Wäre Sciurus ein anderer Mann gewesen als jener, der er war, hätte er mit einem lauten Fluch auf den Lippen seine Hand sich vor die Stirn geschlagen oder aber, er hätte sie Cupa zur Faust geformt mitten ins Gesicht gerammt. "Buono a nulla!" entfleuchte ihm jedoch nur leise und einen Augenblick lang wägte er ab, ob der Gerber noch eine einzige Sekunde seines Lebens wert war. Doch obgleich er vorerst wertlos geworden war, so wusste er nicht genug, um eine Bedrohung darzustellen, und man konnte nie wissen, welchem Lauf das Schicksal folgte, so dass er eines Tages womöglich noch nützlich sein konnte.
"Zu welchem Loch?"
Wimmernd und zusammengesunken saß Cupa auf seinem Stuhl, wünschte sich weit fort an einen anderen Ort, blickte bei den Worten nur unverständig auf.
"Der Schlüssel, zu welchem Loch hast du ihnen den Schlüssel gegeben?" Ruhig war Sciurus' Stimme nun wieder, ohne eine Spur Emotion. Er schob den Stuhl unter seinem Leib zurück, so dass die Füße kratzend über den Boden schabten, und erhob sich.
"Den ... den Schlüssel zur Judengasse." Cupa hatte nicht gewusst, dass es mehrere Verstecke gab, er hatte stets geglaubt, der Auserwählte, der Schlüsselmeister zu sein, welchem die ungeheuer wichtige Aufgabe zukam, den Schlüssel zum Schatz des Vogelmannes aufzubewahren. Obgleich seine Neugier ihn viele Nächte den Schlaf geraubt hatte, hatte er niemals selbst versucht, das Loch zu finden, zu öffnen und nachzusehen, was darin verborgen lag. Einmal im Monat war Silas, der Mann mit dem Losungswort, zu ihm gekommen und hatte dieses genannt, so dass die Männer des Vogelmannes stets nur dieses und ihr Siegel vorweisen mussten und er ihnen den Schlüssel überlassen hatte, bis sie ihn - zumeist früh am Morgen einer Nacht - zurück gebracht hatten. Beinahe schon seinen Fehler vergessend, hob der Gerber den Blick, um von seiner Neugier überkommen zu fragen, ob es denn noch mehr von diesen Verstecken gab, doch er erstarrte, als er in das Gerbermesser blickte, welches Sciurus in Händen hielt. Von allen Toden, die Cupa sich jemals vorgestellt haben mochte, so war doch jener, von seinem eigenen Handwerkszeug erstochen zu werden, ihm trotz all seiner dubiosen Geschäfte niemals in den Sinn gekommen.
"Oh ... oh nein! Bitte ... bitte nicht! Ich tue alles, wenn du mich verschonst! Bitte, ich habe viel Geld gespart, ich werde dir alles überlassen, wenn du mich nur am Leben lässt!" wimmerte er weinerlich und erste Tränen kullerten über seine Wangen.
Sciurus packte die Linke des Gerbers und knallte sie auf den Tisch. "Sei still." Während Cupa starr vor Angst weiter auf das Messer starrte, spreizte der Sklave dessen Finger und setzte schließlich die Klinge an den Ringfinger an.
"Nein!" schrie der Gerber in allmählich dämmernder Erkenntnis auf und versuchte seine Hand fort zu ziehen, doch er war zu träge und es war bereits zu spät, mit einem kräftigen Ruck hatte Sciurus das Messer bis zur Tischkante durch Fleisch und Knochen gedrückt und den Finger von der Hand abgetrennt. Mit weit aufgerissenen Augen, den Schock auf seinem Gesicht tragend, starrte Cupa auf die Wunde, aus welcher unablässig dickflüssig rotfarbenes Blut auf die hölzerne Platte rann. Sciurus rammte das Messer geräuschvoll in den Tisch, wo es weiter nach schwang und Cupa noch einmal zusammen zucken ließ, drehte sich um und griff nach einem Lappen.
