Beiträge von Claudia Antonia

    Für den Hauch einer Sekunde überrascht, gar irritiert, ruhte Antonias Blick, den mancher als bohrend beschreiben mochte, auf ihrem Sohn. Sie selbst sollte ihn unterrichten? Nun, sicher kein allzu schlechter Vorschlag, wenngleich sie sich als schlechte Lehrerin in Erinnerung hatte. Andererseits hatte Serenus, ihr erstes Versuchskaninchen diesbezüglich, nie eine Beschwerde ob ihres Lehrstils geäußert. Doch Lesen? Zahlen, Tabellen, Rechnungen, dies war die Welt, in der sich die Claudia heimisch fühlte. Gracchus wäre, dessen war sich Antonia sicher, ein weitaus geeigneterer Lehrer für Minor. Doch Gracchus war auf dem Weg nach Achaia, wie sie sich in Erinnerung rief.
    Ein wenig milder wurde ob dieser Gedanken ihr Gesichtsausdruck, wurde sie sich doch der Tatsache bewusst, dass es für Minor ein kleiner Trost sein mochte, wenigstens die Mutter als Ersatzlehrer heranziehen zu können. So nickte sie schließlich.
    “Nun gut.“, erklärte sie. “Doch erwarte keine nachsichtige Behandlung, nur weil ich deine Mutter bin, Minimus.“
    Verschmitzt zwinkerte sie dem jungen Flavier zu. Eine seltene Geste, denn trotz der großen Liebe, die sie ihrem Sohn entgegen brachte, ließ sie sich selten zu dergleichen Scherzchen hinreissen.
    “Am besten beginnen wir gleich mit deinem Brief.. dein Vater hat eine sehr schöne, klare Handschrift, damit lässt es sich gut lernen.“
    Sie deutete auf den ersten Satz.
    “Welche Worte erkennst du denn schon?“

    Die unbändige Neugier, welche sich in allzu vielen Fragen äußerte, war zumindest etwas, das Minor nicht von seinem Vater hatte. Jener hatte sich bisweilen oft in Schweigen gehüllt. Was Antonia nun jedoch lieber war, hätte sie in jenem Moment auch nicht bestimmen können. Früher oder später, so fürchtete sie, würden ihr die Antworten ausgehen und sein Gracchus wäre nicht hier, um die Ehre der Eltern zu retten.
    Auch diesmal würde die Antwort ihren Spross eher enttäuschen, denn ihn zufrieden stellen, woraufhin zweifellos eine weitere Frage folgen würde. “Das weiß ich noch nicht, Minimus.“, erwiderte sie, die eigene Unzulänglichkeit vor dem Sohne eingestehend. “Das ist nicht so einfach, weißt du. Du bist ein Flavius. Zur Hälfte zudem ein Claudius. Das macht dich zu etwas ganz Besonderem.“
    Wovon zweifellos jede Mutter überzeugt war. Die Verbindung zweier ehemaliger Kaisergeschlechter jedoch gab Antonia in diesem Falle recht.
    “Ich kann dir schließlich nicht irgendjemanden von der Straße als Lehrer geben, verstehst du?“

    Ich werde bis Freitag erstmal nicht zum Schreiben, bzw. gar nicht ins Internet kommen können. Bis dahin bitte ich also um Geduld :)


    Minor, sei brav, hör auf deine Onkel und Tanten und mach mir keine Schande :D

    Dass Geschichte sich bisweilen zu wiederholen beliebte, zeigte sich einmal mehr zwischen Antonia und Gracchus. Ein anderer Gracchus zwar, doch floss auch in ihm das flavische Blut.
    Die verschreckte Reaktion des Sohnes missdeutend, zog Antonia die bereits ausgestreckte Hand wieder zurück, nahm an das Kind hatte bereits erkannt, dass seine Mutter ihm etwas verheimlichte. Augenscheinlich war er nur zu scheu, um genauer nachzufragen, war zu gut, um der Mutter offen zu sagen, dass er ihr kein Wort glaubte. Er war seinem Vater so ähnlich, dass es die Claudia schauderte..
    Sein Gedankensprung zerbrach das unangenehme Schweigen, erfasste Antonia jedoch auf dem falschen Fuße, sodass sie lediglich einige Sekunden ratlos in das unschuldige Gesicht Minors blickte, als habe er soeben gefragt, wann Rom untergehen würde. Es waren widerstreitende Gefühle, die in Antonia wüteten, kaum hatte sie die Frage verstanden. Bedeutete sie doch einerseits, dass ihr Sohn ein kluger, wissbegieriger Junge war, andererseits jedoch ebenso, dass er unaufhaltsam älter wurde und früher oder später ihrer Kontrolle entgleiten würde.
    "Wann.. ?", entgegnete sie also zunächst, beide Augenbrauen in die Höhe gezogen. Sie würde einen Lehrer finden müssen.. einen Lehrer, der es wert war, ein Kind aus flavisch-claudischem Hause zu unterrichten. Eine schier unmögliche Aufgabe, wie es schien. Vielleicht einer der bereits vorhandenen Sklaven? Ihr eigener Vilicius, Pallas, war ein äußerst kluger Kopf.. doch war er nur zur Hälfte Grieche und zur andere Hälfte Britannier.. somit schied er von vorneherein aus. Nein, zu gefährlich, vielleicht kam eines Tages doch die barbarische Seite in ihm hervor. Auch die restliche Sklavenschaft missfiel der gestrengen Mutter, so musste wohl ein Fremder engagiert werden..
    "Nun.. wenn du schon Lesen lernen möchtest, werde ich mich nach einem geeigneten Lehrer für dich umsehen."
    Was umgehend die Erkenntnis in Antonia reifen ließ, dass wohl nicht allein für Lesen und Schreiben ein Paedagogus gefunden werden musste. Mathematik, Philosophie, Rhetorik.. all jene Bestandteile des Lebens, die ein zukünftiger Senator - und nichts anderes würde ihr Sohn werden, dies stand bereits fest - beherrschen musste, je früher, desto besser. Und je weiter diese Gedanken sie führten, umso schwermütiger wurde ihr ums Herz. Aufhalten konnte sie den Prozess des erwachsen werdens wohl nicht. Allein das Entgleiten aus ihren Armen ließ sich verhindern.
    "Sobald ich einige Kandidaten gefunden habe, werden wir beide gemeinsam einen aussuchen, ja?"

