Beiträge von Sciurus

    Welch Fauxpas, der gute Grieche schreibt sich mit K...



    Kosmas, einst Leibarzt der Flavia Leontia, war überaus bewandert in den kleinen und großen Wehwehchen verzärtelter Patrizier, ein versierter Medicus zudem, dennoch hatte er es vorgezogen, nach Leontias Verschwinden nicht sein Glück in der weiten Welt zu suchen, sondern sich im flavischen Haushalt aushalten zu lassen. Sciurus vermutete den Grund dessen in der mysteriösen Vergangenheit des Griechen, doch obgleich er sich mehrmals bemüht hatte, mehr über diese herauszufinden, war es ihm nicht geglückt - ein Umstand, der ihn durchaus ein wenig verärgern konnte, so Sciurus überhaupt bei einer Lappalie zu solch einer Regung fähig war. Nordwin kehrte mit dem schweigsamen Medicus zurück, der nicht einmal seinem Patienten eine Frage stellte.
    "Sieh' dir meinen Fuß an und schau' nach, ob etwas gerissen oder gebrochen ist", wies Sciurus den Griechen an, der regungs- und wortlos in die Hocke ging, eben dies zu tun. Kosmas missbilligte es, sich um Sklaven kümmern zu müssen, auch wenn es Leibsklaven waren, doch ab und an war ein Opfer notwendig, seinen Status im Haus zu behalten.


    Sciurus blickte zu Nordwin empor, nach einem Anzeichen suchend, ob der Sklave seinen vorigen Wink verstanden und überdacht hatte, doch er konnte nichts aus dessen Augen ablesen, die so unbedarft durch die Welt blickten.
    "Wenn mein Herr erfährt, dass dies ein bedauerlicher Unfall war, brauchte er bei deinem Herrn keine Strafe zu fordern. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich meinem Herrn eine solche Lüge auftischen kann." Er sprach völlig sorglos vor Kosmas. Der Medicus würde sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen, gleichsam konnte er jedoch als Zeuge fungieren, so es eines Tages notwendig werden würde. Als Kosmas seinen Fuß ein wenig drehte, zuckte Sciurus' Leib zusammen und er biss die Zähne aufeinander, seinen Blick nicht von Nordwin wendend.

    Sie drängten sich weiter durch die Straße, vorbei an feilschenden Käufern, an Nachbarschaftsgesprächen, an Gemecker und Gekeife, wie an dem stummen Hin- und Hereilen dutzender geschäftiger Bürger. Erst als sie eine schmale Gasse durchquerten, eine nicht ganz so belebte Abkürzung, hob Sciurus wieder zu sprechen an. "Merke dir, es ist wichtig, deine Freunde zu kennen, doch es ist noch wichtiger alles über deine Bezugsquellen, wie über deine Feinde zu wissen." In Sciurus' Fall bedeutet dies, alles über jeden zu wissen, denn er hatte keine Freunde, nur Bezugsquellen, von welchen er manche als Verbündete bezeichnen würde, müsste er sie weiter kategorisieren, doch üblicherweise war dies nicht notwendig, sowie sicherlich auch einige Feinde.
    "Weiters, scheue dich nicht, dir dessen bewusst zu sein, was du bist, und auch nicht, dies deinem Gegenüber klarzumachen." Er blieb stehen und suchte kurz, doch durchdringend den Blick der jungen Sklavin. "Allerdings nur, wenn du dir dessen sicher bist, was du bist. Ein verärgerter Händler, der bei deinem Herrn Aristides deinetwegen aufschlägt, führt vermutlich eher zur Peitsche für dich. Ein solcher, der meinetwegen bei meinem Herren auftaucht, riskiert nicht nur, seinen Kunden zu verlieren, sondern ebenso seine Lizenz. Eines Tages wirst du vielleicht genauso wertvoll für deinen Herrn sein - wenn du nicht vorher bei den Löwen landest." Ein dünnes Lächeln zog sich für einen Augenblick über Sciurus' Lippen, verschwand jedoch so schnell wie es erschienen war. Ohne auf die Reaktion der kleinen Sklavin zu warten, drehte Sciurus sich wieder um und setzte den Weg fort.


