Beiträge von Marcus Flavius Aristides

    Zitat

    Original von Lucius Artorius Avitus
    "Nächster Punkt, Optio"


    Erleichtert lehnte sich Marcus zurück. Er mußte diese Reise nach Rom machen, seiner Tochter willen. Dieser schreckliche Fluch mußte gebrochen werden und hier in Mantua war, Marcus Meinung nach, keiner der das konnte. Aber das war nun geklärt! Daß er schnell wieder zurück sein wollte, war auch von ihm aus klar. So nickte er knapp und widmete sich den eigentlich Punkten, die er seinem centurio gegenüber ansprechen wollte- die probati.


    „Ah ja, genau. Also ich bin wegen den laufenden Ausbildungen hier, um Dich über die verschiedensten Probleme und Angelegenheiten auf den Laufenden zu halten.“


    Fast hätte Marcus den Versuch nachgegeben, nach Notizen zu greifen. Aber er hatte ja keine, schließlich war er zu faul und zu schreibunlustig, um seine Gedanken in so feste Form zu hinterlassen.


    „Zum einen ist leider zu vermelden, daß Caecilius Ahala beschloßen hat, der Legion erstmalig den Rücken zu kehren. Ich halte ihn für einen fähigen Mann, einen möglichen sehr guten Soldaten und bedauere durchaus seinen Entschluß. Aber ich denke, daß er, sobald er seine persönlichen Probleme gelößt hat, vielleicht wieder hier Fuß fassen möchte. Vielleicht sollten wir ihm dann dort keine Steine in den Weg legen.“


    Das war wohl der Lauf der Welt, immer mal wieder kamen probati, manche waren mehr oder minder gut geeignet und so manch ein Mal verlor man einen guten Soldatenanwärter wieder.


    „Dann muss ich da wohl noch ein unangenehmeres Thema ansprechen- probatus Aurelius Galerianus. Ich halte ihn für ein ziemlich faules Stück, ehrlich gesagt. Macht nie mehr als Notwendig und zeigt nicht so sonderlich viel Aktivität, trotz seiner so hochtrabenden Worte. Ich würde vorschlagen, ihn zu versetzen oder gar aus der Legio zu verweisen.“


    Die Worte auszusprechen hatte einiges an Überwindung für Marcus gebraucht. Aber wenn Marcus schon jemanden für faul befand war das nicht eine Übertreibung. Schließlich war Marcus ein Mann, der ständig versuchte, jede unnötige Arbeit zu vermeiden. Und somit sympathisierte er unbewußt eher mit solchen Männern. Doch auch bei ihm war mal ein bestimmtes Maß erreicht.


    „Iunius Lucullus halte ich für recht fähig, zwar hat in letzter Zeit seine Aktivität abgenommen, aber ich denke, daß das nur vorsaturnalische Müdigkeit ist. Ich würde sogar vorschlagen, sobald er wieder etwas reger geworden ist, ihn zum miles zu befördern, wenn ich das anfügen darf! Sicherlich muß er noch weiter ausgebildet werden, aber das ist ja kein Hinderungsgrund.“


    Marcus fuhr sich grübelnd an sein Kinn. Da war noch einer gewesen, wer noch mal? Grübelnd besah sich Marcus noch mal Avitus Unterkunft ehe es ihm einfiel. Dieses angestrengte Grübeln stand auch in Marcus Gesicht geschrieben, doch dann erhellte sich dieses.


    “Ah, und dann war da noch der Soldat von der Cohortes Urbanae, der Germanicus. Ich habe ihn vor einigen Tagen geprüft. Er ist in seiner Ausbildung mehr als adäquat, ist ein fähiger gladiuskämpfer, kann das pilum schleudern und hat schon einen Übungsmarsch hinter sich gebracht. An seiner Formalausbildung, er wird schnell sehr dreist, und an seinem Formationstraining in der Schlachtreihe müßte noch etwas gearbeitet werden. Aber ansonsten ist er durchaus zu einem normalen miles geeignet.“


    So viel Reden, da bekam man richtig Durst. Doch jetzt hatte er seine Sachen runtergeleiert und er konnte sich wieder entspannter zurück lehnen.

    Die Schreiben wurden sorgfältig auf den Tisch gelegt und Appius nickte Priscus zu. Dann war alles geklärt und er konnte sich seiner Schreibarbeit an den besagten Centurio widmen. So ein Schreiben hatte er zuletzt in seiner Scribazeit unter dem alten Legaten, Purgitius Macer, erledigt als Appius noch ein ganz kleines Lichtlein in der Verwaltung war. Trotzdem sehnte er sich inbrünstig zu diesen Zeiten zurück, die in seinen Augen die Glorreichste in der Zeit der Legio Prima war. Doch es war keine Zeit für Nostalgie, denn gerade da klopfte es wieder an seiner Tür. Appius teilte mit Sicherheit die Meinung des Tribunus Claudius und hätte selber alles als Hühnerstall bezeichnet, wäre er auf die Idee gekommen.


    „Wie ich höre, ist da vielleicht schon ein Neuer. Ich schick ihn dann zu Deiner Centurie, Optio. Vale!“


    Die anderen Schriftrollen wurden in kleine Kästen gepackt und Appius nahm Platz. Dabei beachtete er Priscus nicht sonderlich. Freunde machen wollte er sich in der Legio eh nicht, er hatte auch kaum Freunde. Aber es kümmerte ihn wenig, höchstens an den Tagen von Saturnalia. Als er Platz genommen hatte, war er auch bereit etwaige neue Anfragen zu empfangen oder einen neuen Rekruten.


