Als Avianus eintrat, wusste Durus für einen Moment nicht, ob er zufrieden lächeln oder nachdenklich dreinblicken sollte. Man konnte tatsächlich nicht wissen, wie sich die Dinge entwickeln würden - vielleicht würde der Sturm heftiger werden, als sich das irgendwer wünschen konnte...
"Salve, Aurelius. Dann sind wir ja komplett und können mit dem Essen beginnen!"
stellte der alte Tiberier fest und bot auch dem Nachzügler seinen Platz. Dass Ahala - wie üblich - noch nicht anwesend war, war zum einen zu erwarten gewesen, zum andern nicht weiter problematisch, da er ohnehin selten etwas sagte.
Als Vorspeise wurden Meeresfrüchte in einer säuerlichen Sauce gereicht, davor gab es wie üblich ein wenig Mulsum. Durus begann das Tischgespräch mit einigen Geschichten aus den Gerichtshallen, wo er zuletzt einen älteren Herrn und seine Frau vertreten hatte, die einem betrunkenen Pöbler, der ununterbrochen an ihre Haustür geschlagen hatte, einen Nachttopf auf den Kopf geworfen hatten. Unglücklicherweise hatte das ungewöhnliche Wurfgeschoss den jungen Mann tödlich getroffen und - noch unglücklicher - hatte es sich um den Sprössling des Procurator Annonae gehandelt, der prompt Anzeige wegen Totschlags erstattet hatte. Wie es sich herausgestellt hatte, war der junge Mann schon öfter vor dem Haus aufgetaucht, da die Tochter des Hauses offensichtlich sein Interesse geweckt hatte - es war zu einem Freispruch gekommen.
Zum Hauptgang, der aus einem scharf gewürzten Schweinebraten und gedünstetem Sommergemüse bestand, berichtete Durus dann von den neuesten Schandtaten des Praefectus Urbi. Insbesondere erging er sich über die Einsetzung des Marius Turbo als Legatus Augusti pro Praetore in Dacia, wo immerhin zwei Legionen und eine Ala Milliaria lag.
Damit ging die Sache langsam in die gewünschte Richtung und nachdem die Sklaven die Nachspeise aufgetischt hatte - es gab süßen Kuchen, der mit Rosinen gespickt war - gab Durus Lukios das Zeichen, die Sklaven hinauszuschicken. Als der Sklave dann die Tür verschlossen hatte, legte Durus seine Serviette beiseite und sah ernst in die Gesichter der Anwesenden.
"Meine Herren, wie wir sehen, drängt die Zeit. Ich werde daher ohne Umschweife zur Sache kommen: Wir haben uns heute versammelt, um uns über einen potentiellen Nachfolger für Valerianus zu einigen.
Ich hatte angekündigt, meine Augen und Ohren offen zu halten und habe daher einen möglichen Kandidaten ausgemacht. Es handelt sich um den Consular Appius Cornelius Palma. Da manche ihn vielleicht nicht näher kennen dürften - er war in den letzten Jahren etwas ruhiger um ihn geworden - möchte ich kurz etwas zu seiner Vita sagen:
Er stammt aus dem angesehenen und bereits seit vielen Generationen im Senat befindlichen Haus der Cornelii und diente unter dem göttlichen Traianus im Krieg gegen die Daker. Hier wurde er bereits mit dem damaligen Kaiser bekannt und schloss - das kann man wohl sagen - etwas ähnliches wie Freundschaft mit ihm. Wie wir wissen, verstarb Traianus aber kurz darauf, sodass auch Palmas Karriere nicht allzu stark befördert werden konnte. Zumindest hielt er sich jedoch während der Wirren weitgehend heraus.
Er bekleidete Volkstribunat und Praetur und diente unter Iulianus als Iuridicus in Mauretania, dann als Legionslegat der VIII Augusta in Germania. Während seiner Zeit dort machte er sich auch bei den Aufständen unter Germanicus Sedulus verdient und wurde von Iulianus ausgezeichnet. Scheinbar gewann er dort auch das Wohlwollen des Kaisers, denn DCCCLV A.U.C. folgte dann ein Consulat, dann die Cura Aquarum in Rom und schließlich das Legatenamt in Syria, wo er ebenfalls militärischen Ruhm bei einigen kleineren Aufständen erwarb. Iulianus ließ dementsprechend DCCCLVII A.U.C. sogar ein zweites Consulat zu, ehe er nach Asia ging - als Amtsvorgänger von Calpurnius Piso.
Zur Zeit ist er wieder in Rom, kommt regelmäßig in den Senat und unterhält Kontakte zu einigen Kreisen, die im unsrigen bisher noch nicht vertreten sind - allerdings meldet er sich, wie gesagt, nicht allzu häufig zu Wort, was wiederum den Vorzug hat, dass er meines Erachtens bisher kaum eine senatorische Partei gegen sich aufgebracht hat.
Ich habe in letzter Zeit hin und wieder mit ihm gesprochen - unter anderem auf meiner Hochzeit, wer ihn gesehen hat. Ich denke, er wäre eine geeignete Möglichkeit: Zum einen sieht er den aktuellen Kaiser kritisch - ohne dies allerdings weit zu verbreiten - andererseits ist er ein verdienter General des Divus Iulianus, sodass es eine gewisse Bindung an das Kaiserhaus gibt, die seine Einsetzung vielleicht nicht völlig abwegig erscheinen lassen. Darüber hinaus erscheint er mir als Mann mit guten Einstellungen und als Verfechter der Mores Maiorum, während er zugleich ein gewisses Ansehen als Soldat und zwei Consulate vorzuweisen hat.
Der Nachteil ist selbstverständlich, dass wir alle ihn nicht besonders gut kennen und ich ihn noch nicht in unsere Verschwörung eingeweiht habe. Nach allem, was ich mit ihm reden konnte - vor allem nach ein paar Bechern Wein, die die Wahrheit etwas klarer zutage treten ließen, dürfte seine kritische Einstellung gegenüber Valerianus und vor allem Vescularius ausreichen, um ihn auf unsere Seite zu bringen - vor allem, wenn ihm dafür der Kaisertitel winkt.
Dennoch habe ich auch noch eine Alternative anzubieten, die - besonders im Augenblick"
Er sah kurz zu Lucianus, der direkt neben ihm den Platz des Ehrengastes einnahm.
"absolut naheliegt. Ich spreche natürlich von dem hier anwesenden Vinicius Lucianus. Wie wir wissen, hat er sich ex caligae aus dem Militär zum Senator hochgearbeitet, war DCCCLVI A.U.C. Consul und war Statthalter in Germania - dem damals noch ganzen. Darüber hinaus ist er mit Aelia Paulina, einer leiblichen Cousine von Valerianus verheiratet und war Klient des Divus Iulianus, was seine Wahl als potentieller Ersatznachfolger durchaus plausibel machen könnte. Der hervorstechendste Vorteil ist aber sicherlich, dass wir alle ihn kennen und schätzen und von seiner Weisheit und seinen lauteren Zielen absolut überzeugt sein können."
Nun lächelte er Lucianus an. Natürlich hoffte er, dass dieser seit dem letzten Gespräch noch einmal in sich gegangen war, seine Chancen und Risiken abgeschätzt hatte und daher heute sagen, ob er dieses Amt anstreben wollte - und ob er wirklich ein geeigneter Kandidat war!