    Schon an den Passanten um sie herum wurde deutlich, dass sie allmählich eine Gegend betraten, in welcher gehobene Ansprüche befriedigt werden konnten, und auch an den ausgestellten Waren. Edle Seidentücher zeigten sich hier in bunten Farben zur Auslage, filigrane Glasgefäße verschiedenster Couleur, teure Schmuckstücke aus funkelnden Edelsteinen und glänzendem Gold, die von grimmig dreinschauenden, dunkelhäutigen Sklaven bewacht wurden, und mehrmals mussten sie schmalen Sänften ausweichen. Schlussendlich betraten sie einen kleinen Laden im ebenerdigen Geschoss einer Insula, dessen Schild vor der Türe ihn als Philetairos' Pergamente und Schreibwaren auswies. Der Verkaufsraum war nicht besonders groß, zudem bot sich wenig Anschauungsmaterial, ein einzelnes großes Regal nur, welches eine der Seitenwände bedeckte, spärlich gefüllt mit dünnen Stapeln Pergament, einigen Wachstafeln aus kostbaren Hölzern mit Einlegearbeiten aus Elfenbein oder Blattgold, verschiedenen exquisiten Schreibgeräten, eine Auswahl besonders opaquer Tinten und verschiedene Kleinigkeiten, wie Federhalter, Tintengefäße oder Pergamentbeschwerer. Beleuchtet wurde der Raum durch große Fenster zum Innenhof hin und einige Öllampen und Kerzen, die hinter hellem Glas abgeschirmt waren. Auf der anderen Seite der Waren, hinter einem hüfthohen, länglichen Tisch und vor eine Türe, welche zum Lager führte, stand der schmale, knochige Händler, dessen Nase in besonderem Maße aus seinem Gesicht ragte, gehüllt in teure Gewänder, in diesem Augenblicke eine Schriftrolle studierend, doch beim Eintreten der Kundschaft freundlich aufblickend.
    "Salve, Philetairos", begrüßte Sciurus den Händler.
    "Ah, Sciurus! Salve, salve! Was kann ich für dich tun, nach was dürstet es deinen Herrn heute?"
    "Nach Pergament, nach gutem Pergament. Außerdem bin ich heute in Begleitung, dies ist Dido, sie ist Besitz des Neffens meines Herren und soll die Vorzüge deiner Waren kennen lernen."
    "Wundervoll!" Entzückt schlug der Händler seine Hände aneinander und ein erfreutes Funkeln ergriff Besitz von seinen Augen in der Hoffnung auf einen neuen, vornehmen und überaus liquiden Kunden. "Willkommen, Dido, im Reich der Schriftkunst und aller Zutaten, die es dazu braucht! Wenn dein Herr ebenso feingeistig ist wie Senator Flavius Gracchus, so wirst du hier finden, nach was es ihm verlangt! Pergamente aus Pergamon, Tinten aus Aegyptus und Fernost, Federn aus Tylus und Arabien, alles, was der anspruchsvolle Herr begehrt!"


    Mit leerem Blick starrte Acanthus, Ianitor der Villa Flavia, auf die Wand ihm gegenüber, wandelte in Gedanken in einem fernen Land in einer anderen Zeit - weder das Land, noch die Zeit hatte es je gegeben. Ein Pochen riss ihn aus seinen Träumereien und er stand langsam auf. Die salutatio war fast vorbei, nur noch ein oder zwei Klienten waren in der Villa, so dass der Besucher vor der Tür vermutlich kein Klient war. Aus diesem Grund setzte Acanthus sein übliches, grimmiges Gesicht auf, als er die Tür langsam öffnete.


    "Wer bist du und was willst du?" blaffte er den Mann vor der Tür an, nachdem er auf den ersten Blick erkannt hatte, dass dieser kein Patrizier war, und anscheinend auch sonst kein höherrangiges Mitglied der Gesellschaft, denn dazu fehlte ihm der Sklaventross.

    Sciurus ließ sich zu einem Grinsen hinreißen, bei welchem seine weißen Zähne sichtbar wurden, welches gleichsam eher dem Zähneblecken eines Raubtieres glich.
    "So manch ein Sklave in diesem Haus hat sich schon gewünscht, man hätte ihn wegen seines Vergehens gekreuzigt. Die flavischen Herren sind überaus phantasievoll, wenn es um die Sanktionierung ihres Eigentums geht."
    Sciurus hatte dies bereits am eigenen Leib erfahren, damals, unter Flavius Felix, welcher auch vor der Bestrafung der Sklaven seiner Verwandten nicht Halt gemacht hatte.


