Beiträge von Marcus Flavius Aristides

    Mit einem Seufzen setzte sich Marcus und nickte dankbar. Nachdem er den halben Vormittag hatte stehen müssen, es war einfach keine Zeit für seinen kleinen Hocker, den er stets auf dem Exzerzierplatz hatte, nun seitdem schmerzte auf jedenfalls sein Rücken ordentlich. Daß es eher ein Befehl war, war natürlich einfach zu subtil wieder für Marcus. So nahm er es hin, wie es die Worte ihm offenbarten. Seine Gedanken waren auch schon bei einer ganz anderen Sache. Wie sollte er am Besten sein Anliegen anbringen? Alles wollte er natürlich nicht seinem centurio offenbaren, hätte es wohl niemandem außerhalb der Familie erzählt. Aber einige Worte über die Hintergründe seiner Reise würde er wohl oder übel verlieren müssen.


    “Ja, danke, centurio. Nun, mein erstes Anliegen ist privater Natur. Meine Tochter, Flavia Arrecina, ist seit einer Weile auch in Mantua. Es ist so, daß es seit einigen Wochen mit ihrer Gesundheit im Argen liegt. Du weißt ja sicherlich, Frauen sind immer so empfindlich. Ich möchte sie nach Rom bringen, damit sich ein medicus sie dort mal genauer anschauen kann.“


    Daß er eher Gracchus um Hilfe bitten wollte, ließ er natürlich unerwähnt. Er wollte ja nicht, daß sein centurio von dem Fluch- Marcus glaubte immer noch fest daran- wußte.


    „Außerdem würde ich gerne meine Familie an den Saturnalien besuchen. Es ist so eine Tradition seit einiger Zeit bei uns. Ich wollte Dich um einige freie Tage dafür bitten.“


    Marcus lehnte sich etwas zurück, seine Rüstung knarrte und er sah seinen vorgesetzten Offizier abwartend an.

    Gespannt verfolgten die anderen Soldaten diese kleine Szene zwischen ihrem vorgesetzten Offizier und einem anderen ranghöheren Soldaten. Wenn es gerade keiner sah, wechselten sie Blick als ob sie Wetten austauschen wollten, wer hier den Kürzeren ziehen würde. Priscus, mit seinem berechtigten Anliegen, oder doch eher der fanatische Appius, der für die Ordnung alles tun würde. Appius sah Priscus stumm an und überlegte. War das der richtige Dienstweg? Eigentlich nicht! Da war er sich sicher. Natürlich könnte er noch mal sein Handbuch wälzen und nachschlagen, ob es nicht Ausnahmen gab. Schnell warf er einem Soldaten einen vernichtenden Blick zu als dieser seine Hand nach der Acta ausstrecken wollte. Wie von einem Peitschenhieb getroffen, zog dieser die Hand schnell zurück. Vorsichtig schob Appius die Tafeln auf seinen Armen fester zusammen, damit auch Rand auf Rand lag, und wog den Kopf hin und her.


    „Das Protokoll? Ja, die erste Fassung hab ich tatsächlich gelesen. Außer eine miserable Orthographie, grauenhafter Satzstellung und völlig unsinnigen Wortkombinationen war nicht viel Brauchbares zu finden. Außerdem stand da nur in den Aufzeichnungen, daß die Ausbildung in Zukunft auf mehr Schultern verteilt werden sollen. Aber ja, Du wurdest tatsächlich darin erwähnt.“


    Unzufrieden über die Handhabung- eine Beschwerde über diesen Zustand würde schnell beim Praefectus auf den Tisch liegen, neben einem Dutzend anderer Beschwerden (Appius war der Meister in der Legion auf diesem Gebiet)- musste er ein resigniertes Seufzend unterdrücken. Aber er wußte auch, daß es durchaus Ärger geben würde, wenn er sich jetzt völlig sträuben würde. So nickte er mit zusammengepressten Lippen und trat auf den Tisch zu. Die Soldaten sprangen hastig auf und räumten die Plätze, verzogen sich schnell an ihren Arbeitsplatz zurück. Pikiert betrachtete Appius den großen Fleck von Tinte, welcher sich mit dem Rest von Essigwasser vermischte. Probeweise roch er daran und verzog das Gesicht. Wein! Na, das würde noch Ärger geben.


    „Also gut, wie viele Probati sollen Deiner Cohorte zugeteilt werden?“

    War das jetzt ein Herein? Marcus war sich da nicht ganz so sicher, was er gehört hatte, aber einen Laut eindeutig. Also nahm er es als ein Zeichen dafür und öffnete die Tür. Natürlich immer neugierig, was der Centurio so im Privaten trieb- hatte der gar vielleicht kein privates Leben?- und warum der Präfectus so gerne hier war, trat Marcus tiefer in die Höhle des Lö...seines Centurios. Schnell schloß er die Tür wieder hinter sich und marschierte einige Schritte hinein. Als er Avitus erblickte, salutierte er wie es doch Avitus so gerne sah. (;)) Bei seiner ersten Musterung der Unterkunft konnte Marcus nicht so sonderlich viele Schriften entdecken. Sah ganz normal eigentlich aus. Doch Marcus beendete den schnellen Rundblick fast augenblicklich und wandte sich ganz dem Centurio zu.


    „Salve, Centurio! Ich bin wegen den laufenden Ausbildungen, den Probati und dem Neuen von der Cohortes Urbanae hier. Außerdem wegen einer persönlichen Angelegenheit, die ich auch gerne zuerst mit Dir besprechen würde, wenn es mir gestattet ist.“

    Sprachlos sah Marcus Arrecina an. Hatte gerade seine eigene Tochter ihn derart beschimpft? Was hatte sie da gesagt...? Marcus war wie erstarrt, so daß er sich nicht rührte als seine Tochter seine Hände abschüttelte und zu Rutger lief. Verwunderung und Ratlosigkeit mischte sich mit völligem Nichtverstehen. Als Arrecina dann jedoch Rutger auf die Stirn küsste und ihre Tränen auf ihn herabfielen, sich mit seinem Blut mischte, erwachte Marcus aus seiner Starre. Seine Lippen pressten sich fest aufeinander, Wut mit Unglauben mischte sich in ihm, eine Ader an seiner Schläfe fing an zu pochen. Das ging zu weit! Mit drei Schritten war er an Arrecina und Rutger heran, griff nach Arrecinas Arm und zog sie hoch, weg von dem Germanen.


    „Wer ich bin, daß ich Dich verfolge? Bei den Göttern, Arrecina, wenn das ein perfider Scherz ist, dann laß dieses Spiel.“


    Sehr verwirrt und aufgebracht brachte Marcus sogar das kleine Fremdwort in den Satz passend unter. Doch seine Augen sahen Arrecina wütend an. Denn in ihm keimte ein ungeheurer Verdacht auf, etwas was ihn schockierte und sehr zornig machte.


