Beiträge von Servius Artorius Reatinus


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    Alexandros



    So etwas wie ein Aufseher war Alexandros, aber sah er dies nie so streng und ging mit dem ihm anvertrauten Aufgaben sehr vorsichtig um. Fast schon zu vorsichtig, mochte man meinen! "Ja, das ist egal. Aber sie muss gerecht verteilt sein. Der Herr sagt, wenn die Arbeit ungerecht verteilt ist, würde der Hausfrieden zu Bruch gehen." Denn friedlich war es in diesem Hause, und jeder wusste, was er wo und wann zu tun hatte. Auf die letzte Äußerung von Bashir lachte der Grieche.
    "Danke für die Blumen", erwiderte er, "Aber nein, ich bin so etwas wie der Oberste der Sklaven. Der Herr verlässt sich auf mich, dass ich ein die anderen richtig einweise."

    Nein, Reatinus hatte keine Wünsche, die unerfüllt geblieben waren, mit Ausnahme, in der II. zu bleiben. Aber auch sein Sklave konnte ihm da nicht groß helfen, war er sich sicher und winkte auf die Frage entschlossen ab. "Du kannst dann wieder an deine Arbeit", sprach der Artorier und erhob sich, seine privaten vier Wände aufzusuchen.

    Reatinus fuhr sich mit der Hand durch die Haare, "Weißt du, ich habe als Probatus hier angefangen. Habe Rom, meine Heimat verlassen und hier so etwas wie eine zweite Familie gefunden. Und meinen Patronen. Jetzt muss ich das hier schon wieder verlassen." Reatinus war zwar Soldat und somit hart genug, den Tränen nicht nahe zu kommen, aber Wehmut löste diese Sache schon aus...


    "Auch nicht, wenn man will", fragte der Praefectus lachend, "Ein Brief und ein Geschenk? Kann ich mitnehmen, aber ob ich nach Rom komme, ist eine andere Frage."

    Der Patron und sein Verwandter kamen die Tribüne hochgeschritten und alle Blicke lasteten nun auf den hohen Offizieren hier vorne. Reatinus wandte sich den beiden Viniciern entgegen, die dort kamen und fand es interessant, Hungaricus nun unter vier Augen zu sehen. Auch der restliche Stab, die ganzen ritterlichen und senatorischen Tribuni, verfolgten das Näherkommen der beiden Vinicier mit, als würde Mars höchstpersönlich auf das Tribunal schreiten. Wäre Reatinus selbst nicht gegangen, wäre das immerhin sein neuer Vorgesetzter gewesen. Der Artorier machte seine Haltung stramm, stand da wie ein makellos angefertigter Zinnsoldat und gab zur Meldung:


    "Nuntio!


    Die Legio II Germanica hat sich mitsamt ihres Stabes zum Appell eingefunden! Die Männer erwarten deine Rede, mein Legat!"

    Der gesamte Sklavenhaushalt von Reatinus war heute auf Hochtouren gewesen. Jeden einzelnen Sklaven hatte er damit beauftragt, die Centuriones der Legion darüber zu informieren, dass noch vor der Mittagszeit ein Appell stattfinden würde. Das Lager geriet in recht kurzer Zeit in ein geschäftiges Treiben, die Straßen des Lagers waren gefüllt mit Soldaten, die zielstrebig in Richtung des Exerzierplatzes unterwegs waren. Die Sklaven schienen gute Arbeit geleistet zu haben, dachte Reatinus. Einmal hatte er selbst zu diesen Männern gehört, die dort unten standen. Reatinus wartete schweren Herzens auf dem Tribunal, bis sich die gesamte Legio II dort versammeln würde. Er sah hinab zu den Centuriones und Optiones, den Legionarii und Probati. Jeden dieser Dienstgrade hatte er selbst durchlaufen. Und jeden hatte er in der Legio II durchlaufen. Er war hier praktisch groß geworden. Jetzt war es an der Zeit, zu gehen, was Reatinus schweren Herzens tat. Reatinus´ Füße wurden so langsam unruhig und er begann, auf der Stelle zu gehen. Und noch war die Legio II nicht vollständig. Noch war nur ein Teil des gesamten Stabes hier anwesend.
    Nachdem sein Soldatenleben in der II. einmal imaginär durch sein Hirn schoss, waren die Cohorten und Centurien endlich mitsamt ihrer Offiziere zur Stelle. Es war eigentlich ein schwerer Schlag für Reatinus, denn sein Abschied rückte nun sehr nahe. Er hoffte, dass dies hier nicht sehr lange dauern würde. Sonst wären diese Momente des Abschiedes die reinste Qual für den scheidenden Praefecten. Reatinus sah in die stocksteif stehende Menge aus disziplinierten Soldaten und feuchtete sich die Kehle an. Ein letztes Mal würde er seinem alten Ruf als "Schreihals" gerecht werden.