    "Aber vielleicht muss es dazu nicht kommen", sagte er ganz unbedarft, blickte sich im Säulengang um und wies mit dem Kopf auf eine der Bänke, die in regelmäßigen Abständen dort aufgestellt waren. "Dort hin." Er humpelte noch ein paar Schritt und ließ sich auf der Bank nieder.
    "Cosmas, er heißt Cosmas, wie der Kosmos, nur mit a." Vielleicht würde die Eselsbrücke etwas nützen, denn die Intelligenz eines Esels traute Sciurus dem Germanen durchaus zu - ebenso faul, aber zumindest nicht dumm. "Vermutlich lungert er irgendwo bei der Küche herum."

    Während der namenlose Sklave, welcher Aurelius Corvinus zum Gemach der Flavia geführt hatte, seinen sonstigen Aufgaben zustrebend in den Gängen der Villa verschwand, und der Begleitsklave des Gastes ihm hernach folgte, wich Sciurus nicht aus Corvinus Rücken, würde dies gleichsam auch nicht, wenn dieser im Cubiculum Celerinas verschwand. Sein Herr war nicht eben davon angetan gewesen, dass die Flavia ihr Zimmer nicht verlassen und den Gast, wie dies angemessen wäre, im Atrium oder Triclinium empfangen wollte, gleichsam konnte oder wollte er sie ob des Erlebten nicht dazu drängen, die Sicherheit ihrer Räumlichkeiten zu verlassen, so dass Gracchus schlussendlich gestattet hatte, dass der Aurelier Celerina dort aufsuchte - nicht ohne jedoch für das passende Anstandshörnchen Sorge zu tragen.


    Sciurus selbst hatte kein gesteigertes Interesse daran, zu sehen oder zu hören, was die beiden Verlobten miteinander tun oder sprechen würden, um hernach den neuesten Klatsch und Tratsch in der Villa zu verbreiten - für ihn war dies eine Aufgabe wie jede andere, wiewohl er für seinen Herrn Auge und Ohr würde sein.


    Es waren die letzten Tage vor den Saturnalien, welchen Acanthus stets mit zwiespältigen Gefühlen entgegen sah. Er war schon lange Ianitor der Villa Flavia, länger als die meisten ihrer Bewohner in Rom waren, länger schon als manche von ihnen überhaupt auf der Welt waren. Er mochte seine Tür, er mochte seinen Hocker, er mochte seine Kette und er mochte den Dienst an der Pforte - kurz gesagt, er war rundum zufrieden. Er nutzte die Saturnalientage gern, um seine Beziehung zu einer der Küchenmägde zu pflegen, doch ihm war weder am ausgiebigen Gelage in, noch außerhalb der Villa gelegen.


    Der Ianitor der Villa Flavia war aus diesem Grunde nicht halb so vorfreudig wie viele andere Sklaven der Villa zu dieser Zeit. Zudem nahm er seine Aufgabe äußerst ernst und würde bis zur letzten Sekunde seiner Ablösung ein grimmiges Gesicht machen, so wie dies von ihm erwartet wurde. Er kannte die Herren - den Herrn und seinen Sklaven - vor der Türe bereits, denn Acanthus vergaß selten einen Anblick.
    "Ich werde den Senator fragen lassen, ob er diese Zeit erübrigen kann. Dein Herr mag solange im Atrium auf die Antwort warten."


    Ein Sklave führte Aurelius in das Innere der Villa, doch kaum hatten sie das Atrium erreicht, hastete bereits ein Junge hinein und teilte dem größeren Bediensteten mit, dass der Besucher weiter in das Arbeitszimmer des Flavius Gracchus geführt werden sollte.


