Beiträge von Sciurus

    Es war ein kleiner Raum, in welchen Gnaeus Postumius Rufus vom Cursus Publicus hinein geführt wurde, ein Tisch stand darin, ein hölzerner, einfacher Stuhl auf der einen, ein eben solcher auf der anderen Seite. Die Wände des Zimmers waren verdeckt von Regalen, in welchen sich zahllose Wachstafeln und Schriftrollen stapelten, auf welchen unzählige Zahlenkolonnen für die nicht allzu ferne Ewigkeit aufbewahrt, bis alle paar Dekaden einmal einige Jahrgänge davon entsorgt wurden.


    Kurz nach dem Beamten des Cursus Publicus betrat Sciurus den Raum.
    "Salve, mein Name ist Sciurus, ich bin Vilicus des Senators Flavius Gracchus." Er trat um den Tisch und deutete Postumius an, Platz zu nehmen, bevor er dies selbst tat.
    "Du kommst wegen der Wertkarte der Flavia? Gibt es eine Übersicht, wer darauf Schreiben versandt hat?"

    Nur wenige Augenblicke lang blickte Sciurus den beiden Sklaven nach, die das Zimmer verließen, um hernach Stratons Vorstellung über sich ergehen zu lassen ohne großes Interesse an dem neuen Sklaven zu hegen. Der aquilische Haushalt war ihm ein Dorn im Auge - verweichlicht, undiszipliniert und aufmüpfig - einzig Straton schien hierbei eine Ausnahme, womöglich da sein Herr ihn nicht selbst ausgesucht, sondern geerbt hatte. Er würde Micipsa im Auge behalten, wie alle anderen auch, denn Sciurus hatte seine Augen überall.


    Trotz allem nickte er dem Neuling zu, denn es stand ihm nicht zu, sich über dessen Güte Gedanken zu machen, bevor er die beiden verbliebenen Sklaven schließlich schweigend verließ. Es gab Vorgänge in und außerhalb des Hauses, welche auf ihn warteten.

    Natürlich ließ der Senator sich nicht ins Atrium rufen, ehedem er überhaupt von der Anwesenheit eines Boten seines Vetters erfuhr, hatte Sciurus die Kunde ob dessen bereits an sich genommen und trat in den lichtdurchfluteten Raum, ohne einen Blick für das Interieur.
    "Salve, Cassander. Du hast eine Nachricht für meinen Herrn?"


    Stets war es die gleiche Misere. Den ganzen Tag über stand Acanthus, Ianitor der Villa Flavia, geduldig an der Pforte und wartete einzig darauf, dass ein Besucher jener sich näherte. Irgendwann begann das Drängen, doch er stellte seine Bedürfnisse immer hinter seine Aufgabe zurück. Irgendwann später jedoch wurde es unerträglich und genau in diesem Moment geschah, was in einer Villa wie jener flavischen kaum möglich war: kein einziger Sklave war in Rufweite. Mit einem umsichtigen Blick vor die Türe versicherte der Ianitor sich dann, dass niemand auf dem Weg war und huschte davon.


    Selten geschah es, doch manches Mal kam gerade dann ein Besucher, wenn Acanthus eben die Erleichterung der Leichtigkeit verspürte. Er hörte das Klopfen bereits als er sich auf dem Rückweg an die Türe befand. Eilig hing er die Kette um seinen Hals wieder an den Haken neben der Pforte - die Herren bestanden darauf, da solcherlei einen sehr traditionsbewussten Eindruck erweckte - und öffnete bemüht langsam, als wäre es völlig normal, dass einem unwichtigen Besucher erst nach dem zweiten Klopfen geöffnet wurde.


    "Was willst du?" fragte er den vor der Tür stehenden Mann mit kritischem Blick, denn wie ein hoher Besucher sah jener nicht aus.

    Ohne eine weitere Regung bedachte Sciurus das umtriebige Treiben des jungen Sklaven, sodann wandte er sich vorerst abschließend noch einmal an Kleochares.
    "Ich werde dafür Sorge tragen, dass du zur Bibliothek uneingeschränkten Zugang hast. Falls du eine spezielle, in diesem Haus abgängige Schrift für die Erziehung des Flavius Lucanus benötigst, so kannst du es mir sagen, ich kann alles besorgen." Eine winzige, marginale Spur von Stolz schlich sich in Sciurus' Stimme, falls er überhaupt zu einer solchen Empfindung fähig war, denn es gab tatsächlich nichts, was er nicht in Rom besorgen konnte. Bis auf jene Kleinigkeit für seinen Herrn, doch diese Schriftrolle würde er früher oder später ebenfalls in die Finger bekommen.