    „Junge Dame, ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Zu Deinen Gunsten nehm ich mal an, daß Du mit dem Sklaven nicht aus freien Stücken weggelaufen bist. Daß Dein Geist im Moment ein wenig verwirrt ist. Aber das kannst Du mir später noch erklären oder vielleicht eher Deiner Großmutter. Vielleicht ist es besser, Dich zurück nach Baiae zu schicken.“


    Marcus hielt seine Tochter fest am Arm und sah sie einen Moment nur verwirrt an. Mit einem leisen Schnauben wandte er den Blick ab. Prüfend sah er auf den Germanen herunter. Der lebte allen Anschein immer noch. Aber Unkraut vergeht nicht, bekannterweise! Töten? Hier liegen lassen? Unschlüssig schüttelte Marcus den Kopf. Genau genommen war er nicht mehr sein Sklave, sondern der von Aquilius. Aber trotzdem hatte der Germane seine- seine- kleine Tochter entführt, sie gar mit irgendeinen germanischen Zauber belegt.


    „Leg ihn über mein Pferd, Mico! Und Du kommst mit, mein Kind!“


    Marcus zog seine Tochter mit den Abhang herunter und neben das Pferd, das friedlich an den mageren Grashalmen zupfte. Mico bügte sich und hob ächzend den Germanen auf seine Schulter. Angewidert verzog er sein Gesicht als ein wenig Blut auf seine eh schon schmutzige Tunika tropfte. Leise Schimpfwörter über die lausigen Germanen im Allgemeinen murmelnd folgte er seinem Auftraggeber an die Seite des Pferdes. Als Mico Rutger auf den Hengst gehieft hatte, packte Marcus ungnädig die Zügel und hob Arrecina auf den Sattel vor den schlaffen Körper von Rutger, den Mico gerade dort festband. Marcus sah zu seiner Tochter hoch. Inzwischen stand weniger Wut in sein Gesicht geschrieben, sondern mehr Enttäuschung und Trübsinn.


    Müde von den letzten Tagen drehte sich Marcus von Arrecina weg und zog an den Zügeln seines Pferdes. Die Hufen klappterten laut auf dem steinigen Grund, so strebte Marcus mit Kind, Sklave und kleinem Gefolge (Hund und Gallier) wieder aus der Schlucht heraus. Ratlos über das Ganze und ob er mit Arrecina erstmal nach Rom zurück kehren sollte, sah Marcus auf die Steine herunter. Als die Schlucht wieder verlassen von jeglicher Menschenseele unter dem Firmament lag, waren nur ein wenig Blut und der zerbrochene Speer die letzten Zeugnisse dieses Eklat. Eine kleine Eidechse spähte nun unter einem Stein hervor, erblickte, daß die Luft wieder rein war und legte sich auf ihren Lieblingssonnenplatz, den Kopf Richtung des blauen Himmels und Sols Scheibe gestreckt.

    Es war früh am Morgen (noch im Spätsommer und vor einiger Zeit), die ersten Sonnenstrahlen fielen auf die Tautropfen eines einzelnen Spinnennetzes. Doch die Besitzerin dieser kleinen Unterkunft war schon längst umgezogen, hatte ihr filigranes Werk an einem anderen Dachsims gebaut. Ein lauer Wind ließ das Netz erzittern. Die Fensterläden an jenem Haus wurden aufgestoßen und eine ältere Frau mit einem Tuch auf dem Kopf beugte sich aus dem Fenster, genoß für einen Moment die Sonne auf ihrem Gesicht. Verdutzt sah sie auf die Strasse, die sich dem Haus anschloß. Hufen klapperten über das Pflaster, eine Gruppe von unterschiedlichen Menschen näherte sich vom Süden der Stadt und dem Tor. Auf einem großen, schwarzen Ross war ein Mann, gefesselt und in einem erbärmlichen Zustand, davor eine junge Frau, an der Seite des Pferdes ein gerüsteter Mann, wohl ein Legionär. Dahinter trottete einer, der recht heruntergekommen wirkte, und immer wieder von einem fröhlichen kleinen Hund umsprungen wurde. Das Kläffen vermischte sich mit dem Klappern der Hufen. Die Frau sah der Gruppe hinter her, schüttelte den Kopf und zog sich wieder zu ihren Morgenarbeiten in ihr Haus zurück.


    Einige Stunden später, an einem ganz anderen Ort in Mantua und wieder bei der kleinen Reisegruppe. Ratlos über die gesamte Situation hatte sich Marcus erst mal für eine Zwischenlösung entschieden. Mittels einiger Sesterzen, ein wenig herumfragen, hatte er schließlich nahe des Flußes ein heruntergekommenes Haus ausmachen können, daß er für einige Zeit mieten konnte. Dort verfrachtete er Rutger in einen Keller hinein und auf ein einfaches Strohlager, immer noch gefesselt. Ein schmales Kellerfenster ließ ein wenig Licht in den Raum fallen, der Boden war trocken, die Wände, aus groben Steinen und ungekalkt, waren es jedoch genauso. Die massive Tür, verschlossen, und das sehr schmale Fenster verhinderten jedoch eine Flucht relativ effektiv.


    Vorsorglich jedoch sorgte Marcus dafür, daß Arrecina in einem ganz anderen Haus, in einem höchst respektablen Gasthaus untergebracht wurde. Ein einzelnes Cubiculum mit Blick auf den strömenden Fluß und die dahinter liegende Landschaft der Poebene waren doch ideal für ein wenig Erholung und Beschaulichkeit. Eisig schweigend hatte Marcus mit Arrecina im Zimmer gewartet und Mico ausgeschickt, einige Aufträge zu erledigen. Nach einer weiteren Zeit hatte dieser dann einen Medicus für Arrecina und später auch für Rutger aufgetrieben. Mico sollte derweil bei dem Germanen wachen, während Arrecina von der Gasthauswirtin ummuttert wurde, die die junge Frau gleich in ihr Herz geschlossen hatte. Erst nachdem für all das gesorgt war, konnte sich Marcus aufmachen, um sich im Kastell zurück zu melden. Schließlich war er durch die ganze Angelegenheit einige Tage später erst zurückgekehrt.

    Zur meridies aut media nox marschierte Marcus seufzend vom Exerzierplatz, wieder war ein Vormittag vorbei gegangen, wieder hatte er seine Zeit den probati geopfert, damit aus ihnen mal gute Soldaten wurden. Sie wurden zum Wachdienst geschickt und Marcus war auf dem Weg zur Unterkunft/officium seines vorgesetzten centurio, centurio Artorius Avitus. Schließlich war es mal an der Zeit einige Dinge wegen den laufenden Ausbildungen, probati und milites zu sprechen. Außerdem war Marcus dann noch in eigener Sache auf dem Weg zum centurio. Leise vor sich hinpfeifend, und mit jedem Schritt besser gelaunt und das sogar ohne Mittagessen marschierte Marcus zu der Unterkunft und klopfte an der Tür.