    Kaum war die Frage gestellt, jener unschuldige, neugierige Satz dem Sohn entschlüpft, gefror Antonias Miene auf eine Weise, wie sie in früheren Ehejahren oftmals Gracchus Maior in Angst und Schrecken versetzt hatte. Schnell schüttelte die Claudia jenen Ausdruck jedoch ab, suchte nach einer Antwort, die den Jungen nicht zu sehr enttäuschen und zugleich doch nicht die Unwahrheit sein würde.
    “Bald.“, entgegnete sie daher kryptisch. Einerseits keine Lüge und andererseits war damit so gut wie nichts ausgesagt, war „bald“ doch ein äußerst dehnbarer Begriff. Da die Mutter ihren Sohn jedoch kannte, war sie sich sicher, dass er sich mit jener ungenauen Angabe nicht zufrieden geben würde. “Es kommt darauf an, wie lange seine Aufgabe ihn in Anspruch nehmen wird.“
    Mit Schrecken erinnerte sie sich an die scheinbar elend lange Zeitspanne, die Gracchus nach seinem letzten Anfall benötigt hatte, um wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen. Dass ein Rückfall nicht gerade schnellere Rekonvaleszenz versprach schien jedoch bereits klar.

    Genau verfolgte Antonia die Gesichtsausdrücke ihres Sohnes, bangte Sekunde um Sekunde, wagte kaum zu atmen, als sie die Augen Minors studierte. Jahrelange Übung war es allein, die sie in jenem Moment davon abhielt, auf der Unterlippe zu kauen, oder gar nervös die Hände zu kneten.
    Er glaubte ihr nicht. Gewiss nicht, er war ein kluger Junge, sofort durchschaute er die Lüge seiner unzulänglichen Mutter. Fast körperlich spürbar manifestierte sich die grenzenlose Enttäuschung, die große Trauer des Kindes, welche der Mutter das Herz zu brechen drohte – einmal mehr.
    Sie blinzelte einige Male irritiert, als Minor ihr ungelesen den Brief wieder entgegen hielt. Zu oft vergaß die Claudia, dass sie keineswegs einen kleinwüchsigen Erwachsenen vor sich hatte, der ihr in seinen Fähigkeiten ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen war. Nein, hier saß ein Kind, das, wie sie nur zu gut wusste, noch nicht alle Buchstaben entziffern konnte, schon gar nicht in einer ihm wenig bekannten Handschrift. Sie lächelte unsicher, nahm mit fahrigen Fingern das Schriftstück entgegen. Noch eine Frage folgte, die die Claudia erstaunt wieder aufsehen ließ. Geschenk? Jene Frage, so unschuldig, so völlig unvermittelt gestellt, entlockte der Mutter ein gelöstes Lachen.
    “Gewiss.“, versicherte Antonia, noch immer ein Schmunzeln im Gesicht. “Ich bin sicher, er wird dir einen ganzen Wagen voller Geschenke mitbringen.“
    Ein kurzes Räuspern folgte – natürlich würde sie ihrem Sohn den Wunsch des Vorlesens erfüllen – ehe sie ansetzte, die erste Zeile wiederzugeben. Wort um Wort folgte und beinahe war Antonia froh, dass ihr Blick auf die schwungvolle Schrift gerichtet sein musste, allein um nicht zu sehen, wie Minors Trauer wuchs. Und letztendlich auch, um zu verbergen, dass erneut ihre Augen feucht wurden.
    Mit dem letzten Wort verstummte schließlich auch die Vorleserin, ließ den Brief sinken und wartete auf die Reaktion des Sohnes.

    Andächtig beobachtete Antonia ihren Sohn, während jener sich seinen Weg aus dem Schlaf kämpfte. Ein wenig desorientiert wohl noch, wie jeder Mensch, der aus seinen Träumen gerissen wurde. Glücklicherweise kannte die Claudia den Inhalt jener Träume nicht, hätte sie doch nur gefürchtet Minor würde bei nächster Gelegenheit losziehen, um tatsächlich mit Holzschwert und Schild gegen Spielkameraden zu fechten.
    “Mein Herz.“, erwiderte sie gütig lächelnd und erneut sein Haar durchfahrend. Jenes Haar, dem seines Vaters so ähnlich.. jenes Vaters, der nun weitab in Achaia weilte, der es nicht in Rom ausgehalten hatte, der nicht einmal persönlich sich verabschiedet hatte, weder von seiner Frau, noch von seinem Sohn. Jener Vater, der nun kaum mehr Schatten seiner selbst war, sofern die Krankheit ähnliche Ausmaße angenommen hatte wie beim letzten Mal. War es das, was sie ihrem Jungen erzählen sollte? Dass sein Vater, der große Manius Flavius Gracchus, hilflos das Bett hüten musste, kaum fähig sich zu bewegen, geschweige denn verständlich zu sprechen? Würde er, Minor, nicht irgendwann ihr die Schuld daran geben, so wie sie selbst es bereits tat? Würde er nicht anklagend den Finger heben und auf seine Mutter deuten? Würde die Wahrheit nicht das Bild des perfekten Manius Flavius Gracchus, des allmächtigen und unerschütterlichen Vaters zerstören? Unmöglich konnte sie ihrem Sohn die Wahrheit sagen, nicht, bis er wirklich verstehen würde. Oder bis sein Vater zurückkehrte.
    “Minimus, es gibt eine.. eine großartige Neuigkeit.“
    Es schmerzte. Es schmerzte sie unsäglich das eigene Fleisch und Blut derartig anlügen zu müssen. Und dennoch, es war besser so, dessen war sie sich sicher.
    “Denk nur, dein Vater wurde vom Kaiser persönlich ausgewählt, um eine wichtige Mission zu erfüllen.“
    War es nicht das, was alle Söhne sich erträumten? Der Vater ein wichtiger Mann im Dienste des Kaisers, unterwegs um das Imperium vor Barbaren oder gar dem Untergang zu bewahren?
    “Von nun an ist er.. Friedens-Beauftragter des Imperators, stell dir vor.“
    Ernsthaft bemüht, in ihrer Stimme Stolz und Enthusiasmus mitklingen zu lassen, suchte sie bereits jetzt im Gesicht Minors nach ersten Zweifeln. “Er ist bereits unterwegs in den Osten, deshalb konnte er sich leider nicht mehr von dir verabschieden. Aber er hat mir aufgetragen, dir diesen Brief zu geben.“
    In der Hoffnung, der Junge würde sich nicht weiter am gebrochenen Siegel stören, reichte die Claudia Minor Gracchus‘ Brief.

