Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Die Annahme des Opfers an Mars war gerade verkündet, da wurde bereits das nächste Opfertier herbeigeführt - eine Löwin. Selbst die Kette um ihren Hals änderte nichts an der Eleganz und Grazie, mit welcher die Katze über das Feld schritt, ihr helles, gekalktes Fell elfenbeinfarbig, samtig glänzend. Ein leises Raunen ging durch die Menge, denn ein solches Opfer war nicht nur Rarität und zeigte die Außergewöhnlichkeit des gesamten Ritus, darüberhinaus sah man in Rom ein solch exotisches Tier üblicherweise nur in der Arena - und dort nur in der Nähe von verurteilten Verbrechern oder aber geschulten Gladiatoren, nicht jedoch gefährlich nahe des Augustus und seiner Familie! Selbstredend waren die Sinne der Raubkatze ebenfalls mit Rauschmitteln ein wenig betäubt, worden, dennoch war zur Sicherheit ein Tierbändiger aus der scholae bestiarum bestellt worden, um sie zu führen und später den Opferschnitt durchzuführen. Als sie am Platz des Opfers angekommen waren, zog jener Mann ein wenig an der Kette, dass die Löwin ihren Unmut in einem hoheitsvollen Fauchen kundtat - welches von Außen betrachtet überaus perniziös wirkte, indes für das Tier nicht mehr als eine träge Andeutung darstellte. Zwei Kulthelfer traten zur Augusta, der Opferherrin dieser Opferung - welcher zuvor die Ungefährlichkeit des Tieres versichert worden und die lediglich instruiert worden war, keine allzu hektischen Bewegungen vor der Raubkatze durchzuführen -, und boten ihr Wasser und das weiche Tuch zur Handwaschung an. Nach der Weihung der Löwin und ihrer rituellen Entkleidung trat Gracchus neben die Augusta und flüsterte nun auch ihr das Opfergebet ein - wobei es ihn durchaus ein wenig mühte, sich vollends auf die Worte zu konzentrieren und nicht die Löwin argwöhnisch zu beäugen, war er doch hin- und hergerissen zwischen der Bewunderung ihrer Anmut und der Furcht vor ihrer Wildheit.
    "Fides populi romani, Treue des römischen Volkes, Herrin der Schwüre und beeideten Worte!
    Diese Löwin sei Dir gegeben aus freien Stücken, Dein Wohlwollen zu erbitten, Deinen Schutz und Deine Standhaftigkeit für die treuen Streiter des Imperium Romanum, eingefasst im Abbilde Roms Herrschers und seiner Familie!
    Fides publica, Treue des römischen Staates, die das Imperium in seinen Überzeugungen und Grundfesten stützt!
    Diese Löwin sei Dir gegeben aus freien Stücken, dass Du das Abbild Roms Herrschers und seiner Familie unter Deine Gunst stellst, dass es Deinen Streitern vorangetragen Roms Söhne beschirmen mag!
    Fides exercitus, Loyalität der römischen Soldaten, Bewahrerin der Eide und Gelübde, welche die Herzen unserer Streiter erfüllt!
    Diese Löwin sei Dir gegeben aus freien Stücken, dass du das Abbild Roms Herrschers und seiner Familie mit Deiner Treue und Deiner Stärke beseelst, dass es Deinen Streitern vorangetragen Roms Feinde zerschmettern mag!
    Allgewaltige Fides, nimm Du unsere Gabe für Dein Wohlwollen, Deinen Schutz und Deine Gunst!“

    Bisweilen kam es Gracchus in den Augenblicken der Schlachtung vor als würde die Zeit ein wenig langsamer verlaufen als sonst, ein wenig gedehnter, zähflüssigem Honig gleich, in jenem Zeitpunkt da die Tiere irgendwo zischen Leben und Tod verharrten, da bereits das rotfarbene Blut aus ihren Kehlen schoss, doch gleichsam ihre Augen noch zwinkerten, ihre Ohren noch zuckten. Schlussendlich hauchte der Stier seinen letzten Atemzug während ein Kulthelfer bereits die zweite Schale mit Blut an seiner Kehle auffing - jenes Blut, welchem bei Annahme des Opfers mystische Kräfte würde zugesprochen werden, welches die Macht in sich barg, die abscheulichsten Flüche zu brechen. Insgesamt fünf Schalen wurden gefüllt und zu den beiden vorigen getragen, welche über glühenden Kohlen erwärmt wurden, um zu verhindern, dass das Blut gerinnen würde. Ein victimarius trennte sodann die dicke Bauchdecke des Stieres auf, verschwand beinahe selbst im Inneren des massigen Leibes und entnahm kunstfertig die vitalia, welche auf einer güldenen patera an den Opferaltar herangetragen wurden. Sorgsam begutachtete Gracchus die Eingeweide - denn obgleich das Ergebnis bereits fest stand, so musste nicht nur der Anschein ausgiebiger Prüfung erweckt werden, sondern ob des Opferherren auch der tatsächliche Wille der Götter eruiert werden, um den weiteren Kurs des Cultus zu bestimmen.
    "Litatio!
    verkündete der Pontifex pro magistro schlussendlich und legte die vitalia zurück, welche vorerst auf dem Altar würden verharren bis nach den nun anschließenden Opferungen für Fides und Honos.

