Beiträge von Sun Cheng

    Cheng musste in dieser Situation an seine eigene Unterweisung denken. Als sein Meister ihm die Meditation beibrachte war er auch eingeschlafen. Er musste bei diesem Gedanken einfach lachen. "Nein, nicht ganz. Aber... Er lachte noch einmal. "Aber mir ist das auch schon passiert." Er beherrschte sich wieder. "Aber, bevor du eingenickt bist, an was hast du da gedacht?"

    "Aber natürlich dürft Ihr. Dieser Pfahl dient dem Training im waffenlosen Kampf. Hier kann man Tritte und Schläge üben. Und weil er so schön hart ist, wird man selbst dabei auch hart. Jedenfalls, wenn man immer gut daran übt." Cheng grinste kurz. "Und ich bin wohl ein wenig aus der Übung."

    Cheng seufzte. "Du stellst Fragen, die sogar für einen Meister schwer zu beantworten sind. Und ich bin keiner. Vielleicht solltest du es einfch mal versuchen. Setz dich bequem hin, schließe die Augen und konzentriere dich auf das Rauschen des Meeres. Es ist eine ganz einfache Übung. Denke an nichts, höre nur das Rauschen und lass es auf dich wirken."

    "Meditieren heißt, sich von nichts ablenken zu lassen. Man sitzt einfach nur da und lässt alles fließen, hält an nichts fest. Die Umgebung ist bedeutungslos, die Gedanken sind bedeutungslos. Manchmal hilft es, sich auf etwas zu konzentrieren. Man kann seine Atemzüge zählen oder sich auf eine Kerzenflamme konzentrieren. Und man denkt nur nebenbei über das nach, worüber man meditiert. Darauf konzentriert man sich also nicht. Verstehst du, was ich meine?"

    "Das ist eine schwierige Frage. Ich denke... nein... vielleicht..." Er zog entschuldigend die Schultern hoch. "Ich bin selbst noch nicht weise genug, um diese Frage beantworten zu können." Er war ratlos. "Ich kann dir nur den Rat geben, die Antworten in dir selbst zu suchen. Es gibt Barrieren in dir, die den Blick auf deine Erinnerungen verhindern. Überwinde sie, und du wirst erkennen. Aber versuche nicht, sie zu überwinden." er suchte noch nach den richtigen Wörtern. "Lass es mich anders ausdrücken. Wenn es dir gelingt, deinen Geist von allem zu befreien, dann wirst du ganz von selbst die Barrieren in deinem Inneren überwinden. Aber mir scheint, dass dein Geist durch Angst blockiert ist. Überwinde deine Angst, dann wird auch dein Geist befreit. Das denke ich zumindest."

    "Es gibt nur einen Weg, das heraus zu finden." Cheng holte mit seinem rechten Bein aus und trat, kombiniert mit einer Drehung der Hüfte, kräftig dagegen. Der Pfahl stand noch gerade. Und er stellte fest, dass er ein wenig aus der Übung war. Sonst wäre es nicht so schmerzhaft gewesen.
    "Ich muss wohl etwas mehr üben. Früher hat mir das weniger ausgemacht." Er lächelte kurz verlegen.

    Cheng wischte ihre Träne mit seinem rechten Daumen weg. "Es ist ein langer Weg, der zur Klarheit führt. Ein langer und steiniger Weg. Durch meine Flucht aus Han war ich gezwungen, diesen Weg zu beginnen. Eine große Hilfe waren dabei die Schriften, die ich mitgenommen hatte. Und die Meditation über eben diese Schriften. Vielleicht, wenn du es möchtest, können wir uns ja abends treffen und meditieren. Vielleicht hilft es dir. Du musst zu dir selbst finden, dann wirst du alle Antworten erhalten. Aber ich fürchte, dass es ein schmerzhafter Weg sein wird. Es ist sicher hart, versklavt zu werden. Aber jetzt bist du doch frei." er dachte einen Augenblick nach. "Zumindest dein Körper ist frei. Deinen Geist musst du selbst befreien."

    "Wenn man nichts mehr über sich weiß, dann muss man sich eben neu erschaffen. Wen interessiert schon, wer man einst war? Ich war ein Adliger und Feldherr, aber ich bin es nicht mehr. Und egal, was ich auch mache, ich werde es nie wieder sein. Ich bin jetzt nur noch ein Wanderer. Und genau das bringt mich der Erleuchtung näher. Je mehr Gedanken man sich macht, umso mehr wird man leiden."

    "Zu glauben, ein Stück Land wäre Heimat, ist ein Irrtum. Heimat ist ein Gefühl. Dort, wo Freunde sind, wo man glücklich ist, wo das Herz ist, dort ist die Heimat. Genauso falsch ist es, zu glauben, dass man sich durch seinen Namen oder seine Heimat definiert. Man ist genau die Person, die man ist." Cheng machte eine kurze Pause. "Die Menschen versuchen, glücklich zu sein. Und sie versuchen dies, indem sie dem Glück hinterher jagen. Aber man kann das Glück nicht fangen. Glück ist wie der Wind. Es ist zwecklos, es zu jagen. es kommt von selbst zu den Menschen. Man darf es nur nicht erzwingen wollen."

    "Mir gefällt die Wüste nicht. Sie ist erbarmungslos. Und durch eine Wüste habe ich meine Heimat verloren. Außerdem bin ich lieber in einer Stadt. Obwohl ich am liebsten in den Hügeln am Jangtse war. Die grünen Hügel, mit ihren steil in den großen Fluss abfallenden Hängen. Einfach wunderschön." Er seufzte kurz.

    "Nabataei..." murmelte Cheng, während er nachdachte. "Nabataei... ja, durch das Gebiet dieses Volkes bin ich gegangen. Als ich von Tylus nach Westen zog. Man kommt durch das Zweistromland, überquert ein Gebirge und findet in diesen Bergen Petra, die Stadt im Fels. Eine wirklich faszinierende Stadt. Aber sie hat schon bessere Tage gesehen. Aber, so weit ich weiß, gibt es südlich davon nur Wüste. Ihr... du? Darf ich du sagen? Euren Namen kennt Ihr aber?"

    Cheng nickte. "Ja, von dort komme ich. Sehr weit im Osten. Das ferne Reich Han war einst meine Heimat." Er sah in Richtung mehr. "Es ist sehr schön hier. Auch wenn es nicht mehr hell ist. Hügel, Strand und Meer bilden eine gute Harmonie." Er ging neben sie. "Darf ich mich zu Euch setzen?"

    Nach einem langen Spaziergang ohne Ziel kam Cheng an diese Bucht. Sie war recht versteckt, aber er hatte sie ja auch nicht gesucht. Eine Frau, jedenfalls der Silhouette nach zu urteilen, saß dort einsam im Sand. Langsam ging er auf sie zu. Er hatte einen Wollmantel über seiner fernöstlichen Kleidung an, um nicht zu sehr aufzufallen. Die Geräusche seiner Schritte wurden durch das Rauschen des Meeres verdeckt, aber erschrecken wollte er sie nicht. Deshalb blieb er in einigem Abstand stehen und schaute auf das dunkle nächtliche Meer. Er stand wie eine Statue und sagte kein Wort.

    Nachdem das Loch ausgehoben war, stellte Cheng den Pfahl hinein. Ganz ohne Hilfe von Toxis ging das nicht, weil der Pfahl recht schwer war. In dem Loch stand er ein wenig wackelig. "Gibt es hier kleine Steine, um den Rest des Loches auszufüllen?"