    „Herein!“

    Gerade wollte Marcus seine Faust heben und erneut zuschlagen, der Zorn brodelte heißblütig in ihn- man sagte das den Flaviern oder bestimmten Flaviern durchaus nach. Doch rechtzeitig erreichten die Worte seines Sklaven Marcus Ohr und er stockte für einen Herzschlag. Auch warf Marcus einen Blick hinter sich, erkannte diese heruntergekommene Gestalt vom Eingang, den er zuerst noch angesprochen hatte. Mühselig kämpfte Marcus damit nicht doch einfach noch ein paar Mal seinen Sklaven zu schlagen, er hätte nicht übel Lust dazu. Doch mit einem stoßhaften Ausatmen sank Marcus Hand herunter und er stierte Hannibal finster an. Marcus ließ ihn los und trat einen Schritt zurück, behielt dabei jedoch den für ihn äußerst suspekten Lubanarwächter dabei im Auge.


    „Also gut, dann erklär Dich, Hannibal. Was, beim Mars, hat das zu bedeuten? Man könnte glatt meinen, Du wärst abgehauen. Warum? Warum bitte? Schließlich habe ich nie...“


    Nie Dich geschlagen! Das wollte Marcus anfügen. Aber nachdem er ihm gerade seine Faust so wuchtig ins Gesicht geschmettert hatte, paßte das nicht. Marcus überlegte, ob er vielleicht schon früher Hannibal mal hätte schlagen sollen, aber eigentlich hat er in ihm mehr einen Freund als einen Sklaven gesehen. Somit stieg neben dem Zorn jetzt auch noch Enttäuschung über Hannibal bei Marcus auf.

    „Ja, ein Fluch. Ich kann es mir nicht mehr anders erklären, Manius. Und auch ja, der Germane lebt noch. Er ist hier in der Villa eingesperrt. Meine letzte Hoffnung liegt bei Dir, Vetter. Ich...“


    Weiter kam Marcus nicht, denn das Desaster folgte seinem Sohn auf den Schritt. Oder besser ausgedrückt, die Flutwelle stürmte ihm voran, polterte unübersehbar in die Räumlichkeiten. Verdattert betrachtete Marcus die fauchende Katze, den akrobatischen Hund und schon folgte sein Sohn. Wider Willen schlich sich ein breites Grinsen in Marcus Gesicht. Hach, das erinnerte ihn irgendwie an sich selber und an seine Kindheit, als er noch seine Mutter zur Verzweiflung trieb und das gesamt Haus aufscheuchte. Marcus betrachtete seinen Sohn, seine Schultern zuckten durch ein unterdrücktes Lachen bei Serenus Worten. Doch dann besann er sich- schließlich war er Serenus Vater und das ging doch nicht. Sollte zumindest so nicht sein!


    „Entschuldige mich mal, Manius. Ich muss mal wieder Vater spielen...“


    Schnellen Schrittes nahm Marcus die Verfolgung der kleinen Sturmtruppe- Katze, Hund, Junge- auf. Im Vorbeigehen grüßte er die später Angekommenen noch mal mit einem gutmütigen Lächeln.


    “Grüß Dich, Lucius. Ah, meine Lieblingsbasen Leontia und Minervina! Bona Saturnalia Euch Beiden!“


    Noch bevor Marcus den Raum verlassen hatte, bemühte er sich um eine äußerst gestrenge Miene, glätte sein Gesicht von allen Spuren eines Lächelns und richtete sich auf. Schließlich konnte er seinem Sohn nicht alles durchgehen lassen. Seiner Tochter gegenüber war Marcus schon von je her sehr viel gnädiger gewesen als bei seinem jungen Sohn. Schon war er vorbei und aus dem Raum entschwunden. Nur Marcus Stimme war noch mal laut und deutlich zu hören, war sie doch in der letzten Zeit an Soldaten erprobt und vorher schon durch den Rethorikunterricht aufs vortrefflichste geschult worden.


    “Lucius! Bei Iuppiters Donner, jetzt bleib stehen! Und halte den Hund zurück!“

    Aristides... Wenn sein Cognomen gerufen wurde, war das meist von jemanden, der ihm nicht sehr nahe stand und somit meist zur Legion gehörte, wo viele diese absonderliche Angewohnheit hatten. Dementsprechend irritiert drehte sich Marcus um und suchte nach dem Ursprung jener Stimme. Erst als er seine Cousine ausmachte verwandelte sich seine ratlose Miene in einen freudigen Ausdruck. Lächelnd, immer noch den Keks in der Hand, bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Beiden jungen Frauen schenkte Marcus ein ehrliches, freudiges und doch jetzt besser gelauntes Lächeln.


    „Bona Saturnalia wünsch ich euch Schönheiten! Daß ich in Rom nicht anzutreffen war, liebe Minervina, lag an dem Umstand, daß ich zurzeit in der Legio Prima diene. Na Leontia? Wie geht es Deinem Vater, dem alten Haudegen?“


    Marcus grinste breit bei seiner letzten Frage. Dabei musterte er Leontia und Minervina. Jedes Jahr schockierte es Marcus immer mehr, wie schnell Leontia doch groß geworden war und es erinnerte ihn daran, wie alt er mit jedem Jahr wurde. Die kleine Leontia war doch kaum älter als seine eigene Tochter. Arrecina! Das brachte Marcus wieder auf trübe Gedanken, sein Lächeln wurde etwas weniger freudig und ein melancholischer Ausdruck- äußerst untypisch für Marcus- ersetzte dieses. Nachdenklich drehte er den Saturnaliakeks in seiner Hand.


    „Habt ihr die Münze in eurem Keks gefunden?“


    Doch in jenem Augenblick brach schon ein großer Jubel auf. Marcus spähte in die Richtung, sah einen Mann, der hochgehoben wurde. Jetzt erst biß Marcus in den Keks hinein. Seitdem er acht Jahre war, hatte er gelernt sehr vorsichtig mit den Saturnalienkeksen zu sein. Denn an jenem Tag vor vielen- viel zu vielen- Jahren hatte er das Glück gehabt die Münze in seinem Keks in Baiae zu finden, er hatte sich daran einen Milchzahn ausgebissen und er erinnerte sich noch gut an den Schmerz und die Verlegenheit, als er mit blutendem Mund hochgewirbelt wurde. Marcus riß sich am Riemen, schob alle Gedanken, alle Trübsal von sich. Schließlich hatte er selber immer die Trantüten gehaßt, die einem das Saturnalienfest mit ihrer griesgrämigen Miene allen die Laune verderben wollten. Dementsprechend lächelte er breit und sah von Minervina zu Leontia.