    Mit jedem Wort seiner Tochter, welches aus dem Munde des Sklaven drang, bohrte die Klinge der Bitternis sich tiefer und tiefer in Gracchus‘ Fleisch, während gleichsam Bestürzung sich mehr und mehr auf seinem Antlitz abzeichnete. Der Tag, an welchem er vom Tode seiner Mutter hatte erfahren vermengte sich mit dem Augenblick, da er die Nachricht über seiner Schwester Minervinas Tod hatte erhalten, überlagerte sich mit den Worten Flammas, mit ihr Klage, ihrer Anklage, ihrer erbarmungslosen Wahrheit.
    “Nein ...“
    flüsterte er heiser als der Klang Flammas Namens im Raume erstarb und erhob sich zitternd von seinem Stuhl.
    “Das ... das kann nicht sein. Öffne ... öffne ... die Kiste.“
    Er dachte an den zierlichen Dolch, mit welchem seine Mutter sich hatte entleibt, den geschlängelten, ägyptischen Dolch, mit welchem Minervina sich hatte entleibt, welche beide in einem hölzernen Kästchen aus Ebenholz in seinem Zimmer waren verwahrt, klammerte gleichsam sich an den Hauch einer Hoffnung - ein Scherz dies alles womöglich nur, geboren aus der Langeweile der Provinz, eine drastische Anklage, um ihn aufzuschrecken, eine drakonische Warnung an seine väterliche Pflichtvergessenheit. Zögerlich trat er um den Schreibtisch, um zu sehen, was Sciurus aus der Kiste entnahm.
    „Eine Urne, Herr“, kommentierte der Sklave weiterhin gänzlich nüchtern.
    Die Zeit tropfte in Schwarz und Weiß aus allen Ritzen, legte einem schimmeligen, graustichigen Befall sich über die zerfallende Realität - pelzig und schwer, farblos und gedämpft. Ein Schnitt und der Faden war gekürzt, der Spule des Lebens entrissen, dem Gewebe des Schicksales entnommen. Er wollte erwachen, dem Staub des Entsetzens, der Asche dieser erstickten Flamme entrinnen, doch seine Träume waren längst erkaltet und vor der Klarheit des Augenblickes gab es kein Entrinnen.
    Mörder
    Zerbrochene Knochen säumten die Straße verblasster Leben, von welchen er kein einziges hatte ziehen lassen aus freien Stücken, ein eiskalter Strom aus Vergangenheit vermengte sich mit dem Flüstern des Windes, welcher den galligen Geschmack der Verantwortung hinfortwehte.
    Mörder
    Kein Wort war mächtig genug, den Weg zu ändern, welchen der Autor einer Geschichte als Bühne wählte, kein Licht war hell genug, um den Schatten zu schlucken, welchen der Tod im Vorbeigehen warf.
    Mörder
    “Mörder“
    , repetierte er leise den Chor der Verdammnis, ehedem sein Leib entschied, dass dies Wort zu gewaltig war, um es in sich zu tragen, und eine tiefe, gedankenlose Schwärze ihn gnädig umfing.

    Nebelschwaden gleich zog der Rauch der Räuchergaben über den Platz, umhüllte die prächtigen Prätorianer, verbarg sie einige Augenblicke vor den Augen der Zuschauer, nur um im nächsten sie um so herrlicher wieder daraus zu entlassen. Donnernd hallten ihre Rufe zu den Göttern empor, dass es kaum wohl vorstellbar schien, dass irgendwer - gleich wie weit entfernt - sie nicht hätte vernehmen können. Ein wohliger Schauer erfasste Gracchus, denn im Angesichte dieser puren Macht wurde leicht vorstellbar, wie Roms Soldaten über die barbarischen Länder hinwegfegten und alles zerschlugen, was wagte der Größe Roms sich in den Weg zu stellen - und dass Serapio diese Macht heute aufs prächtigste anführte, trugt zweifelsohne mehr noch zu Gracchus‘ Entzücken bei. Als der Nachhall der Rufe verklungen war wurde der Opferstier herangeführt - ein kraftstrotzender, rotbrauner Bulle, dessen Fell eingerieben mit Kupferspan weithin rotfarben schimmerte, akzentuiert von den mit einer hauchdünnen Schicht Gold überzogenen Hörnern und Hufen. Um seinen Kopf herum schaukelten bei jedem seiner massigen Schritte die weiß- und rotfarbenen, wollenen infulae und vittae um seinen Kopf, welche aus feinster Lammwolle gesponnen worden waren, und sein Atem dünstete als kleine neblige Wolken aus seiner Nase, als wolle auch er seinen Beitrag zum Voropfer leisten. Abgesehen von einem unflätigen Schnauben - als müsse er allen seine Anwesenheit verkünden - marschierte er bereitwillig, wenn auch allein schon durch seine pure Muskelmasse überaus majestätisch - zum Opferaltar hin. Während die Kette des Stieres dort an einem ehernen Ring im Boden verankert wurde, trat Gracchus mit einer Schale kühlen Quellwassers in der einen und einem Pinsel aus Pferdehaar in der anderen vor den Kaiser und seine Familie hin und besprengte sie - dabei eine uralte liturgische Formel vor sich hinmurmelnd - mit Wasser, um die rituelle Reinigung durchzuführen. Simultan zu dieser Handlung durch den Pontifex pro magistro taten eben dies eine Reihe weiterer Sacerdotes, welche die Soldaten der prätorianischen Garde, sowie die vorderen Reihen der Zuschauer auf eben diese Weise reinigten. Sodann erhob der beste Herold des Cultus Deorum seine Stimme und gebot den Anwesenden mit einem lauten
    “Favete linguis!“
    zu schweigen - doch im Vergleich mit dem vereinten Ruf der Soldaten zuvor klang er an diesem Tage beinahe ein wenig kümmerlich. Indes hatte es ohnehin kaum jemand gewagt nach dem Voropfer seine Stimme auch nur zu einem Flüstern zu erheben, so dass die geforderte Ruhe zweifelsohne gegeben war. Während leises Flötenspiel einsetzte, um dennoch jedes etwaig störende Geräusch zu überdecken, traten zwei Kultdiener zum Augustus hin, um ihm eine Schale mit warmem Wasser zur Handwaschung anzubieten, sowie auf einem silbernen Teller das weiche mallium latum, hernach trug ein weiterer die mola salsa heran. Nachdem der Stier von seinem Schmuck befreit worden war und der Imperator auch die rituelle Entkleidung durchgeführt hatte, trat Gracchus zu ihm hin, sukzessive das Opfergebet einzuflüstern.
    "Mars pater, Vater aller Römer, Herr des Krieges und seiner Streiter!
    Dieser Stier sei Dir gegeben aus freien Stücken, Dein Wohlwollen zu erbitten, Deinen Schutz und Deine Stärke für die treuen Streiter des Imperium Romanum, eingefasst im Abbilde Roms Herrschers und seiner Familie!
    Marspiter, der mit seinem Schild das Imperium schützt und mit seiner Lanze die Feinde des Reiches vernichtet!
    Dieser Stier sei Dir gegeben aus freien Stücken, dass Du das Abbild Roms Herrschers und seiner Familie unter Deine Gunst stellst, dass es Deinen Streitern vorangetragen Roms Söhne beschirmen mag!
    Mamars, waffengewaltiger Lenker und unbezwingbarer Wender der Schlachten!
    Dieser Stier sei Dir gegeben aus freien Stücken, dass du das Abbild Roms Herrschers und seiner Familie mit Deiner Stärke und Deinem Mut beseelst, dass es Deinen Streitern vorangetragen Roms Feinde zerschmettern mag!
    Allgewaltiger Mars, nimm Du unsere Gabe für Dein Wohlwollen, Deinen Schutz und Deine Stärke!“

