Beiträge von Sun Cheng

    "Lass mich dir ein Zitat nennen. Es ist aus dem Tao Te King.


    Ohne aus der Tür zu gehen,
    kennt man die Welt.
    Ohne aus dem Fenster zu schauen,
    sieht man das Tao des Himmels.
    Je weiter einer hinausgeht,
    desto geringer wird sein Wissen.


    Darum braucht der Berufene nicht zu gehen
    und weiß doch alles.
    Er braucht nichts zu sehen
    und ist doch klar.
    Er braucht nichts zu machen
    und vollendet doch."


    Dann fügte er leise hinzu "Du brauchst das nicht zu verstehen, denke einfach nur drüber nach."

    Cheng lächelte. "Genau so ist es. Du hast es verstanden. Du solltest mehr Vertrauen in deine Fähigkeiten haben. Übrigens hattest du erwähnt, dass du früher eine Kräuterkundige warst und davor eine Nomadin. Kann es sein, dass deine erinnerung langsam wieder zurück kommt?"

    "Es ist nur ein Zeichen in meiner Sprache." sagte er lachend. "Der Grund dafür, dass man im Latein so viele Wörter dafür braucht, ist, dass es kein entsprechendes Wort in Latein gibt. Leben würde noch am besten passen, aber es hat nicht exakt diese Bedeutung."

    "Eine Silbe... nun, das ist..." Wie sollte er denn das jetzt erklären? "Also quasi, wenn du..." Er lächelte verlegen, versuchte aber dennoch, eine Erklärung zu finden. "Eine Silbe ist eine Gruppe von Lauten, die man in einem Zug aussprechen kann. Zum Beispiel Pen oder Si. Bei dir wäre das Pen-te-si-le-a. Übrigens heißt Te in meiner Sprache 'Was die Wesen erhalten, um zu entstehen'."

    "Und das ist auch nicht wichtig. Die Römer sind ein bemerkenswertes Volk, zivilisiert, wenn auch manchmal recht brutal. Das liegt aber daran, dass sie noch nicht erkannt haben, dass man Frieden nicht durch Gewalt schafft, sondern durch Mitgefühl. Mache deine Feinde zu freunden, und du wirst doppelt siegen." Er lächelte weise. Dann stellte er fest, wie lehrerhaft er damit wirken musste. Er sah zu Boden. "Entschuldigung, ich wollte nicht wie ein... nicht belehrend sein."

    "Ja, ich denke, dass man das Reich Han von seiner Größe her mit dem römischen Reich vergleichen kann. Aber wir haben mehr Menschen und müssen nicht alle unsere Grenzen verteidigen. Die meisten Nachbarn sind Verbündete. Das bringt ihnen viel mehr als unsere Feinde zu sein."

    Cheng lächelte. "Gerne." er stand auf und suchte ein Stück Treibholz. Dann zeichnete er einen Drachen in den Sand des Strandes. "Es ist zwar etwas schwer zu erkennen bei dem wenigen Licht hier, aber ich werde dir auch noch einen mit Tusche auf Papier zeichnen. Vielleicht schaffe ich es sogar, deinen Namen zu schreiben - in den Zeichen meiner Sprache."

    "Es ist ein wichtiges Symbol. Es symbolisiert den idealen Herrscher. Kräftig, energisch und weise. Alle Herrscher haben den Drachen als ihr, wie heißt es noch gleich, Wesen zu ihrem Schutz gewählt. Und auch die Gelehrten verehren ihn, weil er so weise ist. Große Feldherren wurden als Drachen bezeichnet."

    "Drachen sind große, echsenähnliche Wesen. Sie haben Zähne wie ein Tiger und glänzende Schuppen als Haut. An ihren Füßen sind mächtige Klauen und ihr Körper ähnelt dem einer Schlange. Sie sind unglaublich stark und sehr weise. Schon in der mythischen Vorzeit haben sie die Erde verlassen, weil die Menschen ihre Weisheit nicht zu schätzen wussten. Also beherrschen sie nun den Himmel. Und der himmlische Drache ist der weiseste von ihnen und herrscht über sie."

    "Wir glauben auch, das sie schon ewig existieren. Und irgendeiner dieser Sterne ist die Perle der Weisheit. Er wird vom himmlischen Drachen verteidigt." Er sah sich die Sterne genau an. Nach einer Weile hatte er, was er suchte. "Das sternbild des Drachen kann ich dir zeigen. Hier beginnt er..." Er zeigte auf einen Stern und fuhr dann mit seinem Zeigefinger die Konturen des Sternbildes nach, bis er beim letzten Stern angelangt war.

    Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Glaube mir, alles wird gut." Früher, als Offizier, konnte er so den Soldaten vor einer Schlacht immer etwas Mut geben. Natürlich war das hier eine andere Situation, aber er war sich sicher, dass er noch immer durch seine Gestik ein wenig aufmunternd wirken konnte.