    „Und, junge Damen? Habt ihr schon Pläne für heute? Wollt ihr ein paar Freundinnen besuchen oder in die Stadt gehen?“

    Aus einem unerfindlichen Grund entspannte sich Marcus schon beim ersten Wort, daß Gracchus sprach. Marcus hatte das Gefühl, daß Gracchus schon alles Schlimme der letzten Wochen lösen und von der Welt schaffen konnte. Es mußte einfach so sein! Schließlich war Gracchus, nach Marcus Mutter natürlich, der brillanteste Geist in der Familie, zumindest hielt Marcus ihn dafür. So folgte Marcus Gracchus zur anderen Seite des Raumes und lauschte dessen Worte. Sein Sohn Serenus? Ein wenig von seinen Sorgen wurden durch die Worte fortgetrieben, nicht, daß sich Marcus groß Sorgen um seinen Erben und Sproß machen würde, aber natürlich kümmerte ihn Serenus Wohlergehen sehr. Auch war Marcus immer noch sehr stolz auf seinen kleinen Jungen.


    „Sorgen? Wegen Lucius? Nein, er ist ein zäher Brocken, der Kleine. Außerdem hat er den Genius seiner Großmutter, somit sollten sich wohl die Mächtigen und Reichen bald Sorgen um ihre Positionen machen!“


    Marcus schmunzelte bei den Worten, natürlich war es ein Scherz, aber halb ernst gemeint. Denn wenn Serenus nur einen Funken von seiner Großmutter in sich trug, dann würde ihm eine glänzende Zukunft bevorstehen. Und viel glänzender als seine Mutter bei ihm- Marcus- je zu hoffen wagte. Andeutungsweise schüttelte Marcus seinen Kopf.


    „Nein, es ist nicht wegen Lucius! Es geht um Arrecina. Dieser elende Germane, der Sklave, hat meine Tochter mit einem üblen Fluch belegt. Seitdem sie in seiner Gewalt war, erinnert sie sich an nichts mehr...an nichts, Gracchus! Weder, daß ich ihr Vater bin, wer sie ist, noch wo sie herkommt und was sie je vorher erlebt hat. Es ist alles wie herausgeschnitten. Der Medicus konnte sich keinen Reim darauf machen und ihr Zustand hat sich schon seit Wochen nicht gebessert. Gracchus, Du als Priester mußt doch Bescheid wissen. Was kann man gegen diesen Fluch nur tun? Ich bin inzwischen völlig verzweifelt und...“


    In dem Moment kamen die Anderen in den Raum hinein. Bedrückt sah Marcus zu ihnen rüber, nickte Leontia lächelnd zu, grüßte ebenso Furianus freundlich. Und als er Leontia das erste Geschenk austeilen sah, fiel es ihm siedendheiß ein. Etwas hatte er natürlich vergessen bei all der Aufregung- die Geschenke!!! Bei Saturn und allen gnädigen Göttern, was nun?

    Fast wäre Marcus versucht gewesen seiner kleinen Tochter eine der braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen. Betrübt sah er zu ihr, erkannte, daß sie kein Wiedererkennen spürte. Für einen Moment schloß Marcus die Augen, riß sich jedoch gleich darauf am Riemen. Schließlich wollte er seine Tochter nicht mit seinem eigenen Kummer belasten, es war alles schon so schwer genug für sie. Ein mildes Lächeln glitt über sein Gesicht, das Staunen seines Handlangers Mico bemerkte Marcus nicht sonderlich, es war ihm auch egal, genauso wie der Germane.


    „Ja, Arrecina, hier lebst Du! Außerdem Deine Onkel und auch Dein kleiner Bruder, Lucius. Aber, meine Kleine, mach Dir jetzt mal keine Sorgen und Gedanken. Das wird schon alles wieder. Gracchus, Dein Onkel, wird Dir schon helfen können. Du bist hier in Sicherheit und kannst Dich hier erholen.“


    Marcus wandte sich um und sah Rutger an. Vorwurf stand in Marcus Augen, aber kein glühender Haß mehr. Die geistige Erschöpfung hatte diesen im Laufe der Wochen aus Marcus ausgetilgt. Als einige Sklaven ins Atrium hereinkamen, in der Erwartung vielleicht Gepäck hineinzutragen, nickte Marcus ihnen herrisch zu.


    „Bringt den Germanen in einen Kellerraum und schließt ihn ein. Ich kümmere mich später um ihn. Und passt auf, der kleine Hund beißt gerne!“


    Natürlich meinte Marcus damit nicht Maia, die gerade aus dem Atriumbecken Wasser schlürfte. Das Thema Rutger war im Moment für Marcus abgeschlossen. Er wandte sich seiner Tochter wieder zu und legte seine Hand ganz vorsichtig auf ihre Schulter. Natürlich hatte Marcus irgendwann doch die Blicke zwischen Rutger und Arrecina bemerkt, die gewisse Vertrautheit, die dort herrschte. Doch immer wieder hatte er krampfhaft versucht, das zu ignorieren und aus seinen Gedanken zu verbannen. Den Seufzer unterdrückte Marcus erneut.


    „Komm, ich führ Dich zu Deinem Zimmer, meine Kleine!“


    Etwas bedrückt ging Marcus mit seiner Tochter in den Gang hinein und in Richtung ihres Cubiculums. Dort schickte Marcus eine Sklavin zu ihr und ließ Arrecina erst mal in Ruhe, damit sie sich ein wenig ausruhen konnte.