    Entspannt zurückgelehnt, die Augen geschlossen, trieb Gracchus dahin auf den Worten, welche der schöne Paris ihm aus dem Werke des Sodates rezitierte, bald säuselte, bald donnerte, bald sang, bald flüsterte. Der Sklave verstand es aufs trefflichste, das Wesen eines Satzes einzufangen, den Zuhörer in sein Werk einzukleiden, dass jener sich gänzlich wohlig darin fühlte. Beinah glaubte Gracchus, das Pochen gehöre zu Paris' Darbietung, doch als der Fluss der Worte erstarb und nicht wieder aufgenommen ward, öffnete er seine Augen. An der Türe harrte Sciurus.
    "Ein Bote aus Lavinium, Herr, mit einem Präsent und einer Nachricht deiner Tochter. Die Angelegenheit sei dringen und der Brief nur von dir selbst zu öffnen."
    "Meiner Tochter?"
    Perplex blinzelte Gracchus den Sklaven an.
    "Aus Lavinium?"
    "Flamma, Herr", erklärte Sciurus als nehme er tatsächlich an, dass Gracchus seine Tochter vergessen hatte.
    "Flamma?"
    Der Name allein brachte nicht einen Funken Klärung, führte nur zu noch mehr Derangierung seitens des Flaviers, dass seine linke Braue sich empor hob.
    "Weshalb ist sie in Lavinium?"
    "Sie ist vor Wochen dorthin abgereist, Herr."
    "Vor Wo'hen!?"
    Die Verwirrung schlug nun um in väterliche Entrüstung.
    "Um was zu tun? Weshalb hat sie nicht meine Er..laubnis eingeholt!?"
    "Das hat sie, Herr", warf der Vilicus ein. "Sie erwähnte bei einer Cena, dass Rom ihr zu lärmend ist und sie vor dem Winter gerne noch einige Wochen aufs Land fahren möchte. Du hast dem zugestimmt."
    Gracchus' Braue senkte sich wieder herab und er öffnete den Mund, um dies zu dementieren, doch seine Gewissheit war zu gering.
    "Einige Tage danach fuhr sie auf das Gut nach Lavinium."
    Der Flavier schloss den Mund, ehedem er langsam nickte.
    "Ja, ... natürlich. Nun ... nun er..innere ich mich."
    Er wusste nicht, was ihn mehr in Unruhe versetzte - dass er sich dieses Gespräches nicht mehr entsann, oder aber dass er all die Wochen nicht hatte bemerkt, dass seine Tochter nicht mehr im Hause weilte.
    "Du kannst gehen, Paris"
    , entließ er den schönen Rezitator aus dem Raum und winkte Sciurus etwas näher.
    "Lies vor, was sie schreibt."

    Selbstredend hatte Gracchus mitnichten vor, ein Kind zu zeugen, ging er bei klarem Verstande doch ohnehin davon aus, dass Prisca nicht fähig war, neues Leben zu gebären - wiewohl in anderem Falle es ihm ebenso einerlei hätte sein können, da er diese Obliegenheit bereits dreifach hatte erfüllt und darum diesbezüglich von jeder Notwendigkeit war befreit. In diesem Augenblicke jedoch mochte er nur seinem Trieb folgen - wenn auch dieser durch die Natur zweifelsohne derart geschickt war angelegt, dass üblicherweise genau dadurch auch die biologische Vermehrung gewährleistet wurde, zumindest in diesem Falle, in welchem Gracchus paradoxerweise gegen die ihm innewohnenden Neigung zu Männern hin agierte. Indes waren Trieb und Trug nicht derart ausgeprägt, dass er schlichtweg alles tolerierte, was ihm präsentiert wurde, so dass er nach einem unwirschen Knurren Prisca kurzerhand an den Hüften packte und sie umdrehte. Wie sehr auch sein Geist benebelt war, einer Frau - seiner Frau - während der Beiwohnung in die Augen zu blicken, respektive von ihr angeschaut zu werden, war ihm schlichtweg ausgeschlossen. Reflexartig begierig wanderten seine Hände weiter über ihren Leib - ihren Rücken, ihren Hintern und ihre Hüften - und suchten darauf nach Spuren, welche er dort erwartete und doch nicht fand. Zu stark jedoch war der Rausch in seinem Blute, dass ihre zarte, makellose Haut und die weichen Rundungen ihn hätten irritiert, dass er schlussendlich - nicht allzu lange sich mit weiterem Vorgeplänkel aufhaltend - dazu überging, in ihr seine Erfüllung zu finden.