    Lächelnd entließ sie ihren Sprössling aus der Umarmung und ließ es sich freilich nicht nehmen, nachdem er sich hingelegt hatte nochmals die Bettdecke über dem kleinen Körper zurechtzurücken. Kurz beugte sich Antonia über Minor, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn, um letztlich wieder in ihre Sitzposition auf dem Bettrand zurückzukehren.
    Wie ein Wachhund verharrte sie an Ort und Stelle, allzeit bereit aufzuspringen um böse Monster und angsteinflößende Kreaturen aus den Gedanken ihres Sohnes zu vertreiben. Leise summte sie eines jener Wiegenlieder vor sich hin, die wohl schon ihre Großeltern von ihren Ammen vorgesungen bekommen hatten. Erst als sich die Claudia sicher war, dass der junge Flavius eingeschlafen war, verstummte sie wieder, gestattete sie sich eine ein wenig lockerere Haltung. Den Blick vom Sohn abwendend schweifte selbiger durch den düsteren Raum, der durch die langsam emporkriechende Sonne nach und nach zunächst in ein gräuliches und schließlich in ein orangegelbes Licht getaucht wurde. Immer wieder sah sie prüfend zu Minor, fast als fürchtete sie er könne plötzlich aufhören zu atmen. Und tatsächlich, in den ersten beiden Jahren seines Lebens hatte stets ein Sklave über jene Lebensfunktion in der Nacht zu wachen.


    Ein heller Schimmer im Augenwinkel war es schließlich, der Antonia jene Nachricht erblicken ließ, die ihrer beider Leben grundlegend verändern sollte. Ein Brief war es augenscheinlich, mit einem Siegel verschlossen. Falten legten sich auf die claudische Stirn, als sie das Schriftstück in die Hand nahm und das Zeichen im Wachs erkannte. Gracchus' Siegel? Warum schrieb er seinem Sohn denn einen Brief?
    Ihr Sohn hatte keine Geheimnisse vor ihr, dessen war sich Antonia sicher und schon war das Siegel in zwei Teile gebrochen. Sich versichernd, dass das Geräusch Minor nicht geweckt hatte hielt die überbesorgte Mutter kurz inne, entfaltete dann jedoch schnell das Papier und begann zu lesen..


    Es war ihr im Nachhinein unmöglich zu sagen, wie lange sie stocksteif auf den letzten Buchstaben im letzten Wort des Briefes gestarrt hatte, unfähig auch nur einen Finger zu rühren. Das konnte nicht wahr sein. Unmöglich. Nicht jetzt. Nicht zu diesem Zeitpunkt, in welchem alles einfach perfekt war. "Iuno.. ", krächzte sie tonlos.
    Nein. Nein, nein, nein. Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Wieso sollte Gracchus einfach so, sang und klanglos verschwinden? Nicht einmal von Angesicht zu Angesicht sich verabschieden? Und warum so plötzlich? Warum stahl er sich aus ihrem Leben und dem seines Sohnes? Endlich regte sie sich, schüttelte den Kopf, als würde jene Geste die bittere Wahrheit ungeschehen machen. Vergessen war für einen Moment der schlafende Sohn, als ein Gedanke durch ihren Kopf zuckte. Was war mit ihr? Hatte Gracchus ihr nicht auch etwas geschrieben? Einige Worte nur, die all das erklären würden und die mitteilen würden, wann er wieder zurück kam?
    Mit wenigen Schritten war sie bei der Tür, wies die davor wartende Sklavin an zu ihrem Cubiculum zu gehen und einen Brief zu suchen. Die Tür wurde wieder geschlossen und Antonia blieb allein mit ihrem trommelnden Herzen und ihrem friedlich schlummernden Sohn zurück. Sie hätte schreien wollen, die Götter anflehen und zugleich verfluchen, doch sie schwieg, brachte keinen Laut über die Lippen. Erst nach viel zu langer Zeit öffnete die Tür sich wieder, streckte die Sklavin eine Nachricht hindurch, mit dem gleichen Zeichen versiegelt wie schon der Brief für Minor.
    Fahrig ergriff die Claudia den Abschiedsgruß, rupfte unwirsch das Siegel ab und las, ein ums andere Mal, immer und immer wieder, bis sie schließlich glauben konnte, was sie las. Er war fort. Fort nach Achaia, um sein Leiden behandeln zu lassen. Hatte er denn erneut einen Anfall gehabt? Warum hatte er nicht.. warum..
    Sie stellte sich im Geiste unzählige Fragen, fand keine Antwort und verzweifelte von Minute zu Minute mehr. Vor allem eine Frage brannte sich in ihren Kopf: Warum hatte er sie und Minor nicht mitgenommen?