    Stolz über seinen Sohn regte sich in Marcus Brust, zwar schien ihm der arme Junge ein wenig zu sehr mit dem ganzen Rauch eingenebelt zu sein, aber Gracchus würde schon wissen, was gut für Serenus war. Ein Lächeln schlich sich auf Marcus Gesicht und er musterte ausgiebig seinen Sohn. Es war doch gerade erst vor kurzem gewesen, da war der Junge noch ein kleines, plärrendes Würmchen gewesen in seinen Armen. An jenem Tag als Marcus Serenus vom Boden aufhob und ihn als seinen Sohn anerkannte. Nostalgisch erinnerte sich Marcus an jenen Tag, wie stolz er doch gewesen war damals. Und dann natürlich froh, daß eine Amme ihm den Jungen abnahm. Gedanken verloren und seinen Sohn musternd, holte Marcus eine Münze aus seinem Beutel. Dabei achtete er auch nicht darauf, was er da in die Holzdose warf, die von einem der Gehilfen herum getragen wurde. Nur das Klimpern nahm er war. Einen Wunsch äußerte er in Gedanken dabei auch nicht. Es wären ihm bestimmt mehr als ein Dutzend eingefallen oder sogar noch mehr, aber dafür war er im Moment einfach zu bedrückt.


    Zwischendrin bei der Feier und Gracchus Worten, schweifte dann Marcus Blick über die anderen Menschen hinweg. Etwas weiter hinten konnte er seinen Neffen, Furianus, ausmachen. Marcus nickte ihm beiläufig zu. Zu einem Gespräch würden sie eh erst richtig in der Villa kommen. Ob Milo bei ihm war? Doch Marcus konnte seinen kleinen Ziehbruder nicht ausmachen, dafür jemanden, den er eigentlich nicht sehen wollte und der seine Laune nicht gerade verbesserte- sein ehemaliger Ausbilder, dieser unverschämte Tiberier. Schnell wandte sich Marcus wieder um, gerade noch rechtzeitig, denn da war schon sein Sohn dabei die Kerzen anzuzünden- wieder keimte unbändiger Stolz in Marcus auf. Was für ein Prachtkerl der Junge war, vielleicht ein bisschen klein, aber das lag bestimmt am Alter und würde sich noch geben. Schon wurden die Kekse verteilt, Marcus griff nach einen und roch daran.

    Stück für Stück traten die drei anderen Männer im Rekrutierungsbüro ihren Rückzug an, suchten sich Beschäftigung im Hinterzimmer oder im Archiv. Es wollte wohl keiner im Raum bleiben, wenn Priscus den Raum verlassen hatte und Appius somit die Muse hatte, seinen Ärger und Zorn mit seiner üblich kühlen und korrekten, dabei doch äußerst fiesen, Wortwahl Luft zu machen. Appius derweil verfolgte die Fluchtbemühungen seiner Untergebenen nicht sonderlich, sondern zog ein papyrus hervor, um sich zu der Anforderung Notizen zu machen.


    „Zu gleichen Teile auftrennen? Aha! Nun gut, dann werde ich das so in die Wege leiten. Im Moment haben wir jedoch nicht so viel Andrang, obwohl sich das im Winter noch ändern kann. Wenn die jungen Leute nicht mehr eingespannt sind, die Langeweile sie überkommt, dann überlegen sich manche doch bei der legio einzutreten.“


    Abgesehen davon, daß im Winter die Arbeit rarer war und man in der legio einfach mehr Geld verdienen konnte, um auch die Familie durchbringen zu können. Das erwähnte Appius jedoch nicht, sondern notierte sich schnell einige Fragmente auf dem Papyrus. Seine Schrift konnte niemand sonst lesen, das wußte er. Es war nicht so, daß er nicht völlig korrekt schreiben konnte. Aber im Laufe der Zeit hatte er sich eine Art Geheimcode ausgedacht, damit niemand ihm in seine Arbeit pfuschen konnte. Außerdem waren viele alte Notizen in dem Code geschrieben, somit hatte er sich auf effektive Art unentbehrlich gemacht. Gerade als er zu Priscus blicken und noch etwas anmerken wollte, trat schon der scriba hinein. Irritiert ließ Appius seine Feder sinken und griff nach den Schriftrollen. Aufmerksam lauschte Appius den Worten des scriba und funkelte ihn schließlich pikiert an. Was für ein Chaos! Er und sich um die Versetzung kümmern? Oh ihr seligen Götter, womit wurde Appius nur ständig bestraft? Seufzend sah er auf die papyri und nickte dem scriba zu. Ein gewisser Vorwurf war in dem Ausdruck des optio dort zu erahnen.


    “Gut, wird gemacht. Wenn es eigentlich auch nicht zu meinem Aufgabengebiet gehört.“


    Das mußte klar gestellt werden. Schließlich wurden hier immer mehr Präzedenzfälle geschaffen. Die Acta zu lesen, würde wohl leider auf den Mittag verschoben werden müssen. Was für ein elender Tag. Barsch wandte sich Appius ab und wieder Priscus zu.


    „Dann ist das auch erledigt? Gibt es sonst noch etwas, optio?“

    „Ich will nicht sterben...Hiiiiiilfeeeeee!“


    Der Sklave brauchte eine Weile ehe er in der Mehlwolke bemerkte, daß ihn noch niemand abstechen oder ins Jenseits befördern wollte. Erst da verstummte er mit seinen wimmernden und flehenden Schreien. Gerade wollte Marcus mit dem Knauf seines gladius noch mal zuschlagen als er die Worte hinter sich vernahm. Den Pinsel hatte er auf seiner Rüstung und am Rücken natürlich nicht bemerkt. Blitzschnell wirbelte er herum, das Blut rauschte ihm in den Ohren. Wachmanöver versuchte das Rauschen zu übertönen, traf in seinem Geist jedoch nur auf Unverständnis. Er hielt es eher noch für eine dreiste Unverfrorenheit der Einbrecher, die es schon bei einem Soldaten mit dem Trick versucht hatten. Marcus war eindeutig nicht einer der Soldaten, der schnell die Situation durchschaute und den Nicht-Ernst der Lage erkannte. Er hielt es immer noch für eine gefährliche und sehr mysteriöse Sache.