    "Flavius Lucanus, den Neffen deines Herrn und dein Schüler, wirst du morgen kennen lernen. Den Rest des heutigen Tages kannst du dich mit den Gegebenheiten der Villa vertraut machen. Wo es Essen gibt und wo du dich waschen kannst, wird dir Lars zeigen, bevor ihn die Krankheit der Untätigkeit vollends auffressen wird."

    Wäre Sciurus ein anderer Mann gewesen als jener, der er war, hätte er mit einem lauten Fluch auf den Lippen seine Hand sich vor die Stirn geschlagen oder aber, er hätte sie Cupa zur Faust geformt mitten ins Gesicht gerammt. "Buono a nulla!" entfleuchte ihm jedoch nur leise und einen Augenblick lang wägte er ab, ob der Gerber noch eine einzige Sekunde seines Lebens wert war. Doch obgleich er vorerst wertlos geworden war, so wusste er nicht genug, um eine Bedrohung darzustellen, und man konnte nie wissen, welchem Lauf das Schicksal folgte, so dass er eines Tages womöglich noch nützlich sein konnte.
    "Zu welchem Loch?"
    Wimmernd und zusammengesunken saß Cupa auf seinem Stuhl, wünschte sich weit fort an einen anderen Ort, blickte bei den Worten nur unverständig auf.
    "Der Schlüssel, zu welchem Loch hast du ihnen den Schlüssel gegeben?" Ruhig war Sciurus' Stimme nun wieder, ohne eine Spur Emotion. Er schob den Stuhl unter seinem Leib zurück, so dass die Füße kratzend über den Boden schabten, und erhob sich.
    "Den ... den Schlüssel zur Judengasse." Cupa hatte nicht gewusst, dass es mehrere Verstecke gab, er hatte stets geglaubt, der Auserwählte, der Schlüsselmeister zu sein, welchem die ungeheuer wichtige Aufgabe zukam, den Schlüssel zum Schatz des Vogelmannes aufzubewahren. Obgleich seine Neugier ihn viele Nächte den Schlaf geraubt hatte, hatte er niemals selbst versucht, das Loch zu finden, zu öffnen und nachzusehen, was darin verborgen lag. Einmal im Monat war Silas, der Mann mit dem Losungswort, zu ihm gekommen und hatte dieses genannt, so dass die Männer des Vogelmannes stets nur dieses und ihr Siegel vorweisen mussten und er ihnen den Schlüssel überlassen hatte, bis sie ihn - zumeist früh am Morgen einer Nacht - zurück gebracht hatten. Beinahe schon seinen Fehler vergessend, hob der Gerber den Blick, um von seiner Neugier überkommen zu fragen, ob es denn noch mehr von diesen Verstecken gab, doch er erstarrte, als er in das Gerbermesser blickte, welches Sciurus in Händen hielt. Von allen Toden, die Cupa sich jemals vorgestellt haben mochte, so war doch jener, von seinem eigenen Handwerkszeug erstochen zu werden, ihm trotz all seiner dubiosen Geschäfte niemals in den Sinn gekommen.
    "Oh ... oh nein! Bitte ... bitte nicht! Ich tue alles, wenn du mich verschonst! Bitte, ich habe viel Geld gespart, ich werde dir alles überlassen, wenn du mich nur am Leben lässt!" wimmerte er weinerlich und erste Tränen kullerten über seine Wangen.
    Sciurus packte die Linke des Gerbers und knallte sie auf den Tisch. "Sei still." Während Cupa starr vor Angst weiter auf das Messer starrte, spreizte der Sklave dessen Finger und setzte schließlich die Klinge an den Ringfinger an.
    "Nein!" schrie der Gerber in allmählich dämmernder Erkenntnis auf und versuchte seine Hand fort zu ziehen, doch er war zu träge und es war bereits zu spät, mit einem kräftigen Ruck hatte Sciurus das Messer bis zur Tischkante durch Fleisch und Knochen gedrückt und den Finger von der Hand abgetrennt. Mit weit aufgerissenen Augen, den Schock auf seinem Gesicht tragend, starrte Cupa auf die Wunde, aus welcher unablässig dickflüssig rotfarbenes Blut auf die hölzerne Platte rann. Sciurus rammte das Messer geräuschvoll in den Tisch, wo es weiter nach schwang und Cupa noch einmal zusammen zucken ließ, drehte sich um und griff nach einem Lappen.
    "Halte die Wunde zu, sonst versaust du den ganzen Boden." Er riss ein Stück von dem Lappen ab, um darin den abgetrennten Finger einzuwickeln, den Rest des Stoffes warf er dem Gerber auf den Tisch. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und nickte Dido zu, dass sie durch die Werkstatt zurück das Haus verlassen würden.