    „Soll ich den Mann auch verbinden, Herr?“


    Ganz starr und schockiert sah Marcus auf seine Tochter herunter als sie mit ihren Fäusten gegen seine Rüstung schlug, was er regunglos und ohne sie zu hindern hinnahm, und dann weinend zusammenbrach. Die Worte trafen wirksamer als jeder Dolch, als jedes gladius. Unfähig zu sprechen, nickte Marcus nur, ignorierte dann jedoch Mico und seine Hündin. Die Wut, die vorher noch gegen den Germanen in ihm geglommen hatte, war jetzt völlig verdrängt von den Selbstvorwürfen und der tiefen Sorge um seine Tochter. Marcus ging auf ein Knie herunter, damit er etwas mehr in Arrecinas Augenhöhe war. Sanft griff er sie an einer Schulter und strich ihr eine Haarsträhne zurück, mit der Anderen wischte er den Blutstropfen an ihre Lippe weg. In seine Augen stand die Sorge geschrieben, die Angst um seine Tochter und all die zärtlichen Gefühle, die er für Arrecina empfand.


    „Cinilla, es tut mir so leid. Du hast ja Recht, ich hätte besser auf Dich aufpassen müssen. Aber ich schwöre Dir, bei Mars und bei Iuppiter, das wird niemals wieder geschehen. Niemand wird Dir je wieder so Angst einjagen. Und dieser kleine Germane wird das noch bereuen, ich schwöre es Dir. Er wird seine Strafe bekommen, dafür, daß er es gewagt hat Dir so weh zu tun. Cinilla, meine Kleine!“


    Mico warf den Beiden nur einen mäßig mitfühlenden Blick zu und widmete sich um den „Gefangenen“. Mit seinen etwas schmutzigen Händen riß er Stoffstreifen herunter und presste sie auf die Wunde. Mit einem Ledergürtel band er diese an dem Oberkörper fest und besah sich noch die anderen Wunden, sie schienen seinen laienhaften Augen nicht sonderlich schlimm zu sein. So zuckte er nur mit der Schulter und befand, daß der Mann vor ihm genug verbunden worden war. So stand er wieder auf und setzte die kleine Maia auf dem Boden ab. Diese hüpfte freudig bellend um Rutger herum und dann auf Arrecina zu. Fröhlich sprang sie an der weinenden Arrecina hoch und leckte ihr an der Wange. Ärgerlich schob Marcus den Hund etwas zur Seite.


    „Arrecina, wein doch nicht mehr...!“


    Marcus sah sie hilflos an, hatte wieder den Impuls sie in seine Arme zu schließen. Doch etwas hielt ihn davon ab, vielleicht der Haß in ihren Augen. Ja, war es nicht Haß gewesen? Nein, er mußte sich getäuscht haben. Völlig verwirrt und sogar verzweifelt strich Marcus durch Arrecinas Haare. Mico schüttelte den Kopf und widmete sich dem Fesseln des Gefangenen.

    Schwer atmend stand Marcus auf dem Hang und sah auf Rutger herunter. Gerade wollte er das gladius noch einmal herunter stoßen und den Germanen entgültig töten, als der Schrei an sein Bewußtsein drang, einige Herzschläge später als Arrecina ihn ausgestoßen hatte. Während des Kampfes hatte Marcus geschwiegen, seinem Atem nicht für gegenseitige Anschuldigungen verschwenden wollen. Nun wandte er sich um- der Germane schien nicht mehr eine große Bedrohung zu sein, vielleicht starb er auch von selber. Seine Augen weiteten sich als er seine Tochter sah, schnell steckte er sein blutiges gladius in seine Schwertscheide an seiner rechten Seite und ging auf sie zu. Unendlich erleichtert, immer noch tief besorgt und doch voll der Freude, seine Tochter wiederzuhaben, schloß er Arrecina in seine Arme, dabei einerseits liebevoll und sie etwas vom Boden hochhebend- wie er das gerne macht-, aber auch sanft, als ob sie ein Küken oder ein rohes Ei wäre.


    „Cinilla, mein Sonnenschein, mein Ein und Alles!“


    Marcus löste sich nur widerwillig von seiner Tochter und umgriff sanft und mit seinen etwas schwieligen Händen ihr zartes Gesicht. Aufmerksam und sorgenvoll sah er sie an. Es schockierte ihn, was er sah. Wie schlimm sie zugerichtet war, so blaß und mit tiefen Augenrändern, dem Verband und der blutigen Stelle an ihren Lippen. Haß gegen den Germanen stieg in Marcus wieder auf, aber auch gleichzeitig ein Vorwurf an sich selber. Weil er so schlecht auf seine Tochter aufgepaßt hat, sie zu oft alleine gelassen hat. Aber das würde nie, nie wieder passieren. Niemals würde er seine kleine Arrecina aus seiner Nähe entlaßen- niemals. Aber stand nicht Angst in ihren Augen?


    „Es ist jetzt alles vorbei, Cinilla, Kind. Du mußt keine Angst mehr haben. Ich paß auf Dich auf...“


    Sanft strich er über ihre Wange und sah dann zu Rutger. Das sah übel aus, die gladiuswunde nicht unbedeutend. Aber Marcus wollte den Sklaven sowieso tot sehen, ob er jetzt hier starb oder in Rom würde keinen Unterschied machen. Er könnte ihn ja dann hier für die wilden Tiere zurück lassen. Seine Worte in Germania kamen Marcus in den Sinn. Hatte er nicht dem Germanen sein Leben versprochen? Aber Rutger hatte das verwirkt in dem Moment als er seine kleine Tochter entführt hatte.


    „Mico, fessele den Germanen und fang mein Pferd wieder ein.“


    Sein Führer, der inzwischen Maia auf seinen Arm genommen hatte, sah von Arrecina zu Marcus und dann zu Rutger. Nickend machte er sich ans Werk und konnte schnell den Hengst wieder an den Zügeln packen und zu dem jungen Germanen führen, wo er mit den Stricken vom Sattel sich um das Fesseln kümmerte. Marcus seufzte schwer und sah Arrecina mit einem müden Versuch sie aufzumuntern an, doch als er wieder die blutige Stelle in ihrem Gesicht sah, verlosch das Lächeln. Betrübt strich er sanft über ihre Nase.


    “Was hat er bloß mit Dir gemacht, dieser kleiner Drecks...? Komm, Cinilla, ich bring Dich jetzt nach Hause, meine Kleine!“

    Ich bin tot, ich bin tot! Der Sklave stand mit fest zusammengepressten Augen im Gang, hielt die Tür noch halb in der Hand. Etwas kitzelte in seiner Nase und er nieste heftig. Moment, ein Toter niest doch nicht? Der junge Mann riß die Augen auf und sah...nichts...nur eine Wolke aus Staub, schon wurde er umgerissen. Ein gellender und panischer Schrei löste sich von seinen Lippen. Völlig wirr und ungeschickt, trat, biß und kratzte er nach seinem Angreifer, den er in der Dunkelheit weder erkannte, noch wirklich ausmachen konnte. Mehr wie ein böser Geist aus der Unterwelt, aus einem mundus entstiegen, erschien er ihm. Grell schrie er verzweifelte Worte und wehrte sich heftig und als ob er gleich abgestochen werden sollte.