    „Waffe runter? Bei Mars, nimm Du eher deine...ähm...Waffe runter und einen Schritt zurück!“


    Marcus hob sein gladius und hielt es dem Mann fast unter die Nase. In dem Moment stürmten schon die Soldaten, die ihm durch den Vordereingang folgen sollte in den Gang, noch einige Schritte entfernt als Marcus das mit dem tribun hörte. Zwar hatte er nicht die geringste Ahnung, welcher tribun hier wohnte. Doch schnell wirbelte er herum und setzte dem Angreifer nach, der für ihn ganz offensichtlich etwas Übles im Schilde führte.


    „Packt euch die Beiden...!“


    Das brachte Marcus noch hervor ehe er hinter dem Mann herlief...

    Völlig in die Betrachtung seiner Wachsvenus auf der Protokolltafel versunken, hatte Marcus die letzten Wortfetzen gar nicht mehr mitbekommen, außer: „...Baustelle...“, „...Begehung...“ und „...bereit halten...“ . Vielleicht lag es an der Langeweile, die Marcus im Griff hielt, oder dann doch eher daran, daß er jetzt schon seine ersten Notizen mit völliger Ratlosigkeit betrachtete. Er hatte mittlerweile schon keine Ahnung mehr, was er da am Anfang niedergeschrieben hatte. Wäre er ein wenig gebildeter, hätte er seine Schrift wohl auf den ersten Blick für eine Abart der Keilschrift gehalten und kaum für das lateinische Alphabet. Jedoch war Marcus genauso ratlos wie es ein genialer Geist bei seinen eigenen kryptischen Zeichen auf dem Wachs gewesen wäre. Schließlich hob Marcus den Kopf. Alles wartete so ruhig, worauf wohl?


    „Sind wir fertig?“

    Ähnliche Vorstellungen von einer glänzenden Karriere für Marcus hatte wohl nicht nur sein centurio, schließlich auch Marcus Familie setzte darauf. Der Einzige, der diese optimistische Einstellung nicht teilte war Marcus selber. Aber im Moment waren seine Sorgen und seine Gedanken ganz woanders, bei seiner Tochter. Schließlich reiste er hauptsächlich wegen ihr, natürlich auch um nach seinem Sohn zu sehen, nach Roma. Seine ganze Hoffnung lag auf seinem Vetter Flavius Gracchus, dem genialen Geist in der Familie und außerdem hochgelehrter Priester. Marcus überschlug kurz in Gedanken, wie lange er wohl brauchen würde, konnte es jedoch selber schwer abschätzen. Daß Avitus ihn nur ungern gehen ließ, überraschte Marcus dann doch ein wenig, hielt er sich selber doch für recht austauschbar in der Legion.


    „Ich würde nur ein paar wenige Tage in Rom bleiben, dann kommt da natürlich noch die Hin- und die Rückreise hinzu.“


    Marcus war innerlich doch sehr angespannt und hoffte, daß Avitus ihn für seine Reise vom Dienst freistellte.


    Sim-Off:

    Danke

    Auch Marcus hatte irgendwann seine stramme Haltung aufgegeben, scharrte unruhig mit seinen calcei auf dem Sandplatz und malte kleine Muster in den Boden. Schon seitdem er das Protokoll bei der Stabsbesprechung schreiben musste, fand er eindeutig Gefallen an solchen kleinen Beschäftigungen. Als dann auch noch einige der Soldaten anfingen zu singen, stahl sie ein breites Grinsen auf Marcus Gesicht. Fast hätte er leise gelacht als schon der centurio zum tribun marschierte, seine Meldung absolvierte und der tribun ihn entlaßen hatte. Da kam ja Bewegung in die ganze Sache. Instinktiv, das lernte man neben dem tiefen Schlaf unter widrigen Umständen in der Legion, richtete sich Marcus bei den laut gerufenen Befehlen auf, stellte sich wieder völlig korrekt hin und richtete seine Augen gerade aus. Natürlich nur für einige Herzschläge, denn dann irrten seine Augen ein wenig nach links, um auch in Richtung der Lagergasse zu spähen, wo der höchste Kommandant sich nähern konnte.

    „14 Jahre? Ja, bei Mars langem Bart, das ist wahrlich eine ganz schön lange Zeit, Tallius. Respekt!“


    Was für eine lange Zeit!! Marcus hatte bei weitem nicht vor, so lange der Legion anzugehören. Diese ewige Schinderei, wenn es auch immer wieder recht befriedigend war, so hatte Marcus durchaus andere Vorstellungen von einem guten und erfüllten Leben. Leider waren es nicht die Vorstellungen, die seine Mutter von Marcus Leben hatte, denn Orgien, Wein, Weib und Gesang gehörte nicht auf die Liste seiner ewig ehrgeizigen Mutter, die ihren Sohn ganz oben in den Machtstrukturen sehen wollte. Und wie immer fühlte sich Marcus da ein wenig überfordert.


    „Laeca? Hm...ja, das war eine schlimme Zeit damals. Sehr unruhig...ja! Da hast Du doch einiges miterlebt, was unser Reich geprägt hat.“


    Auch die Flavier hatte die Zeit sehr beeinflusst, doch ganz genau wußte Marcus es im Detail auch wieder nicht. Damals hatte er wahrlich andere Sorgen- Frau und Kind. Über Priscus Frage grübelte Marcus und rief sich noch mal den Limes vor Augen. Patroullien am Limes hatte er nie durchgeführt, aber genug davon mitbekommen.