    Am ganzen Leib zitternd hatte Dido all dem zugesehen, unschlüssig, ob sie Sciurus wegen seiner Kaltblütigkeit bewundern oder fürchten solle, gefangen zwischen der kindlichen Angst und der morbiden Faszination beim Anblick des abgetrennten Fingers und dem Fluss des Blutes. Zu spät bemerkte sie, dass ihre Augen und ihr Mund weit offen standen und ärgerte sich sogleich, dass der Sklave dies gesehen haben musste. Dennoch versuchte sie abgebrüht zu wirken und nicht auf den eingewickelten Finger zu starren, als sie sich umdrehte und bemüht locker durch die Werkräume der Gerberei schritt, Sciurus aufrechte, doch gleichsam stets angespannte Haltung dabei unwillkürlich nachahmend. Kurz nur zuckte sie zusammen als ein kleines Geschoss an ihrem Kopf vorbei und in einen Bottich mit stinkender Flüssigkeit neben ihr flog, in welchem es glucksend versank, nur den Stofffetzen auf der trüben Oberfläche treibend zurücklassend, in welchen es eingewickelt gewesen war.


    Die ersten pedes draußen im noch immer düsteren Rom legten sie schweigend zurück, in den Schatten der Nacht geschmiegt, in den dumpfen Schleier der Saturnalia gehüllt. Als sie jedoch ein kleines Forum überquerten hielt Sciurus in der Mitte des Platzes, an einer Statue an, hielt Dido zurück und ging in die Knie, so dass er in ungefährer Augenhöhe mit ihr war. Spärlich nur beleuchtete die Lampe in der Hand der kleinen Sklavin sein Gesicht, denn sie wagte nicht, sie anzuheben.
    "Einem Mann ohne den linken Ringfinger ist nicht zu trauen, merk dir das." Sein Blick war undurchdringlich, doch eindringlich, beinahe, als versuchte er, dem Kind diese Tat begreiflich zu machen, beinah, als wolle er Dido eine Erklärung bieten. Wer jedoch Sciurus kannte - und dies war niemand, nicht einmal er selbst - wusste, dass er einzig und allein tat, was er glaubte, tun zu müssen, da er war, was er war. Erneut schweigend stand er auf, ließ Dido mit einem weiteren Brocken seiner Weisheit zurück. Die kleine Sklavin indes würde ab dieser Nacht jedem Mann zwei mal auf die Finger schauen und war fest entschlossen, nie wieder jemandem zu trauen, der an der linken Hand keinen Ringfinger mehr besaß. Obgleich es nach dem Erlebnis bei dem Gerber sicher nicht nötig war - denn dies würde sie nie wieder vergessen - wiederholte sie das Gelernte in Gedanken und eilte sich, dem großen Sklaven zu folgen.


    Der Name Judengasse war nicht der offizielle Name jener engen, schmutzigen Straße, die den Römern als vicus flexus bekannt war, doch es hatten sich dort so viele Menschen dieses Glaubens niedergelassen, dass jeder mit diesem Namen etwas anfangen konnte. Dido und Sciurus durchquerten die Straße, in welcher es seltsam ruhig war, denn hier feierte niemand die Saturnalia, so dass in keinem Hinterhof und keinem Haus noch Licht brannte und keine Betrunkenen ihnen begegneten, welche nach Hause torkelten. Unbemerkt bogen sie in eine Abzweigung, welche dreißig Fuß zwischen zwei Häuser schnitt und als Sackgasse endete. Zielstrebig lenkte Sciurus seine Schritte zu einem Kanaldeckel im Boden, fasste in die Einlassung und hob ihn mühelos an. Er kniete sich - jede seiner Bewegungen von Dido schärfstens beäugt - zu Boden und fasste mit der Hand in das gähnende Loch vor sich. Die eingelassene Kiste war geöffnet - und leer.
    "Porca miseria, sie waren schon hier." Er erhob sich und schob den Deckel zurück in die Einfassung.

