nur das Haus verlassen, so hätte Gracchus geglaubt, sie würde eine Liebschaft pflegen. Doch sie ließ nur ab und an diverse Händler kommen, verbrachte Tag um Tag im Hause, zumeist in ihren Gemächern.*
    "Ich sorgen mich um sie, Minor, doch ich weiß nicht, an was es ihr fehlt. Sie möchte keine Luftver..änderung, nicht aufs Land hinaus oder ans Meer, sie möchte hier bleiben in Rom, an meiner Seite. Und doch scheint ihr Geist mir weiter entfernt als die fernste Provinz."



    Sim-Off:

    *Mit Priscas Spielerin abgesprochen.

    Nachdenklich nickte der Flavier in Hinblick auf die Vermutung der Tiberia.
    "In der Tat, dies entspricht dem Muster dieser Sekte: heimtückisches Agieren aus dem Hintergrund heraus, Furcht säen und Chaos evozieren, und dabei sind sie so ungreifbar und klandestin, dass ihnen kaum beizukommen ist."
    Es war dies der Schrecken aller Römer, eine kollektive Furcht - selbst jener, welche wie Gracchus nie Teil des Militärs gewesen waren - diese Angriffe aus dem Hinterhalt statt in einer offenen Feldschlacht sich zu präsentieren, in welcher die römischen Legionen unbesiegbar waren.
    "Wie ein Geschwür im Leibe Roms, welches nach dem Herausschneiden des fauligen Fleisches doch noch immer weiter schwelt."
    Bitterkeit lag in seinen Worten, suchte er doch schon zu lange, dieses Geschwür auszumerzen.

    "Dieser Brief deines Vaters - wer hat ihn dir überbra'ht, wer hat dies in Auftrag gegeben? Denn sofern es keine Bestätigung für den Tod deines Vaters gibt, gibt es durchaus andere Erklärungen. Ich habe ebenfalls Kinder und ich würde alles tun, um ihr Wohlergehen zu sichern. Allfällig hat dein Vater entschieden, dass es für dich besser ist, nicht auf ihn zu warten, dass es für dich wichtiger ist weiter zu gehen statt zu verharren. Denn selbst Blutspuren an einem Ring müssen nicht unbedingt ein Zeichen von Gewalt darstellen. Insbesondere bei der Opferung von kleinen Tieren klebt hernach viel Blut an unseren Händen, und es drückt sich sehr gerne auch unter die Ringe oder in ihre Vertiefungen, von wo es bei einer schnellen, ersten Reinigung der Hände in einer Wasserschale nicht immer sich löst. Womöglich hat dein Vater ein Opfer vollführt, um das Wohl seiner Kinder zu gewährleisten, ehedem er den Ring übergab, und davon stammen die Spuren."
    Er zögerte einen Augenblick ehedem er fortfuhr, dabei die Emotionalität, welche sich auf dem Antlitz der Tiberia spiegelte weiter zu ignorieren suchend.
    "Ich möchte dir indes keine falschen Hoffnungen machen. Ins..besondere ob der Ermittlungen deines Vaters gegen die Christianer wegen ist die Wahrscheinlichkeit durchaus nicht gering, dass auch er ein Opfer ihrer wurde."

    Eine Möglichkeit, welche die Zurückhaltung des Augustus und der Prätorianer würde erklären, welche Gracchus indes vor Tiberius' Tochter nicht mochte aussprechen, war, dass Tiberius nicht tot war, sondern von den Christianern verhext worden und nun auf deren Seite stand. Dies indes wäre bei weitem noch schlimmer als der Tod.

    "Das ist er"

    , quittierte Gracchus anschließend die Worte über Menecrates.

    "Ein guter Mann und aufrichtiger Römer."

    Im Grunde war es beinahe merkwürdig, dass sie sich so fern standen, insbesondere ob der Verwandtschaft Gracchus' erster Gemahlin Claudia Antonia. Doch allfällig waren sie sich schlichtweg zu ähnlich, schlossen beide nur zögerlich Freundschaft und wagten dabei nicht den ersten Schritt.