    „So weit war der Limes eigentlich nicht entfernt, aber die letzten Unruhen in der Gegend wo die Hispana war, liegen schon ein Weilchen zurück. Aber ich muss schon sagen, daß ich ganz froh bin wieder in Italia zu sein. Nirgends ist es so schön wie in der Heimat...obwohl...ja, Ägypten ist auch noch wundervoll. Sollten wir mal nach Ägypten versetzt werden, hätte ich wohl keine Einwände!“


    Selig lächelnd dachte Marcus an seine lange Reise von vor einigen Jahren zurück. Wie gerne würde er das noch mal wiederholen.


    „Hast Du heute Nachtdienst, Tallius? Oder heute vielleicht frei für einen Besuch in Mantua?“

    Nervosität war das beherrschende Gefühl, was Marcus den ganzen Tag bewegte. Nervös? Warum war Marcus nur nervös? Es lag an dem bevorstehenden Abend. Schließlich traf sich die ganze Familie an den Saturnalien. Das wäre natürlich nicht ein Grund, warum Marcus aufgeregt wäre wie ein kleiner Junge, der alles zum ersten Mal erlebte. Nein, einige der Sitten in den flavischen Saturnaliarunden überforderten Marcus jedes Jahr von neuem. Diese kleinen disputationes machten ihm immer besonders große Schwierigkeiten. Noch als er sein Gewand anzog, es war eine dunkelblaue tunica mit silbergoldenen Borte, wozu er einen breiten und schweren Silbergürtel trug, spähte er immer wieder auf das papyrus, was ihm Hannibal heute beim kleinen Mittagsmahl geschrieben hatte. Eine Auswahl berühmter Philosophen und großer Weisheiten zu jedem Thema waren dort aufgelistet. Außerdem noch die ein oder andere Anekdote eben solcher Philosophen. Trotzdem war Marcus mulmig zu mute. Er haßte es, haßte es zutiefst, wenn ihn die Anderen für einfältig oder gar dumm hielten. Zwar verwechselte Marcus viel, hatte seine Schwierigkeiten beim Schreiben, verachtete das Lesen und beschäftigte sich lieber mit den praktischen Dingen des Lebens, aber er war nicht dumm!!


    Seufzend machte er sich auf und ging in Richtung des Speiseraumes und dort, wo die Saturnalien gefeiert wurden. Als er die Dekoration erblickte, mußte er doch lächeln und er entspannte sich ein wenig. Saturnalien, ein Tag der Familie! Es freute ihn jedes Jahr wieder. Und dann ganz besonders, wenn er danach verschwinden konnte und richtig feiern durfte. Nur zu schade, daß seine Mutter nicht hier war. Marcus sah auf die Klinen und auf die Kerzen. Es war schön, aber wenn seine Mutter das Fest ausrichtete, war es natürlich noch viel schöner. Heimweh und die Sehnsucht nach seiner klugen und wundervollen Mutter packte Marcus, voll mit liebevoller Zärtlichkeit dachte er an Agrippina. Doch da sah er schon Gracchus, den er ja länger sprechen wollte- ungestört oder einigermaßen ungestört waren sie ja noch.


    „Io Saturnalia, Vetter!“


    Marcus trat auf ihn zu und versteckte schnell seinen Spickzettel unter dem schweren, silbernen Gürtel, der aus vielen Einzelgliedern bestand und ihm recht gut stand.


    „Manius, hast Du vielleicht einen kurzen Moment für mich?“


    Marcus nickte dem Sklaven kurz zu, richtig einordnen konnte er ihn nicht, aber dann war seine Aufmerksamkeit wieder ganz bei seinem Vetter.

    Immer der Nase nach. Völlig in Gedanken versunken war Marcus durch die Strassen Roms geirrt. Seine dunkelblaue paenula trug er ungeordnet über der Schulter, der Wind zupfte immer wieder daran und warf unschöne Falten. Seine Mutter hätte sicherlich mit den Kopf geschüttelt bei einem so achtlosen Verhalten für die eigene Würde. Aber Marcus dachte über den Fluch nach, der seine Tochter im Griff hielt. Er war einfach nur müde von den letzten Wochen. Über einer der großen Prachtstraßen kam er immer weiter von den größeren Plätzen weg und lief durch einige einsame Gassen. Aber da er weder toga noch sonst große Standeszeichen trug, ließen ihn die meisten Diebe an jenem Abend in Ruhe. Oder vielleicht waren es mehr seine finsteren Blicke? Nur seine calcei patrici verrieten ihn dann doch, doch nur wirklich gute Diebe achteten auch auf das Schuhwerk. Eine taberna nach der Anderen kam an ihm vorbei. Ab und an blieb Marcus stehen und betrachtete sich die Schankhäuser.


    Aber dann ging er weiter und in die nächste und übernächste Gosse hinein. Nach einer Weile bemerkte er, daß er in der subura gelandet war. Doch es war ihm egal. Erst als er an einem Opferschrein vorbeikam, wurde er aus seinen Grübeleien gerissen. Vor ihm ragte ein Haus mit einer roten Fassade auf und dem eindeutigen Zeichen für ein lupanar. Marcus starrte die halbgeöffnete Tür an. Warum nicht? Vielleicht konnte eine Frau ihn ein wenig ablenken. Selbst wenn es eine suburalupa war, immer noch besser als so manch ein lupanar in Germania. Marcus ging zum Eingang und drückte mit der Hand gegen die Tür, die auch gleich aufschwand. Müde und immer noch mitgenommen trat er hinein, erblickte direkt neben der Tür einen Mann.