    Warm und zärtlich ließ die goldfarbene Sonne ihre Strahlen über die ewige Stadt hinweg streichen, tauchte die eisige Luft des langsam weichenden Winters ein in ein helles Flirren, trieb die wohlhabenden Menschen hinaus, um in den Gärten zu wandeln und sich an ihrer Wärme zu laben, die Kinder auf den Straßen und Plätzen zu spielen, und jene, welche hart arbeiteten, dazu, ihr Gesicht wenigstens einige Herzschläge lang dem angenehmen Hauch entgegen zu strecken. Obgleich der Gärtner der Villa Flavia und seine Helfer auch bei Regen, Sturm und Schnee dafür Sorge zu tragen hatten, dass die Rosenstöcke des Flavius Felix keinen Schaden nahmen, dass die Statuen im Garten stets glänzten, dass der Fischteich frei von Schmutz war, dass die Säumung der Wege akkurat und geradlinig verlief, dass die Beete frei von Unkraut und das Gras nicht höher als eine Hand breit gewachsen war, so gereichte doch ein sonniger Tag bestens dazu, Ordnung in das Anwesen zu bringen, solange nicht eben einer der Herren den Plan fasste, darin zu wandeln, wobei eine Störung natürlich tunlichst vermieden werden musste. An diesem Tage jedoch hatte noch kein Flavier sich in den Hortus verirrt, so dass alle sklavischen Hände zur Gartenarbeit gebraucht wurden, und so war es für den Gärtner umso deplorabler, dass der Sklave Darios diesen Tag im Kerker verbrachte, da der Koch Attalus ihn dabei erwischt hatte, wie er von feinstem Vorderschinken sich einige Stücke genommen hatte. Umso gelegener war ihm daher der Neuzugang Asny unter die Augen geraten, eine jener Sklavinnen, welche in Abwesenheit ihres Herrn seiner Ansicht nach stets unterbeschäftigt waren, und ohne lange zu zögern hatte er sie zum Dienst im Garten eingeteilt.


    Für Sciurus indes war der Tag nicht besser oder schlechter als jeder andere auch, er machte sich nicht viel aus der Sonne - ebenso wenig wie aus dem Mond -, es sei denn, sie schickte sich eben an aufzugehen. Als er den Garten betrat, befand er sich auf einer seiner Inspektionsrunden, denn sein Herr hatte ihn für einige Stunden entlassen, so dass er seinen häuslichen Pflichten nachgehen konnte. Der helle Schopf Asnys fiel ihm auf, da er ihr bisher noch nicht begegnet war - doch er war bereits über sie informiert, ihre Ankunft, ihre Zugehörigkeit, ihre vorläufigen Aufgaben. Ohne ein Wort blieb er hinter ihr stehen, die Sonne in seinem Rücken, so dass sich sein langer Schatten um ihre Füße wand, und betrachtete sie bei ihrer Arbeit. Sciurus mochte keine blonden Sklavinnen - dies mochte natürlich nicht verwunderlich sein, da Sciurus ohnehin niemanden mochte, doch gäbe es eine Skala des Nicht-Mögens, so würden blonde Sklavinnen darauf noch ein Stück weiter oben rangieren als das übrige Gesinde. Der Grund hierfür war nicht nur die erste Frau, die Sciurus in seinem Leben überhaupt hatte enttäuscht - seine Mutter -, sondern ebenso der Schatz der Erfahrung. Asny jedoch war nicht nur blond, ihr Haar war noch eine Spur heller. Ihr Körper war schmächtig, schien schwächlich, doch zeigte sie soweit keinen Anschein von Faulheit.

    Hätte Sciurus' Blick das bewirkt, was in seinen Sinnen vorgesehen war, so wäre Lars nicht nur in eben diesem Augenblick zu einer unbeweglichen Statue aus schwarzfarbenem Granit erstarrt, er wäre noch in dem gleichen Augenblick in Tausende Splitter zerbarst, welche wiederum augenblicklich in feinsten Staub zerfallen und von einem durch die Villa schleichenden Luftzug hinfort getragen worden wären. Doch wie kaum ein Mensch besaß auch Sciurus glücklicherweise nicht die Fähigkeit, seinen Gedanken auf solcherlei Art und Weise Gestalt zu verleihen, so dass Lars ein Wesen aus Fleisch und Blut blieb und ihn weiter fragend anstarrte.


    "Kleochares wird in diesem Raum nächtigen, in einem Bett, es ist mir völlig gleich, wie du dies bewerkstelligst. Doch sollte ich Klagen hören, wirst du dir noch wünschen, du wärst freiwillig ausgezogen." Natürlich hatte Sciurus auf dem Papyrus keine Befugnis über die Sklaven anderer Herren denn seines eigenen, doch sein Herr war der Herr des Hauses und würde Sciurus etwas erreichen wollen, so würde er dies. Einzig die Sklaven des Aquilius standen ein wenig außerhalb dieses Einflussbereiches, denn mochte Sciurus Gracchus auch einigermaßen in der Hand haben, so war dieser seinem Vetter völlig verfallen und an jedem Wort bezüglich dessen Sklaven bereits die Luft verschwendet, welche es auszusprechen kostete.