    /edit: Link

    Tatsächlich waren dumme Sklaven Sciurus ein Dorn im Auge, insbesondere die dummen, unnützen Dinger, die sich einige Herren nur des Anblicks wegen in ihren Haushalt holten, doch ein Sklave, der Fragen stellte, war nicht im geringsten als dumm zu betrachten, insbesondere dann nicht, wenn er wie Dido noch sehr jung war.
    "Pergament ist haltbarer als Papyrus, das bei unsachgemäßer Lagerung schnell brüchig wird, und das seine Konsistenz nur bei trockenen Temperaturen gut erhält. Darüber hinaus hat gut gearbeitetes Pergament eine viel glattere und hellere Oberfläche, die sich besser beschreiben lässt, wie die Tinte auch nicht wie beim Papyrus in die Struktur des Blattes eingesaugt wird, sondern auf der Oberfläche haften bleibt, so dass das Geschriebene abgekratzt und das Pergament wieder verwendet werden kann. So ein Blatt heißt palimpsest, was im griechischen abgekratzt bedeutet, und auch darauf musst du beim Pergamentkauf achten, dass man dir nicht so ein Blatt unterschiebt. Im Licht zeigen sich dann noch Spuren der ursprünglichen Beschreibung."
    Sciurus hielt das Blatt gegen den Himmel, so dass das fahle Sonnenlicht durch es hindurch schien.
    "Im Licht siehst du auch weitere Qualitätsmängel, ungleichmäßige Schabung, Risse und ähnliches. Siehst du, dieses Pergament ist voll davon."


    Der Händler hatte derweil seinen Kunden abkassiert und sich den flavischen Sklaven zugewandt. Auf seinem Gesicht zeigte sich deutlicher Ärger über Sciurus' Erläuterungen.
    "He, Mann, was soll das?! Wenn du was kaufen willst, dann tu das, ansonsten zieh Leine und begrapsch nicht meine Ware! Wenn's dir nicht passt, dann halt den Rand und verzieh' dich!"
    Unbeeindruckt gab Sciurus das Pergament an Dido, nahm den Beutel mit Münzen, welcher an seinem Gürtel befestigt war, und holte exakt den doppelten Betrag hervor, welcher auf einem Holzbrett über dem Pergamentstapel als Preis pro Blatt angegeben war. Er schnippte die Münzen auf den Papyrusstapel vor dem Händler. "Zwei Blätter."
    Dann drehte sich der Sklave um, nahm ein weiteres Blatt vom Stapel und hielt es wiederum gen Himmel, ohne sich weiter um den Händler zu scheren. "Auch dieses ist von minderer Qualität. Ein Mangel darf sich auf einem Blatt Pergament finden, vielleicht auch zwei, wenn das nächste makellos ist, aber diese Blätter hier sind von schlechter, billiger Qualität."


    "He!" mischte der Händler sich erneut ein, was den in seiner Lehrstunde neutralen Ausdruck aus Sciurus' Gesicht verdrängte und ihn die Augen ein wenig zusammen kneifen ließ.
    "Hör' auf mit deinem dummen Gefasel! Ich lass' mir doch nicht von einem wie dir meine Ware madig machen! Nimm deine Göre und hau' endlich ab!"
    Ruhig drehte der flavische Vilicus sich zu dem Händler um, richtete sich gerade auf, dass er den untersetzten Mann um einen Kopf überragte, und blickte schlussendlich aus seinen eisigkalten, blauen Augen in die kleinen, braunen Kügelchen seines Gegenübers. "Oder was, libertinus? Möchtest du dich bei meinem Herrn beschweren? Die salutatio der Villa Flavia steht dir jederzeit offen."
    Nur einen Herzschlag lang beachtete Sciurus das Aufflammen der Erkenntnis im Antlitz des Händlers, ehedem er sich Dido wieder zuwandte.
    "Deine Lektion hier ist beendet. Wir werden uns nun dem wirklich guten Pergament zuwenden." Mit einem Kopfnicken forderte er sie auf, ihm zu folgen.

    Sie überquerten den Hof zur Villa hin, Sciurus kümmerte noch immer wenig, was im Kopf des anderen Sklaven vor ging, denn sein Fuß drängte sich immer wieder in den Vordergrund seines Bewusstseins und gleichsam damit etwaige Folgen. Seinem Herrn würde es gar nicht gefallen, wenn Sciurus in den kommenden Tagen ausfiel, davon abgesehen, dass es ihm ebenfalls nicht gefallen würde und er darob dafür Sorge tragen würde, dass es Gracchus um so weniger gefiel. Nordwins Bangen mochte durchaus gerechtfertigt sein.