"Halte die Wunde zu, sonst versaust du den ganzen Boden." Er riss ein Stück von dem Lappen ab, um darin den abgetrennten Finger einzuwickeln, den Rest des Stoffes warf er dem Gerber auf den Tisch. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und nickte Dido zu, dass sie durch die Werkstatt zurück das Haus verlassen würden.
Am ganzen Leib zitternd hatte Dido all dem zugesehen, unschlüssig, ob sie Sciurus wegen seiner Kaltblütigkeit bewundern oder fürchten solle, gefangen zwischen der kindlichen Angst und der morbiden Faszination beim Anblick des abgetrennten Fingers und dem Fluss des Blutes. Zu spät bemerkte sie, dass ihre Augen und ihr Mund weit offen standen und ärgerte sich sogleich, dass der Sklave dies gesehen haben musste. Dennoch versuchte sie abgebrüht zu wirken und nicht auf den eingewickelten Finger zu starren, als sie sich umdrehte und bemüht locker durch die Werkräume der Gerberei schritt, Sciurus aufrechte, doch gleichsam stets angespannte Haltung dabei unwillkürlich nachahmend. Kurz nur zuckte sie zusammen als ein kleines Geschoss an ihrem Kopf vorbei und in einen Bottich mit stinkender Flüssigkeit neben ihr flog, in welchem es glucksend versank, nur den Stofffetzen auf der trüben Oberfläche treibend zurücklassend, in welchen es eingewickelt gewesen war.
Die ersten pedes draußen im noch immer düsteren Rom legten sie schweigend zurück, in den Schatten der Nacht geschmiegt, in den dumpfen Schleier der Saturnalia gehüllt. Als sie jedoch ein kleines Forum überquerten hielt Sciurus in der Mitte des Platzes, an einer Statue an, hielt Dido zurück und ging in die Knie, so dass er in ungefährer Augenhöhe mit ihr war. Spärlich nur beleuchtete die Lampe in der Hand der kleinen Sklavin sein Gesicht, denn sie wagte nicht, sie anzuheben.
"Einem Mann ohne den linken Ringfinger ist nicht zu trauen, merk dir das." Sein Blick war undurchdringlich, doch eindringlich, beinahe, als versuchte er, dem Kind diese Tat begreiflich zu machen, beinah, als wolle er Dido eine Erklärung bieten. Wer jedoch Sciurus kannte - und dies war niemand, nicht einmal er selbst - wusste, dass er einzig und allein tat, was er glaubte, tun zu müssen, da er war, was er war. Erneut schweigend stand er auf, ließ Dido mit einem weiteren Brocken seiner Weisheit zurück. Die kleine Sklavin indes würde ab dieser Nacht jedem Mann zwei mal auf die Finger schauen und war fest entschlossen, nie wieder jemandem zu trauen, der an der linken Hand keinen Ringfinger mehr besaß. Obgleich es nach dem Erlebnis bei dem Gerber sicher nicht nötig war - denn dies würde sie nie wieder vergessen - wiederholte sie das Gelernte in Gedanken und eilte sich, dem großen Sklaven zu folgen.
Der Name Judengasse war nicht der offizielle Name jener engen, schmutzigen Straße, die den Römern als vicus flexus bekannt war, doch es hatten sich dort so viele Menschen dieses Glaubens niedergelassen, dass jeder mit diesem Namen etwas anfangen konnte. Dido und Sciurus durchquerten die Straße, in welcher es seltsam ruhig war, denn hier feierte niemand die Saturnalia, so dass in keinem Hinterhof und keinem Haus noch Licht brannte und keine Betrunkenen ihnen begegneten, welche nach Hause torkelten. Unbemerkt bogen sie in eine Abzweigung, welche dreißig Fuß zwischen zwei Häuser schnitt und als Sackgasse endete. Zielstrebig lenkte Sciurus seine Schritte zu einem Kanaldeckel im Boden, fasste in die Einlassung und hob ihn mühelos an. Er kniete sich - jede seiner Bewegungen von Dido schärfstens beäugt - zu Boden und fasste mit der Hand in das gähnende Loch vor sich. Die eingelassene Kiste war geöffnet - und leer.
"Porca miseria, sie waren schon hier." Er erhob sich und schob den Deckel zurück in die Einfassung.