    „Habt ihr offen...?“


    Marcus sah durch das atrium, spürte er doch den Blick von jemand auf sich ruhen und sprach den Satz nicht zu Ende. Er sah ihn einfach nur an, einen Herzschlag völlig überrascht. Mit ihm hatte Marcus nicht gerechnet, hier in der Subura! Hier in Roma! Hier...!!!! Als sich die Überraschung legte, keimte Zorn, unbändige Wut auf. Ja, es war vielleicht auch stärker als er vor einigen Wochen reagiert hätte. Doch die letzte Zeit hatte Marcus ständig an seiner Beherrschung gefeilt und jetzt brach sie. Mit zusammengepressten Lippen ging er schnell auf seinen Sklaven zu und ehe dieser etwas sagen konnte, packte er Hannibal am Arm und schlug ihn ins Gesicht, brutal.


    „Du kleine Ratte...! Du treuloser Bastard!“

    Es war am Abend vor den Saturnalien, Marcus war gerade erst mit seiner Tochter angekommen und hatte nur weitere Anzeichen des Fluches an ihr entdeckt. Tief in ihm drin hatte er die ganze Reise lang gehofft, daß Arrecina sich in Rom wieder erinnern würde, sie mußte es doch!! Bei den Göttern, es war, als ob ihm seine Tochter genommen wurde. Und dann sah er sie lebendig vor sich, konnte sie berühren und doch war sie ihm ferner als im Tod. Wenn sie ihn- ihren eigenen Vater- mit Abneigung und manchmal sogar Abscheu- Marcus war sich da sicher es immer wieder zu sehen- ansah. Schwermütig und schlecht gelaunt hatte sich Marcus von einem Sklaven ein Zimmer herrichten lassen, daß er in der Zeit seines Aufenthaltes in Rom bewohnen würde.


    Unwirsch stieß Marcus die Tür zu dem Cubiculum auf und trat hinein. Für die prachtvolle Ausstattung, das luxuriöse Bett- besonders wenn man es mit dem Legionslager verglich- und den silbernen, mit Gravuren geschmückten Nachttopf würdigte Marcus mit keinem Blick. Stattdessen trat er unruhig an eines der Fenster, was zum Garten hinaus ging und sah auf die sorgfältig gestutzten Rosenbüsche herunter. Eine Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. Endlich entwich ihm der Seufzer, den er sich schon im Atrium aufgespart hatte. Er wollte Arrecina nicht weiter bedrängen, sie zu den Erinnerungen zwingen. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont und die Müdigkeit von den letzten anstrengenden Reisetagen überfiel Marcus.


    Immer wachsam sein, ein Auge auf Arrecina und eines auf Rutger gerichtet, hatte an Marcus Kräften gezehrt. Seine Finger lösten die Schnallen seiner Rüstung, er kam noch nicht mal auf die Idee einen Sklaven dafür zu rufen, schließlich machte er das bei der Legion auch nie. Die lorica segmentata rutschte herunter, wie eine schwere Bürde, die Last seiner Verantwortung und Pflichten. Pflichten? Wieder seufzte Marcus und warf seinen paenula in eine Ecke. Müde fuhr er sich über das Gesicht und sank auf das weiche Bett herunter. Die Legion...die Legion war an vielem Schuld. Marcus war in den letzten Tagen zu dieser Erkenntnis gekommen. Sonst wäre er nie nach Germania gekommen, hätte nie den Sklaven nach Rom geschickt und seine Tochter wäre niemals von dem Fluch befallen worden. Mit dem Gedanken im Kopf sank er auf seinen Rücken und schloß seine Augen.


    Sofort einzuschlafen war eigentlich eine Fähigkeit, die jeder Soldat in der Legion lernte. Selbst unter den widrigsten Umständen konnte Marcus mittlerweile gut schlafen und auch tief. Doch entgegen seiner sonstigen Gewohnheit dachte Marcus zu viel, immer wieder gingen ihm die letzten Wochen durch den Kopf. Auch überlegte er, was er tun könnte. Doch immer nur ein Name tauchte bei ihm auf, ein Heilsbringer war dieser Name- Gracchus. Nur er würde ihm helfen können. Doch heute Abend würde er ihn wohl kaum noch sprechen können. Er hatte von einem Sklaven gehört, daß sein Vetter die Saturnalien ausrichten würde. Marcus sog die Luft tief in seine Lungen ein, dann richtete er sich abrupt auf. Er war zwar müde, konnte aber einfach nicht schlafen. So ergriff er wieder seinen Umhang, die paenula, und einen kleinen Geldbeutel aus seiner Tasche und verließ das Cubiculum wieder und auch die Villa Flavia. Sein Ziel? Marcus wußte es nicht. Einfach der Nase nach...

    Das weiche Licht schien heute Marcus nicht schmeicheln zu wollen, offenbarte es durchaus seine Augenringe und seine etwas bedrückte Miene. Die strahlenden Gesichter, die vielen Menschen, Männer und Frauen, Römer und Ausländer, Sklaven und Freie, verströmten ihre feierliche Laune und ließen Marcus düstere Stimmung noch intensiver werden. Langsam drängte sich Marcus durch die Menge und weiter nach vorne. Einige Meter vor seinem Vetter blieb Marcus stehen und lauschte seinen Worten. Ein schweres Seufzen löste sich von seinen Lippen und er versank in düstere Gedanken. Früher, sogar noch vor einem Jahr, hätte er es sich nicht nehmen lassen, die Saturnalien ausgiebig zu feiern. Es war einer der Feste, die er am meisten liebte. Zwar brachten die Saturnalien einige unangenehme Dinge mit sich, doch auch jenen und die Gleichheit aller konnte er in diesen Tagen sonst viel abgewinnen. Nur die Sorge um seine Tochter trübte viel. Erst als Gracchus fast zu Ende gesprochen hatte, bemerkte Marcus seinen Jungen bei den Statuen, schien er doch von dem Rauch fast völlig verschluckt worden zu sein. Marcus blinzelte einige Male und musterte seinen Sohn. Die Betrachtung riß Marcus aus seinen Grübeleien heraus und er lächelte. Er hatte seinen Sohn schon lange nicht mehr gesehen. Und natürlich fiel ihm als erstes auf, was einem Vater immer auffallen würde- sein Sohn war ganz schön groß geworden. Das Klimpern der Münzen zog seine Aufmerksamkeit dann wieder auf die Zeremonie.