    Geräuschvoll landeten beide Briefe auf dem Boden, als Antonia kraftlos beide Arme sinken ließ. Und zum ersten Mal fiel ihr Blick wieder auf Minor. Jenes unschuldige Kind, das nichtsahnend in seinem Bett schlief und gewiss von großen Heldentaten träumte. Wie sollte sie ihm nur erklären, dass sein Vater womöglich monate- oder gar jahrelang fort war?
    Ihre Augen wanderten nach unten, bis hin zu jenem Papier, das das letzte war, was ihr Gemahl, jener Gracchus, dem nichts und niemand etwas hatte anhaben können, für sie zurückgelassen hatte. Schnell bückte sie sich, hob die Schriftstücke auf als handele es sich um einen besonders kostbaren Schatz. Und mit einem Mal wurde ihr klar, warum noch einmal die Götter ihn mit dieser Bürde belastet hatten. Es war zu perfekt gewesen. Ein zu vollkommenes Leben, um es einem Sterblichen zu gönnen. Um es einer Sterblichen zu gönnen. Wie hatte sie sich nur derart in Sicherheit wiegen können? Wie hatte sie nur annehmen können, es würde alles so werden, wie sie es stets gewollt hatte? "Warum nicht ich?", seufzte sie leise, während sie eilig eine einzelne Träne von ihrer Wange wischte. Warum nur wurde ausgerechnet Gracchus so gestraft, ein untadeliger Römer, Vorbild in nur jeder erdenklichen Weise. Der Hoffnung, ihr Gemahl würde in wenigen Wochen wieder genesen gab sie sich nicht hin, zu gut kannte sie ihr Glück und ihr Schicksal. Einige Jahre in Fortunas Gunst mussten nun wohl für den Rest ihres Lebens genügen.
    Hätte sie es gekonnt, sie hätte ihr Dasein mit dem Seinen getauscht, nur um Rom jenen Gracchus zu erhalten. Sie konnte es nicht.. doch sie konnte Rom einen zweiten Gracchus geben..


    "Minor."
    Antonia saß wieder am Rande des Bettes, als sei sie nie aufgestanden, als sei sie nicht unzählige Male im Raum auf und ab gegangen, als sei nicht gerade ihre Welt in Scherben zerfallen. Sie lächelte. Nicht wie zuvor, nicht losgelöst und frei und doch nicht gezwungen. Der Anblick des Sohnes war es, der jenes kleine Wunder zu vollbringen vermochte.
    "Wach auf.", sagte sie, mit einer Hand über das wuschelige Haar Minors streichend.

    Ruhig und gleichmäßig hob und senkte sich Antonias Brustkorb, drückte den Sohn mal von ihrem Herzen fort, mal zog es ihn wieder hin. Sie war immer wieder erstaunt über die Kraft, die Minor innewohnte. Schon als er als Neugeborenes einst ihren Finger umklammert hatte, hatte sie sich hierüber gewundert. Es war gewiss keine übernatürliche Stärke, die dem Kind innewohnte, er übertraf oder unterlag seine Altersgenossen wohl in keiner Hinsicht diesbezüglich. Doch da dies das erste Kind der Claudia war und sie keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, wie Kinder von Freundinnen, nutzte, ertappte sie sich bei jeder Gelegenheit dabei, wie sie hierüber lächelte. So auch jetzt. Sich der Tatsache gewahr werdend, dass ihr Sohn von einer panischen Angst beherrscht wurde, verschwand jener selige Gesichtsausdruck jedoch umgehend, wich der bekümmerten Miene der Mutter.
    Der Druck um Antonias Rippen verringerte sich und so löste auch sie ein Stückweit die Umarmung, die Minor vor der grausamen Welt und allen bösen Träumen schützen sollte. Ihre dunklen Augen erfassten die Seinen, die den gleichen warmen Braunton hatten wie die seines Vaters. Eine Erinnerung packte sie und schnürte ihr die Kehle zu bei jenem Vergleich. Jene Stunde, in welcher Minor noch kaum auf der Welt gewesen war und Gracchus ihr offenbart hatte, er glaube nicht der Vater zu sein. Lachhaft im Nachhinein gesehen. Doch jener Nachgeschmack an eine längst vergangene Episode in ihrem Leben war es, die sie eine Weile schweigen ließ, bis langsam, schwerfällig und schleppend nur sich die Worte ihres Sohnes den Weg zu Antonias Bewusstsein freikämpften. Doch sobald eine Schneise geschlagen war, riss ein kurzes Blinzeln die Claudia aus ihren Gedanken, zauberte sie ein aufmunterndes Lächeln in ihr Gesicht und nickte. Wie, wie bei allen Göttern, hätte sie auch mit einem ‚Nein’ antworten können? Wie den Raum verlassen, wenn ihr Kind sie brauchte?
    So fuhr sie erneut durch Minors Haar und wischte anschließend mit einem Daumen notdürftig die Tränenspuren von seiner Wange. “Natürlich bleibe ich hier.“, versprach sie. “Bis du eingeschlafen bist. Und bis du wieder erwachst.“
    Ohnehin würde sie nun keinen Schlaf mehr finden. Nicht wenn sie jederzeit darum fürchten musste, erneut durch einen Schrei ihres Sohnes geweckt zu werden.