    "Milites, State!!"


    "Aciem dirigite!!"


    "Oculos vostros ad sinistram!!"


    "Oculos ad prosam!!"

    Zufällig war es der amtierende Preafectus Castrorum höchstpersönlich, der bei einem geschäftlichen Gang durch das Castellum gerade auf der Via Preatoria abbiegen wollte, seinen eigentlichen Arbeitsplatz in der Principia aufzunehmen. Nicht schlecht fielen seine Blicke aus, als er an der Porta aus den Augenwinkeln den Zug des nächsten Viniciers erblickte, der das Amt seines Patronen einnehmen würde. So bog der Artorier doch nicht ab, sondern blieb mit leicht geöffneten Lippen stehen, ehe er sich fasste, dem Zug des angehenden Legaten entgegen zu halten. Alles war im Wandel, hatte ihm schon sein Vater beigebracht. Und so würde auch Lucianus sein Amt in Germanien abgeben. Und er seines auch. Sehr bald...


    Die Wache an der Porta Praetoria wollte die wartenden Leute hingegen schon mit der üblichen Routine bei Laune halten. Fragen, wer der Kerl in der Reisekutsche mit seiner Familie überhaupt sei. Ob sie Waffen hätten. Ob sie den Weg wüssten. Wer die restliche Begleitung da sei. Doch dies unterband Reatinus schnellstens. Immerhin war das nicht irgendwer, sondern der Legat mit seiner Familie!


    "Schon gut, Soldat! Lass den neuen Legaten ziehen", rief Reatinus und ließ den Wachmann einige Schritte zurücktreten.


    Reatinus wandte sich an den Unbekannten an der Spitze des Zuges.
    "Salve und herzlich willkommen in der Legio II", grüßte er und besann sich, dass man bei Kommandowechseln immer einen formellen Appell hielt, "Richte dem Legaten bitte aus, dass ich alles Nötige für einen Appell veranlassen werde. Wir sind schon auf die Ankunft des neuen Legaten vorbereitet, es kann sofort anfangen." Der eigentliche Dienst müsste dann warten. Oder zumindest, was davon übrig blieb, denn Reatinus würde ja bald verabschiedet werden. Als er dies merkte, stockte er ein wenig.
    Letzten Endes winkte Reatinus die Leute des Legaten ab und erinnerte sich an seine Zeit vor der Porta.

    "Ja, das ist sie. Das schöne, warme Italien. Obwohl mir der germanische Winter zum Hals raushängt, fällt es schwer, zu gehen." So wie Reatinus als junger, unerfahrener Mann gen Norden zog, um seine Grundausbildung zu beginnen, so würde er als verabschiedeter Praefect wieder zurück in seine Heimatprovinz zurückkehren. Gänsehautgefühl sollte ihm sicher sein.


    "Sehr schön zu wissen, dass ich auch weiterhin Kontakt zur Gens Iulia halten kann. Ich werde ihm früher oder später sicher auch begegnen. Soll ich ihm einen Gruß ausrichten", fragte Reatinus nach.

