Vielleicht war es gerade die Faszination von Schauergeschichte, wilden Ungeheuern und gefährliche Feinden- den Germanen- was die Menschen stets so anlockte und begierig machte, die Geschichten zu erfahren. So etwas vermutend, wenngleich Marcus es mehr intuitiv fühlte und weniger als einen durchdachten Gedanken in sich verspürte, lächelte er andeutungsweise und dann doch breiter als er Epicharis bestürmende Fragen vernahm. Da er es tunlichst vermieden hatte mit den Germanen längeren Kontakt aufzunehmen und nähere Interaktionen oder Gespräche mit ihnen vermieden hatte, wußte Marcus auch nur ein wenig mehr als es vielleicht Epicharis tat. Nur eine Erfahrung hatte ihm mehr vom Leben der Germanen gezeigt als es ihm lieb war, denn da lag er als römischer Gefangener im Lager einiger Chatten und litt noch unter den schweren Wunden einer germanischen hasta und eines Pfeils, wäre fast von dem Todesboten in die Unterwelt geleitet worden. In manchen der Nächte in dem Zelt hatte er schon gemeint die Stimmen aus Plutos Reich deutlich vernehmen zu können, den dunklen Timbre seines Vaters- den er nie in seinem Leben vernommen hatte- oder das wütende Gekeife seiner ersten Frau. Wahrscheinlich war Letzteres was Marcus davon abgehalten hatte in jenen Wochen das Boot des Fährmannes zu betreten, denn die Aussicht der Frau im Jenseits noch mal zu begegnen oder gar in den Tartarusqualen eine Ewigkeit mit ihr zusammen bleiben zu müssen, hatten Marcus wieder neue Kräfte verliehen. Marcus dachte einen Augenblick darüber nach, was er in den Wochen über das Leben der Germanen- es war, wie die Götter wußten, sehr wenig- aber doch genug, um einige Sätze zu den Fragen von sich geben zu können. Ein breites Schmunzeln glitt über seine Gesichtszüge ehe er antwortete.
„Der späte Frühling, der Sommer und der Herbst sind eigentlich meist frei von Schnee. Nur im Winter liegt dort in Hülle und Fülle von der weißen und kalten Masse, so viel, daß sie sogar eigene Schuhe für den Schnee erfunden haben und darüber hinweg gleiten können, wie ein Boot über Wasser. Aber ja, sie sind ein rauhes Volk, haben wenig Manieren, sind oftmals sehr ehrlos, besonders die Männer, die kein Wert auf ihr Wort legen und lügen und betrügen, aber sie kochen ihr Fleisch durchaus, wenn es geht. Denn Holz gibt es in Germania noch mehr als Schnee. Wälder, überall Wälder, soweit das Auge blicken kann. Und sie haben nicht nur viele wilde Wölfe, sondern auch Luchse, riesige Bären und Wildschweine. Und den Wölfen sollte man im Winter in der Tat nicht alleine begegnen. Ich sage Dir, Germania ist kein Land zum Reisen.“
Marcus erschauderte noch mal, hatte nicht wirklich das Bedürfnis jemals wieder in dieses Land zurück zu kehren. Nein, wollte er freiwillig verreisen und seine Heimat verlassen, er hätte ganz andere Ziele vor Augen. Wann es dazu jedoch kommen konnte, wußte Marcus ebenfalls im Augenblick nicht, bestimmte doch immer noch die legio sein Leben. Er nickte bedächtig bei den Worten der sponsalia, was ihm jedoch in den Sinn brachte, daß ihn Epicharis etwas zur Musik schon vorher befragt hatte. Marcus grübelte und grübelte. Hatte sie gefragt, ob er musizierte oder Musik mochte? Marcus war sich sehr unschlüssig und wollte sich selber nicht in Verlegenheit bringen. Daß er ein Instrument- und das mit einer großen Freude- spielte, verriet er nur sehr selten, war es doch mehr eine Beschäftigung von Griechen und Sklaven oder griechischen Sklaven, nicht unbedingt für einen Patrizier.
„Oh, für Musik wird mit Sicherheit gesorgt werden. Was ist denn schon ein Fest ohne Musik? Nein, das geht nicht. Außerdem ist Musik ein wundervolles Lebenselexier. Sie ist wundervoll für das Gemüt und die Seele, findest Du nicht auch?“
Sollte er damit ihre Frage nicht beantwortet haben, würde sie sicherlich noch mal nach hacken, da war sich Marcus sicher, oder er glaubte es zumindest. Ebenso bedächtig nickte er bei ihrer folgenden Antwort, lächelte freundlich und als er ihre kecken Worte vernahm, verbreiterte sich sein Lächeln zusehend, er lachte sogar leise und unbekümmert. So nahm er das mit dem Theater doch weniger enttäuscht auf, als er vielleicht sonst es empfunden hätte- Marcus konnte das Theater nun mal nicht ausstehen und die Stücke, die er mochte, würden bei den meisten Römern seines Standes als niveaulos gelten oder gar vulgär. Ob Epicharis bei einem solchen Straßentheater schockiert wäre? Immer noch war das gut gelaunte, leicht verschmitzte Funkeln in Marcus Augen zu erkennen. Er beugte sich verschwörerisch vor und raunte leise.
„Vielleicht wird Dir auch noch die Gelegenheit gegeben sein, ohne daß jemals ein tratschender Römer davon erfahren könnte, auf dem Rücken eines Pferdes sitzen zu können und über die Felder zu preschen. Denn ich halte von einer Frau, die das tut, nichts Schlechtes, im Gegenteil.“
Marcus schmunzelte, meinte das durchaus ernst dabei, und lehnte sich zurück. Die vorwitzige Strähne schien ihn dabei jedoch weiter, wie schon seit einigen Herzschlägen, herauszufordern. Erst konnte sich Marcus noch beherrschen, doch dann, als er schon zu sprechen anfing, hob er die Hand neben Epicharis- die vorher auf dem Brunnenrand lag- und strich an ihrer Strähne entlang und berührte hauchzart ihre warme Haut am Hals. Dabei lachte er wieder dunkel und doch gelöster.
„Oh, wenn ich nicht in der legio bin? Das ist nicht so einfach zu beanworten. Eigentlich hatte ich früher wenig Zwänge, hatte somit wenig das Muß schon im Morgengrauen aufzustehen, tat es meist eher später, da ich doch die halbe Nacht wach war. Ich habe die Jahre zuvor viel mit Reisen verbracht, ich jage sehr gerne, bin sehr gerne in der Natur unterwegs oder den großen Städten. Und ja, ich habe gerne meine Kinder um mich herum. Besonders am Tag. Deswegen haben mich meine beiden Kinder stets auf alle Reisen mit begleitet. Ich werde schon sehr froh sein, meine Kinder- wenn ich die legio verlasse- wieder mehr um mich herum zu haben. Ja, es ist meine zweite Ehe...“
Marcus verharrte kurz in seiner Bewegung an Epicharis Haarsträhne als er den letzten Satz sprach. Lächelte etwas weniger strahlend, doch er schob schnell jeglichen Gedanken an die erste Ehe beiseite.
„Und Du, Epichars? Wie verbringt einer der schönsten Frauen Roms ihre Zeit?“