    ***

    Kaum wohl hätte Gracchus hernach Auskunft geben können über das wie lange, geschweige denn das wie überhaupt. Irgendwie hatte er seine Pflicht erfüllt - zumindest ging er davon aus als er allmählich wieder zu Sinnen gelangte. Er saß auf der hinteren Bettkante, respektive lag er mit dem Rücken auf der zerknitterten Bettdecke und blickte empor. Er fühlte sich unwohl. Zwar war seine Libido befriedigt, doch nicht einzig die Sorge darum, dass er Prisca allfällig nicht hatte genügen können, ließ seinen Bauch rumoren. Gracchus versuchte tief zu atmen, doch dies führte nurmehr dazu, dass ihm beinahe blümerant wurde vor Augen. Mühevoll stemmte er sich empor und blickte auf Prisca in ihrer Nacktheit. Es war ihm nicht nach großen Bewegungen, im Grunde wollte er sich schlichtweg wieder zurückfallen lassen und einschlafen, doch irgendetwas brodelte in seinen Bauch, schlängelte einer giftigen Schlange gleich sich durch seine Eingeweide, biss und fraß sich durch seinen Leib. Noch einmal holte er tief Luft, dann stand er auf, schwankend.
    "Bitte ent..schuldige ..."
    brachte er noch durch die zusammengebissenen Zähne hindurch, ehedem er fluchtartig den Raum verließ.

    Niemals hatte eine Frau auf derartige Weise Gracchus berührt - hatte Antonia die eheliche Pflicht doch stets eher über sich ergehen lassen -, dass mehr und mehr Unbehagen in ihm aufstieg über die Intimität, welche zwischen ihrer beiden Körper bereits jetzt herrschte. Indes schien sein Leib sich nicht im geringsten gewahr des kognitiven Protestes, reagierte schlichtweg - in einer ihm gänzlich ungewöhnlichen Heftigkeit - auf die Berührung an sich und schien nicht im mindesten sich an dem Zweifel seines Denkers und Lenkers zu stören, gegenteilig diesen schlichtweg zu ignorieren. Nicht einmal dem Protest wurde Raum gewährt, in ein Äußeres vorzudringen, denn während Gracchus innerlich noch mit Für und Wider des Geschehens haderte, hin- und hergerissen zwischen Pflicht, Wunsch und Realität, war sein Leib nicht bereit, länger zu warten, drängte danach sich endlich mit einem anderen zu vereinigen, so dass seine Hände bereits den Saum Priscas Kleides über deren Kopf hoben, dass ihre liebreizende Weiblichkeit in all ihrer Gänze offenkundig wurde.
    'Nun gehört uns diese eine Nacht'
    , hallten weit entfernte Worte durch Gracchus' Geist, welcher allmählich sich füllte mit einer zähflüssig dahinwabernden Unbekümmertheit, einer von Honigsüß nach Essigsauer changierenden Verblendung, deren Überreste ein Strauß sich einverleibte, ehedem er seinen Kopf im Sande vergrub.
    'Es ist nichts verwerfliches daran, im Irrtum zu sein.'
    'Nur eine Messerspitze auf einmal!'
    'ALLES'
    'Nur für den Notfall!'
    'Manius, mein Manius!'
    'Von heute an bin ich deine Frau!'
    'Die klauenbewehrte Harpie, die schamlose Schlampe!'
    'Nimmermehr'
    'Was haben wir schon zu verlieren?
    Alle Worte verwoben sich ineinander, ergossen sich endlos purpurnen Strömen gleich in einen grünfarbenen See, dessen Oberfläche still im Licht der güldenen Sonne Ägyptens lag, welcher gleichsam bis in die markerschütternde, tosende Tiefe seines Lebens hinabreichte. Er konnte die gleichförmige Bitternis auf der Zunge schmecken, welche seinen Leib antrieb, welche den weiblichen Körper vor sich drehte, um sich zu nehmen, was von rechtswegen ihm zustand. Es gab nichts mehr zu verlieren, denn Gracchus hatte sich bereits gänzlich verloren in dem trugvollen Trieb, den der Rausch ihm schuf.

    Gracchus nickte ernst.
    "Dann möchte ich, dass du diese Betriebe als dein Besitz eintragen lässt. Der Name unserer Familie bringt nicht nur Vorzüge mit sich, sondern ebenso Pfli'hten - und die Sorge um das Erbe unserer Vorväter ist diesen zuzurechnen. Es ist mehr als geboten, dass du dich allmählich dieser Pflicht annimmst."
    Gracchus wollte vermeiden, dass Scato dies als familiäre Almosen betrachtete, denn letztendlich war er bar jeder Schuld am Disput seiner Mutter und seines Großvaters, so dass Gracchus nur letzterem zürnte, seine Enkel derart abzustrafen und somit das Vermächtnis der gesamten Familie mit Füßen zu treten. Indes hätte er selbstredend sich niemals offen gegen den älteren Vetter gewandt, insbesondere nicht vor anderen, so dass die - wirtschaftsrechtlich ohnehin obligate - Umverteilung des Gesamtbesitzes der Familie ihm durchaus ein probates Mittel schien weder gegen Felix zu opponieren, noch zuzulassen, dass Scato um sein familiäres Anrecht gebracht wurde.
    "Sciurus wird dir ein Dokument fertigen, welches die Überschreibung legiti..miert"*
    Nur allzu gern ließ auch Gracchus die Erinnerung an den Bürgerkrieg vorüberziehen, vergrub sie tief in seinem Innersten, und zweifelsohne hätte er zu Achaia einiges zu schwärmen vermocht, wäre sein Neffe nicht geradewegs zu einem weitaus wichtigeren Thema übergegangen.
    "Ein Claudia?"
    wiederholte er, nicht als Frage, sondern schlichtweg um den Klang dieses Namens in sich nachhallen zu lassen.
    "Nun, sofern sie dem richtigen Geschle'ht entstammt gibt es wohl nur wenige Familien in Rom, welche angemessener wären. Wer ist ihr Vater?"