    Durch den Seiteneingang der Villa Flavia - jene Pforte für Boten, Sklaven und anderes Gesinde - hatten Kleochares, Sciurus und Timao das Anwesen betreten. Der Weg zum Sklaventrakt hin führte sie darum nicht durch das prächtige Atrium der Villa, vorbei an den strengen imagines maiorum - den wächsernen Gesichtsmasken der flavischen Ahnen -, nicht vorbei an ästhetischen Wandbemalungen, stilvollen Vasen und formvollendeten Statuen, sondern durch schmucklose Gänge, vorbei an ordinären Türen - für deren schmucklose Gewöhnlichkeit trotz allem manch einfacher Bürger sicherlich gerne eine Hand hätte gegeben, um zwischen ihren Wänden ein Zuhause finden zu dürfen. Sciurus hatte weder für Wandbemalungen, Vasen oder Statuen, noch für solide und saubere Mauern einen Sinn, er visierte zielstrebig eine Kammer an, deren Inneres durch einfache Ausstattung geprägt war, welche jedoch weit wohnlicher war als die Sklavenkammer, welche die einfachen Dienstsklaven bewohnten.


    Als sie jene Kammer erreichten, Timao hatte sie bereits im Ansinnen anderen Aufgaben nachzugehen verlassen, trafen sie auf Straton, Lars und einen Sklaven, welcher Sciurus unbekannt war. Augenscheinlich jedoch wies der vilicus des Aquilius ihm eben das freie Bett zu, welches Sciurus auch für Kleochares im Sinn gehabt hatte.
    "Salvete." Die eisig blauen Augen des Sklaven taxierten den Raum, bohrten sich in Lars' Schädel, um hernach bei Straton zu enden. "Dies ist Kleochares, er ist Eigentum meines Herrn und wird hier ebenfalls seinen Platz finden." Erneut driftete Sciurus' Blick zu dem blonden Jungen. "Lars, du wirst dafür sorgen, dass hier ein weiteres Bett hinein kommt. Ist das bis heute Abend nicht der Fall, dann wirst du dir einen anderen Schlafplatz suchen müssen."

    Die Ansichten des Sklaven stellten Sciurus durchaus zufrieden, denn seine Worte kamen zu flüchtig über seine Lippen, als dass sie wie eine vorgetäuschte Lüge klangen, welche darauf abzielen sollten, ihn unaufmerksam werden zu lassen.
    "Um so besser", kommentierte Sciurus die Worte Kleochares' und legte den Rest des Weges schweigend bis zur Villa Flavia zurück.

    Ein gebildeter Sklave war nicht irgendein Gegenstand, selbst bei seinem Wert würde Kleochares eine etwas bessere Stellung einnehmen als die meisten anderen Sklaven der Villa Flavia, obgleich jene niemals an die von Sciurus würde heranreichen.
    "Komm mit." Ein Nicken mit dem Kinn deutete einem der anderen Sklaven, Timao, dass er Kleochares und Sciurus folgen solle, nur für den Fall, dass der Grieche nicht in Sciurus' Schatten folgen und versuchen würde, auf dem Weg zur Villa Flavia hin auszubrechen. Ehedem noch Kleochares sich überhaupt in Bewegung setzen konnte, stieß eben jener Sklave ihn bereits gegen die Schulter und forderte ihn auf, los zu gehen.


    "Dein Herr ist der Pontifex Senator Manius Flavius Gracchus, du wirst künftig in der Villa Flavia Felix zuhause sein", begann Sciurus mit seiner Einführung bereits auf dem Weg. "Du wirst tun was er sagt und du wirst tun, was ich sage, denn ich bin sein Vilicius und seine ausführende Hand. Solltest du damit ein Problem haben, so wird sich dein Quartier in die Gewölbe der Villa verlagern. Solltest du dein Heil in der Flucht suchen wollen, so wirst du eine Woche lang deine Tunika nicht auf der Haut deines Rückens tragen, sondern direkt auf dem Fleisch, bei der zweiten Flucht sind es zwei Wochen und ein eingebranntes M.F.G. auf der Schläfe, die dritte Flucht endet im Circus und du wirst dir wünschen, es wären nur drei Wochen gleicher Art. Jede Unverschämtheit gegen eine der Herrschaften des Hauses und jede Torheit im Allgemeinen wird nicht folgenlos bleiben, wobei die Folgen bereits kleiner Missgriffe in mindestens doppelter Größe auf dich zurück fallen werden."
    All dies rann in einer völlig teilnahmslosen Stimme aus Sciurus' Kehle hervor, denn gegenteilig zu den Gerüchten, welche in der Villa Flavia beheimatet waren, genoss er die Bestrafung anderer Sklaven keineswegs in lustvoller Weise und fand ebenso keinen unermesslichen Gefallen an der Qual anderer - er folgte nur seiner Aufgabe, bedingungs- und leidenschaftslos.
    "Folgst du dem, was man dir sagt, und tust du, wofür du erworben wurdest, wirst du ein gutes Leben führen, und je tauglicher du dich erweist, desto mehr Freiheit wird der Herr dir zugestehen."