    "Ihre Kinder kreuzigen", wiederholte Reatinus mit angewidertem Unterton und hätte gerade eine solche Vorgehensweise nicht von seinem langjährigen Kameraden erwartet, "Ich würde lieber selbst am Kreuze hängen, als jene zu strafen, die unschuldig sind. Man straft die Täter, mein Freund, nicht die Opfer." Vor allem sprach es gegen seine Moral (ja, auch Reatinus hatte das noch), Kinder zu kreuzigen wegen eines Tribunen, dessen Verschwinden letzlich ungeklärt war. Vielleicht war der gute Mann der Arbeit überdrüssig und ist ihr entflohen? Was natürlich nichts daran änderte, dass Banditen wirklich eine Plage waren.

    "In Ordnung. Aber krempelt nicht das ganze Haus um, die großen Sachen werden noch dran kommen! Später", mahnte Reatinus und begann, sich Gedanken über sein Tribunat zu machen. In der Legio Prima diente sein Bruder. Und er wusste noch nicht, dass sein eigenes Fleisch und Blut auch noch dort dienen würde...
    Auf den Dank des Parthers hin nickte Reatinus nur schweigsam.

    "Nichts zu danken. Meinen Nachfolger zu informieren, ist meine Pflicht", nickte Reatinus lächelnd. Ach, sein Tribunat mal wieder. Bald würde die Zeit kommen, dass er dort hingehen würde. Noch ahnte er nicht, dass dort sein Sohn war, den er schon seit Jahren aus den Augen, aber nicht aus dem Herzen verloren hatte. Auch heute noch fragte sich Reatinus, was er machen würde. Er war sicher schon zu einem jungen Mann herangereift...


    "Nun, in der Legio Prima. Ich muss zugeben, es schmerzt, diese Legion zu verlassen. Sie ersetzte quasi meine weit entfernt lebende Familie."

    "Sehr gut. Ihr werdet Genaueres auch noch erfahren", antwortete Reatinus und hielt einen Moment lang inne. Er musste sich vor allem jetzt auf die Sklaven und Personen in seinem Umfeld verlassen können. Die Bitte des Parthers überraschte ihn zugegebenermaßen ein wenig, doch er wollte dem nicht im Wege stehen. Die paar Sesterzen würden ihn nicht ruinieren.


    "Es sei dir erlaubt. Und du kannst Latein schreiben?!" Reatinus entdeckte in den Parther wohl noch eine Fähigkeit, denn er wusste bis jetzt noch nicht, dass er Schreiben konnte. Das konnten nicht alle Sklaven.

    Der Iulier konnte wohl auch Reatinus das Wasser reichen, vermutete dieser und nippte kurz an seinem Wein. "Ein Tipp: Lieber fragen, bevor man etwas Falsches macht", gab der Artorier zur Antwort und beugte sich über den Tisch, verschränkte die Arme ineinander.


    "Normalerweise brauchen wir nur Grundnahrungsmittel. Gehobene Nahrung wird normalerweise nicht verspeist. Außer zu besonderen Anlässen, da waren wir bis jetzt ergiebiger."

    Reatinus selbst versuchte immer wieder aufs Neue, sich an seinen heißen Wein heranzutasten, mit geringem Erfolg. Dies tat er so lange, bis er beschloss, eine längere Zeit abzuwarten. Irgendwie freute er sich über etwas Warmes, mit dem man sich die Kehle begießen konnte, aber dass man sich diese gleich verbrannte, damit hätte der Artorier wohl nicht gerechnet. So legte Reatinus den dampfenden, noch bis zum Rand gefüllten Becher beiseite und fing an, mit den Fingern auf den Tisch zu klopfen. Dies nicht aus Langeweile, doch er wusste an manchen Stellen nie, was er mit seinen Händen anfangen solle!