    “Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben, ich will nicht...“


    Immer noch gegen die Wand seitlich des Einganges gepresst hatte, war Marcus Verwirrung nicht weniger geworden, die Mehlwolke- er konnte sie natürlich nicht identifizieren, aber es kitzelte genauso in seiner Nase- mehrte sie sogar noch. Was bei Mars göttlichem Zorn sollte denn das bitte bedeuten? Blitzschnell schoß ihm der Gedanken durch den Kopf, der Letzte ehe er eine Bewegung aus dem Raum wahrnahm. Er dachte nicht, er überlegte nicht, er agierte. Lautlos warf er sich gegen die zweite Gestalt, die heraus stürmte und schlug mit dem Knauf seines Schwertes in ungefähre Richtung von dessen Gesicht. Dabei bemerkte er einen Bruchteil der Sekunde zu spät, daß hinter ihm sich noch etwas bewegte. Eher instinktiv wandte er sich halb um. Marcus Instinkte waren nun mal etwas besser als sein Denkvermögen. Vom atriumbereich näherten sich Schritte von Soldatenstiefeln verursacht.

    Die Tür ging auf, Appius betrat das officium. Säuberlich aufgerollte Papyrusrollen lagen in seinen Armen und seine Uniform, seine Rangabzeichen und seine Frisur saß natürlich tadellos, sein Kinn war penibel, wie jeden Tag, rasiert und sein Blick unerbittlich. Wie immer, wenn er Fremde in seinem Bereich, bei seiner Arbeit ausmachte. Faules Pack, dachte er sich, dabei einen abschätzigen Blick auf die anderen drei Männer werfend. Hatten natürlich keine Ahnung, was hier zu tun war und machten nur Dreck. Außerdem hatte einer von denen es gewagt das frisch eingetroffene Bündel der Acta, wo wahrscheinlich noch nicht mal die Tinte ganz trocken war, zu öffnen und darin zu blättern. Appius Adlerscharfe Augen machten einen Fettfleck am Rande des ersten Artikels aus. Ein Fettfleck? Auf seiner Acta? Entsetzen stand in seinem Gesicht geschrieben, er wurde erst ganz fahl im Gesicht und dann puderrot vor Zorn. Doch ehe er nur ein Wort sagen konnte, seinem Ärger mit eisig gesprochenen, aber nicht zu lauten, Worten Luft gemacht hatte, deutete einer der Männer auf Priscus.


    „Hey, der will, daß die zweite Kohorte auch wieder ein paar Frischlinge bekommt!“


    Appius, beherrscht und völlig kontrolliert- bis zu jenem unheilvollen Tag, der wohl noch kommen und ihn zu einem tödlichen Vulkan machen wird- wandte sich ganz langsam um. Regungslos sah er Priscus an.


    „So, die zweite Kohorte. Gibt es einen schriftlichen Befehl dafür? Ein Dokument für die Archive und die Verwaltung?“


    Appius glaubte es nicht. Eine einzige Schlamperei war es, ein völliges Chaos. Alle Legionäre, vom kleinen probatus bis zum Legaten waren völlige Idioten in seinen Augen, was die Ordnung in der Verwaltung anging. Selbstgefällig hielt er sich für eine feste Stütze in dem Verwaltungsapparat, denn er glaubte zu meinen, daß ohne ihn die Legio Prima mit Sicherheit im Chaos und Anarchie versinken würde. Und so kämpfte er jeden Tag im Stillen weiter gegen diese Zustände.

    Marcus musterte ihn genau. Außer Hannibal oder Caius durfte sich niemand ungestraft über Marcus Flavius Aristides lustig machten- aber konnte es sein, daß Sollianus gar nicht impertinent hatte sein wollen? Das Gesicht von Sollianus schien ihm unbewegt und ernst, aber auch Hannibal zeigte nicht einmal den Anflug eines Lächelns wenn er subtil sich über Marcus lustig machte. Marcus schwieg und sah Sollianus länger an. Nein, doch nicht. Kopfschüttelnd trat Marcus einen Schritt zurück. Die Speere lagen noch auf dem Sand des Platzes, still und unberührt, Marcus betrachtete sie und nickte schließlich. Ostia und Rom, ja war ja nicht schlecht. Somit war ein weiterer Punkt auf der Liste von Avitus abgehackt. Wobei ein Probatus viel behaupten konnte, was er alles schon gelernt hatte. Doch Marcus ging in den meisten Fällen von der Ehrlichkeit der Männer aus, der hier hatte ihm bis jetzt keinen Grund zum Gegenteil gegeben.


    “Gut, wie es mir erscheint, wirst Du keine Katastrophe für die Prima sein. In den nächsten Tagen findet sowieso die Ausbildung des Formationstrainings für die anderen probati. Ich werde Dich dann dementsprechend dazu rufen, damit wir die Mali noch beheben können. Ob noch weitere Ausbildung für Dich ansteht, wird auch noch entschieden werden. Bis dahin wirst Du zum regulären Dienst, wenn es mein Centurio und natürlich der Präfekt so befinden, eingeteilt. Wegtreten, Soldat!“

    Die Sorge der letzten Tage, die Angst um seine Tochter verwandelte sich in dem Moment, wo er den Germanen auf der Anhöhe ausmachen konnte, in Wut und kaltem Haß. Wie sehr es Marcus doch bereute, ihm damals in Germania nicht umgebracht zu haben. Was machte schon ein Germane und ein Feind weniger auf der Welt? Die Hufen klapperten laut als er über den Hang herunterritt, sein Hengst rutschte ein paar Mal ein Stückchen ehe er sich fing. Den provisorischen Speer sah Marcus durchaus, seine Augenbrauen zogen sich zusammen. So mit einer hasta gegen berittene Angreifer vorzugehen, war schließlich auch eine Spezialität der römischen Infanterie und somit auch seiner Einheit. Weitere Steine polterten hinter ihm herunter. Mico hatte sich nach seinem Dankesgebet wieder erhoben und folgte seinem Auftraggeber langsam, aber nicht zu schnell. Schließlich war der zwar seine Geldquelle und außerdem wollte er schnell Maia aus dem Gefahrengebiet bringen, aber nicht zwischen die gefährlichen Waffen geraten.


    “Herr, der hat einen Speer, paß’ auf!“


    Marcus ignorierte diese doch offensichtliche Beobachtung und trat mit seinen Fersen erneut gegen die Flanken seines Pferdes. Dabei bewegte er sich etwas nach rechts, um dem Speer auszuweichen, hob sein gladius und ließ ihn aus seinem Handgelenk kreisen. In dem Moment scheute sein Hengst, wollte nicht gegen den Germanen laufen und machte einen unberechenbaren Satz zur Seite. Da stieß der Speer, dem Marcus so nicht mehr ausweichen konnte- der Mätzchen seines Pferd lenkten ihn ab- wuchtig gegen seine lorica segmentata. Der Aufprall presste ihm die Luft aus seinen Lungen, den Schmerz spürte er nicht, dafür jedoch daß er nicht wirklich ein eques oder bei der Kavallerie war, denn er rutschte durch den Speerhieb halb vom Sattel herunter und kam nicht mehr zu seinem Schlag mit dem gladius. Schon war das Pferd an Rutger vorbei und schlitterte wiehernd weiter runter. Ohne passendem oder überhaupt einem Steigbügel- wie auch- und mit dem nervösen Hengst unter sich hatte Marcus nicht wirklich eine Chance. Gerade noch im Fallen schaffte er es noch, sein Schild herunterzureißen ehe er hart und unsanft auf den Steinabhang donnerte. Wieder presste es ihm die Luft aus den Lungen, japsend rollte er sich ab und kam auf die Beine, das Schildes gerade noch mit zwei Fingern am Rand rettend. Als er sich schnell herumdrehte, hatte er das Schild schon in seiner Hand und sein gladius in der Anderen.