    "Dein Herr, Senator Titus Aurelius Ursus oder der Praefectus Aurelius Ursus oder gar der Pontifex Aurelius Ursus?" ließ sich Acanthus zu einer hämischen Nachfrage hinreißen, schob aber dann die Türe weiter auf.


    "Fass ja nichts an, sonst werde ich mit meinem Herrn hinter dir stehen." Dass dies eben der Hausherr würde sein, braucht Acanthus kaum zu erwähnen.
    Der Ianitor drehte sich um und sandte einen Sklaven zum Herrn Lucanus, um ihn über die Botin in Kenntnis zu setzen. Sodann rief er einen der bulligen Sklaven vom Tor heran und trug ihm auf, Caelyn in das Atrium zu geleiten.

    Ein grimmig aussehender Sklave mit tief schwarzfarbenem Haar und einer Narbe vom linken Ohr ausgehend über die Wange begleitete Caelyn bis in das Atrium der Villa Flavia. "Warte", sprach er trocken als sie mitten im Raum standen und beherrschte sich, um nicht die Nase hoch zu ziehen.


    Wäre Acanthus ein anderer Mensch gewesen denn jener, welcher er war, so hätte er womöglich Caelyn vorgeschlagen, ihre 'Birne' ihr abzutrennen und samt der Nachricht sie zu übergeben, doch im Grunde war der Ianitor der Villa Flavia ein äußerst feinfühliger Mensch und wenn es denn geschah, dass er seine gute Laune einbüßte und in Trübsal verfiel, so bedauerte er sich stets selbst, dass er an der Türe der Villa Flavia stand und für jene strenge Regeln galten - die oberste davon war die abweisende, schroffe Haltung gegenüber all jenen, welche nicht Gäste der Bewohner waren.
    "Mit einem Brief deines Herrn wieder zu kommen wäre wahrlich einfacher, denn selbst dir muss doch einleuchten, dass ich nicht jedes dahergelaufene Gesinde in die Villa hinein lasse." Vor allem nicht wenn jenes nicht den Eindruck erweckte, in angemessenen Besitzverhältnissen zu leben. "Also sage mir deine Nachricht und ich werde sie ausrichten oder gib mir einen überzeugenden Grund, dich einzulassen."


    Acanthus kniff ein wenig die Augen zusammen, nicht bösartig oder abweisend, mehr auf eine verschlafen, desinteressierte Weise. "Sicher musst du das, und vielleicht möchtest du auch zum Abendessen bleiben? Wenn du einen Brief hast, so gib ihn mir, ich werde ihn dem Herrn überbringen lassen."
    Manches mal fragte der Ianitor sich wirklich, wo andere Herren ihre Sklaven auftrieben, womöglich fanden sie Gutscheine für solcherlei in ihrer Früchstückspackung Cerealien. Indes vermutete er die Botin von einem Krämer oder gar aus einem Lupanar kommend, das dortige Personal war selten qualifiziert, zumindest vom Stand eines patrizischen Sklaven aus gesehen, insbesondere eines solch qualitativ hochwertigen, wie Acanthus dies einer war.

    "Und persönlich abliefern sollst du es vermutlich auch, was?" Der Ianitor brummte etwas unverständliches vor sich hin, es war doch immer das gleiche. Mit einem Nicken deutete Acanthus in das Haus hinein. "Folge dem Jungen, er wird dich ins Atrium führen."

    Zitat

    Original von Fhina


    Bei all der Freundlichkeit war es Zeit, für eine griesgrämige Visage, und eben jene erwartete Fhina hinter der Pforte der flavischen Villa, denn selten sah ein Besucher Acanthus mit anderem Ausdruck. Zudem wusste er genau, dass hinter seichtem Klopfen meist ein leicht einzuschüchternder Geist steckte.
    "Was willst du?" herrschte er die junge Sklavin an.