    Es brach Antonia das Herz, ihren einzigen Sohn derartig zu sehen. Völlig verängstigt, ja sogar Tränen rannen seine Wangen hinab. Hatten Männer bisweilen Schwierigkeiten damit einer weinenden Frau zuzusehen erging es der Claudia ebenso mit ihrem Kind.
    Tröstend schloss sie ihre Arme um den kleinen Körper, der ihr stets so zerbrechlich erschienen war, dass er um jeden Preis vor den Einflüssen der Welt beschützt werden musste. In monotonen Bewegungen strich eine ihrer Hände über seinen Rücken, während sich das Gefühl der Hilflosigkeit mit Wut mischte. Der Hund. Bei Iuno, sie hatte bereits bei der ersten Begegnung Minors mit einem dieser Kerberosse darauf bestanden, dass diese Biester von ihm ferngehalten wurden. Hatte man auf sie gehört? Nein. Natürlich nicht. Gracchus war der Ansicht gewesen, man könne Minor nicht vor allem und jedem abschirmen, er müsse sehen, dass man sich nicht vor einem Schoßhund fürchten brauche. Schoßhund. Lachhaft. Allein Serenus’ Einfall, ihrem Sohn, ihrem Augapfel, ein ähnliches Vieh zu schenken ließ Antonia das Blut in den Adern gefrieren.
    “Schhh, keine Angst Minimus, es ist alles gut. Es war nur ein Traum. Kein Hund wird dich fressen. Nichts und niemand wird dir etwas zuleide tun.“
    Bei seinem Namensgeber konnte sie hierfür jedoch noch nicht garantieren. Zu lange hatte sie es vor sich hergeschoben, heute würde sie endlich fordern, nein, verlangen, dass die Höllenbrut, die sich Hunde nannte, aus dem Haus verschwinden würden.

    Ich war zwar nicht abgemeldet, aber ich habe in der letzten Zeit irgendwie nie die Muße gefunden endlich die Beiträge zu schreiben, auf die der ein oder andere schon so lange warten muss.
    Eine dicke, fette Entschuldigung an all jene hier - in den nächsten Tagen werde ich mich bemühen hier abhilfe zu schaffen :)

    Antonia, jene „Mama“, hatte seit jeher das Glück – oder Unglück, je nach Ansichtsweise - sich niemals an ihre Träume zu erinnern. Vermutlich war dieser Umstand tatsächlich ein Segen, bedachte man welche Horrorvisionen sie bereits im Wachzustand heraufzubeschwören imstande war.
    Noch bevor jedoch die Mutter im Nebenzimmer voll Panik aus ihrem Bett empor schiessen und zu ihrem Sohn eilen konnte, war bereits eines von Minors Kindermädchen im Raum. Nicht weiter verwunderlich, ihr Weg war der Kürzere. Denn schließlich hatte stets eine der Sklavinnen vor der Türe von Gracchus’ und Antonias Spross zu wachen. Mit den üblichen Beruhigungsformeln auf den Lippen, die Erwachsene an den Tag legten wenn sie ein Kind beruhigen wollten, war Aikaterina hereingeeilt, setzte sich mit gütigem Lächeln auf den Rand von Minors Bett und wurde jäh unterbrochen, als eine besorgte Mutter mit angstvoller Miene in der Türe erschien. Das übliche perfekt auf die äußeren Umstände abgestimmte Erscheinungsbild der Claudia war, wie zu jener Uhrzeit nicht weiter verwunderlich, am ehesten als derangiert zu bezeichnen. Barfuß, im Nachtgewand und mit gelösten, teils noch zerzausten Haaren, kam sie näher, was dumpfe Patschgeräusche durch das Cubiculum hallen ließ. Mit Adleraugen tastete sich ein geübtes Augenpaar durchs Zimmer, über die Sklavin hinweg und den geliebten Sohn musternd. Keine offenen Wunden, er atmete, er lebte.. so beruhigte sich langsam das trommelnde Herz.
    “Minor!“, ließ sich Antonias Stimme vernehmen, aus der sie die anfängliche Angst noch nicht gänzlich hatte verbannen können. Sie verharrte einen Moment, bedeutete Aikaterina mit einem harrschen Wink den Raum zu verlassen und nahm an ihrer statt auf dem Kinderbett Platz. “Mein Herz.. was ist denn geschehen?“
    Darum bemüht Ruhe und Zuversicht auszustrahlen, strich sie ihrem Sohn einige feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Jenem kleinen Ebenbild seines Vaters, sowohl im Aussehen, als auch im Charakter – jedenfalls sah Antonia es so. Niemals hätte sie in Gracchus nur eine tadelige Angewohnheit, einen auch noch so geringen Fehler vermutet. Weder in Maior, noch in Minor.


    Zurückgelassen in Antonias Cubiculum lag, bislang ebenso gänzlich unbeachtet wie jenes Exemplar auf dem Tisch Minors, ein Brief. Der gleiche Absender, ein ähnlicher Inhalt. Ein Brief, der der Claudia zweifellos den Boden unter den Füßen hinfort gerissen hätte, der ihr jedes beruhigende Wort genommen und sie in Verzweiflung zurück gelassen hätte. Doch noch hatte sie ihn nicht gelesen..

