Es war wohl eine der ersten großen Hochzeiten, welche in diesem Jahr stattfand, und Venus hatte sich fest entschlossen, diesen Termin in keinem Falle zu verpassen. Denn immerhin heiratete hier und heute die absolute Oberschicht der römischen Gesellschaft. Zu welcher Hochzeit, wenn nicht zu dieser, sollte sie sich blicken lassen? Auf einer flauschigen Wolke, von denen es im Februar doch durchaus einige gab, reiste sie zur Villa Flavia. "Ach schau, wie honigsüß! Der Bräutigam ist richtig aufgeregt.", stellte die Göttin in leicht schwärmendem Tonfall fest, als sie den Flavier nervös auf seine Braut warten sah.
"Gib bloß Acht, dass dein Gemahl Vulcanus das nicht hört.", kommentierte die diesem Fest ebenfalls nicht fernbleibende Fortuna freundschaftlich, während sie sich näherte. Auch sie war bei diesem Februarwetter auf einer Wolke angereist, um der heutigen Eheschließung beizuwohnen. "Keine Sorge, Fortuna. Mit Mars würde ich ihn jetzt nicht vergleichen.", bezog sich die schönste Göttin auf den durchschnittlichen Körperbau des Bräutigams. "Doch selbst wenn, was sollte mir passieren, mit deinem Glück auf meiner Seite?", schob Venus nach kurzer Pause mit einem schalkhaften Lächeln nach. Daraufhin lächelte auch Fortuna, während sie stumm den Kopf schüttelte.
Bis zum Opfer durch den obersten Haruspex vergingen anschließend noch ein paar Augenblicke, sodass Venus die Chance hatte, noch einmal in sich zu gehen und sich etwas ernsthafter - respektive so ernsthaft, wie dies einer Göttin unter anderem der Launenhaftigkeit, Liebe und Täuschung möglich war - ein paar Segenswünsche für das Brautpaar zu überlegen. "Meine Täubchen erzählen mir, dass sich die Braut ganz akribisch vorbereitet hat auf ihre Nacht der Nächte. Das soll in jedem Fall belohnt werden. Sie soll heute die höchsten Freuden der Liebe erfahren. Das hat sie sich wahrlich verdient.", zeigte sich Venus in Geberlaune. "Und sie soll glücklich werden in ihrer neuen Familie, hier, im Haus der Flavier.", pflichtete ihr Fortuna bei.
"Und der Bräutigam soll bis zur Stunde seiner ersten ehelichen Zweisamkeit keinen Funken seiner charmanten Nervosität verlieren.", strich sich Venus leicht verträumt mit dem Zeigefinger über ihre Unterlippe, während sie den Flavier erneut ein wenig musterte. "Dann sei aber doppelt Glück mit ihm, dass er diese Zeremonie und das anschließende Fest ohne große Fehltritte übersteht.", fiel Fortuna der Liebesgöttin ins Wort. "Erst wenn er diese Ehe zum ersten Mal vollzieht, soll jede Aufregung von ihm abfallen, damit er sich ganz der sinnlichen Lust hingeben kann.", beendete Venus ihren Wusch für den Bräutigam und kümmerte sich nicht weiter darum, welche Konsequenzen eine solch leidenschaftliche Nacht möglicherweise haben könnte. Denn für derartige Konsequenzen sah sie sich nicht verantwortlich. Darüber, ob der Samen der Liebe dieser Tage auf fruchtbaren oder unfruchtbaren Boden fiel, bestimmte schließlich eine andere Göttin.
In diesem Augenblick zischten zwei für alle Sterblichen unsichtbare Pfeile mit herzförmigen Spitzen an Venus und Fortuna vorbei - und trafen mitten in die Hochzeitsgesellschaft. Waren es Cupidos Pfeile der Lust und Begierde? Oder handelte es sich um Amors Pfeile der Liebe? Venus wusste es sofort. Doch Fortuna blieb es verborgen, da sich der kleine Schalk mit seinem Bogen sogleich wieder hinter einem luftigen Wölkchen versteckte. "Du sollst doch nicht ins Publikum schießen!", ermahnte Venus den schalkhaften Schützen - offenkundig zu spät. "Ich hoffe, dass du wenigstens nur zwei aneinander oder aber zwei völlig ungebundene Sterbliche erwischt hast. Du weißt, dass mir Iuno sonst wieder wochenlang mit diesem kleinen Missgeschick in den Ohren liegt.", seufzte Venus. Denn sie selbst sah dies eigentlich nicht so verbissen - ganz im Gegenteil zu der aus ihrer Sicht nur allzu oft eifersüchtigen und stets ewige Treue propagierenden Iuno.