Ganz gleich, wie prüde, schamhaft und verklemmt Antonia sein mochte - und sie war es in einem enormen Maße - sie wusste, was in der Welt vor sich ging. Und sie wusste, dass eine Frau ihres Standes sich für gewöhnlich wenigstens einen Liebhaber hielt, sei es ein Standesgenosse oder einfach nur ein Gladiator. So fiel es ihr keineswegs schwer, sich das von Celerina geschilderte Szenario vor Augen zu rufen. Doch vermochte auch die Abstrahierung des Problems nicht davon abzulenken, dass die Verwandte zweifellos von sich selbst sprach. Daher nickte Antonia verständig und betont langsam, während im Hintergrund bereits abertausende Szenen vor ihrem geistigen Auge erschienen, in welchen sie darüber sinnierte wann und wie dieses Missgeschick zustande gekommen sein mochte. Seit Wochen hatte die Flavia schließlich das Haus nicht mehr verlassen, nicht seit..
Glücklicherweise hatte Celerina bereits verschämt die Augen gesenkt, hätte sie doch ansonsten einen Blick Antonias gesehen, der finsterer und rachsüchtiger nicht hätte sein können. Nicht allein, dass man die Ärmste entführt hatte, nein, offenbar hatte man ihr auch noch Unaussprechliches angetan. Eine andere Möglichkeit sah die Claudia nicht, war die Flavia nach ihrer Entführung doch kaum in der Lage gewesen, einen solchen.. Akt über sich ergehen zu lassen und davor.. nun, wäre es davor geschehen, hätte sie gewiss nicht derartige Hemmungen, sich zu offenbaren. Der finstere Blick verschwand wieder, stattdessen senkte nun auch Antonia die Augen. Wut wich Angst, Zorn wich Hilflosigkeit. Was sollte sie ihr nur sagen?
Als sie endlich bemerkte, dass sie den Atem angehalten hatte, schnappte sie schließlich nach Luft, erhob sich, entließ Celerinas Hand aus ihrer Umklammerung und ging stattdessen einige Schritte durch den Raum. Für gewöhnlich war Antonia nicht diejenige, die große Stärke in Notzeiten zeigte, jedenfalls nicht in ihren eigenen Augen. Und doch bat Celerina sie, ausgerechnet sie, um Hilfe. Es galt nun, sich dieses Vertrauensbeweises auch als würdig zu erweisen. Ohnehin schon hatte sie, kaum war die Schilderung gehört worden, bereits gewusst, welchen Rat sie der Flavia geben würde.
"Du musst es los werden.", sagte sie, so schlicht, als spräche sie von einem alten Kleidungsstück. Und für sie war es wohl kaum mehr. Das Kind eines Verbrechers, gar ein Verbrechen selbst, ein Bastard, nicht würdig, in eine patrizische Familie geboren zu werden. Mit einem Ruck wandte sie sich um, schritt auf Celerina zu und ging schließlich vor ihr in die Hocke, abermals mit beiden Händen die der Freundin umfassend. "Dir ist Schreckliches zugestoßen, Celerina. Und ich kann dir nicht sagen, wie sehr es mir Leid tut, dass du all das ertragen musstest. Aber.. du kannst es unmöglich behalten. Unmöglich, dieses.. Du kannst Corvinus kein fremdes Kind unterschieben.. schon gar nicht ein solches."
Die Mühe, nach wie vor von einer theoretischen Annahme auszugehen, machte die Claudia sich erst gar nicht. Wozu sollte die Flavia eine derartige Frage stellen, wenn sie rein hypothetisch wäre?
Einziges Problem war - Antonia gab zwar den unmissverständlichen Rat, ja Befehl, einer Abtreibung, hatte jedoch selbst keine Ahnung, wie so etwas vonstatten ging. Allerdings fand sich hierfür gewiss fachkundiger Rat.. allein in ihrem eigenen Freundeskreis hatte sie einige "Kandidatinnen" hierfür.