    Die Freude über das Erscheinen ihres Gatten, verbunden mit seinem Kompliment, wurde recht schnell von Selbigem wieder getrübt.
    Sie hatte die Hand bereits halb abwehrend erhoben, aus ihrer Kehle drangen die ersten Silben eines ‚Nein, danke‘, doch der Gatte war schneller und schöpfte etwas, das man – dessen war Antonia sich sicher – nicht einmal den Sklaven vorsetzen würde, auf ihren bislang jungfräulichen Teller. Als befände sich ein besonders interessantes Versuchsobjekt vor ihr auf einem Seziertisch betrachtete die Patrizierin den Mischmasch, der sich aromatisch auf ihrem Teller verbreitete. Vielleicht hatte sie Gracchus doch ein wenig überschätzt? Doch nein, gewiss hatte das nicht er.. andererseits..
    Noch ein Löffel. Als wäre nicht bereits mehr als ausreichend Pampe vorhanden, schöpfte ihr Gemahl einmal mehr das unidentifizierbare.. Zeug in die Schale. Ob er sie sekkieren wollte? Fragend hob sie den Blick, riss ihn von der trüben Masse los, um ein bösartiges Glitzern in Gracchus‘ Augen zu suchen. Sie fand, wie sie glaubte, eine Art kindlicher Freude, ähnlich dem Blicke Minors, wenn sich ein neues Spielzeug fand, das ursprünglich nicht als solches Vorgesehen war. “D.. anke.“, brachte sie endlich hervor, bemüht darum ein begeistertes Gesicht zu machen. Vielleicht hätte sie doch besser etwas von Aristides probieren sollen. Seis drum, es war zu spät und der Teller randvoll. Wie wurde sie das nur wieder los?
    Vorsichtig senkte sie den Kopf, um prüfend am Brei zu riechen. Unmöglich für sie genauere Bestandteile herauszufiltern. Irgendetwas schwamm auf jeden Fall darin. Eine düstere Vorahnung ergriff Besitz von ihr: Im Laufe des Abends würde sie herausfinden was darin schwamm.

    Hin und wieder war es erstaunlich wie viel innerhalb weniger Sekunden geschehen konnte.
    Minor, der zeitlebens niemals derartig große Hunde gesehen hatte, ja generell von allen fellbepackten Wesen ferngehalten worden war, starrte mit einer Mischung aus Angst und Erstaunen die aus seinem Blickwinkel geradezu monströsen Tiere an. Glücklicherweise und just in jenem Moment, als Antonia mit scharfer Zurechtweisung die Hunde aus dem Raum verbannen wollte, zerrte Serenus‘ Sklavin die Biester schon fort von ihrem Augapfel. Zwar nicht aus dem Cubiculum, aber doch vorerst weit genug.
    “Salve Serenus.“, seufzte sie stattdessen mit tadelndem Blick. “Lucius, Minor ist kaum zwei Jahre alt, ich wäre dir sehr verbunden, wenn du deine Haustiere vorerst von ihm fernhalten würdest.“ Um der üblichen Erwiderung, die Hunde gehorchten aufs Wort, zuvorzukommen hob sie umgehend die Hand. “Wenigstens so lange, bis er sie an Größe eindeutig überragt.“
    Eindeutig war in Antonias Verständnis ein recht dehnbarer Begriff. Ginge es allein nach ihr, so hätten die Hunde stets einen Sicherheitsabstand von mehreren Straßenzügen einzuhalten.
    Nach jener ersten Schrecksekunde bereits wieder versöhnlicher gestimmt, begann die Claudia leicht zu schmunzeln, als sie nun auch den Leiterwagen in Augenschein nahm.
    “Das wiederum,“ sie wies auf Serenus‘ Mitbringsel, “finde ich sehr nett von dir. Gewiss wirst du Minors Lieblingsonkel.“
    Zu früh gelobt, wie sich im nächsten Moment herausstellte. Es musste eine flavische Angewohnheit sein Kleinkinder in der Luft zu drehen. Und so war, wie jüngst bei ihrem Gatten, auch die Karussellfahrt von Serenus nichts, was Antonia auch nur ansatzweise gutheißen konnte. Im Gegenteil, war Serenus doch ungleich jünger, schmächtiger und somit auch noch weniger geeignet Minor derartig herumzuwirbeln. Die Claudia verfolgte, starr vor Schreck, mit weit aufgerissenen Augen und ungläubig aufgeklapptem Mund die gesamte Aktion. Erst das ‚Finale‘ riss sie mit einem erstickten Laut aus ihrer Betäubung. Wieder schwebte ihr Sohn für den Bruchteil von Sekunden bar jeglichen Halts in der Luft. Minor indes, der den für ihn fremden Onkel mit großen Augen anstarrte, schien die Bedenken seiner Mutter nicht zu teilen. Freudige Quietscher jedoch behielt er in seinem Inneren, war er durch die vielen neuen und ungewohnten Gesichter augenscheinlich doch ein wenig gehemmt.
    Einer Ohnmacht nahe schwankte Antonia zwischen dem Wunsch sich flach hinzulegen und dem, Serenus eine ordentliche Standpauke zu halten. So sickerte auch erst nach und nach die Information, Minor solle irgendwann eine eigene Flohschleuder bekommen, zu ihr durch. Es musste ein Alptraum sein, so viel Schrecken war im Wachzustand doch nicht möglich.
    Das Zittern der Hände durch ein Verschränken derselben zu verbergen suchend, räusperte sich die ängstliche Mutter vernehmlich. “‘Senus!“, warf Minor hilfreich ein.
    Antonia hingegen hätte eindeutigere Worte gefunden. Feurige Reden, in welchen sie dem Neffen von nun an jedweden Umgang mit Minor verbat. Szenen, in welchen sie ihr Kind dem übereifrigen Neffen entriss. Doch selbst der Claudia war klar, dass eine solche Reaktion übertrieben gewesen wäre. “Lucius, ich bitte dich, setz ihn wieder ab.“, sagte sie also stattdessen etwas diplomatischer und unterschlug den Zusatz ‚und nimm ihn nie wieder hoch‘.