    Sim-Off:

    *SimOff sollte dieser Beitrag für die WiSim-Übertragung wohl ausreichen.

    Der Bräutigam hatte keinerlei Acht für die anheimelnde Atmosphäre des Raumes, wiewohl ihm durchaus die vorherrschende Wärme bewusst war, welche in seinem Falle indes nicht nur durch die züngelnden Flammen in den eisernen Feuerbecken wurde genährt, denn mehr durch jene Substanz, welche er bei seinem letzten Besuch bei Meister Fasiri hatte erhalten - nur für den Notfall, nicht zu viel, nur eine Messerspitze auf einmal, und nicht mit Wein mischen!. Der Notfall war bereits während der Fortführung des Mahles in der Villa Flavia eingetreten als Gracchus allmählich bewusst geworden war, dass er kurz vor der Ehenacht stand, als das Bewusstsein in ihm empor stieg, dass er niemals seiner Gemahlin würde genügen können, dass niemals eine Frau seine Sehnsüchte würde erfüllen können, dass Aurelia Prisca ihm so wunderschön, hold und anmutig war wie ein Kunstwerk, wiewohl die Furcht ihn übermannte vor der Nähe zu ihr. Immer wieder suchte er sich einzureden, dass er all dies schon einmal hatte überstanden, dass der eheliche Akt mit Antonia schlussendlich ebenso möglich gewesen war, dass er sich gut vorbereitet hatte, dass Meister Fasiri ihn doch beinahe schon kuriert hatte, dass alles in bester Ordnung war. Als er indes - unter dem Vorwand eines dringenden Bedürfnisses in einem kurzen Augenblicke des Rückzugs in sein Officium - das kleine Behältnis hatte geöffnet schien die Menge ihm im Ganzen viel zu gering, um überhaupt zu einer Wirkung führen zu können, so dass er die pilzigen Fasern schlichtweg alle auf einmal in den Mund legte und ob des bitteren Geschmackes mit einem großen Becher Wein hinabspülte. Augenblicklich fühlte er sich besser, wiewohl die eigentliche Wirkung in seinem Leibe erst ein wenig später einsetzte. Als er mit Prisca den Raum betrat war ihm schlichtweg warm, viel zu warm.
    "Sehr schön, ja ..."
    repetierte er ein wenig mechanisch auf ihre Eröffnungsfrage und räusperte sich, zuckte kurz zusammen als ihre Hände seinen Leib berührten - wenn auch nur an den Schultern - und wurde sogleich von einem merkwürdig undefinierten Gefühl übermannt als die Berührung auf tieferer Ebene weiterging. Das klandestin in ihm erwachende Lohen war allfällig nicht sonderlich different von dem Feuer, welches in ihm sich entzündete im Anblick des Geliebten, und doch kam es nicht aus seinem Inneren heraus, sondern schien von Außen her in ihn einzudringen.
    "Prisca ... ich ..."
    Er hob seine Hand, welche von einem leisen Zittern war erfasst, konnte indes nicht sich dazu durchringen, sie von sich zu schieben. Es war die Hochzeitsnacht, er musste einen kühlen Kopf bewahren, er musste seine Pflicht erfüllen! Und drängte nicht sein Leib bereits nach der Vereinigung, musste nicht auch Prisca dies bereits spüren können? Es schien Gracchus beinahe als wäre er nicht mehr Herr über sich selbst, als betrachte er sich selbst von außerhalb - wie seine Hand nicht die Frau seinem Unbehagen gehorchend vor sich hinfortschob, sondern ihr über die Schläfe strich, wie sie sodann sich senkte und mit der anderen vereint in einem wahren Heroenakt den Herkulesknoten öffnete - weshalb nur wurden Frauen mit einem Knoten verschnürt, welchen nurmehr ein Held zu öffnen vermochte, und weshalb war dies gar ihm gelungen, der so wenig mehr nicht war als ein Held?
    "Einerlei ..."
    flüsterte seine Stimme, die nicht mehr die seine war, so als müsse sie ihn daran erinnern, dass aller Widerwillen vergebens war, dass sein Leib nun diktierte, ihn zum Narren hielt, ihn aus sich selbst aussperrte, zum einem Gefangenen und Heimatlosen in sich selbst zugleich ihn werden ließ, während er seine Angetraute zum Bett hin dirigierte ohne dass seine Hände - seine Hände? - von ihr ließen. Gracchus war durchaus gewohnt, dass sein Leib sich ihm verweigerte, auch dass sein Geist ihn narrte - doch dass sein Leib ihn narrte war ihm ungewohnt und beklemmend.

    "Dies ist eine große Ehre, und zweifellos uns allen eine ebenso große Freude!"
    Eine Einladung bei Kaisers zuhause war schlussendlich stets eine Besonderheit. Nachdem sodann die üblichen Abschiedsfloskeln gesprochen und Gracchus entlassen war, kehrte der pro magistro ob dessen stante pede zurück zur Villa Flavia, um sich entsprechend auf dem Abend vorzubereiten.

    "Flavius Scato hat in der zurückliegenden Zeit mehr als bewiesen, dass das in ihn gesetzte Vertrauen gere'htfertigt war. Ich bin davon überzeugt, dass er uns auch in der kommenden Amtszeit nicht enttäuschten wird, darob er meine Stimme zweifelsfrei erhält, wiewohl ich dieses jedem anderen nur empfehlen kann"
    , ließ Gracchus sich zum Ende der Befragung hin vernehmen - nicht sonderlich überraschend augenscheinlich, doch tatsächlich würde er selbst bei einem Verwandten lieber schweigen denn ohne Überzeugung diesen zu befürworten.