    Kein großer Troß, kein großes Gefolge oder viele Wägen tauchten vor der Villa Flavia auf. Eigentlich nur vier Reiter, einer davon war sogar auf dem Pferd gefesselt- Rutger- und einer der Vier war kein Reiter, sondern ein junges Mädchen. Arrecina! Marcus ritt vorweg und Mico hinten dran. Am Tor angekommen hatte Marcus ruppig die Sklaven losgescheucht. Mit zusammen gepressten Lippen und weniger frohgelaunt wie sonst zu den Saturnalien schwang sich Marcus vom Sattel und trat neben das Pferd von Arrecina. Vorsichtig hatte Marcus seine Tochter vom Pferd gehoben. Immer wenn er sie ansah, legte sich ein Schatten über seine Seele. Den Ausdruck in ihren Augen zu sehen, war oft zu viel, zu schwer für ihn. Es war jedes Mal wie eine Dolchstoß, doch hatte er sich in den letzten Wochen schon immer mehr daran gewöhnt. Oder eher es sich angeeignet, beherrscht und stoisch zu wirken, trotz Angst, Sorge und Trauer. Mit einem Nicken deutete Marcus seinem Lakaien, Mico, sich um Rutger zu kümmern. Die Sklaven am Eingang, einige kannten Marcus inzwischen durchaus, hatten sich gleich um die Pferde gekümmert, die in den Hof der Villa hinein geführt wurden. Marcus berührte seine Tochter sachte an der Schulter, noch mehr sich aufdrängen tat er schon seit einiger Zeit nicht mehr.


    „Komm, Arrecina. Das ist Dein Zuhause, die Villa Flavia!“


    Dem Sklaven- Rutger- warf Marcus nur einen kontrollierenden Blick zu, dann strebte Marcus auf den Eingang zu. Auch dort wurden die Männer und die junge Frau nicht lange aufgehalten. Erst im Atrium angekommen verharrte Marcus wieder. Dabei sah er seine Tochter prüfend an. Erkannte sie etwas wieder? Fast hoffte er es, doch er zweifelte in letzter Zeit immer mehr an einer Besserung. Doch tief in sich hatte Marcus die Hoffnung nicht aufgegeben. Marcus sah schnell weg und musterte die Statuen seiner Ahnen. Mühsam unterdrückte er ein Seufzen.

    Es war im Morgengrauen, die Sonne sandte ihre ersten lichten Strahlen durch das kleine Fenster hinab in die Zelle des Germanen. Schritte näherten sich leise und doch beständig der Tür, die ewig verschlossen schien. Ein Schlüssel wurde herumgedreht und die Tür öffnete sich, schabte leise über den sandigen Boden. Ein großgewachsener Mann mit breiten Schultern erschien ihm Türrahmen, wurde von hinten von einer kleinen Fackel beleuchtet. Nur seine Konturen waren vage zu erkennen. Marcus Flavius Aristides betrat den Raum. Sein im Schatten verborgenes Gesicht war finster, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die dunkelrote Paenula fiel in weichen Falten um seine Schultern und über seine Rüstung herum, verschmolz am Rand mit seiner rostroten Tunika. Mit seinen schwarzen calcei patrici ging er tiefer in den Carcer hinein. Sein Blick ruhte auf Rutger, durchdringend und undurchschaubar. Seine ganze Haltung drückte Abneigung und Kälte aus, aber sonst ließ sich Marcus keine Regung anmerken. Doch in seinem Inneren sah das ganz anders aus.


    Warum waren die Götter ständig gegen ihn- Marcus Flavius Aristides? Warum haben sie den Germanen nicht in die Unterwelt geschleudert, seinen Lebensfaden zerrissen und den Sklaven seinen germanischen Göttern geschickt? Immer und immer wieder hatte Marcus gehofft, Mico würde ihm die Kunde von dem Tod Rutgers bringen. Vielleicht würde dann auch der Fluch über seine Tochter enden und ihr Geist wäre wieder frei. Ihn selber töten? Oftmals hatte Marcus darüber gegrübelt, stand schon am Treppenabsatz zum Keller und war versucht gewesen, es zu beenden. Doch immer wieder hielt ihn sein Wort, sein verflucht schnell gegebenes Wort davon ab, den letzten Schritt zu tun. Die Wege der Götter vermochte Marcus noch nie zu durchschauen, dafür waren Männer wie Gracchus zuständig. Marcus Gesichtsausdruck wurde etwas nachdenklicher. Grübelnd betrachtete er den Germanen, der noch zu schlafen schien. Doch vielleicht tat er auch nur so! Trotzdem fragte er sich, warum sich ihre beiden Schicksale immer wieder so verflochten hatten. Warum?


    „Germane!“


    Unbewegt sah Marcus auf ihn runter, hörte hinter sich Mico und seinen kleinen Hund. Mico scharrte unruhig mit den Füßen und sah Rutger angespannt an, wußte er doch allzu gut, wie unberechenbar jener Sklave war und welcher Kampfgeist in diesem steckte. Jeder andere Mann hätte sich schon längst dem Tod ergeben. Auch Marcus gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Zwar haßte er Rutger auf eine Weise, andererseits bewunderte er jedoch seine Zähigkeit, seinen Mut, seine Ausdauer und Entschlossenheit. Diese Eigenschaften würden so manch einem Römer gut tun, besaßen doch einige Männer diese nicht.


    „Deine Götter scheinen immer noch auf Deiner Seite zu sein, Germane! Wenn dem so ist, vermag auch ich nichts daran zu ändern. Wir brechen auf! Los, steh auf, Rutger!“


    Das war wohl das erste Mal, daß Marcus ihn bei seinem Namen genannt hatte. Er selber bemerkte es nicht.