    Zitat

    Original von Caelyn



    Die Drei war eine gute Zahl und dreimaliges, kräftiges Klopfen zeugte von einem wachen, intelligenten und vor allem geschulten Geist. Acanthus immerhin kannte sich mit solcherlei aus, er hatte schon unzähligen Klopfern die Türe geöffnet. Doch trotz allem, als er sie auch dieses Mal öffnete, blickte er grimmig hinaus. Der Klopfer, respektive die Klopferin, entsprach nicht ganz seinen Vorstellungen.
    "Was willst du?"

    Flackernd leckte das Licht der Lampe über den rauen Stein, verlor sich im Dunkeln der schier endlosen Gefilde, und ließ die Oberfläche der braunfarbenen Brühe neben ihnen träge schimmern. Als Sciurus das Kästchen öffnete und sich des Inhaltes bemächtigte, um diesen in seinen Beutel zu packen, warf die Flamme darauf nur Schatten, so dass Dido weiterhin verborgen blieb, was der Sklave an sich nahm. Den kleinen Kasten stellte er zurück in die Mündung des schmalen Ganges und nahm sodann die Lampe auf. "Gehen wir. Wenn wir Glück haben, liegt der Gerber betrunken in seinem Bett. Ich möchte ihn ungern bei Tag aufsuchen." Die Chance, den Mann während der Saturnalia zuhause anzutreffen, war vermutlich ohnehin nur Nachts wirklich gut.


    Einige Biegungen brachten die beiden Sklaven zurück zum Hauptstrom, der Cloaca Maxima. Sciurus deutete mit einer Hand empor. "Dort über uns ist die Basilica Aemilia." Grabesstille herrschte zu dieser Zeit vermutlich in jenem großen Gebäude, mehr noch als in den unterirdischen Gängen, in welchen immer das leise Glucksen des Abwassers, das Fiepen der Ratten oder andere, undefinierbare Geräusche zu vernehmen waren. Sie mochten etwa auf Höhe des Forum Augustum angelagt sein, als ein matter Lichtschein sich vor ihnen ankündigte, begleitet von dem lallenden, dünnen Gesang eines Betrunkenen. Sciurus machte sich nicht erst die Mühe, die Lampe zu löschen, mit einem einzelnen Mann, welcher zudem nicht mehr ganz bei Sinnen war, würde er es im Notfall leicht aufnehmen können. Doch er wies Dido stehen zu bleiben und wartete, bis eine magere Gestalt sich um die Biegung vor ihnen schob und näher kam.
    "Aiaiai, ein Lischt ... ein Lischt am Enne des Tunnls!" Es war eine hohe, dünne Fistelstimme, welche den Anschein erweckte, dass die leichteste Berührung sie würde brechen lassen. Die Gestalt dazu war kaum mehr noch als Männlein zu betiteln, klapperdürr, dass die Haut sich fest über die Knochen spannte, in eine abgenutzte, graue Tunika gekleidet, ohne Schuhe, in der einen Hand eine Fackel, in der anderen einen langen, knorrigen Stock, auf welchen sie sich stützte und der sie um mindestens zwei Köpfe überragte.
    "Der Fährmann", flüsterte Sciurus zu Dido, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Der Fährmann hatte ein Alter erreicht, welches den Zahn der Zeit ratlos machte. Jede erdenkliche Furche, die sich in sein Gesicht hätte graben können, hatte sich längst dort verewigt, die Haut, die sich über seine kahlen Schädel spannte konnte nicht mehr fleckiger werden, ohne gleichzeitig aufzuhören es zu sein. Auch seine Augen konnten nicht mehr tiefer in ihre Höhlen sinken. So sah der Alte aus seit Sciurus ihn zum ersten Mal vor vielen Jahren erblickt hatte, und so würde er wohl auch in Hundert Jahren noch aussehen, so der dann noch lebte.
    "Bonna Sahunalia, ihr swei Hübschn! Wolltihr mich nich begleitn? Nm alten Mann ne Sahunalienfreude machn?" Er hatte sie erreicht und blieb nun vor ihnen stehen.
    Sciurus packte Dido am Kragen und schob sie schnellen Schittes an dem Fährmann vorbei, genau darauf achtend, was der Alte tat. Im rechten Augenblick wich er mit einem kurzen Satz dem Stock aus, den der Fährmann wie zufällig ein in einem kleinen Halbkreis ausscheren ließ.
    "Heute nicht, alter Mann. Ein ander Mal vielleicht." Er schob Dido weiter, drängte sie um die Biegung herum und ein Stück weiter in eine Abzweigung des Kanals, welcher weiter nach Nordosten unter die Subura führte. Nach einigen Schritten des Schweigens blieb er stehen und blickte sich um. Nur Dunkelheit verfolgte sie.
    Ernsthaft blickte der Sklave zu Dido hinab, das Licht der Laterne beleuchtete ihn von unten. "Der Fährmann trägt seinen Namen, weil niemand, der mit ihm geht, je wieder zurück kehrt. Üblicherweise wildert er oben in Trans Tiberim und ganz besonders steht ihm der Apetit nach kleinen Mädchen. Geh' ihm aus dem Weg, wenn du ihm begegnest."
    Dido schaute aus großen Augen zu Sciurus hinauf, eine Spur von Furcht mochte sich darin spiegeln, gleichsam jedoch die feste Absicht, nicht als kleines Mädchen im Kanal zu enden. Sie nickte entschlossen und stapfte dann ohne ein Wort weiter. Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis die beiden Sklaven die unterirdischen Gänge über eine schmale Leiter verließen und aus einem Abwasserloch in einem Hinterhof der Subura zurück kehrten in den Moloch Roms.