    Ungerührt zuckte Sciurus mit der Schulter. "Flucht und Ungehorsam."
    Sciurus wusste natürlich, dass nicht Aristides das Todesurteil verhängt hatte, vermutlich nicht einmal davon wusste. Ein Gutteil seines Besitzes weilte in Baiae unter der Obhut seiner Mutter, und Flavia Agrippina war weitaus weniger sentimental bezüglich der Sklavenschaft. Denn im Gegensatz zu seinem Bruder Felix gehörte auch Aristides eher zu den diesbezüglich verweichlichten Herren, die ihren Sklaven viel zu viel erlaubten. Sciurus misste die Zeit, in welcher Flavius Felix noch das Regiment im Haushalt angeführt hatte, und mit diesem dessen Vilicus Sica. Seit deren Fortgang, erst des einen, dann des anderen, war es mit der Disziplin in der Villa nurmehr bergab gegangen.

    Zitat

    Original von Chimerion
    Chimerion war aufgesprungen und hörte sich die Anweisungen des Mannes an. Er kannte ihn wohl vom sehen, ein Name fiel ihm aber nichte ein.
    Er nickte leicht. "Ja, es geht schon wieder, der Medicus hat ganze Arbeit geleistet.... Was geschieht mit den Leichen? Werden wir sie mitnehmen?"


    Die Vorstellung, die Toten sehen zu müssen, bereitete ihm Unbehagen, er hatte es bisher nicht übers Herz gebracht, in die Kammer zu gehen, wo die sterblichen Überreste aufbewahrt waren.


    "Ja", nickte Sciurus. "Derentwegen bin ich primär hier." Es machte keinen Sinn, diese Tatsache Chimerion zu verheimlichen, denn der Sklave würde sich dies vermutlich ohnehin denken können. "Ich gehe nicht davon aus, dass du noch etwas von Wert einpacken musst ..."


    Sciurus wandte sich an den Nauta. "Dann können wir zu den Leichnamen."

    Sciurus taxierte den Sklaven und entschied, dass jener durchaus mehr als transportfähig war. Da er davon ausging, dass Chimerion bereits über das Dahinscheiden seiner Herrin informiert worden war, erübrigten sich diesbezügliche Erklärungen, wie auch Sciurus sich nicht mit Höflichkeiten aufhielt.
    "Ich habe die Weisung, dich zurück nach Rom zu bringen. Solange bis ermittelt ist, ob deine Herrin ein Testament hinterlassen hat, und in wessen Besitz du im einen oder anderen Falle übergehen wirst, bleibst du Teil des flavischen Haushaltes. Ich habe einen Wagen vor Ort angemietet, wirst du es aushalten bis Rom auf dem Bock zu sitzen?"


    Der Sklave kannte die Geschichte Chimerions nicht, wusste nicht, ob jener je den Tod eines Herrn miterlebt hatte und darob wusste, welchen Vorteil ihm das flavische Dach über dem Kopf bot. Gleichsam verschwendete Sciurus keinen Gedanken daran, denn de facto gehörte Chimerion bis zur Entscheidung der Decemviri litibus iudicandis weiterhin zum Besitz der Flavia Celerina und im Dienste der Flavia würde Sciurus nicht zögern, jegliche Maßnahmen zu ergreifen, so der Sklave mit dem Tod seiner Herrin glaubte, irgendwelche Rechte für sich beanspruchen zu können.

    Als der Wachmann von tragen helfen sprach, kam Sciurus der Gedanke, dass er allfällig mit mehr als einer Urne nach Rom zurückkehren würde. Sein Herr hatte von den Ascheresten nach einem Brand gesprochen, und der in Ostia angemietete Wagen war nur für Chimerion vorgesehen, der in desolatem Zustand hätte sein sollen. So jedoch würde vielleicht eher Chimerion auf dem Bock sitzen und die Leiche auf der Ladefläche transportiert werden können, doch ein nicht gänzlich zu Asche verfallener Leichnam würden in Rom zu Problemen führen. Tote innerhalb der Stadtmauern wurden schnellstmöglich von den libitinarii entsorgt, so sie nicht in einem der besser gestellten Häuser von der Familie aufgebahrt wurden und auch dann sorgte man stets dafür, dass sie zwar respektvoll, aber baldmöglichst außerhalb der Stadt gebracht wurden. Schlimmstenfalls würde Sciurus Chimerion beim Wagen lassen und sich ein gesiegeltes Dokument seines Herrn für die Stadtwachen besorgen müssen.