    "Ja, kürzer", brachte Reatinus das Seufzen zustande, welches Crispina vermied, "Aber wer hier lebt, lernt es, sich auch darauf zu freuen und einfach das Beste daraus zu machen. Später kommt man nach Italien zurück und beschwert sich über die Hitze und den langanhaltenden Sommer." Reatinus dachte an sein Zuhause. Seinen Vettern, seinen Bruder und nicht zuletzt auch seinen Sohn, dessen Mutter bei der Geburt starb, welcher schon Volljährig sein musste. Was würde seine Familie machen, während Reatinus hier in Germanien allein war? Er sah zu seinem Familienring, welcher sich nebst des Fingers befand, an der sein Statussymbol, der Ritterring, war. Crispina riss ihn jedoch wieder aus den Gedanken. Seine Finger beruhigten sich wieder.


    "Weil ich ein Verrückter bin", grinste Reatinus, "Nein, wohl eher wegen des Pflichtbewusstseins. Ich wollte schon immer Rom beschützen und dem Kaiser dienen. Ich dachte, als Soldat wäre das die beste Möglichkeit." Die strahlenden Augen hingegen betäubten den Artorier wieder. "Die Medizin ist vielfältig. Was möchtest du genau wissen", fragte Reatinus unscheinbar.


    "Die Pferdezucht befindet sich außerhalb der Stadt, jenseits der Westmauer der Stadt. Ich habe gerade 24 Pferde, Vollblüter."

    Auch Reatinus verfolgte das Geschehen um den Kleinen von Crispus mit und grinste dabei unverhohlen. Während Lucius sich auch nicht für Schnecken begeistern ließ, war es doch pure Ironie des Schicksals, dass Reatinus´ Teller bis auf das glitschige Kleintier vollkommen leer war. Der Vater hingegen versuchte mehr oder weniger erfolgreich, den Jungen für diese Speise zu begeistern.


    "Das sind jedoch nicht solche Banditen, wie damals in Borbetomagnus", erwiderte Reatinus mit ernster Mine und legte seinen Teller beiseite, "Die setzen alles auf Tarnung, zumeist gelingt es ihnen. Sie operieren im Untergrund, wer weiß, ob sie sich dabei noch untereinander aufteilen. Nur keine Aufmerksamkeit erwecken. Die Legion kann nur Räuber hopps nehmen, über die sie bescheid weiß. Eine Suche würde lang dauern, mit geringer Aussicht auf Erfolg." Auch wenn Reatinus nun klar wurde, wie schwerfällig die Legion doch manchmal sein konnte.

    "Nur keine Scheu", grinste der Artorier und lehnte sich zurück. Nun, ob er mit der Macht klarkommen würde, müsste sich noch herausstellen. Es war generell so, dass man dies erst im Nachhinein herausfand.
    "Normalerweise halten wir uns irgendwie über Wasser. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass uns das Geld ausgeht, können wir Unterstützung aus dem Staatsschatz erbitten. Ansonsten - gib Geld aus, wenn du musst. Unsinnvolle Investitionen sind reinste Verschwendung.

    Da der Hausherr nun zugriff, wollte Reatinus es sich nicht nehmen lassen, ebenfalls zu essen. Er wollte immerhin seinen Magen zur Ruhe bringen, welcher immer unruhiger wurde. Dabei ließ er die exotischeren Vorspeisen wie Schnecken außen vor und vergriff sich lieber an den ihm bekannten Salat und den Eiern. Während Bissen für Bissen von seinem Mundwerk verarbeitet wurde, schnitt Iustus ein Thema an, welches die Legio II wohl nie wirklich loslassen wollte.


    Er schluckte seinen Bissen kräftig runter und entgegnete zu dem leidigen Thema "verschwunder Tribun":


    "Nein, es gibt nichts Neues. Und ja, Crispus. Alienus ist verschwunden und wir wissen bis heute nicht, wo der gute Mann ist. Eine tragische Sache, und genauso merkwüdig. Von einem Moment auf den anderen...", Reatinus schnippste threatralisch, "... war er weg!" So. Und jetzt war der Spargel dran.