    "Ein nettes kleines Städchen - Paestum."
    Gracchus ignorierte die Rolle vor sich.
    "Hat dein Großvater dir Be..triebe überschrieben, oder Furianus allfällig?"
    Das Vermögen Scatos Vater Milo war nach dessen Tode an Felix zurückgefallen, da seine Erben damals noch Kinder gewesen waren, und wiewohl Aemilia Lepida zwischenzeitlich durchaus bereits einen Teil des Erbes ihrer Söhne dem alten Flavier hatte abgepresst, war Gracchus nicht informiert, inwieweit dies nicht monetäre Besitzungen hatte inkludiert.
    "Sofern nicht, würden diese Betriebe in Paestum dir zusagen? Soweit ich weiß hatte Flaccus dort einige gute Verwalter beschäftigt, wel'hen du weiterhin alle Arbeiten könntest überlassen."
    Der Gedanke daran sich selbst um Betriebe zu kümmern versetzte Gracchus auch nach all den Jahren, welche seine eigene leidige Erfahrung damit zurücklag, noch immer in Schrecken, so dass er wohl davon ausging, dass auch Scato sich kaum selbst um dies würde kümmern wollen, gleichwohl war jener zudem nun auch durch seine Laufbahn in Rom gebunden. Einen von flavischer Hand bereits ausgestatteten und erfolgreich wirtschaftenden Betrieb zu übernehmen, konnte darob nur von Vorteil sein.
    “Was geschah?“
    repetierte der ältere Flavier sodann und fixierte den Großneffen. Niemand mehr durfte jemals wissen, was tatsächlich alles im Bürgerkrieg geschehen war, dennoch war Gracchus eine Erklärung schuldig, insbesondere seiner Familie gegenüber. Sein Blick senkte neuerlich sich herab auf die Tischplatte, verlor sich in den Linien der Maserung des Holzes und wandte gleichsam sich in die leidvolle Vergangenheit.
    “Niemand kann wohl genau sagen weshalb, doch Valerianus hatte Vescularius Salinator nicht nur zu seinem Praefectus Urbi erhoben, sondern hatte ihm nach und nach das ganze Reich anver..traut, stattete ihn mit mehr und mehr Rechten und Freiheiten aus - respektive kümmerte sich nicht darum, was der Vescularier in Rom tat während er selbst kränkli'h auf seinem Landsitz weilte. Der Unmut über diesen Homo Novus gärte lange bereits vor dessen Ma'htergreifung - denn er trat Roms Traditionen mit Füßen, setzte sich über jedes Maß hinweg, wenn auch stets gerade noch einen digitus unter der Linie geltenden Rechtes, oder aber ließ sich dies von Valerianus ratifizieren, welcher augenscheinli'h oft nicht einmal mehr wusste, was er da ratifizierte. Es gab Männer, welche ganz offen im Senat gegen Vescularius sprachen - die Vinicier etwa -, oder anderweitig darüber sinnierten, wie diesem Manne beizu..kommen wäre, bei den alltäglichen Zusammentreffen in Thermen oder Gastmählern - darunter Cornelius, Tiberius, wiewohl auch unsere Familie. Als ... als Valerianus ent..leibt wurde ... “
    Mörder!
    Kaisermörder!
    Offiziell galt Vescularius Salinator nun als Täter dieses Hochverrates, doch selbst nach allem Grauen, welches als sein Anteil an all der Misere dieser über Rom hatte gebracht, konnte Gracchus die Lüge nicht aussprechen, dass Vescularius diesen Mord hatte ausführen lassen - obgleich er der Ansicht war, dass Salinator tatsächlich der Initiator der Konspiration gewesen war, der Marionettenspieler, welcher ihrer aller Fäden hatte in der Hand gehalten.
    “Dies alles war ... war zweifels..ohne bereits lange zuvor von ... von nieder...trä'htigem Geiste geplant.“
    Mörder!
    Kaisermörder!
    “Mit ... mit einem Schlage konnte er sich all seiner Opponenten ent..ledigen. Nach Valerianus‘ Tod verhängte Vescularius eine Ausganssperre über Rom und nach seiner Ma'htergreifung ließ er die Garde zuschlagen, all jene Männer verhaften, welche ihm widrig waren - die Vinicier, wiewohl Tiberius Durus, welcher dabei seinen Tod fand.“
    Tatsächlich hatte der Tiberier sich selbst entleibt, was Gracchus indes nicht wusste, wiewohl er zwischenzeitlich davon ausging, dass Durus ein doppeltes Spiel hatte gespielt, dass er die Konspiration auf des Vesculariers Geheiß hatte initiiert und ob dessen als überflüssiger Mitwisser war entsorgt worden, sobald der Usurpator sein Ziel hatte erreicht.
    “Als wir diese Nachricht erhielten, und auch dass sie unterwegs waren, Furianus auf seinem Landgut vor der Stadt zu verhaften, galt es keine Zeit mehr zu ver..lieren. In der Nacht verließen wir Rom - Antonia und die Kinder auf einem Handelswagen; Minimus, Flaccus und ich ... nun, auch wir ... flü'hteten aus Rom.“
    Jetzt erst hob der Flavier wieder den Blick, darin Scham und Abscheu zu gleich.
    “Frage nicht nach der Art und Weise, Scato, haben wir uns doch geschworen niemals auch nur ein Wort darüber zu ver..lieren, denn dies ... dies war nicht nur eines Flaviers nicht würdig, nicht ... einmal eines Menschen.“
    Noch heute erschauerte Gracchus bei dem Gedanken an jene Nacht.
    “Wir fanden eine kurze Rast auf dem Landgut eines Freundes, ohne dessen Wissen selbstredend, zogen hernach weiter bis Mantua, stets geplagt von Furcht und Ent..behrung, alsbald im Wissen über die Proskription und darob noch größerer Gefahr.“