    Cupa, der Gerber, war ein einfacher Mann, einer wie viele inmitten der Subura. Sein Geburtsname war Curgetorix Narbonensis, doch niemand in Rom nannte ihn so seit seine Mutter tot war, bei allen hieß er nur Cupa, da seine Leibesfülle seit jeher versucht hatte, die Dimensionen zu sprengen. Vor Generationen schon waren seine Vorfahren aus dem Süden Galliens nach Rom eingewandert, doch niemals hatte einer aus seiner Familie versucht, das Bürgerrecht zu erlangen. Trotzdem, auch wenn er nicht wahlberechtigt war, fühlte sich Cupa ganz wie ein leibhaftiger Römer, und kaum jemand mochte Zweifel daran hegen, spätestens dann nicht mehr, wenn er den Mund öffnete und mit seinem blumigen Subura-Dialekt zu sprechen begann. Seine Arbeit als Gerber war hart, doch sie war gut, sie war ehrlich und er konnte davon leben. Die Saturnalia hatte Cupa zuerst bei dem öffentlichen Fest auf dem Forum Romanum verbracht, später war er mit einigen Bekannten in einer Taverne hängen geblieben und hatte eine Menge Geld verspielt. Da ihm ob dessen die Münzen ausgegangen waren, um seinen Wein zu bezahlen, hatte er irgendwann zwei seiner Kumpanen nach Hause eingeladen, wo sie bis tief in die Nacht hinein weiter gewürfelt hatten. Die beiden waren längst fort, doch Cupa war noch immer wach und widmete sich nun seinem besten Tropfen - obgleich jener längst verschwendet war, da seine belegte Zunge nicht einmal mehr zwischen dem Cloacenwasser und dem feisten Falerner einen Unterschied bemerkt hätte. Die Werkräume schlossen direkt an seine Schlafstadt und eine kleine Küche an, nur eine einzige Öllampe stand brennend auf dem Tisch. Sklaven konnte sich der Gerber keine leisten oder wollte keine haben, eine Frau besaß er nicht, so dass er völlig allein war.
    Als urplötzlich ein hagerer Mann mit blondfarbenem Haar und eisigblauen Augen in der Tür stand, erschreckte sich Cupa beinahe zu Tode. "Bei allen guten Göttern! Was willst du hier!?" Er konnte sich nicht erinnern, mit diesem Mann am Abend gewürfelt zu haben, so dass er womöglich seine Schulden einfordern wollte. Erst jetzt bemerkte der Gerber das blondfarbene Mädchen, welches schräg hinter dem Mann stand. Das alles ergab keinen Sinn. "Seid ihr auf der Suche nach Leder?" Auch dies ergab kaum einen Sinn zu dieser Stunde, doch Cupa hatte schon vieles in seinem Leben erlebt, zudem waren seine Kunden nicht unbedingt nur ehrbare Leute.
    "Nein, Cupa, wir waren auf der Suche nach dir." Ein zweideutiges Lächeln kräuselte Sciurus' Lippen. "Der Mann mit der Maske empfahl dich und er lässt dich grüßen."
    "Der Vogelmann?" hauchte Cupa tonlos. Augenblicklich war er bei Sinnen, die Furcht verdrängte den Alkohol schneller, als dieser fliehen konnte. "Bitte, ich habe nichts getan! Die Totengräber haben versucht, mich zu erpressen, doch ich habe ihnen nichts gegeben! Bitte, du musst mir glauben!"
    Ungerührt trat Sciurus in den kleinen Raum hinein und nahm an dem Tisch Platz, an welchem der Gerber saß. "Was wollten die Totengräber von dir?"