    In unflavischer Tradition wanderten langsam nicht nur eine, sondern gleich beide Augenbrauen Antonias in die Höhe. Mit jener Frage hatte sie nicht gerechnet und die Wahrheit konnte sie kaum entgegnen. Zeit schindend breitete sie also die Arme aus und zog die Schultern nach oben.
    “Nunja.. so könntet ihr beide etwas lernen. Schließlich sollte auch Epicharis sich früher oder später um die Verwaltung der Güter und Besitztümer deines Vaters kümmern.“
    Sofern Aristides überhaupt welche besaß. Je mehr sie darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien der Claudia, dass Aristides Habschaft zum größten Teil in jenen Ländereien enthalten war, die sie selbst, respektive Sciurus verwalteten. Allzu begeistert schien Serenus jedenfalls nicht von der Idee, allerdings war das auch kaum zu erwarten gewesen. Versöhnlich lächelnd schweifte ihr Blick über die gestapelten Unterlagen. “Im Übrigen denke ich, dass hier jede helfende Hand nötig sein wird, um eine gewisse Ordnung hinein zu bringen.“

    Nicht allein Klein-Manius gluckste, als er die gesichtlichen Entgleisungen der Flavia bestaunte, auch Antonia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenngleich der Junge seinen für ihn noch fremden ‚Onkel‘ mit der üblichen Portion Vorsicht betrachtete, die dem Kind zu Eigen sein schienen. Oder aber Antonias Bemutterungsanfälle hatten eine nachhaltige Wirkung auf den Flavius gehabt.
    “Tatsächlich?“, erwiderte die Claudia erstaunt. Dass die verbliebenen Claudier in Rom die Ruhe vorzuziehen schienen hatte sie bereits bei der Hochzeit gehört, dass jedoch in einem ‚Kaff‘ in Antonias Augen mehr Leben sein sollte war ein wahres Armutszeugnis, wie sie fand. Letztlich war jene Feststellung schnell wieder vergessen, denn die Äußerung bezüglich im Sand spielender Flavier war, verbunden mit den lebenden Flaviern, einfach zu amüsant, um nicht herzlich darüber zu lachen. Der junge Gracchus, der durch die Lachsalve seiner Mutter ein wenig ins Schaukeln geriet, vergaß ob dessen für einen Moment die Grimassen der Tante und gab einen Laut des Unmuts von sich.
    “Nunja, nehmen wir einfach an, dass die erhöhte Katzbuckelei die Verbindung beider Familien zur Ursache hat. Die Mischung von claudischem Blut und flavischem Namen ist ehrfurchtgebietend genug.“ Denn schließlich war auch ihr Sohn eine Mischung aus Claudier und Flavier. Eine Mischung, die edler nicht sein konnte, nach Antonias Auffassung.


    Wie Tucca erblindete hatte auch die Claudia bislang nicht gewusst und schlicht angenommen, dass er bereits blind auf die Welt gekommen war. Dem war offenbar nicht so, was Antonia, gelinde gesagt, in leichte Panik versetzte. Was, wenn Minor eines Tages dergleichen widerfuhr? Was, wenn ihr Sohn ebenfalls einmal blind, taub oder gar stumm wurde? Unbewusst zog sie das Kind ein wenig näher an sich, weg von ihren Knien, hin zu ihrem Körper.

    Spät, aber nicht zu spät, sondern vielmehr im Gegenteil genau zu jenem Zeitpunkt, zu dem sie es beabsichtigte, betrat letztlich auch Antonia das Triclinium. Dies würde jedenfalls die offizielle Erklärung sein. Die Wahrheit war ungleich unrühmlicher, hatte doch auch sie gehört, dass es wohl versäumt worden war für Freie zu sorgen, welche sich um das leibliche Wohl der Flavier und der Sklavenschaft kümmern sollten. Herausragend war jedoch die Tatsache, dass Aristides selbst angeblich den Kochlöffel schwingen sollte. Undenkbar. Und auch wenn die Claudia jenes Bild in der Küche nur zu gerne gesehen hätte, so verspürte sie keinen großen Drang nach Legionärskost.
    Pallas, der aus für Antonia unerfindlichen Gründen immer noch um sie herumscharwenzelte wie ein.. Sklave, war es schließlich, der ihr den Grund lieferte doch noch zur Feier zu gehen. Ihr Gatte selbst hatte sich in die culina begeben, um seinen Vetter zu unterstützen. Gracchus konnte gewiss hervorragend kochen. Nicht, dass er es gelernt hätte, nein, vielmehr glaubte die Patrizierin, dass ihr Gemahl schlichtweg alles perfekt beherrschte, was er in Angriff nahm. Abgesehen davon, wenn selbst die ungehobeltsten Gallier jenes Handwerk beherrschten, so musste ein Pontifex doch ungleich besser darin sein. Minor allerdings wurde in der Obhut einer – in weiser Voraussicht von Antonia engagierten – Amme zurückgelassen. Bewusst schlicht beabsichtigte sie zu erscheinen, das Haar zu einem einfachen Knoten gebunden, eine nachtblaue Tunika ohne große Verzierungen sowie die Absenz von jeglichem Schmuck sollten an diesem Abend genügen.
    In jener Hülle flanierte sie also in Richtung Triclinium, blieb nur kurz zögernd an der Türe stehen, um die versammelte Schar zu überfliegen. Kurz blieb hierbei ihr Blick an Celerina hängen, was ihr ein aufmunterndes Lächeln entlockte. Die Ärmste, welche Qualen musste sie erlitten haben. Doch sie lebte und war zurück im Schoße der Familie.
    Sie löste sich und mit ihr der Schatten, der sich weigerte die Standesunterschiede gänzlich beiseite zu lassen. Vermutlich war Pallas im gesamten römischen Imperium der einzige Sklave, der die Saturnalien nicht mochte. “Io Saturnalia.“, grüßte sie freundlich, ließ sich auf einem freien Platz nieder und musterte die bereits ausgebreiteten Speisen. Wenngleich einige Dinge recht schmackhaft aussahen, so fand Antonia mehr und mehr die Idee eines Fastentages reizvoll. So ruhte ihr Blick vielleicht ein wenig länger als nötig auf den Tellern und Tabletts, bis sie mit einem Lächeln, das auch einem Politiker gut gestanden hätte, wenn er seinem Konkurrenten zur gewonnenen Wahl gratulierte, wieder aufsah. “Marcus, mir scheint in dir schlummern verborgene Talente.“, meinte sie diplomatisch. Kochen, so glaubte Antonia nach oberflächlicher Betrachtung, gehörte nicht dazu.
    “Bei Iuno, Pallas, setz dich doch.“
    “Ja, Herrin.“
    “Es sind Saturnalien, Pallas, nenn mich nicht Herrin.“
    “Entschuldige, Herrin.“
    Resigniert gab die Claudia den Versuch auf. Wenigstens nahm der Britannier endlich Platz. Ein letztes Kopfschütteln und der Spleen des Sklaven war vorerst vergessen.