    „Du kleiner Bastard, das wirst Du schon noch bereuen...“


    Die Worte kamen wie ein Knurren aus Marcus Kehle und mit zwei Schritten sprang er wieder den Hang hinauf und wirbelte sein gladius durch die Luft, um es Rutger in die Kehle zu stoßen. Haß, kalte Wut und Mordlust standen in seine dunkle Augen geschrieben.

    Herrje, Marcus hätte sich selbst eine runter hauen können. Wieder mal plump in ein Fettnäpfchen getreten, wenn er jenes Sprichwort schon gekannt hätte. Eigentlich hatte er nur etwas erfragen wollen, was ihn wurmte, aber nie und nimmer Priscus oder die anderen Soldaten der Prima beleidigen wollen. Und trotzdem hatte er das Gefühl es getan zu haben. Dabei schätzte er den Optio doch sehr, war er doch die erste freundliche Seele in der Legion gewesen, die sie aus Germania höflich und respektvoll in den eigenen Reihen aufgenommen hat. So hob er schnell und beschwichtigend die Hand und lächelte etwas verlegen, betreten und entschuldigend.


    „Verzeih, das wollte ich nie und nimmer sagen. Ich meine ja nicht, daß die Prima schlechter als eine andere Legion außerhalb Italias ist. Auf keinen Fall, aber die anderen Legionen sind doch auch sehr gut, das war nur etwas, worauf meine...Frage abzielte. Und ehrlich gesagt...“


    Marcus beugte sich etwas nach vorne, sah sich links und rechts um, ob ein anderer Soldat lauschte. Denn schließlich hatte er keine Lust, das jedem auf die Nase zu binden. Es galt schließlich den eigenen Ruf zu verteidigen.


    „...hab ich in Germania auch nie in einer Schlacht gestanden. Ein kleineres Scharmützel, aber nicht mehr. Also hab ich persönlich niemandem hier etwas voraus. Ganz bestimmt nicht, vielleicht sogar weniger Erfahrung als so manche Veteranen. Und manche anderen Offiziere, die mit Decimus Livianus gekommen sind, auch nicht. Unser Präfekt hat sicherlich anderes zu berichten...aber na ja...ich jedenfalls nicht, den Göttern sei Dank! Nicht, daß ich es scheuen würde, aber eine Schlacht hat immer ihre bitteren Seiten, wenn auch viele ehrenvolle...“


    Plaberte er? Marcus verstummte und schwieg. Mit Essen konnte er sich nicht ablenken. Er lehnte sich zurück.


    “Und? Wie lange bist Du schon dabei?“

    Was hatte die Gemse aufgescheucht? Es war Maia.


    [Blockierte Grafik: http://img238.imageshack.us/img238/3623/maiayi5.jpg]| Der lächzende Bluthund!


    Fröhlich kläffend sprang sie den Hang hinunter, hüpfte von einem großen Stein zum nächsten und trippelte mit ihren kleinen Beinen auf Rutger zu. Hechelnd sprang sie an ihm hoch und schien ihn wie einen alten Freund zu begrüßen. Ihre Knopfaugen sahen ihn vertrauensvoll an und sie schien auf ihre Belohnung zu warten. Halt, wir greifen vor! Ein wenig zurück...


    Die restliche Nacht hatte Marcus in dieser schrecklichen Taberna verbracht. Er war zu erschöpft gewesen, um überhaupt noch mal aufzustehen, sein Kopf war einfach auf die dreckige und krustenverklebte Tischplatte heruntergesunken, nach dem Verhandeln mit Mico. Niemand konnte ihn jetzt noch in seinem seligen leicht schnarchenden Schlaf wecken, eine Tugend aus seinem Legionsleben, aber so etwas lernte man, wenn man unter allen Widrigkeiten, ob in der Mannschaftsunterkunft oder reisend unterwegs, schlafen wollte und musste. Erst ein dünner Sonnenstrahl und ein Lebewesen hatte ihn geweckt.. Er spürte etwas Warmes, Weiches und Feuchtes auf seiner Wange und seinen Lippen.


    „Lucilla?“


    Ein seliges Lächeln stieg in sein Gesicht, er schlug die Augen auf in der Hoffnung der schönen Venus, die er doch nur kennen lernen durfte bei der Vinalia. Aber er hatte von ihr geträumt und sie mußte das erhört haben, war bestimmt ihrer Muschel entstiegen, um ihn wach zu küssen. Er sah in schwarze kleine Knopfaugen, nicht die atemberaubend berauschende, dunklen Augen seiner schönen Lucilla. Erschrocken wich Marcus von dem kleinen ‚Fährtenhund’ zurück, der auf dem Tisch stand, mit seinem kleinen Schwanz wedelte und Marcus treu und fidel ansah. Angewidert, ja in letzter Zeit war das Marcus oft, wischte er sich über die Lippen und die Wange. So ‚angenehm’ oder eher mit einem Schock geweckt, war Marcus bereit aufzubrechen. Und das taten er schließlich und im Morgengrauen auch, ausgeruht, gesättigt und etwas gewaschen stieg Marcus auf sein Roß und ließ seinen neuen Führer, Mico, und seinen angeblich phänomenalen Spur- und Jagdhund vor sich herlaufen.


    Stunden vergingen, der Morgen war schon in seiner älteren Phase, und sie hatten immer noch nichts und niemanden und erst recht keine Spur gefunden. Natürlich ließ sich Mico das nicht anmerken. Immer den Kunden bei Laune halten war seine Devise. Maia schien darin mehr einen Spaß zu sehen. Immer wieder verschwand sie im Gebüsch und tauchte mit toten Ratten, kleinen Vögeln oder sogar einmal einer Natter im Maul auf. Marcus Skepsis, die von den wohlgesetzten Worten Micos nicht beruhigt wurde, wuchs stetig. Als sie sich schließlich einer Schlucht näherten, schon vor einiger Zeit hatten sie den letzten Pfad aus den Augen verloren, zügelte Marcus sein Pferd.


    „Gibs zu, Du hast keine Ahnung wo wir überhaupt sind, oder?“


    Mico blieb stehen, drehte sich um.


    [Blockierte Grafik: http://img168.imageshack.us/img168/746/micoqz2.jpg]| Warum meint es das Schicksal bloss so hart mit ihm? Der freche Scheinführer!


