Außerhalb merkte man nichts davon, was sich in Reatinus Gedanken zu eben jener Nacht abspielte, als auch das III. Contubernium die Nachtwache schob. Reatinus lag einfach auf der Pritsche, wie es wohl jeder andere auch tat, wälzte sich jedoch auffällig oft umher. Was einem aber gänzlich verborgen blieb, waren Einblicke in Reatinus´ Gedankengänge, seine schnellere Atmung, sein Herzklopfen. Der Optio träumte. Er erfuhr einen Alptraum, der ihn noch lange verfolgen würde. Einige Male musste er jedoch leise aufstöhnen, eine Schweißperle floss ihm das Gesicht hinunter, hinterließ einen wässrigen Faden auf Reatinus´ Stirn. Eine starke Windböhe trocknete jedoch Reatinus Gesicht, die durch die Stoffe des Zeltes ging.
Ein germanischer Wald. Dicht bewuchtert mit Wurzeln, Büschen, Bäumen und allem, was man in einem dunklen, trostlosen Wald eben finden konnte. Ein dichter Nebel, der den Himmel unsichtbar werden ließ bedeckte die Erde. Reatinus rannte zu diesem Zeitpunkt wie besessenen durch den Wald. Er wusste nicht, wieso. Er wusste nicht, weshalb. Er hatte überhaupt kein Ziel. Einfach nur rennen. Schnell. Weg hier.
Wie ein Schemen raste er an den braunen Baumstämmen vorbei. Nichts verfolgte ihn, er wollte einfach schnell sein, irgendetwas Bestimmtes sehen. Im Lauf japste Reatinus, der eigentlich so gut konditioniert war. Doch er kam bald an. Hinter tausenden von Bäumen erblickte Reatinus seinen Bruder, Artorius Imperiosus, und Avitus. Und Medeia und die ganze restliche Familie. "Heeeh!! Wartet, ich komme!", schrie er und rannte noch schneller. Doch er stolperte an einer Wurzel. Er fiel krachend und sich verdreckend zu Boden.
Doch in Wirklichkeit lag Reatinus auf seiner Pritsche, atmete rasend schnell und schwitzte so, dass selbst die Windböhen ihn nicht mehr trocknen konnten. Sein Herzschlag schnellte in die Höhe. Dabei wusste Reatinus selbst nicht mehr, wann er so etwas wie Furcht... oder Angst... empfand.
"Beeil dich Reatinus!", rief die Gens dem im Traum noch weit entfernten Artorier hinüber und winkte einladend. Er war willkommen. Reatinus kam wieder auf die Beine, rannte so schnell, wie er noch nie gerannt ist. Doch er kam nie an. Mit jedem Schritt entfernte sich die Familie ein Stück weiter von Reatinus. Reatinus bekam fast keine Luft mehr, so schnell sprintete er. Doch er kam nie an. Er kam nicht dazu, seine Familie in die Arme zu schließen und hörte nichts anderes mehr als "Beeil dich, schnell!". Doch schon wieder stolperte Reatinus über ein Unterholz. Nochmal hörte er: "Beeil dich, beeil dich!". Er blickte hinauf und sah, wie seine Familie verschwand, immer weiter in die Dunkelheit, in das trostlose Nichts. Doch Reatinus konnte nicht aufstehen. Seine Beine waren zu schwer, irgendetwas machte es ihm unmöglich. Eine Träne floss Reatinus die Wange hinunter und er fing an zu schluchzen, bis er endgültig in Tränen ausbrach. Der allein gelassen Artorier streckte nur seine Hand in die Richtung der verschwindenden Familie und schrie, beinahe wie ein Echo klingend: "Neeein!!! Kommt zurück!! Vergesst mich nicht, vergesst mich nicht!!"
"Nein!!", schrie auch Reatinus in der realen Welt und erwachte. Ruckartig zuckte der Optio auf und fuchtelte einige Sekunden lang mit den Armen. Dann nahm er langsam wahr, dass er geträumt hat - und dass er völlig schweißgebadet war. Er lag auf dem Graßboden neben der Pritsche und verspürte einen stechenden Schmerz im Rücken und auf dem Hinterkopf. Kreidebleich richtete sich der Optio wieder auf, versuchte, den Traum zu intepretieren. Er hatte doch Sehnsucht nach seiner Familie in Rom... aber dass es so schlimm wäre? Nunja, auch ein Mann, ein Optio, ein Soldat... ein Mensch... konnte das nicht unterdrücken. Sich das Gesicht reibend setzte sich der Artorier auf seine Pritsche und hielt inne. Hoffentlich schliefen die Legionäre von der Arbeit des letzten Tages tief und fest. Nicht dass jemand Reatinus´ Schrei gehört hat. Auch wenn es nicht allzu schwer war.