    "Dann zuerst ins Valetudinarium", antwortete der Sklave knapp und folgte dem Wachmann.

    Der Hochzeit hatte Sciurus nicht sonderlich viel abgewinnen können, denn obgleich er nicht zu den flavischen Sklaven gehörte, die sich um den Fortgang der Festivität bemühen mussten, so stand er doch allzeit bereit, jedem Wink seines Herrn oder dessen Gemahlin zu folgen. Als der Brautzug in Bewegung kam, flankierte er Gracchus, wartete auf dessen Anweisung, sein Sprüchlein zum Besten zu geben. Sein Herr hatte sich nicht nehmen lassen, schon weit im Voraus dieses Tages einen passenden Reim zum bedenken, doch da er selbst keinen Satz heraus bekam, ohne dass die Hälfte davon verloren ging, musste Sciurus sich die Worte einprägen und war nun dazu aufgefordert, sie zum besten zu geben.


    Obgleich der Sklave seine Stimme erhob, die Zeilen zudem in geschulter Weise intonierte, so fehlte ihm doch jede Fröhlichkeit, jede Ausgelassenheit, welche den übrigen Sprüchen mitschwang, so dass er beinahe tönte, als würde er zu einem Mahl die Gästeliste in der Ankunft der Gäste verlesen, oder aber die in Aussicht stehende Menüfolge.


    "Ihr werdet sehen, schon bald in Kürze
    garniert die Ehe euch jeden Tag
    mit süßer und feuriger Würze,
    dass keiner von euch sie missen mag.


    So eilet in das neue Heim,
    zur längst bereiteten Stätte,
    und legtet euch schnell nackt hinein
    dass keiner zu zweifeln hätte.


    Am nächsten Tage dann erwacht
    ihr unweigerlich verbündet.
    Neun Monate später, wer hätt' es gedacht,
    wird ein neues Leben verkündet."

    Die Frage nach dem Besitz beantwortete Sciurus nicht mit Worten, nickte nur und verschwendete keine Sekunde einen Gedanken daran, ob Nordwin neben ihm die Bewegung sah oder nicht. Es klang ohnehin nicht mehr nach einer ernst gemeinten Frage, nur nach einem Funken Hoffnung, der dem Zweifel verhaftet blieb und nach Negierung der Tatsachen heischte, die Sciurus weder gewillt, noch es ihm möglich war zu geben.


    Wieder verblüffte Sciurus die sprichwörtliche Blauäugigkeit Epicharis' Sklaven, der den Besitzer gewechselt hatte, ohne augenscheinlich davon zu wissen, der dazu nichts über seinen neuen Herrn zu wissen schien. Wie war Aristides? Sciurus kannte ihn nicht sonderlich gut, doch er kannte dessen Haushalt und dessen Besitz, der auch während seiner Dienstzeit im Militär stets in Rom geblieben war.
    "Er ist nicht grundlos grausam, doch er zeigt Härte, wenn es notwendig ist, und dann in jedem Maß, bis zum Todesurteil. Er hat während seines Militärdienstes ein paar seiner Sklaven selbst eingefangen und gebändigt." Sciurus bewunderte diese Kunst, denn gerade frisch eingefangene Sklaven waren meist überaus widerwillig.

    Der Weg von Rom nach Ostia war nicht allzu lange, sofern man ein schnelles Pferd besaß. Ob seiner wichtigen Aufgabe wegen hatte Sciurus eines der besseren Pferde aus dem flavischen Stall für die Reise erhalten, denn obgleich am Tode der Flavia Celerina ohnehin nichts mehr zu ändern war, so war es seinem Herrn doch eilig, die Überreste jener zurück nach Rom zu überführen, so dass alsbald die ordnungsgemäße Bestattung würde stattfinden, und die umhertreibende Seele der Flavia zur Ruhe kommen können.