    Schweißperlen glänzten im Sonnenlicht auf seiner Stirn und er sah schon fast sein letztes Stündlein geschlagen. Was tun, was sagen? Wie konnte er noch mal eine Gnadenfrist erreichen? Beim Teutates, es konnte doch nicht so schwer sein hier in diesen vermaledeiten Bergen zwei Leutchen zu finden. Mico hatte da mehr auf sein Glück als seine, praktisch nicht vorhandenen Kenntnisse, gehofft. Schließlich kam er urpsrünglich aus Gallien.


    „Ähm...aber Herr, der Weg beginnt gleich hinter der Schlucht. Wißt ihr...man nennt dies auch die Schlucht der Toten...ich ...ähm...“


    Maias aufgeregtes Kläffen und das Blöcken einer Gemse unterbrach Mico. Erleichtert um diese Ablenkung spähte er in die Richtung. Doch nichts zu sehen, außer einem Geröll- und Felssteilhang, der die Sicht versperrte. Maia mußte auf der anderen Seite sein.


    “Ich glaube, meine Kleine hat was entdeckt...“


    Mico merkte das etwas kleinlaut an, seufzte jedoch erleichtert als Marcus gönnerhaft nickte. Schnell setzte er den Weg fort und bog um den Felshang herum, kletterte ein wenig den Hang herunter und sah auf seine Hündin, der freudig um Rutger herumhüpfte und hechelnd zu Arrecina eilte, um auch diese mit ihrer kleinen Zunge zu begrüßen. Einige Steine polterten herunter. Marcus ritt dicht hinter Mico und spähte auch hinunter. Die Sonne strahlte auf seine Rüstung und reflektierte das Metall. Angespannt kniff Marcus die Augen zusammen. War das nicht der kleine Germane? Wo war seine Tochter? Marcus konnte sie nicht ausmachen, doch noch während er sein Pferd herunter steuerte und in den Trab fiel, zog er schon sein Gladius aus der Schwertscheide am Sattel. Mico fiel auf die Knie, dankte allen gnädigen Göttern, denn scheinbar war Fortuna mit ihm Hold gewesen.

    Der Schein des Lichtes drang verlockend durch den sturmgepeitschten Wald. Viele, viele Stunden war Marcus schon unterwegs. Sein Kopf schmerzte, sein Bein brannte und er war hundemüde. Aquilius hatte er immer noch nicht gefunden, glaubte nicht mehr auf ihn zu treffen. Das schwarze Roß unter ihm trottete mit müden Schritten und hängendem Kopf zwischen zwei Buchen hindurch. Seine Mähne tropfte von dem strömendem Regen, auch Marcus Haare, sein Gesicht, seine ganze Kleidung waren von dem Naß getränkt. Erst als ein Haus, nahe einer ausgetretenen Strasse, vor ihm auftauchte, merkte Marcus, daß er unbewußt auf jenes Licht zugestrebt war. Es war tatsächlich eine Taberna, nahe der Via Richtung Norden und einer der Pässe. Marcus zögerte, er sollte weitersuchen, doch dann ging ihm auf, daß er sich vielleicht sogar nach dem flüchtigen Sklaven und seiner Tochter erkundigen konnte. Das Leder des Sattel knarrte leise als Marcus vom Pferd herunter stieg und sein Ross zu dem Regenunterstand führte. Nachlässig band er das Pferd dort an und wandte sich zur Tür um, dann trat er ein.


    Das Licht der Lampen blendete ihn einen Moment, erst als er ein paar Mal blinzelte konnte er das Innere der Taberna erkunden. Flache Stühle, grobe Holzschemel, ein mit Erde festgestampfter Boden, Dunst von Schweiß und schlechtem Wein und Bier vernebelten diese etwas heruntergekommene Taberna. Doch das Publikum jener Räumlichkeiten war bunt durcheinander gemischt. An einer Seite saßen einige Bauern, die nicht die Reichsten waren, waren die Zeiten für die freien Bauern doch schon lange vorbei, an anderer Stelle speisten zwei ältere Männer in kostbaren Kleidern und sichtlich pikiert über die Zustände der Taberna, und dazwischen saß allerlei ‚Halunkenpack’. Tief einatmend- es natürlich gleich bereuend wegen dem Gestank- wischte sich Marcus durch seine kurzen schwarzen Haare und musterte die Männer, und die wenigen Frauen, nur kurz. Dann trat er zu einem freien Tisch und sank mit einem tiefen Seufzen auf einen Hocker. Ein dicker Mann schob sich durch eine Gruppe von schludrig gekleideten Söldner und zu Marcus. Abschätzig wurde Marcus auf seine Vermögensverhältnisse gemustert, die Rüstung eines Soldaten erkannt und somit als nicht sonderlich betucht eingestuft- vielleicht reicher als die Bauern, aber weit ärmer als die älteren Männer.


    “Bier?“


    Müde hob Marcus seinen Kopf. Der dicke Mann verschwamm vor seinen Augen, schließlich nickte Marcus. Er war zu fertig, um zu widersprechen und nach Wein zu fragen.


    „Sag, war vor kurzem ein...Germane und ein junges Mädchen hier, klein, zierlich, braunhaarig, eine Römerin?“


    Die rechte Wange des Wirtes zuckte und er schüttelte schließlich den Kopf.


    „Was zu Essen?“


    Erneut nickte Marcus und sah seufzend auf den Tisch. Mürrisch und sehr verstimmt, aber auch schrecklich erschöpft, stützte er sein Kinn auf seine Händen ab und sah unbestimmt durch den Raum, sah nichts und niemanden in Wirklichkeit. Erst als jemand zwischen ihn und die nächste Öllampe trat, er auf eine speckige Lederrüstung sah und ein Mann kräftig sich räusperte, wurde Marcus aus seiner Apathie heraus gerissen. Marcus sah hoch und auf ein Gesicht mit einem struppig blonden Bart und einem Haupt mit einer blonden Mähnenmatte. Ein schmieriges Grinsen war auf dem Gesicht des Fremden zu sehen.


    [Blockierte Grafik: http://img168.imageshack.us/img168/746/micoqz2.jpg]| Die Rettung oder nur ein Aufschneider?


    „Was willst Du? Verschwinde...“


    Das Grinsen des Mannes wurde nicht ein bißchen schmaler. Ungerührt nahm er gegenüber Marcus auf einem Hocker Platz. Seine Hände starrten vor Schmutz, die Fingernägel hatten braune Ränder und von ihm drang ein säuerlichekelhafter Dunst zu Marcus. Marcus verzog das Gesicht und wollte schon ansetzen, den Kerl noch mal zu verscheuchen, doch dann sprach dieser.


    „Du suchst zwei Leute? Hier in den Bergen? Wird schwierig, aber für das richtige Geld könnte ich, Mico, der Spurensucher, Dich führen. Ich kenn mich hier guuut aus und ich kann fast jeden in den Bergen finden. Außerdem...wird Maia jeden, den Du suchst aufspüren.“


    Mit einer Hand deutete er zu seine Füße. Marcus, der ihn skeptisch ansah, folgte mit seinem Blick der Bewegung und sah in ein schmales Gesichtchen. Dunkle Knopfaugen sahen ihn treuäugig an und eine kleine rosige Zungespitze hechelte schnell hin und her.