    “Wie ein Vogel sich in die Lüfte erheben, nur um wie Ikarus unaufhaltsam gen Boden zu stürzen.“, seufzte die Patrizierin, die sich stets lediglich das Schlimmste auszumalen vermochte.
    Milde lächelnd sah sie letztlich auf die ineinander gelegten Hände hinab. Wie lange hatte sie Tag um Tag auf eine jener winzigen Gesten der Zuneigung gewartet, wie lange war sie sich sicher gewesen niemals auch nur einen freundlichen Blick, ein liebenswürdiges Wort von Gracchus zu hören. Derart eingelullt in positive Gefühle hätte sie sich auch beinahe in jene scheinbare Unbeschwertheit ihres Gatten mit hineinziehen lassen. Rechtzeitig jedoch besann sie sich, verscheuchte mit leichtem Kopfschütteln die allzu befremdlichen Gedanken. Widersprechen jedoch wollte sie nicht, weshalb sie es hierbei beließ.
    In einer Mischung aus Unglauben und Verwirrung betrachtete Antonia ihren Gemahl, glaubte gar er treibe einen Scherz mit ihr, als die Sprache sich den Streitwagen zuwendete. In keinem Fall konnte er ernst meinen was er sagte. Einen Streitwagen wollte er Minor tatsächlich gewähren? Mit afrikanischen Eseln? Afrikanische Esel, die mit aberwitziger Geschwindigkeit durch den Hortus der Villa rasen würden, dabei keinerlei Rücksicht auf körperliche Unversehrtheit des flavischen Nachwuchses oder der flavischen Flora nehmen würden. Ein Schreckensbild manifestierte sich vor ihren Augen, ein regloser Kinderkörper lag verschränkt am Boden inmitten einer postapokalyptischen Landschaft, die einst die Villa Flavia gewesen sein mochte. Gewiss, er spaßte. Gracchus‘ Humor zu verstehen hatte ihr seit jeher bestimmte Schwierigkeiten bereitet und so war es wohl auch dieses Mal. Deshalb setzte sie ein Schmunzeln auf, schnaubte kurz, in Ermangelung tatsächlicher Erheiterung eine solche vortäuschend. “Ach, Manius, du..“
    Kaum hatte die Claudia jenen Satz jedoch begonnen hielt sie auch wieder inne. Seit ihr Gatte aus seiner Krankheit erwacht war hatte er Probleme beim Sprechen gehabt, nach und nach jedoch wieder gelernt die meisten Buchstaben und Phrasen zu formulieren. Lediglich das ‚ch‘ schien für immer verloren zu sein. Dass jene Kombination zweier Buchstaben nun plötzlich wieder über seine Lippen kam war, als geschehe ein kleines Wunder. Wenngleich sie im ersten Moment nicht recht zu bestimmen wusste, ob denn nun tatsächlich Gracchus es gesagt, oder lediglich ihr Gehör unbewusst die fehlenden Wortteile ergänzt hatte. Prüfend, gierend, beinahe als starre ein Verdurstender einen Fluss an, fixierten ihre Augen die ihres Gemahls, suchten ihn festzunageln allein kraft ihres Blickes. Unwillkürlich krampfte sich die von Gracchus umfasste Hand um die Seine, nicht willens sie loszulassen ehe ihre Besitzerin erhalten hatte, was sie wollte. Ihr Mund öffnete und schloss sich wieder, als Antonia sich ihres Stierens bewusst wurde. Verlegen senkte sie den Kopf, lockerte ihren Griff, um sich selbst ablenkend zu Minor zu sehen. Jener hatte sich einmal mehr in die Senkrechte gezogen und tastete sich an einem niedrigen Tisch entlang. Augenscheinlich hatte eine Sklaventunika als Hochziehmöglichkeit herhalten müssen, saß jenes Kleidungsstück an der Windelwechselsklavin doch ein wenig derangierter als noch zuvor.
    “Entschuldige.“, murmelte sie, um mit ihrem Feiertagslächeln wieder Gracchus Maior anzusehen. “Was.. was für einen Streitwagen, sagtest du?“
    Unmöglich konnte sie schließlich darum bitten, er solle das Wort ‚prächtig‘ wiederholen. Zu albern wäre es, sollte sie sich nur verhört haben. Und sicher würde er glauben, sie wolle ihn sekkieren. Druck andererseits konnte dazu führen, dass er sich erneut verhaspeln würde, schien das ‚ch‘ doch zu kommen und zu gehen, platzierte sich im einen Wort, nur um im nächsten wieder zu fehlen. “Und.. glaubst du denn tatsächlich, diese Esel sind nötig? Ich meine zu große Schnelligkeit ist für ein kleines Kind schließlich eine unbeherrschbare Kraft, wie schnell könnte ihm etwas passieren.“