    "Nein"
    , sagte er sodann mit einem Mal bestimmt und voller Ingrimm und untermauerte dies Sentiment mit seiner linken Faust, welche auf den Tisch hernieder fuhr.
    "Nicht Opfer der Christianer! Wir sind der Zorn Roms! Es geht nicht um unsere Familien, es geht um Rom, um alles, was Rom je gewesen ist. Diese niederträ'htige Sekte vergiftet Roms Bürger, verhext ihren Geist und stiftet Unheil und Unfrieden! Nicht unsere Familien müssen wir schützen, wir müssen dieses Geschwür ausmerzen, um ganz Rom zu schützen!"

    In der Zeit des Bürgerkrieges herumzuwühlen und Dinge zu Tage zu bringen, welche - aus flavischer Sicht - besser verborgen blieben, dies war wohl kaum in Gracchus' Sinne. Die Unrechtmäßigkeiten des Vasculariers aufzuräumen war aus Sicht des Staates allfällig allmählich angebracht, doch welche Dokumente, welche Beweise - oder auch nur Gedanken - mochten dabei noch ans Licht gebracht werden? Nein, diese Emsigkeit gefiel dem Flavier ganz und gar nicht, was er indes aufgrund des äußeren Anscheins schlecht zeigen konnte.

    "Ein anspruchsvolles Unterfangen, Annaeus"

    , antwortete er darob gänzlich neutral,

    "das zweifelsohne von Wert ist."

    Gefällten Bäumen gleich lagen die drei Opfertiere am Boden während die Schlächter ihnen die vitalia entnahmen und sie sogleich weiter zerteilten. Auf goldfarbenen Platten wurden die Innereien dem Pontifex pro magistro präsentiert, der beherzt nach den blutigen Stücken griff, Leber, Herz und Niere betastete und besah auf der Suche nach Makeln. Nach den vitalia des Stieres folgten jene des Widders und jene des Ebers, denn nur wenn alle Organe ohne Fehl sich zeigten, hatten die Götter das Opfer, die Gabe zur Besänftigung angenommen. Nachdem er das letzte Stück hatte begutachtet, hob Gracchus den Kopf und ließ ein lautes

    "Litatio!"

    ertönen.
    "Die unsterbliche Flavii, Divus Vespasianus Augustus et Divus Titus divi Vespasiani filius Vespasianus Augustus, nehmen die von Rom gegebenen Gaben zum Ausglei'h des Friedens mit den Göttlichen an! Solange Rom mit Freuden seine Gaben gibt werden die Götter mit Freuden über sein Wohl und das seiner Bürger wachen!"
    Noch einmal setzte ein wenig Musik ein, um die letzten Handlungen zu geleiten - der Pontifex säuberte seine Hände, ein Teil des aufgefangenen Blutes wurde gemeinsam mit den Organen dem Feuer übergeben. Ein beißender Geruch nach verbranntem Fleisch legte sich um den Tempelplatz, der nur unzulänglich duch die gleichzeitige Räucherung überdeckt wurde. Doch waren die Götter wahrhaft gnädig an diesem Tage, denn alsbald zog ein lauer Luftzug über den Quirinal hinweg und trug den Geruch hinfort. Während der kultische Ritus ordnungsgemäß abgeschlossen und alle Teilnehmer daraus entlassen wurden, wurden die Überreste der Opfertiere weiter zerlegt und das Fleisch gekocht. Gemeinsam mit den sportulae wurden hernach auch Brot und Wein ausgegeben - auf Kosten der Flavii Gracchi -, dass um den Tempel noch eine Weile ein wenig die pax deorum konnte gefeiert werden.

    Wurde denn außer der Lustratio damals auch durch die Urbaner ermittelt? Falls wir uns raushalten sollen, wäre es schön, zeitnah informiert zu werden, damit wir keine Zeit für den Fall verschwenden. Wenn wir kein Stopp von ganz oben erhalten, werden wir dazu ermitteln, darum mein Hinweis, dass der Plot, so wie bisher geplant, zu unbeabsichtigten Problemen für die Beteiligten führen könnte.

    Damals gab es mehrere "Anschläge", die verfolgt wurden, auch durch die CU(im Senat zu dieser Angelegenheit ist darauf verwiesen). So weit ich mich entsinne jedoch ohne konkretes Ergebnis.


    Der Präzedenzfall gab auch eine passende Vorgehensweise, eine recht spektakuläre Zeremonie, hier im Senat vor gestellt und hier durchgeführt.