    Flankiert von einigen Kulthelfern harrte auf dem vorbereiteten Opferplatz der Pontifex pro magistro des gewichtigen Ereignisses nachdem er bereits seit geraumer Weile anwesend war, um die Korrektheit des kultischen Rahmens persönlich zu kontrollieren. Gracchus hatte sich nicht nehmen lassen, bei dem bevorstehenden Opfer selbst die Rolle des Souffleurs zu übernehmen - nicht nur ob der Bedeutsamkeit des Anlasses und der Opferherren höchstselbst, sondern auch da die Bitte aus dem Officium eines prätorianischen Tribuns (ja, des prätorianischen Tribuns) an das Collegium Pontificum gerichtet worden war. Seiner Bereitwilligkeit nicht minder zuträglich war zudem die Tatsache, dass diese Position dem Flavier unmittelbaren Zugang zum Opferblut würde verschaffen, eine Gelegenheit welche zweifelsohne niemand, welcher nicht zumindest ein wenig nur abergläubisch war, würde verstreichen lassen, da schlussendlich weithin bekannt war, dass das Blut aus der Opferung des Augustus bei seiner Imagoweihe ein machtvolles Medium zum Schutz gegen Flüche besonderer Schwere war, ja gar dazu geeignet einen solchen zu brechen! Obgleich Gracchus die Aussicht auf diese Gelegenheit durchaus ein wenig in Aufregung versetzte, so war doch vorerst all dies sekundär im Anblicke der Ankunft der prätorianischen Garde, respektive im Anblick des prätorianischen Tribunes, welcher in seinem schnittigen Paraderüstung auf seinem Rosse über den Platz ritt einem strahlenden Heroen gleich. Trocken war des Flaviers Kehle als sie einige letzte Worte zur Abstimmung des Ablaufes wechselten - förmlich und gänzlich professionell ihren Ämtern gebührend, und doch nicht frei von Sentimentalität -, dass die Ankunft der kaiserlichen Familie ihm beinahe eine kleine Rettung war, welche vor allzu tiefgründigen Gedanken ihn vorerst ablenkte.

    "Gewiss, gewiss, sie befinden sich wohl"
    , entgegnete Gracchus auf die Frage nach Gemahlin und Sohn - wiewohl er selbstredend wie stets jeglicher Kenntnis ihres tatsächlichen Befindens entbehrte, abgesehen davon, dass sie keinerlei Anzeichen von schwerer Krankheit zeigten, was zweifelsohne genügte. Ohnehin war diese Causa schnell vergessen ob jener weiteren Angelegenheit.
    "Quintus Flaccus ... ja ... welch deplorable Tragödie!"
    nickte er betrübt und augenblicklich entschwand jegliche Spannung aus seinem Leibe, dass seine Schultern ein wenig hinab sanken.
    "Sein Leibarzt schrieb mir bereits. Es war die Flucht aus Rom, welche ihn dem Elysium weihte. Wir alle dur'hlebten diese fiebrige Pein, doch sein Leib konnte sie nie gänzlich abschütteln - nicht bis Mantua und auch nie wieder in den Monaten und Jahren hernach."
    Einige Monate zuvor war Flaccus noch zuversichtlich wieder nach Rom gekommen, doch noch ehedem er sich wieder hatte akklimatisieren können, hatte sein Leiden ihn zurückgetrieben auf den ruhigen Landsitz - vergebens indes.
    "Ein weiteres kostbares Leben, welches der Bürgerkrieg ge..fordert hat, noch mehr ... Blut ... an meinen Händen ..."
    Während der letzten Worte war Gracchus' Blick zur Tischplatte hinab gesunken, wiewohl seine Stimme leiser und leiser geworden, dass es beinahe nurmehr ein Flüstern war. Einige Augenblicke verharrte er in Schweigen, gefangen in seinem eigenen Grauen, gefangen im Wahn seiner Taten. Ein Blinzeln schien es zu sein, welches daraus ihn schlussendlich entriss, dass er seines Großneffen sich wieder bewusst wurde und den Blick wieder hob.
    "Ein Erbe, sagst du? Mehercule, er war noch ein Junge! Welch bitteres Erbe ..."
    Es war ihm nicht leicht, nicht weiter über dies nachzudenken, über die Grausamkeit der Parzen sowohl zu den Verstorbenen als auch den Hinterbliebenen, suchte sich darob in nüchterne Geschäftigkeit zu flüchten.
    "Um wel'he Art Betriebe handelt es sich?"

    Obgleich Gracchus mit Scato verwandt war und mit ihm unter einem Dache lebte, so wurde auch er von dieser Ankündigung des Imperators überrascht, so dass seine linke Braue sich ein wenig in die Höhe schob. Einige Augenblicke hatte er nichts zu sagen, da er diese Information ersteinmal verinnerlichen, wie reflektieren musste - wie augenscheinlich nicht wenige der anwesenden Sodales.
    "Ein unkonventioneller, doch dur'haus pragmatischer Vorschlag"
    , kommentierte er sodann, nachdem seine Braue wieder in die Horizontale zurückgesunken war.
    "Darob befürworte ich die Kooptation des Flavius Scato in die Reihen der Palatini, wiewohl er ebenso meine Stimme zur Wahl des Magisters wird er..halten, so es dazu kommen wird."
    Bereits aus seiner eigenen Zugehörigkeit galten die Palatini dem Flavier stets mehr als die Collini, so dass ihm nur angemessen schien, dass alle Flavier seiner Familie dort einen Platz fanden - wiewohl dies selbstredend nicht möglich war. Darüberhinaus indes würde die Zugehörigkeit seines Großneffen ihm erleichtern seinen eigenen Platz allfällig noch vor der Kooptatio seines Sohnes aufzugeben, da jener beizeiten somit weiterhin einer sekundierenden Stimme sich konnte gewiss sein.