    [Blockierte Grafik: http://img238.imageshack.us/img238/3623/maiayi5.jpg]| Gestatten? Die unheilvolle Hundemeute für die Verfolgung!


    „Was ist das?“


    Mico sah Marcus etwas beleidigt an und hob den kleinen Hund auf seinen Schoß. Der hechelte munter weiter und leckte am Bart seines Herren herum.


    „Na, ein Fährtenhund. Der Beste von ganz Norditalia, ich schwör es Dir!“


    Skeptisch, etwas angewidert besah sich Marcus das kleine Ding genauer. Irgendwie war der Hund ja schon...süß. Marcus schauderte und griff nach dem Bier, was der Wirt mittlerweile bei ihm abgestellt hatte. Er trank einen tiefen Schluck und hustete bei dem Geschmack des Abwassers im Krug. Seufzend stellte er ihn zur Seite.


    „Das ist der häßlichste Hund, den ich in meinem Leben gesehen habe. Und nach einem Fährtenhund sieht er nicht wirklich aus.“


    Mico hob beleidigt sein Kinn.


    „Pa! Wer nicht will, der will nicht...Komm, Maia, das müßen wir uns nicht anhören...“


    Marcus überlegte es ich dann doch anders. Was konnte es schon schaden? Denn Anhaltspunkte hatte Marcus wirklich nicht mehr. Und eine Spur sowieso nicht!


    „Warte! Also gut, was willst Du haben?“


    Mico, halb aufgestanden, verharrte. Ein Triumph stand in seinem Gesicht geschrieben. Langsam setzte er sich wieder. Jetzt galt es die Bedingungen auszuhandeln.


    Weiter geht es hier....

    Der Regen prasselte auf die unrasierte Wange von Marcus herunter. Reglos lag er auf dem matschigen Boden des Waldes, kleine Rinnsäle bildeten sich um seine verdreckte Rüstung und vermischten sich mit den blutigen Tropfen, die von seiner Schläfe herunter sickerten. Vom Wind gepackt peitschte ein belaubter Zweig auf seinen Rücken herunter, traf dort auf Metall und blieb daran kleben. Doch Marcus bemerkte von all dem nichts. Tief in der Bewußtlosigkeit gefangen gab er sich der Leere hin. Nur ganz langsam war ein Stöhnen von Marcus zu hören, seine Hand griff in den Schlamm hinein und sein Atem ging keuchender.


    “Lucilla...!“


    Er schlug die Augen auf. Seine Augen irrten suchend durch die Dunkelheit, der Schmerz schoß heiß durch seinen Kopf und Verwirrung bereite sich in ihm aus! Wo war er? Was war passiert? Langsam nur dämmerte es ihm, die Verfolgung, Caius war verloren gegangen, das Unwetter, der Baum...der Baum und nichts! Stöhnend versuchte sich Marcus auf zurichten als er ein schweres Gewicht auf sich spürte, Zweige lagen über ihm und ein dicker Ast drückte ihn mit Kraft herunter. Der gefallene Baum lag zwar, den Göttern sei Dank, ein Stücken von ihm entfernt, aber ganz vom Glück war Marcus nicht gesegnet gewesen. Mühsam konnte Marcus den Ast von sich herunterstoßen und aufstehen. Wankend blieb er stehen, sah an sich herunter. An seiner Wade floß ebenso ein Blutfaden entlang. Als er auftrat zuckte es heftig durch sein Bein. Seine Wangenknochen mahlten verbissen als er sich suchend umsah bis er sein Pferd einige Schritte entfernt entdeckte. Die Zügel hatten sich in einem Gestrüpp verfangen, das Tier zitterte und zuckte bei jedem Donnergrollen, was durch den Wald drang, zusammen. Finsteren Gesichtsausdruck trat er zu dem Tier und zerrte an den Zügeln, die sich darauf hin lösten. Abwesend murmelte er ein paar Worte zu dem Hengst und schwang sich leise stöhnend und benommen im Kopf auf das Pferd. Wohin er das Pferd lenkte, wußte er nicht und was für einen Plan er hatte, sowieso nicht. Doch immer in Bewegung bleiben, weitersuchen, weitermachen...es ging schließlich um seinen kleinen Sonnenschein.

    Wie immer bei einem Appell war natürlich viel zu wenig Zeit, die Rüstung ordentlich zu schnüren, den Helm noch mal zu polieren oder die crista am Helm zu befestigen. Aber das mußte beim Laufen geschehen. So marschierte Marcus im Troß der ersten Zenturie zum Appellplatz und machte noch die letzten Handgriffe. Dort angekommen seufzte er leise und stellte sich auf seinen Platz, beobachtete jedoch aus den Augenwinkeln den centurio und seine verordneten Strafdienste. Schon seltsam, der centurio wurde immer mürrischer und lauter in letzter Zeit. Dem fehlte bestimmt eine Frau. Da war sich Marcus ganz sicher, nun gut, fast sicher. Schließlich waren ihm ein paar Bemerkungen in Germania schon merkwürdig vorgekommen, damals als Avitus noch optio war.


    Aber zumindest einen Lupanarbesuch sollte sich Avitus wohl mal gönnen, befand Marcus, und dachte schon darüber nach, ob er in der ersten Zenturie ihm nicht eine ganze Nacht in dem Lupanar in Mantua für die Saturnalia zusammen sammeln sollte. Gehörte das nicht dem Präfekten? So etwas hatte Marcus hinter vorgehaltener Hand gehört, nebst einigen anderen wilden Gerüchten. Schließlich sah man den Präfekten erstaunlich oft in der Unterkunft von Avitus. Solchen und ähnlichen unnützen Gedanken widmete sich Marcus als er darauf wartete, daß...ja, worauf warteten sie eigentlich? Marcus hatte nicht den blassesten Schimmer. Aber vielleicht würden sie heute ihren Legat noch mal in seiner Pferderüstung beobachten können. Um Marcus Mundwinkel zuckte es kurz. Zwar amüsierte er sich immer noch wie eine kleiner Junge über den damaligen Appell, aber inzwischen schätzte er und kannte er seinen Legaten weitaus besser. Trotzdem konnte Marcus immer noch über solche Kleinigkeiten sehr vergnügt sein. Recht gutgelaunt, entspannt aber aufrecht stehend, sah er sich um, ob schon hochrangige Offiziere im Anmarsch waren.

    Durch viele Hände war dieser Brief gegangen, bis er endlich die Villa Flavia erreicht hatte. So zeigten sich einige Dreckspuren an der äußeren Hülle, doch immerhin hatte der Brief die Villa noch erreicht.




    Manius Flavius Gracchus
    Villa Flavia, Roma


    Ich grüse Dich, Veter,


    vilen Dank für Deine Nachriecht, über daß eintreffen meines sohnes in der Villa Flavia. Dein Brif hat mich durchaus ser überrascht. Dachte ich doch, das sich meine Muter um meinen Sohn kümmern wollte, ebenso um seine Erzieung und seine ausbieldung. Doch bin ich froh, das Du dich erst mal um das wol meines Sohnes gekümert hast. Ich denke auch der Punkt den an Sicherlich hast du recht, das mein sohn hier in mantua eher fel am Platze wäre. Wenn auch ich mich sehr freuen würde, meinen Jungen baldig wider zu sehen. Doch ich bin mir sicher, er würde sich schnell langweihlen und hier zu viel unsin annstellen. Auch in der Hinsicht, was seine Ausbildung angeht, bin ich noch etwas rahtlos. Bis jetzt hat sich mehr meine Muter darum gekümmert, die doch ein sehr viel beseres Händchen dafür hat.