    Aus früherem Besitzverhältnis kannte der Sklave sich in der Hafenstadt aus, fand bald die Gebäude des Numerus und trug dort sein Begehr vor.
    "Salve, mein Name ist Sciurus, ich bin der Vilicus des Pontifex et Senator Manius Flavius Gracchus. Mein Herr schickt mich, die sterblichen Überreste seiner Großnichte Flavia Celerina nach Rom zu überführen. Zudem beunterkunftet ihr noch einen ihren Sklaven, Chimerion, welchen ich ebenfalls mitnehme soll, sofern er reisefähig ist."

    In Sekunden ließ sich Sciurus seine Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Er konnte den Schmerz ignorieren, gleich wie stark er werden würde, und sich allein in den Sklaventrakt hinüber schleppen. Doch Sciurus hatte keinen Stolz, den er wahren musste, sein Denken und Handeln war auf Effizienz ausgelegt, und die Verletzung würde durch weitere Belastung nicht besser werden, im Gegenteil.
    "Hilf mir zurück ins Haus. Cosmas soll sich das ansehen." Sciurus mochte den griechischen Quacksalber nicht. Das war nicht weiter verwunderlich, denn Sciurus mochte niemanden. Doch Cosmas rangierte in seiner Kategorisierung noch unter unnützen Sklaven. Nach dem Verschwinden Leontias hatte der Arzt sich in der Villa eingenistet, um nicht zu Flavius Aetius zurück kehren zu müssen, und da sich keiner der Herrschaften für ihn erbarmte, verdiente er sich seine Mahlzeiten damit, dass er notgedrungen und widerwillig die kleineren und größeren Verletzungen behandelte, die im Alltag der Sklaven immer wieder vorkamen: Schnitte und Blessuren, manchmal Fieber, manchmal Knochenbrüche, Bisswunden und mehr.


    Ohne die Antwort Nordwins abzuwarten - er hatte sich immerhin bereits angeboten und zudem genug angerichtet, um sich weitere Schnitzer zu erlauben - stützte sich Sciurus auf die breite Schulter.
    "Die Ehe zwischen Aristides und Epicharis wurde cum manu durchgeführt. Das bedeutet, dass sie aus der Gewalt ihres Vaters in die Gewalt Aristides' übergegangen ist. Was sie besitzt, gehört ihm. Das umfasst auch den Haushalt, über den er nicht nur die rechtliche Gewalt inne hat, sondern für den er auch die Verantwortung trägt."
    Sciurus hätte seinem Tonfall nach ebenso gut über das Wetter sprechen können, das Essen der Herrschaften oder die in diesem Jahr übermäßige Zahl an Regenwürmern im Boden der flavischen Rosenbeete. Es bereitete ihm kein Vergnügen, dem anscheinend tatsächlich verdutzten Nordwin die Tatsachen unter die Nase zu reiben, denn entgegen aller Gerüchte bereitete es Sciurus kein Vergnügen andere zu quälen oder zu piesacken. Er erledigte nur seine Aufgaben, konsequent, effizient und ohne Rücksicht.
    "Das wiederum bedeutet, dass wenn du draußen Schaden anrichtest, Flavius Aristides dafür verklagt wird. Was er hernach mit dir anstellt, ist ihm überlassen, doch er muss das Bußgeld zahlen. Da das hier eine innerfamiliäre Angelegenheit ist, hat es für Aristides keine Konsequenz, für dich schon." Nordwin mochte sich noch tausend Male entschuldigen, es würde nichts an den Tatsachen ändern. Vielleicht würde es seine Bestrafung mindern, wenn er es glaubwürdig vor den Herrschaften tat, doch eine Strafe würde folgen, unbezweifelt.

    "Ich bin Sklave, kein Römer" berichtigte Sciurus sein Gegenüber und fuhr dann nachdenklich fort, beinah als wäre Nordwin nicht mehr anwesend. "Wenn es an Schwäche liegt, dass du nicht arbeiten kannst, dann lohnt es sich vielleicht nicht mehr, dir deine Reflexe auszutreiben. Ein Verkauf wäre dann wesentlich effizienter, oder der Einsatz bei der nächsten Löwung." Er forcierte ihn und zu seinem Ärger über dieses Subjekt gesellte sich eine leise Verblüffung über dessen Ansichten. "Im Übrigen befindest du dich im Besitz des Flavius Aristides, und nicht ich werde mich mit jenem auseinander setzen, sondern mein Herr, Flavius Gracchus."