    Allzu lange musste Scato nicht warten da von innen her die Türe geöffnet und das bleiche Gesicht Sciurus' zu sehen war. "Einen Augenblick, Herr", bat er ihn, um sich sodann Gracchus zuzuwenden und den Besucher anzukündigen.
    "Natürlich, lasse ihn ein"
    , mochte der jüngere Flavier die Stimme des Älteren durch den Spalt in der Türe vernehmen, ehedem diese weit geöffnet und Scato hineingebeten wurde.
    "Scato, bitte nimm Platz"
    , wies Gracchus auf den Stuhl, welcher ihm gegenüber an der langen Seite des massiven Schreibtisches stand.
    "Was kann ich für dich tun?"
    Er nahm an, sein Neffe würde ihn der bevorstehenden Wahlen wegen aufsuchen.

    Obgleich durch diese Worte selbstredend noch keinerlei Würfel gefallen waren, so klang dies doch durchaus vielversprechend, was bereits weit mehr war als Gracchus beim letzten Kaiser hatte erreichen können.
    "Ich danke dir sehr, Augustus!"
    bekundete Gracchus darob zuversichtlich und hatte weiters nichts mehr auf dem Herzen. Die Beendigung des Gespräches wollte er indes Aquilius überlassen, hätte er doch niemals gewagt, dem Augustus dies zu diktieren.

    Gracchus wusste die kaiserliche Bemerkung bezüglich seiner Ansichten zur Position eines Nauarchus nicht recht einzuordnen, da es in seinem Weltbild schlichtweg keinen Spielraum für eine solche Interpretation gab, was ihn letztendlich vermutlich nicht weniger verwirrte als die seinerseitige Bemerkung den Imperator. Da die weitere Frage indes gänzlich unmissverständlich war, beantwortete er jene.
    "Nun, aufgrund seiner zahlrei'hen Verdienste und Auszeichnungen wäre es zweifelsohne längst geboten ihn in den Ritterstand zu erheben"
    , insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass allenthalben Männer mit weit weniger Kompetenz und Format, indes augenscheinlich hartnäckigeren Fürsprechern diese Ehre wurde zuteil.
    "Gleichwohl seine Erfahrung und Expertise ihn für eine Kommandantur prädestiniert, im besten Falle in Italia als Tribunus An..gusticlavius oder Tribunus Cohortis Urbanae etwa."

    Trübe und grau hing der Herbst über Rom, kündete davon, dass die Leichtigkeit des Sommers für dieses Jahr vergangen war und die kahle Tristesse des Winters bevorstand. Stets reagibel auf die Welt um ihn her, hingen auch um Gracchus' Geist trübe Wolken, tingierten seine Gedanken in graufarbene Ödnis und Melancholie, doch während die Natur bereits im Vergehen des Jahres den Samen für neue Blüte und Pracht legte, endete seine Vorausschau selten in Zuversicht. Dem entgegen stand die Beflissenheit seines Sklaven Sciurus, welchen die Jahreszeiten ebensowenig tangierten wie der Rest der Natur, der darob wie jeden anderen Tage auch in all seiner nüchternen Sachlichkeit die Neuigkeiten und Korrespondenzen abarbeitete.
    "Die Consuln haben den Wahltermin zum Curus Honorum bekannt gegeben, die Kandidaturen müssen bis zu den Kalenden des Novembers bekannt gegeben werden. Soll ich die Bekanntgabe deiner Kandidatur vorbereiten?"
    Ein wenig perplex hob Gracchus den Kopf und blickte den Sklaven an.
    "So bald schon?"
    Er seufzte. Obgleich der Wahlrhythmus einem festgelegten Muster folgte schien diese Zeit doch stets so überaus abrupt zu kommen, viel zu früh darüber hinaus - insbesondere dann, wenn er sich selbst zur Kandidatur wollte stellen.
    "Nein, ich ... ich denke, dies … wäre derzeitig nicht vernünftig."
    "Aber die Ehe ist geschlossen, Herr, es gibt keine weiteren Hindernisse mehr."
    "Ja, ja, ich weiß. Aber ... ich ... bin schli'htweg nicht vorbereitet."
    "Du bereitest dich seit Jahren vor."
    "Ja... nun ..."
    , gab der Flavier zögerlich zu.
    "... aber … wir hätten viel früher mit dem Wahlkampf beginnen müssen! Und nach diesem Debakel des Tiberius ... dies ... könnte nur in einer Ka..tastrophe enden. Darüber hinaus ... das Consulat ist doch ohnehin nicht mehr, was es einmal war. Es ist ... kompromittiert, blasphemiert und befleckt mit Dreistigkeiten."
    "Und du willst es dabei belassen?"
    "Nein!"
    funkelte Gracchus den Sklaven an.
    "Doch ... dies ist ... eben deshalb ... was wenn ... "
    Seine Hand bewegte sich in einer hilflosen Geste durch die Luft, ehedem er in sich zusammen sank.
    "Gerade jetzt brauchen wir herausragende, ehrenhafte und un..bescholtene Männer an dieser Position. Ich ... ich bin das nicht."
    "Im Vergleich zu Licinius Ruso und Settidius Firmus etwa?"
    Wieder echappierte ein Seufzen Gracchus' Kehle.
    "Ach, Sciurus ... dieses mal nicht. Nur einmal noch."
    "Wie jedes Jahr, Herr."
    "Ja, .... allfällig jedes Jahr."