    Ich denke auch, das es nicht schaden kann, wenn sich Lucius mal mit dem Dienst an die Götter versucht. Schließlich schadet das für die spätere Laufbahn ja nicht. Das sieht man ja auch an Dir, vielleicht hat er ja den brilanten Verstand seiner Großmutter geerbt. Gewitzt ist er allemal, und da solltest Du Dich auch durchaush hüten. Denn ich bin mir sicher, dass sich der Junge allerlei ausdenken wird, um den Pflichten zu entkommen und die Strassen von Rom mit seinen Freunden zu erkunden. Aber neben dem Dienst des Cultus sollte er auch nicht die andere Ausbildung, die mehr körperlichen, vergessen. Schließlich kann es durchaus sein, daß er später auch den Dienst in der Legion antreten muss, wie es für jeden Römer eine Pflicht ist. Zumindest sagt das meine Mutter sehr gerne und Du siehst ja an mir, das die Worte gewirkt haben. Selbst wenn wir uns mit den Plebejern gemeinsam im Schlamm suhlen müssen und die Zeiten der Patrizier in der legion vorbeih sind.


    Also, zusammengefasst, ich überlasse Dir erst mal meinen Sohn in deiner exzälle vorzüglichen Obhut. Ich werde mich dann bei meinem nächsten besuch in roma genauer damit beschäftigen und eventuell andere Etnscheidungen treffen.


    Auf Bald
    Marcus

    Es war schon am späten Abend. Wieder mal ein schwerer Tag im Kastell vorübergezogen, gespickt mit viel Ausbildung und Wachdienst. Doch wenn auch Marcus abendlich in seinem Selbstmitleid zerfloß ehe er sich in die Stadt aufmachte- sofern er keinen Nachtdienst hatte- so waren die probati doch eher die armen Schweine. Schließlich wurden sie den ganzen Vormittag herumgescheucht und mußten danach noch stundenlang sich die Beine in den Bauch stehen. Marcus, der nur drei Mal in der Woche noch trainierte- sein Körpergewicht hatte auch leider wieder etwas zugenommen- war auf dem Ausbildungsplatz eher einer der Ausbilder, die auf einem Schemel saßen, während die jungen Männer sich abhetzen mußten. Doch an jenem Abend mußte sich Marcus einer besonderen Herausforderung stellen, einem Brief.


    „...uuuund Hei..Heil...Beeewärt...ah Bewaahrer des rööömischen Fried...Frieddens uuund Veet...tter iiin der...Feeerne! Herrje, bei Pluto, was drückt der sich mal wieder kompliziert aus. Auuuus deeem Zentrum des Impi..Impo...Imperiums sssschreib...schreibbe ich Dir...was er damit wohl meint? Ah ja, Rom! Warum schreibt er nicht einfach Rom? Ob er das mit Absicht macht?“


    Marcus ließ das Papyrus herunter sinken und sah grübelnd auf die fein säuberliche Schrift vor ihm. Ob Gracchus das selber verfasst hatte? Bestimmt. Schließlich war er ein ganz Schlauer und ein Gelehrter, da konnte man so etwas. Marcus seufzte und quälte sich weiter durch den Brief. Die Körner der Sanduhr verrannen und Marcus brauchte eine Ewigkeit bis er den Brief mal durch hatte. Und die Hälfte hatte er nicht verstanden. Doch eines war klar. Sein kleiner Lausejunge war in Rom eingetroffen. Etwas, was ihn sehr erstaunte. Glaubte doch Marcus, daß seine Mutter- kurz seufzte er und dachte mit liebevollen Gedanken an jene umwerfend kluge, freundliche und umsichtige Frau- den Jungen niemals hergeben würde. Sie hatte ihn schon früh in ihr Herz geschlossen. Wäre Serenus nicht sein eigener Sohn, von seinem Fleische, so wäre Marcus schon längst in blinder Eifersucht entbrannt. Kopfschüttelnd griff Marcus nach einem Papyrus und fing an mühsam und leidvoll die Zeilen an seinen Vetter zu verfassen. Tinte fiel auf den Papyrus herunter und verkleckste die eine oder andere Schriftzeile.



    Manius Flavius Gracchus
    Villa Flavia, Roma


    Ich grüse Dich, Veter,


    vilen Dank für Deine Nachriecht, über daß eintreffen meines sohnes in der Villa Flavia. Dein Brif hat mich durchaus ser überrascht. Dachte ich doch, das sich meine Muter um meinen Sohn kümmern wollte, ebenso um seine Erzieung und seine ausbieldung. Doch bin ich froh, das Du dich erst mal um das wol meines Sohnes gekümert hast. Ich denke auch der Punkt den an Sicherlich hast du recht, das mein sohn hier in mantua eher fel am Platze wäre. Wenn auch ich mich sehr freuen würde, meinen Jungen baldig wider zu sehen. Doch ich bin mir sicher, er würde sich schnell langweihlen und hier zu viel unsin annstellen. Auch in der Hinsicht, was seine Ausbildung angeht, bin ich noch etwas rahtlos. Bis jetzt hat sich mehr meine Muter darum gekümmert, die doch ein sehr viel beseres Händchen dafür hat.


    Ich denke auch, das es nicht schaden kann, wenn sich Lucius mal mit dem Dienst an die Götter versucht. Schließlich schadet das für die spätere Laufbahn ja nicht. Das sieht man ja auch an Dir, vielleicht hat er ja den brilanten Verstand seiner Großmutter geerbt. Gewitzt ist er allemal, und da solltest Du Dich auch durchaush hüten. Denn ich bin mir sicher, dass sich der Junge allerlei ausdenken wird, um den Pflichten zu entkommen und die Strassen von Rom mit seinen Freunden zu erkunden. Aber neben dem Dienst des Cultus sollte er auch nicht die andere Ausbildung, die mehr körperlichen, vergessen. Schließlich kann es durchaus sein, daß er später auch den Dienst in der Legion antreten muss, wie es für jeden Römer eine Pflicht ist. Zumindest sagt das meine Mutter sehr gerne und Du siehst ja an mir, das die Worte gewirkt haben. Selbst wenn wir uns mit den Plebejern gemeinsam im Schlamm suhlen müssen und die Zeiten der Patrizier in der legion vorbeih sind.


    Also, zusammengefasst, ich überlasse Dir erst mal meinen Sohn in deiner exzälle vorzüglichen Obhut. Ich werde mich dann bei meinem nächsten besuch in roma genauer damit beschäftigen und eventuell andere Etnscheidungen treffen.


    Auf Bald
    Marcus





    [SIZE=7]Edit, weil Satz zu viel, das mag ich gar nicht...[/SIZE]