    Damit waren alle Worte gesagt, welche notwendig waren, sofern es Sciurus anbelangte, und er wollte an Nordwin vorbei treten. Doch schon der erste Schritt brachte ihn vor Schmerz wieder aus dem Gleichgewicht, er verzog seine Miene und stützte sich mit der Hand an den Brettern ab. Mehr noch als das temporäre Ärgernis des Sklaven bereitet ihm ein länger währendes Ärgernis in seinem Fuß Sorge, das ihn von seinen Aufgaben abhalten würde.

    Unbeeindruckt von Nordwins Beleidigung, wie auch seinem Tonfall stierten Sciurus' Augen in die seines Gegenübers. "Es mag deinem germanischen Reflex entsprechen, dich beim Anblick von Stroh schlafen zu legen, aber du bist hier nicht in Germania. Ich werde dafür sorgen, dass dir deine Reflexe ausgetrieben werden, sowohl dieser, als auch der, fremdes Eigentum zu beschädigen." Eine Spur von Drohung lag in seinen Worten, obgleich dies überflüssig war, denn die Tatsachen sprachen für sich.

    Wenn er sich außerhalb der Villa in der Stadt bewegte war Sciurus' Körper stets voller Spannung, jederzeit bereit zum Sprung, jederzeit bereit zu Angriff und Verteidigung, und so er sich unter der Stadt bewegte genügte bereits die kleinste Regung, um ihn bei Gefahr in Aktion zu versetzen. Innerhalb der Villa, der flavischen Mauern jedoch, war der Sklave nicht auf einen Angriff gefasst. Es war ein Fehler, eine grobe Nachlässigkeit, wie er sich eingestehen musste, doch er hatte nie geglaubt, dass ein Bewohner der Villa es wagen würde, ihn anzugreifen, nicht einmal die Herren würden Hand an ihn legen, ohne dass sein eigener Herr dazu sein Einverständnis gab. Einzig sein Herr selbst mochte für ihn in diesem Hause eine Gefahr darstellen, doch Gracchus war niemals eine Bedrohung gewesen.


    Noch im ersten Moment, als der Sklave seinen Fuß gepackt hatte, verdrehte er ihn bereits in unnatürlicher Weise, doch Sciurus folgte der Bewegung nicht, ließ sich nicht fallen, spannte eher noch dagegen an. Er hatte schon weitaus schlimmeres ertragen und Schmerz war nichts, was ihn reagieren ließ, und da dies in diesem Falle dem von der Natur vorgesehenen Selbsterhaltungstrieb gänzlich entgegen strebte, blieb ihm nichts weiter übrig als den Nachhall des Berstens in seinen Ohren zu vernehmen, noch ehe der Schmerz sich durch die Wade empor durch das Bein ausbreitete und in seinem Kopf angelangte.
    "Vaffanculo!" ließ er sich zu einem lauten Fluch hinreißen, welcher eine Dohle auf dem Dach des Stalles aufschrecken und in über ihre verlorene Ruhe erbostem Schrei empor fliegen ließ.


    Nordwin ließ von seinem Fuß ab und Sciurus suchte rückwärts zu weichen, doch bereits die erste Berührung mit dem Boden ließ neuerlichen Schmerz durch seinen Fuß zucken, so dass er mehr zurück hüpfte als trat, bis er die Bretter der Wand in seinem Rücken spürte.
    "Das wirst du bereuen", knurrte er, und in seinem Blick zeigte sich die Kälte, welche stets von seinem gesamten Wesen Besitz hatte, doch selten so deutlich zu Tage trat.

    Obgleich es durchaus eine possible Konsequenz war, so irritierte die ausgesprochene Tatsache seines Herrn, dass eben er, Sciurus, für die Zeugung des Minorschen Vilicus sollte zuständig sein, ihn zutiefst. Er entstammte keiner alten Linie, sein Vater war als freier Germane geboren, seine Mutter in erster Generation in römischem Besitz, er selbst nicht einmal seit Geburt in flavischer Hand. Dennoch ließ der Sklave sich nichts anmerken, nicht einmal, dass das Vertrauen seines Herrn tief im Inneren ihn ehrte, nickte stumm und verließ den Raum, die Sklavin aufzusuchen, seine Aufgabe zu erledigen, pflichtbewusst wie stets.